Falling for you again - Nina Schilling - E-Book

Falling for you again E-Book

Nina Schilling

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Beschreibung

GÜNSTIGER EINFÜHRUNGSPREIS. NUR FÜR KURZE ZEIT! Ihr Crush ist zurück – und wohnt nebenan. Ein berührender Sommerroman über Erwachsenwerden, Liebe und Familie für Fans von Jenny Han und Kelly Oram  »Noah ist mir so nah, dass ich seine Stimme nicht nur höre, sondern auch fühle. Sein Atem, der über mein Gesicht streicht. Seine Brust, die unter den Worten vibriert. Was er sagt, ist nur für mich bestimmt und ich schließe jedes einzelne Wort tief in mein Herz ein.«  May will nichts lieber, als das letzte Schuljahr mit ihren Freunden voll auszukosten. Das gestaltet sich allerdings schwer, seitdem ihre Eltern sich haben scheiden lassen, ihre Mutter Schicht arbeitet und sie daheim mit anpacken muss, während ihr Bruder sich in seinem Zimmer verkriecht. Als dann auch noch Noah – Nachbar, alter Freund und Mays früherer Schwarm – in den Semesterferien für einen Besuch zurückkehrt, ist das Chaos perfekt. Alte Gefühle kommen hoch, doch kann May es schaffen, dass er nicht mehr nur das kleine Mädchen von damals in ihr sieht? Dafür bleibt ihr nur dieser Sommer …  »Bisher konnten mich die tiefgründigen und gefühlvollen Bücher von Nina Schilling immer begeistern und auch bei dieser sommerlichen Coming of Age Romance trifft sie mitten ins Herz. Unsere Heldin May erzählt aus ihrer Perspektive und der lockere und leichte Schreibstil macht es einfach, mit ihr mitzufiebern.« ((Leserstimme auf NetGalley))

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Bei »Falling for you again« handelt es sich um eine überarbeitete Version des erstmals auf Wattpad.com von 07nia11 ab 2023 unter dem Titel »F*ck Growing up« veröffentlichten Textes.

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Falling for you again« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

© 2023 by Nina Schilling. The author is represented by Wattpad WEBTOON Studios.

© Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Julia Feldbaum

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Kapitel 1

Wut. Sie ist seit einiger Zeit mein treuer Begleiter, klammert sich an mein Herz wie ein Geschwür und lässt die Welt etwas härter, etwas kantiger, etwas gefährlicher aussehen. Sie schiebt einen permanenten Filter über meine Sicht, die den verpassten Schulbus am Morgen wie eine Verschwörung gegen mich wirken lässt, und eine verpatzte Klausur, als könne ich gar nichts mehr auf die Reihe bekommen.

Dabei weiß ich nicht mal, auf wen ich wütend bin. Auf mich, weil ich es nicht schaffe, hinter mir zu lassen, was passiert ist? Auf meine Eltern, obwohl sie unter dem Ganzen wohl am meisten leiden? Oder auf die gesamte Menschheit, weil die Nachrichten Tag für Tag beweisen, dass wir diese Welt nicht verdient haben?

Poetische Fragen für eine Mittagspause in der Schule. Und die Nudeln auf meinem Teller sind es, die die gesamte Wut abbekommen. Klackend stoßen die Zacken meiner Gabel immer wieder auf die Keramik, als ich die Nudeln aufspieße und sie dann doch nicht esse. Ich stochere nicht in meinem Essen herum, ich ersteche es.

»Wow, May, die Nudeln haben dir nichts getan.«

Beschwichtigend legt Eva eine Hand über meine und hält mich davon ab, als Nächstes die Minimöhren zu erdolchen. Mit einem frustrierten Seufzen lasse ich die Gabel fallen und lehne mich in meinem Stuhl zurück. »Sorry. Habe anscheinend keinen Appetit.«

Eva zieht eine Augenbraue hoch und muss sich sichtlich ein Lächeln verkneifen, als sie deutlich sanfter als ich die Überbleibsel zweier Fusilli aufpikst und sie mir anklagend hinhält.

»Sicher? Oder sind die Nudeln nachts bei dir eingebrochen und haben deine Lieblingspflanze umgebracht?«

Sofort schießt mir das Bild meiner Herzblattblume – Anthurium clarinervium – durch den Kopf, wie sie unter einem Haufen Nudeln begraben ist und ihr neues Blättchen sich Hilfe suchend nach oben reckt. Das lässt meine Mundwinkel zucken, und zusammen mit dem dunklen Knoten in meinem Bauch lösen sich auch meine verschränkten Arme.

»Also, wenn die Übeltäter nicht während der Doppelstunde Geschichte bei mir zu Hause eingebrochen sind, sollte es meinen Pflanzen gut gehen.«

Eva grinst mich an, während sie weitere Nudeln aufspießt und sie mir unter die Nase hält. »Gut, dann öffne jetzt wie eine brave MayMay den Mund und erweise diesen Nudeln die letzte Ehre.«

Zweifelnd schaue ich meine beste Freundin an, doch ich kenne diesen erwartungsvollen, starrsinnigen Blick viel zu gut, um zu wissen, dass sie nicht nachgeben wird, bis ich die Nudeln gegessen habe. Also öffne ich augenverdrehend den Mund und bekomme babygerecht mit Flugzeuggeräuschen mein Essen angereicht. Dass die halbe Schule uns anstarrt, macht Eva nichts aus. Mich im Gegensatz bewegt es dazu, ihr schnell die Gabel aus der Hand zu nehmen.

Das siegreiche Lächeln auf Evas Lippen macht dabei nur zu deutlich, dass sie erreicht hat, was sie wollte. Doch auch wenn ich ihr einen genervten Blick schenke, muss ich beim Kauen ein Grinsen unterdrücken. Weil Eva durchgeknallt ist und ich genau das an ihr liebe. Und weil sie es geschafft hat, die Wut in meiner Brust für eine Zeit lang zu verbannen.

»Hat Eva dich gerade gefüttert?« Gegenüber von uns wird ein Tablett auf den Tisch geknallt, und eine Sekunde später setzt sich Allie schwungvoll hin. Sie mustert uns mit diesem Blick, den wir seit der dritten Klasse regelmäßig kassieren und der so viel aussagt wie: Ich habe euch lieb, aber ihr habt sie nicht mehr alle. Übel nehmen kann ich es ihr nicht. Also winke ich einfach ab, in der Hoffnung, dass das Thema damit gegessen ist. Aber da habe ich nicht mit David, Max und Rico gerechnet, die sich genau diesen Moment raussuchen, um sich ebenfalls zu uns zu gesellen.

»Ja, hat sie. Und die Propellergeräusche waren sehr authentisch, Eva.«

David hält Eva die Hand zum Abschlagen hin, und ich verdrehe erneut die Augen. Na prima.

»Hat die kleine May etwa nicht artig gegessen?« Rico wuschelt mir im Vorbeigehen durch die Haare, ist jedoch leider zu schnell und weicht meinem Schlag aus.

»Genau genommen hat sie ihr Essen ermordet«, meint Eva mit einem bedeutungsvollen Blick zu meinem Teller, der tatsächlich wie ein Kriegsgebiet aussieht.

»Okay, okay.« Frustriert stöhne ich auf. »Ich hab’s verstanden. Mit Essen spielt man nicht.« Auf Evas hochgezogene Augenbraue hin ergänze ich genervt: »Und man ermordet es auch nicht. Aber können wir uns jetzt vielleicht wichtigeren Dingen zuwenden? Zum Beispiel, was wir heute Abend machen?« Etwas Besseres ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen, aber die Ablenkung funktioniert erstaunlich gut.

David wird sofort hellhörig, und wenn ich ihn nicht so gut kennen würde, hätte ich ihm die lässige Art abgenommen, mit der er die Hände hinter dem Kopf verschränkt und sich auf seinem Stuhl nach hinten lehnt.

»Lasst uns ins Connect gehen. Was Besseres gibt’s in diesem Dorf doch eh nicht.«

Dorf ist vielleicht nicht ganz die richtige Beschreibung für eine Stadt mit fünfzigtausend Einwohnern, aber wenn man hier aufgewachsen ist, hat Neustadt doch irgendwann nichts Neues mehr zu bieten.

»Ach, komm, du hast den Laden gehasst, bis du letzte Woche diese süße Blondine abschlabbern konntest.« Max macht Kussgeräusche, und Rico lacht über die zarte Röte, die sich auf Davids Gesicht ausbreitet.

»Ich schlabbere nicht. Fragt May, ich küsse zehnmal besser als ihr Vollidioten.«

Da ist es mit dem Lachen schlagartig vorbei, und drei ernst blickende Augenpaare richten sich auf mich.

»Was?« Verteidigend hebe ich die Hände. »Ist ja nicht so, als könnte ich das bei euch Zweien bewerten.«

Mit hochgezogenen Augenbrauen sehe ich von Max zu Rico, und während Ersterer mit einem Schulterzucken nachgibt und in sein Sandwich beißt, scheint Rico die Kränkung persönlicher zu nehmen.

»Das stimmt nicht. Wir haben uns schon mal geküsst!«

Jetzt werden auch die Mädels aufmerksam. Allie gibt mit vollem Mund etwas von sich, das man als »Hä?« interpretieren könnte, und Eva neben mir sitzt innerhalb von einer Sekunde kerzengerade da. »Wie bitte?!«

Böse starre ich Rico an. Kann man mit einer Gabel auch Menschen aufspießen? »Du meinst, damals mit fünf im Kindergarten? Ja, dieser Kuss hat meine Welt aus den Angeln gehoben.« Meine Stimme trieft vor Sarkasmus, aber das scheint Rico gewissenhaft zu ignorieren.

Er grinst nur breit und schlägt David mit einem »Siehst du?« auf die Schulter. Eva wiederum gibt einen enttäuschten Laut von sich und lässt sich zurück in den Stuhl sinken. Sie hat sich eine spannendere Story erhofft, aber da muss ich sie leider enttäuschen.

»Okay, nachdem wir geklärt haben, dass ihr alle Schlappschwänze seid«, Allie schenkt den Jungs einen genervten Blick, »können wir uns dem eigentlichen Thema wieder zuwenden. Ich finde das Connect auch eine gute Idee. Da sind wenigstens keine Minderjährigen.«

»Außer unsere MayMay.« Das Y in die Länge ziehend legt Eva einen Arm um mich, was mich frustriert aufstöhnen lässt.

»Ich bin ein halbes Jahr jünger als du!«

»Das stimmt.« Grinsend stupst Eva meine Nase mit ihrem Finger an. »Trotzdem bist du minderjährig und ich nicht.«

Ein Fakt, der mir nur allzu oft unter die Nase gerieben wird und bei dem ich es kaum erwarten kann, dass er sich ändert. Noch zwei Monate, und ich muss endlich nicht mehr von meinen Freunden in den Club geschmuggelt werden. Noch zwei Monate, und ich kann auch ohne meine Eltern Auto fahren. Noch zwei Monate, und ich kann endlich machen, was ich will.

Na ja, wäre dann nicht die heiße Phase vor unserem Schulabschluss. Aber das ist ein anderes Thema.

»Aber May ist eine coole Minderjährige. Sie darf mit«, steigt Allie grinsend in die Stichelei mit ein, während sie sich in ihrem Stuhl zurücklehnt, ihre Dr. Martens auf dem Tisch ablegt und in ihren Apfel beißt. Dass sie jede Woche mindestens einmal von einem Lehrer ermahnt wird, die Füße vom Tisch zu nehmen, macht ihr nichts aus. Wahrscheinlich stachelt es sie sogar nur weiter an.

»Danke, da fühle ich mich aber geehrt«, erwidere ich genervt, kann aber nichts dagegen tun, dass meine Mundwinkel nach oben zucken.

»Immer gern«, zwitschert meine Freundin und wirft mir einen Kussmund zu. Ich fange ihn in der Luft auf, so, wie wir das seit Kindertagen machen, und wir grinsen uns an.

»Also ist die Sache gebongt, wir gehen heute Abend ins Connect!«, verkündet David glücklich, und das hat wohl kaum etwas mit dem Club selbst zu tun.

Aber ich gönne es ihm. Es ist fast ein Jahr her, dass wir uns einvernehmlich getrennt haben, und auch wenn es selten vorkommt, meine ich mit einvernehmlich wirklich einvernehmlich. Manche Dinge muss man erst ausprobieren, um zu merken, dass sie nicht zueinanderpassen. So wie Käse und Nutella. Nur weil ein Brot mit Käse und eines mit Nutella zum Frühstück wunderbar funktionieren, muss die Kombi nicht schmecken. Und nur weil David und ich seit Jahren beste Freunde sind, können wir als Pärchen trotzdem eine Katastrophe sein. Ich bin nur dankbar, dass wir es beide so sehen. Also hoffe ich für ihn, dass die süße Blondine heute Abend wieder da sein wird. Genau genommen wäre es eine unterhaltsame Beschäftigung, die beiden zu verkuppeln. Ein Gedanke, den Eva wohl mit mir teilt, da sie mir verschwörerisch zulächelt.

Vier Stunden und meine gesamte Gehirnkapazität später schlurfe ich mit brummendem Schädel aus der Schule. Es sollte verboten werden, Nachmittagsunterricht an einem Freitag zu haben und erst recht Mathe in den letzten Stunden. Aber im Abschlussjahr interessiert das herzlich wenig.

Dass der September sich noch mal von seiner besten Seite zeigt und uns Temperaturen verschafft, bei denen man im Sitzen schwitzt, hilft auch nicht sonderlich. Also ignoriere ich mein schlechtes Gewissen wegen der Vier im Mathetest, den wir gerade zurückbekommen haben, und beschließe nach einer Höllenfahrt im Bus, zu Hause nichts mehr für die Schule zu tun. Genau genommen wird mir meine Zeit sowieso knapp, wenn ich noch etwas essen und Sport machen will, bevor ich für heute Abend aufbreche.

Anders als Eva, Max und David wohne ich nicht direkt in der Stadt. Allein der Weg zur Schule kostet mich eine Dreiviertelstunde, und da wir wie üblich bei Max vorglühen, werde ich genauso lang wieder für den Weg in die Innenstadt brauchen. Nervig, aber trotzdem mag ich das Vorstadtleben. Allein an den Einfamilienhäusern in unserer Straße vorbeizulaufen schenkt mir einen gewissen Frieden, den ich in den letzten Monaten selten empfunden habe. Es erinnert mich an bessere Zeiten, als Nachmittage noch daraus bestanden haben, mit den Nachbarskindern draußen zu spielen und der Eiswagen am Abend das Highlight war. Vor allem im Sommer denke ich viel an meine Kindheit zurück, die mir inzwischen eher wie ein entfernter Traum vorkommt. Damals war alles noch so leicht. Die größte Herausforderung war es, Mom und Dad davon zu überzeugen, dass ich noch eine Stunde länger draußen bleiben darf, anstatt mit meinem jüngeren Bruder Tim heimzumüssen. Dafür hätte ich damals alles getan. Um mich wie eine der Großen zu fühlen, wenn ich mit Noah um die Häuser zog.

Noah … Vor unserer Haustür bleibe ich stehen und werfe einen Blick hinüber zum Haus der Millers. Seitdem ich denken kann, sind unsere Mütter befreundet, und er ist wie der große Bruder, den ich nie hatte. Na ja, zumindest, bis ich in die Pubertät kam und merkte, dass Jungs noch für etwas anderes gut sind als dafür, sie zu ärgern. Das hat die Dinge zwischen uns geändert. Das, oder einfach der Lauf des Lebens. Man findet andere Freunde, wird älter, und jetzt weiß ich eigentlich nur, dass er Bauingenieurwesen studiert und alle paar Monate bei seinen Eltern vorbeischaut. Mehr als ein unverbindliches, kurzes Lächeln, wenn wir uns zufällig an Weihnachten in der Auffahrt begegnen, gab es seit Jahren nicht.

Ein kleiner Stich ins Herz verrät mir, dass ich wohl doch noch nicht ganz über die Jahre hinweg bin, in denen ich am Fenster gewartet habe, bis Noah von der Schule heimkam. Nur um mich dann kichernd und mit roten Wangen hinterm Vorhang zu verstecken, damit er mich bloß nicht sieht. Die Erinnerung bringt mich zum Schmunzeln, während ich die Tür aufschließe und in die angenehme Kühle des Hauses trete.

Ich war damals peinlich und verknallt, trotzdem fühlen sich die Erinnerungen wie Sonnenschein und zu Hause an. Vielleicht weil damals jeder Tag mit einem gemeinsamen Abendessen geendet hat, bei dem Tim und ich uns geärgert haben, bis Dad uns ermahnt hat, endlich zu essen. Oder weil Wochenenden aus Grillen, Wasserschlachten und Gartenprojekten bestanden, die ich diesen Sommer schmerzhaft vermisst habe, obwohl es schon Jahre her ist, dass Tim und ich uns dafür interessiert haben. Denn es ist etwas anderes, eine Option zu haben und sie nicht zu wollen, als sie erst gar nicht zu haben.

Die Gedanken stürzen auf mich ein wie eine Lawine, und anstatt meine Tasche abzustellen, die Schuhe auszuziehen und in mein Wochenende zu starten, erwische ich mich dabei, wie ich mich im Hausflur umschaue und nach Beweisen der Veränderung suche, die ich in mir spüre.

Dads Schuhe fehlen im Regal. Der Teppichläufer ist beige, statt grau, und hat ein florales Muster. All unsere Jacken sind fein säuberlich aufgehängt, anstatt in dem Halbchaos, das meinen Vater überallhin begleitet hat, auf der Schuhbank zu liegen. Es sind Kleinigkeiten, aber sie alle sprechen eine eindeutige Sprache: Dad wohnt nicht mehr hier.

Ich will nicht, dass bei dem Gedanken Traurigkeit in mir aufkommt. Immerhin war er es, der eine Affäre mit seiner Sekretärin angefangen hat. Der Klassiker – eine Geschichte, wie man sie schon zigmal gehört hat. Und trotzdem ist sie scheiße, wenn man mittendrin steckt.

Es ist Monate her, dass der ganze Schlamassel ans Licht kam, und wenn ich mir überlege, wie es vor einem halben Jahr hier aussah, sind Teppichläufer und Jacken das kleinste Übel. Irgendwie hat alles seine neue Normalität gefunden. Eine Normalität, die ein abendliches Familienessen wie den Besuch von Aliens erscheinen lässt.

Ein schweres Seufzen überkommt mich, doch ich reiße mich zusammen und lege meine Schulsachen ab. Tim ist da, das erkenne ich an seinen abgetragenen Sneakers in der Diele. Aber ich versuche erst gar nicht, ein Hallo zu rufen. So, wie ich ihn kenne, sitzt er seit Schulschluss in seinem abgedunkelten Zimmer und zockt mit seinen Freunden. Da könnte eine Atombombe neben ihm explodieren und er würde es nicht mitbekommen. Auch nach Mom muss ich nicht suchen. Sie hat Spätdienst und wird erst in ein paar Stunden heimkommen, was mir zumindest für heute Abend eine Predigt über den Mathetest erspart. Also kann ich mich ohne Sorgen im Erdgeschoss ausbreiten und mir erst mal was zu essen holen.

Im Vorbeilaufen schalte ich die Bluetooth-Box im Wohnzimmer an und verschwinde dann, begleitet von meiner Musik, in die angrenzende Küche. Ich will nur kurz etwas aus dem Kühlschrank holen und mich dann entspannen, um fit für heute Abend zu sein, aber ich kann schon aus der Entfernung sagen, dass ein unschuldiges rosa Post-it auf dem Küchentisch mir einen Strich durch die Rechnung macht.

Mitten im Schritt bleibe ich stehen, und da ist sie wieder. Die Wut. Sie wischt den letzten Rest meines sentimentalen Anfalls weg und hinterlässt nichts anderes als hässliche dunkle Gefühle. Was will Mom dieses Mal? Dass ich einkaufen gehe? Oder die Wäsche mache? Vielleicht auch beides?

Am liebsten würde ich den Zettel einfach ignorieren. Ich habe zu viel für die Schule zu tun, um nebenbei noch den ganzen Haushalt zu schmeißen. Ständig will Mom irgendwas von mir, während Tim auf jede Bitte genervt reagiert und dann in Ruhe gelassen wird. Nur weil er vierzehn und in seiner Trotzphase ist, muss ich alles machen, oder was?

Wütend knirsche ich mit den Zähnen und stapfe weiter zum Kühlschrank. Am liebsten würde ich mit der Tür knallen oder ordentlich wo dagegentreten. Doch während ich blind in die Kühlfächer starre, übernimmt ein Teil der Vernunft wieder das Ruder und erinnert mich daran, dass es Mom noch schwerer hat. Sie ist diejenige, die Schicht arbeitet, um uns unser Leben zu finanzieren. Sie ist es, die auf einmal allein dasaß, weil Dad beschlossen hat, dass er sich neu finden muss, und seitdem mit seiner neuen Freundin in der Weltgeschichte herumtourt. Wenn ich sie damit entlasten kann, kurz die Wäsche aufzuhängen, sollte ich mich nicht so anstellen.

Mit einem tiefen Atemzug bringe ich meinen Herzschlag runter. Es ist nicht einfach und braucht mehrere Versuche, doch schließlich schließe ich die Kühlschranktür wieder und schlendere zurück zum Küchentisch. Darum bemüht, die Ruhe zu bewahren, greife ich nach dem Zettel.

Hallo mein Schatz ❤️

Könntest du bitte für Tim etwas mitkochen? Wenn er sich weiter von Tiefkühlpizza ernährt, hat er mit 40 einen Herzinfarkt. 😉

Xoxo Mama

Ich rolle mit den Augen, so typisch ist dieser Spruch für Mom. Ich hatte nicht vor, etwas Großes zu kochen. Und erst recht nicht für zwei. Tim soll einfach mal selbst lernen, wie man mehr als Tiefkühlware zubereitet. Das musste ich schließlich auch. Aber ich will Mom nicht auch noch ein Klotz am Bein sein. Das schlechte Gewissen legt sich wie ein Stein in meinen Magen. Sich nicht mit diversem Kleinkram vollzustopfen tut mir gewiss auch gut, nicht wahr? Der gute Zuspruch hilft leider nur wenig gegen die Schwere, die sich in meinem Körper ausbreitet, während ich alles für eine Ratatouille zusammensuche und mit dem Kochen beginne. Vielleicht weil ich weiß, dass Eva jeden Tag von ihrer Mutter mit einem Mittagessen begrüßt wird. Oder Max von seinen Eltern Geld bekommt, um sich etwas zu essen holen zu können.

Die Bitterkeit rumort in mir, bis ich die Musik an meinem Handy lauter stelle und vom Bass abgesehen nichts weiter existieren kann.

Zumindest knurrt mein Magen hungrig, als ich eine halbe Stunde später die letzte Prise Salz dazugebe, den Herd ausstelle und zwei Teller aus dem Schrank hole. Miley Cyrus’ Stimme mit Flowers begleitet mich auf dem Weg nach oben zu Tims Zimmer. Und je leiser die Musik wird, desto lauter wird wieder die genervte Stimme in mir. Wenn dieser Idiot nicht zumindest dankbar ist, landet dieses Essen direkt auf seinem Bildschirm.

Ich klopfe erst gar nicht an Tims Tür, sondern trete einfach ein und werde von einem netten »He, verdammt! Ich versuche, mich hier zu konzentrieren!« begrüßt.

Augen rollend bahne ich mir einen Weg durch die herumliegenden Klamotten, Teller und … Sind das verschimmelte Erdbeeren? Gott, ich glaube, ich muss kotzen.

»Wie kannst du nur in diesem Zimmer leben?«

»Durch Ruhe und Frieden vor nervigen großen Schwestern.«

Die Antwort kommt, ohne dass Tim sich von seinem Bildschirm abwendet. Er hämmert gerade wie blöd auf seine Tastatur ein, aber bringen tut es nichts. Ein anderer Spieler kommt hinter einem Container hervorgesprungen und erschießt meinen kleinen Bruder.

»Verdammt! Siehst du, was du angerichtet hast?«

Nun werde ich doch angefunkelt, während das Headset auf den Schreibtisch gepfeffert wird. Ich verziehe das Gesicht. »O Mann, tut mir leid. Das nächste Mal … Ach nein, warte, interessiert mich nicht.«

Meine reuevolle Miene zerfällt zu Desinteresse, und ich nehme die letzte Hürde, bestehend aus einer Jogginghose samt darin liegender Boxershorts, und stelle den Teller vor dem Ekelpaket ab, mit dem ich leider verwandt bin.

»Hier, bitte schön, lass es dir schmecken.«

»Wäre nicht nötig gewesen. Ich hab schon was gegessen.«

Mit hochgezogener Augenbraue lasse ich den Blick über Tims Schreibtisch wandern. Chipstüten, Kekspackungen und ein Teller mit einigen Scheiben Toast auf Vorrat. Gott, ich hoffe, die sind noch nicht zu alt.

»Bruderherz, du willst doch irgendwann in deinem Leben mal ein Mädchen abbekommen, oder?« Die Nase krausgezogen hebe ich eine halb leere Chipstüte hoch und lasse sie wieder runterfallen. »Dann solltest du dringend eine andere Hauptnahrungsquelle als Chips finden.« Damit schiebe ich seine Tastatur zur Seite und das noch dampfende Essen unter seine Nase. Tims Mittelfinger ignoriere ich, als ich mir einen Weg zurück durch das Minenfeld bahne, und schnappe begierig nach der frischen Luft im Flur.

Dafür kassiere ich ein »Du bist so eine Dramaqueen!« von meinem Bruder, das ich mit einem »Nein, du bist einfach nur widerlich!« kontere und die Tür zuschlage. Ich hätte das Essen doch besser auf seinen Bildschirm entleeren sollen.

Zähneknirschend laufe ich die Treppen wieder runter und schnappe mir meinen eigenen Teller. Das dreckige Geschirr, das in der gesamten Küche verstreut herumliegt, ignoriere ich dabei geflissentlich. Mama will, dass ich koche? Dann soll Tim abspülen. Und sein Zimmer säubert er am besten gleich mit.

Zusammen mit meiner Musik verziehe ich mich in mein Zimmer und drehe dabei die Box im Vorbeigehen an Tims Tür besonders laut auf. Das dumpfe »May!«, welches mir durch die Tür zurückschallt, zaubert ein kleines, schadenfrohes Lächeln auf meine Lippen.

Die nächste Stunde verbringe ich mit Essen, Social Media und Netflix, bis ich mich nicht mehr zu vollgefressen für Sport fühle. Da es zum Joggen draußen zu heiß ist, läuft es zwar nur auf ein Home-Workout hinaus, aber ich habe kein Verlangen danach, mein Ratatouille noch mal zu sehen. Wenn ich ins Training gehen würde, hätte ich wahrscheinlich sogar nur eine Banane zu Mittag gegessen. Ein voller Magen und Tanzen vertragen sich nicht sonderlich gut. Aber darum muss ich mir ja keine Sorgen mehr machen. Mom hat mich schon im Frühjahr von meiner Tanzschule abgemeldet, zu der Eva und ich gehen, seitdem wir fünf sind. Immerhin entgleite ich dem Alter für Hobbys, und generell ist es ja besser, mich jetzt voll und ganz auf meinen Schulabschluss zu konzentrieren. Ihr unsicheres Lächeln, als sie mir das mitgeteilt hat, konnte weder sie noch mich überzeugen. Tatsache ist, dass eine Scheidung verflucht teuer ist, genauso wie Tanzunterricht. Und daran ändert auch der Stich in meiner Brust nichts, jedes Mal, wenn Eva etwas von der neuen Choreografie in ihrer Story postet. Vielleicht hätte ich Dad und sein schlechtes Gewissen, uns verlassen zu haben, anpumpen können, aber mein Stolz hält mich davon ab. Zumal ihn unser Leben ja sowieso nicht sonderlich zu interessieren scheint.

Und wieder ist da dieser dunkle, pulsierende Knoten in meiner Brust, der mir für einen Moment die Luft raubt. Ich versuche ihn runterzuschlucken, aber so richtig funktionieren will es nicht. Also tue ich das Einzige, was mir einfällt, und starte ein Workout-Video, bis mein schnaufender Atem den Druck von meiner Brust nimmt und mein Körper die Kontrolle über meinen Kopf erringt.

Kapitel 2

Als ich bei Max eintreffe, sind die anderen alle schon da und haben geöffnete Bierflaschen vor sich stehen. Wie üblich sitzen wir im Keller, der mit Couch, Tischkicker und einer Bar ausgestattet ist, die wir »unter keinen Umständen benutzen dürfen«, wie uns Max’ Dad mit fünfzehn klargemacht hat, als wir uns das erste Mal hier getroffen haben. Daran haben wir uns stets gehalten, zumindest, was den teuren Fusel angeht, den Max’ Dad hier aufbewahrt. Aber es hat durchaus seine Vorteile, für kühle Getränke nicht jedes Mal hochlaufen und an Max’ Eltern vorbeischleichen zu müssen. Also hat sich Max ein Fach im Kühlschrank erkämpft, in dem wir unsere Getränke verstauen können, und ist uns seitdem zum Vorglühen nicht mehr losgeworden.

»May! Da bist du ja! Wow, was sehe ich da? Ich glaub, ich werd gleich ohnmächtig.« Eva fächelt sich Luft zu, und ich nutze den kurzen Weg von den Treppen zur Couch, um eine laufstegreife Drehung hinzulegen, die meinen kurzen Rock zum Flattern bringt. Dann lasse ich mich lachend neben sie fallen. »Dito, du siehst toll aus!«

Eva streicht sich geschmeichelt eine ihrer Locken hinters Ohr, und Allie verdreht gegenüber von uns die Augen. »Wann ist Hochzeit, ihr zwei?«

»Wenn bis dreißig immer noch kein Traumprinz aufgetaucht ist«, erwidert Eva und hakt ihren kleinen Finger bei mir ein.

»So, wie ich das sehe, sind hier schon drei Traumprinzen im Raum.« Grinsend beugt sich Rico hinter uns über die Lehne und zwirbelt eine von Evas Haarsträhnen zwischen seinen Fingern. »Also, wie sieht es aus, Baby?«

»Ihh!« Eva schlägt Ricos Hand weg und kräuselt dabei die Nase. »Erstens bin ich ganz sicher nicht dein Baby. Und zweitens wäre es, wie meinen Bruder zu küssen, wenn ich etwas mit einem von euch hätte. Nichts gegen dich, May. Du und David, ihr wart ein süßes Paar.«

Unschuldig hebe ich die Hände. »Alles gut, habe mich nicht angesprochen gefühlt.«

»Die zwei waren vor allem ein nerviges Paar.« Allie grinst mich schräg an, bevor sie ihre Stimme verstellt und sagt: »O Baby, ich bin so froh, dich endlich küssen zu können.«

»O Baby, von dir würde ich mich immer wieder küssen lassen.« David kommt mit einem Schmunzeln auf den Lippen und einem Bier in der Hand auf mich zu und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel. »Das ist für dich.«

Ich lächle ihn dankbar an und nehme die kühle Flasche entgegen, bevor ich Allie, die bedeutungsvoll die Augenbrauen hochgezogen hat, den Mittelfinger zeige. »Kann nicht jeder die Männer so gekonnt vertreiben wie du.«

Daraufhin steht Allie der Mund offen, bevor sie lachend nach einem Kissen greift und es auf mich schmeißt. »Das stimmt ja so was von gar nicht!«

Grinsend wehre ich das Kissen mit einem Arm ab und trinke einen Schluck. Danach verliert sich das Gespräch in anderen Themen, und ich lehne mich dankbar an David, der es sich auf der Couchlehne gemütlich gemacht hat. Wir sind zwar nicht mehr zusammen, aber ein paar Dinge von damals sind erhalten geblieben. Und was ich am meisten davon zu schätzen weiß, ist, dass ich mich in seiner Nähe immer sicher fühlen kann.

David fährt mit seinen Fingerspitzen über meinen Rücken, während wir eine Zeit lang unseren Freunden zuhören, die sich gegenseitig aufziehen und ein Bier nach dem anderen öffnen. Es ist schön und lässt mich alle Gedanken an meinen dummen Bruder oder meine Eltern vergessen. Zumindest, bis David so leise, dass nur ich es hören kann, fragt: »Alles okay bei dir?«

Er schaut zu mir runter, nur Interesse und Zuneigung in den Augen, und weil ich dankbar dafür bin, wie sehr Eva und er mich in den letzten Monaten unterstützt haben, hebe ich kurz die Hand und schiebe ihm eine widerspenstige Locke aus der Stirn. »Alles gut, solange du mir versprichst, mich heute nie ohne ein Getränk in der Hand stehen zu lassen.«

Überrascht zieht David die Augenbrauen hoch, dann grinst er und prostet mir mit seinem Bier zu. »Das sollte ich hinbekommen.«

Und wie er das hinbekommt. Vier Stunden später stehe ich neben David an der Bar des Clubs und schwanke zur Musik mit, während er uns etwas Neues bestellt. Ich halte mich im Hintergrund, damit niemand auf die Idee kommen kann, nach meinem Ausweis zu fragen, und ein aufgeregtes Kribbeln schießt durch meinen Körper, als ich den Longdrink in die Hand gedrückt bekomme und mich mit einem Nicken beim Barkeeper bedanke. Es ist zwar bei Weitem nicht das erste Mal, dass meine Freunde für mich harten Alkohol kaufen, trotzdem gibt es mir jedes Mal diesen Adrenalinkick. Grinsend ziehe ich am Strohhalm und folge David durch die Menge zurück.

Das Connect ist randvoll, und die meisten Menschen schenken der basslastigen Musik all ihre Aufmerksamkeit. Unser Weg ist daher eher ein Schieben und Drängeln, aber ich kann mich einfach im Rücken von David halten und die Schneise nutzen, die er uns schlägt. Zumindest, bis er urplötzlich stehen bleibt und ich in ihn hineinrenne.

Mit einem Quieken versuche ich mein Getränk auszubalancieren, damit zumindest nicht alles auf mir landet. Trotzdem breitet sich ein Fleck mitten auf meinem Dekolleté aus. Na super. Mit gerunzelter Stirn will ich mich an David wenden und werde mir dann erst bewusst, weshalb er stehen geblieben ist.

Neugierig stelle ich mich auf die Zehenspitzen und spähe über seine Schulter. Wenn das nicht die Blondine von letzter Woche ist.

Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus, und hätte ich das Mädchen nicht schon erkannt, hätte spätestens die Art, mit der David sich durch seine Locken fährt, ihn verraten. Das ist seine Masche, zusammen mit dem halb schüchternen, halb selbstbewussten Lächeln auf seinen Lippen. Und ich kenne nur wenige Mädchen, die dem widerstehen können. Wie auch? David sieht wirklich gut aus. Dunkle Haare, die an den Seiten kurz rasiert und oben lang genug sind, dass seine natürlichen Locken hervorkommen. Eine gerade Nase und vertrauensvolle braune Augen. Wen das noch nicht überzeugen kann, fängt David mit seinem Charme ein. Weil er einfach einer der Guten ist und ich kaum jemanden kenne, der einen so einfach in ein Gespräch verwickeln kann wie er.

Ich will nicht stören und erst recht nicht dafür verantwortlich sein, dass das Mädchen sich von David verarscht fühlt. Also drücke ich mich so unauffällig wie möglich an den beiden vorbei und überlasse sie ihrem Gespräch, während ich mich weiter durch die Menge dränge. Das klappt mit meinen eins sechzig deutlich schlechter, trotzdem grinse ich immer noch breit, als ich bei unseren Freunden ankomme – ein paar Flecken auf meinem Top reicher.

»Hey, wo hast du denn David gelassen?« Allie hält mir ein Tempo hin, bevor mich die anderen auch nur entdeckt haben, und ich nehme es dankend entgegen, um zumindest meine Hände von der klebrigen Flüssigkeit zu befreien.

»Oh, er ist … in der Menge hängen geblieben.«

»Nein!« Eva macht einen Schritt auf mich zu und stolpert dabei, sodass sie am Ende halb auf mir landet. Aber das scheint ihr gar nicht aufzufallen, während sie mich ungläubig anschaut. »Er hat Blondie getroffen, oder? Was für ein Glückspilz! Wieso bekommt David eigentlich immer alle ab?« Eva zieht einen Schmollmund und wankt gefährlich, sodass ich sie lieber am Unterarm packe.

»Also, ich helfe dir gern dabei, ein Girl abzuschleppen.« Ricos Gesicht taucht hinter Eva auf, und als er die Augenbrauen bedeutungsvoll wackeln lässt, muss ich mir ein Lachen verkneifen.

»Träum weiter!« Ohne sich umzudrehen, zeigt Eva Rico den Mittelfinger, und pikst ihm damit fast ins Auge.

Jetzt entkommt mir doch ein kleines Kichern, und als ich zu Allie hinüberschaue, verdreht diese grinsend die Augen.

»Uh, was hast du da?« In einem Moment der Ablenkung greift Eva nach meinem Glas und lässt dabei noch etwas von dessen Inhalt auf mich schwappen. Wahrscheinlich ist inzwischen mehr Longdrink auf als in mir.

»Lecker, Wodka Lemon!«, errät Eva, nachdem sie einen kleinen Schluck genommen hat.

»Nein, nein, nein!« Eilig greift Allie dazwischen und nimmt Eva das Glas aus den Händen. »Du kleine Suffnase hattest genug für heute.«

Allies strenger Blick hat es in sich. Obwohl er gar nicht mir gewidmet ist, muss ich dem Drang widerstehen, »Ja, Ma’am« zu sagen. Eva wiederum scheint weniger davon beeindruckt. Sie verzieht nur die Lippen zu einem Schmollmund und greift unkoordiniert nach dem Glas. Es ist ein Leichtes für Allie, es aus ihrer Reichweite zu halten, und insgeheim gebe ich ihr recht. Eva sollte erst mal eine Pause machen.

»Sagt mal, wo ist denn Max?« Suchend schaue ich mich um, aber Max steht nicht bei den anderen, und Rico deutet als Antwort auf meine Frage das Rauchen einer Zigarette an.

»Der ist eine quarzen gegangen, um diese Welt etwas früher von seiner Anwesenheit zu befreien«, murrt Allie, während sie noch immer eine betrunkene Eva vom Wodka Lemon fernhalten muss.

Ihre trockene Antwort bringt mich zum Schmunzeln, auch wenn ich weiß, dass das Thema für sie alles andere als ein Spaß ist. Anders als meine Eltern haben sich Allies schon vor einiger Zeit getrennt. Und wann auch immer sie von einem Wochenende bei ihrem Vater zurückkommt, riecht sie nach Rauch und Alkohol.

»Ach, komm schon, Allie. Ich will doch nur einen Schluck!« Eva macht einen unerwarteten Satz nach vorn, verliert dann jedoch das Gleichgewicht und hätte Allie zu Boden gerissen, hätten Rico und ich nicht zeitgleich die Arme ausgestreckt und die beiden gestützt. So landet nun auch noch der letzte Rest meines Getränks auf dem Boden, und Allie stößt ein wütendes »Eva!« aus. Die fängt haltlos an zu kichern, und nachdem ich einen bedeutungsvollen Blick mit Rico getauscht habe, hake ich mich bei Eva unter und ziehe sie zu mir.

»Eva, was hältst du davon, wenn wir mal nach Max schauen und etwas an die frische Luft gehen?«

Ich warte ihre Antwort nicht ab, sondern dirigiere Eva in Richtung Ausgang. Sie murrt kurz, lässt sich dann aber widerstandslos mitziehen. Glücklicherweise müssen wir nicht durch die Menge, sondern können über eine Empore, die zu den Sitzecken führt, am Rand der Tanzfläche vorbeilaufen. Kurz sehe ich David in der Menge, wie er Körper an Körper mit der süßen Blondine tanzt, und lächle von Herzen, bevor Eva, die das Gleichgewicht verliert, meine Aufmerksamkeit wieder beansprucht.

»O Mann, wieso ist David eigentlich immer der Einzige von uns, der am Abend nicht allein bleibt? Ich will auch endlich mal wieder mit einem süßen Kerl tanzen, ihn küssen und … Oh, hi!«

Eva bleibt so plötzlich stehen, dass ich ins Straucheln gerate, und lächelt ein paar Jungs zu, die bei ihren Worten hellhörig geworden sind. Mir reicht ein Blick, um zu sehen, dass sie bestimmt fünf Jahre älter und nicht die Art von Kerlen sind, auf die man sich betrunken einlassen sollte. Zumindest nicht, wenn man Eva heißt und Jungs hinterherweint, sobald man ein paar Worte gewechselt hat. Sie hat einfach ein viel zu großes Herz, um sich auf etwas Lockeres oder gar Einmaliges einzulassen.

Also ziehe ich Eva an der Hand weiter und ignoriere ihr anklagendes »He!«, bis wir endlich an die frische Luft stolpern.

»Ich wollte mich doch nur ein bisschen unterhalten«, mault Eva hinter mir, und ich verdrehe die Augen.

»Die Kerle hatten aber sicherlich anderes im Sinn, als sich nur zu unterhalten.«

»Na und? Wäre doch auch nicht schlimm.«

Eva löst sich aus meinem Griff und stolpert prompt, sodass ich sie wieder am Arm packe und eine Augenbraue hochziehe. »Süße, Rummachen wird schwer, wenn man nicht mal mehr gerade stehen kann.«

Die Worte kommen mit Verzögerung bei meiner besten Freundin an, und dann streckt sie mir einfallsreich die Zunge raus, was mich zum Lachen bringt. »Komm, setzen wir uns ein paar Minuten hierhin und …«

Ich komme nicht dazu, den Satz zu beenden. Eva, die sich schwankend umgesehen hat, reißt so plötzlich die Arme nach oben, dass dieses Mal ich stolpere.

»MAX!«

O Gott, ich glaube, mein Trommelfell ist geplatzt. Und während ich noch darum kämpfe, meine Sinne wieder zusammenzukratzen, ist Eva schon auf und davon. Es dauert einen Moment, bis auch ich Max unter einer Gruppe Jungs erkenne. Er hat eine Kippe in der Hand und wirkt, um ehrlich zu sein, nicht weniger betrunken als Eva, als er sie mit einer Umarmung willkommen heißt.

Na super, also bin ich jetzt die Babysitterin für beide?

Ich verziehe mein Gesicht, aber was bleibt mir schon anderes übrig, als mich meinem Schicksal zu fügen. Also stapfe ich Eva hinterher und hake mich bei ihr unter, als sie und Max anfangen, gefährlich zu schwanken.

»Leute, denkt ihr nicht, es wäre besser, euch hinzusetzen und ein Glas Wasser …«

Wieder komme ich nicht bis zum Ende meines Satzes. Eva scheint etwas Wichtigeres zu sagen zu haben. Und bei ihrem Lallen dauert es eine Sekunde länger, bis ihre Worte bei mir ankommen.

»He, MayMay, ist das nicht dein heißer Nachbar, in den du so verknallt warst?«

Ich weiß nicht, was als Erstes passiert. Dass mein Herz einen Schlag aussetzt oder ich den Kopf nach oben reiße. Das kann gar nicht sein, Noah studiert einige Stunden von hier entfernt … Und doch sind da diese schmerzlich vertrauten blauen Augen, als mein Blick bei einem der Jungs hängen bleibt. Blaue Augen und dunkle Locken, die ihm noch genauso in die Stirn fallen wie früher.

Mein Hals ist wie zugeschnürt und mein Gehirn gähnend leer. So leer, dass ich noch nicht mal rot anlaufe. Ich kann einfach nur starren, während Noahs linker Mundwinkel amüsiert nach oben wandert.

Und dann, weil das Ganze nicht schon unangenehm genug ist, beugt sich Eva nach vorn und übergibt sich direkt vor unseren Füßen.

Kapitel 3

»Shit!«

»Boah wie eklig!«

Entsetzt weichen Noahs Freunde zurück, während ich mich fluchend aus meiner Starre löse und nach Evas Haaren greife. Die Antwort meiner Freundin besteht aus einem weiteren Würgen.

»Hat vielleicht jemand ein Tempo?« Die Worte entkommen mir als scharfes Zischen, weil niemand den Anstand besitzt zu helfen, anstatt einfach nur zu gaffen. Aber damit tue ich zumindest einer Person unrecht, denn Noah hat bereits eine Packung Taschentücher aus seiner Jackentasche gezogen und hält sie mir mit einem mitfühlenden Lächeln hin. Das bringt mein sowieso schon aufgewühltes Herz noch mehr aus dem Rhythmus, und ich wende mich schnell wieder Eva zu, bevor mich die Verlegenheit lähmt. Diese kommt gerade keuchend wieder zu Atem und greift dankbar nach dem Tempo, das ich ihr hinhalte.

»Sorry, ich…« Sie unterbricht sich selbst, als es ihr erneut hochkommt und ich sie mit einem weiteren Fluch von der Gruppe weg zu einem Busch zerre. Immerhin schafft sie es bis dorthin, bevor sie sich erneut übergibt.

»Lass es raus, Süße. Alles gut.« Obwohl ein Teil von mir ihr am liebsten für das eben Gesagte den Hals umdrehen würde, streiche ich ihr beruhigend über den Rücken, bevor ich über die Schulter Max anblaffe: »Hol ein Wasser!«

Dieser steht nur völlig überfordert da, während die Zigarette noch immer zwischen seinen Fingern glimmt.

»Max!«

Ein Ruck fährt durch meinen Freund, und er blinzelt einen Moment bedröppelt, bevor er sich mit einem Nicken in Bewegung setzt. Hoffentlich hat er nicht vergessen, wie seine Mission lautet, bis er an der Bar angekommen ist. Aber darum kann ich mir gerade keine Gedanken machen, während Evas Schultern vor Anstrengung zittern. Sie ist von einem auf den anderen Moment völlig durch, und sobald ihr Magen endlich leer zu sein scheint, helfe ich ihr einige Meter entfernt dabei, sich auf den Boden zu setzen.

»Mir geht’s nich’ so gut.« Die Worte kommen ihr als Stöhnen über die Lippen, während ich ihren Kopf zwischen ihren Knien platziere.

»Ich weiß, Süße. Gleich bekommst du ein Glas Wasser, und dann bringen wir dich nach Hause.« Ihre Antwort besteht aus einem schwachen Händedruck, den ich erwidere. Zumindest bis eine tiefe Stimme mich erschrocken zusammenzucken lässt.

»Kann man helfen?«

Mein Kopf fliegt nach oben, und dann sind da wieder diese ozeanblauen Augen in einem kantigen Gesicht mit gerader Nase und superausdrucksvollen Augenbrauen. Noahs Anblick ist so vertraut wie fremd. Als hätte man den Jungen, den ich kannte, in den Körper eines Erwachsenen gesteckt. Und in gewisser Weise ist es ja auch so. Leider steht ihm Erwachsenwerden verdammt gut, was mir nur wenig hilft, meine Stimme unter all den flatternden Gefühlen in meiner Brust wiederzufinden.

»Nein«, ich räuspere mich, um nicht mehr wie eine Krähe mit Bronchitis zu klingen. »Alles gut. Ich bringe sie nach Hause.«

Eva, die schon halb am Einschlafen ist, scheint dem Ganzen noch etwas hinzufügen zu wollen. Zumindest entkommt ihr ein vernuscheltes Murmeln, das sich gefährlich nach »Sagt bitte nix meiner Mama« anhört. Wärme kriecht mir in die Wangen, aber Noah verliert kein Wort über den Zustand meiner Freundin.

»Das hört sich vernünftig an. Habt ihr es denn weit? Ich kann euch auch begleiten. Oder wir rufen euch ein Taxi.«

Da ist kein Spott in seiner Stimme, während er vor uns in die Hocke geht und Eva mitfühlend betrachtet. Seine Freunde höre ich aus der Entfernung lachen, aber Noah macht keine Anstalten, zu ihnen zu gehen. Er meint sein Angebot ernst, und ich weiß nicht, ob ich dankbar oder beschämt sein soll, weil ich mich wie ein Kind fühle, das sich auf die Party von Erwachsenen geschlichen hat.

»Musst du nicht. Zu Fuß sind es nur zehn Minuten zu Eva.« Unsere Blicke treffen aufeinander, und meine Kehle ist augenblicklich wie zugeschnürt. Dabei ist mein Kopf voller Fragen. Was macht er hier? Wie lange ist er in der Stadt? Wie ist es ihm in den letzten Jahren ergangen? Und kann er Evas Kommentar bitte einfach vergessen?

Umso länger der Moment anhält, desto schneller schlägt mein Herz, bis ich befürchte, es könnte mir gleich aus der Brust springen. Noahs Anwesenheit hat leider noch immer die gleiche Wirkung auf mich wie früher. Sie macht mich sprachlos, während ein Sturm in mir tobt. Und der Alkohol in meinem Blut macht es nicht leichter, diese unerwartete Begegnung zu verarbeiten, während die Stille sich immer schwerer auf uns senkt. Bilder aus den verschiedensten Lebensstadien blitzen vor meinem inneren Auge auf. Wie wir Fangen spielen, Sandburgen bauen, Limo schlürfen und Süßigkeiten stibitzen. Wie er zur Schule geht, sich mit cooleren Freunden trifft, seine erste Freundin hat und zu meinem unerreichbaren Schwarm wird. Beklemmung macht sich in mir breit, und gerade, als ich glaube, gleich zu implodieren, stolpern meine Freunde allesamt aus dem Club.

»O Gott, Eva!«

»Oje, das ging ja schnell bergab.«

»Hat sie euch wirklich vor die Füße gekotzt?«

Ihre Stimmen klingen in einem wilden Durcheinander zu uns und reißen mich aus dem Strudel an Gefühlen und Erinnerungen heraus, in den mich Noahs Augen versetzt haben. Schnell richte ich mich auf und winke meinen Freunden zu, die allesamt mit besorgter Miene auf uns zukommen. Anscheinend hat Max nicht nur ein Wasser geholt, sondern auch den anderen Bescheid gesagt.

Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie auch Noah sich neben mir aufrichtet, die Hände lässig in die Jackentaschen steckt und meinen Freunden Platz macht, die sich um Eva scheren. Doch er geht nicht weg, und seine Anwesenheit ist ein stetiges Prickeln auf meiner Haut.

»Trink das, du kleine Suffnase.«

Allie nimmt Max mit einem Seufzen das Wasser aus der Hand und hilft Eva dabei, sich so weit aufzusetzen, dass sie an der Wasserflasche nippen kann. Das tut diese zwar nur unter wehleidigem Stöhnen, aber zumindest bleibt die Flüssigkeit in ihrem Körper.

»Damit ist der Abend wohl gelaufen.« Rico zieht einen Schmollmund, während er sich so hinter Eva platziert, dass diese sich an seinen Beinen anlehnen kann. Die Fürsorge dieser Geste passt nicht so recht zu dem Vorwurf in seiner Stimme, aber so ist Rico nun einmal. Auf seine Loyalität ist trotzdem immer Verlass.

»Egal, die Musik war eh nicht gut«, nimmt David der Situation die Schärfe und passt mit seinem glückseligen Lächeln überhaupt nicht in unser ramponiertes Grüppchen. Es ist nur zu eindeutig, dass sein Abend gut verlaufen ist, im Vergleich zum Rest von uns.

»Das sah aber gerade noch anders aus, als ich dich von diesem Mädchen wegschleifen musste.« Max rempelt seinen Kumpel mit der Schulter an, während er sich eine neue Zigarette herausholt und damit Allie zum Augenrollen bringt.

»Wenn du dieses Ding in meiner Nähe anzündest, findet sich gleich die ganze Packung in der Kotze wieder, klar?«

Ihre scharfen Worte bringen Max dazu, ergeben die Hände zu heben, während David nebendran sichtlich dankbar dreinschaut, aus dem Schneider zu sein. Sie sind genauso chaotisch, wie ich sie kenne und liebe, und mir entkommt ein halb belustigtes, halb verärgertes Schnauben. »Leute, können wir uns bitte wieder darauf konzentrieren, wie wir Evas betrunkenen Hintern nach Hause schaffen?«

Eva antwortet mit einem Stöhnen, und innerhalb von einer Sekunde sind alle wieder bei der Sache. Allie flößt ihr die letzten Schlucke Wasser ein, bevor David und Rico unserer Freundin jeweils unter einen Arm greifen und sie mit vereinten Kräften auf die Füße ziehen. Dort hängt Eva wie ein nasser Sack, aber zumindest laufen ihre Füße mit, als sich die Jungs in Bewegung setzen. Wir lassen ihnen den Vortritt, während die Security uns bereits komische Blicke zuwirft.

Neben mir zückt Allie ihr Handy, um Fotos von der lustig anmutenden Szene zu schießen. »Oh, das wird sie sich noch Wochen anhören müssen.«

Die belustigten Worte meiner Freundin sind nur ein Hintergrundrauschen, als wir an Noah vorbeigehen, der aus einigen Metern Entfernung unsere Gruppe beobachtet. Er hat gewartet, um sicherzugehen, dass wir gut von hier wegkommen, obwohl seine Freunde bereits wieder im Club verschwunden sind. Diese Erkenntnis stellt komische Dinge mit meinem Herzen an, und als er unter meinem Blick den Kopf schief legt und mir ein kleines Lächeln schenkt, stockt mir der Atem. Doch bevor ich reagieren kann, unterbricht eine Clique kichernder Mädchen unseren Blickkontakt, und die Welt setzt sich wieder in Gang.

Ich muss mich beeilen, um die anderen einzuholen, und vermeide es noch mal zurückzuschauen, während wir das Clubgelände verlassen und uns auf den Heimweg machen.

Ja, Eva wird sich einiges anhören müssen.

Kapitel 4

 

 

»May! Es ist Zeit, aufzustehen!«

Stöhnend drehe ich mich im Bett herum und verstecke den Kopf unter meinem Kissen. Aber das bringt reichlich wenig, als es meiner Mom nicht mehr reicht, durch die Tür zu schreien. Stattdessen tritt sie ein und zieht bestimmt den Rollladen hoch. Sofort ist mein Zimmer lichtdurchflutet und zugleich drei Grad wärmer.

»Mom!«

»Es ist fast zwölf Uhr. Komm endlich aus dem Bett wie jeder anständige Mensch auch.«

Erneut stöhne ich, aber ich kenne meine Mutter gut genug, um zu wissen, dass sie mich nicht in Ruhe lassen wird, bis ich aufgestanden bin. Denn es gehört sich nicht, den ganzen Tag zu verschlafen, außer man ist krank oder hat eine Nachtschicht hinter sich. Um vier Uhr vom Feiern nach Hause zu kommen zählt leider nicht.

Mit einer Hand die Sonne abschirmend versuche ich mich langsam an die Helligkeit zu gewöhnen und bin Eva fast dankbar, dass ihr Absturz mich gestern Nacht die letzten Stunden hat ausnüchtern lassen. Dann blitzt ein Bild von Noah vor meinem inneren Auge auf, und das mit der Dankbarkeit ist wieder vorbei.

Ist das gestern wirklich passiert? Ich wünschte, es wäre nicht der Fall.

»In zehn Minuten gibt es Mittagessen. Oder Frühstück, je nachdem, wie du es nennen willst.«

Meine Mom schmunzelt, und ich verdrehe die Augen, doch zumindest lässt sie mich damit allein. Erschöpft sinke ich zurück in die Kissen und gebe mir ein, zwei Minuten, um zu mir zu kommen. Dabei laufen Bilder des gestrigen Abends vor meinem inneren Auge ab. Wie ich Eva weggezogen habe, nachdem sie sich erbrochen hatte, die überraschten und angeekelten Laute von Noahs Freunden in den Ohren. Wie ich ihre Haare gehalten habe, während sie ihren Magen ins Gebüsch entleert hat. Und dieser intensive Moment mit Noah, bevor die anderen zu Evas – oder meiner – Rettung geeilt sind.

So zuvorkommend Noahs Verhalten gestern auch war, jetzt, bei Tageslicht, wird mir die Peinlichkeit der Situation in ihrer Gänze bewusst. Schlimm genug, dass er und seine Freunde uns jetzt bestimmt für kleine Kinder halten, die ihre Grenzen nicht kennen. Aber hat Eva wirklich vor allen rausgehauen, dass ich zum Sterben verknallt in meinen Nachbarn war? Ich bete, dass Noah nur für das Wochenende hier ist. Dann kann ich mich in meinem Zimmer verstecken, bis er wieder weg ist, und so tun, als wäre das alles nie passiert.

Für den Moment funktioniert das leider noch nicht so gut, und am liebsten hätte ich das Gesicht in meinem Kissen vergraben, bis ich nicht mehr vor Scham vergehen will. Gleichzeitig hat sich Noahs Anblick in meinen Kopf gebrannt. Seine breiteren Schultern, die kantigeren Gesichtszüge. Wie hat er es nur geschafft, über die Jahre noch attraktiver zu werden?

Früher habe ich gedacht, dass niemand schöner sein könnte als er. Habe seine verwuschelten Locken geliebt und diese intensiven blauen Augen. Wahrscheinlich ist David deswegen für mich auf diese Art und Weise interessant geworden, als Noah zum Studieren fortgezogen ist. Weil die beiden mit ihren Haaren und dem breiten Grinsen sich mit etwas Fantasie ähnlich sehen. Aber so attraktiv David auch ist … Noah hat früher mein Herz zum Aussetzen gebracht. Und die kurze Begegnung gestern lässt mich befürchten, dass er es noch immer kann.

Nachdem ich fünf Minuten mit Selbstmitleid verplempert habe, zwinge ich mich zum Aufstehen und tapse in kurzen Sweat-Shorts und einem Top nach unten. Tim sitzt schon am Esstisch, und Mom hantiert am Herd herum, von dem sie aufblickt, als sie mich hört.

»Spätzchen, könntest du bitte Teller bringen?«

Ich stoße ein Brummen aus, und Tim grinst mich schadenfroh an, wohl wissend, dass er genauso gut Teller holen könnte. Also strecke ich ihm die Zunge raus, gebe aber keine Widerworte. Das ist die Energie nicht wert.

Gott sei Dank habe ich keinen empfindlichen Magen und kann auch direkt nach dem Aufstehen deftig essen. Alles andere hätte mir meine Mom sowieso nicht durchgehen lassen. Entsprechend tun die Spaghetti Bolognese sogar gut, als wir zu essen beginnen, um das noch leicht flaue Gefühl in meinem Magen final verschwinden zu lassen.

Tim isst wie ein Mähdrescher und hinterlässt auch das passende Chaos. Ich schaue ihm mit gerümpfter Nase dabei zu, trotzdem ist es nicht er, den Mom mit vorwurfsvollem Unterton anspricht.

»May, das dreckige Geschirr musste ich übrigens heute Morgen nach einem langen Arbeitstag und einer kurzen Nacht spülen. Wenn du kochst, bist du auch dafür verantwortlich, dass die Küche wieder sauber ist. Das nächste Mal will ich, dass du das berücksichtigst.«

Dass Mom wie eine Lehrerin klingt, hilft nicht gerade gegen die Wut, die innerhalb einer Sekunde wieder in mir aufsteigt. Mitten im Biss halte ich inne und schaue sie ungläubig an. »Sorry, dass ich für meinen Bruder gekocht habe. Das nächste Mal kann ich es auch ganz lassen.« Die Worte sind patzig, obwohl ich genau weiß, dass Mom so was nicht leiden kann. Die Art, wie sie erstarrt, bevor sie ihren Löffel sinken lässt und mich ernst anschaut, bestätigt mir das. Trotzig verschränke ich die Arme und lasse mich im Stuhl zurückfallen.

»Ich weiß, es ist nicht leicht mit all den … Umstellungen im letzten Jahr.«