Berufsorientierung und Lebensplanung für Hauptschüler. Projekte und Konzepte - Sven Krugmann - E-Book

Berufsorientierung und Lebensplanung für Hauptschüler. Projekte und Konzepte E-Book

Sven Krugmann

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2005
Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Pädagogik - Berufsbildung, Weiterbildung, Note: 2, Universität Kassel (Fachbereich 7), Sprache: Deutsch, Abstract: Die aktuelle Diskussion im Deutschen Bildungswesen hat nach der PISA-Studie, durch die sich schwer wiegende Mängel des deutschen Schulwesens auftaten, die Hauptschule erreicht. So stellte etwa Kahl (2004a) heraus: „23 Prozent der 15-Jährigen gehören zur so genannten Risikogruppe, bei denen es fraglich ist, ob sie je einen Beruf bekommen ... Während die OECD-Länder durchschnittlich 12,7 Prozent der öffentlichen Haushalte für Bildung aufwenden (Tendenz steigend), verharrt Deutschland seit 1995 unverändert bei 9,7 Prozent.“ Betroffen von dieser Situation sind die Schüler aller in Deutschland existierenden Schulformen, vor allem aber Hauptschulabgänger. Lehmann und Füller stellen fest: „Auf der Strecke bleiben immer noch sozial Schwache.“ (Lehmann, A.; Füller, C. 2004b, S. 3) Während in allen Ländern sowohl bei der PISA als auch der OECD-Studie 2004 die Länder Spitzenpositionen belegen, in denen ein Gesamtschulsystem existiert, welches die Schülerinnen bis zur neunten oder zehnten Klasse vereinigt, hält Deutschland an seinem dreigliedrigen Schulsystem fest. Die ehemalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn geht sogar so weit, es als siebengliedrig zu bezeichnen, indem sie neben Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen auch diverse Sonderschulformen und Förderstufen mit einbezieht (vgl. ebd.). Hieraus, so Lehmann und Füller, ergebe sich ein echtes „Schulwirrwar“. Jutta Almendinger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung stellt fest: „Die Ausleseverfahren, die wir uns in unserem dreigliedrigen Schulsystem leisten, führen weder zu einer breiten Spitze von Eliteschülern, noch verhindern sie, dass wir beinahe 25 Prozent gering Gebildeter produzieren.“ (Füller, C. 2004a, S. 18.) Welche Perspektiven ergeben sich daraus für eine hoch entwickelte Industrienation wie die Bundesrepublik Deutschland? Wie können 25 Prozent, also ein Viertel eines Altersjahrgangs, in die Gesellschaft unseres Landes integriert werden und wie kann man sie auf diesen Prozess vorbereiten? Einen zentralen Stellenwert nimmt der Beruf bei der Teilhabe an der Gesellschaft ein. Der Zugang aber wird von den Leistungen, welche in der Schule erbracht wurden, also vom Schulabschluss bestimmt. Zudem macht der aktuelle Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft die Eingliederung von Absolventen der unteren Bildungsabschlüsse in die Wirtschafts- und Arbeitswelt schwierig.

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Inhalt

 

1. Einleitung

2. Schulische Berufsorientierung im historischen Kontext

2.1 Berufsorientierung in der Schule nach 1945

3. Die Hauptschule: Konzeption und Realität

3.1 Zur Lebenswelt und Ausgangssituation von Hauptschülern

3.2 Die Shell-Studie 2002: Werte und Wertetypen unter Jugendlichen

3.2.1 Idealisten

3.2.2 Unauffällige

3.2.3 Macher

3.2.4 Materialisten

3.2.5 Demographische und soziale Struktur der Wertetypen

3.3 Die Erwartungen der Wirtschaft an Hauptschüler

4. Berufsorientierung in der Hauptschule

4.1 Die Rolle der Bundesagentur für Arbeit

4.2 Das Betriebspraktikum

5. Berufsorientierung und Lebensplanung

5.1 Berufsorientierung und Lebensplanung in der Grundschule

5.2 Defizite der schulischen Berufsorientierung

5.3 Lebensplanung als Erweiterung der Berufsorientierung

5.3.1 ICH-Bildung

5.3.2 Selbsterfahrung

5.3.3 Erkundung der Arbeits- und Berufswelt

5.4 Exkurs: Leben und arbeiten außerhalb der Erwerbsarbeit

6. Lokales Kapital für Soziale Zwecke „LOS“

6.1 Allgemeines

6.2 LOS in Kassel Oberzwehren

6.3 Konzepte der Arbeitsgemeinschaften

6.3.1 Voraussetzungen

6.3.2 Die Durchführung

6.3.3 Perspektive des Projektes

7. Berufsorientierungs- und Lebensplanungsseminare des Werra-Meißner-Kreises

7.1  Allgemeines

7.2  Exkurs: Warum Seminare zur Berufsorientierung und Lebensplanung außerhalb der Schule?

7.3 Seminartypen

7.4 Seminarablauf für eine achte Hauptschulklasse

7.4.1 Wer bin ich?

7.4.2 Fähigkeitenparcours

7.4.3 Was will ich werden?

7.5 Seminarablauf für eine neunte Hauptschulklasse

7.5.1 Bewerbungstraining

7.5.2 Vorbereitung auf das Vorstellungsgespräch

7.5.3 Rollenspiele

7.5.4 Vorstellungsgespräch

9. Literatur

 

1. Einleitung

Die aktuelle Diskussion im Deutschen Bildungswesen hat nach der PISA-Studie, durch die sich schwer wiegende Mängel des deutschen Schulwesens auftaten, die Hauptschule erreicht. Nun erwartete Deutschland voller Spannung die neue OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“, in der die zusammengeschlossenen 30 Industrienationen jährlich auf ihr Bildungswesen hin untersucht werden. Die Ergebnisse der aktuellen Studie wurden in Deutschland in der Öffentlichkeit rege diskutiert; die Tages- und Wochenpresse war voll von Beiträgen zu diesem Thema. So stellte etwa Kahl (2004a) heraus:

„23 Prozent der 15-Jährigen gehören zur so genannten Risikogruppe, bei denen es fraglich ist, ob sie je einen Beruf bekommen ... Während die OECD-Länder durchschnittlich 12,7 Prozent der öffentlichen Haushalte für Bildung aufwenden (Tendenz steigend), verharrt Deutschland seit 1995 unverändert bei 9,7 Prozent.“

Betroffen von dieser Situation sind die Schüler aller in Deutschland existierenden Schulformen, vor allem aber Hauptschulabgänger. Lehmann und Füller stellen fest: „Auf der Strecke bleiben immer noch sozial Schwache.“ (Lehmann, A.; Füller, C. 2004b, S. 3) Während in allen Ländern sowohl bei der PISA- als auch der OECD-Studie 2004 die Länder Spitzenpositionen belegen, in denen ein Gesamtschulsystem existiert, welches die Schülerinnen bis zur neunten oder zehnten Klasse vereinigt, hält Deutschland an seinem dreigliedrigen Schulsystem fest. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn geht sogar so weit, es als siebengliedrig zu bezeichnen, indem sie neben Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen auch diverse Sonderschulformen und Förderstufen mit einbezieht (vgl. ebd.). Hieraus, so Lehmann und Füller, ergebe sich ein echtes „Schulwirrwar“. Jutta Almendinger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung stellt fest:

„Die Ausleseverfahren, die wir uns in unserem dreigliedrigen Schulsystem leisten, führen weder zu einer breiten Spitze von Eliteschülern, noch verhindern sie, dass wir beinahe 25 Prozent gering Gebildeter produzieren.“ (Füller, C. 2004a, S. 18.)

Welche Perspektiven ergeben sich daraus für eine hoch entwickelte Indus­trienation wie die Bundesrepublik Deutschland? Wie können 25 Prozent, also ein Viertel eines Altersjahrgangs, in die Gesellschaft unseres Landes integriert werden und wie kann man sie auf diesen Prozess vorbereiten? Einen zentralen Stellenwert nimmt der Beruf bei der Teilhabe an der Gesellschaft ein. Der Zugang aber wird von den Leistungen, welche in der Schule erbracht wurden, also vom Schulabschluss bestimmt. Zudem macht der aktuelle Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft die Eingliederung von Absolventen der unteren Bildungsabschlüsse in die Wirtschafts- und Arbeitswelt schwierig.

Das Schulfach „Arbeitslehre“ soll eine Vorbereitung auf diese veränderte Wirtschafts- und Arbeitswelt leisten, doch ist es nicht in allen Bundesländern vertreten. Bisher wird das Fach nur in der Haupt-, Gesamt- und Sonderschule angeboten, doch Dedering forderte es nach der PISA-Studie für alle Schulformen, da es „... für eine umfassende Bildung des Menschen unverzichtbar und zudem eine angemessene Antwort auf den Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft (ist)“ (Dedering, H. 2002a).

Wie kann das Fach Arbeitslehre in unserer heutigen Situation die Schüler auf ihr Leben in Beruf und Gesellschaft vorbereiten? Wie kann das Fach auf die neuen Anforderungen reagieren? Und wie kann es den Schülern, die mit geringen Chancen das Schulsystem verlassen, Hilfestellungen geben? Bei den eingangs beschriebenen Defiziten des Deutschen Schulsystems und der daraus resultierenden Ungleichheit der Bildungschancen muss nach neuen Formen der Vorbereitung auf die Arbeits- und Wirtschaftswelt gesucht werden.

Als die Hauptschule Mitte der sechziger Jahre entstand, wurden hier noch die meisten Schüler eines Altersjahrganges vereint (vgl. Spiewak, M. 2004). Heute hat sich die Hauptschule zu einer „Restschule“ entwickelt, was nach einer fundierten und umfangreichen Vorbereitung der Schüler auf die neuen Anforderungen verlangt. Die vorliegende Arbeit will untersuchen, inwieweit die Hauptschule die Vorbereitung auf die Arbeits- und Wirtschaftswelt leistet. Dazu werden die Werte, die Lebenswelt sowie Ausgangsbedingungen und Erwartungen der Schüler und Schulabgänger überprüft und inwiefern eine Orientierung auf den Beruf stattfindet, ob diese noch zeitgemäß ist und wie die Orientierung ggf. zu erweitern wäre. Zudem wird ein Blick auf die Beteiligten und deren Beitrag geworfen.

Neben dem aktuellen Stand der Diskussion um diesen Themenkomplex, der aus der vielfältigen Literatur zur Berufsorientierung in der Hauptschule he­rausgefiltert wird, soll ein historischer Abriss die Entwicklung des auf die Arbeits-, Wirtschafts- und Gesellschaftswelt vorbereitenden Unterrichts aufzeigen, um den heutigen Stellenwert der Orientierungshilfe ermessen zu können.

Insgesamt soll deutlich werden, dass die Schüler und Schülerinnen, welche die Hauptschule mit oder ohne Abschluss verlassen, heute mehr denn je konkrete Hilfestellungen zur eigenen Lebensgestaltung und -planung brauchen, denn die Wirtschafts-, Arbeits- und Gesellschaftswelt empfängt sie nicht mit offenen Armen. Ihnen müssen Mittel und Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, um in dieser Umwelt bestehen zu können. Es soll überprüft werden, ob dazu entsprechende Mittel und Möglichkeiten zu finden sind und ob sie in der Schule oder an anderen Lernorten vorhanden sind.

2. Schulische Berufsorientierung im historischen Kontext

 

Der Themenkomplex der Berufsorientierung war schon immer politisch okkupiert und die Hinführung zur Arbeitswelt ein von den verschiedenen politischen Strömungen sehr unterschiedlich instrumentalisierter Prozess. Hofsäss stellt fest: „Das Bildungssystem erhält ... die Funktion der beständigen Brauchbarmachung der Gesellschaftsmitglieder für wirtschaftliche und machtpolitische Verwertbarkeit, also der Herstellung optimal verwertbaren ‚Humankapitals‘.“ (Hofsäss, T. 2002, S. 19f.) Heute spricht man eher von einer Hinführung zur Befähigung des Einzelnen, sich zum eigenen und gesellschaftlichem Wohl zu betätigen. Warum aber wurde sich so schwer damit getan, Berufsorientierung als Unterricht an allgemein bildenden Schulen einzuführen? Dammer wirft dazu folgende Fragen auf:

 

„warum bis heute weder die Arbeitslehre noch irgendein anderes einheitliches Berufswahlorientierungskonzept für alle allgemein bildenden Schulformen gleichermaßen verbindlich eingeführt werden konnte,

 

warum es nie zu einer – in der Sache zweifellos sinnvollen – organisatorischen Zusammenarbeit zwischen beruflichen und allgemein bildenden Schulformen kam und

 

warum Schulformprestige und Berufswahlorientierung sich umgekehrt proportional zueinander verhalten, d. h. warum mit zunehmenden Prestige der Schulform der Berufswahlorientierung geringere Bedeutung beigemessen wird.“ (Dammer, K. H. 2002, S. 34)

 

Zur Beantwortung der Fragen sollen im Folgenden die Wurzeln der schulischen Berufsorientierung, also des Faches Arbeitslehre betrachtet werden.

 

Bereits im 18. und 19. Jahrhundert, beim Übergang von der ständischen in die bürgerliche Gesellschaft (vgl. Beinke, L. 1977, S. 23ff.), wurden im Zuge der einsetzenden Industrialisierung Forderungen nach einer beruflichen Vorbildung laut, die man bis dahin nicht kannte. Die Stände und Zünfte verloren mehr und mehr ihre integrative und gesellschaftlich stützende Funktion. Eine Beratung der Heranwachsenden im Hinblick auf ihre spätere berufliche Ausbildung wurde obligatorisch. Hier wurde geprüft, ob der Jugendliche die notwendige Begabung für den angestrebten Beruf aufwies und ob dieser ihm ein späteres Auskommen ermöglichte (vgl. ebd., S. 24f.). Zudem wurde der beruflichen Ausbildung mehr Inhalt, ein systematischer Aufbau sowie die Kontrolle von beidem verliehen (vgl. ebd.). Die sich verändernde Wirtschaftswelt brachte neue Heraus- und Anforderungen an den Beruf mit. Die den kleinen Handwerksbetrieben nun gegenübergestellten Großbetriebe forderten – interessanterweise ebenso wie heute, wo sich die Arbeitswelt erneut stark wandelt, – mehr Flexibilität, d. h., man war nicht mehr wie früher auf einen eng umrissenen Beruf festgelegt, sondern musste mit Änderungen rechnen.

 

Das heute übliche Bild von einer ehedem übersichtlichen Berufswelt ist nicht korrekt (vgl. ebd., S. 27), bereits im 13. Jahrhundert weist eine Liste aus Frankreich 101 Berufe aus, welche man erlernen konnte. Diese Anzahl stieg im Laufe der Jahre stetig weiter an. So wurde eine Orientierung für die Berufswelt notwendig. Als Konsequenz bildeten sich in Deutschland ab dem 18. Jahrhundert Schulmodelle, die den Veränderungen im Zuge der industriellen Revolution Rechnung trugen und die notwendige berufliche Orientierung anboten. Dedering verweist darauf, dass die Wurzeln der Arbeitslehre zunächst in der von dem Schweizer Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) maßgeblich geprägten Industrieschule (18./19. Jahrhundert), in der Unterricht, Produktion, Lernen und Arbeiten miteinander verbunden waren, und später in der bürgerlichen und der sozialistischen Arbeitsschule (zu Beginn des 20. Jahrhunderts) zu suchen sind (vgl. Detering, H. 1994, S. 178ff. und 183).

 

In der Elementarschule der damaligen Zeit war es üblich, theoretischen mit praktischem Unterricht zu kombinieren. In der Industrieschule sollten wichtige Arbeitstugenden vermittelt werden, durch Entlohnung der Schüler wurde deren wirtschaftliche Situation und die der Eltern entscheidend entschärft. Diese Entlohnung wurde durch den Verkauf von hergestellten Gütern finanziert, die Schulen waren größeren Betrieben angeschlossen, welchen sie zuarbeiteten (vgl. Dedering 1994, S. 184f.). Damit sollte der Schüler auf seine zukünftige berufliche Tätigkeit vorbereitet werden. Ziel war es außerdem, die Heranwachsenden charakterlich zu festigen und sie moralisch und sittlich verwerflichen Einflüssen zu entziehen (vgl. ebd., S. 184). Die Industrieschule verbreitete sich rasch über ganz Deutschland, gerade auch aufgrund der starken staatlichen Unterstützung. Dedering drückt die Gründe folgendermaßen aus: