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Fesselnde Fae-Romantasy mit starker Heldin - das krönende Finale der atemberaubenden Fae-Dilogie! Endlich auch auf Deutsch: Der erfolgreiche 2. Band »These Twisted Bonds«! Alles, was Brie zu wissen glaubte, hat sich in Schatten und Dunkelheit verloren. Sie ist zutiefst verletzt von Sebastians Verrat und wild entschlossen, ihre Stärke in sich selbst zu finden. Doch während am Hof des Mondes ein Bürgerkrieg tobt, weiß Brie weniger denn je, auf welcher Seite sie steht. Denn auch Finn hat in der Vergangenheit ihr Vertrauen missbraucht. Nur eines wird immer deutlicher: Vor einer Prophezeiung kann man nicht davonlaufen, Brie muss sich ihr stellen – ob sie will oder nicht. Denn es ist nicht nur ihr eigenes Schicksal, das sie in Händen hält.
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Fesselnde Romantasy mit starker Heldin - das krönende Finale der atemberaubenden Fae-Dilogie!
Endlich auch auf Deutsch: Der erfolgreiche 2. Band »These Twisted Bonds«!
Alles, was Brie zu wissen glaubte, hat sich in Schatten und Dunkelheit verloren. Sie ist zutiefst verletzt von Sebastians Verrat und wild entschlossen, ihre Stärke in sich selbst zu finden. Doch während am Hof des Mondes ein Bürgerkrieg tobt, weiß Brie weniger denn je, auf welcher Seite sie steht. Denn auch Finn hat in der Vergangenheit ihr Vertrauen missbraucht. Nur eines wird immer deutlicher: Vor einer Prophezeiung kann man nicht davonlaufen, Brie muss sich ihr stellen – ob sie will oder nicht. Denn es ist nicht nur ihr eigenes Schicksal, das sie in Händen hält.
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Viten
Für Aaron –
der die Landkarte gezeichnet und die Fortsetzung entfesselt hat
Jenseits der Schlosstore geht gerade die Sonne auf und die Vögel singen, aber der Goldene Palast ist in einen Schleier aus Nacht gehüllt. Meine Nacht. Meine Dunkelheit. Meine Macht.
Ich schleudere hemmungslos mit Magie um mich und halte so diejenigen auf, die es wagen, mich zu verfolgen. Ich ziehe die Dunkelheit hinter mir her wie die lange Schleppe eines prächtigen Hochzeitskleides. Aber ich bin niemandes Braut.
Ich werde mich nicht länger von ihren hübschen Lügen einwickeln und manipulieren lassen. Sebastian hat mich verraten. Sie alle haben mich verraten, aber sein Betrug schmerzt am heftigsten. Der Fae, der vorgab, mich zu lieben, mich beschützen zu wollen, hat mich benutzt, um die Unseelie-Krone zu stehlen.
Wut brodelt durch meine Adern und befeuert meine Magie.
Ich renne blindlings weiter, selbst als der Pfad unter meinen nackten Füßen steinig und rau wird. Der Schmerz ist mir willkommen und ich konzentriere mich darauf, wie der Kies mir in die Fußsohlen schneidet. Nur so kann ich dieses andere Gefühl verdrängen – diese Qual und die Frustration, die von dem einen ausgehen, den ich liebe. Dem Fae, an den ich für immer gebunden bin. Der mich belogen und betrogen hat.
Ich will ihn nicht spüren. Ich will nicht wissen, dass meine Flucht ihm das Herz gebrochen hat und mein Verlust ihn in die Knie zwingt. Ich will nicht verstehen, dass auch er ein Gefangener seiner eigenen Pflichten ist, und nicht begreifen, wie sehr er bereut, was er getan hat. Aber das tue ich. Durch diesen Bund unserer Seelen verstehe ich ihn.
Sebastian hat mich für die Krone verraten, und nun hat er bekommen, was er wollte, während ich zu dem geworden bin, was ich so lange verabscheut habe. Eine Fae. Eine Unsterbliche.
Ich renne, aber allmählich drängt die Vernunft in mein Bewusstsein.
Ich bin barfuß. Ich trage ein Nachthemd. So werde ich nicht weit kommen, aber ich werde nicht zulassen, dass sie mich wieder einfangen.
Eine Kehrtwende bringt mich zurück zu den Stallungen, und als ich die Tür aufstoße, starrt mich der Stalljunge aus großen Augen an, den Blick auf die sich hinter mir auftürmende Woge aus Dunkelheit gerichtet, die über ihm hereinzubrechen droht.
Er ist jung, mit honigblondem Haar, leuchtend blauen Augen und spitzen Fae-Ohren. Ich habe ihn schon oft gesehen, wenn ich mir hier ein Pferd ausgeliehen habe, um über die Ländereien des Palastes zu reiten. Als ich mich hier noch sicher fühlte und glaubte, Sebastian würde mich aufrichtig lieben.
»Gib mir deine Stiefel«, sage ich mit stolz erhobenem Kopf.
»Meine … meine …«, stammelt er und blickt voller Panik in Richtung des Palastes und der dunklen Zerstörung, die sich hinter mir ausbreitet.
»Deine Stiefel! Sofort!« Er starrt mich aus seinen angstvoll aufgerissenen Augen unverwandt an, während er seine Schnürsenkel löst und mir die Stiefel vor die Füße wirft.
»Und jetzt gib mir ein Pferd!«, befehle ich, als ich in die Schuhe des Jungen steige. Sie sind mir ein bisschen zu groß, aber das wird schon gehen. Ich ziehe die Schnürsenkel fest und binde sie mir zur Sicherheit um die Knöchel.
Der Junge schaut zum Palast zurück, und ich schleudere ihm meine Macht entgegen, lasse die Nacht bösartig pulsieren. Mit zitternden Händen holt er eine weiße Stute aus ihrer Box und führt sie zu mir. »W… was ist passiert, Mylady?«
Ich ignoriere seine Frage und deute auf den dunklen Messergurt, den er um die Mitte trägt. »Dein Wehrgehänge auch.«
Er öffnet den Gurt und lässt ihn auf den Stallboden fallen. Eilig schnappe ich ihn mir an der Schnalle, wickele ihn mir um die Taille und zurre ihn fest. Dann schwinge ich mich auf das Pferd.
»Danke«, sage ich, aber der Junge duckt sich, als fürchte er, ich würde ihn gleich mit seinen eigenen Messern ermorden. Seine Angst hinterlässt einen bitteren Geschmack in meinem Mund. Bin ich zu jemandem geworden, den man fürchten muss?
Falls ja, dann hat Sebastian mich dazu gemacht.
Aber darüber kann ich jetzt nicht nachdenken. Ich lenke mein Pferd aus dem Stall und stelle mir gerade den Sattel richtig ein, als ich ein Ziehen in der Brust spüre. Einen süßen Schmerz, der mich anfleht, zum Palast zurückzukehren. Zurück zu Sebastian.
Rufe hallen über den Rasen. Mit meinen neuen Fae-Ohren kann ich das Chaos im Palast hören – die Panik, das Geschrei, die dumpfen Schritte, die sich in meine Richtung bewegen.
Die Rufe kommen näher. Meine Magie hat nachgelassen; die Dunkelheit hat ihren Griff gelockert.
Ich ramme meiner Stute die Fersen in die Seiten und sie galoppiert los, wie von der Tarantel gestochen. Ich klammere mich nach Leibeskräften am Sattel fest.
Komm zurück. Ich höre die Worte nicht, sondern spüre sie, spüre den Schmerz, der in meiner Brust brennt und sich in meinen Knochen niederlässt. Ich brauche dich. Komm zurück zu mir.
Die Erinnerung an meine Verbindung zu Sebastian lässt mich nur noch schneller reiten. Ich weiß nicht, ob ich ihr entfliehen kann, ob Distanz allein ausreichen wird, um seine Trauer und seine Verzweiflung verstummen zu lassen, aber ich werde es auf jeden Fall versuchen.
***
»Ich brauche ein Zimmer«, sage ich zu der Fae, die in dem heruntergekommenen Gasthaus hinter der Theke steht. Meine Stimme klingt wie gemahlenes Glas, und alle Muskeln meines Körpers brennen vor Erschöpfung wie Feuer.
Ich habe keine Ahnung, wo ich bin oder wie weit ich geritten bin. Ich weiß nur, dass ich den Palast hinter mir gelassen habe, so schnell ich konnte. In vollem Galopp bin ich so lange durch Dörfer und über Felder gejagt, bis ich mich nicht mehr im Sattel halten konnte.
Ich bin seit meiner Kindheit nicht mehr oft geritten, und so viele Stunden am Stück oder durch so hügeliges Gelände wie heute ohnehin noch nie. Als ich dem Stalljungen des Gasthofs die Zügel in die Hand drückte, konnte ich mich kaum noch auf den Beinen halten.
Die Fae hinter der Bar hat außergewöhnlich spitz zulaufende Ohren und geschürzte Lippen. Ihre kühlen blauen Augen glitzern mit der Frostigkeit, die ein schweres Leben mit sich bringt. Sie mustert mich von Kopf bis Fuß, und ich kann mir vorstellen, dass ich ein jämmerliches Bild abgebe. Mein ehemals weißes Nachthemd hat jetzt die Farbe einer staubigen Landstraße angenommen, und mein Gesicht sieht wahrscheinlich nicht viel besser aus. Mein kinnlanges, rotes Haar ist zerzaust und dreckig, und meine Lippen sind aufgesprungen, weil ich schrecklichen Durst habe. »Umsonst gibts hier nichts«, murmelt sie und wendet sich bereits einem vielversprechenderen Kunden zu.
Ich knalle einen Beutel Münzen auf den Tresen. Meine Vergangenheit als Diebin hat sich heute als sehr nützlich erwiesen. Das Fae-Gold stammt von einem betrunkenen Ork aus einer Taverne eine Stunde westlich von hier, wo ich ursprünglich die Nacht verbringen wollte. Der Ork hatte mich zur Toilette gehen sehen, mich dort abgepasst und versucht, mich zu begrapschen. Ich war zwar völlig im Eimer, aber meine Kraft reichte noch, um ihn in eine so undurchdringliche Dunkelheit zu wickeln, dass er wie ein Baby heulte und mich anflehte, ihn wieder freizulassen.
Die Schwankwirtin öffnet den Beutel und schaut hinein. Ihre müden Augen blitzen kurz auf, und ihre Lippen kräuseln sich triumphierend, bevor sie sich wieder unter Kontrolle hat. »Das wird reichen«, sagt sie und schiebt einen Schlüssel über die Theke. »Erster Stock, letzte Tür links. Ich lasse die Magd Wasser zum Waschen für dich hinaufbringen.«
Ich weiß nichts über Fae-Geld – was es wert ist und wie viel ich für eine einzelne, golden glänzende Münze erwarten kann –, aber ganz offensichtlich habe ich ihr gerade ein hübsches Sümmchen gegeben und sie will mich übers Ohr hauen. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Abendessen brauche ich auch.«
Sie nickt eilig. »Natürlich.«
Zu leicht. »Und was zum Anziehen. Hosen und ein Hemd, keine Kleider.«
Ihre faltigen Lippen verziehen sich nachdenklich. »Das hier ist kein Kleiderladen, und der Schneider hat schon zu.« Ich schaue sie scharf an und sie seufzt. »Aber …« Sie mustert mich erneut. »Wahrscheinlich werden dir meine Sachen passen. Ich finde was.«
Dankend nicke ich ihr zu und klettere mit zitternden Beinen, die mich keinen Moment länger tragen können, auf einen Barhocker. »Ich esse hier unten.«
Die Schankwirtin steckt den Beutel ein und blafft dann ein kleines Kind an, mir mein Abendessen zu bringen. Mit gesenktem Kopf eilt der Junge davon. Als die Fae ihre kalten Augen wieder auf mich richtet, ist ihr Blick misstrauisch geworden. »Woher kommst du?«, fragt sie.
Ich lache, aber ich bin so müde, dass es mehr wie ein Grunzen klingt. »Kennst du bestimmt nicht.«
Sie zieht eine Augenbraue hoch. »Ich kenne mich hier fast überall aus. Hab während des Krieges sogar eine Zeit lang im Schattenreich gelebt.«
Ich schaue gleichgültig zur Seite. »Ach, ist nicht so wichtig.« Sie ist mit Sicherheit viel zu scharf darauf, meine Münzen zu behalten, als dass sie auf einer Antwort bestehen wird.
Sie schnüffelt, und ich frage mich, was sie riecht. Stinke ich immer noch nach Mensch, obwohl ich in eine Fae verwandelt worden bin? Kann sie den Palast an mir riechen? Fae haben extrem feine Sinne, aber in der kurzen Zeit, die ich in diesem verwandelten Körper verbracht habe, hat mich das erhöhte Bewusstsein für jedes Geräusch, jeden Anblick und jeden Geruch nur abgelenkt. Es ist viel zu überwältigend, um mir von Nutzen zu sein.
Das Kind kommt lautlos zurück. Die Schankwirtin nimmt ihm eine Schüssel Eintopf und einen Teller Brot aus den Händen und stellt beides vor mir ab. »Solange du hier nicht für Ärger sorgst, muss ich nichts über dich wissen. Manchmal ist das besser so.« Sie neigt den Kopf, um meinen Blick aufzufangen. »Verstanden?«
Ich halte inne, den ersten Löffel Eintopf auf halben Weg zum Mund. Was glaubt sie, über mich zu wissen? »Klar.«
Sie nickt kurz und wendet sich dann einem anderen Kunden zu.
Ich kann mich kaum noch auf dem Hocker halten, während ich mir Eintopf in den Mund schaufele. Eigentlich dürfte ich selbst nach einem langen Tag im Sattel nicht derartig erschöpft sein, aber mein Körper ist am Ende. Und so verführerisch es auch ist, meinen Magen zu ignorieren und sofort in mein Zimmer zu gehen, mich aufs Bett zu werfen und im Tiefschlaf zu versinken, weiß ich, dass ich die Energie für meine nächsten Schritte brauchen werde.
Und welche Schritte sollen das sein?
Ich dränge die Frage beiseite. Ich habe keine Ahnung, wo ich hingehen und was ich tun werde. Ich brauche nur Abstand zum Palast – Abstand von Sebastian. Über alles andere kann ich im Moment nicht nachdenken. Nicht darüber, wie schlecht ich darauf vorbereitet bin, in diesem seltsamen Land allein zurechtzukommen, und mit Sicherheit nicht darüber, dass diese spitzen Ohren und meine neue Unsterblichkeit bedeuten, dass ich nie wieder nach Hause zurückkehren kann.
Nie mehr zurück nach Elora gehen kann.
Nie wieder meine Schwester besuchen kann.
Ein massiger Ork schlendert zur Bar und setzt sich auf den Hocker neben meinem. Er ist beinahe zwei Meter groß, hat eine plattgedrückte Nase, schwarze Knopfaugen und aus seinem Unterkiefer wachsen zwei Stoßzähne, die bis über seine Oberlippe hinausragen. Er ist ein Muskelberg, wie alle Orks, und seine bloße Nähe gibt mir das Gefühl, klein und zerbrechlich zu sein. Ich senke den Kopf in meine Schüssel. Hoffentlich bemerkt er mich nicht. Nach meiner Begegnung mit einem seiner Artgenossen vor einer Stunde habe ich absolut kein Interesse daran, seine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Bier?«, fragt die Schankwirtin und schenkt ihm ein schmallippiges Lächeln.
»Aye. Und was zu essen. Mieser Tag.«
Sie zieht an einem Zapfhahn und schenkt sein Bier ein. »Ja?« »Die Unreinen haben ihre Magie zurück.«
Die Unreinen?
Die Schankwirtin lacht. »Na sicher.«
»Kein Witz.« Er schüttelt den Kopf. »Ist die Wahrheit.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Wenn das bedeutet, dass du ihnen wieder wehtun kannst, ist das doch eher ein Grund zur Freude.« Ihr Ton verrät, dass sie ihm kein Wort glaubt.
»Ist nich’ gelogen. Gestern Abend im Kinderlager ist es passiert. Die kleinen Mistkerle haben zehn meiner Leute abgemurkst, bevor wir kapiert haben, was Sache ist. Die letzten achtzehn Stunden waren das reinste Chaos, bis die Injektionen endlich da waren.«
Die Schankwirtin erschaudert. »Wie kann man nur jemandem dieses Gift verabreichen.«
»Ist ganz einfach.« Er mimt das Drücken eines Spritzenkolbens.
Sie schüttelt den Kopf. »Ich hab damals im Krieg auch mal was davon abbekommen. Fühlt sich an wie der Tod selbst.«
Als Jalek im Goldenen Palast gefangen gehalten wurde, hat man ihm Injektionen verabreicht, die seine Magie blockierten. Ist es das, wovon sie reden? Spritzen sie den Kindern dasselbe Zeug?
Als die Schankwirtin mich mit hochgezogenen Brauen ansieht, wird mir klar, dass ich die beiden angestarrt habe. Ich senke den Kopf wieder.
»Ich würde sie lieber abmurksen«, sagt der Ork. »Aber wir haben unsere Befehle. Sie will die kleinen Bastarde lebendig.«
Kinder. Er spricht von den Unseelie-Kindern in den Lagern der Königin.
Wut brodelt in meinen Adern. Ich hasse sie alle. Die Fae sind verlogen und manipulativ. Ohne ihre Grausamkeit und ihre politischen Intrigen könnte ich jetzt zu Hause bei Jas sein, anstatt alleine hier zu sitzen. Einsam und ziellos. Gebrochen und in diesem neuen, unsterblichen Körper gefangen, den ich nie gewollt habe.
Aber die Kinder? Die Kinder sind zwar Fae, aber sie trifft an alldem keine Schuld. Sie wurden ihren Eltern entrissen und eingesperrt, und all das nur wegen des endlosen Machtkampfes zweier Reiche, die ohnehin schon viel zu viel Macht haben. Es ist einfach nur ekelhaft.
Ich saß zwar selbst nie im Gefängnis, aber ich habe meine Kindheit als Gefangene eines ungerechten Ausbeutervertrages verbracht. Ich weiß, wie es sich anfühlt, eine Waise zu sein, und ich weiß, wie es ist, wenn mächtige Leute, die nichts anderes mehr sehen können als ihre eigene Gier, einem alle Wahlmöglichkeiten nehmen.
Die Schankwirtin stellt dem Ork eine Schüssel hin und fragt ungläubig: »Der Fluch ist also wirklich gebrochen?«
»Aye.«
Sie seufzt. »Tut mir leid wegen deiner Wachleute. Brauchst du ein Zimmer?«
Er schaufelt sich einen voll beladenen Löffel in den Mund und macht sich nicht die Mühe, zu schlucken, bevor er antwortet. »Jo. Brauch ein paar Stunden Schlaf, bevor ich zurückgehe.«
Sie nimmt einen Schlüssel von dem Brett hinter sich und legt ihn vor den Ork. »Pass auf heute Nacht, okay?«
Anstelle einer Antwort grunzt der Ork und schaufelt sich weiter Eintopf in den Mund.
Bei dem Gedanken daran, dass Kinder Anti-Magie-Gift gespritzt bekommen und überhaupt eingesperrt sind, dreht sich mir der Magen um. Die Unreinen hat er sie genannt. Bezeichnet der Ausdruck Gefangene oder alle Unseelie? Ich glaube, die Antwort bereits zu kennen, und sie macht mich nur noch wütender.
Trotzdem zwinge ich mich, aufzuessen, weil ich die Energie noch brauchen werde. Aber das Brot in meinem Mund schmeckt nach Asche, und der Eintopf liegt mir wie ein Stein im Magen.
Nachdem die Schankwirtin meine Schüssel weggeräumt hat, nippe ich an meinem Wasser, während der Ork seine Schüssel leert und danach eine zweite Portion verputzt. Erst als er damit fertig ist und zufrieden zu rülpsen beginnt, trinke ich mein Glas aus.
»Kann ich noch eins haben und mit nach oben auf mein Zimmer nehmen?«, frage ich und halte mein leeres Glas hoch.
Die Wirtin nickt und füllt mein Glas aus ihrem Krug auf.
Mit einem letzten Blick auf den Wächter gehe ich in Richtung Treppenhaus. Ich schlüpfe in die Schatten und wickele sie so um mich, dass keiner der Gäste, die an mir vorbeigehen, mich sehen kann. Stumm warte ich dort, mit schweren Lidern. Die Schatten streicheln meine blank liegenden Nerven und mein Körper bettelt darum, sich auszuruhen. Ich warte und warte, bis endlich der Ork im Treppenhaus erscheint und nach oben geht.
Im Kerzenlicht fällt es mir leicht, in den Schatten zu bleiben, und der schwere, keuchende Atem des Wachmanns maskiert das Geräusch meiner Schritte. Er bleibt im ersten Stock stehen und geht dann zu einer Tür ganz in der Nähe von meiner. Als er sie öffnet, schwingt die Tür in den Flur und nicht ins Zimmer hinein. Perfekt.
Als er im Inneren verschwunden ist, gehe ich in mein eigenes Zimmer. Es ist klein, dunkel und muffig, aber es warten ein Bett und – wie versprochen – Kleider und ein Eimer warmes Wasser auf mich. Ich leere mein Glas, fülle es mit Seifenwasser auf und gehe dann zurück auf den Flur. Das Glas stelle ich so vor das Zimmer des Orks, dass es umfällt, wenn die Tür aufgeht. Ich würde ihm gerne mit meiner Magie eine weniger primitive Falle stellen, aber ich bin noch zu unerfahren und kann nicht darauf vertrauen, dass meine Magie nicht nachlässt, während ich schlafe.
In mir kämpfen meine Instinkte gegeneinander, und ich bin gleichzeitig ungeduldig und völlig erschöpft. Einerseits würde ich gerne für immer schlafen, andererseits aber auch am liebsten sofort aufbrechen, um den Unseelie-Kindern zu helfen. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wo ich sie finden kann oder was mich dort erwartet, und ich muss unbedingt erst mal schlafen.
Zurück in meinem Zimmer schäle ich mich aus meinem dreckigen Nachthemd und schrubbe meine Haut, bis sie kribbelt. Dabei fällt mir zum ersten Mal der Smaragd auf, der zwischen meinen Brüsten liegt. Sebastian hat mir die Kette vor unserer Bindungszeremonie geschenkt. Ich fand sein Geschenk so aufmerksam – ein Schmuckstück, dessen Farbe zu dem Kleid passt, das meine Schwester für mich entworfen hatte –, aber jetzt ist der Stein nur noch eine kalte Erinnerung an seinen Verrat. Am liebsten würde ich ihn mir vom Hals reißen und in den Müll werfen, aber ich widerstehe der Versuchung. Ich habe kein Geld, und wahrscheinlich werde ich noch irgendetwas brauchen, das ich zur Not verkaufen kann.
Ich ziehe den Waschlappen über meinen Brustkorb und ignoriere die Rune, die in meine Haut tätowiert ist, das Zeichen meines Lebensbundes mit Sebastian, direkt über meinem Herzen.
Ich habe erst gestern zum letzten Mal gebadet, aber es fühlt sich an, als wäre eine Ewigkeit vergangen, seit ich mich für Sebastian und unsere Bindungszeremonie vorbereitet habe. Ich war so freudig und erwartungsvoll – und nun spüre ich nur den brennenden Schmerz seines Verrats und die konstante Präsenz seiner Gefühle durch den Bund, die wie Wellen an einen maroden Hafendamm anbranden und mich zu überwältigen drohen.
Liebe dich. Brauche dich. Verzeih mir.
Aber ihm zu verzeihen fühlt sich genauso unerreichbar und unmöglich an wie die Rückkehr zu meinem Leben in der Menschenwelt. Sebastian hat mir den letzten Rest meines Vertrauens geraubt, als er mich an sich gebunden hat. Er ließ mich glauben, er wolle den Bund, weil er mich liebte. Ich habe meine Seele an seine gefesselt, damit er mich vor denjenigen beschützen könnte, die mir das Leben nehmen wollten, um mir die Krone zu stehlen. Und er hat es zugelassen. Er hat zugelassen, dass ich mich an ihn binde, hat mich durch eine sorgfältig ausgewählte Mischung aus kleinen Häppchen der Wahrheit und hübschen, glänzenden Lügen dazu gebracht, den Bund mit ihm zu wollen. Er ist den Bund mit mir eingegangen, obwohl er wusste, dass der Fluch und sein Unseelie-Blut mich töten würden, obwohl ihm klar war, dass ich den Trank nehmen und zur Fae werden müsste, um zu überleben.
Und all das nur für die Macht. Für genau die Krone, auf die auch Finn und Mordeus es abgesehen hatten, und wofür er vorgab, sie zu verachten.
Sebastian ist keinen Deut besser als die anderen, und jetzt bin ich für immer an ihn gebunden. Mein gesamtes unsterbliches Leben lang. Jetzt kann ich ihn spüren, als wäre er ein Teil von mir.
Ich dränge alles beiseite. Seine Gefühle. Meine.
Es ist alles zu viel. Zu groß. Und gleichzeitig auch viel zu klein und unwichtig. Die Königin lässt ganze Lager voller Kinder einsperren und unter Drogen setzen, um ihre schändlichen Ziele zu verfolgen. Unschuldige Kinder, die genauso wenig Macht über ihr Schicksal haben wie ich, als ich damals den Vertrag mit Madame V unterschrieb, damit Jas und ich nicht auf der Straße landen.
Als ich zum ersten Mal von diesen Lagern erfuhr, wurde mir schlecht. Finn sagte mir, dass die Wachen der Goldenen Königin die Kinder aller Schatten-Fae, die sie auf ihrem Territorium erwischten, von ihren Eltern trennten und in Lager sperrten, wo sie eine Gehirnwäsche erhielten – lernten, dass die Seelie besser und wertvoller waren als sie, und dass die Unseelie ihnen dienen mussten.
Jede Faser meines Herzens hatte mich gewarnt, diese Lager als ein Zeichen zu sehen, dass den Goldenen Fae nicht zu trauen war, aber ich hatte mich von Sebastians Beteuerungen, er sei »gegen« diese Lager, einlullen lassen. Ich werde nie wieder so töricht sein. Und ich werde mich auch nicht auf Sebastians Niveau herablassen und nur über meine eigenen Probleme nachgrübeln, wenn ich die Macht habe, zu helfen. Ich werde nicht wie er die Augen vor den Schandtaten seiner Mutter verschließen. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um diesen Kindern zu helfen – und sei es nur, um die Pläne von Sebastian und seiner Mutter zu durchkreuzen.
Ich stecke hier fest. Ich bin jetzt Fae. Aber ich bin nicht machtlos, und ich werde niemals so werden wie sie.
Die Erschöpfung macht es mir leicht, das wirbelnde Gedankenkarussell in meinem Kopf anzuhalten. Ich würde am liebsten ohne Kleider schlafen, saubere Laken auf sauberer Haut spüren, aber ich zwinge mich dazu, in meine neuen Sachen zu schlüpfen. Sobald die Falle auf dem Flur zuschnappt, will ich aufbruchsbereit sein, ohne mich erst anziehen zu müssen.
Ich krieche ins Bett und schaffe es gerade noch, mich zuzudecken, bevor ich einschlafe.
***
Ich träume von Dunkelheit. Davon, dass ich zu einem tröstlichen Himmel voller funkelnder Sterne hinaufschaue. Von Finns Stimme hinter mir.
Abriella, alle Sterne in diesem Himmel leuchten für dich.
Das Flattern in meiner Brust verwandelt sich in Flügelschläge, und dann fliege ich, frei unter dem dunklen Nachthimmel, eine kleine Hand fest in meiner. Ich bin nicht einmal überrascht, als ich zur Seite blicke und Larks silberne Augen und ihr strahlendes Lächeln sehe. Finns Nichte hat mich schon mehrfach in meinen Träumen besucht, meist, um mich vor etwas zu warnen oder mir eine kryptische Prophezeiung mitzuteilen. Und mir wird klar, dass sie dafür zum ersten Mal nicht mit ihrer Lebenszeit bezahlen muss. Der Fluch der Goldenen Königin wurde in dem Moment aufgehoben, in dem ihr Sohn sich die Unseelie-Krone aufsetzte. Jetzt können die Schatten-Fae ihre Magie einsetzen, ohne dafür ihre Unsterblichkeit zu opfern.
Zumindest ein Gutes hatte Sebastians Verrat also doch.
Das Netztattoo auf Larks Stirn glüht silbern, als wir durch den nächtlichen Sternenhimmel fliegen, aber auf einmal sinken wir, und die friedliche Nacht verschwindet. Wir befinden uns in einer Art Krankenstation. An den Wänden stehen reihenweise Betten, in denen schlafende Kinder liegen.
»Sie sehen so friedlich aus«, flüstere ich.
Lark schürzt nachdenklich die Lippen. »Im Tod liegt wirklich ein gewisser Friede, aber wenn du ihn erlaubst, wird ihm Aufruhr folgen.«
Ich schüttele den Kopf. »Ich verstehe nicht, was du damit meinst.« Lark kann die Zukunft sehen, aber sie hat mir bisher noch nie ein so präzises Bild gezeigt.
»Sie suchen nach dir«, sagt sie mit leuchtenden Augen. »Du musst nach Hause kommen. Für die Kinder. Für den Hof.«
»Ich habe kein Zuhause«, sage ich traurig. Meine Schwester ist die einzige Person, die mich wirklich liebt, und sie lebt in einer Welt, die ich als Fae nicht länger betreten kann. »Sebastian hat die Krone. Es tut mir leid.«
Sie legt einen winzigen Finger an meine Lippen und blickt über ihre Schulter in die dunkle Nacht hinaus. »Hör zu.« In der Ferne erklingt ein Schrei, aus einer anderen Welt. »Es ist Zeit.«
Ich schrecke aus dem Schlaf, als jemand vor der Schlafzimmertür aufschreit. Meine Augen sind verklebt, meine Muskeln noch verschlafen und lethargisch. Ich strecke den Arm nach Sebastian aus, will seine Wärme und seine Zuwendung spüren, solange ich kann. Schon bald muss ich aus diesem warmen Bett kriechen und –
Ich schieße aus dem Bett hoch.
Im Flur poltert jemand herum, schreit nach der Magd und schimpft über Inkompetenz.
Mondlicht scheint durch ein winziges Fenster herein und taucht mein Zimmer in einen silbernen Glanz. Es ruft nach mir, und wenn ich die Augen schließen würde, sänge es mich zurück in den Schlaf.
Meine Gedanken drehen sich wie wild, ordnen sich und dann rastet mein Verstand ein. Ich bin nicht mit dem Fae, den ich liebe, im Goldenen Palast, sondern liege einen Tagesritt östlich davon in einem schäbigen Gasthaus. Ich schlafe nicht neben Sebastian – ich bin vor ihm auf der Flucht.
Eilig springe ich aus dem Bett, schnappe mir meine Tasche und hänge sie mir um, bevor ich leise die Tür öffne.
Der Ork steht grummelnd im Flur, wischt an seiner nassen Hose herum und starrt wütend auf das umgestürzte Glas und die Wasserpfütze. Meine primitive Falle hat ihren Zweck erfüllt.
Den Kopf gesenkt, um mein Lächeln zu verbergen, drehe ich mich in Richtung Treppe und gehe zu den Ställen hinunter. Die Nacht ist dunkel und sternenlos, Wolken ziehen über den Mond hinweg. Die Luft riecht nach Regen. Habe ich einen Sturm verschlafen, oder steht er uns noch bevor?
Mein Pferd wiehert leise, als es mich sieht. Ich streiche der Stute über die weiche Nase und flüstere ihr Liebkosungen ins Ohr. Dann sattele ich sie, behalte die Tür zum Gasthaus im Auge und fummele so lange an den Riemen herum, bis der Ork den nächtlichen Gasthof verlässt und zu den Ställen stapft. Ich halte den Kopf gesenkt und bemühe mich, unbemerkt zu bleiben, während er sein riesiges Pferd in Empfang nimmt. Er hievt sich auf sein Ross, tritt ihm in die Flanken und galoppiert in die Nacht hinaus.
Ich merke mir unauffällig die Richtung, in die er geritten ist, und zwinge mich, noch bis dreißig zu zählen, bevor ich auf mein eigenes Pferd steige und mich auf den Weg zur Straße mache. Erst, als wir die Stallungen hinter uns gelassen haben, hülle ich mich und meine Stute in Schatten und verberge uns so vor den Augen all derer, an denen wir vorbeireiten könnten.
Meine Muskeln verkrampfen sich empört und erinnern mich daran, dass ich gestern viel zu viele Stunden im Sattel verbracht habe. Die paar Stunden Schlaf im Gasthaus haben bei Weitem nicht ausgereicht, um mich zu erholen, aber sie müssen fürs Erste genügen. Ich reibe mir die verklebten, müden Augen und ignoriere die Schmerzen, die von meinen Oberschenkeln über meine Wirbelsäule bis in meine Arme hinein wandern.
Als der Pfad in dichtem Wald verschwindet, hebt der Ork seine Laterne und beleuchtet sich damit den Weg. Ich halte Abstand, lasse mich von der undurchdringlich schwarzen Nacht umhüllen, beschützen und verbergen, und hecke einen Plan aus.
Finn und ich konnten meine Magie dazu einsetzen, Jalek aus der fensterlosen, türlosen Zelle im Goldenen Palast zu befreien, und da hatte ich den Trank des Lebens noch nicht getrunken. Jetzt, da ich Fae bin, fühlt sich meine Magie so endlos an wie eine sprudelnde, nie versiegende Quelle. Früher musste ich mich konzentrieren, um sie zu finden, aber jetzt habe ich sie einfach bei mir und sie zu benutzen fühlt sich so natürlich an wie Atmen. Wenn ich mich in ein Gefängnis schleichen kann, sollte ich auch in der Lage sein, mithilfe meiner Gabe die Kinder durch die Mauern hindurch in die Sicherheit der Nacht hinauszuführen. Ich kann nicht zu viele auf einmal mitnehmen, das wäre zu riskant, aber ich werde so oft zurückkehren wie nötig.
Wir reiten fast eine halbe Stunde durch den Wald, bevor der Weg uns zurück ins Mondlicht führt. Unverständliche Rufe ertönen in der Ferne, und der Geruch von Feuer kitzelt mich in der Nase. Ein letzter steiler Hügel, dann offenbart sich uns das pure Chaos, das vor uns liegt. Laut fluchend steigt der Ork vom Pferd, zieht sein Schwert und stürzt sich ins Getümmel. Feuer lodern in unregelmäßigen Abständen auf der Lichtung und Fae aller Art rennen wild durcheinander. Einige von ihnen, in das Gelb und Grau der Königinnengarde gekleidet, schwingen Seile und Netze und jagen Kindern hinterher. Andere sind mit Schwertern und Messern bewaffnet und schlagen auf die uniformierten Wachen ein.
Meine Stute wiehert und weicht ängstlich zurück.
»Ganz ruhig«, murmele ich und reite zu einer Baumgruppe, die außer Sichtweite des Kampfgetümmels liegt. Ich springe zu Boden, greife nach ihren Zügeln und binde sie lose um einen Baum. »Ich bin gleich zurück.«
Jenseits der Flammen und des Chaos ragt eine große Struktur mit Metalldach und Wänden aus Gitterstäben auf. Das Gefängnis ist ein eiserner Käfig. Die Königin hat die Kinder wie Tiere eingesperrt. Ich spüre es in meinen Knochen, in meinem Herzen. Ich spüre die Einsamkeit und die Angst der Kinder in mir so deutlich, als würden sie in meinen Armen schluchzen, und meine Wut erwacht in mir wie ein lebendiges Wesen und droht, aus mir herauszubersten.
Was für ein Monster tut Kindern so etwas an? Und was für ein Monster steht einfach daneben und lässt es zu?
Ich wusste, dass ich der Königin nicht vertraut konnte. Warum also habe ich Sebastian vertraut? Ich gleite durch die Dunkelheit näher an die Lichtung heran und versuche, die Lage einzuschätzen. Ein langhaariger Fae in Jas’ Alter schlägt schreiend um sich, während ein Ork ihn zu Boden drückt und ein anderer ihm eine Nadel in den Hintern sticht. Der Ork drückt den Spritzenkolben hinunter, und der Schrei des Jungen durchschneidet die Luft, die Nacht und mein Innerstes. So klingen die Höllenqualen, wenn Leib und Seele auseinandergerissen werden. Ich kenne diesen Schrei, weil auch ich ihn von mir gegeben habe, nachdem ich den Bund mit Sebastian eingegangen war. So schrie ich, als ich im Sterben lag.
Ich lasse meine Wut in mir wachsen, füttere sie wie eine Bestie, die ich auf meine Feinde loslassen will – für diese unschuldigen Kinder, für alle Höflinge, deren Leben durch den Fluch der Goldenen Königin beendet wurden, für alle Menschen, die um ihr Leben gebracht wurden, wenn sie sich ahnungslos mit einem Schatten-Fae verbunden haben. Für mich und mein eigenes, gebrochenes Herz.
Meine Magie schwillt im Gleichklang mit meiner Wut an, und als ich sie von mir schleudere, ist die Dunkelheit, die sich über die Lichtung senkt, so undurchdringlich, dass sogar der Schein der knisternden Flammen von der Nacht verschluckt wird.
Überraschte, entsetzte Schreie zerreißen die Luft, und ich nutze diese Stimmen, um meine Kräfte zu bündeln und meine Opfer ins Visier zu nehmen – voller Konzentration ziele ich durch die Schwärze auf die Seelie-Wachen und sperre eine nach der anderen in Käfige aus Dunkelheit.
Sie wehren sich gegen meine Dunkelheit und versuchen, sie mit ihrer eigenen Magie zu durchbrechen, aber ich bin stärker und ich erlaube es ihnen nicht.
»Netter Trick.«
Ich zucke zurück und greife nach meinem Schwert. Neben mir in der Dunkelheit kauert ein Fae. Ich war so auf die Wachen konzentriert, dass ich ihn überhaupt nicht bemerkt habe.
Seine rostroten Augen leuchten in der Dunkelheit wie die einer Eule, als er beschwichtigend beide Hände hebt. »Ich bin auf deiner Seite.« Er zeigt den Hügel hinunter, in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Silberne Netztattoos glühen pulsierend auf seiner Stirn wie Glasscherben, die im Mondlicht leuchten. Pretha und Lark haben dieselben Markierungen. Gehört er auch zu den Wilden Fae? »Die Königin hat Verstärkung gerufen«, sagt er. »Wir müssen diese Kinder zum Portal bringen, sie müssen hier weg sein, bevor die Wachen kommen. Die meisten von ihnen sind injiziert worden und werden sich nicht mehr wehren können.«
»Wohin führt das Portal?« Erst in diesem Augenblick wird mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, was ich mit den Kindern machen würde, nachdem ich sie befreit hatte. Ich war hierhergekommen, um sie zu beschützen und um diejenigen zu bestrafen, die ihnen wehgetan hatten. Aber eine Gruppe Unseelie-Kinder allein durch Seelie-Territorium zu führen wäre ein komplettes Desaster gewesen.
»Wir haben Flüchtlingslager im Land der Wilden Fae.«
Kann ich diesem Fremden vertrauen? Wie kann ich sicher sein, dass die Kinder dort gut aufgehoben sind?
»Nicht die Art Lager«, sagt er, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Dort stehen Häuser, keine Käfige. Es sind Siedlungen, in denen die Kinder ihre Familien wiederfinden können. Sichere Orte, an denen sie zu essen bekommen und geschützt sind, bis sie nach Hause zurückkehren können.«
Dann sehe ich sie im Wald: mehr Augenpaare wie seines, die auf das Lager blicken.
Ich weiß, dass Finns Leute oft dabei helfen, Unseelie-Flüchtlinge aus dem Reich der Königin in das Land der Wilden Fae zu bringen. Und da die Story dieses Fae mit dem übereinstimmt, was ich von Finns Leuten gehört habe, beschließe ich, das Risiko einzugehen, ihm zu vertrauen. »Okay. Ich kümmere mich um die Wachen, du bringst die Kinder zum Portal.«
»Und wie genau willst du dich um sie kümmern?«, fragt er.
»Vertrau mir.« Ich wende mich wieder dem Lager zu und konzentriere mich. Ich konnte nachts schon immer besser sehen als alle anderen, aber jetzt sehe ich beinahe so gut wie am Tag. Ich konzentriere mich auf die Wachposten, die den Käfig umringen, und lasse meine Magie wie ein Dutzend synchroner Pfeile von ihren Bögen schießen. Mit diesen Pfeilen ziele ich auf die Posten in den gelb-grauen Uniformen. Meine Dunkelheit packt sie, hüllt sie ein und lässt sie nicht mehr frei. Ein Wächter der Königin nach dem anderen wird mit Haut und Haaren von gewaltiger, undurchdringlicher Nacht verschluckt.
Der Fae neben mir schmunzelt. »Du gefällst mir.« Dann flitzt er blitzschnell wie ein Fuchs auf das Gefängnis zu.
Aber im Lager wimmelt es nur so von Seelie-Wachen, und als ich die nächsten einfange, kann ich den Fokus nicht mehr halten und verliere die Macht über einige andere.
Ein Wächter stürzt sich auf meinen neuen Freund und ruft seinen Kumpanen eine Warnung zu.
Mein Verbündeter weicht ihm aus, und ich hülle den Wächter in eine neue Schattendecke, bis er wieder verschwunden ist. Mein Freund wirft mir ein entzücktes Grinsen zu, bevor sich die Gitterstäbe plötzlich verbiegen und bersten. Gefesselte Kinder strömen auf die Lichtung. Ihre Ketten brechen auf und die Fesseln fallen zu Boden.
Hinter mir knackt ein Ast, ich drehe mich um und sehe eine Gestalt aus den Schatten treten. Ein Fae mit leuchtend roten Augen und gekrümmten Hörnern. Ich blinzele überrascht, weil er mich an Finns Freund Kane erinnert, aber diesen Typen kenne ich nicht. Dieser gehörnte Fae hat dunkles Haar und ragt nicht so turmhoch vor mir auf wie Kane. Es würde mich nicht wundern, wenn die Kinder vor dieser Furcht einflößenden Gestalt zurückschreckten, aber als er sie in Richtung Wald winkt, gehorchen sie und rennen ins Dickicht – zum Portal? –, als hinge ihr Leben davon ab. Wahrscheinlich tut es das auch.
Ein Schmerzensschrei lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf das Lager zurück. Ein wütend fauchender Wächter hält meinem neuen Freund ein Schwert an den Hals. Ich konzentriere mich auf den Wächter und schicke ihn in seine schlimmsten Albträume. Sein Schwert fällt zu Boden, und mein Verbündeter salutiert in meine Richtung, bevor er zum nächsten Abschnitt des gigantischen Käfigs rennt.
Meine Magie fühlt sich endlos an, ein Füllhorn, das immer noch mehr zu geben hat, wenn ich danach greife, doch die Erschöpfung droht mich zu überwältigen und mir das Bewusstsein zu rauben. Aber ich höre nicht auf. Solange ich die Kraft habe, dabei zu helfen, diese Kinder zu befreien, mache ich weiter.
Minuten verstreichen und auf meiner Stirn sammelt sich der Schweiß. Es fällt mir schwerer und schwerer, die Konzentration aufrechtzuerhalten. Wachmann um Wachmann schalte ich mit meiner Magie aus, während immer mehr Kinder aus dem Käfig fliehen, aber die Gegner entkommen meiner Dunkelheit inzwischen fast schneller, als ich sie einfangen kann.
Eine gewaltige Pranke packt mich im Nacken und reißt mich hoch. »Was haben wir denn da?« Ich werde so schnell herumgedreht, dass mir der Kopf in den Nacken schlägt. Stumm starre ich zu den trüben braunen Augen des Orks aus dem Gasthaus hinauf. Ein Stich, dann rast brennender Schmerz durch meine Schulter und wälzt sich durch meine Adern wie eine gewaltige Feuerwand. Ich versuche, mich mit meiner Magie dagegen zu wehren, aber anstatt von der nie versiegenden Machtquelle zu schöpfen, ist es, als wolle ich ein Glas aus einem leeren Krug füllen. Es ist nichts mehr da.
Einen Augenblick später breche ich zusammen.
***
»Ich hab sie gefunden.«
»Du hättest sie nicht gefunden, wenn Crally dir nicht gesagt hätte, wo die Magie herkommt.«
»Okay, aber ich hab sie aufgehalten. Ich will als Erster ran.«
»Du? Mich hat sie in den dunkelsten Winkel der Hölle geschickt. Ich will sie bluten sehen.«
»Den dunkelsten Winkel der Hölle? Hast du echt solche Angst im Dunkeln?«
»Halt ’s Maul. Du weißt nicht, wie es sich angefühlt hat, im Nichts zu verschwinden. Das Beste daran, dass dieser Fluch gebrochen wurde, wird das Gefühl sein, ihr meine Klinge ins Herz zu stoßen. Dreckige Unseelie-Schlampe.«
»Wenn einer von euch sie anrührt, bevor der Captain sie morgen früh verhört hat, dann seid ihr dran.«
Ich liege auf dem Boden und mein ganzer Körper brennt und schmerzt gleichermaßen. Metallfesseln schneiden mir in die Handgelenke, aber ich rühre mich nicht, halte die Augen geschlossen und höre den Männern um mich herum beim Reden zu.
»Hast du schon mal eine Unseelie-Schlampe mit solchen Haaren gesehen?«
»Sie sieht aus wie die Hendischi aus dem Tal der Schatten.«
»Ich hab noch nie eine Hendischi gesehen, die kleiner war als ich. Kann nicht sein.«
»Wahrscheinlich versteckt sie da drunter ihre Hörner.«
»Ich bin dafür, sie gleich abzumurksen. Er wird es nie erfahren.«
»Fällt dir eine andere Erklärung für das ein, was im Lager passiert ist?«, murmelt jemand halblaut.
Ich greife nach meiner Magie, finde aber nichts. Als würde ich versuchen, zu atmen, hätte aber in meinen Lungen keinen Platz für Sauerstoff. Ich versuche es wieder und wieder. Nichts.
Panik überwältigt mich, und unwillkürlich wehre ich mich gegen meine Fesseln.
»Ach, schaut mal. Sie wacht auf.«
Sie haben etwas mit mir gemacht. Sie haben mir irgendwie meine Magie gestohlen.
Die Injektionen.
Versuchsweise bewege ich meine Beine. Keine Fußfesseln. Aber die Fesseln um meine Handgelenke sind aus Eisen, und überall dort, wo mich das Metall berührt, brennt meine Haut.
Ich schaue stur zu Boden und scanne dabei meine Umgebung, so gut ich kann. Eine einsame Eule ruft von ihrem Aussichtspunkt über uns, und Insekten erfüllen die Luft mit ihrem nächtlichen Summen. Einen Meter vor mir brennt ein Lagerfeuer, um das zwei Orks herumliegen, als hätten sie hier ihr Nachtlager aufgeschlagen. Ein dritter steht direkt vor mir.
»Sie ist wach.« Ein Stiefeltritt in meinen Magen lässt mich aufschreien. »Sagt Hallo zu der Dreckschlampe, Jungs.«
»Pflanz deinen Arsch ans Feuer und lass sie in Ruhe«, sagt einer seiner Kumpane. »Sobald der Captain mit ihr geredet hat, kannst du sie dir vornehmen, aber jetzt lass sie in Frieden.«
Ich höre Kies knirschen, und zwei Stiefel erscheinen in meinem Blickfeld. Der Ork beugt sich über mich, bis sein Gesicht dicht vor meinem ist. Sein Atem stinkt nach Fäulnis und Verwesung, und seine zwei Hauer glänzen im Feuerschein. »Bist du bereit, unserem Captain zu begegnen? Ich hab einen Tipp für dich, Mädel. Sag ihm, mit wem du zusammenarbeitest und wer dir geholfen hat, dann tut er dir nicht ganz so dolle weh.«
»Sag ihr das doch nicht«, grunzt einer der Orks am Feuer. »Ich will die Schlampe schreien sehen.«
Wenn dieser Captain erst hier ist, dann bin ich geliefert. Ich muss vorher irgendwie abhauen, aber ich schaffe es kaum noch, bei Bewusstsein zu bleiben. Und selbst wenn ich nicht halb ohnmächtig wäre, was könnte ich schon ohne meine Magie und mit gefesselten Händen ausrichten?
Schlaf, Abriella.
Nein. Ich kann nicht. Aber die Stimme in meinem Kopf klingt wie meine Mutter.
Schlaf, und lass die Schatten spielen.
Die Aufforderung ist zu verführerisch. Ich kann ihr nicht widerstehen, mein Körper ist zu schwach. Ich schließe die Augen und schlafe.
***
Es ist Zeit. Flieh.
Ich reiße die Augen auf. Das Feuer von letzter Nacht knistert vor mir, und die ersten Strahlen der Morgensonne fallen durch die Bäume. Ein seltsamer Geruch liegt in der Luft. Ich setze mich auf, reibe mir mit den gefesselten Händen die Augen – und erstarre.
Mein Magen hebt sich, als ich meine Entführer betrachte. Die Orks sitzen immer noch am Feuer, aber anstatt mich wie gestern Nacht bösartig zu beschimpfen, sind sie … tot. Blutig und grauenhaft verrenkt, ihre Eingeweide über den Waldboden verteilt. Und dort im Dreck vor mir liegt mein Dolch – der, den ich in Schatten gehüllt an meinem Oberschenkel trage. Aber jetzt ist er unverhüllt. Und blutig.
Ich rappele mich auf und weiche zurück. Überall ist Blut, nur nicht auf mir. Ich bin immer noch gefesselt und geschwächt, wer also hat diese Wachen getötet? Und warum bin ich noch am Leben?
In der Ferne höre ich Hufschläge, die schnell näher kommen. Sie kommen. Der Captain ist gleich hier.
Ich ringe nach Luft, und mit dem Sauerstoff kehrt mein Verstand zurück. Ich drehe mich um und renne.
Meine Füße sind nackt – sie müssen mir die Stiefel abgenommen haben – und der Kies schneidet mir ins Fleisch. Bald sind meine Sohlen nass von warmem Blut, aber ich renne weiter. Auf blutigen Füßen, mit Lungen, die brennen, als würden sie gleich zerreißen, renne ich vor dem Geräusch der nahenden Hufschläge davon.
Außer Atem, jeder Muskel, meine Füße schmerzen. Aber ich renne weiter.
Der Kiespfad endet am Rande einiger Felder. Der Frühlingsweizen peitscht mir gegen Beine und Gesicht, als ich durch das Feld sprinte, aber ich bleibe nicht stehen. Vor mir sehe ich Ställe, und mit letzter Kraft stoße ich die Türen mit meinen gefesselten Händen auf und taumele hinein. Als ich mich drinnen in einer Ecke zusammengekauert habe, sind auch die letzten Spuren der Nacht aus dem Himmel verschwunden, und ich habe keine Energie mehr übrig, um mich ans Bewusstsein zu klammern.
Ich sacke an der Wand zusammen, schließe die Augen und sinke in einen tiefen Schlaf. Sogar in meinen Träumen renne ich weiter.
Bilder schießen mir durch den Kopf. Sebastians meergrüne Augen, als er mir versprach, mir ein Zuhause zu geben, die Rune in der Haut direkt über meinem Herzen, die unseren Bund repräsentiert, die eisernen Gitterstäbe der gigantischen Käfige, in denen die Königin die Unseelie-Kinder eingesperrt hat.
Das ist jetzt mein Leben. Flucht. Endlose Flucht, und in allen Richtungen nur Feinde.
Der Gedanke beißt sich in mir fest, während ich unruhig döse. Ich will die Zeit zurückdrehen. Ich will zurück nach Elora, bevor Jas verkauft wurde, bevor ich wusste, dass Sebastian ein Fae, ein Prinz ist. Ich will zurück in diese einsame, öde, mühselige Existenz. Es lag nicht vielen Menschen etwas an mir, aber wenigstens waren diese paar Menschen ehrlich. Und das Wenige, was mir gehörte, war echt.
»Und das soll die große Schönheit sein, um die sich Oberons Söhne streiten?«, fragt eine männliche Stimme.
»Schönheit braucht das Feuermädchen nicht. Sie ist eine begnadete Diebin und stiehlt Herzen so mühelos wie Juwelen«, antwortet eine Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkommt.
Bakken? Was macht Bakken denn hier?
Ein ungläubiges Schnauben. »Na, wenn du das sagst.«
Ich versuche meine Augen zu öffnen und scheitere. Meine Lider fühlen sich an wie zugekleistert und mein Mund scheint voller Sand zu sein.
»Sie sieht so heruntergekommen aus wie diese ungepflegten Ställe. Und sie riecht noch schlimmer«, sagt der Fae.
Ich versuche mich aufzusetzen und stöhne laut, als meine Muskeln sich in Protest verkrampfen.
»Wacht auf, Prinzessin Abriella. Euer Retter ist gekommen.«
Seine Worte ärgern und nerven mich so, dass ich es vor lauter Wut endlich schaffe, die Augen zu öffnen. Begrüßt werde ich vom Anblick glänzender Stiefel, die über muskulöse, in Leder gewandete Beine geschnürt sind. Ich hebe den Kopf und sehe einen sehr gut gebauten, sehr großen Fae mit olivfarbener Haut, der auf mich heruntergrinst. Durch sein dichtes Wuschelhaar sehe ich das Netztattoo auf seiner Stirn in leuchtendem Silber pulsieren.
»Da ist sie ja«, grinst der Fae und seine mandelförmigen, rostroten Augen funkeln amüsiert. »Willkommen zurück im Land der Lebenden.«
Ich kenne diese Augen. »Du hast gestern den Kindern bei der Flucht geholfen.«
Meine Worte werden mit einem breiten Lächeln belohnt. Irgendwie kommt mir dieser Kerl bekannt vor. Nicht nur, weil wir gestern kurz gemeinsam vor dem Unseelie-Gefängnis im Gras gekauert haben. Da ist noch etwas.
»Du bist einer der Wilden Fae«, sage ich mit heiserer Stimme.
Er schnaubt. »Na so was, wie schön, dass es dir aufgefallen ist. Können wir jetzt gehen? Bevor dein Prinz mich auf dem Land seiner Mutter findet und mich diesen Ausflug mit meinem Kopf bezahlen lässt?« Ich schaue den Kobold an, der neben ihm steht. Es ist doch nicht Bakken, sondern ein anderer Kobold, den ich nicht kenne. Die überlangen Zähne des Wesens glänzen speichelnass, als er gierig mein Haar anstarrt.
»Wohin sollen wir gehen?«, frage ich. Wenn ich spreche, habe ich das Gefühl, mit Messern zu gurgeln. Ich dachte, eine Fae zu sein würde bedeuten, dass man sich gesund, energisch und voller Leben fühlt, aber seit ich mit diesen Elfenohren aufgewacht bin, bin ich so schwach wie noch nie zuvor.
Der seltsame Fae schmunzelt. »Na ja, du hast eine Menge Kraft verbraucht, bevor du dich vollständig von deiner Metamorphose erholt hattest. Natürlich fühlst du dich grässlich.«
Ich starre ihn an. Liest er meine Gedanken oder ist das, was ich denke, derart offensichtlich?
»Beides. Aber wenigstens sind deine Füße verheilt.«
Er hat recht. Der Schmerz ist weg. Die einzigen Überbleibsel der letzten Nacht sind die Fesseln an meinen Handgelenken und das getrocknete Blut an meinen Füßen.
Der Fae winkt lässig in meine Richtung und das Eisen fällt von meinen Handgelenken. Er streckt mir die Hand hin. »Komm. Prinz Ronans Wachen werden gleich hier sein.«
»Woher weiß er denn, dass ich hier bin?«
»Der Bund?«, erinnert mich der Fae pointiert. »Wenn er sich die Mühe gemacht hätte, selbst nach dir zu suchen, anstatt seine Wachen vorzuschicken, dann hätte er dich bereits geschnappt. Aber weil du nie stehen bleibst, hatten seine Leute ziemlich viel Mühe, dich zu finden.«
Jetzt höre ich es – das Geräusch ferner Hufschläge. Ich muss schon wieder flüchten. Aber ich bin es so leid.
Der Fae nimmt eine Hand des Kobolds, der mir seine andere entgegenstreckt. »Und warum sollte ich dir vertrauen?«
Der Fae lacht. »Oh, das solltest du auf keinen Fall tun. Eigentlich solltest du überhaupt niemandem mehr vertrauen. Das ist in dieser Gegend eine ziemlich gefährliche Angewohnheit, und du hast damit einen gewaltigen Schlamassel angerichtet.«
»Wie bitte?«
Die Hufschläge sind näher gekommen. »Direkt voraus!«, höre ich jemanden rufen. Ich stehe auf und klopfe mir das Heu von der Hose. Dann schaue ich aus der Tür und erwarte, eine Gruppe Reiter direkt vor mir zu sehen. Aber da ist niemand. »Wo sind sie denn?«
»Hinter dem Hügel dort. Ungefähr eine Meile weit entfernt, aber sie werden bald hier sein«, sagt der Fae. Als er meine ungläubige Miene sieht, lacht er wieder.
»Du hast dich noch nicht an dein feines Fae-Gehör gewöhnt, aber das wird schon. Sollen wir?«
Ich zögere. Einerseits kann ich nirgendwo anders hin, und ich weiß, dass dieser Fae den Unseelie-Kindern geholfen hat, aus dem Gefängnis im Arbeitslager der Königin zu entkommen. Allein schon deshalb vertraue ich ihm. Andererseits hat er recht. Ich darf niemandem vertrauen.
»Wir haben nicht viel Zeit, Prinzessin.«
Ich ignoriere den Fae und wende mich an seinen Kobold. »Wo bringt ihr mich hin?«
»In das Land der Wilden Fae«, sagt der Kobold, während sein Blick so gehetzt durch den Stall huscht, als würden sich in allen Ecken Feinde verbergen.
»Aber ich bin an Sebastian gebunden. Ich …« Mühsam schlucke ich. Ich darf nicht zu viel darüber nachdenken, sonst breche ich zusammen. »Ich spüre ihn«, bringe ich schließlich zähneknirschend heraus. »Er wird mich finden können.«
Der Kobold antwortet nicht, aber sein Begleiter nickt. »Das stimmt. Aber er wird dich nicht erreichen können, ohne einen Krieg zu beginnen – einen Krieg, den er sich im Moment nicht leisten kann.«
Ich kann nicht nach Hause zurückgehen. Selbst wenn ich wüsste, wie ich nach Elora gelangen könnte, würde ich dort als Fae gejagt und entweder auf der Stelle getötet oder verprügelt und verstümmelt werden, so wie Oberon, bevor meine Mutter ihn fand und gesund pflegte. Sebastian hat zwar zwei Jahre lang dort gelebt, aber er hatte sich mit einem Trugzauber belegt, um wie ein Mensch auszusehen. Ich wüsste nicht, wie ich einen solchen Zauber bewerkstelligen sollte – und weiß nicht einmal, ob meine Magie es zulassen würde. Ich könnte zu Finn gehen. In der Nacht, als ich den Trank des Lebens getrunken habe, ist er in einem Traum zu mir gekommen … oder bin ich zu ihm gegangen?
Bist du glücklich?
Er hätte mir so vieles sagen oder mich so vieles fragen können, aber er wollte nur wissen, ob ich glücklich bin. Ein weniger großherziger Fae hätte mich wahrscheinlich wegen meines naiven Vertrauens in Sebastian verhöhnt.
Finn würde mir sicherlich Zuflucht gewähren, da bin ich mir sicher – er hat es mir bei seinem kurzen Besuch in meinem Traum schließlich selbst gesagt –, aber ich weiß nicht, warum. Ich habe die Krone nicht mehr. Ich habe nichts, was er brauchen könnte, abgesehen vielleicht von meiner Magie – aber jetzt, wo der Fluch gebrochen ist, hat er doch sicherlich seine eigene. Und selbst wenn er mich aufnehmen würde, weiß ich nicht, ob ich bereit bin, ihm wieder zu vertrauen. Sebastians Verrat war zwar schlimmer als Finns, aber beide Fae haben mich benutzt, mich manipuliert und versucht, mich auszutricksen. Und wofür? Macht? Die Krone? Von mir aus können sie sie haben.
»Wir haben wirklich nicht den ganzen Tag Zeit, Prinzessin.« Rostrote Augen blicken auf die Straße vor dem Stall.
»Ich bin nicht komplett hilflos. Wenn du versuchst, mich reinzulegen, sperre ich dich in eine Dunkelheit, so tief und schwarz, dass du darum betteln wirst, in deinen Albträumen Trost zu finden.«
Der Fae wirft seinem Kobold ein Grinsen zu. »Sie gefällt mir immer besser.« Dann nimmt er meine Hand, und der Kobold nimmt die andere.
Dann falle ich.
Ich fliege, taumele, schwanke nach links und rechts und nirgendwo gleichzeitig, bis wir plötzlich in einem schwach beleuchteten Schlafzimmer stehen. Vor den Fenstern erblühen die ersten Knospen der Morgendämmerung über einem Meer aus Bäumen tief unter uns. Im Reich der Seelie war es bereits hell, aber hier geht die Sonne gerade erst auf. Einen Moment lang überrascht mich das, aber dann fällt mir wieder ein, dass das Land der Wilden Fae sich sehr weit westlich vom Goldenen Palast der Königin befindet.
»Passt auf Euch auf, Feuermädchen«, sagt der Kobold, senkt dann den Kopf und verschwindet.
Ich schaue mit gerunzelter Stirn auf den leeren Platz, wo vor Sekunden noch der Kobold stand. »Warum arbeiten sie für dich?«
»Wie bitte?«
»Die Kobolde. Anscheinend steht jedem mächtigen Fae mindestens einer zu seiner Verfügung. Dabei braucht ihr doch die Magie der Kobolde, und nicht umgekehrt. Warum also dienen sie euch?«
Die rostroten Augen blicken mich durchdringend an, begleitet von einem schiefen Grinsen, als habe mich diese Frage mit einem Mal interessanter gemacht. »Kobolde gehen nur aus Eigennutz Allianzen mit unterschiedlichen Höfen ein, und zwar meistens, um Informationen zu bekommen. Ihr kollektives Wissen ist schließlich die Quelle ihrer Macht.«
»Kollektives Wissen?«
Der Fae nickt. »Genau. Was ein Kobold weiß, wissen kurz danach auch alle anderen Kobolde. Du darfst nie so töricht sein, zu glauben, dass ein Kobold, der deinen Befehlen Folge leistet, das tut, um dir zu dienen. Sie spielen eine wichtigere Rolle in der Politik dieser Welt, als die meisten ahnen. Sie handeln immer aus ihren eigenen Motiven heraus, und die teilen sie Außenstehenden fast nie mit.«
Seine Erklärung ergibt Sinn. Bakken mag zwar als Diener im Haus meiner Tante gelebt haben, aber ich hatte nie den Eindruck, dass sie ihn wirklich beherrscht hat.
Nickend schaue ich mir das Zimmer an, in dem ich stehe – das riesige Himmelbett, auf dem sich Bettwäsche türmt, die so weich aussieht, dass sie meinen müden Körper magnetisch anzuziehen scheint, die Fenster, vor denen sich eine Gebirgslandschaft ausbreitet, die so schön ist wie die Gärten des Goldenen Palastes, und die üppigen grünen Täler in der Ferne.
Hierherzukommen kam mir wie die beste Option vor, da ich weder zurück in den Goldenen Palast gehen noch Finn suchen wollte. Aber jetzt, da ich mit diesem seltsamen Fae allein bin, frage ich mich, ob ich nicht etwas zu voreilig war.
»Wo sind wir?«
Der Fae verschränkt die Arme und legt den Kopf auf die Seite. »Wir sind in meinem Zuhause.«
Mein Blick wandert wieder zum Bett. Falls er glaubt …
»Nicht doch, Prinzessin. Ich gehe nicht mit Frauen ins Bett, die nicht willig sind. Und – mit Verlaub – selbst, wenn du willig wärst …« Mit gerümpfter Nase mustert er mich und erschaudert angewidert. Dann schüttelt er den Kopf. »Ich habe kein Interesse an Bettpartnern, die wie der Misthaufen riechen, den mein Vater mich als Kind zur Strafe wegschaufeln ließ.«
Ich schnappe nach Luft. Wow, wie gemein.
Er schmunzelt. »Ich sage nur die Wahrheit. Du hast einen … Geruch an dir … wahrscheinlich von dem Stall, in dem du letzte Nacht geschlafen hast, aber du siehst auch aus, als hättest du seit zwei Wochen nicht gebadet. Verzeihung, aber ich finde dich wirklich nicht besonders verführerisch.«
Unglaublich. »Ich will dich auch nicht verführen. Ich will nur …« Was will ich eigentlich? Nichts. Ich will nur raus aus diesem Albtraum. Und das Einzige, was ich im Moment verführerisch finde, ist Schlaf.
»Dann schlaf«, sagt er und zeigt auf das Bett. »Aber vielleicht willst du zuerst baden? Ich rufe deine Kammerzofe.« Er wendet sich zum Gehen.
»Warte.«
Er zieht abwartend eine Augenbraue hoch.
»Wer bist du?«
Sein breites Lächeln lässt seine Augen strahlen. »Ich bin Mishamon Nico Frendilla, aber du kannst mich Misha nennen.« Er verbeugt sich aus der Hüfte. »Freut mich, dich offiziell kennenzulernen, Abriella.«
Misha. Prethas Bruder. Er sieht seiner Schwester ähnlich, deshalb kam er mir so bekannt vor. »Nein.« Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Du musst mich irgendwo anders hinbringen. Ich habe wirklich keinen Bedarf an weiteren Fae-Prinzen und ihren Höfen. Nein.«
Misha reißt die Augen auf. »Prinz? Mylady, ich bin der König. Und bei allem Respekt, wo willst du denn sonst hin? Du brauchst ein bisschen Zeit, um deine Gedanken und deine Gefühle zu ordnen, ohne dass Prinz Ronan dich dabei beeinflusst. Und diese Zeit kann ich dir bieten.«
»Raus aus meinem Kopf«, knurre ich. Noch weniger als Fae-Könige brauche ich einen Zufluchtsort, an dem nicht einmal mehr meine Gedanken mir selbst gehören.
Er seufzt. »Wie ich schon sagte: Ohne meine Erlaubnis kann Ronan nicht hierherkommen – wenn er keinen hässlichen Konflikt vom Zaun brechen will.«
»Du kannst ins Königreich der Sonne gehen, Portale öffnen und die Gefangenen der Königin stehlen, aber ich soll dir glauben, dass es eine Kriegserklärung wäre, wenn Sebastian hierherkommt, um mich mitzunehmen?«
»Glaub mir, die Königin würde nur zu gern Vergeltung für all das üben, was ich ihr genommen habe, aber das kann sie nicht. Nicht, ohne sich der ganzen Fae-Welt als die Sklaven haltende, Kinder stehlende, machthungrige Harpyie zu erkennen zu geben, die sie ist.«
»Aber Sebastian –«
»Ronan hat seine Macht noch nicht gefestigt, in keinem der beiden Königreiche«, sagt Misha. »Er kann nicht riskieren, seine wenigen wertvollen Anhänger dadurch zu verlieren, dass er Soldaten auf diesen Berg schickt, um ein Mädchen nach Hause zu holen.«
»Und Finn?«
»Finn weiß nicht, dass du hier bist«, sagt er achselzuckend.
»Und woher weiß ich, dass du dich nicht mit ihm verbündet hast und ihm Zugang zu mir verschaffen wirst?«
»Und wieso sollte er Zugang zu dir wollen? Was hast du ihm zu bieten?«
Ich zucke zurück. Die Wahrheit tut weh. Natürlich. Warum sollten sie irgendetwas für mich riskieren? Das, was sie wollten, habe ich nicht mehr. »Vielleicht hast du ja auch vor, mich an die Goldene Königin zu verkaufen? Oder suchst nach Informationen? Ich bezweifle sehr, dass du so nett zu mir bist, weil du gerne irgendwelchen dahergelaufenen Menschen hilfst.«
Er mustert mich wieder. In seinem Blick liegt keinerlei Lust, sondern nur Neugier. »Ich helfe normalerweise tatsächlich keinen dahergelaufenen Menschen, aber du, Abriella, bist weder dahergelaufen noch ein Mensch.«
»Du weißt, was ich …«
Er unterbricht mich mit einer Geste. »Was meine Gründe dafür angeht, dir zu helfen, muss ich dir recht geben. Selbstlos sind sie nicht. Ich bin schließlich für mein Königreich und all seine Bewohner verantwortlich, und ob es mir nun gefällt oder nicht – was die anderen Höfe tun, hat Auswirkungen auf meine Leute. Und du steckst leider mittendrin, ob es dir nun gefällt oder nicht.«
»Ich bin also eine Schachfigur?« Schon wieder.
Mishas Blick wird hitzig und er macht einen Schritt auf mich zu. »Wage es ja nicht, hier die arme, kleine, misshandelte Sterbliche zu spielen«, zischt er. »Oberon hat dir seine Krone und seine Macht gegeben, und damit hat er dein Schicksal an das Schicksal seines Königreiches gebunden. Du hattest keine Wahl, das stimmt. Aber die hatte ich auch nicht, als ich geboren wurde, um dieses Königreich zu regieren. Und dasselbe gilt auch für Prinz Ronan und Prinz Finnian. Du bist nicht die Einzige, der das Schicksal miese Karten zugespielt hat, und all dein Selbstmitleid wird nichts daran ändern, dass das, was du tust, Auswirkungen auf meine Familie, mein Volk und die ganze Welt der Fae haben wird.«
Mit offenem Mund starre ich den schönen Fae-König mit der scharfen Zunge an und suche nach einer schlagfertigen Antwort. Aber mein Verstand ist zu benebelt. »Ich habe die Krone nicht mehr. Ich bin nur ein Mädchen, das man gegen seinen Willen zur Fae gemacht hat. Ich bin niemand.«
Er schaut mich aufmerksam an und ich habe das Gefühl, dass er an all dem Schmutz und meiner Haut vorbei direkt in meine Seele blickt. »Du bist dreckig und total erschöpft. Du hast dich noch nicht vollständig von dem Trank erholt und in den vergangenen Tagen außergewöhnlich viel Magie eingesetzt. Wenn du so weitermachst, wird dich nicht einmal mehr das heilige Feuerjuwel an deinem Hals davor retten können, total auszubrennen.«
Meine Hand umklammert unwillkürlich den smaragdgrünen Anhänger zwischen meinen Brüsten. »Das heilige … was?«
»Feuerjuwel«, sagt er und sieht sich den Stein in meiner Hand genau an. »Wusstest du nicht, dass du einen Talisman um den Hals trägst? Einen extrem seltenen, äußerst wertvollen Talisman?«
Ich schaue genauer hin und realisiere, dass das Juwel gar kein Edelstein ist – zumindest keiner, den ich je zuvor gesehen habe. »Warum heißt es Feuerjuwel, obwohl es grün ist?«
»Es gibt sie in allen Farben, aber wahrscheinlich haben sie ihren Namen bekommen, weil es aussieht, als ob in ihnen Flammen lodern, wenn man sie gegen das Licht hält.«
»Und was bewirken diese Dinger?« Und warum hat Sebastian mir dieses Juwel geschenkt?
»Wahrscheinlich, um sicherzustellen, dass du stark genug bist, um die Transformation zu überleben. Nicht alle Menschen, die den Trank bekommen haben, durften sich danach am ewigen Leben erfreuen.«
Ich schlucke. Wirre Gefühle verknoten mir den Magen. Ist dies ein Zeichen dafür, dass Sebastian mich geliebt hat, oder ein weiterer vernichtender Beweis dafür, dass alles, was er getan hat, eiskalt kalkuliert war? Er wusste, dass ich sterben würde, wenn ich den Bund mit ihm einging, und er hat mir die Wahrheit verschwiegen. Mein menschliches Leben war der Preis dafür, dass er den Unseelie-Thron besteigen konnte.
»Du denkst zu viel«, sagt Misha. »Ich erkläre dir alles andere bald, aber jetzt brauchst du Ruhe.« Er öffnet die Zimmertür und ruft leise nach jemandem.
Eine weißhaarige Fae kommt ins Zimmer. Sie senkt den Kopf, geht an mir vorbei und verschwindet in einem angrenzenden Raum, der ein Badezimmer sein muss.
»Holly wird dir ein Bad einlassen und dir ein paar saubere Kleider bringen«, sagt Misha. »Falls deine Gedanken dich nicht schlafen lassen, steht neben dem Bett ein Schlaftrunk bereit.«
Als würde ich irgendetwas nehmen, das …
»Er ist nicht vergiftet, Prinzessin. Es ist eine schlaffördernde Kräutertinktur, die meine Heilerin für dich vorbereitet hat. Ob du sie nimmst oder nicht, bleibt ganz allein dir überlassen.«