Behind Me - Nina Schilling - E-Book
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Behind Me E-Book

Nina Schilling

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Beschreibung

Packend und hochromantisch – die aufregendste Wattpad-Liebesgeschichte des Jahres jetzt auch als Buch! 

Bei Wattpad viral, jetzt auch als Buch erhältlich: Die Geschichte um Tessa und ihren zärtlichen Bad Boy Dyan gehört zu den spannendsten New-Adult-Neuerscheinungen des Jahres.

Wie gut muss man einen Menschen kennen, bevor man über ihn urteilt – oder sich sogar in ihn verliebt? 

Tessas Leben läuft nicht gerade so, wie sie es sich vorgestellt hat. Ihr Vater trinkt und ihre Stiefmutter läuft sämtlichen Disney-Hexen den Rang ab. Doch als Tessa der kleinen Schwester von Dyan hilft, kommen die beiden sich näher. Und mehr noch: Ausgerechnet der Bad Boy der Schule möchte hinter ihre taffe Fassade blicken. Tessa muss nicht nur lernen, ihr eigenes Herz zu öffnen. Allmählich entdeckt sie, dass auch in dem vermeintlichen Bad Boy ein weicher Kern steckt. Tessa setzt alles daran, Dyans Geheimnis zu lüften.

„Behind Me: Tessa & Dyan“ von Nina Schilling war auf Wattpad ein großer Erfolg. Die Social-Reading-Plattform verbindet 90 Millionen LeserInnen mit jungen AutorInnen und frischen, neuen Stories. Die atemberaubende Geschichte um Tessa und Dyan hat bereits 20 Millionen junge LeserInnen begeistert. Jetzt ist die Young-Adult-Liebesstory auch als Buch verfügbar. 

Coming of Age neu erzählt: Liebesgeschichte mit Tiefgang 

Der Bad Boy und die Streberin? Von wegen! Dass sich ein Blick hinter die Fassade lohnt, beweisen Tessa und ihr Dyan. Nina Schilling schafft es in „Behind Me“, die klassische Coming-of-Age-Geschichte frei von gängigen Klischees zu erzählen, und sorgt damit für knisternde Spannung und große Gefühle. 

Vom Wattpad-Hit ins Bücherregal: die schönste Liebesgeschichte des Jahres jetzt überarbeitet im Buchformat

Das Warten hat endlich ein Ende! Mit „Behind Me: Tessa & Dyan“ hat Nina Schilling den großen Coup auf Wattpad gelandet: Die ebenso spannende wie romantische Geschichte um Tessa und Dyan hat dabei unzählige junge LeserInnen begeistert. Wattpad@Piper bringt den Sensationshit nun als Buch und E-Book heraus.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Bei »Behind Me« handelt es sich um eine umfangreich bearbeitete und gekürzte Version des auf Wattpad.com von 07nia11 ab 2014 unter dem Titel »behind the screen« veröffentlichten Textes.

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Behind Me« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Cornelia Franke

Covergestaltung: Alexa Kim »A&K Buchcover«

Covermotiv: depositphotos.com (BrianAJackson; Irochka); PNGTree

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Cover & Impressum

Vorwort

Kapitel 1 Tessa

Kapitel 2 Tessa

Kapitel 3 Tessa

Kapitel 4 Tessa

Kapitel 5 Tessa

Kapitel 6 Dyan

Kapitel 7 Tessa

Kapitel 8 Dyan

Kapitel 9 Tessa

Kapitel 10 Dyan

Kapitel 11 Tessa

Kapitel 12 Tessa

Kapitel 13 Tessa

Kapitel 14 Dyan

Kapitel 15 Tessa

Kapitel 16 Tessa

Kapitel 17 Tessa

Kapitel 18 Dyan

Kapitel 19 Tessa

Kapitel 20 Tessa

Kapitel 21 Tessa

Kapitel 22 Tessa

Kapitel 23 Dyan

Kapitel 24 Tessa

Kapitel 25 Tessa

Kapitel 26 Dyan

Kapitel 27 Tessa

Kapitel 28 Tessa

Kapitel 29 Dyan

Kapitel 30 Tessa

Kapitel 31 Dyan

Kapitel 32 Tessa

Kapitel 33 Tessa

Kapitel 34 Dyan

Kapitel 35 Tessa

Kapitel 36 Tessa

Kapitel 37 Dyan

Kapitel 38 Tessa

Kapitel 39 Tessa

Kapitel 40 Dyan

Kapitel 41 Dyan

Kapitel 42 Tessa

Kapitel 43 Tessa

Kapitel 44 Tessa

Kapitel 45 Dyan

Kapitel 46 Tessa

Danksagung

Vorwort

An all meine treuen Wattpad-Leser*innen,

ich kann es selbst kaum glauben, aber es ist endlich so weit: Tessas Geschichte, gebunden und bereit für euer Bücherregal!

Viele von euch begleiten mich und »Behind the Screen« schon seit Jahren auf Wattpad. Ihr habt so oft gefragt, wann die Geschichte als Buch erscheint, und ich freue mich, euch endlich die Geschichte im Papierformat präsentieren zu dürfen. Ich möchte aber – bevor ihr mit dem Lesen beginnt – einige Anmerkungen dazu machen, was sich in »Behind Me« geändert hat, damit die Alteingesessenen von euch keinen Herzkasper bekommen.

Vorweg: Der Kern von »Behind the Screen« ist erhalten geblieben. Tessa ist und bleibt verrückt im Kopf und die mutigste Person, die ich kenne. Dyan würde man immer noch gerne einen Klaps auf den Hinterkopf geben, dafür, dass er manchmal so ein Idiot ist. Und die Gefühle, die die Geschichte immer ausgemacht haben, sind noch genauso intensiv und mitreißend.

Trotzdem wäre es gelogen, zu sagen, dass sich nur der Titel geändert hat. Viele der Änderungen hingen damit zusammen, dass wir die Geschichte rapide kürzen mussten, um auf eine Seitenzahl zu kommen, bei der ihr mit dem Buch keinen Mord mehr begehen könnt. Dadurch mussten sich leider zwei Charaktere von uns verabschieden, und all die Kleinigkeiten, in denen ich mich verfangen habe, wurden gestrichen. Die Geschichte lässt sich nun um einiges flüssiger lesen und baut ein Tempo auf, das echt Spaß macht!

Da ich als Autorenlaie einige Logikfehler in der Geschichte hatte (die ihr berechtigterweise auch auf Wattpad kritisiert habt), wurden auch diese ausgebügelt, was als größte Folge mit sich bringt, dass unsere heiß geliebten Badboys nicht mehr mit Drogen dealen. (Was sie stattdessen anstellen, müsst ihr allerdings selbst herausfinden.) Sonst sind es eher Nebensächlichkeiten und einzelne Szenen, bei denen euch auffallen wird, dass sich zwar etwas verändert hat, aber nichts an der Art des Humors oder den Gefühlen der Geschichte.

Ich muss sagen, dass mir vieles am Anfang sehr im Herzen wehgetan hat, ich jetzt zum Schluss aber weiß, dass all die Änderungen die Geschichte tatsächlich verbessert haben. »Behind Me« lässt sich viel besser lesen, macht dabei immer noch Spaß und ist insgesamt – objektiv gesehen – viel professioneller. Vielleicht denken sich trotzdem viele von euch: »O nein, das kann gar nicht gut werden!« In dem Fall wäre meine Bitte: Gebt »Behind Me« eine Chance. Seht es als Möglichkeit, Tessa und ihre Geschichte von einer anderen Seite kennenzulernen, und lasst euch erneut entführen in die Welt von Tessa und Dyan.

Kapitel 1 Tessa

»Tesssaaa!«, schrie die Stimme meines Vaters. Erschrocken riss ich meine Augen auf und fuhr in meinem Bett hoch. Ein kurzer Blick auf meinen Wecker verriet mir, dass es 23:34 Uhr war. So früh hatte ich noch nicht mit ihm gerechnet. Allerdings änderte das nichts an der Tatsache, dass er betrunken war. Wenn er meinen Namen so in die Länge zog, hatte er einige Whiskeys zu viel getrunken, und das auf leeren Magen und in kurzer Zeit.

Seufzend stemmte ich mich aus meinem Bett, den verlockenden Ruf meines Kissens ignorierend, und folgte dem Grölen zur großen Treppe, die nach unten führte. Diese versuchte mein Vater gerade hochzuwanken, stolperte aber schon bei der ersten Stufe und ließ sich schließlich fallen. Gleichzeitig brüllte er laut herum, was mich das Gesicht verziehen ließ, während ich mich wie so oft fragte, wie meine Stiefmutter Kathrin bei dem Lärm weiterschlafen konnte.

Vielleicht hat sie sich mit der Zeit daran gewöhnt, oder sie ist so schlau und schläft mit Ohrstöpseln, klärte mich mein innerer Besserwisser auf und ließ mich damit schnaufend auflachen. Das konnte ich mir bei Kathrin zu gut vorstellen. Allerdings sollte ich mich wohl lieber auf anderes konzentrieren, denn mein Vater machte Anstalten, sich mitten auf der Treppe zu übergeben. Angeekelt sah ich zu, wie er sich nach vorne beugte und würgte.

Ich blieb am Treppenabsatz stehen, und auch wenn das jetzt egoistisch erschien, kam mir nur ein Gedanke: Super, und das kann ich nachher wieder wegmachen.

Der Gestank von Erbrochenem wehte zu mir hoch, und bei den Würgegeräuschen stieg auch in mir Übelkeit auf.

Dabei müsstest du das doch inzwischen gewöhnt sein, wies mich meine innere Stimme darauf hin, wie lang ich dieses Trauerspiel schon ertrug. Der Alkoholismus meines Vaters wurde seit Jahren immer schlimmer. Und genauso lange räumte ich ihm schon hinterher.

Man sollte meinen, Kathrin würde sich um ihren Ehemann kümmern, ihn in einen Entzug stecken oder so, doch sie entsprach genau dem Klischee einer Stiefmutter. Ganz ehrlich, manchmal war ich fest davon überzeugt, dass man sie als Vorbild für die böse Stiefmutter aus den Märchen genommen hatte. Der einzige Grund, weshalb sie sich für meinen Vater interessierte, war sein Geld, von dem er massenhaft besaß. Den Spitznamen böse Königin hatte sie sich daher schon vor langer Zeit bei mir verdient. Gegenüber anderen war sie immer die perfekte Königin, fürsorglich und zuvorkommend. Doch in Wahrheit interessierte sie sich nur für ihr Aussehen und die nächste Shoppingtour. Und mein Vater, als Firmenmogul in x-ter Generation, war der perfekte Geldbeutel zum Finanzieren des Ganzen.

Trotzdem bist du auf sie hereingefallen, rieb mir die Besserwisserin meine Fehler unter die Nase.

O ja, und wie ich das war, als sie das erste Mal durch unsere Haustür spaziert kam. Auf jedes ihrer aufgesetzt liebevollen Worte.

Früher hätte ich nie gesagt, dass wir dem Stereotyp einer völlig zerstörten Upperclass-Familie entsprachen. Meine Eltern waren das perfekte Paar gewesen, das sich liebte und sich gegenseitig Halt gab. Doch nachdem meine Mutter vor drei Jahren gestorben war, zog mein Vater sich vollkommen zurück, war ständig auf Reisen. Vermutlich wollte er all den Erinnerungen entkommen, die in diesem Haus lauerten. Dass er damit seine Tochter mit ihrer Trauer allein ließ, hatte er nicht wahrgenommen. Und selbst wenn er zu Hause war, befand er sich in dem gleichen Zustand wie jetzt: vollgelaufen und nicht ansprechbar.

Ich hatte damals nicht nur meine Mutter, sondern auch meinen Vater verloren.

»Ahhhh, da bist du ja, Tessssssaaaaa!«, grölte er wieder und riss mich aus meinen Gedanken. Er hatte endlich aufgehört, sich zu übergeben, und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

Nun ja, ansprechbar vielleicht schon, aber nicht zu einem vernünftigen Gespräch in der Lage.

Langsam stieß ich die Luft aus und näherte mich meinem Dad, der wie ein kleines Kind die Arme nach mir ausstreckte. Sollte das nicht andersrum sein?

»Weissssu waaaas?!«, lallte er, als ich ihn schließlich erreichte und die nach Alkohol und Kotze riechende Fahne zu ignorieren versuchte. Ohne auf seine Frage einzugehen, fasste ich ihn an den Armen und bemühte mich, ihn hochzuziehen, doch er hing in meinem Griff wie ein nasser Sack.

Plötzlich packte er mich an den Haaren und zerrte mich zu sich herunter. Mit einem Aufschrei folgte ich dem Zug, bevor er mir all meine Haare herausriss. Den Versuch, mich zu befreien, unterließ ich gleich. Das würde alles nur noch schlimmer machen. Also lag ich wohl oder übel halb auf ihm, sein Gesicht ganz nah an meinem. Der Geruch des Alkohols raubte mir den Atem.

»Du siehst aus wie sie«, hauchte er mir ins Ohr, und ich erschauderte. Auch ohne dass er es sagte, wusste ich, wen er meinte.

Meine Mutter.

Und er hatte recht. Ich hatte meine braunen Haare von ihr, meine athletische Statur und die katzenhaft grünen Augen. Mein Spiegelbild war eine stetige Erinnerung an den Verlust, den wir erlitten hatten. Aber am Ende war ich nichts als eine billige Kopie von ihr.

Und auch mein Vater sah das so.

»Du wirst niemals an sie herankommen!«, zischte er wütend und stieß mich kräftig nach hinten.

Ich stolperte einige Stufen hinauf, ehe ich stürzte. Mit geschlossenen Augen unterdrückte ich die aufsteigenden Tränen. Nicht etwa wegen meiner schmerzenden Kopfhaut oder des harten Aufpralls. Viel mehr waren es seine Worte, die mich verletzten. Sah er in mir nur eine unvollkommene Version von ihr? War ich keine eigenständige Person in seinen Augen?

Lass ihn nicht dein Leben bestimmen! Geh! Geh und lebe endlich!, drängte mich meine innere Stimme. Aber wie könnte ich das? Er war mein Vater, alles, was mir von meiner Familie geblieben war.

Irgendwann wird es heißen: entweder du oder er.

So weit war es noch nicht! Der Gedanke, einfach abzuhauen, war mir schon des Öfteren gekommen, doch schlussendlich war das hier mein Zuhause.

Als hätte Dad meine Gedanken gelesen, griff er nach meinem Knöchel und riss mich wieder zu sich. Obwohl ich mich am Geländer festzuhalten versuchte, rutschte ich die Stufen hinunter und landete unweigerlich in seinen Armen. Es war nur nicht die Art von Umarmung, die ich mir gewünscht hätte. Mein Gesicht an sein nach Schweiß und Erbrochenem stinkendes Hemd gedrückt, weil sein Griff keine andere Position erlaubte, rang ich trotz meines zugeschnürten Halses nach Luft.

»Aber du bist mir immer treu! Nie verlässt du mich, nicht wahr, Tesssaaaa?«, säuselte er.

Wenn mein Vater betrunken war, waren seine Taten unvorhersehbar. Umso mehr Angst machte es mir, ihm so nah zu sein. Gefangen in seinen Armen und vollkommen wehrlos. Und dieser Tonfall … als könnte er über mich bestimmen, als hätte ich keinen Willen.

Das stimmt doch auch!

Nein! Tut es nicht. Ich wollte hier weg, ich würde hier weggehen! Es war Anfang Mai, und nach dem Sommer trennte mich nur noch mein Senior-Jahr davon, an ein weit entferntes College zu verschwinden, ohne Aufsehen zu erregen oder mir meine schulische Bildung zu versauen. Ich musste nur noch etwas durchhalten.

Ohne Vorwarnung riss mein Dad meinen Kopf hoch und schrie: »Nicht wahr?!«

Erschrocken starrte ich in seine weit aufgerissenen, vom Alkohol vernebelten Augen. Mein Hals war wie ausgetrocknet, und sooft ich auch schluckte, ich fand meine Sprache nicht wieder. Ich konnte nur in seine eisblauen Augen starren und den tobenden Sturm darin beobachten. Doch er erwartete auch keine Antwort.

Ich sah nur aus dem Augenwinkel, wie er die Hand hob und ausholte. Der brennende Schmerz auf meiner Wange, als er mir eine Ohrfeige verpasste, war dafür allzu deutlich.

»Dein Platz ist genau hier, du kleines Miststück!«

Er brüllte vor Wut, aber ich nahm ihn kaum wahr. Alles, was ich spürte, war meine pochende Wange und die Ungläubigkeit in mir. Erneut brannten meine Augen, trotzdem hielt ich die Tränen zurück. Ich würde nicht weinen. Ich würde stark bleiben.

Die Laune meines Vaters schwenkte erneut um. Dieses Mal nahm er mein Gesicht sanft in die Hände, so, wie er es früher immer getan hatte.

»Ach, Tessa! Du bist alles, was mir geblieben ist! Verlass mich nicht!« Er presste sein Gesicht gegen meine Schulter, während er laut schluchzte.

Steif wie ein Brett saß ich da und war nur froh, dass er nicht länger wütend war. Sonst wäre es nicht bei der pochenden Wange geblieben, die ich zu ignorieren versuchte.

So, wie du alles ignorierst.

Ja und vor allem dich, dämliche Stimme!

Selber dämlich!

Irgendwie überzeugte ich Dad davon aufzustehen und führte ihn langsam in sein Schlafzimmer. Er schluchzte etwas darüber, wie einsam er sei und wie sehr er meine Mutter vermisse. Aber ich wusste, dass er darauf keine Antwort von mir verlangte. Denn es gab keine, die einen Unterschied gemacht hätte.

Traurig drückte ich ihn auf sein Bett, das in seinem eigenen Zimmer stand, weit entfernt von dem, das Kathrin zu ihrem Reich erklärt hatte, und zog ihm seine Schuhe aus. Glücklicherweise wurde sein Weinen dabei immer leiser, bis es schließlich in ein Schnarchen überging.

Seufzend setzte ich mich auf den Boden, lehnte mich an die Bettkante und berührte vorsichtig meine Wange, die sich heiß anfühlte. Mit dem einen Schlag war ich gut davongekommen – auch wenn sich das seltsam anhörte.

Wer weiß, wie es morgen ausgeht, murmelte meine innere Stimme, und ich stand kopfschüttelnd auf, um das Erbrochene auf der Treppe aufzuwischen, bevor ich morgen eine Standpauke von Kathrin kassierte. Die konnte ich mir wirklich ersparen.

Als ich schließlich völlig erledigt wieder ins Bett fiel, war es 00:56 Uhr.

Kapitel 2 Tessa

Das laute Klingeln meines Weckers riss mich aus meinem unruhigen Schlaf und ließ mich verschreckt im Bett hochfahren. Doch ein Blick auf das Display genügte, und ich sank stöhnend zurück in mein Kissen.

6:00 Uhr.

Wieso musste die Schule nur so früh beginnen?!

Meine Augenlider fühlten sich an, als würden sie Tonnen wiegen. Ich hatte vielleicht fünf Stunden geschlafen, doch selbst in dieser Zeit war mein Schlaf von unruhigen Träumen durchzogen gewesen. Ganz sicher nicht erholsam.

Außerdem gab es für mich keinen Grund, mich auf die Schule zu freuen. In der ersten Stunde hatte ich Mathe mit Mr Coleman. Nicht, dass ich schlecht in Mathe wäre, ganz im Gegenteil. Nur machte mir Mr Coleman gerne das Leben zur Hölle – als wäre es nicht schon schlimm genug – und fand an allem, was ich sagte, etwas Falsches. Da verging einem die Lust auf den Unterricht. Man bemerke, dass diese auch so schon kaum vorhanden war.

Das Einzige, worauf ich mich freuen könnte, wären Freunde, mit denen ich quatschen und herumalbern könnte. Tja, aber wenn man keine Freunde hatte …

Um auf andere Gedanken zu kommen, machte ich mich schnell daran, mir Anziehsachen aus meinem Kleiderschrank zu holen. Allerdings passte die Bezeichnung Begehbarer Kleiderschrank wohl besser. Einer der wenigen luxuriösen Aspekte, die ich noch hatte, seitdem Kathrin hier eingezogen war.

Ich entschied mich für etwas Einfaches: ein weißes Shirt und eng anliegende Bluejeans. Dann duschte ich mich kurz und föhnte mir die Haare, um sie nach hinten zu binden. Das tat ich so gut wie immer. Im Laufe des Tages störten mich sonst die Strähnen, die mir andauernd im Gesicht hingen, und so landeten meine Haare schlussendlich doch in einem Zopf. Schnell noch ein bisschen Wimperntusche und Zähneputzen – fertig. Den dunkelroten Lippenstift, welchen ich manchmal trug, weil er so gut zu meinen grünen Augen passte, ließ ich heute weg.

Abschließend schmiss ich mein Handy in meine Schultasche und rannte die Treppe hinunter. Dabei ließ ich die Stelle aus, an der mein Vater sich erbrochen hatte. Ein kalter Schauder lief mir über den Rücken, als ich an die letzte Nacht zurückdachte. Keine Ahnung, was heute passieren würde oder die Nacht darauf. Aber ich würde es aushalten müssen.

Den Gedanken verdrängend erreichte ich unsere riesige Hightech-Küche und blickte auf die Uhr. 6:33 Uhr. Ohne Umschweife stellte ich mich an den Herd, um mit dem Frühstück für Kathrin zu beginnen. Ein ungewolltes Morgenritual, zu dem mich meine Stiefmutter verdonnert hatte. Was mir sonst blühte, hatte ich auf die unangenehme Art lernen müssen, indem ich Stunden vor der Haustür verbracht hatte – und das Mitte November bei eisigem Regen. Darauf hatte mich eine schwere Erkältung gequält, trotzdem war ich jeden Morgen aufgestanden, um meiner liebenswürdigen Stiefmutter Frühstück zuzubereiten.

Für meine Verhältnisse war ich heute früh dran, also blieb genug Zeit, um den Morgen mit Pancakes zu starten. Ich war gerade dabei, den Teig anzurühren, als plötzlich Kathrins Stimme hinter mir losschrillte.

»Tessa, wieso ist das Essen noch nicht fertig?!« Mit einem Zucken wirbelte ich zu ihr herum.

Kathrin war spindeldürr, und zwar auf diese eklige, knochige Art und Weise. Ihr Gesicht war straff, was an unzähligen OPs lag und nicht etwa an ihrem jungen Alter. Die Haare, wasserstoffblond gefärbt, waren streng nach hinten gebunden. Dazu trug sie bereits ihren Hosenanzug mit ihren viel zu hohen High Heels, in denen sie stakste wie ein Huhn. Aber ich traute mich nicht, ihr das zu sagen. Sie mochte mich auch so schon nicht.

Liegt vielleicht daran, dass dein Dad dir alles vererbt statt der bösen Königin.

Bei dem Gedanken musste ich mir ein Lächeln verkneifen. Ja, und das war die beste Entscheidung, die mein Dad in den letzten Jahren getroffen hatte.

Oder er war nur zu besoffen, um das Testament zu ändern.

Klappe! Daran lag es sicher nicht!

»Tut mir leid, Kathrin. Aber so früh habe ich nicht mit dir gerechnet. Warte noch fünf Minuten, ja?«, erklärte ich ihr in einem ruhigen Tonfall und lächelte sie an. Doch ich könnte noch so lieb lächeln, sie starrte nur finster zurück. »Zu was bist du überhaupt fähig?«

Mein Lächeln wurde ein Stück gezwungener, und ich drehte mich wieder zu den Pancakes um, als hätte ich sie nicht gehört.

Es blieb einige Minuten still, und ich konzentrierte mich wieder aufs Kochen. Ich war davon ausgegangen, Kathrin sei ins Esszimmer gegangen, doch als sie mich auf einmal ansprach, wurde ich eines Besseren belehrt.

»Du musst übrigens heute Mittag einkaufen gehen und das Haus putzen«, sagte sie kalt und ohne zu fragen, ob ich etwas anderes vorhatte. Das war also die Strafe dafür, dass sie auf ihr Frühstück warten musste.

Hausarbeit war nichts Neues für mich. Früher hatte sich ein Hausmädchen um alles gekümmert, doch mittlerweile übernahm ich all dessen Aufgaben. Seitdem sich die Alkoholsucht meines Vaters verschlimmert hatte, durfte keine fremde Person mehr dieses Haus betreten. Immerhin musste der Schein der perfekten Familie stets gewahrt werden. Denn Gott bewahre, dass ein Skandal dazu führte, dass Kathrins Konten sich leerten.

Aber sosehr ich Kathrin auch verachtete, in diesem einen Punkt standen wir auf einer Seite. Niemand sollte vom Zustand meines Vaters wissen. Die Leute und die Presse würden sich darüber nur das Maul zerreißen und damit alles noch schlimmer machen. Und dann würde auch das letzte bisschen Normalität in meinem Leben zerstört werden.

Allerdings rechtfertigte das nicht, dass alles allein an mir hängen blieb, während Kathrin keinen Finger krümmte. Ironischerweise war die Begründung meiner liebenswerten Stiefmutter, dass es zum Wohle meiner Erziehung sei, den Haushalt zu schmeißen. Sie könne nicht verantworten, dass ich zu einer verzogenen, arroganten Göre heranwachse. Dass ich nicht lache!

Wenn ich jedoch eins in den Monaten zusammen mit Kathrin gelernt hatte, dann, dass Widerspruch zwecklos war. Und die Geschichte mit dem Frühstück war nur eins von vielen Beispielen.

Im Normalfall hätte ich also schweigend hingenommen, dass ich über Stunden unser Anwesen putzen musste. Aber heute hatte ich dafür schlicht und ergreifend nicht die Zeit. Nicht, solange ich meine Schicht im Dinnertime, einem beliebten Restaurant hier in Jamestown, nicht absagen wollte.

Wieso die verzogene reiche Göre arbeiten geht? Tja, Ironie des Schicksals. Da Kathrin wie eine Elster auf ihr wertvolles Geld achtete, musste ich jeden Einkauf, der von meinem Konto abging, rechtfertigen. Sei es ein Coffee-to-go vor der Schule oder ein Kinobesuch, alles, was absolut nicht nötig war, um mich nach außen hin wie die Tochter der perfekten Familie erscheinen zu lassen, wurde mir nicht gegönnt. In einer Welle aus Trotz hatte ich mir daher einen Nebenjob gesucht, um ein wenig Selbstbestimmung zurückzuerlangen.

Inzwischen war ich dankbar für die friedlichen Stunden außerhalb dieses Anwesens. Dass Kathrin es zudem nicht gerne sah, dass ich wie eine Normalsterbliche Geld verdiente und damit unseren Ruf gefährdete, war ein zusätzlicher Bonus. Nur heute schien das Ganze von Nachteil für mich zu sein.

Ich schluckte schwer. »Tut mir leid, Kathrin. Ich kann gerne einkaufen gehen, aber heute Mittag habe ich eine Schicht im Dinnertime.«

Ihre Augenbrauen zogen sich überrascht nach oben, als ich widersprach, und wie zu erwarten, blieb sie auch dieses Mal hart. »Dann lass dir was einfallen. Morgen früh ist dieses Haus blitzblank!«

Mit diesen Worten und einem arroganten Blick drehte sie sich um und wankte auf ihren Stilettos aus der Küche.

Verdammt! Ich würde keine Sekunde Zeit für mich haben.

Wütend presste ich die Lippen zusammen und verspürte den Drang, gegen etwas zu schlagen. Doch da lenkte mich der Geruch von Verbranntem ab, und ein lautes Zischen aus der Richtung des Herdes ließ mich herumfahren. Verdammt, die Pancakes!

Keine zwei Minuten später hatte ich meiner Stiefmutter den Tisch gedeckt und zog mich wieder nach oben zurück. Dabei trugen mich meine Füße, als wäre es Routine, zum Schlafzimmer meines Vaters.

Ist ja auch Routine!

Gott! Konnte sie mich nicht mal in Ruhe lassen?!

Nein, du Dumpfbacke! Ich bin immerhin der vernünftige Teil von dir!

Einfach ignorieren, Tessa, redete ich mir selbst gut zu.

Schließlich öffnete ich die Schlafzimmertür so leise wie möglich, um meinen Vater nicht aufzuwecken. Sofort schlug mir der Geruch von Erbrochenem entgegen. O Gott, bitte lass ihn nicht ins Bett gekotzt haben!

Dad lag mit dem Rücken zu mir, doch soweit ich es sehen konnte, waren die Laken um ihn herum sauber. Auch im restlichen Zimmer konnte ich kein Erbrochenes erkennen. Also schlich ich auf Zehenspitzen ins anliegende Bad. Jedes unserer Schlafzimmer hatte sein eigenes, und darüber war ich mehr als dankbar. Ich wüsste nicht, was schlimmer wäre: mit der bösen Königin und ihren Tausenden Anti-Falten-Produkten ein Bad zu teilen oder mit meinem Vater, der sich ständig in die Toilette erbrach.

Wie wär’s mit den Toiletten in der Schule?

Ha! Wäre sogar die beste Lösung.

Als ich die Tür zum Bad aufstieß, hielt ich mir die Nase zu, so schlimm wurde der Geruch. Blendend weiße Fliesen strahlten mir entgegen, doch das war das Einzige, was in diesem Raum sauber geblieben war.

Auf dem Boden lagen Handtücher, die teilweise mit Erbrochenem vollgeschmiert waren, genauso wie einige Hosen und Shirts. Das Waschbecken war mit Zahnpasta vollgekleckert, und auf dem Spiegel klebten fettige Handabdrücke. Der Duschkopf tropfte vor sich hin, da das Wasser nicht richtig zugedreht worden war – und das war das Erste, was ich änderte, als mein Kopf auf Automatik umschaltete.

Mit einigen Sprüngen über die Handtücher und Kleidungsstücke drehte ich das Wasser ab. Dann wandte ich mich den schmutzigen Sachen am Boden zu. Die Handtücher waren nicht mehr zu retten, also holte ich kurzerhand einen Müllsack und stopfte sie mit spitzen Fingern hinein, um die Kotze nicht zu berühren. Die einzelnen Hosen und Shirts legte ich in den Wäschekorb.

Die Waschmaschine solltest du später anmachen, erinnerte mich die nervige, aber manchmal hilfreiche Stimme, und ich dankte ihr in meinem Kopf.

Das würde ein langer Tag werden.

Um auf Nummer sicher zu gehen, schrubbte ich kurz den Boden. Inzwischen war es halb acht, und in spätestens fünfzehn Minuten musste ich los, wenn ich nicht zu spät zur Schule kommen wollte. Gut also, dass es mir egal war, ob ich einen Teil der ersten Stunde verpasste.

Nachdem ich Spiegel und Waschbecken geputzt hatte, schaute ich mich zufrieden um. Zwar lagen noch vereinzelt Sachen herum, aber die würde ich später aufräumen.

Den Müllsack mit den Handtüchern hinter mir herziehend ging ich zum Bett meines Vaters und betrachtete ihn. Er trug bequemere Sachen, und mit seinen schwarzen Haaren, die ihm in die Stirn hingen, sowie der zusammengekauerten Haltung sah er wie ein Kind aus.

Nicht er sollte das Kind sein.

Ich widersprach der Stimme nicht, schlicht und ergreifend, weil ich es nicht konnte. Trotzdem strich ich Dad eine Strähne aus dem Gesicht, um ihm ein Küsschen auf die Stirn zu geben.

»Schlaf schön, Daddy. Hab dich lieb.«

Selbst jetzt noch.

Ich steckte seine Decke fest, dann verließ ich ihn, den Müllsack fest umklammernd. Auf dem Flur ließ ich den Sack stehen, eilte in mein Zimmer, um einen Einkaufszettel zu schreiben, lief dann mit der Liste zurück und polterte die Treppe hinunter.

Kathrin saß inzwischen im Wohnzimmer und telefonierte angeregt. Wahrscheinlich mit einer ihrer Freundinnen, die ähnlich wie sie geheiratet hatten: einen reichen Mann, der völlig am Ende war, sodass man ihn richtig gut ausbeuten konnte. Es gab keine Worte, um den Ekel auszudrücken, den ich darüber empfand. Als würde man einem Suizidgefährdeten die letzte Freude rauben.

Einfach widerlich.

Aber das würde ich nie laut sagen. Oder zumindest nicht, bis ich für mich selbst sorgen konnte.

Also lief ich still an ihr vorbei in die Küche, wo ich meine Tasche hatte liegen lassen, stopfte den Einkaufszettel zu meinem Geldbeutel und schnappte mir noch einen Apfel für unterwegs.

»Warte, Tessa!«, rief Kathrin mir hinterher, und ich drehte mich zu ihr um. Sie hatte eine Hand auf den Hörer gelegt und fixierte mich so zornig, als hätte ich sie gerade unterbrochen und nicht sie mich gerufen.

»Wenn das Haus nicht geputzt ist, kannst du schauen, wo du schläfst!«, warnte sie mich scharf und wandte sich schlagartig wieder fröhlich dem Telefon zu.

Wie versteinert starrte ich sie ein paar Sekunden an, ehe ich mich zusammenriss. Kathrin war einfach ein verdammtes Miststück. Ich lebte schon viel länger als sie hier. Ich sollte sie rausschmeißen, nicht andersherum.

Das Leben ist nun mal ungerecht.

Ich atmete tief ein und aus und schlüpfte in meine Converse. Den Müllsack immer noch mit mir schleppend lief ich nach draußen in unseren riesigen Hof. Unsere Villa war u-förmig und um einen Platz gebaut, dessen Mitte ein Brunnen krönte. Von diesem führte ein Schotterweg zu dem schmiedeeisernen Tor, welches an die Straße grenzte. Rundherum waren Blumenbeete und Grünflächen angelegt, die das Ganze mehr wie einen Park als einen Garten wirken ließen.

Mein Weg führte zu einer großen Garage, die an das Haus grenzte. Das Tor öffnete sich summend und brachte sechs Autos zum Vorschein. Jeweils zwei für meinen Dad und Kathrin, mein eigener schokoladenbrauner Mini Cooper – eines der wenigen Zugeständnisse an mich, um das Familienansehen zu wahren – und ein weißer Porsche Panamera, bei dessen Anblick sich mir jedes Mal das Herz zusammenzog. Ich liebte dieses Auto. Es hatte früher meiner Mutter gehört, und noch heute erinnerte es mich an sie.

Ich war die Einzige, die mit dem Porsche fahren durfte. Mom hatte ihn mir vererbt, und er bedeutete mir alles. Dad hatte ihn Mom damals zum fünfzehnten Hochzeitstag geschenkt, und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie glücklich sie damals wirkten. Ich fuhr den Porsche nur selten, um ihn zu schonen. Aber manchmal brauchte ich das Gefühl von Geborgenheit, das mir nur noch dieses Auto geben konnte.

Heute schloss ich jedoch meinen kleinen Brownie auf – so nannte ich den Mini aufgrund seiner Farbe – und legte mit angeekeltem Blick den Müllsack auf den Beifahrersitz. Mann, ich hoffte, der Sack hatte nicht irgendwo ein Loch. Das Letzte, was ich brauchen konnte, wäre, auch noch mein Auto putzen zu müssen.

Ich schaltete den Motor ein, der leise surrend ansprang, und fuhr vorsichtig aus der Garage, über den Schotterweg und durchquerte das Tor. Dort hielt ich an und schleppte den Sack zum Straßenrand, wo ihn die Müllabfuhr später abholen würde.

Als ich endlich zur Schule fuhr, war es bereits 7:57 Uhr.

Kapitel 3 Tessa

Als ich schließlich bei der Schule ankam, hatte der Unterricht schon begonnen. Trotzdem machte ich mir keinen Stress, sondern parkte meinen Mini neben einem top gepflegten weißen Audi R8, der inmitten der anderen Autos herausstach. Die meisten Schüler der Jamestown High School konnten sich gerade so einen zerkratzten Gebrauchtwagen leisten oder fuhren das alte Auto ihrer Gran.

Im Gegensatz dazu war der Audi R8 einfach verdammt perfekt, auch wenn der Besitzer das größte Arschloch der Schule und ein verzogener, reicher Möchtegern-Badboy war. Allein sein Name reichte, um mich auf die Palme zu bringen. Dyan. Man hätte gut daran getan, ihn einfach Dummkopf zu taufen.

Von daher blieb mein einziges Zugeständnis an ihn, dass er, was Autos betraf, einen guten Geschmack hatte. Und jeder auf der Schule wusste, dass man sich sein eigenes Grab schaufelte, wenn dieses Auto einen Kratzer abbekam.

Ach was, wenn der R8 einen Kratzer hat, schlägt Dyan jeden krankenhausreif, egal, ob schuldig oder nicht!

Okay. Damit lag sie richtig.

Zu gern wäre ich mit der Hand über den weißen Lack gefahren, aber ich ging lieber auf Nummer sicher, falls noch ein anderer Schüler zu spät kam. Niemand sollte sehen, wie ich Dyans Auto streichelte. Vor allem da es ein offenes Geheimnis war, dass wir uns verabscheuten.

Mit einem letzten Blick auf mein Traumauto wollte ich gerade zur Schule laufen, als mir etwas auffiel – und ich konnte nichts dagegen machen. Ich kugelte mich vor Lachen!

Beschämenderweise liefen die meisten Mädchen Dyan wie treue Dackel hinterher, obwohl dieser sie schlechter behandelte als Sexspielzeug. Um trotzdem seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, waren einigen die schrägsten Sachen eingefallen, aber das hier toppte einfach alles!

Mit rotem Lippenstift hatte eines dieser hirnlosen Weiber auf seine Windschutzscheibe geschrieben: ICH LIEBE DICH!!! BITTE RUF MICH AN!

Gefolgt von ihrer Telefonnummer. Oh, und diese Farbe war hundertprozentig Stefanies Lippenstift, die Schulmatratze schlechthin. Anhänglich, kein Schamgefühl und immer nach der Aufmerksamkeit der Badboys hechelnd.

Ich lachte lauthals über die kleinen roten Herzen, die neben der Schrift verteilt waren. Damit würde ich Dyan so was von aufziehen – und ich würde noch einen drauflegen. Schadenfroh grinsend kramte ich meinen dunkelroten Lippenstift hervor und schrieb auf die Seitenfenster: BADBOY IN LOVE!

Etliche Herzen gab es gratis dazu.

Zufrieden mit meinem Werk trat ich von meinem verunstalteten Baby weg und lief beziehungsweise hüpfte auf die Schule zu. Nichts ließ einen schneller sein beschissenes Leben vergessen als ein kleiner Streich am Morgen.

Die Schulgänge waren komplett ausgestorben, als ich mich auf den Weg zu meinem Matheklassenraum machte. Umso mehr erschreckte mich das laute Knallen, welches mit einem Mal durch die Flure hallte.

Sofort hielt ich inne und schlich mich leise zur nächsten Ecke, hinter der das Geräusch erklungen war, um zu lauschen. Na ja, eigentlich war ich mir schon sicher, was da los war. Oder besser gesagt wer …

Im nächsten Moment bestätigte sich meine Vermutung, als eine tiefe Stimme knurrte: »Hey, Kleiner, heute ist Zahltag.«

Mein Gesichtsausdruck verdüsterte sich augenblicklich. Dieser Arsch! Man sollte meinen, dass ein Jugendlicher, der einen Audi R8 fuhr, genug Geld von seinem stinkreichen Dad erhielt, um andere nicht abzocken zu müssen.

Dein Vater ist genauso reich, und du bekommst keinen Penny ab, erinnerte mich diese dämliche Stimme, doch den Gedanken schüttelte ich ab. Dyan liebte es einfach, ein Arschloch zu sein. Mehr steckte nicht dahinter.

Wieder riss mich ein lauter Knall aus meinen Gedanken, und ich zuckte zusammen. Verdammt, der Arme! Warum griff niemand ein? Wo waren denn die Lehr… Ach ja, Unterricht. Die Uhr auf dem Korridor zeigte mittlerweile 8:25 Uhr an.

Schnell spähte ich um die Ecke, um die Situation einzuschätzen. Dyan hatte einen schlaksigen Jungen an die Spinde gedrückt, und nach dem Knallen zu urteilen nicht auf die sanfte Art und Weise. Drei Kerle umkreisten sie, die ich sofort als Dyans Gang erkannte – sprich, die anderen Badboys unserer Schule. Nicht sonderlich beeindruckend, wie ich fand.

Ach, versuch nicht, die Mutige zu spielen! Du hast genauso Schiss vor den Muskelprotzen wie jeder andere auch.

Nein, hatte ich nicht! Na ja, also ihre aufgeblähten Arme waren schon ein beeindruckender Anblick. Aber der beste Beweis dafür, dass ich keine Angst hatte, war ja wohl, dass ich nicht davonrannte. Stattdessen straffte ich die Schultern und trat um die Ecke. Ich war so ziemlich die Einzige, die sich überhaupt Dyan und seiner Gefolgschaft in den Weg stellte. Und dementsprechend oft durfte ich das auch machen.

Wieder hob Dyan sein Opfer ein Stück an und knallte es an die Spindwand, woraufhin der Junge leise wimmerte. »Bitte! Ich kann euch das Geld nicht geben! Meine kleine Schwester hat bald …«

Dyan unterbrach ihn mit einem harschen Auflachen.

»Denkst du wirklich, uns interessiert das? Wenn deine Schwester das Geld braucht, kann sie zu uns kommen. Wenn sie sich richtig anstellt, sind wir vielleicht nachsichtig und geben ihr etwas ab.«

Beim dreckigen Grinsen der Jungs verzog ich angewidert das Gesicht. Diese Typen waren einfach das Letzte!

Rasend vor Wut lief ich auf die Gruppe zu und rief mit einer aufgesetzt fröhlichen Stimme: »Cole, Ben, Marco und mein süßer Dyan! Bin ich froh, euch zu treffen!«

Sofort wirbelten drei angepisste Kerle zu mir herum, und ja, dafür reichte allein der Klang meiner Stimme. Sogar Dyan wandte den Kopf zu mir, drückte allerdings mit dem Unterarm weiter den Jungen gegen den Spind.

»Boah nee! Auf die Schlampe habe ich echt keinen Bock!«, grölte Cole und schaute nach oben, als hoffte er auf Gottes Erbarmen, während die anderen zwei Jungs sich wie eine Mauer aus Muskeln aufbauten.

Selbst als erklärte Hasserin der Jungs musste ich mir eingestehen, dass sie, rein objektiv betrachtet, ein Augenschmaus waren. Cole, der mit seinen blonden Haaren von den anderen hervorstach. Marco, dessen lateinamerikanische Abstammung ihm einen schönen dunklen Teint gab. Und Ben, dessen scharf blickende blaue Augen mir regelmäßig eine Gänsehaut bescherten, vor allem im Kontrast zu seinen dunklen Haaren und dem silbernen Piercing in seiner Braue. Aber mal ehrlich, mussten ihre Eltern bei der Schwangerschaft irgendwelche Hormone schlucken, damit die alle so dermaßen heiß aussahen? Vielleicht hätten sie sich dann nämlich die Nebenwirkungen durchlesen sollen, wie plötzliche Verdummung, gewalttätige Züge, Testosteron-Überschuss …

Mal wieder in meine Gedanken versunken, katapultierte mich erst Dyans Stimme ins Hier und Jetzt zurück: »Was willst du?«

Ich musterte den Anführer der kleinen Rasselbande.

Dyan war der Inbegriff von dunkel. Seine schwarzen Haare, seine düstere Ausstrahlung, seine monochrome Kleidung. Selbst seine Augen, die tiefbraun waren, schauten immer hart, kalt und unerbittlich. Doch das Gruseligste an der Sache war, dass ich diesen Ausdruck in seinen Augen kannte. Mein Blick war genauso kalt, genauso distanziert, genauso verschlossen. Aber bei mir hatte das einen guten Grund, denn sonst würde Kathrin sehen, wie zerbrochen ich war. Und dann würde ich niemals überleben.

Natürlich hatte ich keine Ahnung, ob Dyan nicht einen genauso guten Grund für diesen Blick hatte, trotzdem reichte mir die Erklärung, dass er einfach ein Arschloch war. Manche Leute verdienten es nicht, dass man sich über sie Gedanken machte.

Zuckersüß grinste ich ihn an. »Ach, ich wollte euch nur daran erinnern, dass andere zu bedrohen strafbar ist, und wenn die Lehrer es nicht hinbekommen, euch das zu erklären, übernehme ich das gerne.« Noch einmal blinzelte ich ihn freundlich an und ließ dann meine Gesichtszüge hart werden. »Und zwar auf meine Weise.«

Wie zu erwarten, fingen die vier Idioten bei meiner Drohung nur an zu lachen. Sie konnten ja schlecht wissen, dass ich seit zehn Jahren Kickboxen machte. Na ja, genau genommen hatte ich vor einem Jahr aufgehört, da Kathrin es mir verboten hatte. Wie hatte sie sich noch mal ausgedrückt? Ach ja: Ein solcher Sport ist viel zu undamenhaft für dich. Ich bin mir sicher, die eigentliche Motivation dahinter war, mir alles zu nehmen, was mir Spaß machte.

Allein gegen vier mir körperlich überlegene Gegner wäre zwar eine Herausforderung, aber das wäre es mir wert, um diesen Idioten eine Lektion zu erteilen. Auch Dyan schien der Gedanke gekommen zu sein, dass ich in Unterzahl war, denn sein Grinsen wurde noch ein Stück höhnischer.

»Ach ja, und was willst du machen? Uns schlagen? Süße, übernimm dich nicht.« Sein Blick huschte zu dem Jungen, den er noch immer festhielt und dessen Gesicht rot angelaufen war. »Der Kleine hier wird dir kaum eine Hilfe sein.«

»Vielleicht steht sie ja auf Schläge«, ätzte Cole und erinnerte mich daran, dass auch die anderen drei sprechen konnten.

Wie gerne würde ich diesen Lackaffen eine Lektion verpassen. Allerdings waren meine Kampfkünste bisher immer mein Ass im Ärmel gewesen, und das würde ich gerne so beibehalten. Also musste eine andere Lösung her.

»Für was brauchst du überhaupt das Geld?« Zweifelnd zog ich eine Augenbraue hoch. »Oder hat Daddy endlich eingesehen, dass der Sohn eine Enttäuschung ist, und den Geldhahn zugedreht?« Gespielt entsetzt riss ich die Augen auf und legte eine Hand auf meinen Mund.

Dyan spießte mich mit einem wütenden Blick auf, doch ich führte einfach meinen Monolog weiter und kramte in meiner Tasche nach meinem Geldbeutel.

»Das ist für dich sicher schrecklich, mein kleiner Dyan! Hier, nimm das. Sieh es als Spende!«

Als ich ihm zehn Dollar hinstreckte, blitzten seine Augen vor Zorn. Tja, Almosen mochte er wohl nicht. Trotzdem riss er mir mit einem grimmigen Lächeln das Geld aus der Hand, während er mit der anderen immer noch den armen Kerl festhielt, der uns beide nur mit großen Augen betrachtete. »Danke, Tessa, überaus freundlich. Aber ich habe genug Geld.«

Er steckte sich den Schein in seine Hosentasche und gab Cole mit einem Nicken zu verstehen, seinen Platz einzunehmen. Dieser lächelte süffisant und nahm Dyan den Jungen ab. Natürlich nicht, ohne den Armen nochmals gegen die Spinde zu hauen. Doch so leid er mir auch tat, musste ich mich doch zuerst auf den wütenden Anführer der Badboys konzentrieren. Und so ungern ich es auch zugab, ich musste mich zusammenreißen, um nicht zurückzuweichen, als Dyan dicht auf mich zutrat. Zornig und so kurz davor, die Kontrolle zu verlieren, wie mein betrunkener Vater, Nacht für Nacht.

Aber wenn ich inzwischen etwas gut konnte, dann über meine Angst hinwegzutäuschen. Also streckte ich nur provokant das Kinn nach vorne. »Und wieso musst du dann andere Leute bedrängen, um an Geld ranzukommen?«

Mit einem schnaubenden Lachen kam Dyan noch ein Stück näher und baute sich vor mir auf. Wenn er dachte, ich würde auch nur einen Zentimeter nachgeben, hatte er sich geschnitten. Nur über meine Leiche. Ich ballte die Hände so fest ich konnte zusammen.

»Ganz einfach, Süße.« Er beugte sich zu mir vor und hauchte mir ins Ohr: »Weil ich es kann und niemand, absolut niemand, sich mir in den Weg stellt.«

Mir war bewusst, dass das eine unausgesprochene Drohung war. Genauso wie ich mir seines heißen Atems an meinem Hals bewusst war. Doch ich unterdrückte den Schauder, der mir den Rücken hinunterlaufen wollte, und dachte in Sekundenschnelle fieberhaft nach, bis mir die rettende Idee kam. Das ist es!

»Dyan, nimm Hilfe an, wenn man sie dir gibt. Ohne das Geld deines Vaters wirst du meine Spende sicherlich brauchen!«

Dyans Augen loderten wütend auf, und er knurrte mich mehr an, als dass er noch sprach: »Hast du nicht zugehört, du dumme Schlampe! Mein Va…« Mitten im Satz brach er ab und betrachtete mich abschätzend. Ich lächelte ihn nur breit an, während bei ihm endlich der Groschen fiel. »Für was sollte ich denn das Geld brauchen?«

Unschuldig wippte ich auf den Füßen vor und zurück und flötete herzallerliebst: »Ach, ich bin gerade an deinem Auto vorbeigekommen, und, verdammt, der R8 sah gar nicht gut aus.«

Dyans Reaktion auf diesen simplen Satz war köstlich. Zunächst weiteten sich seine Augen ungläubig, bevor sich sein Gesicht verfinsterte, bis ich befürchtete, die anschwellende Ader auf seiner Stirn könnte gleich platzen. Der arme Junge, den sie tyrannisiert hatten, und auch unser kleines Machtspielchen war vergessen, als er mich zur Seite schubste und losrannte. Das Einzige, was ich noch zu hören bekam, war ein »Du verdammtes Miststück! Was hast du gemacht?!«.

Ich konnte nicht mehr an mich halten und lachte los. Sein Gesicht! Einfach grandios! Das Ganze hatte sich so sehr ausgezahlt, dass ich es kommentarlos über mich ergehen ließ, wie die anderen Jungs mir ebenfalls einen Stoß versetzten, als sie ihrem Boss hinterhereilten. Gerade noch rechtzeitig rief ich: »Die Idee kam nicht von mir!«

Und dann war die Badboy-Rasselbande auch schon verschwunden.

Noch immer kichernd packte ich meinen Geldbeutel wieder ein. Also wenn meine Rettungsaktionen immer so abliefen, könnte das ruhig öfter vorkommen! Autos – und speziell Dyans R8 – waren definitiv die Schwachstelle dieser Idioten. Nach den Gerüchten, die ich so aufgeschnappt hatte, hatte Dyan weit mehr Geld in sein Auto investiert, als die meisten in unserem Alter besaßen.

Mit einem »Schönen Tag noch!« zu dem Jungen, der seine Rettung noch nicht ganz begriffen hatte, hüpfte ich gut gelaunt zu dem Klassenzimmer, in dem ich Mathe hatte. Dort angekommen, klopfte ich kurz an und ging hinein, ohne eine Antwort abzuwarten.

»Guten Morgen, Mr Coleman!«, trällerte ich und unterbrach meinen Lehrer mitten in einer Erklärung.

Er kniff den Mund zusammen und betrachtete mich nicht gerade begeistert. »Es freut mich, dass Sie uns auch mit Ihrer Anwesenheit beehren, Miss Anderson. Aber Sie sind«, er schaute kurz auf die Uhr, »hm … fast vierzig Minuten zu spät.«

Ich blickte mich in der Klasse um. Zwei weitere Schüler fehlten, und diejenigen, die an ihren Plätzen saßen oder besser auf ihren Tischen lagen, schienen auch nicht sehr interessiert am Unterricht.

»Na ja, ich schätze, allzu viel habe ich nicht verpasst.«

Ich würde mich sicherlich nicht bei diesem Depp entschuldigen. Auch wenn er inzwischen echt angepisst aussah.

»Seien Sie nicht so unverschämt, Miss Anderson! Sie setzen sich jetzt sofort hin! Außerdem erwarte ich Sie das nächste Mal pünktlich!«

Es war offensichtlich, dass er mich am liebsten zum Direktor schicken würde. Aber es war ein offenes Geheimnis, dass mein Vater einer der größten Geldgeber der Schule war. Ich könnte das Gebäude abfackeln und würde danach eine Ehrung erhalten, weil mein Vater die Schule neu errichten ließ. Mr Coleman wusste also aus Erfahrung, dass es ihm nichts bringen würde.

Ich grinste ihn nochmals frech an und wollte nach hinten auf meinen Platz gehen, als mich ein Räuspern aufhielt. »O nein, Miss Anderson, ab heute sitzen Sie hier vorne!«, sagte Mr Coleman streng und deutete auf einen Platz in der ersten Reihe. Der Anblick meiner neuen Sitznachbarin hätte mir beinahe einen Fluch entlockt.

Nein, bitte nicht das!

Doch wenn Mr Coleman meinen Widerwillen sah, hätte er die perfekte Strafe gefunden, von jetzt bis zum Ende des Schuljahres. Also biss ich mir auf die Zunge und schmiss meine Tasche unter den Tisch, bevor ich mich auf den Stuhl neben Ciara plumpsen ließ. Was so schlimm an Ciara war?

Zunächst ihre Outfits: viel zu kurze Röcke, hautenge Oberteile, die auch im Winter bauchfrei blieben, und zur Krönung knallpinker Lippenstift, der ihr mit ihren hellbraunen Haaren einfach nicht stand. Dazu benahm sie sich, als könnte sie sich alles erlauben, nur weil ihr Bruder ein verdammtes Arschloch war, dem sich niemand zu widersetzen traute. Und ja, ihr Bruder war niemand Geringeres als Dyan.

Noch Fragen, weshalb ich sie nicht ausstehen konnte?

Das einzig Gute an ihr war, dass sie im Gegensatz zu Stefanie nur so aussah, als wäre sie leicht zu haben. Obwohl … das lag vor allem daran, dass Dyan niemanden an seine kleine Schwester ranließ. Sein Schwesterkomplex war noch größer als sein arrogantes Ego.

Ich schnaubte genervt, und auch Ciara schien nicht glücklich über ihre neue Tischpartnerin. Jedenfalls rümpfte sie kurz die Nase und rückte von mir ab.

Toll. Was für ein Spaß!

Schlimmer wäre es nur noch, wenn Dyan den Kurs wiederholen würde und dann zu uns stieße. Aber so grausam wäre das Schicksal nicht einmal zu mir. Hoffentlich.

Kapitel 4 Tessa

Der restliche Schultag verlief wie immer. Schon nach den ersten Minuten Unterricht holte mich mein Schlafmangel ein, und so dämmerte ich vor mich hin, bis ich mich endlich in meinen Brownie fallen lassen konnte – der wohlgemerkt neben einem leeren Parkplatz stand. Eine kleine Aufheiterung, wie ich fand, besonders, da mir noch ein langer Tag bevorstand.

So schnell ich konnte, erledigte ich die Einkäufe und stellte zu Hause erleichtert fest, dass ich anscheinend allein war. Die böse Königin schien woanders ihr Gift zu verteilen, und bezüglich meines Dads sandte ich ein kurzes Stoßgebet gen Himmel, dass er bei der Arbeit war und nicht in einer Bar saß.

Doch sosehr ich mich auch beeilte, alles zu erledigen, rannte ich der Zeit hinterher. Verdammt, ich würde zu spät kommen!

Schneller als der Blitz war ich aus dem Haus und in meinem Mini, um zu dem Restaurant zu rasen, in dem ich seit einigen Monaten jobbte. Nachdem ich auf dem Angestelltenparkplatz angekommen und durch die Hintertür in das Lokal hineingestürmt war, hatte meine Schicht schon vor sieben Minuten begonnen.

So schnell wie möglich holte ich das T-Shirt mit dem Logo des Dinnertime aus dem Spind und zog es über. Nur noch die Schürze, und ich raste zur Küche, um Tony, unseren Koch, zu begrüßen.

»Ahh, mija! Da ist ja meine Lieblingskellnerin! Ich habe dich schon vermisst!«, grüßte er mit seinem spanischen Singsang und zwinkerte mir zu. Ich lachte kurz und wollte gerade wieder die Küche verlassen, als ich Amandas Stimme hörte.

»Das verletzt mich jetzt, Tony!« Die kleine rothaarige Kellnerin stand hinter mir und funkelte Tony gespielt wütend an. »Ich habe gedacht, ich sei dein Liebling!«

Nun lachte auch der Koch. »Ihr beide seid meine Lieblinge! Ihr seid doch eh ein Team!«

Ein fettes Grinsen schlich sich auf Amandas Gesicht. »Da hast du recht«, meinte sie und zog mich in eine Umarmung.

Auch ich konnte dem nicht widersprechen. Amanda, die hier neben ihrem Studium jobbte, und ich waren inzwischen tatsächlich ein gut eingespieltes Team, und so legte ich ebenfalls kurz die Arme um sie.

»Ach, Tessa«, meinte Amanda beiläufig, nachdem sie mich losgelassen hatte, »Henry ist draußen und wartet auf dich.«

Bei dem verträumten Gesichtsausdruck, der sich dabei auf ihr Gesicht schlich, musste ich mir ein Grinsen verkneifen. Henry war ein alter Freund von mir, auch wenn ich früher mehr mit Steven, seinem kleinen Bruder, zu tun gehabt hatte. Na ja, zumindest bis Steven auf ein Internat für Hochbegabte am anderen Ende des Landes geschickt wurde. Trotzdem hatte ich Kontakt zu den beiden Brüdern gehalten, obwohl dieser über die Jahre – und die Geheimnisse, die ich zu verbergen versuchte – immer lockerer geworden war.

Seitdem ich hier arbeitete, sah ich zumindest Henry wieder öfter, da sein College in der Nähe lag und er seine Mittagspause oft im Dinnertime verbrachte. Auch wenn ich inzwischen glaubte, dass das nur ein Vorwand war, um eine gewisse rothaarige Kellnerin anzuschmachten, bei der er, aus welchen Gründen auch immer, zu schüchtern war, um sie nach einem Date zu fragen. Das passte gar nicht zu dem sonst so selbstbewussten und vor allem attraktiven Henry. Aber ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass sich hinter dem charmanten Lächeln ein weiches Herz verbarg. Daher zeigte mir seine Zurückhaltung nur noch mehr, wie viel ihm an Amanda lag.

»Hat er schon seinen üblichen Eistee?«, fragte ich breit grinsend Amanda, die kurz in eine Träumerei über Henry abgedriftet war. Wie ich das wusste? Verklärter Blick. Check. Leicht gerötete Wangen. Check. Dieser Zustand trat bei ihr immer ein, wenn jemand Henry erwähnte. Daher vermutete ich stark, dass das Interesse beiderseitig war. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie zusammenkommen würden.

»Ähh, ja, ich hab’s ihm schon gebracht«, sagte Amanda leicht abwesend.

Wissend wackelte ich mit den Augenbrauen, woraufhin sie mir auf den Arm schlug. »Denk nicht mal dran und geh endlich! Wir haben viele Gäste!«

Breit lächelnd folgte ich der Anweisung und betrat den Gastraum des Restaurants. Tatsächlich waren die meisten Tische belegt. Ich blickte mich kurz um und entdeckte Henry an seinem Stammplatz an der Bar, der mir sogleich zuwinkte. Doch bevor ich zu ihm konnte, musste ich einige Bestellungen aufnehmen, welche ich zu Tony in die Küche und Carlos an die Bar brachte.

Carlos war der Barkeeper und gleichzeitig Besitzer des Dinnertime. Er hatte dunkle Haare und weiche braune Augen, die, als ich auf ihn zukam, fragend blickten.

»Du bist zu spät, Tessa«, grummelte er mit seiner tiefen Stimme, die bloß einen Hauch eines lateinamerikanischen Akzents verriet.

Ich verzog das Gesicht und entschuldigte mich sofort. »Ich weiß, tut mir echt leid, ich wurde zu Hause aufgehalten.« Von meiner dummen Stiefmutter, der alten Hexe. Aber den Teil ließ ich lieber weg.

Er nickte verständnisvoll, und wieder mal war ich froh, Carlos als Chef zu haben. Bisher hatte er mir keine meiner Verspätungen übel genommen. Ich gab ihm die Bestellungen und ging eine Zeit lang meiner Arbeit nach, bis ich das Gefühl hatte, das alle Gäste versorgt waren, und mir etwas Zeit blieb, um Henry zu begrüßen. Trotzdem holte ich mir vorsichtshalber Carlos’ Einverständnis mit einem fragenden Blick ein und ging erst danach zu dem lächelnden Henry.

»Na, wie geht’s?« Ich umarmte ihn kurz, ehe ich wieder eine gewisse Distanz zwischen uns schuf. Ein Schutzmechanismus, den ich mir inzwischen angewöhnt hatte.

»Super, Kleine. Und dir?«

Hmmm, mal überlegen, mein Vater trinkt und schlägt mich, ich werde heute Nacht die Villa putzen müssen, weil ich sonst auf einer Parkbank lebe, und der Badboy der Schule bringt mich morgen für meinen Lippenstiftstreich um. Also zusammengefasst: »Auch. Wie läuft’s auf dem College?«

Ein skeptischer Ausdruck legte sich auf Henrys Gesicht, und ich gab mein Bestes, unbeschwert und glücklich zu lächeln.

Nach einigen Sekunden schien Henry sich zu entspannen und erzählte mir von seinem Lernstress und was er schon alles für die Semesterferien geplant hatte. Es war nur oberflächlicher Small Talk, trotzdem gefiel es mir, ihm mit einem Lächeln zuzuhören. Es gab mir ein Stück Normalität. Etwas, das ich immer mehr zu schätzen gelernt hatte und das mich dazu brachte, meinen Nebenjob zu lieben. Es war wie ein paar Stunden Pause von dem Wahnsinn meines Lebens. Etwas, wofür ich dankbar genug war, um in Kauf zu nehmen, dass ich heute Nacht putzen statt schlafen würde.

»Das hört sich richtig gut an! Aber ich muss jetzt mal weitermachen. Soll ich dir was zu essen bringen, oder willst du warten, bis Amanda dich bedient?«, fragte ich und lächelte Henry breit an.

»Ich denke, ich warte noch ein bisschen.« Henrys Augen begannen zu funkeln, und der verspielte Ausdruck brachte mich zum Lachen, bevor ich mich mit einem letzten Winken daranmachte, den anderen Gästen ihre Bestellungen zu bringen.

Meine Schicht hier war die einzige Zeit am Tag, in der ich wirklich glücklich war. Selbst wenn einige Idioten aus meiner Schule herkamen, ließ ich mich von ihren dämlichen Blicken nicht aus dem Konzept bringen. Ja, es war wunderlich, dass ich arbeitete. Immerhin könnte mein Vater die halbe Stadt kaufen. Glotzen musste man trotzdem nicht.

Der Mittag verging schnell, sodass die Kundschaft bald wechselte und neue Gesichter das Dinnertime betraten. Leider auch ein paar mir viel zu vertraute, wie etwa Ciara und ihre Freundinnen, bei denen eher das Make-up das Gesicht trug als andersherum. Vom ersten Moment an, als sie durch die Tür traten, spürte ich ihre Blicke und hörte das Getuschel. Meine Augen verdrehten sich von allein. Als wären wir noch in der Grundschule, wirklich. Aber wie gesagt, ich ließ mich davon nicht aus der Ruhe bringen. Diese Mädels waren wie fein herausgemachte Chihuahua. Sie bellten viel, doch Angst musste man nicht haben.

Meine Schicht verlief relativ ruhig, und als Amanda und ich schließlich abgelöst wurden, verließ auch Ciaras Bande das Dinnertime mit einigen Kerlen im Schlepptau. Nur Ciara selbst blieb sitzen, zu vertieft darin, sich kess die Haare über die Schulter zu werfen und gleichzeitig mit zwei Kerlen zu flirten. Die Leistung verdiente ja fast Respekt … Aber halt nur fast.

Im hinteren Bereich des Diners zogen Amanda und ich uns schnell um und verabschiedeten uns. Sie musste zurück zum College und noch lernen, weshalb unsere fünf Minuten ausfielen, in denen wir sonst quatschten. Was mir zugegebenermaßen zugutekam, wenn ich bedachte, was zu Hause auf mich wartete. Ganz zu schweigen von meinen Hausaufgaben.

Gerade als ich mich von Tony in der Küche verabschiedet hatte, rief Carlos mir hinterher: »Tessa? Könntest du bitte den Müll rausbringen?«

Ich unterdrückte ein genervtes Aufstöhnen, denn wer war schon gerne für den Müll verantwortlich? Aber da ich heute zu spät gekommen war, rief ich kurz »Ja!« zurück und schnappte mir die Müllsäcke.

Erinnert an heute Morgen, was?

Ohne auf diese dumme Stimme in meinem Kopf einzugehen, lief ich zu der Seitentür, die raus zu den Mülltonnen führte. Ich trat hinaus in eine kleine Gasse und knabberte nachdenklich an meiner Lippe, während ich fieberhaft überlegte, wie ich am schnellsten unsere Villa auf Vordermann bringen könnte. Vielleicht fielen mir deswegen nicht sofort die verräterischen Geräusche auf.

Erst als ich die Müllsäcke in die großen Container geschmissen hatte, vernahm ich ein Scheppern, welches weder von mir noch von einer Ratte hätte stammen können. Für einige Sekunden hämmerte mir mein viel zu lauter Puls in den Ohren, während ich es nicht wagte, mich zu bewegen.

Vielleicht war es doch nur eine Ratte …

Ich schämte mich selbst dafür, dass ein Teil von mir bloß nach Hause wollte, während der andere laut Alarm schlug.

Ein kaum hörbares Schluchzen bestätigte schließlich meine böse Vorahnung. Das Geräusch war gedämpft, als würde man jemandem den Mund zuhalten. Mein Hals war plötzlich trocken, so sehr erinnerte mich das an einen dieser billigen Filme, in denen die Heldin jemandem helfen wollte und dabei selbst draufging. Aber Weggehen war keine Option.

Na ja, eins machst du besser als diese naiven Mädchen aus den Filmen. Du fragst wenigstens nicht nach, ob da jemand ist.

Wow, danke für das Lob, innere Stimme! Daran könnte ich mich gewöhnen!

Einen großen Unterschied, ob ich mich noch laut ankündigte, machte es jedoch kaum, denn meine Schritte knirschten verräterisch auf den Pflastersteinen. Bevor ich mich bemühen konnte, leiser zu gehen, sprang plötzlich ein Mann auf mich zu. Mit einem kleinen Aufschrei schmiss ich mich gerade noch rechtzeitig zur Seite, sodass die Gestalt ins Leere taumelte. Mit weit aufgerissenen Augen wirbelte ich herum, die Arme schützend erhoben.

Die langen hellbraunen Haare einer zierlichen Gestalt reichten mir, um die Lage richtig zu erfassen. Ganz hinten, zwischen der Wand und dem Müllcontainer eingequetscht, kauerte eine Frau. Neben ihr kniete ein Hüne von einem Mann und drückte ihr eine Hand auf den Mund. Ihre gedämpften Schluchzer schnürten mir die Brust zu.

Bevor ich jedoch eingreifen konnte, versuchte mein vorheriger Angreifer erneut, mich zu packen und mich mit seinem Gewicht zu Boden zu reißen. Dabei machte der Idiot jedoch einen Fehler: Er vergaß, dass ich dieses Mal darauf vorbereitet war. Also entwischte ich ihm leichtfüßig, um dann seinen Schwung zu nutzen und ihn mit einem Schubs aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der Mann fiel, bevor er überhaupt wusste, wie ihm geschah.

Ohne weiter nachzudenken, ging ich auf ihn zu, bevor er sich wieder aufrappeln konnte. Die Technik hatte ich noch nie angewandt, höchstens früher im Training angedeutet, und ich war mir sicher, würde das Adrenalin nicht in meinen Adern rauschen, hätten mich Zweifel davon abgehalten. Dennoch setzte ich zu einem gezielten Schlag an seine Schläfe an, und er ging bewusstlos zu Boden.

Mein Magen krampfte sich bei dem Anblick des regungslosen Mannes zusammen. Ich gab mein Bestes, mein schlechtes Gewissen zu unterdrücken und mich auf das zu konzentrieren, was mein Trainer immer gesagt hatte. Tue, was nötig ist, um deine Sicherheit zu gewährleisten. Also atmete ich zittrig aus und rang um meine Beherrschung. Dieser Kerl war dabei gewesen, eine Frau zu vergewaltigen. Meine Sorgen sollten nicht ihm gelten.

Der zweite Kerl sprang fluchend auf und schubste das Mädchen noch einmal hart in die Ecke, bevor er auf mich zukam. Er war ein Stück größer als sein Freund und stürzte sich ebenfalls sofort auf mich.

Doch abgelenkt von einem Wimmern, das das Mädchen von sich gab, reagierte ich eine Sekunde zu spät, und der Kerl riss mich zu Boden. Die Luft entwich meinen Lungen in einem Ächzen, als ich hart aufkam und zudem das volle Gewicht des Kerls auf mir landete. Und obwohl mein Körper den Notstand ausrief, fixierte ein Teil meines Verstandes sich auf das Gesicht dieses Widerlings.

Wahrscheinlich war er kaum zwei Jahre älter als ich, ein Kerl wie jeder andere. Aber ich erkannte schlechte Menschen, wenn ich sie vor mir hatte. Der gewissenlose Ausdruck in seinen Augen und das lüsterne Glitzern, das sich zudem noch hineinschlich, als er mich so auf den Boden drückte, sagten schon alles. Frauen waren ihm völlig egal, Hauptsache, er hatte seinen Spaß.

Ich erschauderte in einer Mischung aus Ekel und Angst. Ich musste weg von ihm, doch sosehr ich auch versuchte, mich zu wehren, mit seinem erdrückenden Gewicht auf meiner Brust nagelte er mich am Boden fest. Und das erkannte auch dieses Arschloch, denn sein Lächeln wurde ein Stück breiter, während er sich weiter zu mir herunterbeugte.

»Na du kleine Schlampe. Lust mitzumachen, hm?«

Mir wurde speiübel, als mich sein Atem traf, der wie der meines Vaters nach einer ganzen Kneipe roch. Mein Hals schnürte sich eng zu, mir schwindelte.

Verdammt, ich musste ihn von mir runterbekommen!

Nicht, weil er nun meinen Hals abschlabberte – küssen konnte man das nicht nennen –, sondern vor allem, weil vor Sauerstoffmangel schwarze Punkte meine Sicht verschleierten. Und je ungenauer ich diesen kranken Typen sah, desto mehr verwandelte mein Gehirn den Mann in meinen Vater.

Verteidige dich!

Meine Lungen brannten, so sehr verlangten sie nach Sauerstoff, während mein Verstand mehr und mehr abdriftete. Mich verteidigen? Irritiert blinzelte ich gegen meine verschwommene Sicht an. Er war doch mein Dad, er würde mich nicht umbringen …

Ein fremdes Schluchzen drang durch die Watte in meinem Kopf. Weinte mein Vater etwa? Angestrengt versuchte ich, die Kontrolle über meine Sinne wiederzuerlangen, während weiterhin ein schwerer Männerkörper mich zu Boden drückte.

Nein, das hörte sich eher wie ein Mädchen an …

Ein Ruck ging durch meinen Körper, als der Nebel sich mit einem Mal lichtete und die Situation auf mich einstürmte. Dieser Mistkerl schob seine dreckigen Finger unter mein Shirt!

Nicht dazu gewillt, darüber nachzudenken, dass ich erleichtert darüber war, in einer Gasse angegriffen zu werden, anstatt von meinem Vater, nutzte ich lieber die Wut in mir. Oh, das würde dieser Kerl bitter bereuen!

Ich blieb ruhig liegen, bis dieser Idiot zu sehr davon abgelenkt war, mich zu betatschen. Verdammt schwer, wenn man sich am liebsten bei jeder Berührung übergeben würde, aber anscheinend hatte ich eine gute Resistenz aufgebaut, wenn es darum ging, schreckliche Dinge über mich ergehen zu lassen. Meine innere Stimme lachte bitter auf.

Endlich lockerte sich der Griff des Widerlings, und ich nutzte die Gelegenheit, mein Bein hochzureißen und ihm kräftig in die Kronjuwelen zu treten. Mit einem jaulenden Schrei krümmte er sich zusammen.

So schnell wie möglich sprang ich auf die Füße und stützte mich an der Wand ab, als mich ein heftiger Schwindel überkam. Verdammt! Ich durfte nicht riskieren, dass dieses Arschloch vor mir wieder auf die Beine kam. Also ging ich nach einem tiefen Atemzug entschlossen, wenn auch taumelnd, auf ihn zu, um ihn nochmals kräftig zu treten.

Mit einer grimmigen Zufriedenheit schaute ich auf die armselige Gestalt am Boden und dankte Gott – na ja oder eher meinem Trainer –, dass ich diejenige war, die noch auf den Beinen stand.

Allerdings konnte ich meinen Sieg nicht auskosten. Eine stinkende Gasse war dafür kaum der richtige Ort. Und der falsche Zeitpunkt war es auch, solange ich die andere Frau nicht von hier weggebracht hatte.

Mit einem neuen Ziel vor Augen drehte ich mich also zu der zusammengekauerten Gestalt um, die sich in die Lücke zwischen den Müllcontainern gequetscht hatte und sich leicht vor und zurück wiegte. Langsam ging ich auf sie zu. Ich wusste, wie machtlos man sich nach einem solchen Übergriff fühlte. Wie klein und verletzlich. Obwohl ich mein Bestes gab, sie nicht zu erschrecken, rückte sie mit einem Wimmern ab und vergrub das Gesicht in ihren Händen.

»Hey! Du musst keine Angst vor mir haben«, sagte ich mit einem ruhigen Tonfall und streckte ihr die Hände entgegen.

Nachdem sie bloß leise schluchzte, kniete ich mich vor sie hin. Das Schwindelgefühl, das mich dabei überkam, ignorierte ich. »Und diese Idioten werden dir auch nichts mehr tun. Das verspreche ich dir.«