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Endloser Sand und mörderische Hitze: Wenn kein Wunder geschieht, ist Bella Balfour verloren. Hoffnungslos hat sie sich in der Wüste verirrt – als plötzlich ein Reiter heransprengt und sie in eine Oase bringt. Doch die Gefahr ist noch lange nicht vorbei. Denn ihr Retter, Scheich Zafid Hadad, erwartet von Bella, was er selbst jeden Tag leben muss: allen Menschen mit Würde zu begegnen. Und das ist schwierig für die verwöhnte Society-Prinzessin! Wenn sie sich jemals fügt, dann nur aus unsterblicher Liebe und glühender Leidenschaft – wie sie der Scheich in ihr geweckt hat …
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Seitenzahl: 197
IMPRESSUM
Bella und der geheimnisvolle Wüstenprinz erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2010 by Harlequin Books S. A. Originaltitel: „Bella’s Disgrace“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA, Band 1992 Übersetzung: Gudrun Bothe
Umschlagsmotive: inarik, MOHAMED HUSSAIN YOUNIS / Getty Images
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2023
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751522847
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Sand, Sand und noch mehr Sand …
Ihr Vater hätte sich keinen entlegeneren Ort ausdenken können als diesen, höchstens den Mond. Und wäre das wirklich möglich gewesen, hätte er ganz sicher einen entsprechenden Scheck ausgefüllt! dachte Bella wütend. Während sie gelangweilt mit den nackten Zehen im grobkörnigen Wüstensand spielte, sah sie missmutig um sich.
Wahrscheinlich hätte er mich am liebsten auf den Roten Planeten geschossen … den Mars. Warum nur musste es ausgerechnet die Verbannung in die Wüste sein? Warum nicht eine Strafexpedition in ein schickes Spa in der Fifth Avenue?
„Bella?“
Als sie ihren Namen hörte, stöhnte Bella verhalten auf. Jetzt schon? So früh? Der Morgen dämmerte doch gerade erst. Widerstrebend wandte sie sich in Richtung der Stimme. Er trägt nicht die leiseste Schuld an diesem Desaster, ermahnte sie sich. Es ist also nicht fair, meinen Frust und meine Wut an ihm auszulassen.
Also zwang sie sich zu einem Lächeln. „Ziemlich früher Start, oder?“
„Ich habe schon lange vor Sonnenaufgang meditiert.“ Erste vorwitzige Strahlen der heißen arabischen Sonne zauberten gleißende Lichtreflexe auf das weiße Gewebe seiner schlichten, langen Robe.
Nur mit Mühe unterdrückte Bella ein Gähnen. „Ich persönlich starte lieber mit einem schwarzen Kaffee.“
„Um den neuen Tag recht zu beginnen, sollten Sie sich an dem erfreuen, was Sie hier umgibt“, riet der alte Mann sanft. „Es gibt nichts Beruhigenderes, als einen Sonnenaufgang in der Wüste zu beobachten. Umgeben von Erhabenheit und Stille. Empfinden Sie diesen Frieden nicht auch als sehr wohltuend?“
„Ganz ehrlich?“ Bella schnitt eine kleine Grimasse. „Das Ganze hier treibt mich in den Wahnsinn!“
Instinktiv wollte sie ihr Handy hervorziehen und erinnerte sich erst verspätet daran, dass es zusammen mit allen anderen Dingen, die ihr den Kontakt zur Außenwelt ermöglicht hätten, konfisziert worden war. Entnervt starrte Bella zunächst auf ihre leere Handfläche, dann auf die ramponierten Fingernägel. Hätte sie jetzt die Wahl zwischen einem Kaffee und einer Maniküre gehabt, würde sie sich unbedingt für Letztere entscheiden.
„Leben Sie eigentlich immer hier?“, fragte sie den alten Mann mit einem bezeichnenden Rundumblick.
„Nein, ich halte mich nur vorübergehend an diesem wunderschönen Ort auf. Sobald unser gemeinsamer Weg endet, ziehe ich weiter.“
„Ich wäre schon nach einer Minute wieder verschwunden, wenn ich die Chance dazu bekommen hätte! Seit zwei Wochen bin ich jetzt hier, und für mich fühlt es sich an wie eine Ewigkeit.“
Wie konnte ihr Vater nur so grausam sein und ihr das antun? Seinetwegen war sie von allem abgeschnitten, was ihr Leben ausgemacht hatte. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie nichts dringender brauchte als Trost und menschliche Nähe …
Die schockierende Entdeckung, die gerade erst zwei Wochen zurücklag, hatte sie zutiefst verstört. Bella fühlte sich wie benommen und emotional ausgelaugt. Die Person, die sie vor jenem katastrophalen Abend gewesen war, gab es nicht mehr. Ebenso wenig wie die naiven Kleinmädchenvorstellungen von Glück und Familie, die sie ein Leben lang genährt und bewahrt hatte.
Du hättest einfach nicht hinschauen dürfen, Bella, warf sie sich jetzt nachträglich vor. Doch es war zu spät. Sie hatte die Büchse der Pandora geöffnet, und jetzt zahlte sie den Preis dafür.
„Sie erlauben Ihren Emotionen, Sie in die Fänge zu nehmen, wie der Falke seine Beute ergreift“, sagte Atif, der sie die ganze Zeit über mit der gleichen unbeirrbaren Ruhe und Gelassenheit betrachtet hatte, die er auch während ihrer gemeinsamen Sitzungen ausstrahlte. „Sie sind verärgert und trotzig, doch Ihr Vater hat Sie nur zu Ihrem Besten hierher geschickt.“
„Er will mich bestrafen, weil ich ihn bloßgestellt habe“, widersprach Bella, schlang die Arme schützend um ihren Oberkörper und fragte sich, wie man in brütender Hitze frösteln konnte. „Ich habe die Familie bloßgestellt und damit den Namen Balfour in Misskredit gebracht. Mal wieder!“
Doch was die skandalöse Entdeckung in ihr angerichtet hatte, dafür interessierte sich natürlich niemand! Dabei stand jedes winzige Detail des furchtbaren Ballabends immer noch lebendig vor ihrem inneren Auge. Wieder spürte Bella den dicken Kloß im Hals, der ihr schon seit zwei Wochen das Atmen schwer machte. Wenn sie nur wüsste, was ihre Schwester Olivia von all dem hielt … wie sie dachte und fühlte.
Sie hätte so gern wieder gutgemacht, was sie angerichtet hatte!
Ihr Benehmen war abscheulich und unverzeihlich gewesen, das wusste Bella. Doch sie hatte sich so unglaublich verletzt und betrogen gefühlt – regelrecht am Boden zerstört. Außerdem hatte Olivia sich auch nicht gerade zurückgehalten …
„Darf ich ganz kurz mein Handy haben, um eine SMS zu verschicken?“ Plötzlich erschien es ihr extrem wichtig, ihrer Zwillingsschwester eine Nachricht zukommen zu lassen. „Oder darf ich wenigstens Ihren Computer benutzen? Seit zwei Wochen habe ich meine E-Mails nicht gelesen!“
„Das ist nicht möglich, Bella.“
„Ich werde langsam verrückt, Atif! Tonnen von Sand und Totenstille sind eine furchtbare Kombination!“ Mit einer verzweifelten Geste drehte sie sich im Kreis und wies anklagend auf die karge Landschaft, bis ihr Blick an einigen niedrigen weißen Gebäuden hängen blieb. Sie waren Bella schon kurz nach ihrer Ankunft aufgefallen. „Was ist mit diesen Stallungen da hinten? Kann ich nicht wenigstens einmal dorthin ausreiten? Nur für eine Stunde?“
„Sie gehören nicht zu unserer Oase der Einkehr. Die Ställe sind Privatbesitz.“
„Was für ein seltsamer Platz, um Pferde zu halten“, stellte Bella mehr für sich fest und betrachtete die Wachen am Eingang der Anlage. „Wenn ich also kein Pferd ausleihen darf, kann ich dann wenigstens meinen iPod haben? Mit Musik würde ich mich auf jeden Fall besser entspannen.“
Atif lächelte sanft. „Silence is golden … sagt man das nicht so in Ihrer Sprache?“
„Hier ist alles irgendwie golden!“ Das klang wie ein Vorwurf. Frustriert stieß Bella die nackten Zehen in den Wüstensand. Dann kam ihr plötzlich eine verwegene Idee.
Eine ungeheuerliche, wagemutige Idee!
„Diese Stadt, durch die wir auf dem Weg hierher gefahren sind … wie ist sie so?“
„Al-Rafid ist ein Scheichtum, das für sein außerordentlich reiches Kulturerbe berühmt ist“, gab Atif bereitwillig Auskunft.
„Gibt es dort Öl?“ Bella musste sich regelrecht zwingen, einen leichten Konversationston anzuschlagen, um sich nicht zu verraten. Sie konnte Atif schließlich nicht freiheraus nach dem fragen, was sie wirklich interessierte.
Zum Beispiel: Wie weit ist es von hier bis dorthin? Und: Gibt es dort eine High-Speed-Internetverbindung?
„Sogar riesige Ölvorkommen“, klärte Atif sie auf. „Der regierende Scheich gilt als kluger, wenn nicht gerissener Geschäftsmann. Er hat die einst verschlafene, altertümliche Wüstensiedlung in ein internationales Handelszentrum verwandelt. Die Bauwerke entlang der Küste sind ebenso modern und spektakulär wie in Manhattan oder Canary Wharf. Nur ein paar Straßen weiter gelangt man in die Altstadt, die gespickt ist mit wundervollen Beispielen persischer Architektur. Der Al-Rafid-Palast ist das beeindruckendste unter den antiken Bauwerken. Er ist allerdings nur selten für den Publikumsverkehr geöffnet, da der Scheich und seine Familie ihn meistens selbst als Wohnsitz nutzen.“
Bella seufzte theatralisch. „Der Glückliche! Er darf wenigstens in der Stadt leben! Wahrscheinlich hasst er die Wüste genauso wie ich.“
„Im Gegenteil. Scheich Zafid liebt die Wüste sehr. Gleichzeitig ist er ein hochgebildeter, ernsthafter und entschlossener Mann, dem es gelungen ist, in diesem traditionellen Scheichtum, speziell im wirtschaftlichen Bereich, einen westlichen Führungsstil zu etablieren. Doch seine Wurzeln hat er nicht vergessen. Eine Woche im Jahr erlaubt er sich eine Auszeit in der Wüste. Er ist ein mächtiger Herrscher. Manche bezeichnen ihn als hart und skrupellos. Aber er ist auch ein Mann, der sich seiner großen Verantwortung und seiner Würde sehr bewusst ist.“
Würde!
Das war das letzte Wort gewesen, das sie von ihrem Vater zu hören bekam, bevor er sie in die Verbannung geschickt hatte! Unbehaglich trat Bella von einem Fuß auf den anderen.
„Dieser Scheich … wahrscheinlich ist er mit acht Frauen verheiratet und hat hundert Kinder?“, fragte sie, um das vage Schuldgefühl zu verdrängen, das sich in ihr meldete.
„Seine Hoheit hat noch keine Gemahlin auserwählt“, informierte Atif sie steif. „Sein Familienhintergrund ist ziemlich kompliziert.“
Bella lachte hohl. „Ich wette, nicht halb so chaotisch wie meiner!“
Der alte Mann neigte leicht den Kopf. „Seine Mutter war eine Prinzessin, die von allen sehr verehrt wurde. Unglücklicherweise starb sie, als er noch im Säuglingsalter war.“
Plötzlich hatte Bella das Gefühl, unversehens einen Fausthieb in den Magen zu bekommen. „Seine Mutter ist tot?“, echote sie.
Was für eine seltsame Parallele. Genau wie sie selbst hatte der Scheich offenbar seine Mutter verloren, als er noch sehr klein gewesen war. Bella wollte mehr von diesem mächtigen, skrupellosen Scheich hören. Längst hatte sie vergessen, dass es ihr ursprünglich nur um die Entfernung von hier zur nächsten Stadt gegangen war.
„Hat sein Vater wieder geheiratet?“, fragte sie neugierig.
„Ja, aber tragischerweise sind er und seine zweite Frau bei einem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen, als Seine Hoheit im Teenageralter war.“
Also hatte der Arme sogar zwei Mütter und einen Vater verloren!
Stumm beobachtete Bella, wie die aufgehende Sonne den Dünenkamm erklomm und alles in Brand zu setzen schien. Nur Minuten später verwandelten sich die Farben ringsherum von rötlichen Orangetönen zu einem strahlenden Gold.
Sie konnte es sich nicht erklären, aber irgendwie verspürte sie eine starke Zugehörigkeit zu diesem mysteriösen Scheich, der dort irgendwo hinter diesen endlosen Sandbergen lebte.
Ob er manchmal an seine Mutter dachte, die er nie wirklich hatte kennenlernen dürfen? Ob er auch zufällig Geheimnisse über sie herausgefunden hatte, die besser für alle Ewigkeit im Dunkel geblieben wären?
Waren seine Erinnerungen möglicherweise ebenso verstörend und belastend wie ihre?
Bella zog die Schultern hoch, vergrub die Hände in den Taschen ihrer hellen Leinenhose und sagte sich, wie nutzlos es war, Vergangenes wieder und immer wieder hervorzukramen. Sie konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, so sehr sie es sich auch wünschte.
In den verordneten Stunden der Einkehr und Meditation gab es immer noch ein Thema, das zu betrachten sie sich rundheraus weigerte: ihre Mutter!
Später, sagte sie sich. Später, wenn sie es ertragen konnte, darüber nachzudenken. Jetzt war alles noch zu frisch und schmerzhaft.
Erfolglos versuchte Bella, sich eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn zu pusten. Doch der fehlende Conditioner hatte dazu geführt, dass ihr seidenweiches Haar inzwischen wie trockenes Stroh aussah. Und sich auch so anfühlte!
„Dann muss dieser … Scheich ja ganz schön jung gewesen sein, als er plötzlich die Zügel in die Hand nehmen musste“, überlegte sie laut.
„Gerade mal achtzehn“, erwiderte Atif und nickte. „Er ist allerdings sein Leben lang auf diese Rolle vorbereitet worden.“
„Armer Kerl. Seine Kindheit war sicher wenig beneidenswert. Aber mit dem ganzen Öl im Hintergrund muss er ziemlich reich sein. Warum hat er dann bis jetzt noch nicht geheiratet? Ist er so alt und hässlich, dass er sich nicht einmal eine Frau kaufen kann?“
„Seine Hoheit ist Anfang dreißig und wird von Menschen, die so etwas weit besser beurteilen können als ich, für ausnehmend attraktiv gehalten. Irgendwann wird er sich eine passende Gefährtin suchen und sie heiraten“, entgegnete Atif. „Aber wie es heißt, hat er damit keine Eile.“
„Wer wollte ihm das vorwerfen?“, seufzte Bella verständnisvoll. „Die Ehe kann ein wahrer Albtraum sein! Mein Vater hat sich gleich dreimal hineingestürzt. Er ist ein Verfechter der These: Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, musst du es wieder und wieder versuchen!“ Die letzten Worte hatte sie fast ausgespien.
Atif betrachtete sie einen Moment gedankenvoll, sagte aber nichts.
„So ein Durchhaltevermögen ist doch zu bewundern, oder nicht?“, fuhr sie fort.
Der alte Mann ignorierte auch das. „Ihr Vater war also dreimal verheiratet?“, erkundigte er sich.
„So ist es. Denken Sie nicht auch, dass er nach so viel Praxis inzwischen ein Experte in Sachen Ehe sein müsste?“
„Sie müssen Ihren Groll loslassen, Bella, sonst vergiften Sie Ihr Inneres nur noch mehr. Sie sind zu leidenschaftlich, zu vehement.“
Sie lachte. „So bin ich eben … zu leidenschaftlich, zu laut, zu viel von allem! Wären Sie mit einer Horde Schwestern und Halbschwestern, drei Müttern und einem despotischen Vater geschlagen, würden Sie mich vielleicht besser verstehen. Nichts kann einen mehr aufregen und kostet mehr Nerven als die eigene Familie. Höchstens der Umstand, dass gleichzeitig dein Handy, dein Notebook und dein iPod konfisziert werden!“
„Gerade wenn die Wogen des Lebens am höchsten schlagen, ist es unabdingbar, seinen Seelenfrieden in Ruhe und Abgeschiedenheit zu suchen“, belehrte Atif sie.
„Gegen ein paar Tage Erholung in einer hübschen Oase hätte ich ja gar nichts einzuwenden gehabt“, schmollte Bella anscheinend unbeeindruckt von den philosophischen Gedankengängen des alten Mannes. Dabei bewunderte sie ihn insgeheim um seine Seelenruhe und – stärke, die das Leben so viel einfacher erscheinen ließen. Leider hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie sie es anstellen sollte, selbst einen ähnlich beneidenswerten Zustand zu erlangen.
„Sonne, Palmen … Wasser, um darin zu baden“, schwärmte sie weiter. „Ich habe nicht einmal etwas gegen den Sand, solange ich von meiner Liege auf ihn hinunterschauen kann – natürlich mit einem kühlen Drink in der Hand!“
Ohne eine Miene zu verziehen, verbeugte Atif sich vor ihr. „Ich überlasse Sie jetzt Ihren eigenen Gedanken, Bella. Wir sehen uns dann um neun beim Yoga.“
„Yoga! Hurra! Hoffentlich platze ich bis dahin nicht vor Aufregung!“
Ihr Sarkasmus ging ins Leere. Atif schien sie nicht zu hören. Die Grimasse, die Bella hinter seinem Rücken schnitt, bekam er ohnehin nicht mit, während er langsam davonging und im Zelt verschwand. Irgendwie brachte sie das noch mehr auf.
Es reichte! Schluss mit Yoga, Schluss mit Meditation und Wüstensand!
Sie musste den Schlüssel für den Jeep finden und von hier verschwinden. Selbst wenn das bedeutete, irgendjemanden gefesselt und geknebelt im Zelt zurücklassen zu müssen!
Bella wollte ihren verwegenen Plan gerade in die Tat umsetzen, als ihr auffiel, dass sich die Wachen vom Eingang der entfernt liegenden Stallungen zurückgezogen hatten. Neugierig beschattete sie die Augen mit einer Hand, während es hinter ihrer Stirn arbeitete und ihr Fluchtplan immer konkretere Formen annahm.
Niemand dort drüben kennt mich, richtig?Wenn ich also mit der nötigen Entschlossenheit vorgehe, kann ich durchaus Erfolg haben.
Während Bella den Weg Richtung der weißen Gebäude einschlug, tauchten vor ihrem inneren Auge verlockende Bilder auf. Versteckt in einem Pferdehänger, auf der Flucht aus der Wüste …
Irgendwann passierte sie ein Schild mit der Aufschrift: Zutritt strengstens verboten! und marschierte weiter einen Schotterpfad entlang, der zu den Ställen führte. In der Mitte eines großzügig angelegten Vorplatzes sprudelte ein steinerner Brunnen, und erst jetzt sah sie, wie riesig und luxuriös die Stallungen tatsächlich waren.
„Wer auch immer der Besitzer dieser Anlage ist, er muss steinreich sein“, murmelte sie beeindruckt und spähte sichernd über die Schulter, um zu prüfen, ob jemand ihr unbefugtes Eindringen bemerkt hatte. Doch alles um sie herum wirkte verlassen. Es waren keine Wachen zu sehen und auch sonst niemand.
Seltsam! dachte Bella mit zunehmendem Unbehagen. Wo sind alle hin?
Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie lebhaft es normalerweise in Pferdeställen zuging. Aus einer der Halbtüren streckte plötzlich ein Pferd seinen Kopf heraus und begrüßte sie mit einem Nicken. Sofort steuerte Bella auf das hübsche Tier zu.
„Wenigstens einer, der mich hier willkommen heißt!“, sagte sie erleichtert, strich sanft über das weiche Maul des Tiers und tätschelte seinen Hals. „Na, du Schönheit, wie war dein Morgen denn bisher? Hast du schon meditiert? Oder deine zierlichen Hufe zum Lotussitz verknotet? Oder wenigstens einen erleuchtenden Kräutertee getrunken?“
Das Pferd blies ihr freundlich warme Luft in den Nacken und schnaubte leise. Bella fühlte sich so gut wie seit Wochen nicht mehr.
„Möchtest du vielleicht mit mir kommen und in meinem Zelt schlafen?“, schlug sie ihrem neuen Freund vor.
Der vertraute Stallgeruch und die dazugehörigen Geräusche beruhigten ihre aufgekratzten Nerven auf eine Weise, wie es die intensivsten Yogaübungen und Meditationsversuche nicht vermocht hatten. Bella beugte sich mit dem Oberkörper über die Stalltür und begutachtete das Tier genauer.
„Du bist wirklich eine bemerkenswerte Schönheit“, stellte sie anerkennend fest. „Reines Araberblut. Aber warum versteckt man so ein Prachtexemplar wie dich hier mitten in der Wüste?“
Zunehmend irritiert über die Totenstille außerhalb der Stallungen trat Bella einen Schritt zurück und schaute sich unbehaglich um. Irgendetwas stimmte hier nicht, das sagten ihr zumindest die steil aufgerichteten Härchen in ihrem Nacken. Es fühlte sich so an, als könnte jeden Moment eine Katastrophe ausbrechen.
„Ach was!“, beruhigte sie sich selbst und wandte sich wieder dem Pferd zu. „Ich bin nur schon viel zu lange in dieser Einöde weggesperrt, darum fange ich an, Gespenster zu sehen. Aber wenn ich überhaupt etwas in den letzten zwei Wochen gelernt habe, dann das: In der Wüste passiert gar nichts!“
Das Tier bewegte sich unruhig in seiner Box. Diese spürbare Nervosität, die Bella selbst so gut kannte, ließ ihre Sympathie zu dem Pferd nur noch wachsen. Am liebsten hätte sie sich einfach auf seinen Rücken geschwungen und wäre so lange drauflos galoppiert, bis alles Belastende von ihr abgefallen wäre.
Warum eigentlich nicht? dachte sie im nächsten Moment. Warum muss es überhaupt der Jeep oder ein Pferdehänger sein, wenn ich auf eine viel erfreulichere Weise in die nächste Stadt gelangen kann?
So weit war der Weg nicht. Immerhin erinnerte Bella sich noch vage an die Anreise. Und sobald sie in Al-Rafid ankäme, würde ihr schon ein Weg einfallen, wie sie das Tier zusammen mit einer angemessenen Entschuldigung und Entschädigung an seinen Besitzer zurückschicken konnte.
Vielleicht ist Atif nach dieser Eskapade auch so sauer auf mich, dass er sich weigern wird, seine ungehorsame Schülerin weiter zu betreuen? überlegte sie weiter. Und da ohnehin jeder bereit ist, das Schlechteste von mir zu denken, will ich auch niemanden enttäuschen!
Leise öffnete sie die Pferdebox und trat ein.
„Da du tatsächlich fest entschlossen zu sein scheinst, eine ganze Woche allein in der Wüste zu verbringen, erlaube wenigstens deiner Leibgarde, dich zu begleiten.“
„Wenn ich das täte, wäre ich ja nicht mehr allein“, führte Zafid trocken an. „Dies ist die einzige Auszeit, in der ich mir gestatte, ein ganz normaler Mann und kein Herrscher zu sein. Ich setze dich als meinen offiziellen Vertreter ein, Rachid.“
Offensichtlich eingeschüchtert von der großen Verantwortung, die er tragen sollte, erblasste sein jüngerer Bruder. „Findest du nicht, du solltest deinen Wüstentrip lieber verschieben? Die Verhandlungen wegen des Ölpreises haben ein entscheidendes Stadium erreicht. Man erwartet von dir, dass du mit einem niedrigeren Angebot Entgegenkommen zeigst.“
„Dann hat man sich eben getäuscht.“
Rachid schluckte. „Es ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt für einen Rückzug, auf dem Gipfel der …“
„Irrtum, Bruder“, schnitt Zafid ihm das Wort mit einem kühlen Lächeln ab. „Es ist sogar der denkbar beste Zeitpunkt.“
„Sie werden ihr Öl woanders kaufen.“
„Das werden sie nicht.“
„Woher willst du das wissen, Zafid?“, fragte Rachid. „Wie kannst du dir so sicher sein? Warum zweifelst du nie an deinen Entscheidungen?“ In den leidenschaftlich hervorgestoßenen Worten stritten Bewunderung und Frustration miteinander. Während sie Seite an Seite zu den Stallungen schlenderten, musterte Rachid seinen älteren Bruder mit widerwilligem Respekt. „Ich wünschte, ich wäre ebenso undurchschaubar wie du“, bekannte er offenherzig. „Du zeigst nie irgendwelche Emotionen.“
Da genau in diesem Moment das ärgerliche Wiehern seines Hengstes an Zafids Ohr drang, wechselte er spontan die Laufrichtung. „Was man von meinem Pferd nicht behaupten kann“, murmelte er, dankbar für die Ablenkung. „Der Bursche lässt seinen Emotionen ungehindert freien Lauf.“
„Kein Wunder, dass jeder eine Heidenangst vor dem Vieh hat“, erwiderte Rachid und schloss sich selbst dabei nicht aus.
Zafid beobachtete mit schmalen Augen, wie sein Oberstallmeister das halbwilde, prachtvolle Tier auf den Hof hinausführte. Als er sah, wie der Hengst nervös mit den Ohren spielte, seufzte er unterdrückt. „Sieht aus, als würde Batal die Pause mindestens so sehr brauchen wie ich.“ Ohne zu zögern, lief er auf das tänzelnde Tier zu, während sein Bruder ihm im sicheren Abstand folgte.
„Hast du eigentlich vor gar nichts Angst?“, fragte Rachid. „Gab es nie eine Zeit, in der du dich gefühlt hast wie … ich?“
Während Zafid sich bemühte, ernsthaft darüber nachzudenken, verzog sich sein Mund zu einem grimmigen Lächeln. Was sollte er seinem jüngeren Bruder antworten? Dass er seine gesamte Kindheit als eine Art Trainingscamp erlebt hatte, in dem er darauf gedrillt worden war, Begriffe wie Pflicht und Verantwortung anstelle von Gefühl an oberste Stelle zu setzen?
„Selbstvertrauen wächst mit zunehmender Erfahrung“, antwortete er. „Und ich habe inzwischen eine Menge Erfahrung.“ Damit wandte er sich dem Hengst zu, den der Oberstallmeister kaum noch bändigen konnte. „Lass ihn los“, befahl er mit veränderter Stimme.
Nach kurzem Zögern gehorchte der Mann und sprang sofort zur Seite, um sich in Sicherheit zu bringen. Blitzschnell war Zafid an Batals Seite und legte eine Hand auf den Hals des Tieres. Der Hengst schauderte und beruhigte sich sofort.
„Pferde und Frauen!“ Rachid grinste anerkennend. „Wie machst du das nur?“
Zafid ignorierte die Frage und schwang sich mit einem eleganten Satz auf den Rücken des Hengstes. „In wenigen Tagen bin ich zurück. Und, Rachid …“, seine Hände schlossen sich um die Zügel, „… dies ist die beste Gelegenheit für dich, deine eigenen Erfahrungen zu sammeln. Sei klug und nutze die Gelegenheit. Aber fang nicht gleich einen Krieg an …“
Ohne seinem Bruder Zeit für eine Antwort zu lassen, erlaubte Zafid dem vor Anspannung zitternden Tier endlich, seinem Temperament freien Lauf zu lassen. Nachlässig ließ er die Zügel schleifen, während der Hengst wie ein geölter Blitz durch das weit offene Tor stob, das vom Palastgrund direkt in die offene Wüste führte. Als Batal beim Galoppieren mehrfach buckelte, blieb sein Reiter wie angewachsen im Sattel sitzen und lachte befreit auf.
„Du bist offensichtlich ebenso begierig darauf, die Zivilisation hinter dir zu lassen wie ich, alter Bursche“, murmelte er und gab sich ganz dem Adrenalinschub hin, der seine breite Brust zu sprengen drohte.
Die Wüste lag karg und offen vor ihm. Sie war seine Zufluchtsstätte vor den mörderischen Anforderungen, die untrennbar mit seiner Stellung als Herrscher eines immens reichen Scheichtums verbunden waren. Ganz zu schweigen von dem ewig währenden Druck der Verantwortung für seine jüngeren Geschwister, der ebenfalls auf ihm lastete. Und je älter sie wurden, desto mehr schienen sie seiner Fürsorge und Leitung zu bedürfen.
Nach elf kräftezehrenden Monaten voller Regierungsverantwortung und Familienpflichten konnte er das einengende Leben als Scheich endlich hinter sich lassen, um von Herzen und mit allen Sinnen seine jährliche Auszeit zu genießen.
Keine Probleme. Kein Druck. Keine Verantwortung für irgendjemanden oder irgendetwas!
Nur die Wüste, Batal und er.
Hitze, Durst, Sand … Hitze, Durst, Sand …
Müsste sie nicht längst angekommen sein?
Bella ritt Stunde um Stunde, doch alles sah gleich aus. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Ihr Mund war trockener als die verdammte Wüste selbst, ihr Kopf schmerzte wie verrückt, und die Augen brannten geradezu höllisch!
Benommen blinzelte sie gegen die sengende Sonne an. Wann immer sie versuchte, sich auf einen festen Punkt zu konzentrieren, schien er sich in der brütenden Hitze aufzulösen. Was sie unbedingt brauchte, war eine Oase mit Schatten spendenden Palmen, kühlem Wasser und irgendetwas, das ihr frische Kräfte verlieh.