Beneath Cursed Stars 1: Beneath Cursed Stars - Lexi Ryan - E-Book

Beneath Cursed Stars 1: Beneath Cursed Stars E-Book

Lexi Ryan

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Beschreibung

Wenn der Krieg vorüber ist, bleibt dir nur noch der Kampf gegen deine eigenen Dämonen ...  Prinzessin Jasalyn hütet ein Geheimnis: bewaffnet mit dem Kuss des Todes macht sie nachts Jagd auf ihre Feinde. Als Gerüchte aufkommen, der böse Fae-König Mordeus sei von den Toten auferstanden, will Jasalyn ihn mit Hilfe der Gestaltwandlerin Felicity endgültig vernichten. Während Jasalyn sich dafür mit dem charmanten, aber undurchsichtigen Kendrick zusammentut, versucht Felicity, dem König der Wilden Fae Misha näherzukommen. Schon bald sind nicht nur die Missionen beider Mädchen in Gefahr, sondern auch ihre Herzen. Inmitten gefährlicher Aufgaben, dunkler Geheimnisse und verbotener Gefühle müssen Jasalyn und Felicity feststellen, dass ihre Leben womöglich tatsächlich unter einem schlechten Stern stehen.  Kehre zurück in die magische Welt des Spiegel-Bestsellers Court of Sun!  Im ersten Band des zweiteiligen Spin-Offs kämpfen gleich zwei junge Frauen mit ihrem Schicksal - gefangen zwischen Liebe und Hass, Vertrauen und Verrat, Menschen und Fae.

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Lexi Ryan: Beneath Cursed Stars

 

Wenn der Krieg vorüber ist, bleibt dir nur noch der Kampf gegen deine eigenen Dämonen …

Prinzessin Jasalyn hütet ein Geheimnis: bewaffnet mit dem Kuss des Todes macht sie nachts Jagd auf ihre Feinde. Als Gerüchte aufkommen, der böse Fae-König Mordeus sei von den Toten auferstanden, will Jasalyn ihn mit Hilfe der Gestaltwandlerin Felicity endgültig vernichten. Während Jasalyn sich dafür mit dem charmanten, aber undurchsichtigen Kendrick zusammentut, versucht Felicity, dem König der Wilden Fae Misha näherzukommen. Schon bald sind nicht nur die Missionen beider Mädchen in Gefahr, sondern auch ihre Herzen. Inmitten gefährlicher Aufgaben, dunkler Geheimnisse und verbotener Gefühle müssen Jasalyn und Felicity feststellen, dass ihre Leben womöglich tatsächlich unter einem schlechten Stern stehen.

Kehre zurück in die magische Welt des Spiegel-Bestsellers Court of Sun!

Im ersten Band des zweiteiligen Spin-Offs kämpfen gleich zwei junge Frauen mit ihrem Schicksal - gefangen zwischen Liebe und Hass, Vertrauen und Verrat, Menschen und Fae.

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Für Heather, die nur mir zuliebe meine Lieblingsbücher gelesen und mich immer wieder mit ihren Forderungen nach Spoilern entsetzt hat. Wir vermissen dich. Ich würde dir alles spoilern, was du willst, wenn wir dafür noch ein einziges Mal gemeinsam am Familientisch zu Abend essen könnten.

KAPITEL

1

JASALYN

Als ich den Fae finde, den ich heute Nacht töten werde, ist er betrunken. Er hat sich im hinteren Bereich einer überfüllten Untergrund-Schenke auf ein altmodisches Sofa gefläzt, seine spitzen Ohren schauen aus einem wirren Schopf aschblonder Locken hervor.

Ich schlängele mich durch die Menge und setze mich auf seinen Schoß, als wären wir alte Freunde.

»Hallo, meine Schöne«, nuschelt er, den Kopf zur Seite geneigt. Sein Lächeln ist so träge wie seine Aussprache.

Unerwartet durchfährt ein Stich der Enttäuschung mein ansonsten so taubes Herz. Wie schade – dass er betrunken ist. Ihn in diesem benebelten Zustand zu töten wird mir nicht das ersehnte Triumphgefühl verschaffen. Fast bin ich versucht, meine Rache zu verschieben, aber ich will nicht riskieren, meine Chance zu verpassen.

Ich ziehe seinen Kopf zu mir hinunter und denke an all die Beleidigungen, die er mir einst aus seinem viel zu hübschen Fae-Mund entgegengeschleudert hat. »Ich habe nach dir gesucht, Vahmer.«

»Seid Ihr ein Traum, oder gibt es Euch wirklich?«, fragt er. Sein Blick hängt wie gebannt an meinen Lippen.

Ich schenke ihm mein bösartigstes Lächeln. »Was glaubst du?«

»Ich glaube, wenn das ein Traum ist, will ich nicht aufwachen.«

Ich lege eine Hand an seinen Kiefer und streiche ihm mit dem Daumen über die Wange. »Keine Sorge«, hauche ich. »Das wirst du auch nicht.«

Vor gerade einmal drei Jahren genossen die Fae in dieser Schenke – die grausamsten, gierigsten Bürger des Unseelie-Reichs – noch ihren unter Mordeus’ Herrschaft unredlich erworbenen Wohlstand. Als meine Schwester nach seinem Tod den Thron bestieg, flüchteten sie wie Ratten von einem sinkenden Schiff und verkrochen sich in ihren Löchern, wo sie ihren Reichtum horteten und Pläne schmiedeten, die rechtmäßige Königin zu stürzen.

Hier, in den tiefsten Höhlen der dunkelsten Berge, leben sie jetzt selbst wie Könige. Und schmeißen Partys, bei denen jedwede Grausamkeit nur ihrem eigenen Vergnügen dient.

»Sagt mir, was Ihr wollt«, fleht er, den Blick immer noch auf meine Lippen gerichtet. »Alles, was ich besitze, gehört Euch. Und was ich nicht habe, beschaffe ich Euch.«

So süße Worte aus dem Mund, mit dem er in mein Trinkwasser gespuckt hat, nur um mich zum Weinen zu bringen. So ein hungriger Blick aus Augen, die amüsiert gefunkelt haben, als meine Zellengenossin mit einem Messer blutige Bilder in mein Fleisch ritzte.

Ohne den Mondsteinring an meinem Finger könnte ich seine Nähe keine Sekunde lang ertragen, aber dieser Ring verzaubert mich mindestens genauso sehr wie diejenigen in meiner Nähe.

Ich erhebe mich von seinem Schoß und weiche zurück. »Ich will nur eins von dir, und zwar, dass du mit mir kommst.«

Er folgt mir, und die anderen Gäste beobachten uns verzückt – sie würden um ihr Leben gern den Platz mit ihm tauschen.

Wie jedes Mal, wenn ich meine Feinde aufsuche, sind meine Lippen blutrot. Ich habe sie geschminkt, bevor ich meine Gemächer verließ – um mich daran zu erinnern, welch tödliche Macht in ihnen steckt. Aber weder mein Umhang noch mein Make-up verbergen, wer ich bin. Das ist auch nicht nötig. Der magische Ring an meinem Finger verzaubert alle um mich herum. Sie werden mich nicht erkennen. Sie sind viel zu benebelt, um sich zu fragen, warum mein Gesicht ihnen bekannt vorkommt.

»Nehmt lieber mich mit«, blafft ein muskulöser Zwerg. »Was er Euch geben kann, ist wertlos.«

Eine schöne weißhaarige Fae streckt ihre zarte, blasse Hand nach mir aus. »Nein, nehmt mich.«

Die Menge schiebt sich auf uns zu.

Sie werden mich nicht berühren. Sie sehnen sich danach, aber ohne einen Befehl von mir werden sie es niemals wagen.

»Ihr bleibt alle hier«, sage ich zuckersüß. »Ich komme später wieder.« Es wäre so leicht, ihren Wein zu vergiften und ihnen zu befehlen, zu trinken. Kurz gerate ich in Versuchung, aber ich habe diese Fae noch nie zuvor gesehen. Ich weiß nicht, welche Gräueltaten sie begangen haben. Alle hier Anwesenden haben sich zweifelsohne zahlloser Verbrechen schuldig gemacht, aber selbst mit diesem kalten Herzen werde ich sie nicht grundlos hinrichten. Denn ich bin anders als sie.

Ich führe meinen Gefangenen die Treppe hinauf, bis wir draußen auf der regennassen Straße stehen. Die Luft ist kühl heute Nacht und kündigt vom nahenden Wintereinbruch. Ich sehne mich nach dem Winter. Sehne mich nach der bitteren Kälte. Dem Eis. Der Taubheit, die in meine Finger und Zehen kriecht.

In diesem Winter werde ich dank des Rings an meinem Finger ein Herz haben, das zu dieser Kälte passt.

»Ich bin sehr stark«, säuselt mein neuestes Opfer mir zu. »Stark und wichtig. Ich könnte mich gut um Euch kümmern.«

Ich wirbele zu ihm herum. »Um Crissa hast du dich nicht gekümmert, als sie in Mordeus’ Kerker gefangen war.« Ich starre ihn kalt an und verziehe verächtlich den Mund. »Du hast ihr wehgetan.«

»Wer ist Crissa?«

Natürlich erinnert er sich nicht an sie. Menschen sind den Fae vollkommen gleichgültig. »Sie war das Mädchen, mit dem ich mir die Zelle geteilt habe.«

»Warum liegt Euch so viel an einem Menschenmädchen?« Er fragt das in einem Tonfall, als versuche er zu verstehen, warum mir etwas an einem Stück Abfall liegt.

Wir alle waren nur billiges Spielzeug für ihn, und Crissa mit seiner Magie dazu zu bringen, mir gegen ihren Willen ins Fleisch zu schneiden, nur ein Spielchen. »Sie war meine Freundin.«

Er schüttelt den Kopf. »In dem Kerker gab es so viele Gefangene. Wenn ich gewusst hätte, dass sie Eure Freundin ist, hätte ich ihr niemals etwas angetan.«

»Du hast ihr aber etwas angetan. Du hast sie zum Weinen gebracht und dann hast du sie mitgenommen.«

Er runzelt die Stirn und seine Unterlippe beginnt zu zittern. »Ich habe nur meine Arbeit gemacht. Wenn ich gewusst hätte, dass Euch etwas an ihrer Sicherheit liegt, hätte ich sie niemals dem König übergeben. Er hätte mich dafür zwar bestraft, aber für Euch würde ich jede Strafe auf mich nehmen.«

»Wohin hat Mordeus sie gebracht? Hat er sie getötet?« Sie hatte mir versichert, dass er das nicht tun würde. Mir gesagt, sie sei lebendig wertvoller für ihn als tot. Sie war sich so sicher, dass jemand sie retten würde. »Ich muss herausfinden, ob sie noch am Leben ist und wo ich sie finden kann.« Der grünäugige Fae vor mir ist nicht der erste Kerkerwächter, den ich aufgespürt habe, seit ich diesen Ring besitze, und er wird weder der Erste noch der Letzte sein, an dem ich Rache nehme. Aber er ist derjenige, der meine Freundin fortgebracht hat. Er ist der Einzige, der mir sagen kann, wo sie ist.

»Ich habe sie zum König gebracht. Vielleicht kann er Euch ja sagen, wo sie ist.«

»Der König ist tot«, sage ich mit gerunzelter Stirn. Meine Schwester hat ihn mit eigenen Händen getötet, nachdem sie mich aus seinem Kerker befreit hatte.

Seine Augen leuchten auf. »Ihr wisst es nicht! Unser König lebt! Die Götter haben unser Flehen erhört und ihn uns zurückgegeben!«

»Unmöglich!« Meine Stimme zerschneidet die stille Nacht.

»Es ist möglich. Mordeus war weise und auf alle Eventualitäten vorbereitet. Wir hätten niemals an ihm zweifeln dürfen.«

Die Angst bohrt sich wie ein Meißel in mein gefrorenes Herz.

Ich ringe meine Gefühle nieder und schließe sie wieder dort ein, wo sie hingehören.

Der Fae will nach mir greifen, hält aber inne. Seine Hand schwebt über meiner Schulter. »Seid Ihr wütend auf mich?«

»Das bin ich. Du bist der Grund, dass meine Freundin im Dunkeln geweint und gezittert hat. Und du bist der Grund, dass ich sie verloren habe.«

Sein Gesicht verzerrt sich. »Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Das wusste ich nicht«, schluchzt er, und Tränen rinnen ihm aus den Augenwinkeln.

Ich wünschte, ich hätte ihn damals im Kerker so sehen können – winselnd und bettelnd. Meine Verachtung verletzt ihn. Solange ich diesen Ring trage, würde er alles tun, um meine Gunst nicht zu verlieren.

»Sagt mir, was Ihr von mir wollt«, fleht er. »Ich tue alles.«

Es wird allmählich spät. Viel zu bald wird die Sonne aufgehen, und meine Schwester wird nach mir suchen – nach dem schwachen, verängstigten kleinen Mädchen, das ihrer Ansicht nach in dieser Haut steckt. Also mache ich die Sache kürzer, als mir eigentlich lieb ist. Ich klimpere mit den Wimpern und vergrabe die Hand im Stoff seiner Tunika.

Dann verziehe ich den Mund zu einem Lächeln und sehe seinen Kummer dahinschmelzen. Mein Lächeln macht ihn glücklich. Es lässt ihn glauben, dass er irgendetwas richtig gemacht hat.

»Ich will nur eins von dir«, sage ich und lehne mich zu ihm vor.

»Es ist Euer«, haucht er. Atemlos wartet er auf meine Befehle. »Was immer es auch ist.«

»Einen Kuss.«

»Danke.« Er atmet auf – erleichtert, glückselig. Ich habe ihm die Erlaubnis erteilt, sich das zu nehmen, was er sich seit dem Augenblick wünscht, in dem er mich zum ersten Mal gesehen hat.

Jetzt ist die Zeit für die wahre Magie des Rings gekommen. Der Moment, in dem diese roten Lippen seine berühren.

Sein Atem stockt. Er reißt entsetzt den Mund auf, und das Leben schwindet aus seinen Augen. Er sackt an mir zusammen – der Tod, der sich schwer an mich lehnt. Jetzt ist mein Lächeln aufrichtig. Er kann nicht länger Schwächere quälen und sich an ihrem Schmerz ergötzen.

Als ich seine Tunika loslasse, fällt sein lebloser Körper zu Boden.

Ich schneide ihm mit meinem Dolch eine Handvoll Locken ab und verschwinde so leise, wie ich gekommen bin. Die Fae in der Schenke werden sich nicht an meinen Besuch erinnern und die Frau mit dem kastanienbraunen Haar und dem Gesicht der Schattenprinzessin vollkommen vergessen.

***

Meine Gemächer sind gegen Kobolde abgeschirmt, also lasse ich mich von Gommid ans hinterste Ende des Palastgeländes bringen, wo sich nie jemand hinverirrt. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, aber die Wege, die den Palast umgeben, werden von Fackeln beleuchtet, die das pickelige Gesicht meines Begleiters erhellen.

Gommid ist zwei Köpfe kleiner als ich, mit einem Schmerbauch, einer knolligen Nase und einer Zunge, die ihm ständig aus dem mit spitzen Zähnen bewehrten Mund hängt. Er beäugt meinen Zauberring und schüttelt den Kopf. »Vielleicht solltest du lernen, dich auch ohne diese böse Krücke deinen Feinden zu stellen«, sagt er.

Ich ignoriere ihn. Ich weiß nicht, warum der Ring bei Kobolden nicht wirkt, aber ich kenne Gommid gut genug, um zu wissen, dass meine Geheimnisse bei ihm sicher aufgehoben sind, also ist es mir auch egal.

Ich greife in meine Tasche und hole die Handvoll Locken meines Opfers hervor – Gommids Lohn –, halte sie aber noch außerhalb seiner Reichweite. »Ein Fae, mit dem ich heute Nacht gesprochen habe, sagte, Mordeus sei zurück. Hat er die Wahrheit gesagt?«

»Du willst wissen, ob der Fae, den du getötet hast, eine ehrliche Haut war?« Er schnüffelt und leckt sich mit der Spitze seiner langen Zunge über die Nase.

Es sollte mich nicht überraschen, dass er weiß, was ich heute Nacht getan habe. Kobolde sind die Hüter der Geheimnisse dieser Welt, und sie wissen immer mehr, als sie preisgeben. Meine Schwester hat mir gesagt, ihr Wissen sei kollektiv. Was ein Kobold weiß, wissen alle. Sie wollte mich damit nicht warnen, sondern mir nur mitteilen, dass sie eine nützliche Ressource sein können, aber ich habe mich schon immer gefragt, was sie mit all diesem Wissen anstellen. Niemand weiß wirklich, wem die Loyalität der Kobolde gilt.

»Ist es nun wahr oder nicht?«, frage ich achselzuckend.

»Deine Schwester sitzt sicher auf ihrem Thron, fürchte dich nicht.«

Ich starre ihn an. »Ich habe keine Angst.«

»Ach ja? Trägst du deshalb diesen Ring und jagst unter dem Mantel der Nacht deine Feinde? Muss ich dich noch mal warnen? Du musst du selbst bleiben und darfst nicht dauerhaft zur Bezaubernden Lady werden, sonst übernimmt sie die Kontrolle über dich.«

Ich gehe einen Schritt zurück, in Richtung Palast. »Ich habe keine Lust, mir von einer Kreatur Vorträge anzuhören, die sich ihre Dienste mit Fingernägeln und Haarsträhnen bezahlen lässt.«

Grunzend reißt er mir das Haarbüschel aus der Hand und verschwindet.

Ich mache mir nicht die Mühe, mich in den Mitternachtspalast zu schleichen. Solange ich den Ring trage, ist das völlig unnötig. Ich gehe einfach durch das hintere Tor vom Garten in den Ostflügel, wo die Bediensteten bereits mit den Vorbereitungen für den Tag begonnen haben. Ich spüre ihre Blicke auf mir, als ich durch die Küche schlendere und die schmale Dienstbotentreppe hinaufsteige.

»Du würdest mir damit einen großen Gefallen tun.«

Ich bleibe stehen, als ich aus einem der kleinen Konferenzräume im zweiten Stock die Stimme meiner Schwester vernehme.

»Das ist doch selbstverständlich«, erwidert eine vertraute männliche Stimme.

Ich überquere den Treppenabsatz und stelle mich dicht hinter die angelehnte Tür. Durch den schmalen Spalt kann ich den dunklen Schopf des Königs der Wilden Fae erkennen. Er sitzt mit dem Rücken zu mir an einem rechteckigen Holztisch. Meine Schwester geht unruhig im Zimmer auf und ab, ihre feuerrote Lockenmähne wallt ihr über den Rücken.

»Du läufst noch einen Graben in den Boden, wenn du so weitermachst«, sagt Misha. »Setz dich und hol mal tief Luft.«

Sie wirbelt zu ihm herum und ich weiche zurück – nur für den Fall, dass ihr Blick in Richtung Tür wandert. »Ich kann mich nicht auf meine Pflichten konzentrieren, solange ich mir derartige Sorgen um meine Schwester mache.«

Ich zucke zusammen. Sie macht sich ständig Sorgen um mich, und ich hasse es. Ich hasse es, dass ich ihr in ihrem kurzen Leben schon so viel Schmerz und Trauer bereitet habe.

»Es ist jetzt drei Jahre her.« Die Verzweiflung lässt die Worte aus ihrem Mund sprudeln. »Aber in ihren Augen sehe ich noch dasselbe Entsetzen wie direkt nach ihrer Befreiung aus Mordeus’ Kerker.«

»Deine Schwester ist in meinem Reich immer willkommen«, sagt Misha. »Sie kann so lange bleiben, wie sie möchte.«

Ich soll im Land der Wilden Fae bleiben? Will meine Schwester mich etwa fortschicken?

Brie verschränkt die Arme. »Sie wird überhaupt nicht bleiben wollen. Sie will nichts anderes als in ihrem Zimmer sitzen, schlafen, sich verstecken und so tun, als würde sie nicht in ein paar Monaten selbst zur Fae werden.«

Eine goldbraune Hand streckt sich nach ihr aus und mir wird klar, dass der Partner meiner Schwester, Prinzgemahl Finnian, an dem Ende des Tisches sitzen muss, das ich nicht sehen kann. Er streicht ihr sanft übers Handgelenk. Meine Schwester schaut ihn an und nickt. Sie beruhigt sich sichtlich. Finn gibt ihr Stabilität, bringt ihr Trost und Frieden und leiht ihr, wenn es nötig ist, seine eigene Kraft. Dafür liebe ich ihn. Obwohl er ein Fae ist.

»Sie muss erst einwilligen«, sagt Misha. »Ich habe kein Interesse daran, sie gefangen zu halten.«

»Das wird sie«, sagt Finn. »Wenn Brie ihr klarmacht, dass sie darauf besteht.«

»Sie wird dir deutlich zu verstehen geben, dass sie nur ungern dort ist«, fügt Brie hinzu. »Aber ich glaube, es könnte dir gelingen, sie umzustimmen.« Sie lächelt schwach. »So wie auch bei mir vor nicht allzu langer Zeit.«

»Ich werde mein Bestes geben, aber du kennst deine Schwester. Sie ist nicht gerade … offen für Freundschaften. Aber ich werde es versuchen.«

»Ich fürchte, ich muss dich um mehr als nur deine Freundschaft bitten, Misha. Ich will, dass du ihr eine Aufgabe gibst. Sonst wird sie auf Castle Craige auch nichts anderes tun als hier in den vergangenen drei Jahren.«

Misha lehnt sich in seinem Sessel zurück. »Und wieso glaubst du, dass ich mehr Erfolg damit haben werde, sie ins Leben zurückzuholen, als du?«

Brie zieht eine Grimasse. »Sie ist zu sanftmütig, um dich abzuweisen.«

Sanftmütig. Ich kann nur mit Mühe ein höhnisches Schnauben unterdrücken. Ich habe gerade mitangesehen, wie das Leben aus den Augen eines Fae entwichen ist, und es war der absolute Höhepunkt meiner Woche. Dass sie mich für sanftmütig halten, beweist eindeutig, wie schlecht sie mich kennen.

»Woran hast du gedacht?«, fragt Misha.

»Das überlasse ich dir. Lass sie am täglichen Regierungsgeschehen teilhaben. Nimm sie mit, wenn du verreist. Bring sie nach draußen. Tu irgendetwas.«

»Glaubst du nicht, dass es sicherer wäre, wenn sie sich hier weiterhin in ihren Gemächern einschließt?«

»Falls die Gerüchte sich überhaupt bewahrheiten sollten«, erwidert Brie, »wird Mordeus vermutlich im Unseelie-Reich untertauchen, um seine Anhänger zu versammeln und Kraft aus dem Land zu schöpfen. Er kennt diesen Hof und diesen Palast so gut wie kein anderer, und er weiß nur zu genau, was ich tun würde, um Jasalyn zu beschützen. Ich werde nicht riskieren, dass sie noch einmal meinetwegen verletzt wird. Aber ich darf auch diesen Hof nicht in Gefahr bringen, wenn es zum Schlimmsten kommt und sie Mordeus noch einmal in die Hände fällt.«

Mordeus? Bin ich die Letzte, die von diesen Gerüchten erfährt?

Ich muss ein Geräusch gemacht haben, denn Brie und Misha drehen sich abrupt zu mir um.

»Jas!«, quietscht meine Schwester, läuft um den Tisch herum, reißt die Tür auf und begrüßt mich. Ihre blassen Wangen röten sich, als sie mich sieht. »Warum bist du nicht im Bett?«

Ich streiche mit dem Daumen über den Ring, der immer noch an meinem Mittelfinger steckt – als Versicherung, dass niemand von ihnen sich an dieses Gespräch erinnern wird. »Ich konnte nicht schlafen.«

»Ich lasse deine Zofe rufen. Sie wird dir noch etwas Schlaf–«

»Bitte nicht. Ist Mordeus zurück?«

»Bisher sind es nur Gerüchte«, sagt Misha. Er steht auf und kommt auf uns zu. »Du siehst umwerfend aus«, haucht er und lässt seinen Blick über mein Gesicht schweifen. »Darf ich mich erdreisten, dich auf einen kleinen Spaziergang einzuladen?«

Brie schaut ihn verdutzt an. »Ich unterhalte mich gerade mit ihr.«

Ich verdrehe die Augen. Dieser Ring ist sehr effektiv, aber manchmal ist das Ergebnis … völlig absurd. »Konzentriert euch«, befehle ich. »Sagt mir, was ihr über Mordeus wisst.«

Brie schaut zu Misha und Finn, der aufgestanden ist und nun ebenfalls näher kommen will, aber beide stehen unter dem Zauber meines Rings und sind ihr keine Hilfe. Sie seufzt. »Meinen Quellen zufolge gibt es unter seinen Anhängern Gerede über seine Rückkehr – angeblich eine Wiedergeburt«, sagt sie. »Wir haben Spione im Einsatz, die Näheres herausfinden sollen, aber ich will nicht, dass du dir deswegen Sorgen machst.«

Ich lege den Kopf schief und begutachte sie. Sie wirkt vollkommen normal. Beinahe so, als hätte der Ring keinen Einfluss auf sie. Doch in diesem Moment habe ich keine Zeit, mich zu fragen, was das bedeuten könnte. Finn kommt auf uns zu, und als ich in seine Silberaugen blicke, schaudere ich vor Abscheu.

Ich verlagere meinen Blick auf seine dunklen Locken, die so anders sind als das glatte, silbergesträhnte Haar seines grausamen Onkels Mordeus.

Finn deutet auf seinen Stuhl. »Komm, setz dich. Ich hole dir eine Tasse Tee.«

»Nein, danke«, lehne ich ab. »Ich bin müde und will zurück ins Bett.«

»Ich begleite dich«, sagt Misha mit funkelnden Augen. »Nur um sicherzugehen, dass in deinem Zimmer alles so ist, wie es dir gefällt.«

»Bleibt hier und setzt euer Gespräch fort«, sage ich und gehe in Richtung Treppenhaus. »Ihr habt mich nie gesehen.«

Ich wende mich von der unschuldigen Anbetung auf ihren Gesichtern ab und laufe rasch zur Treppe. Hinter mir höre ich meine Schwester fragen: »Was ist denn los mit euch beiden?«

Grinsend kehre ich in meine Gemächer zurück.

Der Wächter, der vor meiner Tür steht, strahlt, als er mich erblickt. Seine Augen sind weit aufgerissen und er grinst bis über beide Ohren.

»Was kann ich für Euch tun, Mylady?«, fragt er. Dryus ist ein entfernter Cousin von Finn und hat dieselben silbernen Augen, goldbraune Haut und dunkles Haar. Er ist jung und freundlich, und er war in den drei Jahren, die er mich schon beschützt, immer nur gut zu mir. Aber seine spitzen Fae-Ohren erinnern mich daran, dass ich ihm nicht trauen kann. Abgesehen von meiner ehemals menschlichen Schwester kann ich keinem Fae vertrauen. Ich war ein dummes kleines Mädchen, als ich noch etwas anderes glaubte.

Ich schaue ihn abschätzend an. »Bist du es nicht allmählich leid, den Babysitter für ein Menschenmädchen zu spielen?«, frage ich.

»Diese Aufgabe ist sowohl lästig als auch ein großes Privileg, Mylady. Aber wie geht es Euch? Seid Ihr müde? Kann ich Euch irgendwie behilflich sein?«

Ich seufze. Seine Ehrlichkeit ist langweilig. Ich hatte mir einen Beweis dafür erhofft, dass sich hinter seinem hübschen Gesicht ein hässlicher Charakter verbirgt. Vielleicht ist der Ring der Grund, dass ich mir einen Anlass wünsche, ihn zu hassen. »Vergiss nicht, dass die Prinzessin die ganze Nacht in ihrem Zimmer war. Sie hat stundenlang gelesen, weil sie nicht einschlafen konnte.«

»Natürlich, Mylady.«

Ich umrunde ihn und gehe in mein Zimmer, hänge meinen Umhang auf und ziehe mein Kleid aus. Dann schlüpfe ich in das Nachthemd, das meine Zofe mir vor acht Stunden bereitgelegt hat. Es kommt mir vor, als wäre das eine Ewigkeit her.

Mordeus ist zurück.

Ich starre auf meinen Zauberring, auf den glatten Mondstein, der von zwei silbernen Sichelmonden eingerahmt wird. Es ist höchste Zeit, ihn abzulegen, doch ich habe Angst vor der brutalen Menschlichkeit, die mich dann überfallen wird. Aber vielleicht ist es ja dieses Mal anders. Vielleicht kann ich den Schmerz mit derselben Technik blockieren, mit der man mir beigebracht hat, Fae daran zu hindern, in meine Gedanken einzudringen.

Kaum dass ich den silbernen Ring abgelegt habe, durchströmt mich der Schrecken wie eine Flutwelle und ich sacke auf dem Bett zusammen.

Mordeus ist zurück. Mordeus will einen Weg finden, meine Schwester zu vernichten.

Wahrscheinlich sollte ich mir auch Sorgen darüber machen, was er sonst noch will – darüber, dass er sich den Thron zurückholen und dieses Königreich regieren will, aber das tue ich nicht. Damit will ich nichts zu tun haben, zur Hölle mit königlichem Fae-Blut und dem Schicksal.

Ich schiebe mich zu meinem Kissen hoch und vergrabe mein Gesicht darin, um mein Schluchzen zu ersticken. Ich nenne einen ganzen Palastflügel mein Eigen, aber Privatsphäre habe ich keine. Neben dem Wächter vor meiner Tür stehen zwei weitere oben an der Haupttreppe und ein dritter an dem Dienstbotenaufgang. Wenn sie mich weinen hören, wird meine Schwester noch vor dem Morgengrauen davon erfahren.

Ich umklammere den Ring so fest, dass er in meine Handfläche schneidet. Wie gerne würde ich ihn wieder überstreifen. Er würde den Schmerz in meiner Brust lindern – ihn zu Eis erstarren lassen, mein Herz betäuben und meine Wut dämpfen. Er würde den Albtraum, den ich gerade durchlebe, in einen Racheplan verwandeln.

Ich könnte es tun. Ich könnte ihn anstecken und an den Wachen vorbeischlüpfen, die mich grüßen und sofort wieder vergessen würden. Aber Gommids Warnung schießt mir plötzlich durch den Kopf: »Du musst du selbst bleiben und darfst nicht dauerhaft zur Bezaubernden Lady werden, sonst übernimmt sie die Kontrolle über dich.«

Aber wäre das wirklich so schlimm? Nie wieder so tief zu empfinden? Nie wieder Angst zu haben? Nie wieder so zu leiden? Meine Tage und Nächte damit zu verbringen, die bösartigsten Kreaturen dieses Landes aus dem Weg zu räumen?

Durch das Fenster tastet sich langsam die Morgendämmerung ins Zimmer und erinnert mich daran, dass die Magie meines Rings für die Dunkelheit bestimmt ist und es einen hohen Preis kostet, ihn tagsüber zu benutzen.

Schlaf. Schlaf einfach.

Nachdem ich den Ring in der geheimen Tasche verstaut habe, die ich in die Unterseite meiner Matratze genäht habe, hole ich mir die Kräutertinktur aus dem Medizinschränkchen. Da ich mein Herz nicht betäuben kann, werde ich mich in einen tiefen, traumlosen Schlaf flüchten.

Ich nehme die doppelte Dosis.

KAPITEL

2

JASALYN

»Guten Morgen, du Schlafmütze!«

Die fröhliche Stimme meiner Schwester durchdringt die bleischwere Hülle aus Schlaf, die mich umgibt, und reißt mich mit einem Keuchen aus meinem Albtraum. Einen Augenblick lang erwarte ich, eine dunkle Zelle zu sehen, den Gestank von Urin zu riechen und zu spüren, wie die eisige Kälte des Steinbodens in meine Knochen kriecht.

Aber das Bett ist weich und meine Decken sind warm. Der Tag ist angebrochen, und er hat honigfarbenes Licht mitgebracht, das durch einen Spalt in den Vorhängen fällt.

Die Matratze bewegt sich und ich kann Bries Seife riechen, Zimt und Vanille, kann ihre Wärme spüren. Und ihre Sorge. Ständig diese Sorge.

»Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe«, sagt sie leise und streicht mit den Knöcheln über meine Hand. »Aber ich muss in ein paar Stunden bei einer Sitzung in den nördlichen Bergen sein und wollte vorher noch etwas mit dir besprechen.«

Bevor ich an Mordeus verkauft und aus meiner Heimat, dem Menschenreich Elora, nach Faerie verschleppt wurde, habe ich nie viel Zeit damit verschwendet, mir vorzustellen, wie das Leben einer Fae-Königin wohl aussehen mag, aber ich hätte vermutet, dass es aus Dekadenz und Bällen besteht und … keine Ahnung, daraus, wie eine gnädige Göttin vor ihre Untertanen zu treten. Aber der Erfahrung meiner Schwester in den vergangenen drei Jahren nach zu urteilen, besteht es hauptsächlich aus einer Sitzung nach der anderen. Wenn Brie nicht gerade versucht, die Lords ihres Hofes davon zu überzeugen, sie in ihren Wiederaufbaumaßnahmen zu unterstützen, schlichtet sie kleinliche Streitereien zwischen Schatten-Fae, genau wie eine Schulleiterin, die Kindern die Spielregeln erklärt.

Und als wären die politischen Probleme innerhalb ihres eigenen Königreiches nicht schon aufreibend genug, muss sie außerdem noch die diplomatischen Beziehungen zwischen den Reichen pflegen. Der König der Seelie und der König der Wilden Fae sind zwar ihre persönlichen Freunde, aber die Bewohner der drei Hoheitsgebiete von Faerie sind nicht besonders scharf darauf, ihrem Beispiel zu folgen. Bevor Abriella den Thron bestieg, waren die Seelie und die Unseelie jahrhundertelang verfeindet, und die Wilden Fae waren zwar neutral, wollten aber möglichst wenig mit den anderen zu tun haben.

»Jas?«, sagt Brie und umfasst mein Handgelenk.

Ich zwinge mich, die Augen zu öffnen, bevor ich wieder einschlafe.

Brie trägt ihre Reitkleidung – eine braune Lederhose mit kniehohen Stiefeln, eine Bluse aus weichem, weißem Baumwollstoff und darüber ein Lederwams. Ich bemerke, wie sie die Stirn runzelt, als sie die getrockneten Wachsflecken auf meinem Nachttisch sieht, wo ich jede Nacht Kerzen brennen lasse. Sie weiß, dass ich die Dunkelheit verabscheue, aber ich spreche nicht mit ihr darüber, weil dann diese Sorgenfalte zwischen ihren Augenbrauen erscheint und ihr Blick schuldbewusst wird.

Sie kann nichts dafür, dass unsere Tante mich an einen bösen Fae verkauft hat. Sie kann nichts dafür, dass mich die Dunkelheit an die endlosen Nächte in Mordeus’ Verlies erinnert, und an die schrecklichen Dinge, die ich dort ertragen musste.

Sanft streicht sie mit dem Daumen über die kreisförmige Narbe an meinem Handgelenk. Sie ist etwa pflaumengroß und wulstig wie der Knoten in der Rinde eines alten Baums. Ich hasse den Schmerz und die Sorge, die ihr Gesicht verzerren, wenn sie meine Narben anschaut, und ich entreiße ihr mein Handgelenk und ziehe den Ärmel meines Nachthemds darüber.

»Sind es wieder mehr geworden?«, fragt sie und schaut mich forschend an.

»Keine Ahnung.« Bevor sie auf die Idee kommen kann, selbst nachzusehen, ziehe ich mir die Decke bis unters Kinn hoch und klemme sie mit den Armen fest. Ich habe schon längst mehr Narben am Körper, als sie weiß, obwohl ich vermute, dass meine Kammerzofen ihr von dem Spielbrett aus wulstigem Narbengewebe erzählt haben, das auf meinem Unterleib erschienen ist.

»Wenn Finn und ich das nächste Mal Juliana in Staraelia besuchen, könntest du vielleicht …«

»Ekelt dich mein Aussehen derartig an, dass deine Hohepriesterin mich reparieren muss?«, zische ich.

Sie zuckt zusammen, und ich würde meine Worte am liebsten sofort wieder zurücknehmen. Die Narben erscheinen seit meinem letzten Geburtstag in unregelmäßigen Zeitabständen auf meiner Haut. Als Abriella davon erfuhr, habe ich mich einverstanden erklärt, mich von ihren Ärzten untersuchen zu lassen, aber ihre Salben lassen die Narben nicht verblassen, und sie können ihrer Königin auch nicht erklären, woher diese mysteriöse Entstellung stammt. Doch ich fürchte, die Hohepriesterin mit ihren Zauberkräften könnte meiner Schwester weit mehr verraten, als mir lieb ist.

Abriella ist eine mächtige Königin, aber bei mir verhält sie sich wie ein unsicheres Kind. Und das ist allein meine Schuld. Es ist allein meine Schuld, weil ich kaputt bin. Während das Leben in dieser Welt Brie wachsen und gedeihen lässt, fühle ich mich, als müsste ich versuchen, unter Wasser zu atmen.

Ich will nicht, dass Brie erfährt, dass zwar der Zeitpunkt, an dem diese Narben auftauchen, vom Zufall bestimmt ist, die Stellen, an denen sie mich zeichnen, jedoch nicht. Jede Narbe stammt von einer Wunde, die mir in Mordeus’ Kerker zugefügt wurde.

Ich will nicht, dass sie erfährt, was mir in diesen Wochen widerfahren ist. Was würde das bringen?

Zumindest habe ich jetzt den Ring und kann meine schlaflosen Nächte dazu nutzen, meine Feinde zu jagen. Zumindest kann ich endlich wieder frei atmen, wenn mein Herz kalt wie Eis ist.

Meine Zofe zieht auf der anderen Seite des Zimmers die Vorhänge auf, und die goldenen Sonnenstrahlen werden zu gleißend hellem Tageslicht, das den Raum erfüllt.

Ich blinzele, richte mich auf und lehne mich an das samtene Kopfteil meines Bettes.

»Es ist schon fast Mittag«, sagt meine Schwester. Es liegt keine Kritik in ihrer Stimme, nur Sorge.

»Ich konnte nicht einschlafen.« Das ist eine Lüge. Nach meiner Kräutertinktur bin ich umgehend in tiefen Schlaf gefallen. Wo meine Albträume schon auf mich warteten.

Die Träume, in denen ich meine Zeit in Mordeus’ Verlies noch einmal durchleben muss, sind schrecklich, aber noch viel schlimmer sind die Träume, in denen ich mich in seinem Körper befinde. Mein Geist verdreht meine schrecklichsten Erinnerungen so lange, bis ich unsere »Begegnungen« aus seiner Perspektive sehe. In diesen Träumen muss ich das Entsetzen in meinen eigenen Augen sehen, während er mir jegliche Kontrolle entreißt. Ich muss mitansehen, wie ich mich unter seiner brutalen Folter vor Schmerzen winde. Aber das Schlimmste ist, wie ich mich in diesen Träumen fühle. Wie sehr ich meine Macht genieße. Wie befriedigend es sich anfühlt, mich selbst so leiden zu sehen.

Brie schaut hinab auf ihre Hände. Ihr rotes Haar fällt nach vorn und verbirgt ihr Gesicht wie ein Vorhang. Ich habe ihr Haar schon immer geliebt – es ist so orangerot wie die Lilien am Hof der Sonne. Sie hat es in den letzten Jahren wieder lang wachsen lassen, und jetzt fällt es ihr in weichen Wellen über den Rücken. Früher habe ich mich oft hinter sie gesetzt und es für sie zu Zöpfen geflochten.

Aber das war früher. Vor dem Kerker. Vor dem Schattenthron. Bevor der Mensch, den ich auf der Welt am meisten geliebt habe, zu dem wurde, was ich abgrundtief hasse: einer Fae.

»Weißt du, das ist ganz normal«, sagt Brie. »Übermäßig viel zu schlafen ist ein Symptom von Depressionen und …«

»Ich bin nicht depressiv.«

Sie hebt den Kopf und ich verziehe unwillkürlich das Gesicht, als ich den Schmerz in ihren Augen sehe. »Ich weiß, dass du hier nicht glücklich bist. Du kannst mit mir über alles reden.« Ihre Verzweiflung schmerzt mich mehr als die vielen Dolche, die sich in meiner Zeit als Mordeus’ Gefangene in mein Fleisch gebohrt haben. »Ich kämpfe jeden Tag für das Wohl meiner Untertanen, habe aber ständig das Gefühl, dass ich dabei bin, dich zu verlieren. Ich kann das nicht, wenn du den Preis für ihr Glück zahlst.«

Dann lass es doch. Aber das kann ich nicht verlangen. Sich um die Fae in ihrem Reich zu kümmern bedeutet Brie alles. Wenn es mich nicht gäbe, wäre sie hier glücklicher als jemals zuvor in ihrem Leben.

Und was wäre die Alternative? Brie ändert mithilfe ihrer Magie ihr Aussehen, damit wir wieder nach Hause gehen können? Ich vermisse Elora, das Land, in dem wir geboren und aufgewachsen sind, aber eher so, wie ich die Unschuld meiner Kindheit vermisse. Es gibt kein Zurück, und das wissen wir beide.

»Du hast so vieles ertragen müssen«, sagt sie. »Zwei schreckliche Traumata, über die du niemals sprichst. Wenn du reden willst …«

»Nein danke.« Ich wende den Blick ab und starre auf meinen Schoß. Wann lässt sie mich endlich in Ruhe?

»Du nähst nicht einmal mehr.«

»Fängst du schon wieder damit an? Warum bist du so besessen von meiner Näherei? Du hast doch bestimmt hundert Dienstboten, die das besser können als ich.« Ich schenke ihr ein Lächeln. Weder das verführerische Lächeln der Bezaubernden Lady noch das zufriedene Lächeln, das meinen Mund umspielt, wenn der Tod meine Opfer mit sich nimmt. Nein, sie bekommt mein Prinzessin-Jasalyn-Lächeln. Sanft und furchtsam, aber dankbar. »Mir geht es wirklich gut. Du hast mir hier ein Zuhause gegeben und damit bin ich zufrieden.« Noch eine Lüge. Allmählich werde ich zu gut darin, ihr zu erzählen, was sie hören will.

»Trotzdem möchte ich, dass du eine Zeit lang in Mishas Königreich bleibst.«

Augenblicklich fällt mir die vergangene Nacht wieder ein. Mordeus ist zurück und meine Schwester will mich fortschicken.

Aber das dürfte ich überhaupt nicht wissen, und Brie scheint sich an nichts zu erinnern, also presse ich ein Lachen hervor. »Danke, aber nein danke.« Misha ist der beste Freund meiner Schwester. Für einen Fae ist er ganz nett, aber jedes Mal, wenn er uns besucht, spüre ich, wie er versucht, in meine Gedanken einzudringen. Zum Glück ist er auch derjenige, der mir beigebracht hat, wie ich mich gegen solche mentalen Übergriffe schützen kann. Er hat mich gut trainiert, aber seine Gegenwart macht mich trotzdem immer nervös. Ich habe Angst, meine Schilde könnten versagen. Was würde er tun, wenn er meine Geheimnisse erfährt? Er würde mit Sicherheit meine Schwester informieren, und was dann?

Was würde Abriella tun, wenn sie wüsste, dass ihre verängstigte kleine Schwester in den Bergen eine Spur aus den Leichen ihrer Feinde hinterlässt?

Was würde sie tun, wenn sie wüsste, welchen Preis ich für diese Macht gezahlt habe?

»Das Land der Wilden Fae ist wunderschön«, sagt Brie.

»Das glaube ich gern, aber ich will trotzdem hierbleiben.«

»Du könntest dort ausreiten und dir die Gegend ansehen.«

»Ich kann auch hier ausreiten.«

»Du könntest ganz neu anfangen – weit weg von dem Palast, in dem du so viele Schrecken erlebt hast.« Sie streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, und ich zucke unwillkürlich zurück. Sie reißt ihre Hand weg, als hätte sie sich verbrannt. »Du könntest neue Freundinnen finden. Neue Erinnerungen schaffen.«

Mein Herz zieht sich zusammen. Sie will nicht bloß, dass ich ihren Freund besuche. Als sie gestern Nacht darüber sprachen, dachte ich, es ginge um ein paar Tage, höchstens eine Woche. »Du willst, dass ich dort lebe?«

»Ich glaube, es würde dir guttun.«

»Ist es so unerträglich für dich?« Die Worte sprudeln aus mir heraus, bevor ich es verhindern kann. »Mich hier zu haben? Zu wissen, dass ich ein bisschen zu kämpfen habe? Ist es so schrecklich, dass du mich fortschicken musst?«

Meine Schwester reißt geschockt ihre schönen haselnussbraunen Augen auf. »Nein!« Vehement schüttelt sie den Kopf, Panik im Gesicht. »Jas, das hast du missverstanden. Ich habe dich unglaublich gern bei mir. So gern, dass ich mich manchmal frage, ob es selbstsüchtig von mir war, dich in diesen Palast zu sperren, obwohl du dich anderswo vielleicht … besser erholen würdest.«

Anderswo. Weiter von meiner Mission entfernt. An einem Ort, an dem ich rund um die Uhr die Schattenprinzessin geben muss. Hier lässt man mich wenigstens in Ruhe. Hier kann ich wenigstens die Fae jagen, die mich verletzt haben, und meinem Leben damit eine Art Sinn geben. »Das werde ich aber nicht, also vergiss es.«

Sie beißt sich auf die Unterlippe. Abriella, die mächtige, gefürchtete Königin der Schatten-Fae, geht wie auf Eierschalen, weil sie ihre kleine Menschenschwester nicht verletzen will. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

»Es gibt noch einen Grund«, sagt sie dann. »Es geschehen seltsame Dinge in diesem Reich. Unerklärliche Todesfälle und Gerüchte, die ich … ernst nehmen muss.«

Mordeus. »Was sind das für Gerüchte?«

»Nicht so wichtig. Mach dir keine Sorgen. Bis ich herausfinde, was hier los ist«, fährt sie fort, »möchte ich dich zu Misha schicken. Um sicherzustellen, dass du nicht in Gefahr schwebst.«

Ich spreche die andere Information an, die ich gestern Abend nicht mitbekommen habe. »Unerklärliche Todesfälle? Das ist doch nichts Neues, oder?« Ich kann mir nicht vorstellen, dass die paar Fae, die ich getötet habe, meine Schwester dermaßen alarmieren – vor allem, da diese scheußlichen Kreaturen ohnehin untergetaucht waren.

»Das hier ist anders. Unzählige tote Fae, ohne offensichtliche Todesursache.«

Mein Puls beginnt zu rasen. »Wo?«

»Überall im Reich«, sagt Abriella düster. »Das geht schon seit Wochen oder sogar Monaten so – ich kann nicht genau sagen, seit wann, weil man mich nicht über jeden Todesfall informiert. Wir wissen noch nicht genug, um ein Muster zu erkennen, aber wir erhalten immer wieder Berichte von ganzen Gruppen toter Fae – manchmal nur ein paar, manchmal ein Dutzend auf einmal. Alles deutet darauf hin, dass sie durch Magie gestorben sind, da die meisten unverletzt sind und vor ihrem Tod keinerlei Anzeichen einer Krankheit aufgewiesen haben. Inzwischen bekomme ich alle paar Tage einen neuen Bericht und die Opferzahlen steigen rapide an.«

»Und du glaubst, dass ich in Gefahr schwebe?«

Mit einem tiefen Seufzer steht Abriella auf und beginnt, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Ich glaube, dass ich mir so lange Sorgen machen werde, bis ich weiß, dass du an einem sicheren Ort bist.«

»Mir passiert schon nichts, Schwesterherz. Ich kann mich verteidigen, habe mentale Schutzschilde und bin gut im Schwertkampf und Bogenschießen. Du hast mich schließlich von den Besten ausbilden lassen.«

»Ich will aber nicht, dass du diese Fähigkeiten einsetzen musst.« Sie schaut aus dem Fenster, aber ihr Blick ist so abwesend, als sähe sie eine ganz andere Zeit und einen anderen Ort vor sich. »Wir hätten nicht so ehrlich mit dem Hof sein dürfen. Wir hätten meine Untertanen glauben lassen sollen, dass Mab dich bereits zur Fae gemacht hat.«

In den ersten Monaten nach Abriellas Thronbesteigung haben sie und ihre Berater wieder und wieder über das »Menschenproblem« diskutiert, wie ich es nannte. Mab hatte Abriella gesagt, dass ich an meinem achtzehnten Geburtstag zur Fae werden würde – also mussten sie entscheiden, ob sie bis dahin so tun sollten, als sei ich bereits Fae, oder ob sie ehrlich sein und damit Abriellas Feinden möglicherweise meinen Schwachpunkt verraten sollten: meine Sterblichkeit.

Niemand hat mich je dazu gedrängt, den Trank des Lebens zu nehmen, der Sterbliche in Fae verwandeln kann. Vielleicht, weil Abriella ihn damals getrunken hat und die Erfahrung so schrecklich war, dass sie mir das nicht zumuten wollte. Vielleicht aber auch, weil sie ahnte, dass mich der Gedanke, zu dem zu werden, was ich am meisten verabscheue, mit Entsetzen erfüllt. Ich habe es nicht hinterfragt, und sie tat es auch nicht.

»Ehrlichkeit erschien mir damals als der beste Einstieg in meine Regierungszeit, aber jetzt frage ich mich, ob ich dich damit zu verwundbar gemacht habe.«

»Ich bin immer im Palast«, wende ich ein. Was beinahe der Wahrheit entspricht. Es sei denn, ich trage meinen Ring, aber dank der Kräfte, die er mit sich bringt, habe ich keine Angst, dass mir etwas passieren könnte, solange er an meinem Finger steckt. »Wo könnte ich sicherer sein?«

Sie verschränkt die Arme. »Du bist in diesem Palast nur sicher, solange unser Feind sich hier nicht genauso gut auskennt wie wir.«

Ich springe aus dem Bett, gehe durchs Zimmer und stelle mich neben sie vor die großen Fenster, die den Mitternachtsgarten des Palasts überblicken. Er ist voller Blumen, die erst im Mondlicht aufblühen und tagsüber recht unscheinbar wirken. Genau wie ich mit meinem Ring und ohne ihn.

»Dich zu Misha zu schicken ist eine reine Vorsichtsmaßnahme«, sagt Brie. »Nur für eine Zeit lang, nicht für immer. Wenn wir herausfinden, was für diese Tode verantwortlich ist, und die Gerüchte überprüft haben …«

»Mordeus?«, frage ich, ohne sie anzusehen.

Sie schweigt lange, bevor sie antwortet. Ich kann ihre Anspannung spüren, ihren Stress. »Man munkelt, er sei wiederauferstanden. Finn und ich besprechen heute mit den Palastwachen zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen an den Türen und Palasttoren. Aber es ist gut möglich, dass an den Gerüchten überhaupt nichts dran ist.«

Mein Kiefer schmerzt. Ich muss mich darauf konzentrieren, ihn zu entspannen, bevor mir ein Zahn abbricht.

»Königin Mab ist wiederauferstanden«, sage ich. Die Wiedererweckung der ersten Unseelie-Königin ist eine Geschichte, die Abriella mir wieder und wieder eingetrichtert hat. In diesem Königreich wird unsere Urururur-wer-weiß-wie-viele-ur-Großmutter wie eine Gottheit verehrt. Ihr Blut ist der Grund dafür, dass Brie auf dem Schattenthron sitzt und ich, obwohl als Mensch geboren, an meinem achtzehnten Geburtstag zur Fae werden muss. Über viele Generationen hinweg wurden die Kinder aus Mabs Blutlinie als Menschen geboren und lebten als solche in Elora, wo niemand von ihrem magischen, königlichen Blut erfuhr – nicht einmal sie selbst. Nur auf diese Weise konnte Mab ihre Nachkommen vor dem Zorn ihrer Feinde schützen, aber offenbar hatte diese Gnade mit unserer Generation ein Ende. »Wenn Mab von den Toten auferstehen kann, warum nicht auch Mordeus?«

»Die Götter begünstigten Mab und haben sie für ihre selbstlose Liebe belohnt«, sagt Brie. »Das ist nicht dasselbe.«

Ich schaue sie skeptisch an. Wenn ich in meiner Zeit bei den Fae irgendetwas gelernt habe, dann, dass sie nicht nur bösartig, sondern auch gerissen sind. Ich halte es durchaus für möglich, dass Mordeus für den Fall, dass er einem Anschlag zum Opfer fallen sollte, einen Plan in der Hinterhand hatte, mit dem seine Anhänger ihn wieder ins Leben zurückholen könnten. »Was ist aus seiner Leiche geworden, nachdem du ihn getötet hast?«

Brie holt tief Luft und hält meinem Blick stand. »Das weiß ich nicht. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich so lange bleiben, bis ich seine Leiche brennen sehe. Falls er wirklich zurück ist, bin allein ich daran schuld, und ich werde nicht zulassen, dass du die Konsequenzen für mein Versagen tragen musst.«

»Ich will aber hierbleiben.« Ich will ihn selbst finden. Ich will ihn selbst vernichten.

»Ich verspreche dir, dass du rechtzeitig zu deinem achtzehnten Geburtstag wieder hier sein wirst.«

Die Erwähnung dieses bedrohlichen Datums lässt mich zusammenzucken. Als ich den Ring erhielt, kam mir ein Jahr endlos lang vor. Jetzt bleiben mir nur noch neun Monate, und ich fürchte, dass diese Zeit bei Weitem nicht ausreichen wird.

Bries Stiefel schaben über den Steinboden, als sie sich zu mir umdreht. Zögernd legt sie mir eine warme Hand auf die Schulter. »Früher, wenn es geht.«

Heiße Tränen der Wut steigen mir in die Augen.

»Hab keine Angst.« Brie versteht meine Gefühle falsch. »Du bist in Sicherheit, versprochen.«

Sie begreift nicht, dass es mir nicht um meine Sicherheit geht. Ich habe mich an die ständige Angst gewöhnt. Dass Mordeus mir etwas antun könnte, fürchte ich nicht. Aber ich fürchte, dass meine Schwester mich fortschicken wird, bevor ich vollenden kann, was ich begonnen habe, als ich meine Unsterblichkeit gegen einen magischen Ring eintauschte.

***

Die Sümpfe im Norden des Herrschaftsgebiets meiner Schwester stinken nach Fäulnis und gärendem Schlamm, und meine Augen beginnen sofort zu tränen.

Gommid verzieht seine schmalen Lippen, als er den blubbernden grünen Schlick begutachtet, der die spärlichen Bäume umgibt. »Die menschliche Fae setzt meine Dienste für seltsame Zwecke ein.«

Ich kann nicht riskieren, dass meine Schwester mich ins Land der Wilden Fae schickt, bevor ich Mordeus aufgespürt habe. Sobald sie und Finn zu ihrer Sitzung aufgebrochen waren, steckte ich mir also meinen Zauberring an und rief Gommid.

»Dieses Menschenmädchen ist keine Fae«, erinnere ich ihn. Ich hasse es, wenn er mich so nennt. Menschliche Fae. So etwas gibt es überhaupt nicht. Ich klopfe die Taschen meines Umhangs ab, um sicherzustellen, dass mein Ring noch in der Geheimtasche steckt, in der ich ihn verstaut habe, bis ich ihn nach Anbruch der Dunkelheit benutzen kann. Ich habe den Ring nur ein paar Minuten lang getragen, um den wachsamen Augen der Palastwachen zu entgehen, aber mir ist übel und ich fühle mich schwach.

Als die Hexe, der ich den Ring abgekauft habe, mich warnte, ihn nur nachts zu benutzen, erklärte sie mir das damit, dass sich alle Magie im Gleichgewicht befinden muss. Offensichtlich wird dieses Gleichgewicht dadurch hergestellt, dass es mich krank macht, wenn ich die Macht des Rings bei Tageslicht einsetze.

Der Sumpf gibt rülpsende Geräusche von sich und schickt eine eklig stinkende Brise in meine Richtung. Ich würde mich am liebsten übergeben.

Gommid streckt die Hand aus. »Ich arbeite nicht umsonst, Prinzessin.«

Ich fische einen Zahn aus meiner Tasche und lasse ihn in seine offene Handfläche fallen.

Er reißt seine Glupschaugen noch weiter auf. »Der Schneidezahn eines Unseelie-Wächters. Den hast du nicht selbst entfernt.« Das ist keine Frage.

»Heute Nachmittag im Trainingsraum waren die Wachen neben mir beim Sparring ziemlich aggressiv. Den blutigen Zahn, den einer dabei ausgespuckt hat, habe ich eingesteckt.«

Gommid verstaut ihn in seiner Tasche. »Und jetzt gehört er mir.«

»Was machst du mit dem ganzen Zeug?«

Er grinst und zeigt mir all seine eigenen spitzen Zähne. »Was bekomme ich für diese Information?«

»Vergiss es. Danke …« Er ist schon weg. »… dir«, schließe ich seufzend.

Ich schaue mich in dem stinkenden Sumpf um. Weit und breit ist niemand zu sehen, aber ich habe eine Menge Zeit in der Gesellschaft von Mordeus’ Anhängern verbracht und weiß, dass sie hier ein Trainingslager haben. Sobald es dunkel wird, werde ich mir den Ring anstecken und einen seiner ekelhaften Schmeichler fragen, wo ich den auferstandenen König finden kann.

Der Wind rauscht in den Bäumen und die Sonne sinkt in Richtung Horizont. Mir bleibt nicht mehr viel Tageslicht, um das Lager zu finden, also wickele ich mich in meinen Umhang und laufe los.

Je weiter ich den Sumpf hinter mir lasse, desto schwächer wird der Gestank, und endlich kann ich den Duft des Waldes riechen.

Ich liebe diese Jahreszeit in der Menschenwelt – das Farbenspiel der Blätter an den Bäumen und das Rascheln von welkem Laub unter meinen Stiefeln. Ich sehne mich danach – sehne mich danach, nach Elora zurückzukehren und dort zu bleiben.

Aber ich gehöre nicht mehr dorthin. Die Menschen von Elora wissen zwar nichts von meiner Abstammung, aber ich kenne die Wahrheit, und wenn ich dort bin, fühle ich mich wie eine Betrügerin. Als könnten die Menschen meiner Heimatwelt die Fae erkennen, die unter meiner Menschenmaske lauert. Der Status meiner Schwester bringt zahllose Regeln mit sich, die ich befolgen muss und die mich zwar ärgern – genauso wie es mich ärgert, dass wir in diese Welt gestoßen wurden, die ich verabscheue –, aber die den Mitternachtspalast dennoch zu dem einzigen Zuhause machen, das ich mein Eigen nennen kann.

Und sie will mich fortschicken.

Ich lehne mich an den dicken Stamm einer Eiche, schließe die Augen und genieße es, den wachsamen Blicken meiner Wächter eine Zeit lang entkommen zu sein.

Ob sie im Palast schon gemerkt haben, dass ich verschwunden bin? Hoffentlich sorgen die Worte, die die Bezaubernde Lady meinen Wachen zugeflüstert hat, dafür, dass sie meine Gemächer erst morgen früh wieder betreten werden.

Ich weigere mich, darüber nachzudenken, was passieren wird, sollte ich Mordeus heute Nacht nicht finden. Ich muss es schaffen.

Eine Hand legt sich schwer auf meinen Mund und heißer Atem tanzt über mein Ohr. »Still!« Eine maskuline Stimme, rau und tief. Ich kann mich nicht befreien, er ist zu groß und zu stark, und ich spüre, wie ich vor Angst erstarre, obwohl ich mich eigentlich wehren müsste.

Panisch ramme ich meinem Angreifer den Ellbogen in den Bauch, und er stöhnt leise, bevor er seinen Griff verstärkt und meine Arme festhält.

Ich öffne den Mund, um zu schreien, aber ich bringe keinen Ton heraus.

Grober Stoff schiebt sich über meinen Kopf, und dann umgibt mich schreckliche Dunkelheit. Ich versuche, zu schreien – wieder und wieder und wieder –, aber ich höre keinen Laut. Als hätte ich nie eine Stimme besessen.

Dann verliere ich plötzlich den Boden unter den Füßen und werde über eine Schulter geworfen. Der Aufprall ist so heftig, dass ich aufkeuche.

»Pass auf«, sagt eine weibliche Stimme. »Er hat gesagt, wir sollen vorsichtig mit ihr sein.«

»Sobald wir hier weg sind, gern.«

Er packt mich wie einen sperrigen Sack Kartoffeln, und als er losrennt, werde ich von Kopf bis Fuß durchgeschüttelt. Ich höre das dumpfe Rascheln der Blätter unter seinen Füßen und der Luftzug an meinen Beinen fühlt sich sogar durch meine Lederhose hindurch eisig an. Ich will zappeln, mich wehren, ihn mit all den Methoden verletzen, die meine Trainer mir beigebracht haben, aber ich kann mich nicht bewegen. Meine Arme und Beine sind genauso gelähmt wie meine Stimmbänder.

Dann höre ich leises Wiehern und werde hochgehievt. Ist das ein Pferd?

»Los gehts!« Das Pferd wechselt in den Galopp und wir fliegen dahin. Der Sattel drückt mir in den Bauch.

Ich schlage wie wild um mich. Oder versuche es zumindest. Ich kann meine Gliedmaßen nicht bewegen, aber wenn ich mich nach Leibeskräften winde, falle ich vielleicht vom Pferd.

Deshalb wollte Brie, dass ich im Palast bleibe. Deshalb muss ich mich an all ihre blöden Regeln halten. Weil sie Bescheid weiß. Wie oft hat sie mir gesagt, dass man versuchen wird, mich zu entführen, und dass ich mich in Gefahr begebe, sobald ich den Palast verlasse?

Und ich? Ich habe mich unseren Feinden wie auf dem Silbertablett präsentiert, zu einer Tageszeit, in der ich meinen Ring nicht tragen kann. Und jetzt hat mir irgendein bösartiger Fae-Zauber meine Stimme und meine Kraft geraubt.

Haben sie vor, mich zu Mordeus zu bringen?

Mein Herzschlag setzt aus und bittere Galle steigt mir in die Kehle. Ich spüre schon seinen heißen Atem auf meinem Gesicht, während er mich verhöhnt. Sehe schon sein grausames Lächeln vor mir, während er mich genüsslich foltert.

»Könntest du sie bitte ruhigstellen, bevor sie runterfällt?«, fragt der Fae.

»Na gut«, erwidert seine Begleiterin.

Panik breitet sich in meiner Brust aus. Ich kann nicht atmen. Ich kann nicht –

Ein Windhauch, und dann … werde ich schläfrig. Ich bin so müde. Verzweifelt kämpfe ich dagegen an. Versuche, die Augen offen zu halten. Ich darf keine Schwäche zeigen, wenn ich Mordeus vorgeführt werde.

Mit letzter Kraft konzentriere ich mich auf das donnernde Geräusch der Hufe auf dem Pfad, den beißenden Wind, der meinen Nacken umweht, den fernen Gestank des Sumpfes. Ich zwinge mich dazu, all das in meinem Kopf zu beschreiben und bei Bewusstsein zu bleiben, aber es ist zu spät. Ich sinke hinab in die Tiefe.

KAPITEL

3

FELICITY

»Drei Tropfen jeden Morgen, nicht mehr«, sage ich. Meine runzligen Hände greifen nach der Pipette und ich fülle die kleine Flasche mit dem Heiltrank. »Falls ihr Husten in zwei Tagen noch nicht besser geworden ist, sollten Sie noch mal vorbeikommen. Aber dieser Trank sollte besser helfen als die Thymian-Honig-Variante, die Sie letzte Woche erhalten haben.« Ich gehe zur Theke und reiche der blassen jungen Mutter, die dort auf mich wartet, das Fläschchen.

Ihr Gesicht ist voller Sorge, und die dunklen Ringe unter ihren Augen verraten mir, dass sie seit Tagen nicht richtig geschlafen hat. »Vielen, vielen Dank.« Sie stöbert in ihrem schäbigen Beutel, zweifellos auf der Suche nach ein paar Münzen, um mich zu bezahlen. Ich frage mich, wie oft sie sich wohl schon zwischen etwas zu essen für sich selbst und einem Besuch in der Apotheke entscheiden musste.

Mit einem kurzen Schulterblick überzeuge ich mich davon, dass die Besitzerin des kleinen Ladens – meine Chefin – noch nicht da ist. »Das kostet nichts«, sage ich schnell. »Weil der erste Trank nicht geholfen hat.«

Ihre braunen Augen füllen sich mit Tränen. »Danke«, flüstert sie heiser. »Ich danke Ihnen so sehr.«

Ich höre das Knarren der Hintertür und erstarre. »Gehen Sie jetzt, rasch.«

»Felicity!«, blafft Estella. »Ich muss mit dir reden!«

Die junge Mutter reißt die Augen auf, aber dann eilt sie klugerweise zur Tür hinaus, bevor Estella bei mir angekommen ist.

Ich beschäftige mich damit, meine Station aufzuräumen, und bewege mich mit der ruhigen Anmut der grauhaarigen Fae, deren Gestalt ich seit Beginn meiner Arbeit hier angenommen habe. Inzwischen sind es zwei Monate.

Estella stürmt in den Verkaufsraum und lässt die Tür laut hinter sich zufallen. Äußerlich ist sie auch heute noch so schön wie an dem Tag, an dem ich mich hier um einen Job beworben habe – blondes, seidiges Haar, das ihr lang über die Schultern fällt, leuchtend violette Augen, aristokratische Gesichtszüge und ein hochgewachsener, zartgliedriger Körper –, aber heute sehe ich nur noch Hässlichkeit. Sie ist eine schreckliche Apothekerin, die nur die billigsten Zutaten verwendet, anstatt effektive Heiltränke herzustellen. Die Hälfte ihrer Tinkturen ist so wirkungslos wie schwacher Tee.

»Gestern Abend kam ein junger Fae in den Laden und wollte, dass ich ihm das Geld für die Kontinenz-Tinktur erstatte, die ich seinem Vater verkauft habe. Er sagte, als er sich selbst welche kaufen wollte, hättest du ihm gesagt, sie würde ihn nicht vor der gesichtslosen Seuche schützen.« Sie reckt ihr spitzes Kinn vor und bläht die Nüstern.

»Weißt du, was passiert, wenn du so etwas sagst?«

Dieser junge Fae hatte auf der Straße um Geld betteln müssen, bevor er in die Apotheke kam. Ich konnte ihm seine Münzen nicht für ein winziges Fläschchen nutzloser Tropfen abknöpfen. »Wir sollten Produkte verkaufen, die den Leuten helfen, anstatt …«

»Wenn du hier Lügen über meine Produkte verbreitest, fangen die Leute noch an zu reden und bald kauft mir niemand mehr etwas ab.«

»Aber diese Kontinenz-Tropfen schützen niemanden vor –«

»Kein einziger meiner Kunden ist bisher der gesichtslosen Seuche zum Opfer gefallen!«, schnappt sie, bevor ich den Satz beenden kann.

Nur, weil sie in unserem Dorf noch nicht gewütet hat. Aber ich wage nicht, das laut zu sagen. Seit ein paar Monaten vergeht kaum eine Woche ohne eine neue Geschichte über Gruppen von Fae, die ohne erkennbare Ursache tot aufgefunden wurden, deswegen sprechen inzwischen alle von einer Epidemie, der »gesichtslosen Seuche«. Die Opfer werden immer in Gruppen gefunden, blass, aber völlig unverletzt. Wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann, waren die meisten vorher kerngesund. Es ist, als würde der Tod selbst uneingeladen zu Versammlungen erscheinen und die Teilnehmer ohne jeden Grund mit sich nehmen.

»Die Leute haben Angst.« Stirnrunzelnd ringe ich die Hände. Unter Mordeus’ Herrschaft haben zu viele in diesem Dorf alles verloren. Nachdem er den Thron gestohlen hatte, genügte schon die leiseste Andeutung einer Allianz mit dem rechtmäßigen König, damit Mordeus seine persönliche Armee losschickte und den Besitz und das Zuhause der Beschuldigten zerstören ließ. Ich weiß zwar nicht, wie es war, zu diesen Zeiten hier zu leben, aber ich weiß, wie es sich anfühlt, nichts zu besitzen und nicht zu wissen, wo die nächste Mahlzeit herkommen soll. »Wir sollten das nicht ausnutzen. Wir sollten …«

»Wie kannst du es wagen, du undankbare alte Vettel«, zischt Estella wutschnaubend. »Ich habe dich nur eingestellt, weil die Kunden deinem Faltengesicht vertrauen und mehr Geld hierlassen, wenn du hinter dem Tresen stehst. Aber das bringt mir nichts, wenn du sie davon abhältst, etwas zu kaufen! Verschwinde aus meinem Laden und lass dich hier nie wieder blicken!«

Ich kneife die Augen zusammen. Es ist nicht leicht, einen Job zu finden, und wenn ich mir diese Chance verbaut habe … »Bitte überlegen Sie es sich noch einmal.«

Sie zeigt mit ihrem langen, manikürten Fingernagel in Richtung Tür. »Verschwinde. Bevor ich dir das, was du mich gekostet hast, aus dem Fleisch schneide.«

Mit gesenktem Kopf mache ich mich auf den Weg zur Tür, die Hände zu Fäusten geballt. Ich war zu lange arbeitslos, bevor Estella mich eingestellt hat, und jetzt muss ich wieder ganz von vorne anfangen. Aber vielleicht ist es besser so. Ich konnte ihre Gier und ihre Lügen kaum ertragen.

Es ist ein sonniger Tag. Ich blinzele im gleißenden Nachmittagslicht, während ich auf die geschäftige Straße trete – und erstarre, als mein Blick auf ein vertrautes Gesicht fällt, das mich von der gegenüberliegenden Straßenseite aus beobachtet.

Mit seinen Reithosen, den weißen Tattoos auf seinen Unterarmen und der Brille auf der Nase wirkt Natan immer noch wie ein harmloser Gelehrter.

Mein Puls setzt einen Schlag aus und beginnt dann zu flattern, als eine berauschende Mischung aus Hoffnung und Kummer mich durchströmt. Sofort suche ich die Straße nach meinem Bruder ab, der nie weit von Natan entfernt ist. Ich habe ihn seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Seit meine Mutter mich fortgeschickt hat, um genau zu sein.

Ich schaue mich immer noch suchend um, als mich jemand am Arm packt und in ein leer stehendes Geschäft neben Estellas Apotheke zerrt.

»Hallo, Felicity«, sagt mein Bruder mit einem wölfischen Grinsen, und Natan schlüpft hinter uns in den Raum.

Hale Kendricks langes hellbraunes Haar ist in seinem Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden, und er sieht mich mit seinen eisblauen Augen so durchdringend an, als könne er all meine Fehler und all meine Misserfolge sehen. Jeden Moment der Feigheit.

Die Tür fällt ins Schloss, und meine Kehle ist wie zugeschnürt.

Natan neigt grüßend den Kopf. Es liegt so vieles in dieser simplen Geste – das Wissen, wer ich unter dieser angenommenen Gestalt wirklich bin, die Erinnerung an die gemeinsamen Abenteuer unserer Kindheit und die Warnung, dass er nur hier ist, um Hale zu beschützen. All dies in einem Nicken.

Anstatt zu lügen und so zu tun, als sei ich tatsächlich die ältliche Fae, die alle sehen, wenn sie mich anschauen, nicke ich grüßend zurück. Dann schaue ich mich in dem leeren Geschäft um. »Was bringt euch in dieses verschlafene Nest?«, frage ich, als hätte ich die beiden nicht an jedem einzelnen Tag der vergangenen drei Jahre schmerzlich vermisst.

»Das Übliche«, sagt mein Bruder, und seine blauen Augen glänzen. »Rebellion. Hochverrat. Aufruhr. Die Weltherrschaft übernehmen.«

Ich nicke und wische meine runzligen Hände an meinem Rock ab. »Wie hast du mich gefunden?«

»Süß, dass du glaubst, ich hätte dich je aus den Augen verloren«, sagt Hale. Er ist mein Bruder, auf jede Art, die wirklich zählt. Wir mögen zwar nicht blutsverwandt sein, aber wir sind gemeinsam aufgewachsen, und er würde mich niemals gehen lassen, ohne genau zu wissen, wo ich mich aufhalte.

»Und wie geht es Mutter?« Beim letzten Wort bricht meine Stimme, und Hales Gesichtszüge werden weicher.

»Warum gehst du nicht nach Hause und findest es selbst heraus?«

Bei dem Gedanken zieht sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Als würde ich nach Tagen in der Kälte ein warmes Bett sehen, in dem Wissen, dass ich nicht hineinklettern kann. »Bist du nur gekommen, um grausam zu sein?«

Hale seufzt. »Natürlich nicht, Lis. Ich bin hier, weil ich dich brauche.«

Schuldgefühle steigen in mir auf. Hale will, dass ich unsere Heimat Elora rette, aber mein einziger Wunsch ist es, ihn zu retten.

Er gestikuliert in meine Richtung. »Und wer ist das? Fühlst du dich sicher, wenn du in einem Körper lebst, der nicht mal kämpfen kann?«

Ich kann hervorragend kämpfen, aber ich mache mir nicht die Mühe, ihn zu korrigieren. Trotzig recke ich das Kinn vor. »Und warum geht dich das etwas an?«

»Weil du aufhören musst, die gebrechliche alte Fae zu spielen, und zwar sofort. Es ist Zeit, in deine andere Lieblingsrolle zu schlüpfen.«

»Drückst du dich absichtlich so vage aus, Hale?«

»Stellst du dich absichtlich so dumm an, Lis?« Ich starre ihn wütend an, und er muss lachen. »Bei den Göttern der Ober- und Unterwelt, wenn du mich so ansiehst, kann ich beinahe dein wahres Gesicht erkennen.«

»Und wie sehe ich aus?«, frage ich. »Ich bin bloß neugierig, weil ich mich selbst seit mehr als drei Jahren nicht im Spiegel gesehen habe.«

»Das war deine eigene Entscheidung, als du beschlossen hast, dich lieber dein Leben lang zu verstecken, als deine Bestimmung zu erfüllen«, sagt er achselzuckend.

»Hale …«

»Ich bin nicht hier, um dich umzustimmen.« Sein Blick und seine Stimme sind jetzt sanfter. Er greift in seine Umhängetasche und holt ein zerfleddertes, in Leder gebundenes Notizbuch heraus. »Ich bin deswegen hier.«

Ich starre geschockt auf das Tagebuch – mein