2,49 €
"Wir sollten …", seine Küsse fühlten sich wie kleine Schmetterlinge auf ihrer Haut an, "…irgendwohin gehen." Reporterin Laurel bekommt einen heißen Tipp: Die Wohltätigkeitsorganisation LeBlanc Charities soll Gelder unterschlagen! Sofort bewirbt sie sich als Managerin, um undercover für einen Enthüllungsartikel zu recherchieren. Aber die Zusammenarbeit mit Xavier LeBlanc bringt sie an ihre Grenzen: Der arrogante, gefährlich attraktive Unternehmer scheint sie zu durchschauen. Ahnt er etwa, dass sie ihn anlügt? Dass sie ihn zugleich umwerfend sexy findet? Plötzlich ist Laurel gefangen zwischen Verrat und heißer Leidenschaft für ihren Boss …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 206
IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2018 by Kat Cantrell Originaltitel: „Playing Mr. Right“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 2060 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Victoria Werner
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 12/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733724511
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de
Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.
Das Gebäude, in dem LeBlanc Charities untergebracht war, fühlte sich für Xavier an wie ein Ort der Verbannung. Obwohl er denselben Familiennamen trug wie die Gründerin, war dies der letzte Ort, an dem er sein wollte – was nicht gut war, wenn man bedachte, dass er seit drei Monaten gezwungen war, fast jeden Tag herzukommen.
Und so würde es noch drei Monate lang bleiben, bis die grauenvollen Testamentsauflagen erfüllt waren. Xaviers Vater hatte sich eine teuflische Idee einfallen lassen, um dafür zu sorgen, dass seine Söhne auch nach seinem Tod nach seiner Pfeife tanzten: Xavier und sein Bruder Val waren gezwungen, ihre Positionen zu tauschen, wenn sie ihr Erbe bekommen wollten.
Die ganzen zehn Jahre, die Xavier gebraucht hatte, um das Geschäft von LeBlanc Jewelers von der Pike auf zu lernen, plus die fünf Jahre, seit er die Leitung der Firma übernommen und sich verzweifelt bemüht hatte, vor seinem Vater zu bestehen – all das zählte nicht mehr. Um die fünfhundert Millionen Dollar zu bekommen, die er seiner eigenen Einschätzung nach schon jetzt verdient hätte, musste Xavier einen letzten Test bestehen. Aber statt ihm eine Aufgabe zu geben, die irgendwie sinnvoll gewesen wäre, verlangte sein Vater in seinem Letzten Willen, dass Xavier sich anstelle seines Bruders Val als Spendenbeschaffer bei der Wohltätigkeitsorganisation LeBlanc Charities bewies, während sein Bruder die Leitung von LeBlanc Jewelers übernehmen musste.
Noch jetzt, drei Monate später, bekam Xavier fast einen Wutanfall, wenn er daran dachte, wie unfair und unmöglich die Bedingungen des Testaments waren. Sein Vater hatte ihn betrogen. Punkt. Während Xavier sich immer bemüht hatte, eine gute Beziehung zu seinem Dad zu haben und als sein Lieblingssohn dazustehen, hatte Edward LeBlanc Pläne geschmiedet, wie er seinen Söhnen noch nach seinem Tode zeigen konnte, wie sehr er sie beide hasste.
In diesem Punkt standen Xavier und Val jetzt auf einer Stufe. Die Bedingungen des Testaments hatten die Brüder erstaunlich zusammengeschweißt, die außer einem identischen Äußeren kaum Gemeinsamkeiten hatten. Obwohl sie Zwillinge waren, hatten sie einander nie nahegestanden und sich als Erwachsene für vollkommen unterschiedliche Lebenswege entschieden. Val war ihrer Mutter zu LeBlanc Charities gefolgt und dort glücklich geworden. Xavier hingegen machte einen Bogen um alles, was auch nur andeutungsweise den Anschein von Wohltätigkeit hatte, und konzentrierte sich ganz auf seine Arbeit als Geschäftsführer des Diamantenhandels der Familie, der zu den weltweit größten und erfolgreichsten gehörte.
Und alles für nichts!
Die Bedingungen des Testaments hatten Xavier zutiefst verletzt, und er war noch dabei, sich von diesem Schlag zu erholen.
Zu sagen, er sei verbittert, hätte seine Gefühle seinem Vater gegenüber nur unzureichend beschrieben. Aber er benutzte diese Bitterkeit als Ansporn. Er musste diesen letzten Test bestehen. Erfolg war schließlich die beste Rache.
Xavier hatte sich mit Schwung in die neue Aufgabe bei LeBlanc Charities, kurz LBC, gestürzt, aber obwohl ihm die Zeit davonlief, hatte er immer noch keinen Boden unter den Füßen. Fast hatte es den Anschein, als habe sein Vater ihm eine unlösbare Aufgabe gestellt. Sein Letzter Wille besagte, dass Xavier während dieser sechs Monate, in denen er Vals Job übernahm, zehn Millionen Dollar an Spenden eintreiben musste. Keine leichte Aufgabe. Aber bisher hatte er noch nicht aufgegeben und würde es auch nicht tun.
Schon um sechs Uhr morgens herrschte Hektik bei LeBlanc Charities. Die karitative Essensausgabe, die Tafel, war sieben Tage die Woche, fünfzehn Stunden am Tag geöffnet. Es war absurd. Eine riesige Geldverschwendung. Oft berichteten die ehrenamtlichen Helfer, dass während der frühen Morgenstunden kein einziger Gast die Schwelle übertreten hatte.
Es war eine der ersten Amtshandlungen von Xavier, diese Öffnungszeiten einzuschränken, doch er hatte es bald bedauern müssen. Er hatte die Anordnung zurückgenommen, aber Marjorie Lewis, die effektive Service-Managerin, hatte dennoch gekündigt. Sie hatte Val – ihrem eigentlichen Boss, wie sie Xavier sagte – mitgeteilt, ihre Mutter sei ein Pflegefall geworden, aber Xavier kannte die Wahrheit.
Sie hasste ihn.
Das galt für fast alle bei LBC, während die Mitarbeiter von LeBlanc Jewelers – seiner eigentlichen Firma, wie er Marjorie wissen ließ – ihn respektierten. Ob sie ihn mochten? Wer konnte das wissen? Und es war Xavier auch einerlei, solange sie jeden Monat den Profit steigerten.
LBC war natürlich nicht mit dem Diamantenhandel zu vergleichen. Niemand hier besaß Diamanten, von ihm selbst abgesehen. Nach dem ersten Tag hatte er seine edle Rolex-Armbanduhr abgelegt. Marjorie hatte ihn spitz darauf hingewiesen, dass die Menschen, denen LBC zu helfen versuchte, entweder annehmen würden, es sei ein Imitat, oder sie würden versuchen, sie zu stehlen. Oder sie würden ihm mangelnde Sensibilität vorwerfen. Schlimmstenfalls alles drei.
Daher lag die Fünfhunderttausend-Dollar-Uhr nun ungenutzt im Schrank. Es tat ihm leid darum, aber er ließ sie dort in der Hoffnung liegen, etwas von diesem mythisch beschworenen Respekt seiner Mitarbeiter zu erlangen. Stattdessen stieß er auf ein Hindernis nach dem anderen in Form von Marjorie, die die anderen dazu aufstachelte, ihn ebenso sehr zu hassen, wie sie es tat. Und dann hatte sie von einem Tag zum anderen gekündigt und ihn mit allen Problemen alleingelassen.
Am Vortag hatte er Tüten gefüllt, die die Bedürftigen, denen LBC zu essen gab, mitnehmen konnten. Familien bekamen vorgepackte Kartons. Einmal am Tag servierte LBC eine Mahlzeit, aber Xavier hielt sich aus der Küche fern. Jennifer Sanders, die die Essensausgabe managte, hatte alles gut unter Kontrolle und stimmte der allgemeinen Meinung zu, dass Val einfach göttlich war. Was auch immer Xavier tat, konnte im Vergleich also nur schlechter sein.
Wie jeden Morgen zog Xavier sich in sein Büro zurück. Oder vielmehr in Vals Büro. Xavier hatte es neu streichen und neu einrichten lassen. Wenn es schon sein Arbeitsplatz sein sollte, dann wollte er nicht jede Sekunde daran erinnert werden, dass Val zuerst hier gewesen war – und alles besser gemacht hatte.
Xavier machte sich an die Berge von Papierkram, die mit der Wohltätigkeitsarbeit einhergingen, bis sein Bruder zur Tür hereinkam.
Gott sei Dank! Xavier hatte schon Zweifel gehabt, ob Val zu dem geplanten Meeting wegen der Neubesetzung der Service-Manager-Stelle kommen würde. Nachdem Marjorie das Handtuch geworfen hatte, blieb das Gros ihrer Arbeit an Xavier hängen. Dadurch hatte er kaum noch Zeit, Spendensammlungen zu planen, die so wichtig für ihn waren, wenn er eine Chance haben wollte, die Bedingungen des Testaments zu erfüllen.
Val hatte sich erboten, bei den Einstellungsgesprächen zu helfen. Xavier hatte sein Angebot sofort angenommen, ohne seinem Bruder zu sagen, wie verzweifelt er auf seine Hilfe angewiesen war. Wenn er durch das Testament allerdings eines gelernt hatte, dann, dass man niemandem vertrauen sollte, nicht einmal den Mitgliedern der eigenen Familie.
„Tut mir leid, dass ich zu spät bin.“ Val verzog das Gesicht, als er die neue Farbe an den Wänden betrachtete, und schob sich das zu lange Haar aus den Augen. „Wenn du schon streichen musstest, hättest du doch wenigstens etwas anderes als dieses scheußliche Grün nehmen können.“
„Es ist graugrün. Wie Salbei. Wirkt sehr beruhigend.“
Es tat nichts dergleichen und hatte auch keine Ähnlichkeit mit der Farbe, die der Maler ihm auf seiner Tafel gezeigt hatte, aber Xavier musste jetzt damit leben, weil LBC kein Geld für überflüssige Dinge wie Wandfarbe hatte. Als er vorgeschlagen hatte, es von seinem eigenen Geld zu bezahlen, war Marjorie ausgerastet und hatte ihm wenigstens einhundertsiebenundvierzig Gründe genannt, wieso das eine schlechte Idee war. Aus allem hatte er nur so viel herausgehört, dass LBC in der Vergangenheit eine negative Bilanzprüfung gehabt hatte und dass sie daher unter verstärkter Kontrolle standen.
Was hieß: Er musste sich in allem, was er tat, vorsehen.
„Wen treffen wir denn heute?“, fragte Val, während er es sich in einem der Sessel vor dem Chef-Tisch bequem machte.
Die Bezeichnung war irreführend. Xavier fühlte sich hier nicht als Chef. Vor dieser Sache mit dem Testament hätte er von sich behauptet, ein gewiefter Geschäftsmann zu sein, aber die Zeit bei LBC hatte sein Selbstvertrauen allmählich untergraben.
Er hatte ein Milliarden-Dollar-Unternehmen geleitet, einen Diamantenhandel, der zu den angesehensten der Welt gehörte. In dieser Welt hatte er einen Triumph nach dem anderen gefeiert. Aber in seiner neuen Welt? LeBlanc Charities war immer noch Vals Baby, auch wenn sein Bruder im Moment LeBlanc Jewelers vorstand.
Xavier unterbrach sein stummes Jammern und nahm die einzige Bewerbung auf, die vor ihm auf dem Tisch lag.
„Nachdem du alle anderen abgelehnt hast, bleibt nur noch diese“, erklärte er. „Die Kandidatin hat ihre Erfahrungen in einem Frauenhaus gesammelt. Deswegen passt sie wahrscheinlich nicht. Ich hätte gern jemanden, der Erfahrungen mit einer Tafel hat.“
„Das ist natürlich deine Entscheidung.“ Vals Ton drückte Missbilligung aus, als sei es vollkommen verrückt, sich jemanden mit einschlägigen Erfahrungen zu wünschen. „Hast du etwas dagegen, wenn ich sie mir mal ansehe?“
Xavier schob die Bewerbung seinem Bruder zu, der sie mit nachdenklicher Miene studierte.
„Und diese Laurel Dixon ist die einzige neue Bewerberin, die du hast?“, fragte er schließlich.
„Wenn du nur die nimmst, die halbwegs qualifiziert sind, ja. Ich habe den Job auf den üblichen Seiten im Netz angeboten, aber es gab nur wenige Rückmeldungen.“
Val rieb sich die Stirn. „Das ist nicht gut. Ich frage mich, ob unser kleines Testaments-Experiment sich herumgesprochen hat. Ich hätte mehr Bewerbungen erwartet, aber falls du alle Kandidaten verschreckst, habe ich ein Problem, wenn ich wieder in meine alte Position zurückkomme.“
Das tat weh, aber Xavier ließ es sich nicht anmerken. Er zeigte seine Emotionen nie, das hatte er schon von Kindesbeinen an bei seinem Vater gelernt. Ein Chef durfte sich nicht zu offen geben, wenn er nicht den Respekt seiner Mitarbeiter verlieren wollte. Damit war er immer gut gefahren – bis sein Vater jetzt seine Welt auf den Kopf gestellt hatte.
„Das liegt nicht an mir“, sagte Xavier ruhig. Marjorie. Er würde es ihr durchaus zutrauen, dass sie auf irgendeine Weise potenzielle Kandidaten im Netz vergraulte. Aber das ließ sich natürlich nicht beweisen. „Wenn du jemandem die Schuld geben willst, dann gib sie Dad.“
Val ging nicht darauf ein. „Ich finde, wir sollten mit dieser Kandidatin sprechen. Was hast du sonst für eine Wahl? Du brauchst sie ja nicht zu behalten, wenn sie sich nicht bewährt.“
„Na gut.“
Xavier nahm den Hörer auf und hinterließ eine Nachricht bei der angegebenen Nummer. Er hatte keine Lust, sich über die Sache zu streiten oder sich darüber zu ärgern, dass Val immer mitbestimmen wollte. Es war alles nur eine Frage der Zeit, und bald würde Val wieder hier im Sattel sitzen.
Was auch immer er tat, es spielte im Grunde keine Rolle.
Da sich das Meeting über Marjories Nachfolge mangels Bewerbern quasi von selbst erledigt hatte, nutzte Val die Gelegenheit, ein paar spitze Fragen zum Lauf der Dinge bei LBC zu stellen. Sie wurden von einem Klopfen an der Tür unterbrochen.
Adelaide, eine Mitarbeiterin aus der Verwaltung und Anhängerin von Marjorie, steckte den Kopf zur Tür herein und strahlte, als sie Val sah. Hätte er es nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte Xavier nicht geglaubt, dass sie überhaupt die Bedeutung des Wortes Lächeln kannte.
„Hier ist eine Laurel Dixon“, sagte sie. „Wegen der Stelle.“
Xavier hatte sie vor weniger als einer halben Stunde angerufen und nichts davon gesagt, dass sie gleich vorbeikommen sollte. Nur, dass er gern den Termin für ein Gespräch mit ihr vereinbaren würde.
„Die kommt einfach so“, raunte Xavier seinem Bruder zu. „Ganz schön frech, findest du nicht?“
Irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl bei der Sache. Downtown Chicago war nicht für sein gutes Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln bekannt. Entweder wohnte die Frau ganz in der Nähe, oder sie war schon auf dem Weg hierher gewesen, als er sie anrief.
„Also ich bin beeindruckt. Das ist genau die zupackende Art, die ich mag.“ Val brachte es fertig, es so zu sagen, dass Xavier gleich wieder schlecht aussah.
„Ich würde sie lieber wieder wegschicken und einen Termin für ein richtiges Bewerbungsgespräch machen. Nachdem ich Zeit gehabt habe, ein paar Erkundigungen über ihre Qualifikationen einzuholen.“
„Sie ist hier.“ Val zuckte die Schultern. „Worüber willst du dich groß erkundigen? Falls du dir unsicher bist, führe ich das Gespräch.“
„Das kann ich auch“, fuhr Xavier ihn an. „Ich mag einfach keine Überraschungen.“
Val grinste nur und strich sich lässig das Haar zurück. „Ich weiß. Mach dir deswegen keinen Kopf. Ich bin vorbeigekommen, um das Problem zu lösen. Nun lass es mich auch lösen.“
„Wir werden das Gespräch beide führen. Bitten Sie sie herein, Adelaide.“
Val machte sich nicht die Mühe, sich einen anderen Platz zu suchen, wie ein normaler Vorgesetzter es getan hätte. Der Platz hinter dem Schreibtisch stand für Autorität. Val wusste wahrscheinlich nicht einmal, was das war. Deswegen liebten die Mitarbeiter ihn, weil er sie alle wie seinesgleichen behandelte. Das Problem war nur: Die Menschen waren nicht alle gleich. Jemand musste die Verantwortung tragen und die nötigen Entscheidungen fällen.
Dieser Jemand war jetzt er. Val musste sich zurückhalten. Im Moment – und für die kommenden drei Monate – gehörte dieses Büro Xavier LeBlanc.
Laurel Dixon trat ein.
Mit einem Schlag vergaß Xavier seinen Bruder, vergaß LBC, vergaß seinen eigenen Namen. Alles verblasste – mit Ausnahme dieser Frau.
Sie war ein vollkommen anderer Typ als Marjorie, so viel war klar. Sie war überhaupt wie keine Frau, die Xavier je kennengelernt hatte. Das lange, üppige pechschwarze Haar fiel ihr über den Rücken, aber das registrierte er nur am Rande. Ihr Blick war es, der ihn gefangen hielt. Der durchdringende Blick ihrer silbergrauen Augen.
Irgendetwas Magisches passierte zwischen ihnen, und es war so unglaublich, dass Xavier das Gefühl sofort unterdrückte. Er gab sich nicht mit magischen Dingen ab. Bei Lichte betrachtet wusste er nicht einmal, was das eigentlich sein sollte. Aber ihm fiel beim besten Willen kein anderer Ausdruck ein, um zu beschreiben, was zwischen ihm und dieser Frau vorging. Das machte ihm die ganze Begegnung irgendwie suspekt.
Diese Frau war das personifizierte Problem, wenn sie allein durch das Betreten eines Raumes eine solche Reaktion in ihm auslösen konnte. Er hörte förmlich seine Alarmsirenen schrillen.
„Miss Dixon.“ Val erhob sich und reichte ihr die Hand. „Ich bin Valentino LeBlanc, der Leiter von LBC.“
„Mr. LeBlanc. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Ihre Stimme klang unglaublich klar und wiederum irgendwie magisch.
Xavier hätte behauptet, sinnliche Stimmen zu bevorzugen. Sexy Stimmen, die zu schnurren schienen, wenn die Frau erregt war. Die Stimme von Laurel Dixon hätte wohl nicht als sinnlich durchgehen können, aber das spielte keine Rolle. Er wollte sie gleich noch einmal hören. Es war die Art Stimme, der man wohl eine Stunde zuhören konnte, ohne sich zu langweilen.
Aber dies sollte ein Vorstellungsgespräch sein, keine Verführung. Eigentlich war er noch nie wirklich verführt worden, jedenfalls nicht, soweit er sich erinnerte. Gewöhnlich ging jede Initiative von ihm aus. Irgendwie irritierte es ihn, von einer Frau angemacht zu werden, die nicht einmal hier sein sollte.
„Xavier LeBlanc.“ Er musste sich räuspern, bevor ihm die Worte über die Lippen kamen. „Zurzeit Leiter von LBC. Mein Bruder ist nur zufällig gerade hier.“
Ihre Aufmerksamkeit wanderte von Val zu ihm. Er reichte ihr die Hand. Laurel Dixon ergriff sie. Als kein Blitz auf sie beide niederging, entspannte sich Xavier ein wenig. In diesem Moment machte er den Fehler, den Blick zu ihren Lippen gleiten zu lassen. Ihr Lächeln traf ihn wie ein Schlag. Er riss die Hand zurück, ließ sich in seinen Sessel sinken und fragte sich, an welchem Punkt er den Verstand verloren hatte.
„Zwei zum Preis von einem.“ Sie lachte. Es war ein sympathisches Lachen. „Es freut mich, dass Sie beide so unterschiedliche Frisuren haben. So kann man Sie wenigstens nicht verwechseln.“
Spontan ließ Xavier die Hand über sein kurz geschnittenes Haar gleiten. Er trug es so, weil es professionell war. Der Stil stand ihm, und die Tatsache, dass Vals zu langes Haar ihn als den rebellischen Zwilling kennzeichnete, wirkte sich meist zu seinem Vorteil aus.
„Val verirrt sich immer auf dem Weg zum Friseur.“
Er hatte es zwar nicht als Witz gemeint, aber sie lachte dennoch. Das verstärkte seinen Entschluss, so wenig wie möglich zu sagen. Je weniger sie so lachte, desto besser!
„Wir haben Sie nicht erwartet“, bemerkte Val locker und deutete auf den Sessel neben seinem. Nachdem Laurel Platz genommen hatte, setzte auch er sich wieder. „Wir sind sehr angetan von Ihrer Spontaneität. Nicht wahr, Xavier?“
Es war doch typisch! Kaum hatte er sich entschieden, den Mund zu halten, zog Val ihn wieder in die Unterhaltung hinein.
„So könnte man es auch sagen“, knurrte er. „Ich hätte gern zuerst einen Termin für das Gespräch vereinbart.“
„Das wäre natürlich der richtige Weg gewesen“, stimmte sie zu und lächelte „Aber ich bin so sehr an dem Job interessiert, dass ich nichts dem Zufall überlassen wollte. Daher dachte ich, wozu warten?“
Ja, wozu eigentlich? „Was ist für Sie so interessant daran, eine Tafel zu leiten?“
„Alles“, sagte sie rasch. „Ich liebe es, Menschen in Not zu helfen, und wie könnte man das besser tun als durch das Lebensnotwendigste? Ich möchte den Menschen zu essen geben.“
„Gut gesagt“, murmelte Val.
Da das, was sie gesagt hatte, auch der Text seines Bruders hätte sein können, überraschte es Xavier nicht, dass Val beeindruckt war. In Xaviers Ohren klang es etwas zu geschmeidig. Zu auswendig gelernt. Wieder machten sich seine Alarmsirenen bemerkbar.
Irgendetwas an ihr stimmte nicht. Er mochte sie nicht. Und noch weniger mochte er die Art, wie sie ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Wie sollten sie zusammenarbeiten, wenn es ihn Überwindung kostete, in ihrer Nähe zu sein?
„Sie bringen nicht viel Erfahrungen mit“, bemerkte er. „Was haben Sie im Frauenhaus gemacht, das Sie zur Service-Managerin einer Tafel befähigt?“
Laurel ließ einen offensichtlich gut einstudierten Text über ihre Rolle im Frauenhaus hören, betonte ihre Erfahrungen im Management und endete schließlich in einer lebhaften Diskussion mit Val über einige ihrer Ideen für einen neuen Ansatz.
Sein Bruder stand auf Laurel Dixon, das spürte Xavier. Val konnte gar nicht mehr aufhören zu lächeln. Und natürlich: Nachdem die Kandidatin gegangen war, verschränkte Val die Arme vor der Brust und erklärte: „Das ist die Richtige.“
„Absolut nicht.“
„Was? Wieso nicht?“ Val schob jeden Einwand gleich mit einer ausholenden Bewegung beiseite. „Sie ist perfekt.“
„Dann stell du sie ein. In drei Monaten. Im Moment habe ich hier das Sagen, und ich sage, ich möchte jemand anderen für den Job.“
„Ich weiß nicht, wieso du so stur bist“, fuhr Val ihn an, und etwas von dem guten Willen, den sie einander im Rahmen dieser absurden Testamentsgeschichte entgegengebracht hatten, bröckelte.
Seine Vorsicht hatte nichts mit Sturheit zu tun. Er hatte verschiedene Gründe. „Sie hat keine Erfahrung.“
„Machst du Witze? Was sie im Frauenhaus gemacht hat, kann man sehr wohl auf unsere Gegebenheiten übertragen. Vielleicht nicht vollständig, aber du hast ja auch nur drei Monate mit ihr zu tun. Anschließend habe ich sie am Hals, falls sie die falsche Kandidatin war. Tu mir den Gefallen.“
„Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Frau. Ich kann dir nicht sagen, was es ist. Hast du es nicht gespürt?“
„Nein. Sie ist wortgewandt und begeisterungsfähig.“ Der Blick, den Val ihm zuwarf, enthielt eine Mischung aus Spott und Mitleid. „Vielleicht stört dich nur, dass sie nicht so ein seelenloser Roboter ist wie du?“
„Das wird es wohl sein.“
Val seufzte genervt. „Wir sind hier nicht im Big Business. Hier werden die Leute nicht nach ihrer Fähigkeit beurteilt, ihre Gegner in Stücke reißen zu können. Du brauchst jemanden, der Marjorie ersetzt. Falls du nicht noch jede Menge anderer Kandidaten für den Job hast, ist Laurel die Richtige.“
Die Bemerkung traf Xavier auf ganz andere Art, als Val es beabsichtigt hatte. Nein, dies war nicht das Big Business, und wahrscheinlich war es die neue Unsicherheit, die sich hier wieder bei ihm bemerkbar machte.
Sein Vater hatte ihm wirklich keinen Gefallen getan mit diesem erzwungenen Tausch. Erst jetzt begriff Xavier, wie sehr sein Selbstvertrauen gelitten hatte. War das der Grund dafür, dass es ihm schwerfiel, einem Bewerber zu vertrauen?
„Ich werde Laurel Dixon einstellen, falls das der Wunsch Eurer Majestät ist“, bemerkte er spöttisch. „Aber ich sage dir noch einmal: Ich traue ihr nicht. Sie hat etwas zu verbergen, und wenn du irgendwann darunter zu leiden hast, werde ich dich an dieses Gespräch erinnern.“
Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er allerdings weit früher darunter zu leiden haben als Val, der gleich wieder in die Welt des Big Business zurückkehren durfte. Er hingegen musste die kommenden drei Monate Seite an Seite mit einer neuen Service-Managerin arbeiten, die ihm einen Schauer über den Körper laufen ließ, wenn er sie nur ansah.
Xavier unterdrückte einen Seufzer. Er würde viel Energie darauf verwenden, Laurel Dixon aus dem Weg zu gehen. Das war seine übliche Taktik. Niemand hatte das Recht, ihm unter die Haut zu gehen, und niemand durfte auf sein Vertrauen zählen.
Als Laurel Dixon beschloss, sich undercover bei der Tafel von LeBlanc Charities zu bewerben, um Betrugsvorwürfen nachzugehen, hätte sie sich vielleicht nicht gerade als Service-Managerin vorstellen sollen. Aber wer hätte es auch für möglich gehalten, dass sie den Posten tatsächlich bekommen würde?
Sie war davon ausgegangen, mit ihrer Begeisterungsfähigkeit zu überzeugen und dann vielleicht eine geringere Position zu erhalten. Eine, die ihr Zugang zu den Menschen gab, mit denen sie sprechen wollte. Stattdessen saß sie gleich an höchster Stelle. Hier sollte sie genügend Gelegenheit haben, einen Blick in die Bücher von LBC zu werfen. Die Spender sollten erfahren, dass LBC durchaus nicht so integer war, wie es den Anschein hatte, und dass man dort nur vorgab, Menschen in Not zu helfen, während sich die Organisation selbst die Taschen vollstopfte.
Bisher hatte sie allerdings noch keine freie Minute gehabt, überhaupt darüber nachzudenken, wie sie die betrügerischen Machenschaften der Firma aufdecken wollte. Das hatte viel mit Xavier LeBlanc zu tun.
Nur weil er zu der unmenschlichen Zeit von sechs Uhr morgens im Büro erschien und die Mittagspause durcharbeitete, hieß das noch nicht, dass der Rest der Welt dasselbe tun musste. Aber sie taten es alle, auch Laurel. Wobei sie jedoch nicht dieselben Beklemmungen wie die anderen in der Nähe ihres Chefs auf Zeit verspürte.
Aber was sollte sie auch tun? Wie ein zivilisierter Mensch um neun zur Arbeit erscheinen und damit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen? Nein. Sie hatte diesen Job unter falschen Vorzeichen angenommen, und jetzt konnte sie keinen Rückzieher mehr machen.
Uff! Das hatte sie nun davon, dass sie unbedingt einen ganz neuen Ansatz im investigativen Journalismus durchsetzen wollte. Dies sollte ihr großer Durchbruch werden. Damit wollte sie sich einen Namen machen, während sie gleichzeitig ihren Sinn für Gerechtigkeit bewies und ihr Bedürfnis, den Menschen zu helfen. Wenn sie ihre Nachforschungen undercover betrieb, sollte es doch möglich sein, an all die entscheidenden Informationen zu kommen! Dieses Mal würde es keine peinliche Gegendarstellung geben, die bewies, dass ihren Anschuldigungen jede Grundlage fehlte.
Das war fast das Ende ihrer Karriere gewesen. Dank der vielen Kommentare im Internet auf den Social-Media-Kanälen würde ihr dieser Fehler immer nachhängen. Aber sie konnte ihren Lesern ein neues Thema bieten. Allerdings durfte ihr nun kein einziger Fehler unterlaufen. Wenn sie die Bombe platzen ließ, dann sollte das ein Triumph sein, der den Fehler ihrer letzten Recherche vergessen ließ.
So hatte sie es sich in der Theorie vorgenommen, aber in der Praxis wies ihr Plan beträchtliche Lücken auf.
Die ersten Stunden im neuen Job war sie Adelaide gefolgt und hatte sich erklären lassen, wie Xavier sich die Arbeit von LBC vorstellte – und in welch kurzer Zeit Laurel diese Abläufe organisieren sollte. Offenbar hatte Marjorie, ihre Vorgängerin, ein ziemliches Chaos hinterlassen, aber Mr. LeBlanc machte sich nicht die Mühe, ihr das alles selbst zu erläutern.
Um ein Uhr hatte sie genug.