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Nur wenn sie die gefährliche Seelenreise in die Anderwelt antritt, kann Brighid ihren Geliebten retten. Auf keinen Fall will Brighid die Nachfolge ihrer Mutter antreten! Deshalb hat sie ihre Familie verlassen und auf der Burg MacCallan ein neues Zuhause gefunden. Erst als Cuchulainn die Burg nach dem grausamen Tod seiner Verlobten verlässt, wagt Brighid sich aus den schützenden Gemäuern, um ihn zu suchen. Weit draußen im Ödland findet sie ihn - bei den geflügelten Kindern, die in das Land ihrer Mütter zurückgeführt werden müssen. Während Brighid mit ihm einen Weg sucht, die Kinder zu retten, spürt sie Cuchulainns Schmerz und kann sich vor ihrem schamanischen Erbe nicht länger verschließen. Will sie die Seele des stolzen Kriegers heilen, muss Brighid ihren Schwur brechen und in die ihr unbekannte Anderwelt reisen. Aus Liebe zu Cuchulainn wagt sie diesen Schritt - nicht ahnend, dass sie damit das eigene Schicksal für immer besiegelt.
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Seitenzahl: 733
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P.C. Cast
New Tales of Partholon 5: Beseelt
Roman
Aus dem Amerikanischen von
MIRA® TASCHENBUCH
Band 65070
1. Auflage: Januar 2013
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2013 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH
Deutsche Erstveröffentlichung
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
Brighid’s Quest
Copyright © 2005 by P.C. Cast
erschienen bei: LUNA Books, Toronto
Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l.
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Daniela Peter
Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz
Autorenfoto: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz
Satz: GGP Media GmbH, Pößneck
EPUB-ISBN 978-3-86278-569-8
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund
Für meine Stiefmama Patricia Ann Cast, mit Liebe und Bewunderung. Danke, dass Du weißt,
PROLOG
„Das Blut einer sterbenden Göttin wird dein Volk retten.“
Vor mehr als einhundert Jahren verschwanden immer wieder Frauen aus einem grünen, blühenden Land namens Partholon. Anfangs war es nur ab und zu eine, scheinbar wie zufällig. Erst als die eindringenden Horden die MacCallan-Burg überfielen, die tapferen Krieger des Clans hinrichteten und ihre Frauen zu Sklavinnen machten, wurde die schreckliche Wahrheit bekannt. Die Fomorianer, eine Rasse geflügelter Dämonen, benutzten die menschlichen Frauen, um eine neue Art Monster zu züchten. Den vampirischen Kreaturen bedeutete es nichts, dass die Geburt der Mutantenföten zum Tod der unfreiwilligen Mütter führte. Die Frauen waren nichts weiter als Brutkästen – und ihr Tod nicht mehr als das grausame Mittel zu einem fürchterlichen Zweck.
Die Wut der Göttin Epona war entsetzlich, und unter der Führung ihrer Auserwählten, der göttlichen Inkarnation Rhiannon und ihres zentaurischen Lebensgefährten ClanFintan kämpfte das Volk von Partholon mit vereinten Kräften gegen die Fomorianer. Die Dämonen wurden vernichtet, die Bewohner von Partholon bemerkten aber nicht, dass das Erbe dieses Krieges aus mehr bestand als aus Tod und Verderben. Im Ödland, weit entfernt vom Herzen Partholons, gebaren menschliche Mütter geflügelte Kinder und überlebten wie durch ein Wunder. Teils Dämon, teils Mensch kämpfte die kleine Gruppe hybrider Nachkommen darum, sich ein Leben im Ödland aufzubauen. Sie hielten an ihrer Menschlichkeit fest, obwohl die Weigerung, dem Ruf des dunklen Bluts ihrer Väter zu folgen, ihnen Schmerzen bereitete – Schmerzen, die ihren Willen langsam untergruben, bis sie dem Wahnsinn verfielen.
„Das Blut einer sterbenden Göttin wird dein Volk retten.“
Epona hatte die Frauen nicht vergessen, die niemals die Hoffnung aufgegeben hatten und dem Glauben an ihre Göttin treu geblieben waren, obwohl sie mit ihren geflügelten Nachkommen nicht nach Partholon zurückkehren konnten. Die Große Göttin flüsterte ihren verbannten Kindern die Prophezeiung ins Ohr, und das Versprechen auf Erlösung schenkte der Rasse von Halbdämonen Hoffnung.
Ein Jahrhundert verging, und die geflügelten Menschen warteten auf Antwort auf ihre Gebete. Partholon erholte sich und blühte auf, und der Fomorianische Krieg war nur noch eine Erinnerung, eingebettet in der Geschichte des Landes.
Dann wurde ein Kind geboren – halb Mensch und halb Zentaur. Berührt von Eponas wundervoller Hand, wurde das Baby Elphame genannt. In ihren Träumen rief sie nach Lochlan, dem Anführer der geflügelten Halbdämonen, die im Ödland warteten. Das Kind wuchs heran, und Lochlan folgte ihrem Rufen zur MacCallan-Burg, auf der Elphame mehr zum Leben erweckte als nur die Steine der alten Ruine.
„Das Blut einer sterbenden Göttin wird dein Volk retten.“
Aus Liebe zu Lochlan und im Vertrauen auf ihre Göttin erfüllte Elphame die Prophezeiung. Sie opferte einen Teil ihrer Menschlichkeit sowie das Seelenheil ihres Bruders, um die Rasse der hybriden Fomorianer zu retten. Endlich konnten sie nach Hause zurückkehren, aber ihr Kampf hatte gerade erst begonnen. Bedenkt, der Weg der Göttin war niemals leicht zu beschreiten …
1. KAPITEL
Elphame befand sich genau dort, wo Brighid sie zu finden erwartet hatte – nicht, dass es der Fähigkeit einer zentaurischen Jägerin bedurft hätte, um den Spuren der Clanführerin zu folgen. Die Angewohnheit der MacCallan, diese spezielle Felsformation an der Klippe aufzusuchen, war allgemein bekannt. Auf dem erhöhten Aussichtspunkt aus großen, wettergegerbten Steinen konnte Elphame sitzen und nach Norden in Richtung der Berge Trier schauen, die in der Entfernung als zerrissene Zackenlinie in den Himmel stachen. Aus dem Wunsch heraus, in das dahinterliegende Ödland zu sehen, starrte sie oft stundenlang auf die weit entfernte Bergkette.
Brighid näherte sich Elphame leise, sie störte sie nur ungern. Obwohl sie schon einige Mondzyklen in ihrer Nähe lebte und eng mit ihr zusammenarbeitete, berührte der Anblick dieses einzigartigen Wesens, das ihre Clanführerin und auch ihre Freundin geworden war, sie immer noch tief. Als älteste Tochter der inkarnierten Göttin Partholons und ihres zentaurischen Schamanen war Elphames Körper nur bis zur Taille menschlich; ihre Beine hingegen glichen denen eines Pferdes. Sie waren sehr muskulös, mit feinem, glänzendem Fell bedeckt und endeten in ebenholzschwarzen Hufen.
Es war aber nicht nur diese Andersartigkeit, die Elphame von allen anderen unterschied. Sie trug Kräfte in sich, die ihr von Epona verliehen worden waren. Wegen einer Verbundenheit mit der Magie der Erde konnte sie mit der Natur kommunizieren. Elphame hörte die Geister der Steine der MacCallan-Burg. Sie hatte außerdem eine besondere Beziehung zu Epona. Brighid spürte oft die schützende Anwesenheit der Göttin Partholons, wenn Elphame das Morgengebet sprach oder Epona am Ende eines produktiven Tages dankte. Und natürlich hatten alle gesehen, wie sehr sie Epona am Herzen lag, als Elphame die Stärke und Liebe ihrer Göttin anrief, um den Wahnsinn der Fomorianer zu bezwingen.
Die Jägerin erschauerte. Sie wollte sich nicht an diesen entsetzlichen Tag erinnern. Es reichte zu wissen, dass ihre Clanführerin eine mysteriöse Mischung aus Zentaur und Mensch, Göttin und Sterblicher war.
„War die morgendliche Jagd erfolgreich?“, fragte Elphame, ohne sich zu ihr umzudrehen.
„Ja, sehr.“ Brighid war nicht überrascht, dass ihre Stammesführerin ihre Anwesenheit spürte. Elphames übernatürliche Kräfte waren scharf und präzise. „Die Wälder, die die Burg MacCallan umgeben, sind seit über einhundert Jahren nicht mehr ordentlich bejagt worden. Das Wild springt mir förmlich vor meine Pfeile und bettelt darum, erlegt zu werden.“
Um Elphames Lippen zuckte ein kleines Lächeln. „Wildbret mit Todessehnsucht? Das klingt nach einem wahrhaft einzigartigen Mahl.“
Brighid schnaubte. „Erzähl es nur nicht Wynne. Die Köchin wird sonst verlangen, dass ich bei der Auswahl des Wilds sorgfältiger auf dessen Laune achte, damit ihr Eintopf den richtigen Geschmack bekommt.“
Die MacCallan löste den Blick von den Bergen in der Ferne und lächelte. „Bei mir ist dein Geheimnis sicher.“
Als Brighid ihrer Freundin in die Augen schaute, erschrak sie über die Traurigkeit, die sich darin abzeichnete. Nur Elphames Lippen lächelten. Niemals würde die MacCallan diesen gequälten Gesichtsausdruck der Öffentlichkeit zeigen – es war ein seltenes Privileg, eine so persönliche Seite zu sehen zu bekommen. Brighid befürchtete im ersten Moment, dass der fomorianische Wahnsinn, der tief im Blut ihrer Freundin lauerte, erwacht war, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder. In Elphames Blick hatte sie weder Hass noch Wut gesehen – nur tiefe Traurigkeit, von der sie ahnte, woher sie stammte. Ihre Freundin war glücklich mit Lochlan verbunden. Der Wiederaufbau der Burg MacCallan ging gut voran. Die Mitglieder des Clans waren gesund und gediehen prächtig. Ihre Führerin könnte zufrieden sein. Brighid wusste, dass Elphame das auch war – bis auf ein entscheidendes Detail.
„Du sorgst dich um ihn.“ Sie studierte Elphames starkes Profil, während deren Blick wieder zum Horizont glitt.
„Natürlich sorge ich mich um ihn!“ Sie presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme traurig und resigniert: „Es tut mir leid. Ich wollte es nicht an dir auslassen, aber seit Brennas Tod kreisen meine Gedanken ständig um ihn. Er hat sie so sehr geliebt.“
„Wir alle haben die kleine Heilerin geliebt.“
Elphame seufzte. „Ja, weil sie etwas ganz Besonderes war. Ihr Herz war unglaublich groß.“
„Du machst dir Sorgen, dass Cuchulainn sich von seinem Verlust nicht erholen wird.“
Elphame starrte auf die Berge. „Es wäre nicht so schlimm, wenn er hier wäre – wenn ich mit ihm sprechen könnte und wüsste, wie es ihm geht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich durfte ihn allerdings nicht aufhalten. Er sagte, in der Burg erinnere ihn alles an Brenna, und hier könne er niemals lernen, ohne sie zu leben. Als er ging, war er nur ein Schatten seiner selbst. Nein …“ Sie überdachte den Vergleich. „Nicht ein Schatten seiner selbst. Mehr ein Schatten dessen, was er einst gewesen war …“
Elphames Stimme erstarb. Brighid blieb an ihrer Seite, während die Clanführerin stumm gegen die Sorge um ihren Bruder ankämpfte. Ihre eigenen Gedanken wandten sich der Erinnerung an die kleine Heilerin zu. Genau wie sie war Brenna auf der Suche nach einem Neuanfang und einem besseren Leben auf die MacCallan-Burg gekommen, doch die von Narben entstellte Heilerin bekam mehr. In den Armen des Kriegers Cuchulainn, dem Bruder der Clanführerin, fand sie die Liebe. Er schaute nicht auf ihr von fürchterlichen Brandnarben gezeichnetes Äußeres, sondern sah die Schönheit ihres Herzens. Brighid erinnerte sich daran, wie unglaublich glücklich ihre Freundin gewesen war – bis zu ihrem viel zu früh eintretenden Tod. Dass ihre Ermordung die Ereignisse in Gang setzte, die zur Erlösung einer ganzen Rasse führten, trug wenig dazu bei, die Wunde zu heilen, die ihre Abwesenheit hinterließ. Und nun war Cuchulainn im Ödland, um das Volk nach Partholon zurückzuführen, das die Mörderin seiner Geliebten hervorgebracht hatte.
„Er hat darauf bestanden“, sagte Elphame leise, als spürte sie ihren Gedankengang. „Er macht die anderen Fomorianer nicht für Brennas Tod verantwortlich. Er versteht, dass ihre Mörderin vom Wahnsinn beherrscht wurde, gegen den sie alle ankämpften.“
Brighid nickte. „Cuchulainn gibt sich die Schuld. Die hybriden Fomorianer nach Hause zu führen ermöglicht es ihm vielleicht, mit der Sache abzuschließen. Lochlan sagt, dass viele Mitglieder seines Volkes noch Kinder sind. Womöglich hilft das, das Herz des Kriegers zu heilen.“
„Ohne die Berührung einer Heilerin zu genesen, ist ein schwieriger Prozess“, murmelte Elphame. „Ich hasse den Gedanken, dass er Schmerzen leidet und niemand …“ Sie brach mit einem trockenen Lachen ab.
„Was?“, drängte Brighid sie.
„Ich weiß, es klingt dumm. Cuchulainn ist ein Krieger, der für seine Kraft und seinen Mut bekannt ist. Aber es ist furchtbar, dass es ihm schlecht geht, und niemand aus seiner Familie ist bei ihm.“
„Vor allem nicht seine große Schwester?“
Elphames Lippen zuckten. „Ja, vor allem seine große Schwester.“ Sie seufzte erneut. „Er ist schon so lange fort. Ich dachte, dass er inzwischen längst zurückgekehrt sein würde.“
„Du weißt doch, im Bericht von der Wachtburg hieß es, dass es einen mächtigen Frühlingsschneesturm gegeben hat, der in den Bergen tobte und den Pass zum Ödland unpassierbar machte. Cuchulainn wird auf Tauwetter warten müssen und selbst dann nur langsam vorankommen, weil er sicher darauf achtgibt, die Kinder nicht zu überanstrengen. Du musst geduldig sein“, sagte Brighid.
„Geduld ist noch nie eine deiner Stärken gewesen, mein Herz.“
Die tiefe Stimme erklang hinter ihnen. Jägerin und Clanführerin drehten sich um und sahen zu, wie der geflügelte Mann die letzten Meter auf sie zukam. Brighid fragte sich, ob sie sich jemals daran gewöhnen würde, dass solche Wesen existierten. Teils Fomorianer, teils Mensch war Lochlan eine ganz besondere Kreatur, die, wie andere auch, in der Verborgenheit des harschen Ödlands nördlich der Berge Trier von ihren Müttern, Frauen Partholons, aufgezogen worden waren. Er war groß, sehnig und muskulös. Seine menschlichen, attraktiven Gesichtszüge wirkten wie gemeißelt. Der helle, beinahe farblose Ton seiner Haut deutete auf sein dunkles Erbe hin. Und dann waren da noch die Flügel. Im Moment ruhten sie dicht an seinen Rücken gelegt, sodass nur die grau melierte Oberseite zu sehen war. Brighid hatte sie auch schon voll ausgebreitet in ihrer grausamen Schönheit erlebt. Ein Anblick, den sie so schnell nicht vergessen würde.
„Guten Morgen, Jägerin“, grüßte er warmherzig. „Wynne hat mir erzählt, dass du heute früh einen spektakulären Fang gemacht hast und wir uns zum Abendessen auf Hirschsteaks freuen können.“
Brighid nahm das Kompliment mit einer leichten Neigung des Kopfes an und trat einen Schritt zur Seite, damit Lochlan seine Frau begrüßen konnte.
„Ich habe dich vermisst.“ Er führte Elphames Hand ganz langsam an seine Lippen und küsste sie zart.
„Es tut mir leid. Ich konnte nicht schlafen und wollte dich nicht wecken, also bin ich …“ Sie zuckte mit den Schultern.
„Du erwartest ungeduldig die Rückkehr deines Bruders, und das macht dich ruhelos“, sagte er.
„Ich weiß, dass er ein Krieger ist und dass ich mit dem Herzen einer Schwester denke, anstatt mit dem Kopf einer Stammesführerin, doch ich mache mir Sorgen um ihn.“
„Ich bin auch ein Krieger, aber sollte ich dich verlieren, würde ich meine Seele verlieren. Ein Kämpfer zu sein bewahrt einen Mann nicht davor, Schmerz zu empfinden. Ich habe in letzter Zeit auch viel an Cuchulainn gedacht.“ Lochlan hielt inne und wählte seine nächsten Worte sorgfältig. „Vielleicht sollte sich einer von uns nach ihm auf die Suche machen.“
„Ich würde es so gerne tun. Ich habe sogar schon darüber nachgedacht, aber ich kann hier nicht weg.“ Die Frustration war Elphame deutlich anzuhören. „Der Clan ist erst neu zusammengewürfelt, und es gibt noch eine Menge Arbeit an der Burg.“
„Ich werde gehen“, sagte Brighid entschieden.
„Wirklich?“, fragte Elphame.
Sie nickte und zuckte mit den Schultern. „Im Wald lebt so viel Wild, dass selbst die menschlichen Jäger leicht für die Verpflegung der Burgbewohner sorgen können – zumindest für eine Weile“, fügte sie lächelnd hinzu. „Es bedarf der Fähigkeiten einer Jägerin, um den Weg zu finden, den Cuchulainn durch die Berge genommen hat.“ Sie warf Lochlan einen gezielten Blick zu. „Oder etwa nicht?“
„Es ist ein verborgener Pfad, und auch wenn ich glaube, dass Cuchulainn Zeichen hinterlassen hat, wird er schwer auszumachen sein – ganz zu schweigen davon, dass er nicht leicht zu begehen ist“, stimmte er zu.
„Außerdem gibt es im Ödland nur wenig Wild, sodass ich vor Ort helfen kann, die Bürde des Hungers etwas zu mildern, während sie sich für die Reise fertig machen.“ Sie lächelte ihre Clanführerin an. „Eine Jägerin ist immer willkommen, vor allem wenn es gilt, viele hungrige Mäulchen zu stopfen.“
„Ein Freund ist ebenfalls eine gern gesehene Gesellschaft“, sagte Elphame mit zittriger Stimme. „Danke. Du nimmst mir eine große Last von der Seele.“
„Cuchulainn wird mich vermutlich für einen armseligen Ersatz seiner Schwester halten“, sagte Brighid schnell, um ihre Gefühle zu verbergen. In den vergangenen zwei Mondzyklen war Elphame ihr so ans Herz gewachsen, als wäre sie ein Teil ihrer Familie. Nein, korrigierte die Jägerin sich, ich bin meiner tatsächlichen Familie entkommen, indem ich mich dem MacCallan-Clan angeschlossen habe. Elphame liegt mir viel mehr am Herzen.
„So etwas denkt er nicht.“ Die Clanführerin lachte.
„Ich werde eine Karte zeichnen, die dir hilft, den Weg zu finden“, sagte Lochlan und legte eine Hand leicht auf ihre Schultern. „Danke, dass du das tust, Brighid.“
Sie schaute dem geflügelten Mann in die Augen und unterdrückte den Drang, vor seiner Berührung zurückzuzucken. Die Mehrheit der Clanmitglieder akzeptierte Lochlan inzwischen als Elphames Lebenspartner. Er war halb Fomorianer, aber er hatte der Stammesführerin und dem Clan seine Loyalität bewiesen. Dennoch konnte sie das leichte Unbehagen nicht verhehlen, das sie in seiner Gegenwart empfand.
„Ich werde gleich morgen früh losziehen“, sagte sie mit fester Stimme.
Brighid hasste Schnee, doch nicht, weil er ihr körperlich unangenehm war. Wie bei allen Zentauren isolierte ihre Körperwärme sie sehr gut gegen drastische Wetterumschwünge. Sie tat es aus Prinzip, denn er verhüllte die Erde mit einer Decke aus starrer Feuchtigkeit. Die Geschöpfe des Waldes gruben sich entweder ein oder flohen in wärmere Gefilde. Brighid verstand die Tiere. Sie hatte fünf Tage gebraucht, um von der MacCallan-Burg nördlich durch den immer dichter werdenden Wald zum verborgenen Pfad zu gelangen, den Lochlan ihr in seiner detaillierten Landkarte eingezeichnet hatte. Fünf Tage. Sie schnaubte angewidert. Genauso gut hätte sie ein Mensch sein können, der auf seinem dummen Pferd im Kreis reitet. Sie hatte erwartet, die doppelte Strecke in der halben Zeit zurückzulegen.
„Von der Göttin verfluchter Schnee“, schimpfte sie. Ihre Stimme hallte seltsam von den vor ihr aufragenden Felswänden wider. „Hier muss es sein.“ Sie suchte die ungewöhnliche Felsformation vor sich nach einem Anzeichen dafür ab, dass Cuchulainn daran vorbeigekommen war. Sie hoffte, er hatte die Stelle markiert, auch wenn sie bezweifelte, dass es eine weitere Ansammlung roter Steine gab, die aussah wie das geöffnete Maul eines Riesen mit aufgeblähter Zunge und verrottetem Gebiss. Ihre Hufe schlugen dumpf auf die nasse Erde auf, als sie sich dem klaffenden Tunnel näherte.
Mit einem Mal war die Luft erfüllt vom Zischen flatternder Schwingen, und ein schwarzer Schatten rauschte an ihr vorbei und landete auf dem Felsen mit der maulförmigen Öffnung. Brighid blieb abrupt stehen und biss die Zähne zusammen. Der Rabe neigte den Kopf und schaute sie an. Die Jägerin runzelte missbilligend die Stirn.
„Hau ab, blöder Vogel“, rief sie und wedelte mit den Armen.
Unerschütterlich fixierte er sie mit seinem kalten, starren Blick. Dann klopfte er langsam und gezielt drei Mal mit dem Schnabel auf den Stein, breitete die Flügel aus und erhob sich mit ruhigen Schlägen in die Luft. Er flog dicht genug über ihrem Kopf hinweg, um ihre Haare aufzuwehen, und sie musste alle Willenskraft aufwenden, um sich nicht zu ducken. Das Gesicht zu einer finsteren Miene verzogen, näherte sie sich dem Felsen. Der Vogel hatte krallenförmige Abdrücke im Schnee hinterlassen, sodass unter der weißen Decke das Rot des Steins hervorleuchtete. Brighid streckte eine Hand aus und wischte die Stelle frei. Sie war nicht überrascht, darunter Cuchulainns Zeichen zu entdecken – einen Pfeil, der in Richtung Tunnel zeigte.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich will deine Hilfe nicht, Mutter.“ Ihre Stimme hallte gruselig von den Tunnelwänden zurück. „Der Preis, den du dafür verlangst, ist mir immer zu hoch gewesen.“
Das Krächzen des Raben schwebte auf dem Wind zu ihr, der sich mit einem Mal auf magische Weise warm anfühlte und die Düfte und Geräusche der Zentaurenebene mit sich trug. Brighid schloss die Augen, da eine Welle der Sehnsucht sie übermannte. Das Grün des sich wiegenden Grases war mehr als nur eine Farbe – es erfüllte die Luft mit den unterschiedlichsten Gerüchen und machte sie beinahe greifbar. Auf der Ebene der Zentauren herrschte Frühling, das totale Gegenteil zu dieser kalten Schneewelt der Berge. Das Gras müsste inzwischen kniehoch sein und wäre getüpfelt von blauen, weißen und violetten Wildblumen. Sie atmete tief ein und schmeckte ihre Heimat.
„Schluss damit!“ Brighid riss die Augen auf. „Das ist ein Schwindel, Mutter. Freiheit ist das Einzige, was mir die Ebene nicht bieten kann!“
Das Krächzen des Raben wurde leiser und verklang. Mit ihm verschwand der warme, nach Frühling schmeckende Wind. Brighid zitterte. Es sollte sie nicht überraschen, dass ihre Mutter ihr einen Führer schickte. Die Vorahnung, die sie schon den ganzen Tag spürte, wurde von mehr genährt als nur der Aussicht, endlich am Fuß des Bergpasses anzukommen. Sie hätte die Hand ihrer Mutter spüren müssen. Nein, korrigierte sie sich, ich habe sie gespürt – ich wollte es nur nicht wahrhaben.
Ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich bin die Jägerin des MacCallan-Clans – ein eingeschworenes Mitglied der Gemeinschaft. Ich bereue es nicht.
Sie straffte die Schultern und betrat die Schlucht, wobei sie die Ahnung der Anwesenheit ihrer Mutter bewusst sowohl körperlich als auch seelisch abschüttelte. Mit einem Mal war sie dankbar für den Schnee, der den Weg bedeckte, denn so brauchte sie all ihre Konzentration und ihre Kraft, um vorwärtszukommen. Sie wollte nicht an ihre Familie denken oder an die vertraute Schönheit ihres Heimatlandes, dem sie aus eigenem Entschluss für immer den Rücken gekehrt hatte.
Der Tag war noch jung. Lochlans Aussage zufolge war es ratsam, den gefährlichsten Teil des Weges vor Einbruch der Dunkelheit hinter sich zu bringen. Wenn alles gut ging, würde sie am kommenden Tag das Lager der Fomorianer und mit ihm Cuchulainn erreichen. Sie beschleunigte ihr Tempo, setzte die Hufe aber weiterhin vorsichtig auf, um nicht aus Versehen in einer schneebedeckten Spalte hängen zu bleiben. Brighid konzentrierte sich vollkommen auf den Weg. Sie dachte nicht an ihre Familie oder an das Leben, von dem sie sich abgewandt hatte, und ignorierte das Schuldgefühl und die Einsamkeit, die jede ihrer Entscheidungen überschattete. Sie hatte die richtige Wahl getroffen, dessen war sie sich sicher, doch nur weil sie weise entschieden hatte, bedeutete das nicht, dass sie den einfacheren Weg gewählt hatte.
Grimmig lächelnd kämpfte sie sich auf dem gefährlichen Untergrund um eine glatte, enge Biegung. Die Route, der sie während ihrer Reise folgen musste, erwies sich als ebenso schwierig wie der Lebensweg, auf dem sie seit Jahren unterwegs war.
Abgelenkt vom inneren Aufruhr und den Herausforderungen, die die Natur an sie stellte, registrierten die feinen Sinne der Jägerin die sie verfolgenden Blicke nur tief in ihrem Unterbewusstsein als ein Gefühl leichten Unbehagens. Eine Empfindung, die sie als Nachwirkung der Einmischung des Abgesandten ihrer Mutter abtat.
Ungehindert von der Dunkelheit glühten die Augen in der Farbe uralten Blutes und beobachteten sie abwartend.
2. KAPITEL
Der verdammte Wind hörte einfach nicht auf. Das war es, was Cuchulainn am Ödland am wenigsten gefiel. Die Kälte konnte er ertragen, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Er fand sogar das offene Gelände und die ungewöhnlich niedrig wachsenden Pflanzen interessant. Aber die von der Göttin verfluchten Windböen waren ihm ein konstantes Ärgernis, denn sie heulten unaufhörlich und rieben so über die bloße Haut, dass sie binnen kurzer Zeit rau und rot war. Der Krieger zitterte und zog die Kapuze seines fellverbrämten Umhangs tiefer ins Gesicht. Vermutlich sollte er langsam ins Lager zurückkehren, denn die Abenddämmerung brach bereits herein. Obwohl er erst seit weniger als zwei vollen Mondzyklen im Ödland war, wusste er, wie gefährlich es sein konnte, sich nach Sonnenuntergang ungeschützt in der Ebene aufzuhalten, und sei es auch nur für eine kurze Zeitspanne.
Cuchulainn blieb stehen und ging in die Hocke, um die scharfen Hufabdrücke im Schnee genauer zu untersuchen. Die Spuren waren frisch. Der peitschende Wind hatte noch keine Zeit gehabt, sie zu verwischen. Das wilde Dickhornschaf, von dem sie stammten, konnte nicht weit sein.
Die junge Wölfin, die ihn begleitete, wimmerte unterdrückt, wobei sie ihre kalte Schnauze in seine Seite drückte. Abwesend streichelte er ihr raues Fell.
„Du frierst auch, und du hast Hunger, was?“
Fand heulte leise und schob ihre feuchte Nase unter sein Kinn. Cuchulainn erhob sich und band seinen Umhang fester zu. „Umso wichtiger ist es, das Schaf aufzuspüren. Komm, es ist uns nicht weit voraus. Bringen wir es hinter uns.“
Das Wimmern der Wölfin hörte sofort auf, als sie sich an seiner Seite durch den Schnee kämpfte. Sie war noch nicht ganz ausgewachsen und ihm, ihrem Ersatzvater, zutiefst ergeben. Wo er auch hinging, sie folgte ihm auf Schritt und Tritt.
Cuchulainn beschleunigte das Tempo und stellte sich die fröhlichen Rufe der Kinder vor, wenn er ihnen etwas zu essen mit ins Lager brächte. Für einen winzigen Augenblick wurden die Züge des Kriegers weich. Er war vollkommen unvorbereitet auf sie gewesen. Nicht, dass er nicht von ihrer Existenz gewusst hätte. Im Gegenteil, sie waren der Grund für seine Mission. Er hatte sich zur Aufgabe bemacht, ins Ödland zu reiten und die Kinder der hybriden Fomorianer – oder der Neuen Fomorianer, wie sie sich selbst nannten – nach Partholon zu bringen, der Heimat ihrer lange verstorbenen menschlichen Großmütter. An etwas zu denken und es dann wirklich zu tun war aber oft so verschieden wie die karge Landschaft, in der sie lebten, und die grünen Weiden Partholons.
Die Neuen Fomorianer überraschten ihn jeden Tag erneut.
Als er darüber nachgedacht hatte, sie aufzusuchen, hatte sein Kriegerhirn sie sich als verhalten gefährliche Barbaren vorgestellt. Dass Lochlan zivilisiert war, hatte keinen Unterschied gemacht. So unwahrscheinlich es ihm anfangs auch erschienen war, Epona hatte Lochlan tatsächlich als Lebenspartner für seine Schwester Elphame erschaffen, natürlich musste er deshalb anders sein. Cuchulainn wusste nur zu gut, dass die hybriden Fomorianer zu großer Grausamkeit fähig waren.
Sie überlebten seit mehr als einem Jahrhundert im rauen Klima des Ödlands. Und obwohl der Wahnsinn vor Kurzem aus ihrem Blut getilgt worden war, handelte es sich bei ihnen um Nachkommen von Dämonen. Seine Schwester bestand darauf, dass sie nach Partholon zurückkehrten, da das Land auch ihr Erbe war. Sie war die Führerin seines Clans, und er würde ihr immer gehorchen, aber er war auch ein erfahrener Krieger, der niemals den Feind nach Partholon führen würde. Also hatte er sich vorgenommen, vorsichtig und klug vorzugehen. Das war einer der Gründe, weshalb er wollte, dass ihn keine menschlichen Krieger begleiteten. Auf sich gestellt konnte er die Wahrheit herausfinden. Alleine war er in der Lage, jederzeit umzukehren, um Partholon zu warnen, sollte das nötig sein.
Während er und die fomorianischen Zwillinge Curran und Nevin von der MacCallan-Burg aus nördlich durch den Wald zum verborgenen Pass in den Bergen Trier gereist waren, hatte er abgewartet, die beiden beobachtet und die offene Wunde gepflegt, die seine Trauer ihm ins Herz riss. Dass er überhaupt in der Lage war, morgens aufzustehen und weiterzuziehen, war ein kleines Wunder. Im Rückblick war die Reise ins Ödland nur eine lange, verschwommene Erinnerung. Curran und Nevin waren stille Reisegefährten gewesen. Sie hatten keinerlei Hang zur Gewalttätigkeit gezeigt, hatten sich weder über das Tempo beschwert, das er vorgab, noch hatten sie sich von seiner rauen, reservierten Art stören lassen. Er hatte sich eingeredet, dass ihr gutmütiges Verhalten nichts bedeutete, und geplant, die Reaktion der anderen Fomorianer auf die Neuigkeiten genau zu beobachten, wenn er in ihrem Lager ankam, und dann zu tun, was immer für Partholon das Beste war.
Und so hatte er sich auf in den Norden gemacht, hatte gegen die Trauer angekämpft und erwartet, Dämonen anzutreffen. Er hatte keine körperliche Verletzung, von der er sich erholen musste, aber die Wunde, die Brennas Tod in seiner Seele hinterlassen hatte, war wie ein unsichtbares klaffendes Loch. Die Zeit hatte die scharfen Kanten des Schmerzes noch nicht geglättet. Er würde sich niemals völlig davon erholen, höchstens überleben. Das war der entscheidende Unterschied.
Sein Geist zog sich vor der Pein zurück, die die Erinnerung an Brenna verursachte. Der Verlust war ständig präsent, sie war immer in seinen Gedanken. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass die Intensität des Schmerzes sich von der Hitze glimmender Kohlen schnell in glühend heiße, flammende Sehnsucht verwandelte, sobald er seiner Verzweiflung nachgab und darüber nachdachte, was hätte sein können. Sehnsucht, die nie gestillt werden würde. Brenna war fort. Das war eine unverrückbare Tatsache. Da war es besser, überhaupt nicht zu denken – oder zu fühlen.
Verfolge einfach das Schaf. Töte es. Kehre ins Lager zurück. Er befahl seinem Geist, die rastlose Wanderung aufzugeben.
Cuchulainn bog um einen Vorsprung. Er und die junge Wölfin suchten sich leise einen Weg durch die schneebedeckten Felsen, die sich an die nördliche Flanke der Berge Trier drängten. Erfreut bemerkte er, dass der Schnee deutlich abgenommen hatte. Noch vor wenigen Tagen hätte er dem Schaf nicht so weit hinauffolgen können. Wenn er etwas Glück hatte und nicht wieder überraschend ein Schneesturm hereinbrach, könnte der Pass bald frei genug sein und sich durchqueren lassen. Natürlich würde er sich vorher davon überzeugen müssen. Die Neuen Fomorianer waren zäh und willig, doch trotz ihres Eifers und ihrer guten Entwicklung waren die meisten von ihnen Kinder.
Allerdings sehr ungewöhnliche Kinder, das musste er zugeben. Nie würde er den Moment vergessen, als er sie das erste Mal sah – oder ihre Reaktion auf ihn, den ersten reinen Menschen, den sie je erblickten. Es war ein wolkenverhangener, düsterer Nachmittag gewesen. Am Himmel zog ein Blizzard auf und brachte den Schneesturm, der sie im Ödland einschloss, da er es unmöglich machte, den Gebirgspfad zu passieren. Er, Curran und Nevin waren aus den Bergen gekommen und hatten die kurze Strecke vom Pass zu dem kleinen Tal zurückgelegt, in dem sich das Lager der Neuen Fomorianer befand. Ein junger Wächter namens Gareth erblickte sie zuerst, und wie eine gute Wache eilte er los, um seine Leute zu warnen. Anstatt misstrauisch die Waffen zu ziehen, kamen sie mit leeren Händen auf sie zu und hießen ihn lächelnd willkommen. Kinder! Bei der Göttin, er hatte nicht mit so vielen Kindern gerechnet. Lachend und eine wunderschöne Melodie singend, die er erschrocken als ein altes partholonisches Lied zu Ehren Eponas erkannte, hatten die Hybriden die Zwillinge umarmt und freudig begrüßt. Dann wandten sie ihre Aufmerksamkeit schnell ihm zu – dem einsamen menschlichen Reiter in ihrer Mitte.
„Das ist Cuchulainn“, stellte Nevin ihn vor.
„Er ist der Bruder der Göttin, die uns gerettet hat“, ergänzte Curran.
Der fröhliche Gesang brach auf der Stelle ab. Die geflügelten Kreaturen schauten ihn an. Cuchulainn erinnerte sich daran, gedacht zu haben, dass sie wie ein Schwarm heller, wunderschöner Vögel aussahen. Die Menge teilte sich, um einer schlanken Gestalt Platz zu machen. Das Erste, was ihm auffiel, war, dass ihre Haut die gleiche seltsam leuchtende Blässe hatte wie die der anderen hybriden Fomorianer, aber ihr Haar und ihre Flügel waren wesentlich dunkler. Und dann sah er die Tränen, die in ihren ebenfalls dunklen, mandelförmigen Augen glitzerten und über ihre Wangen strömten. Ihr Blick traf seinen, und Cuchulainn erkannte Mitgefühl und unglaubliche Traurigkeit darin. Er wollte wegschauen und sich nicht von ihren Gefühlen berühren lassen. Sein eigener Schmerz saß zu tief, war noch zu neu, aber als er den Kopf abwandte, um den Blickkontakt zu unterbrechen, fiel die geflügelte Frau graziös auf die Knie. Wie auf einen Stein, den man in einen ruhigen Teich wirft, Wellen folgen, folgte die Gruppe ihr, und alle, Erwachsene und Kinder gleichermaßen, sanken zu Boden.
„Vergib uns. Wir sind verantwortlich für den Tod deiner Schwester.“
Die Worte der geflügelten Frau waren von der gleichen Traurigkeit erfüllt, die er in ihren dunklen Augen gesehen hatte.
„Meine Schwester ist nicht tot.“ Seine Stimme war flach und so bar jeden Gefühls, dass sie sich in seinen Ohren fremd anhörte.
Die Frau reagierte mit sichtlichem Schock. „Aber der Fluch ist von uns genommen. Wir alle fühlen die Abwesenheit der Dämonen in unserem Blut.“
„Ihr habt die Prophezeiung fehlinterpretiert“, erklärte er ruppig. „Sie hat nicht nach dem körperlichen Tod meiner Schwester verlangt. Anstelle ihres Lebens hat sie einen Teil ihrer Menschlichkeit geopfert. Sie lebt und hat es nur der Gnade Eponas zu verdanken, dass sie nicht wahnsinnig geworden ist.“
Immer noch auf den Knien, schaute die Frau von ihm zu Curran und Nevin.
„Es stimmt, was er sagt“, bestätigte Curran. „Elphame hat von Lochlans Blut getrunken und damit den Wahnsinn meines Volkes auf sich genommen. Durch die Macht Eponas hat sie das Dunkle unserer Vorväter besiegt, aber es lebt in ihrem Blut weiter.“
„Lochlan? Hat er überlebt?“, fragte sie.
„Ja. Er ist jetzt mit Elphame verbunden“, erwiderte Nevin.
„Keir und Fallon?“
„Sie haben sich für einen anderen Weg entschieden“, sagte er schnell.
Cuchulainn wurde innerlich eiskalt. Fallon hatte den Wahnsinn gewählt und unter dessen Einfluss Brenna getötet. Bevor sie für dieses Verbrechen hingerichtet werden konnte, hatte sie enthüllt, dass sie schwanger war. Elphame hatte sie daraufhin bis zu ihrer Niederkunft in der Wachtburg gefangen gesetzt. Keir war Fallons Partner, und er hatte sich entschieden, bei ihr zu bleiben.
Ciara betrachtete das Gesicht des menschlichen Kriegers mit äußerster Sorgfalt. Sie erkannte den tauben, hoffnungslosen Blick; es war der Schatten, den ein enormer Verlust hinterließ. Er hatte seine Schwester nicht verloren und doch unendliche Traurigkeit erfahren. Es war viel passiert, von dem sie alle hören mussten, aber nicht jetzt – nicht in diesem Augenblick. Später, sagte sie sich. Später würde sie versuchen, herauszufinden, was den tiefen Schmerz des Kriegers lindern konnte und was mit Fallon und Keir geschehen war. Im Moment zählte nur, dass dieser Mann vor allem der Bruder ihrer Retterin war. Allein dafür gebührte ihm ihr ewig währender Dank.
Sie lächelte und erfüllte ihre Worte mit der Freude, die Teil ihrer Seele war: „Dann werden wir Epona danken, weil deine Schwester lebt, Cuchulainn.“
„Tut, was ihr tun müsst“, sagte er flach und leblos. „Elphame hat mich beauftragt, euch nach Partholon zurückzuführen, in die Burg eures Clans. Wird dein Volk mit mir kommen?“
Sie schlug sich die Hände vor den Mund. Um sie herum hörte sie die anderen erfreut und überrascht aufkeuchen. Sie konnte nicht sprechen. Die Freude, die in ihrer Brust anschwoll, drückte ihr die Luft ab. Es war so weit! Das war die Erfüllung des Traumes, den ihre Mütter und Großmütter in jedem von ihnen gepflegt und am Leben erhalten hatten. Eine Welle Gelächter und Aufregung brandete durch die Reihe der Knienden. Die Kinder konnten ihren Überschwang nicht länger im Zaum halten, und die Horde stürmte die freie Fläche um den Krieger und sein Pferd. Die Erwachsenen beeilten sich, auf die Füße zu kommen und den Nachwuchs schnalzend zur Ordnung zu rufen.
Die Kinder scharten sich um Cuchulainn und schauten ihn aus großen, runden Augen an. Die Flügel ausgebreitet, drängelten sie sich aneinander wie junge Vögel in einem übervollen Nest. Mit einem Mal fühlte er sich wie ein einsamer, überwältigter Spatz.
„Partholon! Wir gehen nach Partholon!“
„Wir werden unsere Göttin sehen!“
„Ist das Land wirklich so warm und so grün?“
„Stimmt es, dass ihr dort alle keine Flügel habt?“
„Darf ich mal dein Pferd anfassen?“
Sein großer Wallach schnaubte und tänzelte einige Schritte zurück, weg von einem zierlichen geflügelten Mädchen, das auf Zehenspitzen stand und versuchte, dessen Nüstern zu streicheln.
„Genug jetzt, Kinder!“ Die Frau sprach bestimmt, aber in ihren Augen tanzte ein Lächeln. „Cuchulainn wird denken, dass die Regeln der Höflichkeit, die euch eure Urgroßmütter gelehrt haben, vergessen sind.“
Sofort senkten sie den Kopf und murmelten leise Entschuldigungen. Das Mädchen, das versuchte hatte, sein Pferd zu berühren, neigte ebenfalls den Kopf, aber Cuchulainn sah, dass es heimlich nach vorne rutschte und eine Hand in dem Versuch erhob, sich eine Streicheleinheit zu erschleichen. Der Wallach schnaubte erneut und machte einen weiteren Schritt zurück. Die Kleine folgte. Genau wie Elphame früher, dachte er voller Zärtlichkeit. Immer nach den Dingen greifend, die sie in Ruhe lassen sollte. Zum ersten Mal seit Brennas Tod hätte er beinahe gelacht.
„Ja“, sagte er zu ihrem blonden Schopf. „Du darfst ihn berühren, aber nur langsam und vorsichtig, er ist Kinder nicht gewohnt.“
Der kleine Kopf hob sich, und sie beschenkte ihn mit einem breiten, dankbaren Lächeln. Scharfe Fangzähne blitzten auf und bildeten einen seltsamen Kontrast zu ihrem unschuldigen Blick.
„Ihr Name ist Kyna.“
Die geflügelte Frau trat an die Seite des Mädchens. Sie nickte Kyna ermutigend zu, und Cuchulainn verstärkte den Griff um die Zügel des Wallachs, damit er ruhig stehen blieb und das Mädchen seine feuchte Brust tätscheln konnte. Die anderen Kinder schauten zu und flüsterten aufgeregt miteinander.
„Und ich bin Ciara, Enkelin der inkarnierten Göttin Terpsichore. Du bist hier sehr willkommen, Cuchulainn.“ Sie lächelte ihn an, und auch in ihrem Mund blitzten scharfe Eckzähne auf. „Ich glaube, die Kinder haben deine Frage für uns alle beantwortet. Wir warten seit über einhundert Jahren auf diesen Tag. Es wird uns eine große Freude sein, dir nach Partholon zu folgen.“
Nach diesen Worten brach freudiger Tumult aus. Die Erwachsenen jubelten, und die Kinder tanzten herum, als hätten sie zusätzlich zu ihren Flügeln auch noch Sprungfedern an den Füßen. Da er Angst hatte, dass jemand überrannt werden könnte, sah Cu sich gezwungen, abzusteigen. Das führte zu einer weiteren Reihe von Fragen der Kinder, die seinen Rücken berühren wollten, um sicherzugehen, dass er keine Flügel unter seinem Umhang verbarg. Ciara und die anderen Erwachsenen hatten alle Hände voll zu tun, die springende, tanzende, lachende Meute zu bändigen.
Cuchulainn versuchte, seine Fassade als unbeteiligter Beobachter aufrechtzuerhalten, und schaute der Jubelfeier stumm zu. Offensichtlich war Ciara die Anführerin der geflügelten Menschen.
Sie entschuldigte sich für die etwas zu enthusiastische Begrüßung, während sie gleichzeitig einige Helfer aufforderte, eine der Hütten herzurichten, und ihm nebenbei weitere lächelnde Erwachsene vorstellte. Als er sie fragte, ob sie in Lochlans Abwesenheit zur Führerin erkoren worden war, lachte sie nur und meinte, sie sei noch dieselbe wie in der Zeit, als Lochlan bei ihnen lebte – einfach nur die Schamanin ihres Volkes.
Cuchulainn erinnerte sich daran, wie erstaunt er an diesem ersten Tag gewesen war. Ihre Worte kamen für ihn vollkommen unerwartet. Schamanin? Wo waren die barbarischen hybriden Dämonen, die ihn misstrauisch beobachteten und scharf verurteilten?
Die kleine Kyna stieß einen spitzen Schrei aus, und er zog sein Schwert. Bereit zum Kampf, folgte sein Blick dem ausgestreckten Zeigefinger des Mädchens, nur um zu entdecken, dass Fand endlich aus dem dichten Gebüsch kroch und auf ihn zukam. Er steckte die Waffe hastig wieder ein und kniete sich hin, um das nervöse Wolfsjunge zu beruhigen, während er die vielen Fragen beantwortete, die Kyna ihm stellte. Dabei spürte er Ciaras Augen auf sich gerichtet, und als er aufschaute, sah er, dass sie ihn wissend musterte.
„Du hast hier keine Feinde, Cuchulainn, außer denen, die du in dir trägst“, sagte sie ruhig.
Bevor er etwas erwidern konnte, öffnete sich der Himmel, und Schnee fiel in dicken, nassen Flocken auf die Erde.
Einen Moment lang vergaß Kyna den Wolf und den großen Wallach und zupfte an seinem Umhang, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
„Sieh mal, wie ich den Schnee mit der Zunge fangen kann!“
Cuchulainn kniete neben Fand und sah zu, wie das kleine Mädchen die Arme ausbreitete und seine taubengrauen Flügel spreizte. Mit der Unschuld eines Kindes streckte sie die Zunge heraus und wirbelte und tanzte in dem Versuch herum, die flüchtigen Flocken zu erhaschen. Schnell gesellten sich Dutzende anderer Kinder zu ihr, und er war bald von der Freude und Begeisterung der Jugend umgeben. Einen unerwarteten Augenblick lang fühlte er, wie der erstickende Schmerz über Brennas Verlust sich verlagerte und fast erträglich wurde.
Cuchulainn dachte, dass er sich für den Rest seines Lebens an diesen Moment erinnern würde. Auch wenn es ihm nicht bewusst war, an die Kinder zu denken vertrieb die Schwermut, die sich seit dem Unglück auf seinem Gesicht abzeichnete. Er sah beinahe wieder aus wie früher, wie der Cuchulainn, der immer schnell und fröhlich gelächelt und gelacht hatte, der voller Lebendigkeit war und voller Hoffnung an eine erfüllte, glückliche Zukunft glaubte.
Fand stieß ein leises Bellen aus und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder in die Gegenwart. Cu konzentrierte sich auf den vor ihm liegenden Weg. Lautlos bewegte er sich vorwärts. Den Bogen bereit, schaute er vorsichtig um den nächsten Felsen und sah das wilde, weiße Schaf durch den Schnee auf einen Flecken Gelbflechte zustapfen. Er atmete tief ein und visierte es an, doch bevor er schießen konnte, hörte er das charakteristische Sirren eines abgeschossenen Pfeils und sah, wie das Schaf zu Boden ging. Aus dessen Hals ragte ein zitternder Schaft.
Fands anfängliches Knurren wurde zu einem willkommen heißenden Jaulen, als die zentaurische Jägerin hinter dem Felsvorsprung hervortrat, der sie vor seinen Blicken geschützt hatte.
3. KAPITEL
„Das war mein Schuss, Jägerin.“ Seine Worte klangen barsch, doch Cuchulainn lächelte und umfasste den Unterarm der Zentaurin zur Begrüßung. Er war überrascht, wie sehr er sich darüber freute, Brighid zu sehen. Bei ihrem Anblick erinnerte er sich an die MacCallan-Burg. Bis zu diesem Moment hatte er nicht gemerkt, wie sehr er sich nach seinem Zuhause sehnte. Der Erinnerung folgte eine Welle Schmerz. Brenna war nicht mehr da. Von ihr war nicht mehr geblieben als eine Statue, errichtet zu ihrem Gedenken, ein kaltes Grab.
„Dein Schuss?“
Die ungewöhnlich lila schimmernden Augen der Jägerin funkelten.
„Wenn ich mich recht entsinne, hast du bei unserer letzten gemeinsamen Jagd nichts erlegt, sondern dich entschieden, deine Beute lebend mit nach Hause zu nehmen.“
Sie erwiderte sein Lächeln, obwohl er sein Gesicht inzwischen zu einer Grimasse verzog, umfasste seinen Unterarm, runzelte die Stirn und schaute auf den kleinen Wolf hinunter, der ihr um die Beine sprang.
„Ich sehe, die Bestie ist noch am Leben.“
„Fand ist eine exzellente Begleiterin.“ Er befahl der übermütigen Wölfin, die Jägerin in Ruhe zu lassen, Fand ignorierte ihn jedoch.
„Sie hat allerdings immer noch kein Benehmen gelernt.“
Brighid schlug abwesend mit einem Huf nach der Wölfin aus, die das als Einladung zum Spiel auffasste und ihr in die Hacken biss.
Cuchulainn stieß ein tiefes Grollen aus, das dem eines erwachsenen Wolfs ähnelte, woraufhin Fand mit schuldbewusster Miene ihre Scheinangriffe einstellte und sich auf den Boden drückte, um den Krieger mit seelenvollem Blick anzuschauen.
Brighid hob eine Augenbraue und nickte. „Es gibt nichts, das zivilisierter ist als ein Zentaur.“
Sie wartete auf eine spöttische Retourkutsche von Cu, die jedoch nicht kam. Stattdessen steckte der Krieger seinen Pfeil zurück in den Köcher und ging mit großen Schritten auf das tote Schaf zu.
„Meine Schwester hat dich geschickt, nicht wahr?“
„Ich habe mich freiwillig gemeldet. Ich mag es nicht, wenn sie sich Sorgen macht. Und …“
Cuchulainn wirbelte herum und unterbrach sie mitten im Satz: „Geht es Elphame gut?“
Brighid hörte die kaum verschleierte Sorge in seiner Stimme und beeilte sich, ihn zu beruhigen. „Ihr geht es sehr gut. Die Renovierung der Burg kommt voran. Der Clan ist glücklich und gesund, und auf der MacCallan-Burg wurden die ersten neuen Clanmitglieder geboren. Wie ich gerade erklären wollte, sind die Wälder so voller Wild, dass selbst die menschlichen Jäger leichtes Spiel haben. Also dachte ich, ich treffe zwei Vögel mit einem Pfeil.“ Sie grinste und hob den Bogen. „Ich erlöse meine Stammesführerin von der Sorge um ihren umherziehenden Bruder und bekomme außerdem die Möglichkeit, etwas zu jagen, das mehr herausfordert als Rehe, die praktisch handzahm sind.“
Sie musterte Cuchulainn. Die Sorge, die sich in seinem Gesicht abgezeichnet hatte, war verschwunden; er wirkte jetzt einfach nur müde und erleichtert. Noch während sie ihn anschaute, verschwanden auch diese Anzeichen aus seinem Gesicht, bis er eine ausdruckslose Maske zur Schau trug. Er hatte Gewicht verloren. Unter seinen Augen lagen tiefe Schatten, und in den Augenwinkeln zeigten sich feine Linien. War das etwa Grau in seinem sandbraunen Haar? Er beugte sich vor, um den Pfeil aus dem Schaf zu ziehen, und jetzt sah sie es. Es schimmerte tatsächlich grau an den Schläfen. Der Mann, der vor ihr stand, sah gut eine Dekade älter aus als noch vor zwei Mondphasen.
„Hier.“ Brighid nahm zwei lederne Kordeln aus einem der Packsäcke, die sie auf dem Rücken trug. „Binde die um seine Beine, dann kann ich ihn ziehen.“
Cuchulainn wischte den Pfeil im Schnee sauber und reichte ihn ihr.
„Mein Wallach steht nicht weit von hier.“
Brighid schnaubte. „Ich hoffe, das Lager ist auch nicht weit von hier. Ich habe nur wenig vom Ödland gesehen, aber der Gedanke, die Nacht im Freien zu verbringen, behagt mir nicht. Nicht bei diesem von der Göttin verdammten Wind.“
Kurz blitzte ein Anflug von Humor in seinen Augen auf, aber als er die Kordeln nahm, sagte er nur: „Es ist nicht weit, wir sollten uns trotzdem beeilen. Die Nächte hier sind bitterkalt.“
Geübt band er die Hinterbeine des Schafs zusammen und machte sich an den Vorderbeinen zu schaffen.
Elphames Sorge war berechtigt. Es war offensichtlich, dass der Cuchulainn, den seine Schwester kannte und liebte, langsam von der Schwere der Trauer und der Schuldgefühle erdrückt wurde. Brighid konnte sich kaum vorstellen, wie sehr dieser Anblick ihre Clanführerin schmerzen würde. Sie hasste es ja schon, mit ansehen zu müssen, wie Brennas Tod ihm zusetzte – und sie war nur eine Freundin.
Die Jägerin lächelte traurig. Sie beide verband eine ungewöhnliche Freundschaft. Cuchulainn war mit der Einstellung ihrer Familie vertraut, die auf strikter Rassentrennung bestand und nichts davon hielt, dass Zentauren und Menschen zusammenlebten. Deshalb war er ihr gegenüber zuerst sehr misstrauisch gewesen. Sie dagegen hatte ihn für einen arroganten Frauenhelden gehalten. Anfangs hatten sie nacheinander geschnappt und einander umkreist wie unruhige Bestien, die ihr Territorium verteidigten. Dann erlebte sie mit, wie der draufgängerische Krieger sich in die Heilerin des Clans verliebte, und sah den wahren Cuchulainn – den mitfühlenden, loyalen Mann, der das Gehabe des schneidigen Kriegers zur Schau trug. Es gelang ihr, sein Vertrauen zu gewinnen. Erst, indem sie ihm half, Elphame aufzuspüren, nachdem diese gestürzt war, und schließlich, als sie ihm im Kampf zur Seite stand, um die hybride Fomorianerin Fallon zu stellen, die bedauerlicherweise Brenna ermordet hatte.
„Brennas Tod ist eine schwer zu tragende Last“, sagte Brighid ernst.
Cuchulainn hielt den Kopf konzentriert gesenkt, während er letzte Knoten in die Kordeln band, doch sie sah, wie sich sein Rücken versteifte. Er erhob sich langsam und schaute ihr in die Augen.
„Ja.“ Er spuckte das Wort förmlich aus.
Brighid zuckte nicht vor dem Zorn in seiner Stimme zurück. Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass Wut zum Heilungsprozess gehörte.
„Deine Schwester hat um das Grab diese blauen Wildblumen gepflanzt, die Brenna so mochte. Alle im Clan sprechen davon, wie schön das Grabmal ist und wie sehr Brenna ihnen fehlt.“
„Hör auf“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen aus.
„Solange wir uns an sie erinnern, ist sie nicht ganz fort, Cu.“
„Nicht ganz fort!“ Er lachte humorlos auf, warf die Lederschnüre zu Boden, breitete die Arme aus und schaute sich um. „Dann zeig sie mir. Ich sehe sie nicht. Ich höre sie nicht. Ich kann sie nicht berühren. Für mich, liebe Jägerin, ist sie fort.“
„Brenna würde es nicht gefallen, dich so zu sehen.“
„Brenna ist nicht hier!“
„Cu …“, setzte sie an, doch die schroffe Stimme des Kriegers schnitt ihr das Wort ab.
„Lass es gut sein, Brighid.“
Sie schaute ihm direkt in die Augen. „Für den Moment werde ich es gut sein lassen, aber du kannst nicht ewig so weitermachen.“
„Damit hast du recht. Nichts dauert ewig, Jägerin.“
Er beugte sich abrupt hinunter und nahm die Lederkordeln wieder auf. Eine reichte er ihr, die andere warf er sich über die Schulter.
„Hier entlang.“ Er deutete mit dem Kinn in die Richtung, aus der er gekommen war. „Wir müssen uns beeilen. Die Nacht bricht bald herein.“
Brighid tat es ihm gleich und spannte die Schnur über ihre Schulter. Gemeinsam zogen sie das Schaf hinter sich her. Als sie sich sein verhärmtes Profil anschaute, dachte sie, dass die Nacht schon längst über Cuchulainns verwundete Seele hereingebrochen war. Konnte irgendetwas, vielleicht die Liebe seiner von der Göttin berührten Schwester, jemals das Licht der Fröhlichkeit in sein Leben zurückbringen?
Sie sprachen wenig, während sie nebeneinander der immer schwächer werdenden Sonne entgegenritten. Gemeinsam hatten sie dem Schaf das Fell abgezogen und es in die große Ledertasche gepackt, die Cuchulainn über den Rücken seines Pferdes gebunden hatte. Brighid gingen mehrere Fragen durch den Kopf, die sie ihm gerne gestellt hätte. Er wirkte aber so zurückgezogen, seine wenigen Äußerungen waren so brüsk, dass sie kaum mehr von ihm erfuhr, als dass er das Lager leicht gefunden hatte, dass dort beinahe einhundert Fomorianer lebten und dass sie es kaum erwarten konnten, nach Partholon zurückzukehren. Als sie ihn fragte, wie die Fomorianer so seien, sagte er schlicht: „Einfach Leute“, und zog sich in sein Schweigen zurück. Brighid fand, sich mit ihm zu unterhalten war, wie mit einem Stachelschwein zu kuscheln – es war die Mühe nicht wert. Sie war eine Jägerin. Sie würde die Hybriden beobachten, wie sie jede andere Kreatur im Ödland beobachtete, und sich eine eigene Meinung bilden.
Und sie würde immer im Hinterkopf behalten, dass sie von einer Dämonenrasse gezeugt worden waren.
„Magst du Kinder?“
Brighid schaute Cu fragend an. Sie war nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte. „Kinder?“
Er nickte.
„Ich weiß nicht. Weder mag ich sie noch mag ich sie nicht. Sie spielen im Leben einer Jägerin normalerweise keine Rolle, außer als weitere Mäuler, die zu füttern sind. Warum fragst du?“
„Wir sind beinahe am Lager. Da gibt es …“ Er hielt inne und warf ihr einen Blick aus dem Augenwinkel zu. „… Kinder.“
„Ich hatte nichts anderes erwartet. Lochlan hat uns davon erzählt. Weißt du nicht mehr? Du warst dabei.“
„Lochlan hat uns nicht alles erzählt“, merkte Cuchulainn geheimnisvoll an.
„Das überrascht mich nicht.“ Brighid schnaubte.
Der Krieger schaute sie unter schweren Lidern an. „Du klingst nicht so, als würdest du ihm vertrauen.“
„Tust du es?“
„Er hat meiner Schwester das Leben gerettet“, sagte er schlicht.
Brighid nickte bedächtig. „Ja, das hat er. Aber nur weil er nach Partholon gekommen ist, ist ihr Leben überhaupt erst in Gefahr geraten.“
Darauf erwiderte Cuchulainn nichts. Er hatte wieder und wieder darüber nachgedacht, wie Lochlans Anwesenheit ihrer aller Leben verändert hatte. Es fiel ihm schwer, den Lebenspartner seiner Schwester dafür verantwortlich zu machen; das bedeutete jedoch nicht, dass er den geflügelten Mann mit offenen Armen aufnahm. Es bedeutete nur, dass er umso mehr gewillt war, sich selbst die Schuld an den Ereignissen zu geben, die im Opfer seiner Schwester und Brennas Tod ihren Höhepunkt gefunden hatten. Er hätte es wissen müssen, hätte auf die Warnungen aus dem Reich der Spiritualität hören müssen. Er hatte sich bisher immer dagegen gewehrt, Geister, Magie und die geheimnisvollen Kräfte der Göttin einzusetzen, obwohl bereits früh ersichtlich war, dass er die Gabe seines schamanischen Vaters geerbt hatte. Doch er war ein Krieger. Nichts anderes hatte er je sein wollen. Seine Affinität zum Schwert war das einzige Talent, nach dem es ihn je verlangt hatte.
Seine Sturheit besiegelte das Schicksal seiner Liebsten.
„Ich dachte, du hättest vorhin gesagt, wir wären bald beinahe da. Ich sehe aber nichts – nur leeres, trostloses Land.“
Cuchulainn zwang sich, seine Aufmerksamkeit auf die silberhaarige Zentaurin zu lenken, die neben ihm hertrabte.
„Sieh genauer hin, Jägerin.“
Brighid funkelte ihn wütend an. Sie waren vielleicht Freunde geworden, aber der Krieger hatte eine Art, die ihr gegen den Strich ging. Einen Moment sah es aus, als würde Cuchulainn lächeln.
„Gräme dich nicht. Ich habe es anfangs auch nicht erkannt. Wenn ich nicht Curran und Nevin bei mir gehabt hätte, wäre ich vermutlich blind in den Abgrund gestolpert.“
„Ich verstehe nicht …“ Die Landschaft sah aus wie eine schneebedeckte, baumlose Ebene. Rotes Schiefergestein von der gleichen Farbe wie die großen Findlinge, die sich am Fuße der Berge Trier fanden, bedeckte den Boden. Schließlich nahm sie eine kaum merkliche Veränderung wahr. „Das ist eine Schlucht. Bei der Göttin! Das Gelände ist so öde und gleichförmig, dass eine Seite das perfekte Abbild der anderen zu sein scheint.“
„Es ist eine optische Täuschung. Die menschlichen Mütter der Neuen Fomorianer beschlossen, diese Tatsache zu ihrem Vorteil zu nutzen, als sie vor über einhundert Jahren verzweifelt nach einem sicheren Ort suchten, um ihr Lager aufzuschlagen.“
„Neue Fomorianer?“
„So nennen sie sich“, erklärte Cuchulainn.
Brighid schnaubte.
„Da vorn windet sich ein Weg ins Tal.“
Er deutete auf die Stelle, an der Fands Hinterteil gerade verschwand, und schnalzte mit der Zunge, um seinen Wallach anzutreiben. Dort, wo der Boden abfiel, blieb er stehen. Brighid trat neben ihn und atmete beim Anblick, der sich ihr bot, tief ein. Die Schlucht öffnete sich, als hätte ein Riese eine Axt genommen und einen klaffenden Spalt in die kalte, felsige Erde geschlagen. Die Wand, auf der sie standen, war höher als die auf der anderen Seite. Sie fiel mindestens sechzig Meter nach unten. Ein schmaler Fluss schlängelte sich durch das Tal, und ein paar runde Gebäude drückten sich dicht an die freundlichere Nordseite der Schlucht. Brighid erkannte Gestalten und versuchte, die Flügel zu erkennen, während die Neuen Fomorianer sich zwischen ihren runden Häusern, den Pferchen und langen, gedrungenen Gebäuden hin- und herbewegten, von denen sie annahm, dass es sich um Ställe handelte.
Sie spürte, dass Cuchulainn sie beobachtete.
„Die Menschenfrauen haben eine gute Wahl getroffen. Die Wände der Schlucht bieten Schutz, und es gibt eine Wasserversorgung. Ich sehe sogar ein paar Gebilde, die als Bäume durchgehen könnten.“ Sie schaute ihn an. „Wenn ich bei ihnen gewesen wäre, hätte ich auch diesen Platz gewählt.“ Tatsächlich hätte sie den Frauen empfohlen, ihren Monsterkindern die Kehlen durchzuschneiden und nach Partholon zurückzukehren, wo sie hingehörten, aber das war ein Gedanke, den sie lieber für sich behielt.
„Diese Landschaft verzeiht nichts. Ich war überrascht, wie gut sie hier überlebt haben. Ich hatte erwartet …“
Cuchulainn wirkte, als täte es ihm leid, so viel gesagt zu haben. Sie schaute ihn mit unverhohlener Neugierde an. Er räusperte sich und trieb seinen Wallach den steilen Pfad hinunter.
„Pass auf, wo du hintrittst. Der Schiefer ist glatt“, rief er ihr zu.
Brighid folgte ihm und wunderte sich über die Veränderungen bei ihm. Waren das Auswirkungen seines Verlustes, oder war hier im Ödland etwas passiert? Auch wenn sie nicht ihre Freundin wäre, würde sie es ihrer Clanführerin schulden, das herauszufinden.
4. KAPITEL
Der erste Hybrid, den Brighid sah, tat etwas vollkommen Unerwartetes: Er lachte. Die Jägerin hörte ihn, bevor sie ihn sah. Sein Gelächter schallte den Weg herauf und wurde von spielerischem Knurren und Zähnefletschen untermalt.
„Sie mögen Fand“, erklärte Cuchulainn.
Der Krieger und sie erreichten endlich den Grund der Schlucht und ritten um eine Felszunge herum, hinter der ein geflügelter Mann mitten auf dem Weg lag. Die Wölfin stand über ihm, beide Vorderpfoten auf seiner Brust. Die Zunge hing ihr aus dem offenen Maul, und es sah aus, als würde sie lächeln.
„Fand hat mich umgeworfen, Cuchulainn. Sie wächst so schnell, dass sie schon bald ein richtiger Wolf sein wird“, sagte er und kraulte die Wölfin hinter den Ohren. Dann schaute er auf und sah die Zentaurin an Cuchulainns Seite. Seine Augen weiteten sich geschockt.
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