Berufsbezug in südeuropäischen DaF-Hochschulcurricula vor und nach der Krise von 2008 - Matthias Prikoszovits - kostenlos E-Book

Berufsbezug in südeuropäischen DaF-Hochschulcurricula vor und nach der Krise von 2008 E-Book

Matthias Prikoszovits

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Beschreibung

Südeuropa sah sich im Zuge der Wirtschaftskrise von 2008 damit konfrontiert, dass viele arbeitslos gewordene BürgerInnen, darunter auch zahlreiche AkademikerInnen, in den amtlich deutschsprachigen Raum auswanderten und bereits vor der Emigration Deutsch mit einem Berufsbezug erlernen wollten. Der Band fokussiert diese in der Öffentlichkeit bislang wenig thematisierte innereuropäische Arbeitsmigration und nimmt dabei die Verbindung mit dem DaF-Erwerb in den Blick. Er geht der Frage nach, ob die Wirtschaftskrise dazu geführt hat, die Berufsbezogenheit der Hochschullehrpläne für Deutsch als Fremdsprache in Italien und Spanien zu erhöhen, beides Länder, die besonders stark von der Krise betroffen waren. Als Basis hierfür dient ein Korpus von 40 italienischen und spanischen Hochschulcurricula, die zur Hälfte aus der Zeit vor und nach der Krise stammen und mittels einer qualitativ orientierten Inhaltsanalyse untersucht wurden.

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Matthias Prikoszovits

Berufsbezug in südeuropäischen DaF-Hochschulcurricula vor und nach der Krise von 2008

Untersuchungen an Lehrplänen aus Italien und Spanien

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Dissertation am Institut für Germanistik der Universität Wien.

Gefördert mit freundlicher Unterstützung der Bergischen Universität Wuppertal.

 

 

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

ISBN 978-3-8233-8392-5 (Print)

ISBN 978-3-8233-0257-5 (ePub)

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis1 Einleitung1.1 Die Krise ab 2008: Terminologie und Fokus Südeuropa1.2 Allgemeines Erkenntnisinteresse1.3 Aktualität und Relevanz des Themas1.4 Gang der UntersuchungTheoretischer Teil2 Curriculumtheorie2.1 Curriculumforschung im amtlich deutschsprachigen Raum und im DaF-Bereich ab den 1960er bis zu den 2010er Jahren2.2 Terminologie2.2.1 Bezeichnungen für Curricula im amtlich deutschsprachigen Raum bzw. in Italien und Spanien2.2.2 Curricula – Richtlinien – Lehrpläne2.3 Ebenen der Curriculumerstellung2.4 Funktionen von Curricula2.5 Zielfindungsansätze für Curricula und ihre Eignung für berufsbezogene Unterrichtsplanung2.5.1 Lebenssituationen – Qualifikationen – Bildungsinhalte2.5.2 Zielfindung nach Prinzipien2.5.3 Sprachlich-kommunikative Anforderungen als Ausgangspunkt für empirisch fundierte Curriculumentwicklung2.5.4 Zielfindung für berufsbezogene DaF-Hochschullehrpläne2.6 Curriculare Veränderungen als Forschungsfokus2.7 Resümee3 Berufsbezogener DaF-Unterricht3.1 Kommunikative Anforderungen im Arbeitsleben3.2 Begriffsbestimmung3.2.1 Berufsbezogener/berufsorientierter DaF-Unterricht/Fremdsprachenunterricht3.2.2 Fremdsprache und Zweitsprache in beruflichen Kontexten3.3 Forschung zum berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht im amtlich deutschsprachigen Raum ab den 1990er bis zu den 2010er Jahren3.4 Berufsbezogene Unterrichtselemente3.4.1 Lehr- und Lernziele3.4.2 Sprachliche Handlungen und berufsorientierte Themenfelder3.4.3 Lehrkräfte3.4.4 Methodik/Didaktik3.4.5 Abschlüsse – Zertifizierung – Leistungsmessung3.5 Studien ähnlicher Ausrichtung3.6 ResümeeEmpirischer Teil4 Forschungsdesign4.1 Forschungsfrage und Zielsetzungen4.2 Untersuchte Schwerpunktregionen4.2.1 Südeuropa4.2.2 Germanistik und DaF in Italien4.2.3 Germanistik und DaF in Spanien4.3 Auswertungsmethode: Qualitative Inhaltsanalyse4.3.1 Vierstufiges Forschungsvorgehen4.3.2 Auswahl der Auswertungsmethode und Ausschluss anderer Methoden4.3.3 Die qualitative Inhaltsanalyse als historisch gewachsene Methode der Sozialwissenschaften4.3.4 Vorteile und Nachteile der qualitativen Inhaltsanalyse4.3.5 Ablaufmodelle für die Vorstudie und die Hauptstudie5 Vorstudie5.1 Korpus der Vorstudie5.2 Verortung des Korpus der Vorstudie in einem Kommunikationsmodell5.3 Aufbereitung der Daten des Korpus der Vorstudie5.4 Vorgehen bei der Analyse des Korpus der Vorstudie5.5 Validierungsmaßnahme 15.6 Ergebnisse der Vorstudie und Kodierleitfaden6 Hauptstudie6.1 Korpus der Hauptstudie6.2 Verortung des Korpus der Hauptstudie in einem Kommunikationsmodell6.3 Aufbereitung der Daten des Korpus der Hauptstudie6.4 Vorgehen bei der Analyse des Korpus der Hauptstudie6.5 Validierungsmaßnahme 26.5.1 Erläuterung des Validierungsverfahrens6.5.2 Aufbereitung der Daten der Validierungsmaßnahme 26.5.3 Vorgehen bei der Analyse der Daten der Validierungsmaßnahme 27 Ergebnisse der Hauptstudie7.1 Quantitative Ergebnisse der Hauptstudie7.1.1 Korpusgröße und Umfang der Lehrpläne7.1.2 Italien – Spanien7.1.3 Größe des Universitätsstandorts: Unter 100.000 Einwohner – 100.000–400.000 Einwohner – Metropolregion7.1.4 Germanistiken/Philologien – andere Fächer7.1.5 Größe der Universitäten nach Studierendenzahlen7.2 Qualitative Ergebnisse der Hauptstudie7.2.1 Qualitative Aspekte: Größe des Universitätsstandorts7.2.2 Qualitative Aspekte: Andere Fächer7.2.3 Qualitative Aspekte: Schwerpunktländer8 Conclusio8.1 Überblick über den Arbeitsverlauf8.2 Zusammenfassung, Interpretation und Diskussion der Ergebnisse8.3 Limitationen8.4 AusblickQuellenangabenI LiteraturverzeichnisII InternetangabenLinks in der Reihenfolge ihres Vorkommens im TextAnhangI Deutsches und englisches AbstractAbstract auf DeutschAbstract in EnglishII Abstracts der Handbuchartikel und Fachartikel des Korpus der VorstudieIII Verzeichnis der untersuchten LehrpläneIV Validierungsmaßnahme 1: Blätter zum ZuordnenV Validierungsmaßnahme 2: InterviewleitfädenInterviewleitfaden ItalienA. Einleitende Fragen:B. Allgemeine Hauptfragen:C. Spezifische Hauptfragen:Interviewleitfaden SpanienA. Einleitende Fragen:B. Allgemeine Hauptfragen:C. Spezifische Hauptfragen:VI Zusammenfassungen der Inhalte der InterviewsVII Lehrplanbeispiele

Abkürzungsverzeichnis

BA – Bachelor

CLIL – Content and Language Integrated Learning

DAAD – Deutscher Akademischer Austauschdienst

DaF – Deutsch als Fremdsprache

DaZ – Deutsch als Zweitsprache

FSU – Fremdsprachenunterricht

GER – Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen

Kod – Kodierung

MA – Master

OeAD – Österreichischer Austauschdienst

OK – Oberkategorie

ÖSD – Österreichisches Sprachdiplom Deutsch

UK – Unterkategorie

1Einleitung

DaF wird heute von vielen Menschen aus beruflichen Gründen gelernt. Vor allem seit den 1990er Jahren wird Deutsch an den verschiedensten Lernorten auch verstärkt berufsbezogen vermittelt, so auch an Universitäten. Ein an einer Hochschule absolviertes Studium assoziieren Studierende mit erhöhten Chancen auf einem Arbeitsmarkt, der vermehrt global und somit mehrsprachig ausgerichtet ist. Die unterschiedlichen Studienfächer überspannend birgt der hochschulische FSU folglich ein sehr großes Potenzial, Studierende für die kommunikativen Anforderungen in fremd- bzw. mehrsprachigen Berufswelten bereit zu machen. Hochschulpolitische Umwälzungen wie die Etablierung von BA/MA-Studiengängen oder einschneidende globale Ereignisse wie die 2008 ausgebrochene Wirtschaftskrise haben weltweit zu Bestrebungen geführt, der Berufsbezogenheit in Hochschulcurricula mehr Platz einzuräumen, um Studierenden den Übergang vom Studium zum Beruf zu erleichtern. Auch der universitäre DaF-Unterricht wurde von diesen Ambitionen, die auf eine verstärkte Anwendungs- und Berufsorientierung zielen, erfasst (s. Prikoszovits, 2019, S. 3–4).

Im vorliegenden Band werden südeuropäische universitäre Dokumente zur Unterrichtsplanung für DaF-Kurse aus Zeitperioden vor und nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise der späten 2000er Jahre einander unter dem Aspekt der Berufsorientierung gegenübergestellt. Aus dieser Kurzbeschreibung der Forschungsarbeit resultiert, dass einige definitorische Klärungen vorzunehmen sind. In der folgenden Einleitung zu der im empirischen Teil zu beschreibenden, fremdsprachendidaktisch ausgerichteten Studie werden lediglich fachfremde Termini fokussiert, es ist dies die Terminologie zur Wirtschaftskrise (Abschnitt 1.1), wobei neben begrifflichen Klärungen auch Ausführungen zur Wirtschaftskrise und deren Auswirkungen konkret in Südeuropa erfolgen. Definitorische Erläuterungen zu Südeuropa sowie zu Fremd- und Zweitsprache in beruflichen Kontexten werden erst im weiteren Verlauf der Arbeit relevant (Abschnitte 4.2.1 bzw. 3.2.2). Ausführlicher und ebenso an anderer Stelle werden die in diesem Band wesentlichsten Begriffe diskutiert, nämlich Curricula1 (in Abgrenzung zu Richtlinien und Lehrplänen, Abschnitt 2.2.2) sowie Berufsbezogenheit im Kontext FSU (Abschnitt 3.2.1). Der Forschungsstand in der Curriculumtheorie und jener im berufsbezogenen Lehren und Lernen von DaF werden nicht in der Einleitung, sondern in den Abschnitten 2.1 sowie 3.3 schrittweise erörtert.

In Abschnitt 1.2 der Einleitung werden bereits das allgemeine Erkenntnisinteresse und Vorannahmen dargestellt, bevor in Abschnitt 1.3 zur Aktualität und Relevanz des Themas der Beitrag unterstrichen wird, den der vorliegende Band zur Curriculumforschung in den Fremdsprachenfächern bzw. in DaF sowie zum berufsbezogenen Lehren und Lernen von DaF zu leisten vermag.

Schließlich wird in Abschnitt 1.4 der Einleitung der Gang der Untersuchung transparent gemacht.

1.1Die Krise ab 2008: Terminologie und Fokus Südeuropa

(1) Terminologie

Die Terminologie aus den Bereichen Wirtschaft und Wirtschaftskrise kann in vorliegender fremdsprachendidaktisch ausgerichteter Studie als fachfremd angesehen werden. In Garzantis Enciclopedia dell’Economia1 (=Wirtschaftsenzyklopädie, 2001, S. 338) heißt es zur Wirtschaftskrise, sie bezeichne in der allgemeinsten Bedeutung ein Zusammenspiel von Ereignissen in der nationalen oder internationalen Wirtschaft, die durch das Überwiegen negativer Elemente (Einbruch der Produktion und der Beschäftigungszahlen, Finanzierungsschwierigkeiten, Firmenkonkurse) charakterisiert sind. In der allgemeinsten Bedeutung sei eine Krisenzeit eine durch brüsken und langanhaltenden Produktionseinbruch gekennzeichnete Periode, die einer Expansionsphase folgt und von diffuser Arbeitslosigkeit, ungenutzten Einrichtungen, Investmentrückgang, Konkursen etc. begleitet ist. Von einer Wirtschaftskrise spreche man in bestimmten Kontexten auch, um momentane Verlangsamungen oder Entwicklungsstillstände anzudeuten.

Pérez García (2011, S. 273)2 spricht mit Blick auf die Jahre nach 2008 auch von einer „Großen Rezession“ („Gran Recesión“) der Weltwirtschaft, besonders der am meisten entwickelten Wirtschaften. Wie bei Garzanti ist auch bei Pérez García (ebd., S. 274) zu lesen, rezessive Phasen würden Phasen starker Expansion folgen.

Zur Finanzkrise heißt es in der Enciclopedia dell’Economia (2001, S. 339), im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichne sie eine Situation diffuser Verschlechterung der Lebensbedingungen in einem sozialen System. Von einem theoretischen Standpunkt aus werde sie gebraucht, um den Begriff „Wirtschaftskrise“ vom Begriff „Finanzkrise“ zu unterscheiden. Mit ersterem meine man sowohl eine Phase des wirtschaftlichen Kreislaufs („ciclo economico“, ebd., S. 231, d.h. sich in einer Marktwirtschaft abwechselnde Phasen von Prosperität einerseits und Depression andererseits) als auch den Stillstand und/oder das Ende eines Wachstumsprozesses. Mit letzterem bezeichne man den Effekt auf ein wirtschaftliches System einer pathologischen Unausgeglichenheit des Haushaltes des öffentlichen Sektors eines Staates („öffentliche Schuldenkrise“), der Zahlungsbilanz eines Staates („Währungskrise“) sowie des Haushaltes eines oder mehrerer Finanzvermittler („Bankenkrise“ oder „Krise des Finanzsystems“). Daher könnten Finanzkrisen zumindest theoretisch in drei Typen unterteilt werden: „Schuldenkrise“, „Währungskrise“ und „Bankenkrise“.

Zu diesen drei Typen von Krisen heißt es weiter (ebd., S. 339):

Schuldenkrise:

Diese sei gekennzeichnet durch die Unfähigkeit eines Staates, seinen Schuldenbetrag (intern oder extern) zur Gänze oder teilweise zu zahlen.

 

Währungskrise:

Währungskrise bedeute, dass es in einem System mit festen Wechselkursen einen unhaltbaren Druck auf Währungsbehörden gibt, die der Verteidigung der angekündigten Gleichheit vorangesetzt sind, damit sie zur Entwertung des Wechselkurses der nationalen Währung gegenüber einer oder mehrerer ausländischer Währungen voranschreiten könnten.

 

Bankenkrise:

Darunter verstehe man eine ernste finanzielle Instabilitätssituation aufgrund einer mutmaßlichen oder effektiven Zahlungsunfähigkeit und/oder Insolvenz eines Finanzvermittlers.

Während in Garzantis Enzyklopädie eine Wirtschaftskrise in einem gewissen zeitlichen Kontext – konkreter einem wirtschaftlichen Zyklus – verortet wird, dient der Terminus Finanzkrise dazu, die Auswirkungen einer Rezession auf den Staatshaushalt, die Währung und die Banken zu beschreiben. Für die 2008 begonnene Krise trifft mit Blick auf den südeuropäischen Raum Sämtliches zu. Vor allem in Spanien folgte die Rezession auf eine sehr prosperierende Phase, in ganz Südeuropa wiederum hatte und hat diese Rezession Auswirkungen auf den Staatshaushalt, die Währung (also den Euro) und die Banken3.

Für die mit diesem Band verfolgten Zwecke ist eine genaue Unterscheidung also nicht wesentlich und die Begriffe Wirtschaftskrise, Finanzkrise und Rezession werden ohne Bedeutungsunterschied nebeneinander gebraucht. Die Termini Schuldenkrise, Währungs- bzw. Eurokrise und Bankenkrise, die mit Blick auf die wirtschaftliche Lage im südeuropäischen Raum sehr relevant sind, werden hier jedoch nicht einzeln verwendet, sondern sind eingeschlossen, wenn von Rezession, Wirtschaftskrise, Finanzkrise und generell Krise die Rede ist.

(2) Fokus Südeuropa

In der vorliegenden Arbeit wird die 20084 ausgebrochene Wirtschaftskrise in Verbindung mit einem geografischen Raum gebracht, den sie mit besonderer Härte getroffen hat. An dieser Stelle folgen also geografisch-ökonomische Ausführungen, die verdeutlichen, welche Folgen die Wirtschaftskrise für den südeuropäischen Raum und insbesondere für Italien und Spanien (gehabt) haben.

Im gesamten Sammelband PASADO Y PRESENTE. De la Gran Depresión del siglo XX a la Gran Recesión del siglo XXI (Martín-Aceña, 2011)5 wird die Wirtschaftskrise der späten 2000er Jahre („Große Rezession“) hinsichtlich ihrer Tragweite und ihrer Folgen der Krise der späten 1920er Jahre („Große Depression“) Seite an Seite gestellt. In den achtzig Jahren zwischen diesen beiden globalen Ereignissen gab es keine weitere globale Wirtschaftskrise vergleichbaren Ausmaßes.

Die weltweit einzigartige Geschichte der südeuropäischen Länder und der daraus resultierende beachtliche kulturelle Reichtum stehen gegenwärtig bekanntlich großen sozialen und ökonomischen Schwierigkeiten gegenüber. Die für Industrienationen charakteristischen Entwicklungsphasen etwa in den Bereichen Politik und Wirtschaft verliefen in Staaten wie Portugal, Spanien, Italien und Griechenland bis ins 20. Jahrhundert hinein nur schleppend. Obgleich heute industrialisiert (s. Abb. 9), sind dort soziale und wirtschaftliche Instabilitäten und Ungleichgewichte trotz EU-Beihilfen bis in die Gegenwart nicht überwunden worden, was durch die Wirtschaftskrise, welche die südeuropäischen Staaten in eine sehr heikle Lage gebracht hat, erneut offenkundig wurde (s. Azcárate Luxán & Sánchez Sánchez, 2013, S. 318). Bei den Folgen dieser als heikel beschriebenen Lage setzt die vorliegende Arbeit an und fokussiert dabei die Auswirkungen auf den Bildungsbereich.

Wie in vielen Staaten Europas folgte den schwierigen 1940er und 1950er Jahren auch in den südeuropäischen Ländern ab den 1960er Jahren eine in vielerlei Hinsicht schwungvolle Phase, die jedoch vor allem in Südeuropa ab dem Jahr 2007 abrupt endete (s. ebd., S. 323), was verdeutlicht, dass die Krise der späten 2000er Jahre der erste große und drastische Einbruch im Aufwärtstrend der Länder Südeuropas war. Bis 2007 ist das Pro-Kopf-Einkommen in den südeuropäischen Staaten deutlich schneller gewachsen als in anderen Teilen Europas. Pérez García (2011, S. 274) zufolge ist Spaniens Wirtschaft seit den 1950er Jahren in einem Kontext starker Expansion der Weltwirtschaft kräftig gewachsen. Spanien sei schneller als die Mehrheit der großen, entwickelten Wirtschaften gewachsen, aber langsamer als die Schwellenländer (z. B. Brasilien, China, Indien; Abb. 1, Schaubild a), also die großen Protagonisten der internationalen Marktexpansion der 1990er Jahre. In Spanien hätten sich ab Mitte der 1990er Jahre bis 2007 parallel zu einer Expansion jedoch Ungleichgewichte und Instabilitäten angehäuft (ebd., S. 273–274). Der Kombination aus Expansion und Instabilität in der zyklischen Laufbahn der zeitgenössischen Wirtschaften attestiert Pérez García (ebd., S. 274) eine gewisse Häufigkeit. In Spanien sei das strukturelle Defizit jedoch zunächst verborgen geblieben (ebd., S. 293).

Während sich von 1995 bis 2007 das Bruttoinlandsprodukt in Italien und vor allem in Spanien positiv entwickelte, schrumpfte es nach 2007 in beiden Ländern deutlich. Die Schwellenländer China und Indien konnten ihre Raten nach 2007 im sehr hohen Bereich halten, während etwa das brasilianische Bruttoinlandsprodukt nach 2007 sogar deutlich wuchs (Abb. 1, Schaubild b).

Abbildung 1:

Jährliche kumulierte Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts. Internationaler Vergleich (in Prozent)6

Ab den 1970er Jahren gelangen den Staaten Südeuropas im Zuge eines gesamteuropäischen Aufwärtstrends bedeutende Schritte in Richtung Demokratisierung, Industrialisierung sowie landwirtschaftlicher und politischer Modernisierung. Vor allem konnte auch der Tourismussektor gestärkt und ausgebaut werden. Zu diesen positiven Entwicklungen, die durch die Rezession der späten 2000er Jahre gebremst wurden, führten unter anderem die EU-Beitritte der einzelnen Länder. An den Folgen der Rezession, dazu gehören Verarmung, hohe und wachsende Arbeitslosigkeit oder Deindustrialisierung, zeigen sich die bis heute nicht überwundene wirtschaftliche Verletzlichkeit sowie die unvollständig realisierte Modernisierung der südeuropäischen Staaten (s. Azcárate Luxán & Sánchez Sánchez, 2013, S. 320).

Mit Blick auf die Veränderungen am Arbeitsmarkt führen Azcárate Luxán und Sánchez Sánchez (ebd., S. 324) weiter aus, dass die 2008 begonnene Krise die hohe Zerbrechlichkeit der Wirtschaften des Südens gezeigt hat. Die Zahlungsfähigkeit der Länder beschreiben sie als durch finanzielle Schwierigkeiten und das Abwandern zahlreicher Firmen bedroht. Als Folge nennen sie drastische Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben. So wurden etwa auch die Ausgaben im Bildungssektor stark gekürzt (s. Prikoszovits & Springer, 2018, S. 753).

Die Abbildungen 2 und 3 zeigen die angespannte Situation am Arbeitsmarkt, die sich durch den Krisenausbruch 2008 ergeben hat, in den in dieser Arbeit relevanten Staaten Italien und Spanien. Ebenso wird in den Schaubildern ersichtlich, dass in anderen Ländern die Folgen weniger drastisch ausfielen.

Abbildung 2:

Beschäftigungsvariationsraten. Internationaler Vergleich (in Prozent)7

Laut Pérez García (2011, S. 276) hat sich Spanien bis 2007 durch die Intensität, mit der es neue Arbeitsplätze geschaffen hat, von anderen Staaten unterschieden, ab 2008 sodann jedoch durch die Schnelligkeit, mit der es diese Arbeitsplätze wieder zerstört hat. Dies geht sehr deutlich aus Abb. 2 hervor, in der Spanien von 1995 bis 2007 in Schaubild a ganz rechts – also im Bereich der höchsten Schaffung von Arbeitsplätzen – bei nahezu 4 % rangiert, in Schaubild b der Abb. 2 von 2007 bis 2010, einem sehr kurzen Zeitraum also, jedoch ganz links im Bereich des größten Verlusts von Arbeitsplätzen (nahezu -4%). In Italien stellt sich die Situation in denselben Zeiträumen sehr ähnlich dar, wenn auch weniger deutlich ausgeprägt (1995 bis 2007: knapp über 1 %; 2007 bis 2010: nahezu -1%).

Schaubild a in Abb. 3 zeigt, dass in Spanien die Zahl erwerbsfähiger Personen („población activa“, dünne obere Linie) nach 2008 tendenziell leicht gestiegen ist, die Zahl tatsächlich erwerbstätiger Personen („población ocupada“, dicke untere Linie) jedoch stark gesunken. Die Arbeitslosenrate ist in Spanien nach 2008 von knapp über 8 % bis auf 20 % in den ersten Quartalen von 2010 drastisch gestiegen, wie aus Schaubild b in Abb. 3 hervorgeht. Aus den soeben beschriebenen Missständen im Südeuropa der Folgejahre der Rezession ergibt sich das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit.

Abbildung 3:

Auswirkung der Krise auf die Beschäftigung. Spanien, 4. Quartal 2007–2. Quartal 2010 (in Prozent)8

1.2Allgemeines Erkenntnisinteresse1

Die junge Bevölkerung Südeuropas sah sich von den Folgen der Rezession mehrfach betroffen: Auf der einen Seite schlitterte die Alterskohorte der unter 25-Jährigen mit außerordentlich hoher Wucht in die Arbeitslosigkeit2, zum anderen führte die drakonische Austeritätspolitik der Regierungen südeuropäischer Staaten insbesondere auch im Bildungssektor zu Kürzungen (s. Prikoszovits & Springer, 2018, S. 753), was an einigen Universitäten wiederum zur Folge hatte, dass ganze Studiengänge geschlossen wurden. Wesentlicher Lebensgrundlagen beraubt und einen (temporären) Ausweg aus der prekären Lage am Arbeitsmarkt und an den Hochschulen suchend, verließen zahlreiche junge Menschen Südeuropa. Dabei visierten sie überwiegend die von der Wirtschaftskrise in deutlich geringerem Ausmaß betroffenen amtlich deutschsprachigen Länder an, die in den Rezessionsjahren die Arbeitslosigkeit sogar geringfügig zu reduzieren vermochten und dabei dennoch mit einem Fachkräftemangel konfrontiert waren und sind (für Deutschland s. Prikoszovits & Springer, 2018, S. 767). Für eine Erwerbstätigkeit und/oder ein Studium in den Zielländern sind spezifische Sprachkenntnisse vonnöten. Immer mehr Lernende schrieben sich daher in den der Krise folgenden Jahren für Deutschkurse an den südeuropäischen Goethe Instituten ein3 und man griff dort durch die Implementierung des MobiPro-EU-Programms4 des deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Bedürfnisse und Wünsche der neuen Kundschaft auf, DaF berufsbezogen zu erwerben.

Das Erkenntnisinteresse in der vorliegenden Arbeit besteht somit auch darin, festzustellen, ob ebenso Hochschulen5 und nicht lediglich private Sprachinstitute diese Bedürfnisse der DaF-Lernenden erfasst und die entsprechenden Lehrpläne mit einem verstärkten Berufsbezug versehen haben. Leitende Vorannahme dabei ist, dass in diesen Lehrplänen die Berufsorientierung nach 2008 zugenommen hat. Hochschulen werden aus dem Grund fokussiert, da sie in hohem Maße auf die Berufsvorbereitung der Studierenden abzielen (s. Prikoszovits, 2017a, S. 162), und Berufsvorbereitung bzw. -orientierung ist der konkrete Forschungsschwerpunkt in diesem Band.

Innereuropäische Arbeitsmigration und ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen stehen nur selten im Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Als in den Folgejahren der 2008 ausgebrochenen Wirtschaftskrise zahlreiche Südeuropäer in die amtlich deutschsprachigen Länder emigrierten, wurde diese Arbeitsmigration von den empfangenden Gesellschaften in geringerem Ausmaß beachtet bzw. verfolgt als 2015 die große Migrationswelle und Flüchtlingskrise, wodurch die Dringlichkeit einer erfolgreichen Integration innereuropäischer Migrantengruppen im Bewusstsein der Bevölkerung bzw. der Politik der Zielländer auch weniger stark verankert ist. Es ist wenig darüber bekannt, welche Integrationsprozesse kultureller, sprachlicher bzw. verschränkt kulturell-sprachlich-beruflicher Art Menschen aus Südeuropa im amtlich deutschsprachigen Raum durchlaufen haben und immer noch durchlaufen.

Das Erkenntnisinteresse setzt jedoch bereits vor diesen Integrationsprozessen in den Zielländern an. Es soll ermittelt werden, wie junge, gut gebildete und hoch qualifizierte Menschen aus Italien und Spanien bereits in ihren Heimatländern auf ein Berufsleben mit der Fremdsprache Deutsch vorbereitet werden. Es soll also festgestellt werden, ob an südeuropäischen Hochschulen die Notwendigkeit erkannt und umgesetzt worden ist, den DaF-Unterricht für die Studierenden, die sich aufgrund der Folgen der Krise in vielen Fällen zu einer Bildungs- und Arbeitsmigration vor allem in die amtlich deutschsprachigen Länder bewogen sahen bzw. generell auch Berufe mit Bezug zum amtlich deutschsprachigen Raum ergriffen haben, gezielt berufsbezogen anzulegen, um diese Studierenden auf speziell in beruflichen Kontexten auftretende Anforderungen sprachlich-kommunikativer und sozial-kooperativer Art vorbereiten zu können. Das spezifische Erkenntnisinteresse sowie die konkrete Forschungsfrage, welche den vorliegenden Band leiten, werden ausführlich in Abschnitt 4.1 dargestellt.

1.3Aktualität und Relevanz des Themas

Die Curriculumforschung ist vor allem seit Einführung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) (Europarat, 2001) und der BA/MA-Studiengänge gefordert, Erkenntnisse zu gewinnen, welche eine fundierte Curriculumentwicklung einleiten, die Studierenden eine gute Vorbereitung auf das künftige Berufsleben verspricht. Seit der Jahrtausendwende ist das Thema Curriculumentwicklung also besonders an Universitäten von hoher Relevanz, jedoch entstehen konkret im DaF-Bereich kaum Forschungsarbeiten, die sich der Entwicklung von Curricula widmen (s. Schramm & Seyfarth, 2015, S. 38). In den späten 2000er Jahren wurden die curricularen Herausforderungen und Schwierigkeiten unerwartet um die in Abschnitt 1.1 thematisierte Wirtschaftskrise erweitert.

Die in den 1990er Jahren begonnene Forschung zum berufsbezogenen DaF-Unterricht (Abschnitt 3.3) hat also in den 2000er und 2010er Jahren durch das Desiderat, universitäre Curricula verstärkt berufsbezogen anzulegen, neue Impulse erhalten. Die beiden Forschungsgebiete dieser Arbeit sind demnach eng miteinander verknüpft und für den Fortbestand universitärer Germanistiklehrgänge, vor allem jener in Südeuropa, hoch relevant.

Der Autor des Bandes hat von 2008 bis 2012 an der Germanistik der Università degli Studi di Napoli in Italien lektoriert und war von 2014 bis 2017 an der Germanistik der Universitat Autònoma de Barcelona im Bereich DaF beschäftigt. Die mehrjährigen Arbeitstätigkeiten in den beiden Ländern haben zum einen zu einer Vertrautheit mit den dortigen Hochschullandschaften und zum anderen auch zu einem Verständnis dortiger Lehr-/Lernkulturen und -traditionen geführt, was einen kultursensiblen Zugang zu den Forschungsfeldern ermöglicht. Vor allem ab 2008 hat es in beiden südeuropäischen Staaten einschneidende Budgetkürzungen im Bereich der Fremdsprachenphilologien gegeben, auch germanistische Studiengänge bilden hier keine Ausnahme. Als Bediensteter an öffentlichen Universitäten in Südeuropa weiß man um die Herausforderungen und Schwierigkeiten, germanistische Studiengänge unter budgetären Einschränkungen einerseits und steigenden Anforderungen von Seiten des Arbeitsmarkts andererseits aufrecht zu erhalten. Diesen Herausforderungen und Schwierigkeiten kann man mit einer verstärkt berufsorientierten Ausrichtung universitärer DaF-Curricula begegnen.

Generell ist das Feld des berufsbezogenen Deutschunterrichts jedoch nicht nur durch die Professionalisierung von Studiengängen, also BA/MA-Lehrgängen, bzw. die Wirtschaftskrise und die daraus resultierende Arbeitsmigration aktuell und relevant, sondern auch durch den Fachkräftemangel, der in den amtlich deutschsprachigen Ländern in den 2010er Jahren herrscht. Efing (2015a) sieht diesen Mangel als aktuelle Herausforderung an, bringt ihn in die Nähe der andauernden Werbung um ausländische Auszubildende sowie auch in Zusammenhang mit der Auslagerung von Arbeits- und Ausbildungsstellen in den (außer)europäischen Raum, wenn er schreibt:

Das Thema Deutsch als Zweit- und Fremdsprache in der beruflichen Bildung erlangt auch hier durch diese Situation eine große aktuelle Relevanz. Innerhalb Deutschlands geht es darum, wie (z. B. aus Spanien) angeworbene Auszubildende und Fachkräfte schnell, on the job und parallel alltägliches und berufsbezogenes Deutsch lernen; im Ausland, in dem outgesourcte Filialen deutscher Firmen, deutsche Tochterunternehmen und Zulieferer für deutsche Firmen eigenes Personal ausbilden, das Kontakt zu deutschen Firmen, aber eventuell vor der Ausbildung noch keinen Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht an der allgemein bildenden Schule im Ausland erhalten hat, geht es ebenfalls darum, sog. ‚Null-Anfängern‘ gleichzeitig allgemeine wie berufsbezogene sprachlich-kommunikative Kompetenzen zu vermitteln. (S. 9–10)

Aus diesem Zitat resultiert zudem, dass berufsbezogen angelegte DaF-Kurse auch für Fachkräfte eine Notwendigkeit darstellen und diese Fachkräfte nicht ausschließlich fachbezogene DaF-Kurse besuchen sollten. Das Etablieren eines eigenen berufssprachlichen Registers in Abgrenzung zu einem allgemein- bzw. fachsprachlichen Register ist aktuell ein großes Anliegen der Forschung zu den berufsrelevanten sprachlichen Registern (Efing, 2014). Während in den 1980er und auch noch in den 1990er Jahren im Fach DaF vor allem fachbezogenes Sprachenlehren und -lernen im Fokus der Forschung stand, hat sich dieser Fokus bis in die 2010er Jahre hin auf den berufsbezogenen Sprachunterricht erweitert (Abschnitte 3.2 und 3.3).

Schließlich kommt der berufsbezogenen Gestaltung des DaZ-Unterrichts auch durch die Flüchtlingssituation in den amtlich deutschsprachigen Ländern der zweiten Hälfte der 2010er Jahre hohe Relevanz zu. Laut Efing (2015a, S. 9) sollen Flüchtlinge Deutsch schnellstmöglich nicht nur für den Alltag, sondern auch berufsorientiert erwerben.

Wie sich nun gezeigt hat, weisen die Curriculumforschung und die Forschung zum berufsbezogenen DaF-Unterricht große Schnittmengen auf und sind aufgrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Entwicklungen aktuell von hoher Relevanz. Der vorliegende Band ist gleichsam beiden Forschungsfeldern verschrieben.

1.4Gang der Untersuchung

Die Arbeit ist wie folgt strukturiert: Im theoretischen Teil werden die Curriculumtheorie (Kapitel 2) und der berufsbezogene DaF-Unterricht (Kapitel 3) aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Dies dient zum einen der Darstellung des Forschungsstandes in beiden Teilbereichen sowie der Positionierung der vorliegenden Arbeit im aktuellen Forschungskontext, zum anderen auch der Vorstellung von Aspekten, die sich für die durchgeführte Studie als grundlegend erweisen. Die Curriculumtheorie ist dabei dem berufsbezogenen DaF-Unterricht vorangestellt, da erste Ansätze zur Erforschung curricularer Phänomene im amtlich deutschsprachigen Raum früher entstanden sind als Ansätze zur Erforschung des berufsbezogenen Lehrens und Lernens von DaF. Die Curriculumtheorie wird im theoretischen Teil der Arbeit ab den späten 1960er Jahren fokussiert, der berufsbezogene DaF-Unterricht ab den frühen 1990er Jahren. Die Curriculumtheorie wird nicht ausschließlich aus einer DaF-Perspektive heraus reflektiert.

Der empirische Teil der Arbeit beginnt mit Kapitel 4 zum Forschungsdesign und dort wiederum mit der Vorstellung der Forschungsfrage, der Zielsetzungen und der Schwerpunktregionen. Italien und Spanien werden im Großraum Südeuropa verortet und die Situation der Germanistik sowie von DaF in beiden Ländern wird dargestellt. Ebenso präsentiert werden sodann das Forschungsvorgehen, also der genaue Ablauf der einzelnen Forschungsschritte, und die Auswertungsmethode. Das vierstufige Forschungsdesign (Vorstudie – Validierungsmaßnahme 1 – Hauptstudie – Validierungsmaßnahme 2) wird detailliert erläutert und die qualitative Inhaltsanalyse als Auswertungsmethode vorgestellt.

In einem weiteren Schritt ist die Vorstudie in ihrer Gesamtheit zu präsentieren (Kapitel 5), was auch die Präsentation der Ergebnisse der Vorstudie beinhaltet. Die Analysen von zwölf Fachartikeln haben hier zu einem Kodierleitfaden mit 17 Kategorien für die Weiterarbeit in der Hauptstudie geführt. Die Hauptstudie wird sodann unter den gleichen Aspekten wie die Vorstudie fokussiert (Korpus, Datenaufbereitung, Analysevorgehen etc.) (Kapitel 6). Das Korpus der Hauptstudie setzt sich aus 40 ausgewählten Dokumenten zur hochschulischen DaF-Unterrichtsplanung aus Italien und Spanien zusammen. Die Ergebnisse der Hauptstudie sind in quantitative und qualitative Ergebnisse unterteilt und werden eigens in Kapitel 7 beschrieben. Zunächst werden die quantitativen Resultate dargestellt – so etwa, dass in den untersuchten spanischen Dokumenten die Berufsorientierung nach 2008 stärker gestiegen ist als in den untersuchten italienischen Dokumenten. Aufbauend auf solchen Erkenntnissen folgen die Beschreibungen der qualitativen Resultate.

Abschließend werden in Kapitel 8 erneut ein Überblick über den Arbeitsverlauf gegeben, alle Ergebnisse zusammengefasst, interpretiert und diskutiert, Limitationen der Arbeit aufgezeigt – dazu gehört unter anderem, dass lediglich theoretische Unterrichtsplanungen fokussiert und untersucht wurden – sowie ein Ausblick vorgenommen, der auch das Offenlegen jener Fragen beinhaltet, die sich im Zuge der Forschungsarbeit ergeben haben. So gilt es künftig etwa, auch der Leistungsmessung im DaF-Bereich einen stärkeren Berufsbezug zu verleihen.

Zitate auf Englisch bleiben in vorliegender Arbeit weitgehend unübersetzt. Zitate auf Italienisch, Spanisch und Katalanisch sind jedoch in Fußnoten in der deutschen Übersetzung zu lesen bzw. sind Erläuterungen unter Abbildungen und Grafiken ins Deutsche übersetzt worden und sodann in Fußnoten im Original zu lesen. Bei Hervorhebungen (z.B. Fett- oder Kursivdruck) in direkten Zitaten handelt es sich stets um Hervorhebungen, die so in den Originalen zu finden sind und folglich nicht durch den Autor der vorliegenden Arbeit vorgenommen wurden. Der Band ist gleichermaßen für eine weibliche wie männliche Leserschaft bestimmt. Von geschlechterneutralen Formulierungen wurde in der Arbeit mit Rücksicht auf einfachere Lesbarkeit kein Gebrauch gemacht, jedoch wird Formen wie „Lernende“, „Teilnehmende“ oder „Lehrkräfte“ Priorität gegeben.

Theoretischer Teil

Der theoretische Teil verortet die vorliegende Arbeit im Forschungskontext und dient der Darstellung des einschlägigen jüngeren und aktuellen Forschungsstandes. Er ist in zwei separate Abschnitte untergliedert, da in dieser Arbeit zwei große theoretische Säulen wesentlich sind: die Curriculumtheorie (Kapitel 2) und der berufsbezogene DaF-Unterricht (Kapitel 3), der selbstredend auch starke Praxisrelevanz hat. Dass die beiden Bereiche getrennt voneinander behandelt werden, bedeutet nicht, dass sich zwischen ihnen keine Schnittmengen ergeben. Im Gegenteil hat unter anderem die Forschung zum universitären FSU die beiden theoretischen Teilbereiche in den vergangenen Jahrzehnten eng aneinander geführt. Die separate Darstellung liegt überwiegend darin begründet, dass – wie bereits beschrieben – die einschlägige Forschung im amtlich deutschsprachigen Raum in den zwei Bereichen in unterschiedlichen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eingesetzt hat und sich dadurch zunächst unterschiedliche Entwicklungs- und Traditionslinien ergeben. Zudem handelt es sich bei der Curriculumtheorie um ein Feld, das – im Gegensatz zum berufsbezogenen DaF-Unterricht – nicht ausschließlich den Sprachunterricht berührt, für diesen jedoch wichtige Impulse liefern kann.

2Curriculumtheorie

Wichtigstes Ziel in diesem ersten Kapitel des theoretischen Teils ist, elementare Erkenntnisse im Bereich der Curriculumforschung und Curriculumentwicklung darzustellen und anhand von diesen und auch eigenen Erkenntnissen unter besonderer Berücksichtigung des für vorliegende Arbeit relevanten berufsbezogenen Fremdsprachenlehrens und -lernens theoretische Grundlagen zu schaffen, um im empirischen Teil auf ebendiese Theorie Bezug nehmen zu können.

In Abschnitt 2.1 von Kapitel 2 wird die Forschung zu Curricula konkret im DaF-Bereich und hier wiederum schwerpunktmäßig im Hochschulwesen ab den 1990er Jahren fokussiert, da in jenem Jahrzehnt für den in vorliegender Arbeit zentralen Gegenstandsbereich wichtige Entwicklungen eingesetzt haben; dabei wird auch Bezug auf Literatur der 1960er, 1970er und 1980er Jahre genommen, die nicht konsequent dem DaF-Bereich entstammt, für diesen jedoch grundlegend ist. Neuner (2001, S. 797) erachtet zu Beginn der 2000er Jahre eine Lehrplanforschung insbesondere im Bereich DaF als dringend nötig. Ein Jahrzehnt später wird immer noch gefordert, die DaF-relevante Forschung zur Curriculumentwicklung auf globaler Ebene anzukurbeln (s. Schmidt, 2010, S. 930). Schramm und Seyfarth (2015, S. 38) erkennen mit einem globalen Blick auf DaF in den 2010er Jahren zwar mannigfaltige curriculare Neuerungsansätze, denen sich die Forschung allerdings in nur geringem Maße widme. Tatsächlich gibt es im Bereich der Curriculumforschung zahlreiche Abhandlungen und Fachbücher zu Curricula im Schul- und Hochschulbereich, die jedoch nicht den Fremdsprachenfächern zuzuordnen sind (etwa Huisinga & Buchmann, 2003; Gerholz & Sloane, 2011; Weiglhofer, 2016). Mit vorliegendem Band soll ein Beitrag zum Schließen dieser Lücke geleistet werden. Zudem soll durch die systematischen Analysen von Dokumenten zur Unterrichtsplanung versucht werden, Transparenz in den „Wildwuchs“ (s. Vogel, 2007, S. 216) universitärer Fremdsprachencurricula zu bringen. In Abschnitt 2.1 steht also der DaF-Bereich im Zentrum, wenn teils auch allgemeine und allgemein fremdsprachendidaktische Fachliteratur zur Curriculumforschung herangezogen wird, um ihn zu beschreiben. Ebenso wird in Abschnitt 2.1 ein entwicklungsgeschichtlicher Überblick über die Curriculumforschung und -entwicklung im DaF-Bereich gegeben.

Nicht ausschließlich aus dem südeuropäischen Raum, sondern aus globaler Perspektive werden in Kapitelabschnitt 2.1 ebenso Praxisbeispiele vorgestellt, die zeigen sollen, mit welchen Herausforderungen universitäre Curriculumerstellende im Bereich der hochschulischen Fremdsprachendidaktik in der Post-Bologna- sowie der Post-GER-Ära und nicht zuletzt in Zeiten einer globalen Rezession konfrontiert sind. Die Brücke zum zweiten großen theoretischen Pfeiler der vorliegenden Arbeit, zum berufsbezogenen DaF-Unterricht, wird in diesem Kapitelabschnitt geschlagen. Es wird deutlich werden, wie eng im DaF-Bereich Forschung zu Curricula und Forschung zu berufsbezogenem Unterricht beieinanderliegen.

Es wird in Kapitel 2 außerdem wesentlich werden, welcher Terminologie man sich in der allgemeinen Curriculumforschung bedient (Abschnitt 2.2), wie sich also Curricula von Lehrplänen und Richtlinien unterscheiden (Abschnitt 2.2.2) und welcher Terminus für die hier relevanten universitären Dokumente zur Planung des DaF-Unterrichts anzuwenden ist. Es wird auch thematisiert werden, welche Ebenen der Curriculumerstellung es gibt und welchen dieser Ebenen die untersuchten südeuropäischen Dokumente zur Unterrichtsplanung zuzuordnen sind (Abschnitt 2.3), welche Funktionen Curricula haben (Abschnitt 2.4), welche Ansätze es zur Zielfindung für Curricula gibt und wie diese Ansätze insbesondere für die Entwicklung berufsbezogener Curricula für den FSU genutzt werden können (Abschnitt 2.5) sowie schließlich, welche Anlässe für curriculare Veränderungen es geben kann bzw. dass solche Veränderungen auch einen Forschungsfokus darstellen können (Abschnitt 2.6). Derartige Anlässe in den Blick zu nehmen ist daher substanziell, da in der im empirischen Teil zu beschreibenden Studie Veränderungen in der Planung hochschulischen DaF-Unterrichts thematisiert werden.

Da die theoretischen Kapitel 2 und 3 dieser Arbeit der Vorbereitung des empirischen Teils dienen, sind in diesem zweigliedrigen Theorieabriss überwiegend Aspekte zu behandeln, die der Untersuchung italienischer und spanischer DaF-Hochschulcurricula dienlich sind. Aspekte aus dem empirischen Teil werden dabei jedoch auch vereinzelt in den theoretischen vorgezogen, wenn etwa Auszüge aus den untersuchten Curricula des empirischen Teils bereits im theoretischen Teil benötigt werden (Abschnitt 2.3). Erneut sei betont, dass sich die Ausführungen in den Kapiteln des theoretischen Teils aber nicht ausschließlich auf die Vorbereitung des empirischen Teils beschränken, sondern auch den Ist-Zustand in der DaF-relevanten Forschung darstellen.

2.1Curriculumforschung im amtlich deutschsprachigen Raum und im DaF-Bereich ab den 1960er bis zu den 2010er Jahren

(1) Anfänge der deutschsprachigen Curriculumforschung und jener im DaF-Bereich

In den 1960er Jahren rückten im amtlich deutschsprachigen Raum Curricula als Untersuchungsgegenstände verstärkt in den Fokus der Forschung. Gründe hierfür waren gesellschaftliche, technologische und wirtschaftliche Entwicklungen, die mit der Forderung einer neuen Ausrichtung des Schulunterrichts einhergingen (s. Zimmermann, 1995, S. 136). 1967 entstand mit dem Traktat Bildungsreform als Revision des Curriculum1 von Saul B. Robinsohn, der damals in der Max-Planck-Gesellschaft Direktor des Instituts für Bildungsforschung war, ein heute immer noch häufig rezipiertes Standardwerk der deutschsprachigen Curriculumforschung. Robinsohn hat dabei den Terminus des (amerikanischen) Curriculums in einstmalige einschlägige Diskurse in der Bundesrepublik Deutschland eingebracht (s. Schmidt, 2010, S. 923). Bereits in den 1970er Jahren wurde über die durch Robinsohn initiierte Curriculumforschung mit einem Curriculumhandbuch in drei Bänden (Frey, 1975) erstmals eine Bilanz gezogen (s. Achtenhagen, 1995, S. 461). Dennoch profitierten die Fremdsprachenfächer in den 1970er Jahren kaum vom damaligen Aufschwung der Curriculumforschung, da Curricula in den 1980er Jahren in der Fachliteratur immer noch einer der am geringsten fokussierten Bereiche waren (s. Neuner, 2001, S. 797).

Die Bemühungen um eine wissenschaftlich fundierte Curriculumentwicklung in den Fremdsprachenfächern haben im amtlich deutschsprachigen Raum demnach nicht zeitgleich mit der in den 1960er Jahren begonnenen allgemeinen Curriculumforschung eingesetzt. Noch in den 1980er Jahren wurde fremdsprachenfächerspezifische Curriculumforschung und -planung somit als Desiderat betrachtet, wenn in der Lernzielplanung ab Mitte der 1980er Jahre auch der interkulturellen Kompetenz immer mehr Platz eingeräumt wurde (s. Funk, 2016, S. 152), was als curriculare Neuerung gelten kann. Die erste, für die aktuelle Forschung nicht mehr primär wesentliche, in den 1960er Jahren begonnene Phase der deutschsprachigen Curriculumforschung endete in den späten 1980er Jahren vor allem aufgrund fachlicher Entwicklungen und gesellschaftlicher Fortschritte.

(2) Curriculumforschung und -entwicklung im DaF-Bereich: Die 1990er Jahre2

Der bis heute umstrittene Einzug wirtschaftlicher Inhalte in geisteswissenschaftliche Hochschulcurricula wird in den 1990er Jahren auch im DaF-Bereich ausgemacht (Wannagat, 1998; Horst, 1998). Dieser Trend wird in der DaF-Fachliteratur skeptisch beziehungsweise neutral, niemals jedoch euphorisch beschrieben. Weltweit sehen sich philologische Fakultäten an Universitäten seit den 1990er Jahren mit der Forderung konfrontiert, ihre germanistischen Studiengänge dahingehend ausrichten zu müssen, dass diese die Studierenden dazu befähigen, nach Abschluss des Studiums unmittelbar ins Berufsleben einsteigen zu können (Cothran, 2010; Dong-Uk, 2009). Ein häufig herangezogener Terminus ist hier die „Employability“, also die Beschäftigungsfähigkeit, die Studierende im Zuge ihrer philologischen Ausbildung erlangen sollen. Augart (2014, S. 234) befindet, dass die Germanistik im südlichen Afrika heute eher als „[…]3 Sprachkursprogramm mit literaturwissenschaftlichen Modulen […]“ anzusehen ist. Dies zeigt deutlich, dass ab den 1990er Jahren in germanistischen Curricula außerhalb des amtlich deutschsprachigen Raums, nicht nur im südlichen Afrika, fremdsprachliche Fertigkeiten und berufliche Qualifikationen in den Fokus sowie Literatur und Linguistik tendenziell aus dem Fokus geraten, jedoch nicht gänzlich aufgegeben worden sind. Bouchara (2008, S. 479) führt überspitzt aus: „Eine traditionelle Auffassung von Germanistik oder den Geisteswissenschaften ist überholt und kann im Zeitalter der Globalisierung mit den Entwicklungen nicht mehr Schritt halten.“ Was sich also ändern muss, damit – in Boucharas Terminologie – wieder „Schritt [ge]halten“ werden kann, sind die Curricula. In den 1990er Jahren entstanden für DaF auch die Katwijker Empfehlungen zur Curriculumentwicklung (1992), die laut Neuner (2001, S. 797) jedoch weitgehend die einzige Bemühung in dem Bereich darstellen. Als Beispiel für ein hochschulisches, DaF-relevantes Projekt kann eine breit angelegte Arbeit am Institut für Germanistik der Universität Wien angeführt werden, im Zuge derer von 1995 bis 1997 etwa 300 Curricula sowohl für den Deutschunterricht als auch für die Deutschlehrerausbildung aus Ländern außerhalb des amtlich deutschsprachigen Raums zusammengetragen und systematisch erfasst wurden (s. Prikoszovits, 2017b, S. 87; Chan, 2000, S. 81–82; Krumm, 2002, S. 9–10). Es sind jedoch nach wie vor die nicht-deutschsprachigen Länder, aus denen Forschungsergebnisse zu DaF-spezifischer Curriculumentwicklung und -implementation ausstehen. Die vorliegende Arbeit fokussiert daher gezielt DaF-Curricula, die außerhalb des amtlich deutschsprachigen Raums entwickelt und eingesetzt werden, um festellen zu können, in welche curricularen Linien die Fremdsprache Deutsch dort eingebettet wird.

Die Hürden, die bei einem Transfer von DaF-Curricula aus dem amtlich deutschsprachigen Raum in distante Erdregionen bestehen, werden in der Fachliteratur der 1990er Jahre diskutiert (Gutzat, 1996; Wannagat, 1998; Prikoszovits, 2017b, S. 87), was einen „[…] Ruf nach regionalen, der jeweiligen Gesellschaft angepassten Curricula […]“ (Prikoszovits, 2017b, S. 87), die in den 1990er Jahren noch ausstehen, zur Folge hatte (Wannagat, 1998). Solche Curricula können den an die Germanistiken außerhalb des amtlich deutschsprachigen Raums entsandten Lektoren eine grundlegende Orientierungshilfe bieten. Laut Königs (2004, S. 6) definiert sich eine von ihm so bezeichnete „[…] Auslandsgermanistik […]“ durch die „[…] Fremdperspektive […]“, also die externe Sichtweise auf die Germanistik. Die Unterschiede zwischen Germanistik und Auslandsgermanistik hätten curriculare Folgen. Gemäß Königs (ebd., S. 6) überschneiden sich Curricula der „[…] Inlandsgermanistik […]“ mit jenen der Auslandsgermanistik nur gering. Dem Erwerb der Fremdsprache Deutsch, der viel Zeit in Anspruch nimmt, muss an germanistischen Hochschulinstituten außerhalb des amtlich deutschsprachigen Raums ein zentraler Stellenwert eingeräumt werden. Dass unter solchen Umständen auch Curricula anders aussehen müssen, ist offensichtlich. Das Bedürfnis nach curricularer Übertragung ist auch insbesondere vor dem Hintergrund kritisch, dass Curricula kulturell geprägt und nicht starr in fremde und ferne Gesellschaften transferierbar sind. Curricula germanistischer Studiengänge in anderen Sprach- und Kulturräumen sollten somit durchaus eigene Ausrichtungen haben.

Ein Curriculum soll sich nicht ausschließlich an den Strukturen der jeweiligen Fachwissenschaften orientieren (Abschnitt 2.5), sondern auch an kulturspezifischen Maximen (s. Robinsohn, 1971, S. 13; Gutzat, 1996, S. 443), pädagogischen Normen sowie gesellschaftlichen und institutionellen Voraussetzungen (s. Gutzat, 1996, S. 443; Mickan, 2013, S. 45, S. 125). Zur Erkenntnis, wie stark kulturabhängig und -gebunden Curricula sind, gelangt man häufig in Publikationen, in denen die Situation der Germanistik und des DaF-Unterrichts in asiatischen Ländern thematisiert wird. Chen (2009, S. 91) etwa hält fest, dass beim Curriculumdesign lokale Lehr- und Lernbedingungen und Traditionslinien nicht vernachlässigt werden dürfen. Gutzat schreibt von einem 1992 vom DAAD in Hochiminh-Stadt eingerichteten Lektorat für den Studiengang Deutsch, für den es kein Curriculum gegeben hätte. Es sei dem DAAD-Lektor überantwortet worden, den Studiengang fachlich zu planen (Gutzat, 1996, S. 443). Somit erscheint eine gewisse „Curriculumkompetenz“ eine für Lehrkräfte anzustrebende Qualifikation darzustellen. Schlak (2006, S. 337) etwa vermisst bei Studierenden in der japanischen DaF-Lehrerausbildung neben erziehungswissenschaftlich relevanten Kenntnissen auch „[…] sprachpolitisch-curriculare[.] Qualifikationen […]“. Des Weiteren erläutert er (ebd., S. 339), dass es im Zuge seiner Bestrebungen, an der Universität Osaka einen offiziellen Studiengang für DaF zu gründen, bedauerlich gewesen sei, Kurse unter anderem zur Curriculumentwicklung und zur Sprachenpolitik nicht berücksichtigen zu können. Diese Äußerungen zeigen, dass er eine gewisse curriculare Qualifikation, die er in einen engen Zusammenhang mit Sprachenpolitik stellt, als unerlässlich in der DaF-Lehrerausbildung erachtet. Es stellt sich hier die Frage, inwieweit also Elemente aus der Curriculumforschung in Lehrpläne für die Fremdsprachenlehrerausbildung aufgenommen werden sollten. Inwiefern angehende Lehrkräfte entsprechende Kompetenzen im Bereich der Curriculumentwicklung benötigen, kann im Zuge der vorliegenden Arbeit nicht beantwortet werden. Da universitäre Lehrpläne jedoch häufig von Unterrichtenden an Universitäten selbst erstellt werden (Abschnitt 2.4), liegt es allerdings nahe, dass entsprechende Kompetenzen tatsächlich hilfreich wären.

Noch in den 2010er Jahren beschreiben Adamson und Morris (2014, S. 315) ein Curriculum als „[…] set of tensions and contradictions […]“, also als ein Gebilde aus Spannungen und Widersprüchen. Gerade in den Fremdsprachenfächern kommt es aufgrund der Diskrepanz eigene Sprache/Kultur – fremde Sprache/Kultur immer wieder und immer noch zu derartigen Spannungen und Widersprüchen. Man hat „[…] Identitätsstiftung statt Verwestlichung“ (Gouaffo, 1996, S. 476) in den 1990er Jahren in Kritiken an einem Deutsch-Lehrwerk in Afrika verlangt, was sowohl die gesellschaftliche als auch die politische Komponente von FSU verdeutlicht. Die Übertragung deutscher Curricula auf den DaF-Unterricht in der Volksrepublik China hat in den 1990er Jahren aufgrund kultureller Unterschiede und anders gearteter Wertvorstellungen nicht funktioniert, weswegen Wannagat in seinem Beitrag von 1998 für regionale Curricula und Lehrwerke plädiert. Er geht darin sogar so weit, regionale Curricula und Lehrwerke als Desiderat für die Aufrechterhaltung von DaF in der Volksrepublik China zu beschreiben. Einen guten Mittelweg stellt dar, dass Deutschland bei Bedarf im Ausland mitzuhelfen bereit ist, effiziente Curricula für den DaF-Unterricht zu erstellen. Dies geschieht etwa im Rahmen von Kulturaustauschprogrammen, beispielsweise zwischen Deutschland und der Volkrepublik China. Seit den 1980er Jahren seien durch diese Kooperationen fünf in der gesamten Volksrepublik gültige Curricula für den Deutschunterricht entstanden (Yu, 2004, S. 91). Durch eine solche Vorgangsweise werden mitteleuropäische und asiatische Grundsätze und Vorstellungen zusammengeführt, sodass die Curriculumentwicklung hier als eine Form der kultursensiblen Kompromissbildung in Erscheinung tritt, die erfolgversprechend und zukunftsweisend sein kann.

(3) Curriculumforschung und -entwicklung im DaF-Bereich: Die 2000er Jahre

Schon in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends schlägt sich der Einfluss des GER und somit auch der deutschsprachigen Fassung Profile Deutsch (Glaboniat, Müller, Rusch, Schmitz & Wertenschlag, 2005) auf DaF-Hochschulcurricula nieder (s. Funk, 2016, S. 152). Funk (ebd., S. 152) spricht hier von einem „[…] partielle[n] Paradigmenwechsel […]“, den er in die Nähe einer verstärkt wirtschaftsorientierten Bildungslandschaft rückt. Der Einfluss des GER wird von DaF-Experten überwiegend negativ bewertet, vor allem aufgrund seiner stark standardisierenden Wirkung (Iluk, 2002; Krumm, 2002; Königs, 2004, S. 7–8). Eine Standardisierung im Bereich fremdsprachlicher Kompetenzen birgt die Gefahr, dass sich offene in geschlossene Curricula4 verkehren. In neueren DaF-Curricula werden Elemente wie Emotionsausdruck, Problemlösestrategien und regionale Besonderheiten vermisst. Iluk verweist auf die Notwendigkeit, fremdsprachliche Emotionsbekundungen auf allen Niveaustufen zu lernen (2002, S. 101), stellt aber fest, dass dies in Curricula nicht ausreichend umgesetzt wird (ebd., S. 98, S. 101).

Auch Schmidt (2010, S. 930) plädiert für mehr literarische, kreative und interkulturelle Aspekte in künftigen DaF-Curricula. Diese seien durch die Kompetenz- und Outputorientierung des GER aus dem Fokus geraten. Am GER, den Funk (2016, S. 152) als „[…] Orientierungspunkt, Forschungsgegenstand und Streitpunkt der Fremdsprachendidaktik in Deutschland“ bezeichnet, orientieren sich seit den 2000er Jahren zudem zahlreiche moderne Sprachprüfungen wie für DaF etwa sämtliche ÖSD-Prüfungen. Auch derartige standardisierte Formen der Leistungsmessung werden in der Forschung ab den 2000er Jahren immer wieder als Bedrohung für DaF-Curricula angesehen, da die Gefahr besteht, dass sich der Unterricht an den Anforderungen für die Prüfungen, nicht an Curricula orientiert. Dies erkennt man jedoch bereits vor Erscheinen des GER (Macht, 1995). Macht (ebd., S. 284) sieht durch den „[…] back-wash effect […]“ von Prüfungen gar die Wirkkraft von Lehrplänen aufgelöst.

Vergleichbare negative Auswirkungen werden in der DaF-Fachliteratur der 2000er Jahre auch dem Bologna-Prozess zugeschrieben (Nied Curcio, Rößler, Schlanstein, Schlicht & Serra Borneto, 2005). Nach Inkrafttreten der Bologna-Erklärung hat sich eine Gruppe von Germanisten (DAAD) in Rom um ein neues Curriculum für den DaF-Unterricht an italienischen Hochschulen bemüht (ebd., S. 136), das ausführliche Kannbeschreibungen enthält, was unter anderem zu Vergleichbarkeit und Transparenz führt (ebd., S. 137). Innovativ am Zugang dieser Gruppe ist eine rasterhafte Gestaltung des Curriculums, die dazu beiträgt, den Unterricht modular und in Abhängigkeit von der Ausrichtung des Studiums auch berufsbezogen gestalten zu können (ebd., S. 141). Generell ist eine deutliche Tendenz festzustellen, universitäre Curricula modular auszugestalten (s. etwa Gerholz & Sloane, 2011, S. 4–5). Zudem entsteht der Anspruch an das römische Curriculum, Bezugspunkt für hochschulisches DaF-Curriculumdesign innerhalb und außerhalb Italiens zu sein (Nied Curcio, Rößler, Schlanstein, Schlicht & Serra Borneto, 2005, S. 141).

In den 2000er Jahren wird noch stets die übermäßig starke wirtschaftliche und berufsorientierte Ausrichtung von DaF-Curricula beanstandet, diese Kritik wurde vor allem durch Bologna-Prozess sowie GER und somit durch gestufte Lehrzielpräzisierung erneut angefacht (s. Prikoszovits, 2017b, S. 88; Krumm, 2007, S. 120). Andernorts wird der Berufsbezug jedoch vermisst, etwa in Marokko. So schreibt Bouchara (2008, S. 467): „Darüber hinaus nehmen bedauerlicherweise […] die Inhalte und Zielsetzungen des Germanistikstudiums in keiner Weise Bezug auf Berufsfelder für Germanistik-Absolventen“. Wenn Bouchara den Bezug auf Berufsfelder in marokkanischen Curricula auch vermisst, so wird in den 2000er Jahren curriculare Berufsbezogenheit dennoch immer mehr zum Forschungsschwerpunkt. Daller (2005) setzt sich damit auseinander, vor welche Herausforderungen in ihrer Ausbildung britische Studierende mit Blick auf künftige Arbeitstätigkeiten gestellt werden. Einen spezifischeren Zugang zur berufsbezogenen Curriculumentwicklung präsentiert in den ausgehenden 2000er Jahren etwa Chen (2009), die in ihrer Abhandlung ein von Deutschland und China erarbeitetes Konzept für ein DaF-Rahmencurriculum in der Automobilindustrie beschreibt. Ein derartiges Curriculum kann als grenzüberschreitend angesehen werden und es beinhaltet Interessen und kulturelle Aspekte der beiden involvierten Länder (s. Christ, 2007, S. 76; Prikoszovits, 2017b, S. 88).

Vor allem durch den GER und den Bologna-Prozess ausgelöste Diskurse zur Kompetenzorientierung im FSU lassen auch die DaF-Curriculumdiskussion der 2000er Jahre nicht unberührt. So führt Hof (2002, S. 81) aus: „An die Stelle von eng definierten Kenntnissen und Fertigkeiten sollen Fähigkeiten und Dispositionen treten, die selbstständig und flexibel in eigenverantwortliches Handeln in privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Situationen umgesetzt werden können.“ Für vorliegende Arbeit sind hierbei die beruflichen Situationen und die Herleitung berufs- und gleichsam kompetenzorientierter Lehr- und Lernziele von großer Bedeutung (Abschnitt 2.5).

Ein zentraler Ausgangspunkt in der Diskussion um die Kompetenzorientierung in Curricula für den FSU ist, dass im Unterricht durch Lernende erworbenes Wissen in ein anwendbares Können transformierbar sein muss. Hier gilt es also, im Unterricht einen hohen Situations- und Handlungsbezug herzustellen (s. Arras, 2009, S. 214; Hof, 2002, S. 80). Arras (2009, S. 207) hält hierzu weiter fest, dass durch eine Kompetenzorientierung im FSU Lernende in die Lage versetzt werden sollen, Schwierigkeiten sprachlicher wie auch interkultureller Art zu lösen. Demnach sollte Kompetenzorientierung also Fertigkeiten zur Lösung von Problemen mit sich bringen, die – wie bereits dargelegt – in Curricula jedoch vermisst werden. Künftig werden gemäß Arras (ebd., S. 209) zu bewältigende Probleme in einem der Kompetenzorientierung verpflichteten Unterrichtsmaterial verstärkt tonangebend sein. So könne man sich überwiegend frei im Design von sowohl Curricula als auch Unterrichtsmaterialien bewegen und sich weniger eng an Lehrwerke binden.

Hieran zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zu Iluks (2002) und Krumms (2002) Bedenken, durch den GER könnten Fähigkeiten wie Emotionsbekundungen und Problemlösestrategien ausgeklammert sowie Curricula negativ beeinflusst werden. Laut Arras (2009, S. 212) wird durch die Kompetenzorientierung auch die Frage nach individuellem Können und eben nicht die Suche nach individuellem Unvermögen eingeläutet. Diesen positiven Aspekt ergänzt sie (ebd., S. 213) um die sich durch den GER eröffnenden Chancen hin zu einer Individualisierung und weg von „[…] schablonenhafter Lernkultur […]“. Kompetenzorientierung bedeute auch Lernerorientierung. Arras sieht hier zudem einer notwendigen Individualisierung eine ebenso notwendige Standardisierung vorgeschaltet, wenn sie standardisierten Leistungsbeschreibungen das Potenzial zur individuellen Dokumentation des Lernforschritts zuschreibt.

Zwar räumt Arras (ebd., S. 212–213) ein, dass es auch Kritik am GER gebe, doch in Kontrast zu Iluk (2002) und Krumm (2002) bewertet sie sein Potenzial vor allem in Hinblick auf Kompetenzorientierung als sehr positiv, auch mit Blick auf Curricula für den DaF-Unterricht. In der einschlägigen Forschung divergieren in den 2000er Jahren demnach die Ansichten zum GER und somit zur Kompetenzorientierung in DaF-Curricula noch stark.

(4) Curriculumforschung und -entwicklung im DaF-Bereich: Die 2010er Jahre

Bereits zu Beginn der 2010er Jahre liegt mit dem Fachgutachten zur Kompetenzorientierung in Studium und Lehre der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (Schaper, Reis, Wildt, Horvath & Bender, 2012) jedoch ein wichtiger und umfassender Leitfaden zur kompetenzorientierten Curriculumentwicklung an europäischen und internationalen Hochschulen vor. Kompetenzorientierung kann und soll nun also bereits tragendes Prinzip in der Lehrplangestaltung sein. Gemäß Schaper, Reis, Wildt, Horvath & Bender (2012, S. 30) sollten das Lehren und Lernen im Hochschulbereich vielschichtig kompetenzorientiert angelegt sein, was Felder wie etwa Curriculumdesign oder Leistungsmessung betrifft. Der Kompetenzorientierung werden hier durchgehend wichtige Funktionen zugesprochen, selbst im Bereich des Qualitätsmanagements. Zudem bringt Kompetenzorientierung in Curricula die heute erwünschte Berufsbezogenheit in Curricula für den FSU mit sich, da dynamischem Können mehr Platz eingeräumt wird als statischem Wissen.

Deutsch wird meist nicht als erste Fremdsprache gelernt, sondern reiht sich häufig als zweite oder dritte Fremdsprache in das Fremdsprachenrepertoire eines Individuums ein. Dies führte laut Schmidt (2010, S. 930–931) zur Konzeption des „[…] Gesamtsprachencurriculums […]“, in dem Ziele für sämtliche Sprachen, die Lernende im Laufe ihrer Ausbildung erwerben, niedergeschrieben sind. Laut Hufeisen (2016, S. 167) ist allerdings auch die Verflechtung schulischer Sprachenangebote zum einen miteinander und zum anderen mit Sachfächern ein Anliegen des Gesamtsprachencurriculums. Dabei könnten auch verschiedene Jahrgänge vernetzt werden und zudem werde Projektorientierung häufig berücksichtigt (ebd., S. 168). Die Stärken des Gesamtsprachencurriculums sieht Hufeisen im Reichtum der interkulturellen Sprachhandlungsfähigkeit mehrsprachiger Menschen sowie in höherer beruflicher Wettbewerbsfähigkeit (ebd., S. 168). Dies verdeutlicht auch eine gewisse berufliche Ausrichtung des Gesamtsprachencurriculums. Hufeisen (ebd., S. 169–170) erwähnt hier das Projekt mit gesamtsprachencurricularem Schwerpunkt PlurCur am Europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz. Als Erfolg der PlurCur-Projektschulen führt sie etwa „[…] eine schulweite mehrsprachige Grammatikterminologieliste für alle Sprachen (inklusive der jeweiligen L1)“ (ebd., S. 170) an. Hufeisen unterstreicht generell den Wert projektorientierter Ansätze im Gesamtsprachencurriculum. Curricular verankerte Projektarbeit findet sich im FSU der 2010er Jahren immer häufiger (s. etwa Vogel, 2016, S. 197; Prikoszovits, 2017b).

Kulturell bereicherndes und Horizonte eröffnendes Fremdsprachenlernen wird in den 2010er Jahren nach wie vor als bedroht angesehen, nun vor allem von im Zuge der PISA-Studie eingeführten, international gültigen Bildungsstandards (s. Christ, 2016, S. 58). Aktuelle Curriculumentwicklung im DaF-Bereich erfolgt unter anderem anhand von so genannten Sprachbedarfs- und Sprachgebrauchsanalysen (Kiefer, Schlak & Iwanow, 2012; Seyfarth, 2015). Bei entsprechenden Erhebungen etwa an für DaF-Lernende künftig relevanten Arbeitsorten wird ermittelt, welche sprachlichen Anforderungen dort bestehen und welche Elemente somit in zielgruppenspezifische Curricula einfließen sollen und müssen (Abschnitt 2.5.3). Daraus resultierende passgenaue Unterrichtskonzepte stehen im Gegensatz zu einem Unterricht, der sich aus nicht-lernendenorientierten, mit für Lernende irrelevanten Inhalten befüllten Curricula herleitet. Ähnliche Ansätze gibt es auch immer häufiger im schulischen Bereich.