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Benoni, Postbote in einem Ort in Nordland und völlig aussichtslos verliebt in Rosa, wird von dem reichen Kaufmann Mack angeheuert und zum Fischfang vor die Lofoten geschickt – und schließlich fast zu dessen rechter Hand. Um sich Benonis zu versichern, überredet der allmächtige Mack sein Patenkind Rosa, sich mit diesem zu verloben. Benoni ist außer sich vor Glück, aber dann taucht Rosas verschollener Verlobter Nikolai wieder auf – die Katastrophe ist vorprogrammiert. Wunderschön und zugleich urkomisch, mit atemberaubenden Schilderungen der Natur, der Nächte, in denen es nie dunkel wird, der wilden Stürme, der Lofotenfischerei, wo die Männer monatelang auf dem Meer sind. »Mein Lieblingsbuch!« – sagt Gabriele Haefs. Braucht es noch mehr, um diesen Klassiker des Literaturnobelpreisträgers Knut Hamsun anzupreisen, dem Gabriele Haefs mit ihrer Neuübersetzung seinen originalen Glanz zurückgeschenkt hat?
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Seitenzahl: 352
Knut Hamsun, Norwegens bedeutendster und umstrittenster Romancier, wurde 1920 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Eine Ironie der Geschichte: Hamsun, der aus ärmsten Verhältnissen stammte und in seiner Kindheit nur insgesamt 356 Tage lang die Schule besuchen konnte, gehört als genialer Autor zu den meistgelesenen und einflussreichsten Schriftstellern der Welt.
Gabriele Haefs ist eine der bekanntesten Übersetzerinnen Deutschlands (u. a. von Jostein Gaarder, Camilla Grebe, Anne Holt, Máirtín Ó Cadhain). Auszeichnungen u. a.: Gustav-Heinemann-Friedenspreis, Sonderpreis des Dt. Jugendliteraturpreises für ihr übersetzerisches Gesamtwerk, Königlich-Norwegischer Verdienstorden.
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Kapitel XIV
Kapitel XV
Kapitel XVI
Kapitel XVII
Kapitel XVIII
Kapitel XIX
Kapitel XX
Kapitel XXI
Kapitel XXII
Kapitel XXIII
Kapitel XXIV
Kapitel XXV
Kapitel XXVI
Kapitel XXVI
Kapitel XXVIII
Glossar
Über Knut Hamsun (1859–1952)
Impressum
Zwischen dem See und Benonis Haus liegt ein Wald. Es ist nicht Benonis Wald, sondern eine Allmende, ein großer Mischwald aus Nadelbäumen, Birken und Espen. Zu einer bestimmten Zeit im Sommer kommen Menschen aus zwei Gemeinden hier zusammen und hacken und fällen nach Herzenslust; wenn sie fertig sind und das Holz nach Hause gebracht haben, herrscht wieder für ein Jahr Stille im Wald, und Wild und Vögel haben ihre Ruhe. Ab und zu durchquert ein Lappe auf dem Weg von der einen Gemeinde in die andere den Wald, ansonsten ist nur Benoni hier sommers wie winters unterwegs. Und Benoni geht bei trockenem Wetter und bei nassem Wetter los, wie es sich gerade ergibt, er ist ein starker und energischer Bursche, der sich von Hindernissen nicht einschüchtern lässt.
Benoni ist Fischer, wie alle hier an der Küste. Aber außerdem bringt er die Post über die Berge und zurück, er macht diese Tour alle vierzehn Tage und bezieht für diese Arbeit einen kleinen, festen Lohn. Nicht alle werden jedes Quartal vom Staat bezahlt, und deshalb gilt Benoni unter seinesgleichen als Teufelskerl und Erfolgsmensch. Es ist durchaus schon vorgekommen, dass hier und da irgendjemand nach einem erfolgreichen Heringsfang heimkehrte und aufgrund von Geld und Ansehen laut pfeifend einherging. Aber das war niemals von langer Dauer. Die guten Leute standen bei Kaufmann Mack auf Sirilund tief in der Kreide, und wenn sie ihre Schulden bei ihm beglichen hatten, blieb ihnen nur noch eine Erinnerung an damals, als sie vor lauter Reichtum auf den Wegen zu pfeifen begonnen hatten. Benoni dagegen war unverändert Jahr für Jahr mit der königlichen Post auf dem Rücken unterwegs, und er war einfach ein Teufelskerl und eine Obrigkeit mit Schloss und Löwe auf seiner Posttasche.
Eines Morgens kam er durch den Allmendewald und war auf dem Weg durch das Gebirge, es war Sommer und hier und da hackte im Wald jemand Holz. Und die Tochter des Pastors aus der Nachbargemeinde war mit Hut und Feder unterwegs.
Da ist Benoni, jetzt habe ich Gesellschaft auf dem Heimweg, sagt sie. Und sie hieß Rosa.
Benoni grüßt und sagt, wenn sie mit ihm vorliebnehmen will.
Sie war eine stolze Dame. Benoni kannte sie gut, hatte sie aufwachsen sehen, aber nun war er ihr seit ungefähr einem Jahr nicht mehr begegnet, wo immer sie gesteckt haben mochte. Und Küster Arentsen vom Küsterhof hatten einen Sohn, einen hellen Kopf, der nun schon seit vielen Jahren unten im Süden die Juristerei studierte; also war es vielleicht der junge Arentsen, den Rosa besuchte, wenn sie nicht zu Hause war. Niemand wusste etwas Genaues, Rosa war so schweigsam.
Ach, Rosa hatte wohl auch ihre kleinen Geheimnisse und konnte sich durchaus seltsam verhalten, sozusagen für ihren eigenen Bedarf. Heute zum Beispiel musste sie doch schon um vier Uhr morgens in Feld und Wiese unterwegs gewesen sein, damit sie um acht im Wald sein konnte. So unternehmungslustig und furchtlos war sie. Ihr Vater war ebenfalls ein stolzer und großer Mann, in allen seinen freien Stunden betätigte er sich als Schütze und als vielseitiger Jäger. Dazu verfügte er über berühmte Rednergaben.
Benoni und Rosa gingen zwei Stunden lang plaudernd weiter, und sie stellte ihm viele Fragen. Sie setzten sich zu einer Ruhepause hin, Benoni bot ihr sein mitgebrachtes Fladenbrot an und sie griff eifrig zu, um ihm eine Freude zu machen. Dann gingen sie wieder eine Stunde lang weiter, bis ein heftiger warmer Regen einsetzte, und Rosa schlug vor, sich irgendwo unterzustellen. Aber Benoni, der die königliche Post austrug, konnte dazu keine Zeit erübrigen. Sie gingen noch eine Weile weiter, dann rutschte Rosa auf dem feuchten Boden aus und konnte danach kein richtiges Gleichgewicht mehr finden.
Benoni sah sie an, und sie tat ihm leid. Und er blickte zum Himmel und ihm war klar, dass der Regen demnächst aufhören würde; um ihr einen Gefallen zu tun, sagte er:
Wenn Ihr euch also damit zufriedengeben könntet, eine Weile unter einem schlichten Felsvorsprung zu sitzen.
Sie begaben sich unter den Felsvorsprung, und dort war es geradezu wie in einer Höhle.
Hier sitzt man ja aufs Wunderbarste, sagte Rosa und kroch ganz weit nach hinten. Wenn man nun noch deine Löwentasche ausleihen könnte, Benoni, als Sitzunterlage.
Das wage ich einfach nicht, erwiderte Benoni entsetzt. Aber wenn Ihr einen benutzten Pullover nicht verschmäht.
Mit diesen Worten zog Benoni seinen Pullover aus und reichte ihn der Dame.
Wie umsichtig er ist, dachte sie ihrerseits wohl, und vielleicht gefiel der junge Mann ihr durchaus. Sie scherzte mit ihm und wollte unbedingt den Namen seiner Liebsten erfahren.
Nach zehn Minuten trat Benoni hinaus ans Tageslicht und blickte abermals forschend zum Himmel hinauf. In diesem Moment kam ein wandernder Lappe vorbei und sah ihn. Es war dazu ausgerechnet der Lappe Gilbert.
Regnet es noch?, fragte Benoni, um etwas zu sagen. Er war ein bisschen verlegen.
Nein, jetzt ist der Himmel klar, erwiderte der Lappe. Benoni holte seine Posttasche und seinen Pullover aus der Höhle, und die Pastorentochter kam hinter ihm her.
Der Lappe blieb stehen und sah sich alles an …
Und der Lappe Gilbert ging zur Küste und brachte die Neuigkeit ins Dorf und von dort begab er sich geradewegs zum Kaufladen auf Sirilund.
Du, Benoni, sagten nun die Leute nach diesem Tag zum Scherz, was hattest du denn mit Pastors Rosa in der Höhle zu suchen? Du bist halbnackt und erhitzt herausgekommen und hattest keinen Pullover an. Was sollen wir denn davon halten?
Dass du ein echtes Klatschweib bist, das sollst du davon halten, erwiderte Benoni wie eine wahre Obrigkeit. Wenn ich den Lappen erwische, der das gesagt hat!
Aber die Zeit verging und verstrich, und der Lappe Gilbert wagte sich abermals unter Benonis Augen.
Eijeijei, was hattest du denn damals in der Höhle zu suchen und was hast du dort gemacht?, fragte er vorsichtig. Und er lächelte mit zusammengekniffenen Augen, als ob er in die Sonne blickte.
Das kann dir ja wohl egal sein, erwiderte Benoni vielsagend und lächelte ebenfalls. Schlimmer wies er den Lappen nicht zurecht.
Benoni blies sich inzwischen selbst ein wenig auf, weil so große Worte über ihn und Pastors Rosa im Umlauf waren. Es ging auf Weihnachten zu, und als er mit seinen elenden Standesgenossen beim Weihnachtsschnaps saß, war er wahrlich ein Mann, der hoch hinausgekommen war. Nun hatte der Lensmann ihn auch noch zum Gerichtsboten ernannt und nichts wurde versteigert oder gepfändet, ohne dass Benoni zugegen gewesen wäre. Da er zudem des Lesens und Schreibens kundig war, durfte er, wenn Not am Mann war, auf dem Kirchanger die Bekanntmachungen des Lensmannes verlesen.
Ja, das Leben tat ihm einen Gefallen nach dem anderen, das Leben wollte Benoni wohl, dem Postbenoni. Und alles, was er anpackte, glückte ihm. Pastors Rosa war bald kein bisschen mehr zu gut für ihn.
Damals in der Höhle!, sagte er und schnalzte mit der Zunge.
Du willst doch wohl nicht behaupten, dass du sie gehabt hast?, fragten die Kameraden.
Benoni antwortete:
Es hätte sich wohl kaum vermeiden lassen.
Großer Gott! Und jetzt wirst du sie wohl heiraten?
Benoni antwortete abermals:
Das kann dir egal sein. Es kommt jetzt einzigst und alleinst auf den Benoni und mich an.
Aber was wird denn Nikolai vom Küsterhof dazu sagen?
Was soll der Nikolai schon sagen? Der hat keine Chance.
Damit war es gesagt.
Und es wurde so oft und von so vielen gesagt, dass es ja wohl seine Richtigkeit haben musste. Gott allein weiß es, aber Benoni fing vielleicht selbst auch an, daran zu glauben.
Wenn der hochangesehene Pastor Herr Jacob Barfod aus der Nachbargemeinde jemanden zu sich in sein Pfarrbüro bestellte, musste man einfach gehorchen. Der Pastor hatte zwei Türen vor seinem Büro, die eine vor der anderen, und schon zwischen diesen beiden Türen rissen sich die Leute meistens die Mütze vom Kopf.
Als Benoni das nächste Mal die Post brachte, wurde er zum Pastor bestellt.
Das habe ich jetzt davon, dass ich den Mund so weit aufgerissen habe, dachte Benoni voller Angst. Der Herr Pastor hat von meiner Prahlerei gehört, und jetzt wird er mich ruinieren und vernichten. Aber da er nun einmal zum Pastor bestellt worden war, blieb ihm nichts anderes übrig, als hinzugehen. Benoni riss sich zwischen den beiden Türen die Mütze vom Kopf und trat ein.
Aber der Pastor war an diesem Tag nicht gefährlich. Er wollte Benoni sogar um einen Gefallen bitten.
Du siehst doch diese Blaufuchsfelle, sagte er. Die habe ich seit Winteranfang. Ich kann sie hier nicht loswerden. Nimm sie mit zu Mack auf Sirilund.
Benoni war so ungeheuer erleichtert, dass er lossprudelte wie ein Wasserfall:
Ja, das werde ich ganz bestimmt tun. Und zwar noch heute Abend, um sechs Uhr heute Abend.
Du kannst Mack von mir ausrichten, dass derzeit für Blaufuchs acht bis zehn Speziestaler bezahlt werden.
In seiner großen Erleichterung plapperte Benoni weiter:
Zehn Speziestaler? Sagt lieber zwanzig. Die sollen doch nicht zu einem Schleuderpreis weggegeben werden, das nun wirklich nicht.
Und dann bringst du mir das Geld, Benoni.
Beim nächsten Mal. So sicher, wie ich hier stehe, als Sün… ich werde das Geld vor Euch auf den Tisch des Hauses legen.
Als Benoni durch das Gebirge nach Hause ging, war er weder hungrig noch müde, vor lauter Zufriedenheit mit sich und dem Leben. Sieh an, der Pastor bat ihn bereits um kleine Dienste, er wurde gewissermaßen schon in die Familie einbezogen. Eines Tages würde Fräulein Rosa wohl einen Schritt weiter gehen.
Benoni bekam dann auch zehn Taler für jedes Blaufuchsfell, und er brachte das Geld sicher und zuverlässig zurück zum Pfarrhaus. Aber diesmal war der Pastor nicht zu Hause, Benoni traf nur die Pastorengattin an und musste ihr das Geld aushändigen. Zum Dank für seine Mühe bekam er Kaffee und einen Schnaps.
Und wieder ging Benoni heim zu seinem kleinen Haus an der Küste und dachte dabei so allerlei. Nun musste Fräulein Rosa etwas unternehmen, es ging auf das Frühjahr zu und die Zeit für eine Entscheidung war gekommen.
Also schrieb er einen Brief an die Pastorentochter, und es wurde ein schöner Brief. Am Ende bat er sie in offenen Worten, ihn nicht ganz fallenzulassen. Und hochachtungsvollst, Benoni Hartvigsen, Gerichtsbote.
Den Brief brachte er persönlich hin.
Doch jetzt fasste das Leben Benoni nicht mehr mit Samthandschuhen an. Seine Prahlerei und seine schändlichen Behauptungen beim Weihnachtsschnaps waren nun endlich in der Nachbargemeinde und bei Pastors Rosa angelangt. Damit brachen schlimme Zeiten an.
Abermals ließ der Pastor der Nachbargemeinde Benoni zu sich bestellen. Benoni hatte sich in letzter Zeit immer gut gekleidet, mit einer Jacke über der anderen, um die Ärmel der äußeren hochkrempeln zu können. Dazu trug er ein besonders schönes Hemd aus Kattun.
Das ist die Antwort auf den Brief, dachte Benoni, er will meine Absichten kennenlernen, es kann schon stimmen, dass es in dieser Welt so manchen gemeinen Verführer und Betrüger gibt, aber ich bin keiner davon.
Benoni fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Auf dem Pfarrhof ging er zuerst in die Küche, um vielleicht irgendetwas zu erfahren, vielleicht gab es dort ein Gesicht, das etwas verraten könnte.
Der Pastor will mit dir sprechen, sagten die Mägde.
Na, mehr als ein Nein auf seinen Brief konnte er ja nicht bekommen. Und seinem Ansehen könnte das nun wirklich nicht schaden. So richtiges Interesse an der Pastorentochter hatte er eigentlich auch nicht gehabt.
Ach was, antwortete er den Mädchen und richtete sich auf. Dann will ich mal zum Pastor hineingehen. Und er strich sich durch die Mähne, er hatte so füllige und zottige Haare.
Er will mich sicher nur um einen neuen Gefallen bitten, dachte er auf seiner Wanderung zum Pfarrbüro.
Als er eintrat, standen dort der Pastor und dessen Tochter. Niemand erwiderte seinen Gruß. Der Pastor reichte ihm ein Blatt Papier und sagte:
Lies das.
Dann fing der Pastor an, im Zimmer auf- und abzuschreiten. Rosa stand derweil groß und stumm neben dem Schreibtisch.
Benoni las. Es war eine Erklärung, die besagte: Das, was ich, Benoni Hartvigsen, an ehrenrührigen Behauptungen über mich und Fräulein Rosa Barfod verbreitet habe, nehme ich hiermit öffentlich zurück und erkläre das Ganze zur unverschämten Unwahrheit.
Benoni hatte Zeit genug, um zu lesen. Am Ende fragte der Pastor, gereizt angesichts Benonis immer heftiger zitternden Händen und seines langen Schweigens:
Hast du es noch immer nicht gelesen?
Doch, antwortete Benoni leise.
Was hast du dazu zu sagen?
Es ist wohl so, stammelte Benoni. Es war nichts anderes zu erwarten.
Und er schüttelte den Kopf.
Der Pastor sagte:
Setz dich hierher und schreibe deinen Namen unter diese Erklärung.
Benoni legte seine Mütze auf den Boden, ging gesenkten Hauptes zum Schreibtisch und schrieb. Er vergaß nicht, einen langen Schwung unter seinen Namen zu ziehen, das hatte er sich nämlich angewöhnt.
Nun wird dieses Papier an den Lensmann in deiner Gemeinde gesandt, um vor der Kirchtür verlesen zu werden, sagte der Pastor.
Benoni war es jetzt so dumpf und schwer im Kopf.
Ja, das wird es wohl, erwiderte er.
In dieser ganzen Zeit stand Rosa groß und stumm beim Schreibtisch …
Das Leben war nicht mehr höflich. Bald kam der Frühling, die Krähen fingen an, sich Zweige zu holen, aber wo waren Freude und Gesang und Lächeln und Herrlichkeit? Und was kümmerte Benoni nun der reiche Heringsfang! Er hatte kleine Anteile an drei Ringwadennetzen, die guten Ertrag gebracht hatten, und er hatte ganz großartig gedacht, das könnte ihm und Pastors Rosa doch zugutekommen – wie jämmerlich töricht war er doch gewesen!
Einen Tag lang lag er vor Kummer im Bett und sah seine alte Magd kommen und gehen und wieder kommen. Und wenn sie fragte, ob er krank sei, dann war er krank, und wenn sie fragte, ob es ihm jetzt nicht besser gehe, dann war er fügsam und antwortete, ja, jetzt gehe es ihm besser.
Er blieb auch den nächsten Tag liegen. Der Samstag kam. Ein Bote brachte ein Paket vom Lensmann.
Hier ist ein Mann mit einem Paket vom Lensmann, sagte die Haushälterin an seinem Bett.
Benoni antwortete:
Ach. Ja, leg das Paket dorthin.
Das sind die Bekanntmachungen, die ich morgen verlesen soll, dachte Benoni. Er blieb noch eine Weile liegen, plötzlich springt er auf und öffnet das Paket: Versteigerungen, ausgebrochene Häftlinge, die Steuererklärungen des laufenden Jahres. Und dort lag auch seine eigene Erklärung. Er greift sich mit beiden Händen an den Kopf.
Dann musste er es also selbst tun, vor der Kirche stehen und seine eigene Schande verkünden!
Er biss die Zähne zusammen und sagte:
Jaja, Benoni!
Doch als der morgige Tag kam und die Sonne schien, da verlas er seine Erklärung nicht. Er verlas alles andere, aber das nicht; die Sonne, die Sonne war zu stark und hundert Augen starrten ihm ins Gesicht.
Er ging traurig und niedergeschlagen nach Hause, er wich allen aus und suchte sich einen Weg durch Wald und Moore, um allein zu sein. Ach, es war das letzte Mal, dass Benoni Begleitung angeboten wurde, die er nicht annahm, weitere Angebote bekam er nicht.
Bald kam heraus, dass Benoni vor der Kirche eine Ankündigung unterschlagen hatte. Am nächsten Sonntag setzte der Lensmann eine Mütze mit Goldrand auf und verlas die Erklärung selbst, vor den Ohren einer großen Menschenmenge.
Im Dorf hatten sich nun also unbeschreibliche Dinge zugetragen, und vom Ebbestreifen bis zum Bergsaum summte das Gerede. Benoni war gefallen, er gab auch die Tasche mit dem Löwen zurück und hatte zum letzten Mal Post ausgetragen. Weshalb er nun auf Gottes Erde nichts mehr darstellte.
Eine Woche lang saß er zu Hause in seiner Stube und grübelte und grämte sich. Doch eines Abends kam ein Netzbaas zu ihm und brachte ihm seinen Anteil am Heringsfang. Danke!, sagte Benoni. Am nächsten Abend stand Netzbaas Norum, der einen ebenso reichen Fang gemacht hatte, gleich vor Benonis Tür. Von ihm bekam Benoni den Ertrag von drei Anteilen an dem Ringwadennetz und dazu einen großen Strandanteil. Danke!, sagte Benoni.
Ihm war alles gleichgültig, er war zu nichts mehr gut.
Wenn der Kaufherr Mack auf Sirilund einem anderen Menschen etwas Gutes oder etwas Böses tun wollte, war er mächtig genug dazu. Und seine Seele war schwarz und weiß zugleich. Er ähnelte seinem Bruder Mack auf Rosengaard darin, dass er tun konnte, was er wollte, doch er übertraf den anderen darin, dass er ab und zu tat, was er nicht sollte.
Nun ließ Mack Benoni ausrichten, er solle sich unverzüglich auf Sirilund einfinden.
Benoni ging mit dem Boten zurück, der einer von Macks Ladenschwengeln war. Benoni fürchtete sich inzwischen vor allem auf der Welt und fragte verzagt:
Was kann er denn von mir wollen? Hat er ungnädig ausgesehen?
Ich könnte nicht sagen, was er von dir will, erwiderte der Ladenschwengel.
Dann lass uns in Gottes Namen zu ihm gehen!, sagte Benoni düster.
Als er vor Macks Kontor stand, war er hoffnungsloser und demütiger denn je. Er blieb so lange dort stehen, räusperte sich und machte sich so ordentlich zurecht, wie er nur konnte, dass Mack ihn selbst hörte und die Tür aufriss.
Na – komm rein!, sagte Mack höchstpersönlich.
Und niemand konnte ihm ansehen, ob er Benoni erheben oder in den Schmutz treten wollte.
Du hast dich schlecht betragen, sagte Mack.
Ja, antwortete Benoni.
Aber die anderen haben sich ebenso schlecht betragen, sagte Mack.
Damit schritt er durch das Zimmer, trat ans Fenster und schaute hinaus. Plötzlich drehte er sich um und fragte:
Du hast in letzter Zeit ein schönes Stück Geld verdient?
Ja, sagte Benoni.
Was willst du damit machen?
Ich weiß nicht, mir ist alles egal.
Du solltest dafür Hering kaufen, sagte Mack. Hering gibt es gleich vor deiner Tür, du wirst allen Hering verarbeiten und einsalzen, den du dir leisten kannst. Und alles in den Süden schicken. Tonnen und Salz kannst du, wenn du willst, von mir beziehen.
Benoni sagte lange Zeit gar nichts, und Mack fragte kurz und gut:
Fängst du morgen an?
Wie Ihr meint, antwortete Benoni.
Mack trat wieder ans Fenster und kehrte ihm den Rücken zu, sicher dachte er nach. Ai, dieser Mack war ein großer Denker! Benoni hatte ein wenig Zeit gewonnen und fing nun seinerseits an, ein bisschen zu denken. Mack war bei Geschäften ein aalglatter Teufel, seine Seele war vielleicht eher schwarz als weiß. Benoni wusste, dass Mack der größte Teil des Herings gehörte, der vor seiner eigenen Hütte lagerte, jetzt wollte er die Gelegenheit nutzen und etwas davon absetzen, wollte verkaufen. Es war schon spät im Jahr und der Hering konnte durchaus bereits als Köder dienen. Außerdem würde Mack dann aus seinem großen Lager an leeren Tonnen und Salz etwas loswerden.
Das alles ließ sich Benoni durch den Kopf gehen, und er sagte:
Es kommt aber auf den Preis an. Das versteht sich.
Ich will dir helfen, erwiderte Mack und drehte sich um. Du musst doch auf irgendeine Weise wieder auf die Beine kommen. Du hast einen Fehler begangen, aber das haben die anderen auch, und jetzt muss es reichen mit allem, was dir zugemutet wird.
Du wirst schon sehen, dass er das ehrlich meint, dachte Benoni. Plötzlich fühlte er sich weich und dankbar, und er sagte:
Ich stehe zutiefst in Eurer Schuld.
Mack sprach nun allmächtige Worte:
Ich werde ein Brieflein an unseren guten Nachbarspastor schicken, sagte er. Ich bin übrigens Rosas Patenonkel, ich werde ihr und ihrem Vater meine Meinung sagen. Aber das geht dich eigentlich nichts an. Wieviel Geld hast du?
Ach, da kommt wohl einiges zusammen.
Du kannst dir ja denken, sagte Mack, dass deine Taler für mich keine größere Rolle spielen. Ich darf doch wohl sagen, dass dir das sonnenklar ist. Darum geht es also nicht. Aber ich will dir wieder auf die Beine helfen.
Ja, und dafür verdient Ihr Lob und Dank.
Du hast den Preis erwähnt. Darüber können wir morgen sprechen. Wir treffen uns dann auf dem Boot.
Mack nickte, um klarzustellen, dass das Gespräch beendet sei, doch als Benoni in der Tür stand, rief der Kaufmann noch:
Übrigens, wo ich schon den Brief erwähnt habe, es ist dieser hier. Du kannst ihn mit zur Post nehmen, dann wird er morgen losgeschickt …
Benoni wurde Heringsaufkäufer. Er heuerte Leute an, die die Heringe ausweideten und einsalzten und seine Tonnen hin und her rollten. Da Mack auf Sirilund ihm wieder sein Vertrauen geschenkt hatte, wer glaubte da noch, darüber erhaben zu sein und Benoni meiden zu können?
Am Ende verspürte Benoni in seiner starken Brust etwas von der alten Freude und dem früheren Wohlbefinden.
Er hatte sich von Kaufmann Mack durchaus nicht zu leichtfertigen Geschäften verleiten lassen. Nach der ersten kleinen Aufmunterung wurde er rasch wieder zu einem umsichtigen und verständigen jungen Mann, und er investierte nicht sein gesamtes Geld in Hering. Die Hälfte muss reichen, dachte Benoni. Außerdem war Macks Brief an Pastor Barfod inzwischen abgegangen und Mack konnte ihn nicht zurückholen.
Benoni kaufte Hering und salzte Hering und wurde wieder ein wenig zu einem Mann. Er merkte, dass die Leute ihn wieder grüßten, wenn er vom Heringsplatz kam und ging, und dass sie Ihr zu ihm sagten, weil er nun unter ihnen zum Kaufmann geworden war.
Sein Heringshandel hätte leicht schiefgehen können und Mack verdiente wohl kaum das Vermögen, das er anfangs erwartet hatte. Aber während Mack in großem Stil operierte und zwei Frachtdampfer mit Heringsmasse nach Bergen schickte, mietete Benoni in winzigkleinem Stil eine von Macks Jachten und fuhr am Ende des Frühlings mit zwei Mann Besatzung nach Süden. Er suchte kleine und große Läden auf und verkaufte seine Waren tonnenweise. Es hätte schlechter für ihn laufen können, er verdiente etwas, legte Geld auf die hohe Kante. Um den Johannistag herum kam er wieder nach Hause.
Nun geschah es, dass Pastors Rosa abermals seinen Weg kreuzte, er begegnete ihr bei der Kirche, sie ritt. Im Dorf war nur selten jemand zu Pferd unterwegs, und alle Menschen vor der Kirche betrachteten sie neugierig. Benoni grüßte demütig und bescheiden mit seinem Hut und entlockte ihr ein Nicken. Kein Schatten huschte über ihr Gesicht, dann ritt sie im Schritt weiter, der Wind ließ ihren Schleier weit hinter ihr herwehen wie blauen Rauch. Sie war wirklich ein Anblick!
Auch diesmal ging Benoni von der Kirche aus durch Moore und Wald nach Hause. Ich bin elender als viele andere Geschöpfe, dachte er, aber diese feine Dame hat vielleicht gehört, dass ich wieder auf die Beine gekommen bin und dass ich etwas verdient habe. Warum hätte sie mir sonst zunicken sollen?
Gegen Ende des Sommers erhielt er das Angebot, Macks Klippfisch mit der Galeasse nach Bergen zu bringen. Er war noch nie in Bergen gewesen, aber einmal ist es ja immer das erste Mal, und wenn andere den Weg dorthin fanden, würde es ihm ja wohl auch gelingen.
Ich sehe, du hast bei allerlei Tätigkeiten eine glückliche Hand, lauteten Macks Worte an ihn.
Ich habe die Hände und Füße, die Ihr mir zurückgegeben habt, erwiderte Benoni, was genau richtig war und Mack die Ehre zusprach.
Es war kein kleiner Schritt, Kapitän auf der Galeasse Funtus zu werden. Benoni war jetzt den Schullehrern im Dorf mindestens ebenbürtig, und da er nun ein vermögender Mann war, brauchte er keine Umwege zu den kleinen Händlern auf den weit draußen gelegenen Inseln zu machen.
Einige Zeit vor Weihnachten kehrte er mit der Galeasse nach Hause zurück, alles war gutgegangen und sein Fahrzeug war vollbeladen mit allerlei Waren, die Mack sich auf diese Weise aus Bergen bringen ließ, um die Frachtkosten zu sparen.
Benoni fühlte sich im Herzen wie ein Admiral, als er von der Galeasse an Land ging und die Grüße der Menschen am Anleger erwiderte. Mack empfing ihn freundlich und höflich und bot ihm in seinem eigenen Salon einen Schnaps an. Zum ersten Mal betrat Benoni diesen Raum, und es gab dort große ererbte Gemälde an den Wänden und vergoldete Möbel, und unter der Decke hing ein Kronleuchter mit hundert Anhängern aus lauterem Kristall. Danach gingen sie ins Kontor, wo Benoni die Abrechnung vorlegte, und Mack dankte ihm.
Nun war Benoni angesehener denn je, und die Leute, mit Mack an der Spitze, fingen langsam an, ihn mit Hartvigsen anzureden. Nicht einmal in seinen Tagen als königlicher Briefträger und Gerichtsbote war er für irgendeine Menschenseele Hartvigsen gewesen, doch nun war er es. Er legte sich Vorhänge zu für die Fenster in seiner Hütte, was man übrigens reichlich übertrieben nennen konnte, und im Küsterhaus wurde denn auch darüber gelästert. Er hatte sich zudem aus Bergen einige feine weiße Hemden mitgebracht, die er zum Kirchgang trug …
Zu Weihnachten wurde er in Macks Haus eingeladen. Mack lebte allein, seine Tochter Edvarda hatte einen finnischen Baron geheiratet und kam nie mehr nach Hause; in Macks Räumlichkeiten regierte eine fremde Haushälterin, aber sie war ihren Aufgaben gewachsen und hatte gern Gesellschaft.
Es waren noch andere Gäste da, unter ihnen befand sich auch Pastors Rosa. Als Benoni sie sah, drückte er sich bescheiden und verstohlen an eine Wand.
Mack sagte:
Da ist Fräulein Barfod, die kennst du ja. Sie ist absolut nicht nachtragend.
Ich habe von meinem Patenonkel gehört, dass du unschuldig bist, Benoni, sagte Rosa geradeheraus und deutlich. Dass ihr zu Weihnachten einen getrunken hattet und dass jemand anderes es gesagt hat. Damit sieht alles ganz anders aus.
Ich weiß nicht … es wäre doch möglich, dass ich selbst … es nicht gesagt habe, murmelte Benoni.
Der Fall ist damit für alle erledigt, sagte Mack und führte Rosa beiseite wie ein Vater.
Benoni fühlte sich gleich wohler, alles wurde leichter, alles wurde lichter. Mack hatte ihm abermals geholfen, ja, er hatte ihn gereinigt wie weiße Wolle. Das machte ihm solchen Mut, dass er hinüberging und den Lensmann begrüßte. Später bei Tisch verhielt er sich vielleicht nicht in jeder Hinsicht wie die anderen Herren, aber er schaute gut hin und lernte an diesem Abend so einiges. Macks Haushälterin saß neben ihm und war ihm eine gute Gastgeberin.
Dem Gespräch bei Tisch entnahm er, dass Pastors Rosa bald wieder eine kurze Reise antreten würde. Er musterte sie verstohlen. Wer stolz und fein war, war eben stolz und fein, daran ließ sich nichts ändern. Es half nichts, mit Hering Geld zu verdienen und an den Fenstern Vorhänge anzubringen; wer nicht zur Größe geboren war, blieb doch einfach Benoni. Rosa konnte nicht mehr ganz jung sein, doch sie besaß die Gaben Gottes und hellbraune Haare und lachte herzlich und schön mit ihrem reifen Mund. Und keine hatte eine so hohe Brust wie sie. Ich will hier aber kein Narr sein und sie noch länger anstarren, dachte Benoni.
In den Fjorden wird schon Hering gefangen, sagte Mack unter vier Augen zu ihm und zeigte ihm eine Depesche. Komm morgen früh ins Kontor.
Benoni wäre jetzt lieber für einige Zeit zu Hause geblieben, um die Achtung zu genießen, auf die er als Schiffer auf der Galeasse Anspruch hatte. Dennoch ging er am nächsten Morgen zu Mack.
Ich habe ein Angebot für dich, sagte Mack. Ich überlasse dir gegen Barzahlung mein Ringwadennetz, dann kannst du auf eigene Kappe Fischfang betreiben. Wie gesagt, in den Fjorden wird schon Hering gefangen.
Benoni mangelte es nicht an Dankbarkeit und er dachte daran, wie sehr ihm Mack am Vorabend geholfen hatte. Doch das Ringwadennetz war nicht mehr das, was es einmal gewesen war. Er sagte nur:
Aber dafür bin ich nicht Manns genug.
Doch, das bist du, das bist du, widersprach Mack. Du hast eine glückliche Hand. Bei mir sieht das anders aus, ich muss alles von anderen erledigen lassen, und ich habe niemanden für das Ringwadennetz.
Ich würde lieber versuchen, es für Euch zu führen, schlug Benoni vor.
Mack schüttelte den Kopf und sagte:
Du bekommst es billig, mit Booten und Ausrüstung, ähnlich wie zwei Kichererbsen. Das ist doch ein wahres Schnäppchen.
Ich werde es mir überlegen, erwiderte Benoni bedrückt.
Er überlegte und überlegte, aber das führte schließlich doch dazu, dass er das Ringwadennetz kaufte. Keiner war wie Mack, und Benoni wagte nicht, bei ihm in Ungnade zu fallen. Er heuerte Leute an und segelte mit der Ringwadennetzmannschaft in die Fjorde.
Nun durfte er auch beim Himmel nicht in Ungnade fallen!
Er hielt drei Wochen lang zusammen mit den anderen Ringwadennetzfischern Ausschau. Es gab nur sehr wenig Hering, er machte einige Versuche, aber der Hering reichte gerade als Kost für die Mannschaft, und sein Ringwadennetz hatte zu viel gekostet für diese Art Wirtschaft. Seine Stimmung wurde immer düsterer, der größte Teil seines Reichtums steckte jetzt in einem alten Ringwadennetz, das nichts einbrachte, sondern nur jeden Tag ein wenig mehr verrottete. Mack war ihm nun doch ein teurer Retter gewesen.
Eines Abends sagte er zu seinen Leuten:
Hier ist nichts mehr zu machen. Wir müssen uns heute Nacht hinauswarpen.
In aller Stille fuhren sie los, warpten und segelten dann davon. Die Nacht war nass und kalt, sie blieben in Ufernähe. Es ging auf den Morgen zu. Benoni stand kurz davor, das Ruder zu verlassen und in bitterer Stimmung seine Koje aufzusuchen, als er in der Ferne vom Meer her ein Brausen vernahm. Er schaute in der Dunkelheit nach Osten, und er schaute in der Dunkelheit nach Westen, konnte aber keinerlei Vorboten eines Sturmes wahrnehmen. Was dröhnt es so seltsam in der Luft?, dachte Benoni. Er blieb also am Ruder und steuerte unter Land, mit dem Meer auf der Seite, es wurde etwas heller, es würde ein diesiger Tag werden. Er hörte das seltsame Dröhnen in der Luft nun deutlicher. Plötzlich springt Benoni auf und späht, noch war nicht viel zu sehen, aber die fernen Vogelschreie sagten ihm jetzt, was da auf ihn zukam. Er weckte sofort seine Leute und trieb sie an die Arbeit.
Jetzt kam der Hering vom Meer herein.
Mit einem ungeheuren Walzug und einem Wirrwarr, einem Tausendschrei von Vögeln wurde der Hering in den Fjord getrieben.
Benonis Boote befanden sich zu weit an der Seite, fast direkt unter Land, und ehe er die Fjordmitte erreicht hatte, waren Wale und Vögel bereits vorübergezogen. Das Meer war weiß von Walgischt und Seevögeln.
Wir hätten nicht hinaussegeln dürfen, dachte Benoni düster.
Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als in vielen Stunden zur Fjordmitte hinzukreuzen, um vielleicht noch das Ende des Festes zu erwischen.
Es wurde heller. Der eine oder andere verspätete Wal brauste vorüber.
Jetzt sah Benoni das große Heer von Vögeln vom Fjordinneren her zurückkehren und abermals auf ihn zuhalten, die Heringe hatten einen großen Bogen gemacht und die Wale jagten sie noch immer. Benoni lag vor einer Bucht, irgendetwas hatte dafür gesorgt, dass sich die Heringsmasse in zwei Schwärme aufgeteilt hatte, vielleicht lag es an den verspäteten Walen, die der Menge entgegenschwammen und sie zerspalteten, Verwirrung herrschte. Die Heringe glitzerten wie ein Sternenheer um Benonis Boote. Es hätte nichts gebracht, in diese Walmenge ein Ringwadennetz zu versenken. Benoni keucht auf. Da sieht er, dass die ganze Bucht kocht und dass der Himmel über ihm weiß ist von Vögeln, die Bucht ist bis zum Bersten mit Hering gefüllt. Benoni rief einen kurzen Befehl und griff blitzschnell bald hier, bald dort zu, das Netz wurde ausgeworfen. Sie spannten es von einem Ufer der Bucht bis zum anderen, der Hering hatte fast das trockene Land erreicht. Hier war das Ringwadennetz gefragt.
Immer noch erhob sich ein ungeheurer Lärm von Walen und Vögeln über dem Meer und zeigte an, wohin der zweite Heringsschwarm unterwegs war.
Benoni war schweißnass und seine Knie zitterten, als er ins Beiboot stieg. Er ließ sich am Ringwadennetz entlangrudern, um sich davon zu überzeugen, dass es fest und dicht gespannt war.
Da war es ja doch gut, dass wir losgefahren sind, dachte er.
Er schickte zwei Mann mit einem Brief los, um Mack auf Sirilund diesen großen Fang zu melden. Er beschrieb die Beschaffenheit des Herings, der sei von einer guten Mischung; er beschrieb die Tiefe der Bucht, es bestehe keine Gefahr von Bodengeschmack. Außerdem schrieb er, es sei wie der Finger Gottes gewesen, der Hering habe im Fjordinneren kehrtgemacht und sich vor Benonis Augen gleichsam in einer Bucht eingeschlossen … Was die Größe des Fangs angeht, so nehme ich mir die Kühnheit, keine Zahl zu nennen, denn nur Er, der die Himmelskörper zählt, hat diese berechnet. Hochachtungsvoll, Benoni Hartvigsen, mein Name.
Mack war ihm nun wie immer ein guter Freund und depeschierte nach Ost und West, um Benoni Käufer zu besorgen. Und Segler und Dampfer glitten jeden Tag in den Fjord und lagen vor Benonis Ringwadennetz; es kamen auch Fischerboote aus seinem eigenen Dorf, die Köderheringe für die Lofotfischerei brauchten, und mit denen rechnete er nicht so genau ab, sondern gab gern auch ein Maß mehr dazu.
Es kam jetzt in der stillen Bucht zu einem bisher nie gekannten Verkehr von angereisten Kaufleuten und Uhrenjuden und Seiltänzern und losen Frauenzimmern aus den Städten, es war wie auf einem Markt, an den kahlen Stränden stand bald eine kleine Stadt aus Kästen und Zelten und Schuppen. Und das Geld glitzerte wie Heringsschuppen in allen Händen …
Im Frühling sagte der große Mack zu Benoni:
Ich will dir eins sagen, mein guter Hartvigsen, du solltest heiraten.
Benoni verstellte sich und gab den überaus Bescheidenen, als er das hörte, und erwiderte:
Mich will doch keine.
Aber du musst natürlich nach deinem Stand und deinem Vermögen heiraten und darfst dich nicht wegwerfen, fuhr Mack unangefochten fort. Ich wüsste schon, wo es eine passende Dame gibt. Naja, darüber reden wir jetzt nicht. Sag mal, Hartvigsen, hast du bei deinen Geschäften mit mir bisher schon größere Verluste erlitten?
Verluste?
Es sieht so seltsam aus. Du musst doch einiges an Geld haben, aber du legst es nicht bei mir an.
So große Mittel habe ich auch wieder nicht.
Du versteckst dein Geld also in der Truhe? Das ist schon komisch. So, wie deine Vorfahren ihr Geld bei meinen versteckt haben, solltest du deins bei mir verstecken. Ich sage das aus keinem anderen Grund, als dass wir das eben alle so gewöhnt sind.
Zögernd erwiderte Benoni:
Es ist nun eben so, dass alte Leute mir solche Angst gemacht haben.
Ach was? Die haben dir wohl von den Konkursen nach dem Krieg erzählt? Mein Vater war ein großer Handelsmann und er ist nicht in Konkurs gegangen. Ich bin ja wohl auch kein kleiner Krämer, und ich bin nicht in Konkurs. Das hoffe ich doch bei Gott.
Ich hatte schon vor, mit meinem geringen Scherflein zu Euch zu kommen, sagte Benoni.
Da trat Mack wieder ans Fenster und versank in Gedanken, wie es seine Art war; er hatte Benoni den Rücken zugekehrt. Endlich sagte er:
Hier kommen sie aus dem ganzen Dorf zu mir und ich bin für die Menschen wie ein Vater. Sie geben mir ihre Schillinge, bis sie sie wieder benötigen, und ich gebe ihnen eine Quittung mit meinem Namen: Sirilund, an diesem oder jenem Tage, Ferdinand Mack. Dann vergeht eine kürzere oder längere Zeit, sie kommen wieder und bitten um ihr Geld, und hier ist die Quittung, sagen sie. Gut, ich zähle ihnen das Geld vor, bitte sehr! Dann sagen sie: Aber das ist zu viel, so viel war es nicht. Das sind die Zinsen, sage ich.
Ja, die Zinsen, sagt Benoni ohne nachzudenken.
Natürlich gibt es Zinsen. Ich benutze Geld und ich verdiene Geld, erwidert Mack und wendet sich vom Fenster ab. Und was nun dich betrifft, Hartvigsen, so hast du doch eine größere Summe. Dir gebe ich keine schnöde Quittung, sondern einen hochoffiziellen Wechsel, einen Pfandbrief. Ich sage das aus keinem besonderen Grund, so mache ich es eben. Die Leute mit dem großen Geld kann man nicht so behandeln wie die mit dem kleinen, sie brauchen Sicherheit. Denn deine Summe ist ja keine, die ich einfach jederzeit aus der Westentasche ziehen und dir zurückgeben kann, deshalb verpfände ich dir einen Teil von Gut Sirilund mit allen Herrlichkeiten und Fahrzeugen.
Ihr macht Witze!, ruft Benoni verwirrt aus. Dann riss er sich zusammen und fügte hinzu: Ich meine, Ihr solltet so etwas nicht sagen. Das ist doch wirklich gewaltig übertrieben.
Benoni hatte von Kind auf immer nur das eine über Mack und die Größe von Sirilund gehört: Allein die Handelsstation mit Anleger, Mühle, Schankrechten, Dampferanlegestelle, Bäckerei und Schmiede war viele Male mehr wert als sein Kleingeld, dazu kamen der Gutsbetrieb mit kleinen Inseln, auf denen Seevogeleier gesammelt wurden, Moltebeermooren und Dörrplätzen, endlich die Galeasse und die beiden Jachten.
Zu Benonis Verwirrung antwortete Mack sanft und überlegen:
Ich sage doch nur, dass es bei mir so gemacht wird. Insofern könntest du unbesorgt sein, was dein Geld angeht. Aber darüber reden wir jetzt nicht mehr.
Bitte, gebt mir ein wenig Bedenkzeit, stammelte Benoni. Wenn mir die alten Leute nicht solche Angst gemacht hätten … aber wenn Ihr also … ich würde ja schon gern.
Wir reden nicht mehr darüber. Weißt du, woran ich da eben am Fenster gedacht habe? An mein Patenkind, Fräulein Rosa Barfod. Ich musste einfach an sie denken. Hast du schon mal an sie gedacht, Hartvigsen? Es ist schon seltsam mit den jungen Leuten, nach Weihnachten ist sie nach Süden gereist und wollte ein Jahr ausbleiben, aber nun ist sie wieder nach Hause gekommen. Vielleicht zieht etwas sie hierher. Na, adieu, Hartvigsen. Du kannst dir das mit dem Geld ja überlegen, wenn du willst. Ganz wie du willst …
Es kam nun aber so, dass der gute Benoni einen Tag nach dem anderen verstreichen ließ, ohne Mack den Gefallen mit seinem Geld zu tun. Soll er sich doch Zeit lassen, dachte vielleicht Mack auf Sirilund, der glatte Aal in allerlei Handel und Wandel; soll er doch seine Antwort so lange für sich behalten!, dachte er vielleicht. Denn über solche Kleinigkeiten, wie Benoni zu sich zu bestellen, war er erhaben.
An Benonis Verstand war nichts auszusetzen, er hatte Macks Andeutungen über Pastors Rosa durchaus verstanden. Nachdem er tage- und nächtelang gegrübelt hatte und darüber ein wenig listiger geworden war, beschloss er, Mack zu umgehen und auf eigene Faust zu handeln. Nein, er war durchaus nicht Herr über den großen Reichtum, den Mack ihm da unterstellte; woher hätte er den nehmen sollen? Hoho, Benoni war schließlich nicht umsonst der ehemalige Teufelskerl.
Er machte sich fein, mit zwei Überjacken und einem Kirchenhemd, wanderte durch die Allmende und über die Berge und begab sich geradewegs zum Pfarrhof. Er hatte sich schon ausgerechnet, dass Pastor Barfod sich außer Haus aufhalten würde.
Er ging in die Küche und behauptete, in Geschäften unterwegs zu sein, er müsse über den Sund. Ob der Pastor ihm wohl das Boot leihen würde.
Der Pastor sei nicht zu Hause, erwiderten die Mägde.
Aber seien auch die gnädige Frau und Fräulein Rosa ausgegangen? Richtet ihnen bitte aus, dass Benoni Hartvigsen hier ist.
Das Boot bekam er. Aber weder die gnädige Frau noch Rosa kam heraus und sagte: Guten Tag, guten Tag, Hartvigsen, bitte, kommen Sie doch in die gute Stube.
Es hilft wohl nichts, dachte Benoni. Er ruderte über den Sund, lungerte eine Weile im Wald herum, ruderte zurück und ging abermals in die Pfarrhofsküche, um sich für das Boot zu bedanken.
Aber es blieb dabei, die Herrschaft ließ sich nicht blicken.
Es hilft rein gar nichts, dachte Benoni, als er durch die Berge nach Hause ging. Er war in vieler Hinsicht wie Eisen und Stahl, aber feinen Leuten gegenüber wurde er unterwürfig und verzagt. Was soll ich machen?, dachte er dann weiter über Rosa nach. Soll ich nach meinen Möglichkeiten heiraten, oder soll ich mich unter denen umsehen, die ehemals meinesgleichen waren, und im Nichts versinken?
Zu Hause machte er sich gewaltig an die Arbeit, er hatte jetzt vier Zimmerleute angestellt, die einen großen Netzschuppen errichteten. Doch sein Gemüt wurde dadurch nicht lichter und leichter, seine Unzufriedenheit wuchs und er wurde misstrauisch; er hatte den Eindruck, dass die anderen ihn nun wieder Benoni nannten und nicht mehr Hartvigsen.
Womit hatte er diese Schmach verdient?
Eines Tages sagte Mack zu ihm:
Du baust einen Schuppen, das wäre nicht nötig gewesen. Deine Netze hättest du umsonst bei mir unterbringen können, wie bisher. Aber was ich noch sagen wollte: Du solltest an deinem Haus anbauen lassen. Wenn du nach deinem Stand heiraten willst, brauchst du noch zwei Zimmer. Die Damen wollen das so.
Sie sprachen noch etwas länger darüber, und plötzlich kam Benoni der Gedanke, das Mindeste, was er tun könne, sei Mack Vertrauen zu erweisen und sein Geld zu holen. Auf dem Heimweg ließ er sich noch einmal alles durch den Kopf gehen: Bei der gewaltigen Sicherheit, die Mack dagegen stellte, bestand schließlich keinerlei Gefahr für seine Silberschillinge, sie würden ihn vielmehr zu Macks geheimem Kompagnon und zum Mitbesitzer von Sirilund machen. Ach, dieses Geld, wenn das Glück es nur wollte, machte es einen armen Schlucker zum großen Herrn.
Er brachte seinen Reichtum in einem Sack, es war viel Geld. Benoni wollte durchaus nicht knausern; wenn Mack ihm also die Ehre erwies, ihn für reich zu halten, sollte er auf jeden Fall recht behalten. Deshalb scharrte er fast genau fünftausend Speziestaler zusammen, um eine beeindruckende Summe vorlegen zu können.
Ja, Donnerschock!, sagte Mack, um Benoni zu schmeicheln.
Ihr müsst meinen bescheidenen Geldsack entschuldigen. Ich habe keinen besseren, erklärte Benoni und schluckte.
Mack jedoch wollte ihm nicht noch weiter entgegenkommen.
Aber so viel Silber!, sagte er. Papiergeld ist doch jetzt pari.
Was ist es?
Pari. Das bedeutet, es ist genauso gut wie Silber. Das weißt du doch. Aber Silber ist eben das Beste.
Ich dachte, ich hätte hier einigermaßen gutes Geld gebracht, in Silber und in Papier, sagte Benoni ein wenig gekränkt.
Mack wollte ihn in seinem Übermut immer noch nicht bestärken, er antwortete kurz: Natürlich!, und begann zu zählen. Das dauerte lange, überall ragten Türme aus Münzen auf, stürzten ein und wurden in einen Sack gefegt. Dann wurden die Geldscheine gezählt, und schließlich ging Mack mit überaus feierlicher Miene ans Werk und schrieb einen großen Wechsel aus.