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Eigentlich müsste Emma durchdrehen vor Glück: Sie soll die Hauptrolle in einem Blockbuster spielen. Ihr Filmpartner ist niemand anderes als Hollywoods heißester Bad Boy Reid Alexander! Der für sein ausschweifendes Sexleben und seine Skandalpartys bekannt ist - und der alles daran setzt, sie zu verführen. Bei seinen Küssen bekommt Emma ganz weiche Knie. Doch ist es wirklich eine gute Idee, sich auf Reid einzulassen? Denn in Wahrheit fühlt sich Emma mit all dem Glamour nicht wohl. Außerdem ist da auch noch ihr sensibler Co-Star Graham Douglas, allerdings scheint dieser schon vergeben zu sein … Teil 1 - Between the Lines: Wilde Gefühle Teil 2 - Between the Lines: Wie du mich liebst Teil 3 - Between the Lines: Weil du mich hältst Teil 4 - Between the Lines: Weil du alles für mich bist "Man hat das Gefühl, es gibt Reid und Emma wirklich. Und in Graham habe ich mich Hals über Kopf verliebt." The Secret Life of an Avid Reader "Eine großartige Coming-of-Age-Love-Story mit wunderbar gezeichneten Figuren." Book Vacatons "Tammara Webber hat das Talent, liebenswerte und doch komplexe Figuren zu erschaffen, von denen man immer noch mehr wissen will." For What It’s Worth
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Seitenzahl: 468
Zum Buch:
Eigentlich müsste Emma durchdrehen vor Glück: Sie soll die Hauptrolle in einem Blockbuster spielen. Ihr Filmpartner ist niemand anders als Hollywoods heißester Bad Boy Reid Alexander! Der für sein ausschweifendes Sexleben und seine Skandalpartys bekannt ist – und der alles daransetzt, sie zu verführen. Bei seinen Küssen bekommt Emma ganz weiche Knie. Doch ist es wirklich eine gute Idee, sich auf Reid einzulassen? Denn in Wahrheit fühlt sich Emma mit all dem Glamour nicht wohl. Außerdem ist da auch noch ihr sensibler Co-Star Graham Douglas, allerdings scheint dieser schon vergeben zu sein …
Zum Autor:
An Ideen für Geschichten mangelt es der New-York-Times-Bestsellerautorin Tammara Webber nie. Schon als junge Mutter schrieb sie über die Dinge, die ihr wichtig waren: Gefühle und Beziehungen. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie auf eigene Faust im Internet und fand kurz darauf einen Verlag. Seitdem ist Tammara Webber mit ihren New-Adult-Romanen Stammgast auf den Bestsellerlisten und berührt die Herzen von Lesern auf der ganzen Welt.
Tammara Webber
Between The Lines: Wilde Gefühle
Roman
Aus dem Amerikanischen von Anke Brockmeyer
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH, Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe: Between The Lines
Copyright © 2011 by Tammara Webber
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Mareike Müller
Titelabbildung: Dreamstime
ISBN eBook 978-3-95649-554-0
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
„Du wohnst bei deinen Eltern?“
Wenn du prominent und älter als zwölf bist, erwartet niemand, dass du noch bei deinen Eltern lebst. Wenn er sich überhaupt vorstellen kann, dass du Eltern hast. Jeder geht davon aus, dass ein Filmstar sofort jemand ist und geradewegs ins Erwachsenenleben mit einer eigenen Wohnung hineinspringt. Was diese Unabhängigkeitseinstellung betrifft, sind die älteren Mädchen am schlimmsten, und das Exemplar, das sich jetzt an mich lehnt, bildet da keine Ausnahme.
Nachdem ich ihr bedeutet habe, leise zu sein, sind ihre Worte nur ein Flüstern, als ich versuche, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen und gemeinsam mit ihr ungestört ins Haus und in mein Zimmer zu schleichen. Jetzt kichert sie und probiert, den Laut zu unterdrücken, indem sie beide Hände vor den Mund presst – aber vielleicht höre ich sie auch nur deshalb nicht, weil meine Ohren noch von dem Konzert klingeln, in dem sie mit einem E-Bass in den begnadeten Händen auf der Bühne gestanden hat, während ich sie aus der VIP-Lounge beobachtet habe.
Mit zusammengekniffenen Augen schaue ich sie an. Ich schwanke leicht, sie ebenfalls, und unsere Bewegungen sind nicht synchron. „Ich habe dir gesagt, dass ich heute achtzehn geworden bin, nicht dreißig. Was hast du erwartet, wo ich lebe?“ In meinen Worten klingt kein Ärger mit, und glücklicherweise scheint sie meinen Tonfall richtig zu verstehen.
„Okay, okay. Mein Gott, ich habe vergessen, was für ein Baby du noch bist.“
Ich hebe eine Augenbraue. In diesem Moment rastet der Schlüssel mit einem metallischen Kratzen im Bolzen ein. „Nein. Heute Nacht bin ich ein Mann. Schon vergessen?“ Ich werde sie nicht darüber aufklären, dass andere Mädchen ihres Alters nicht gewartet haben, bis ich volljährig war. Stattdessen gebe ich ihr lieber das Gefühl, sie könne mir etwas beibringen. Wer weiß, vielleicht kann sie das tatsächlich. Ich drehe den Schlüssel, drücke die Klinke hinunter und schiebe die Tür mit der Schulter auf. Wir sind drin. „Psst“, wiederhole ich und lege einen Finger an meine pochenden Lippen, als ich den Schlüssel abziehe.
Dieses Mal nickt sie, torkelt verschwörerisch lächelnd näher und lehnt sich an mich, wobei ich versuche, Halt am Türrahmen zu finden. Ihr Make-up ist verwischt. Und ihr Atem riecht nach Zigaretten und Bier – doch das ist bei mir nicht anders.
„Ich erinnere mich.“ Ihre Stimme klingt genauso kratzig wie der Schlüssel im Türschloss.
Träume unter Alkoholeinfluss sind immer bizarr und primitiv – und das meine ich im besten Sinne. Aber dann kommt der unselige Augenblick des Erwachens. An diesem Punkt ist der Rausch längst vorbei, die Hemmungen kehren zurück, und das Einzige, was mich jetzt noch stöhnen lässt, ist mein Schädel. Dazu noch ein äußerer Reiz wie, sagen wir mal, ein klingelndes Handy, das mir mitteilt, ich sollte endlich aufwachen, und schon erreicht mein Zustand das Gegenteil von berauscht. Plötzlich scheint sich meine Gehirnmasse in blanker Anarchie in dem schmalen Raum direkt hinter meinen Augäpfeln zu drehen. Willkommen im Land des Hangovers.
Um das Geplärre zu stoppen (Mag ich diesen Song? Wirklich?), drücke ich auf die Annahmetaste. Allerdings versuche ich gar nicht erst, etwas zu sagen, denn mein Mund ist staubtrocken, und Sprechen ist undenkbar. Auf dem Nachttisch steht eine Wasserflasche. Doch sowie ich die Hand ausstrecke, um danach zu greifen, rutscht das Telefon zu Boden, aus dem gerade die kaum hörbare Stimme meines Managers George ertönt. „Hallo? Reid? Haaallo.“
„Mist.“ Bei dem Versuch, das Handy wieder aufzuheben, stürze ich fast aus dem Bett. „…lo?“ Meine Stimme klingt wie knirschender Kies, und meine Stimmbänder fühlen sich auch genauso an.
„Harte Nacht gehabt?“ George ist sarkastisch, aber nicht gefühllos. Er ist mein Manager, nicht mein Vater. Und ich schätze, er ist dem Universum, dem Schicksal, Gott, wem auch immer dankbar dafür. Ich bin als Klient besserer, als ich es als Sohn bin. Frag meinen Dad.
Um zu sehen, ob die heiße kleine Bassgitarristin, die John und ich gestern kennengelernt haben, noch immer hier ist, hebe ich meinen Kopf ein bisschen. Vage fällt mir ein, dass sie mit mir durch den Raum gestolpert ist und währenddessen gekichert hat wie eine Dreizehnjährige. Dabei hat sie behauptet, über zwanzig zu sein. Sie ist weg, doch unter der Flasche liegt eine Notiz, die Tinte durch den Wasserrand beinahe zur Unleserlichkeit verschmiert. Ehe ich sie lese, trinke ich einen großen Schluck aus der Flasche. Reid – überwältigende Nacht. Mehr davon? Ich habe meine Nummer in dein Handy eingespeichert – Cassandra.
Cassandra. Hat sie ihren Namen in der letzten Nacht überhaupt erwähnt? Ich kann mich nicht daran erinnern.
„Reid?“ Das ist Georges Stimme. Mist.
„Ja.“ Mühsam rutsche ich an den Bettrand, setze mich hin und stütze den Kopf in eine Hand, während ich mit der anderen das Telefon halte. Gleichzeitig versuche ich zu entscheiden, ob ich mich übergeben muss oder nicht. Wäre möglich.
„Richter hat gerade angerufen. Du bekommst die Rolle in School Pride. Er hat gesagt, er freue sich darauf, mit dir zu arbeiten.“ Adam Richter ist einer der führenden Hollywood-Regisseure. Der Mann ist eine Legende, und er hat ein Auge für Teenager-Dramen. „Morgen bist du übrigens für einen zweiminütigen Auftritt in Entertainment Tonight eingeplant, also erhol dich. Und Richter will dich auch beim Vorsprechen für die Rolle der Lizbeth dabeihaben. Es fängt in ein paar Wochen an. Wir reden am Freitag darüber.“
„Klar.“ Himmel, mein Schädel fühlt sich an, als würde er gleich abfallen. „Wo drehen sie?“
„Sie haben sich für Austin entschieden.“
„Texas?“
„Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, lag Austin noch in Texas, ja.“
„Super.“
School Pride, Entertainment Tonight, Vorsprechen, Austin. Oh Gott, mein Kopf zerspringt. Warum lerne ich nicht endlich, dass ein Morgen wie dieser die logische Folge von Nächten wie der vergangenen ist?
Mein Vater gießt Sauce Alfredo über die Bandnudeln, während ich den Tisch decke. „Dan hat heute Nachmittag angerufen“, erzählt er. Dan ist mein Agent, und es geht um eine neue Rolle. Was es wohl dieses Mal ist? Eine Tampon-Werbung? Eine Nebenrolle in einem TV-Film? „Er hat für dich ein Vorsprechen für eine Hauptrolle in einem wichtigen Film. Wie würde es dir gefallen …“, mit den Fingern formt er einen Rahmen, durch den er wie durch eine Kamera schaut, „… Elizabeth Bennet zu spielen?“
Stirnrunzelnd schaue ich ihn an. „Noch ein Remake? Sie haben Stolz und Vorurteil doch erst vor ein paar Jahren neu verfilmt.“ Und dann ist da auch noch mein eingerosteter (und offen gestanden grottenschlechter) britischer Akzent.
„Genau darum geht es – diese Verfilmung spielt nicht in England im neunzehnten Jahrhundert. Es soll eine moderne Adaption werden, versetzt in eine amerikanische Highschool in einem Vorort.“ Er wartet auf meine Begeisterung, aber mein einziger Gedanke ist: Wow! Eine niedliche Rolle in einer schlechten Verfilmung eines meiner Lieblingsromane.
Ehe ich mich zusammenreißen kann, sage ich auch schon mit dem völligen Mangel an Enthusiasmus: „Stolz und Vorurteil in einer Highschool? Ernsthaft?“
Seufzend legt er das Skript auf den Küchentisch, und wir reden nicht weiter darüber. Das ist unsere übliche Vorgehensweise bei dieser Art Konflikt: Wir tun beide so, als ob ich mit allem, was er möchte, einverstanden bin. In diesem Fall bedeutet das, ich werde das Drehbuch mit in mein Zimmer nehmen und mir die entscheidenden Stellen markieren, und er wird Dan erzählen, wie aufgeregt ich wegen des Vorsprechens sei.
Keine Frage, diese Rolle wäre ein Karrieresprung. All die kleinen Engagements, die Werbung für Supermärkte, Schinken und Traubensaft haben direkt zu diesem Moment hingeführt, in dem ich eine weitere (bessere als jede vorige) Rolle als Mädchen von nebenan ergattere. Die Wahrheit ist, ich bin nicht nur diese eindimensionalen Rollen leid. Ich habe es satt, überhaupt zu drehen.
Mit dreizehn war ich eine der Feen in einer örtlichen Theateraufführung von Ein Sommernachtstraum. Diese Bühnenpräsenz, den Kick, den die Reaktion des Publikums auslöste, habe ich geliebt. Zu gern hätte ich in den vergangenen vier Jahren noch einmal Theater gespielt. Doch Dan und mein Vater, der gleichzeitig mein Manager ist, sind sich einig, dass meine Rolle in Ein Sommernachtstraum eine einmalige Sache war, mit der ich der Stadt einen Gefallen erwiesen habe. Sie wollen den Namen Emma Pierce überall bekannt machen, und deshalb bleibt für nichtssagende regionale Theaterproduktionen keine Zeit.
Als Kompromiss habe ich versucht, ihnen skurrile, ausgefallene Drehbücher von Independent-Filmen vorzuschlagen. Aber jedes Mal haben sie abgewinkt. „Ich glaube nicht, dass dieses Projekt deiner Karriere nützen würde“, sagt dann einer von ihnen, und ich knicke ein und füge mich. Denn wenn es darum geht, mein eigenes Leben zu führen, bin ich ein armseliger Feigling.
Heute Morgen, als ich in meinem Computer und im Handy Nachrichten gecheckt und einen Ausflug mit Emily ins Einkaufszentrum geplant habe, fühlte ich mich endlich mal wie jedes andere Mädchen. Einen Tag mit meiner besten Freundin zu verbringen und dabei das zu tun, was typisch ist für die Frühjahrsferien, war genau das, was ich brauchte, um mir normal vorzukommen. Wir haben die Fenster heruntergekurbelt, unsere Lieblingslieder gesungen, über die Jungs geredet, die wir kennen, und von denen geträumt, denen wir noch nicht begegnet sind.
Doch ich bin kein normales Mädchen. Ich bin Schauspielerin. Ich besuche keine Highschool, sondern habe Privatlehrer. Beim Lunch hänge ich nicht mit meinen Freundinnen herum. Stattdessen greife ich nach irgendetwas, das der Caterer am Set anbietet, wenn ich gerade drehe, oder koche mir in der Küche selbst etwas, wenn ich zu Hause bin. Während ich lerne, lese ich Skripts und Kritiken, meine Hausaufgaben erledige ich am Set.
Seit einem Jahr ist das Verhältnis zu meinem Vater extrem angespannt, aber wirklich gut war es auch vorher schon nicht. Außer seinen grüngrauen Augen und seiner Leidenschaft für das Laufen habe ich nichts von ihm geerbt. In allen anderen Dingen sind wir absolut gegensätzlich. Er versteht mich nicht. Ich verstehe ihn nicht. Das ist alles.
„Dein Vater hat gesagt, dass er heute Abend zu Hause sein wird. Bitte, Reid.“
Mist. „Ja, klar, Mom.“
Dinner mit Mark und Lucy – immer wieder unterhaltsam. Wenn ich kann, vermeide ich es, aber Mom hat mich abgepasst, ehe ich zu meinem Treffen mit meinem PR-Berater Larry verschwinden konnte. Sie ist dermaßen bemüht, dass es mir schwerfällt, ihr eine Bitte abzuschlagen. Dad scheint damit kein Problem zu haben. Sie hat die romantische Vorstellung von uns dreien als glückliche Familie: Wenn wir gemeinsam am Esstisch sitzen, wird das häusliche Glück wie von Zauberhand erscheinen. Warum ihr nicht klar wird, dass das nur ein frommer Wunsch ist, weiß ich nicht. Schließlich hat es noch nicht ein einziges Mal funktioniert. Bald werde ich sowieso ausziehen. Ich weigere mich, mir vorzustellen, wie ihr das den Boden unter den Füßen wegziehen wird.
Wann genau ich mir eine eigene Bleibe suchen werde, habe ich noch nicht entschieden. Mein Zimmer hat einen separaten Eingang und ist deshalb eigentlich mehr eine Einliegerwohnung als ein Raum im Haus meiner Eltern. Meine Großmutter hat bis zu ihrem Tod vor ein paar Jahren bei uns gelebt, und dies war ihr Reich. Kurz nachdem sie gestorben war, habe ich Mom überredet, hier wohnen zu dürfen. Dad war angepisst, weil ich erst fünfzehn war und nun ohne ihr Wissen kommen und gehen konnte, aber es war schon beschlossene Sache, als er davon erfuhr. Ich habe mich einfach hier verschanzt und ihn ignoriert, bis er aufhörte zu toben.
„Glückwunsch zu deiner Rolle in School Pride, Mann.“ Larry schleimt sich ein, wie immer. Wir sitzen in einer Sushi-Bar am Ventura Boulevard, und er nervt mich maßlos. Er kann nicht einmal richtig mit Stäbchen essen – es sieht so aus, als wären seine Hände ferngesteuert. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen überheblich, doch schließlich hat er das Restaurant ausgesucht. Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass er neidisch ist auf das was ich tue und es mit seinem eigenen Job vergleicht. In der Filmbranche gibt es eine Menge Missgunst. Je erfolgreicher du bist, umso mehr wirst du zur Zielscheibe.
„Danke.“ Ich stecke mir ein Stück Lachs-Sashimi in den Mund.
Larry räuspert sich. „Okay, also …“
Verdammt, Mann, spuck’s aus.
„Wir haben überlegt, dass du“, spricht Larry weiter, „äh, dich für eine gemeinnützige Einrichtung engagieren solltest, jetzt, wo du volljährig bist.“ Er hat einen Gesichtsausdruck, als erwarte er, dass ich ein Problem damit habe. Und das bringt mich ins Grübeln, ob ich ein Problem damit haben sollte.
Während ich noch kaue, mustere ich ihn. „Und zwar?“ Ich schwöre bei Gott – er rutscht auf seinem Stuhl herum wie ein Kind, das kurz davor ist, sich in die Hose zu machen.
„Nun, es gibt eine Menge Möglichkeiten. Einen TV-Spenden-marathon oder, äh, einen Tag oder zwei für eine Organisation wie Habitat for Humanity arbeiten. Du könntest dich auch für ein Alphabetisierungsprogramm für Erwachsene einsetzen oder einen Werbespot für Kinderschutzimpfungen machen.“
Ich hatte ganz vergessen, dass Larry ständig „Äh“ sagt, wenn er nervös ist. Diese Angewohnheit weckt in mir den Wunsch, ihm Sushi in den Mund zu schaufeln, bis er nicht mehr sprechen kann.
„Ich mache keinen TV-Spendenmarathon und auch keine schweißtreibende Arbeit. Und Schutzimpfungen?“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Sollte das nicht Leuten überlassen bleiben, die Kinder haben?“
Larry tupft sein Gesicht mit der Serviette ab. „Gut …“
Scheint so, als würde das hier den ganzen Tag dauern. „Noch was?“
Jetzt stochert er in einem Thunfischstückchen herum. „Du könntest in Schulen gehen und an Antidrogen- und Antialkoholkampagnen teilnehmen …“
„Mhm, nein.“ Die Ironie wäre witzig, aber ich werde es nicht tun. Es wäre so wie bei diesen Teenie-Promis, die vorgeben, Jungfrauen zu sein, und anderen Jugendlichen Enthaltsamkeit predigen, nur um irgendwann mit heruntergelassenen Hosen fotografiert zu werden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Presse nimmt mich schon jetzt so genau unter die Lupe, dass ich sie nicht auch noch provozieren muss, mich betrunken oder auf Drogen zu erwischen.
„Nun … äh … du könntest auch Geld spenden.“
„Lass es gut sein. Besprich das mit meinem Dad, er kümmert sich darum.“
„Hast du irgendwas im Hinterkopf?“, lässt Larry nicht locker.
Ausdruckslos starre ich ihn an. Das Einzige, was ich im Hinterkopf habe, sind meine eigenen Bedürfnisse. Girls mögen Tiere, nicht wahr? „Irgendwas mit Tieren.“ Alleinige Bedingung: je goldiger, desto besser. „Aber keine durchgeknallte Aktivistengruppe. Und Haustiere – kein vom Aussterben bedrohter Salamander oder ähnlicher Mist.“
„Oh, okay, gut … Haustiere – so was wie der Tierschutzbund?“
„Genau.“ Tierschutzbund. Irgendwelche Tiere, völlig egal.
Gerade als ich mein Abendessen, das aus aufgewärmten Resten besteht, aus der Mikrowelle nehmen will, ertönt Emilys Klingelton auf meinem Handy. Sie wartet gar nicht erst auf ein Hallo.
„Schalte auf Channel Ten.“
„Okay, gib mir eine Minute …“
„Nein! Jetzt!“
Gehorsam gehe ich zum Fernseher. „Entspann dich, ich mach’s ja schon. Was gibt es denn?“
„Wen gibt es denn, meinst du wohl.“
Ich drücke die Einschalttaste, und auf dem Gerät leuchten bunte Bilder auf, untermalt von der bekannten Titelmusik von Entertainment Tonight. „… und heute Abend ist er hier, um uns von seinem neuen Projekt zu erzählen“, verkündet der Moderator. Jetzt funktioniert auch der letzte Lautsprecher des 52-Inch-TVs.
Die Kamera schwenkt auf Reid Alexander, den heißesten Typen der Filmbranche. „Ja, ich bin wirklich aufgeregt deswegen.“ Er schüttelt sich das dunkelblonde Haar aus den Augen und zeigt sein Lächeln, das zu seinem Markenzeichen geworden ist – ein bisschen schüchtern, fast bescheiden und total sexy.
„Oh. Mein. Gott“, stößt Emily stöhnend hervor.
Reid Alexander ist ein wahr gewordener Traum. Dunkelblaue Augen, lange, dunkle Wimpern, volle Lippen, fast ein Schmollmund – aber dennoch sind seine Gesichtszüge absolut männlich. Sein Haar ist ständig zerzaust, allerdings auf eine sehr gekonnte Weise. Er wirkt, als wäre er nicht von dieser Welt. Als hätte ein Künstler seine Vorstellung eines achtzehnjährigen Sexgottes zu Papier gebracht.
„Wir haben gehört, der Film soll eine Adaption von Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil werden?“ Der Moderator hält ihm das Mikrofon hin.
„Ähm, ja. Die Geschichte spielt in einer amerikanischen Highschool, dadurch wird es etwas ganz anderes werden. Neu, verstehen Sie? Ich werde mit Adam Richter zusammenarbeiten, darauf freue ich mich schon sehr.“
„Emma!“, ruft Emily begeistert. „Das ist doch dein Film, oder? Ich habe die Vorschau gesehen und gleich gedacht, Heilige Scheiße, das ist Emmas neues Projekt!“
„Oh.“ Ich kann momentan keine ganzen Sätze sprechen. Noch vor vierundzwanzig Stunden war ich nicht besonders scharf darauf, für den Streifen vorzusprechen. Und jetzt wird Reid Alexander in diesem Film Will Darcy spielen.
„Die Frage, die nun natürlich alle interessiert, ist: Wer wird die weibliche Hauptrolle übernehmen?“
„Das Casting fängt in ein paar Wochen an, also werde ich die Antwort darauf hoffentlich bald wissen.“ Wieder dieses umwerfende Lächeln.
Der Moderator schaut in die Kamera. „Sie haben es gehört, liebe Zuschauer. Reid Alexander wird Will Darcy spielen, neben einer glücklichen, aber noch unbekannten Schauspielerin in der Rolle der Lizbeth Bennet. Wer wird es sein? Wir halten Sie auf dem Laufenden! Die Dreharbeiten werden im Spätsommer anfangen.“
Ich schalte den Fernseher aus und lasse mich aufs Sofa fallen.
„Emma, das ist Schicksal. Du wirst es sein. Reid Alexander ist Darcy, und du wirst Elizabeth Bennet sein.“
„Sie heißt Lizbeth“, korrigiere ich. „Die Namen wurden geändert.“
„Völlig egal.“ Wie immer freut sich Emily voll und ganz für mich. „Du wirst sie sein!“
Bis zwei Uhr nachts habe ich das Skript für das Vorsprechen durchgearbeitet und bin völlig erschöpft. Aus der Küche zieht Kaffeeduft hoch, und ich folge ihm zielstrebig, wie ein Zombie, der sich nach Koffein sehnt statt nach Gehirnen. Doch dann höre ich Chloe, meine Stiefmutter, die sich mit meinem Vater in der Küche unterhält. Eigentlich möchte ich keinem von ihnen schon am frühen Morgen begegnen, besonders, weil sie wegen meiner mangelnden Begeisterung für das Casting beleidigt sind. Daher bleibe ich auf dem Treppenabsatz stehen.
„Sie wird wieder zur Besinnung kommen. Was bleibt ihr anderes übrig? Soll sie ihre Karriere selbst managen?“ Angesichts von Chloes bissigem Tonfall versteift sich mein Körper.
Mein Vater ist eher sauer als spöttisch. „Das könnte ihre Eintrittskarte sein. Weg von winzigen Nebenrollen und Werbespots. Reid Alexander wird die Hauptrolle spielen. Dan meint, der Junge braucht nicht mal zum Casting zu gehen. Wenn er eine bestimmte Rolle haben will, kriegt er sie garantiert.“
„Außerdem ist er echt heiß“, meint Chloe.
Wie kann sie so etwas sagen? Reid Alexander ist fast genauso alt wie die Geografiestudenten, die sie unterrichtet. Das klingt ja so, als wäre sie persönlich interessiert. Widerlich.
„Ich habe keine Ahnung, was sie möchte“, erwidert mein Vater.
Muss ich erst Plakate aufhängen oder einen Himmelsschreiber engagieren, damit er begreift, dass ich genau das meine, was ich sage?
„Sie wird zur Besinnung kommen“, wiederholt Chloe. „Wenn sie reich und berühmt ist, kann sie sich die guten Rollen aussuchen, statt jedem miesen Angebot hinterherlaufen zu müssen. Aber es ist noch ein weiter Weg, bis man das, was sie tut, arbeiten nennen kann.“ Ich umklammere das Geländer und warte, dass mein Vater mich verteidigt.
„Hmm“, sagt er und öffnet die Tür, um zur Arbeit zu fahren. Unglücklicherweise haben auch Dozentinnen Frühjahrsferien. Normalerweise gebe ich nichts auf Chloes Meinungen, so unschön es auch ist, sie am frühen Morgen zu hören. Doch jetzt bringt mich nicht einmal die Aussicht auf einen Kaffee dazu, hinunterzugehen.
Mein Vater war dabei, während ich meinen ersten Werbespot gedreht habe – neunzehn Versuche, bis ich den perfekten Schluck Saft getrunken hatte und dann auch noch meine zwei Zeilen Text darüber aufsagen konnte, wie köstlich und gesund er sei. Bis heute kann ich keinen Traubensaft sehen, ohne zu würgen. Er war dabei, als mich der gestörte Chef einer billigen TV-Produktion angeschrien hat, nur weil ich das Telefon aus der Requisite habe fallen lassen. Er hat zugeschaut, während ich in der Wüste von Arizona in einem bis zum Kinn geschlossenen Parka vor Hitze fast eingegangen bin. Damals habe ich die Tochter eines intergalaktischen Forschers gespielt, der auf einen öden, eisigen Planeten verbannt worden war.
Bisher habe ich angenommen, wenigstens er wüsste, wie hart ich arbeite.
Versteh mich nicht falsch – ich liebe meinen Job. Und ich bin gut darin. Manche Leute glauben, Schauspielerei hieße einfach, die Sachen von jemand anderem anzuziehen oder mit einem Akzent zu sprechen, doch das ist es nicht nur. Du musst komplett in die Haut der Figur schlüpfen und mit ihr verschmelzen. Letztendlich musst du die Figur werden. Selbst wenn es sich dabei um ein Kind handelt, das wirklich gern Saft mag.
Ich sollte dankbar und glücklich sein. Und das bin ich auch. Doch selbst wenn du das hast, wonach sich jeder andere sehnt – wenn es allerdings nicht das ist, was du möchtest, dann ist es eben nicht dein Ding. Eine Highschool-Filmversion von einem der größten Romane aller Zeiten? Ernsthaft? Wenn Jane Austen nicht ein echter Reid-Alexander-Fan ist, wird sie sich bestimmt im Grabe umdrehen.
Dieses Vorsprechen bringt mich um. Sie haben Probeaufnahmen von ich weiß nicht wie vielen Mädchen gemacht, jetzt sind zwanzig in der engeren Auswahl. Richter möchte die weibliche Hauptrolle mit einem Mädchen besetzen, das attraktiv ist, aber nicht außergewöhnlich heiß. Das wird schwierig, doch er hat recht. Lizbeth Bennet ist eine Frau, in die Will Darcy sich verliebt, obwohl sie eigentlich nicht sein Typ ist.
Ich habe mir immer gern eingebildet, dass zwischen mir und jeder Frau vor der Kamera die Chemie stimmt, traurigerweise stimmt das allerdings nicht. Wir sehen uns von jedem Mädchen die Porträtfotos an, Ausschnitte aus früheren Filmen und die Probeaufnahmen, bevor es hereingebeten wird. Bisher habe ich mit elf von ihnen eine Szene gespielt, und ich denke jedes Mal: Das sind diejenigen, die in der engeren Auswahl sind? Mit jeder haben wir eine Menge Zeit verbracht, und ich versuche herauszufinden, nach welchen Kriterien Richter entscheidet, denn denjenigen, die ich aussortiert hätte, räumt Richter die meiste Zeit ein. Nicht, dass ich mich darüber beklagen möchte, welche Methode Adam Richter verwendet oder wen er in die engere Wahl nimmt.
„Daria“, ruft Richter seiner Assistentin zu und fährt mit dem Finger über das Papier auf dem Klemmbrett in seiner Hand, auf dem alles Wissenswerte steht. „Wir können mit dem nächsten Mädchen weitermachen. Belinda, nicht wahr?“
„Stimmt“, erwidert Daria. „Ich rufe sie herein.“
„Mit der habe ich die Kussszene, oder?“, erkundige ich mich.
Richter lacht auf und betrachtet mich mit seinen hellen blauen Augen über den Rand seiner Brille hinweg. „Wie kommst du denn darauf?“
Ups. „Ähm. Es erscheint mir nur so, als wenn ich gerade diejenigen küssen soll, von denen ich am wenigsten begeistert bin.“
Ganz leicht schnellen seine Augenbrauen – exakt zu gleichen Teilen schwarz und silbergrau – in die Höhe. „Gut beobachtet. Ich will nicht riskieren, dass mir entgeht, ob vielleicht die Chemie doch zwischen euch stimmt. Deshalb bekommen diejenigen, die beim Vorsprechen nicht so gut waren, eine letzte Chance, ehe wir ihnen endgültig absagen.“
„Das klingt sinnvoll.“
„Danke. Ich schätze deine Zustimmung.“ Dann verzieht er den Mund und lacht wieder, während ich langsam rot werde, was mir niemals passiert.
„Adam, das ist Belinda Jarvis.“ Daria kehrt zurück und lässt das Mädchen zwischen den Kameras stehen.
Sofort kann ich behaupten, dass Belinda nicht die Richtige ist. Ihr Gesicht wirkt zu sinnlich, ihr Ausdruck ist berechnend. Vielleicht könnte sie die Caroline Bingley spielen. Den Text, den sie vorträgt, kenne ich mittlerweile so gut, dass ich ihn zitieren könnte, während ich jongliere. Ihrer Körpersprache und den halb gesenkten Augenlidern nach zu urteilen, wäre es lustig, mit Belinda am Set zu sein. Wir küssen uns, und keine zwei Sekunden später ist ihre Zunge in meinem Mund. Unterhaltsam, ja. Doch keine Lizbeth Bennet. Nachdem sie den Raum verlassen hat, erwähne ich Richter gegenüber, dass ich sie mir gut als Caroline vorstellen könnte.
„Wir haben Caroline und Charlie schon besetzt“, erklärt er. „Ihr Vorsprechen lief parallel, weil sie überzeugend als Geschwister rüberkommen müssen.“
„Verraten Sie mir, wer es ist?“
„Ich hoffe, dir Charlie morgen vorstellen zu können. Heute Abend rufe ich ihn an. Und Caroline wird von Brooke Cameron gespielt.“
Brooke Cameron. Ich versuche, meine Reaktion zu verbergen, doch Richter sieht alles, und ich bin zu sehr aus der Bahn geworfen, um das Gesicht zu wahren. „Ich dachte, ihr zwei habt schon mal zusammengearbeitet?“
„Stimmt.“ Ich habe keine Lust, ins Detail zu gehen. „Vor ein paar Jahren.“ Vor fast vier Jahren, um genau zu sein.
Richter wirkt, als hätte er noch eine weitere Frage, aber Daria stößt die Tür auf und beugt sich vor. „Emma Pierce ist hier, Adam.“
Vor Adam Richter vorzusprechen, schüchtert mich genauso ein, wie mit Reid Alexander Probeaufnahmen zu machen. Dan hat mich vorgewarnt, dass Richter keine Zeit mit Small Talk vergeuden würde, deshalb muss ich meine Aufregung hinunterschlucken und ihn überzeugen, dass ich seine ideale Lizbeth Bennet bin. (Ich habe Emily angerufen in der Hoffnung, moralische Unterstützung zu erhalten, doch ihre Reaktion war nicht sehr hilfreich. „Oh. Mein. Gott. Wenn ich mir vorstelle, ihm so nah zu sein. Ich kann kaum atmen.“)
„Alles klar. Reid, Emma, fangt mit ‚Da bist du ja‘ an“, meint Richter. „Und … Action.“
Auf dem Schulflur – Tag
Will (geht zu Lizbeth hinüber, die an ihrem Spind steht, und berührt ihre Schulter): Da bist du ja.
Lizbeth (legt die Bücher in den Spind, dreht sich um, blickt ihn finster an): Ja?
(Es kommt mir seltsam vor, Reid Alexander finster anzusehen, aber so sieht es das Skript vor.)
Will: Ich halte das nicht aus. Natürlich kommen wir aus verschiedenen sozialen Schichten, und du bist genau das Gegenteil von dem Typ Frau, auf den ich eigentlich abfahre. Aber ich kriege dich nicht mehr aus dem Kopf. Komm mit mir zu Charlies Party am Samstag. Ich hole dich um acht ab. (Lizbeth sieht zu ihm hoch, neigt den Kopf, wie verwirrt.) Lizbeth: Normalerweise versuche ich, freundlich abzulehnen, wenn ich nicht mit jemandem ausgehen möchte. Aber jetzt gerade bin ich geschockt.
Will (ungläubig): Heißt das nein?
Lizbeth: Das heißt, dass du dir mich nicht leisten kannst.
(Wieder erscheint mir das total falsch, doch es steht so im Skript.)
Will (schaut Lizbeth an, tritt auf sie zu): Zur Hölle! Du sagst wirklich Nein?
Lizbeth (strafft die Schultern): Denkst du wirklich, nur weil du mich einlädst, laufe ich dir hinterher wie jedes andere idiotische Mädchen in dieser Schule? Selbst wenn du nicht jedes Mal, sobald ich in deiner Nähe bin, so unhöflich wärst – glaubst du, ich will etwas mit dir zu tun haben nach allem, was du mit Jane gemacht hast? Und mit George?
Will: Was zwischen mir und George Wickham passiert ist, geht dich nichts an. Das ist lächerlich. Ich wollte dich einfach mitnehmen zu einer Party, auch wenn du nicht ganz in meiner Liga spielst. Wäre es dir lieber, ich würde dich anlügen, um dein kostbares Ego zu schützen?
Lizbeth: Es ist mir egal, wie du mich fragst.
(Wir stehen eng beieinander. Reid wartet auf meinen Einsatz – sein Schlüsselwort, um mich zu küssen. Von Nahem ist Reid Alexander der hübscheste Junge, den ich je gesehen habe. Allerdings ist dies wohl kaum der richtige Zeitpunkt, das zuzugeben, denn schließlich ist Lizbeth gerade wütend auf ihn.)
Was?
Will greift nach Lizbeths Schultern.
„Schnitt!“, ruft Richter. „Gut, gut. Vielen Dank, Emma. Wir melden uns.“ Lächelnd entlässt er mich.
Bedeutet das Lächeln was Gutes oder was Schlechtes? Ich fand das Vorsprechen ganz gelungen, allerdings hat er uns direkt vor dem Kuss gestoppt. Bestimmt kein positives Zeichen.
„Reid, lass uns einen Blick auf die Letzte in der Reihe werfen“, sagt Richter, und Reid läuft hastig zu ihm hinüber, nachdem er mir ein faszinierendes Lächeln geschenkt hat.
„Miss Pierce?“ Die Assistentin reißt mich aus meinen Gedanken, und ihre Miene verrät mir, dass sie diesen bestürzten Ausdruck schon auf zu vielen Gesichtern gesehen hat. „Hier entlang“, meint sie und deutet auf den Ausgang.
Die Glückszahl dreizehn – Emma Pierce. Heute stellen sich noch zwei weitere Mädchen vor und morgen fünf, allerdings weiß ich jetzt schon, dass sie es ist. Dieser Funke, die Chemie – wir haben es. Es ist unerklärlich, woher dieses Gefühl rührt. Es ist mehr als reine Anziehung, und manchmal ist es sogar völlig unabhängig davon. Es gibt Paare, die diese Chemie vor der Kamera haben, aber im wahren Leben kaum den Anblick des anderen ertragen, und andere, wo es aufgrund der sexuellen Orientierung eigentlich gar nicht funktionieren könnte, und doch ist es im Film spürbar. Wie Magie.
Von diesem Mädchen habe ich vorher noch nie gehört. Wenn Emma Pierce genommen wird, ist sie quasi eine Unbekannte. Und ich frage mich, ob Richter die Produktionsfirma problemlos davon überzeugen kann, ihr eine Chance zu geben. Am ersten Tag haben wir zwei prominente Schauspielerinnen für die Rolle der Lizbeth vorsprechen lassen. Mit jeder von ihnen könnte es klappen, aber nicht so wie mit Emma. Und auch Richter ist das klar. Nach ihrem Auftritt will er wissen, was ich denke.
„Yeah“, meine ich lächelnd.
Er erwidert mein Lächeln. „Ich finde, ‚Yeah‘ drückt es ziemlich gut aus. Gucken wir uns die Letzten noch an … sieben, nicht wahr? Aber ich werde Emmas Agentur auf jeden Fall morgen anrufen und dafür sorgen, dass sie benachrichtigt wird. Schauen wir mal, wie ihr zwei mit der gesamten Szene zurechtkommt.“
Er will den Kuss sehen.
Und ich auch.
Mein Vater und Chloe werfen sich nach wie vor Seitenblicke zu. Alle paar Minuten seufzt er hörbar, während sie auf ihrer Unterlippe herumbeißt. Seit ihrer Eingangsfrage: „Und, wie lief es?“, auf die ich kurz und unverbindlich geantwortet habe, hat keiner von ihnen mich noch einmal angesprochen. Meine schweigende Verachtung haben sie verdient nach ihrem Gespräch am Frühstückstisch vor ein paar Wochen, auch wenn sie nicht wissen, dass ich es gehört habe.
„Reid war also da?“, erkundigt Chloe sich endlich nach einer fünfminütigen Pause, als wir nach dem Dinner im Taxi sitzen.
„Ja.“ Ich hoffe, sie halten mein Benehmen für die typische Schweigsamkeit einer Siebzehnjährigen.
Chloe wartet noch eine Minute, ob ich das weiter ausführen würde, dann wird ihr klar, dass ich es nicht tun werde. „Und, ist er in natura auch so großartig? War es eine Szene gemeinsam mit ihm, oder war er einfach nur da?“
„Mit ihm.“ Gott sei Dank kommt gerade das Hotel in Sicht. Gleich werden wir uns in unsere getrennten, nebeneinanderliegenden Zimmer zurückziehen, und ich kann meinen Gedanken nachhängen.
Mein Vater stößt einen weiteren verstörten Seufzer aus. „Meinst du, dass sie dich anrufen werden?“
„Keine Ahnung.“
Chloe verdreht die Augen und zieht einen Taschenspiegel und einen Lippenstift hervor, als wenn das Taxi sie nicht am Straßenrand, sondern direkt auf dem roten Teppich absetzen würde. Für heute Abend wird die Befragung damit hoffentlich beendet sein. Aber ich bin zuversichtlich, dass sie am Frühstückstisch wieder beginnt.
In meiner Handtasche habe ich die Seiten von School Pride, die ich für das Vorsprechen auswendig lernen musste, und ein Exemplar von Stolz und Vorurteil, das meiner Mutter gehört hat. Sie ist gestorben, als ich sechs war. Das Folgende hat meine Mom mir hinterlassen: nebulöse Erinnerungen aus der Zeit, ehe sie von uns gegangen ist, eine Handvoll Fotos, ihren Ehering und ein Exemplar voller Eselsohren ihres Lieblingsbuches. Ein fieser Kaffeefleck prangt auf Seite 200. Auf Seite 237 ein schmieriger Fingerabdruck, der zweifellos dorthin geraten ist, weil sie gleichzeitig gekocht und mir aus dem Buch vorgelesen hat. Ganz vage weiß ich das sogar noch. Wenn mir ihr Fehlen am schmerzlichsten bewusst wird, wenn ich mich danach sehne, von ihr in den Arm genommen zu werden und ich die Gewissheit nicht ertrage, dass sie niemals wiederkommen wird, ganz egal, was ich tue oder wie sehr ich sie brauche, dann schlage ich das Buch auf diesen Seiten auf, presse meinen Finger auf den Kaffeefleck und den Fingerabdruck und fühle mich getröstet.
Ich möchte mit niemandem über das Vorsprechen reden außer mit Emily. Seit dem Kindergarten, wo wir die besten Freundinnen geworden sind, kennt man uns als Em und Em. Bis zur sechsten Klasse besuchten wir dieselbe Schule, ehe mein Vater beschlossen hat, dass ich Privatunterricht erhalten sollte, und anfing, meinen unsteten Zeitplan zu organisieren. Dank meiner Großmutter und Emilys Mom, die uns hin und her gefahren haben, sind wir uns nah geblieben. Ich habe keine Ahnung, wie mein Leben ohne sie aussähe. Einsam, schätze ich.
Gemeinsam mit Emily habe ich mir Ohrlöcher stechen lassen und hübsche Nachbarjungen ausspioniert (ausgestattet mit dem Fernglas ihres Vaters), Skateboardfahren gelernt (zumindest so etwas in der Art) und Fahrstunden genommen. Emily und ich veranstalten Pyjamapartys, gehen zusammen zur Pediküre und können über alles sprechen. In Emilys Gegenwart fühle ich mich normal.
Sobald ich in meinem Zimmer bin, rufe ich sie an, und sie nimmt beim ersten Klingeln ab. „Welche Szene habt ihr gespielt? War es eine gute? Hast du es geschafft?“
„Die Szene, wo er mich bittet, mit ihm auszugehen.“
„Die, wo er dich am Schluss küsst? Uuund?“
„Als wir an der Stelle angelangt sind, wo er mich packt … Etwas, das Darcy niemals tun würde, denn er hat seine Gefühle jederzeit im Griff, genau das macht ihn aus. Ich denke, der Drehbuchautor hat den Roman nie gelesen.“
„Emma, du bringst mich um. Ich sterbe gleich. Erzähl schon.“
„Kein Kuss. Der Regisseur hat uns direkt davor gestoppt, und vermutlich haben sie mit der nächsten hoffnungsvollen Kandidatin weitergemacht.“
„Oh, Mist. Das ist nicht fair.“ Sie seufzt, ganz offensichtlich nimmt sie es persönlich.
„Ja, es wäre ein netter Trostpreis gewesen, ihn wenigstens geküsst zu haben.“
„Emma, ich habe dir schon gesagt, dass du die Rolle bekommen wirst. Schaffst du es, mit den Änderungen des Originals umzugehen? Filme sind nie so gut wie das Buch, das ist kein Verbrechen. Deshalb solltest du dich nicht verrückt machen.“ Emily kennt mich zu gut.
„Ja, das kriege ich hin. Ich befürchte nur, wenn ich diesen Film drehe, wird mich jeder nur noch für hohl und niedlich halten. Ich werde nie etwas wirklich Wichtiges machen.“
„Irgendwann wirst du ganz oben sein, und dann kannst du tun, was immer du willst.“
„Und wann wird das sein?“ Ich kann nichts gegen den weinerlichen Tonfall machen, der sich in meine Stimme schleicht.
„So um die vierzig“, erwidert Emily. „Keine Sorge – mit ungefähr vierzig wirst du alles unter Kontrolle haben.“
Ich lächle. „Gute Nacht, Em.“
„Gute Nacht, Em.“
Nach den letzten zwei Castingrunden warte ich darauf, dass mein Wagen vorgefahren wird, und ziehe mein Handy aus der Tasche, um meinen Freund John anzurufen. In diesem Moment erhalte ich eine Nachricht von Mom, die mich daran erinnert, dass wir um acht zum Dinner verabredet sind. Mein erster Gedanke ist, wie zum Teufel ich aus der Nummer rauskomme, dann allerdings fällt mir ihr Blick wieder ein, als ich heute Morgen zugesagt habe. Also drücke ich auf „Antworten“ und schreibe: Klar.
Der Parkservice bringt mir meinen Lotus. Vor ein paar Monaten habe ich meinen Dad überzeugt, diesen Wagen kaufen zu dürfen, indem ich ihm klar gesagt habe, spätestens an meinem achtzehnten Geburtstag würde ich mir dieses Modell sowieso besorgen. Er hasst das Auto, angefangen vom Röhren des Motors, wenn ich das Gaspedal richtig durchtrete, bis zum Vibrieren sämtlicher Gegenstände im Haus, wenn ich mit voll aufgedrehter Musikanlage in die Garage fahre. Mehr als alles andere aber hasst er die Farbe – zitronengelb. Er nennt es Idiotentaxi. Vergangene Woche habe ich den Wagen in der Auffahrt geparkt, als Dad am Briefkasten stand, und während ich zum Haus lief, hat er das Auto angestarrt. „Dieses Ding wirst du mindestens ein Jahr behalten“, hat er tonlos gesagt.
Er wusste genau, dass ich die Scheißkarre nach dieser Bemerkung am liebsten sofort wieder verkauft hätte.
Hoffentlich ist wenigstens das Dinner in zwei Stunden einigermaßen erfreulich.
Vielleicht sollte ich bis dahin noch ein bisschen shoppen gehen – es reizt mich nicht, früh zu Hause zu sein. Die Geschäfte am Rodeo Drive sind für heute schon geschlossen, deshalb fahre ich zum Robertson Boulevard und gebe die Wagenschlüssel einem der Servicemitarbeiter. Dabei frage ich mich, ob diese Leute meinen Wagen eigentlich häufiger fahren als ich selbst. Paul & Joe ist noch geöffnet und nahezu ausgestorben. Die Verkäufer (beide heiß – ein schwuler Typ und eine schlanke Blondine) schwirren um mich herum und warten auf ihren Einsatz. Während ich ein bisschen stöbere, wechseln sie einen Blick. Wahrscheinlich ist jeder zwischen fünfzehn und fünfzig, der hier durch die Tür kommt, interessant für die beiden.
Ich nehme ein paar Hemden mit abgefahrenen Mustern und eine Jeans mit und frage die Blondine nach den Umkleidekabinen. „Hier entlang, Mr. Alexander“, sagt sie. Vielleicht werde ich es irgendwann leid sein, aber im Moment genieße ich es noch, erkannt zu werden. Kaum dass ich die Jeans angezogen habe, betritt sie mit einem zweiten Modell in einem anderen Farbton die Kabine. Sie ist nicht im Geringsten peinlich berührt, einfach in meine Umkleidekabine zu platzen, wo ich halb nackt stehe, sondern hält mir einfach die Hose hin. „Diese Waschung ist ganz neu. Ich dachte mir, Sie möchten diese vielleicht auch anprobieren.“ Während sie den Blick über meinen Oberkörper gleiten lässt, werfe ich die Jeans auf den Haufen. Ich gebe vor, es nicht zu bemerken, drehe mich zum Spiegel, knöpfe die Hose zu und ziehe eins der Vintage-Hemden dazu an.
„Was meinen Sie? Wirkt das zu sehr so, als wenn ich es im Schrank meines Vaters ausgegraben hätte?“
Sie verzieht den Mund und zuckt mit den Schultern. „Wenn Ihr Dad cool war, dann passt das schon.“ Fast unmerklich beißt sie sich auf die Unterlippe. „Zeigen Sie mal die andere.“
Ich streife das Hemd ab und gehe einen Schritt auf sie zu. „Können Sie das halten, bitte?“ Beinahe höre ich schon die Hintergrundmusik eines Pornostreifens in meinem Kopf. Da summt mein Handy – noch eine Erinnerung von meiner Mutter wegen des Dinners. Ich schreibe zurück, ich sei auf dem Weg.
„Also, Kaci“, ich tippe auf das Namensschild über ihrer Brust, „ich nehme die beiden Hemden und die Jeans, die ich jetzt anhabe. Ich habe keine Zeit mehr, sie wieder auszuziehen.“ Ganz eindeutig reiße ich das Etikett ab und reiche es ihr. „Ich behalte sie gleich an, wenn das in Ordnung ist.“
Wenig später verlasse ich den Laden mit einer Tüte. Darin stecken das abgerissene Etikett, auf dessen Rückseite sie mit roter Tinte ihre Telefonnummer geschrieben hat, zwei neue Hemden und meine alte Jeans, mit der ich hergekommen bin.
In der Garage stelle ich meinen Wagen neben Dads freien Parkplatz. Kein gutes Zeichen, hoffentlich ist er nur spät dran. Auch wenn ich es vorziehen würde, nicht gemeinsam mit ihm am Tisch sitzen zu müssen, lebe ich in ständiger Angst davor, zu sehen, welche Wirkung es auf Mom hat, wenn er sie enttäuscht – und das passiert häufig. Immaculada hockt auf einem Stuhl in der Küche, das Kinn in die Hände gestützt, und schaut eine Doku-Soap im Fernsehen. Das Essen auf dem Herd köchelt auf niedriger Temperatur. Bereit zum Servieren.
Ich habe Angst zu fragen, dennoch tue ich es. „Ist Mom in ihrem Zimmer?“
Mit einem Kopfnicken deutet sie zum Schlafzimmer. „Sí, in ihrem Zimmer.“ Verdammt. An ihrem Tonfall ist unschwer zu erkennen, was das bedeutet.
Der kleine Salon neben dem Schlafzimmer wirkt wie eine behagliche private Bibliothek. Das ist so gewollt, schätze ich. Mom liebt es, zu lesen – oder zumindest hat sie das mal. Die deckenhohen Regale beherbergen eine beeindruckende Auswahl an Büchern, kaum Krimskrams oder gerahmte Fotos. Ich lasse mich in einen der beiden ausladenden Ledersessel fallen. In dem anderen sitzt sie, ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß, ein leeres Martiniglas in der Hand. Blicklos starrt sie aus dem Fenster. Draußen wird es langsam dunkel.
„Mom?“ Ich muss nicht weiter fragen.
Als sie mich ansieht, blinzelt sie kurz, als wache sie auf. „Er kommt nicht.“ Keine Tränen in den Augen, doch ihre Stimme klingt gepresst.
„Wahrscheinlich ist er aufgehalten worden.“ Die Worte hinterlassen einen schalen Geschmack in meinem Mund, und ich weiß auch nicht, warum ich sie überhaupt ausspreche. Wenn er nicht so häufig abwesend wäre und Verabredungen in letzter Minute absagte, wären seine immer wiederkehrenden Rechtfertigungen sogar glaubwürdig. So allerdings sind sie es nicht. „Lass uns gehen. Immaculada hat alles fertig. Wir können es uns auch ohne ihn nett machen.“ Ich versuche, die Bitterkeit aus meinem Ton herauszuhalten, aber es gelingt mir nicht.
„Ich bin wirklich … Ich habe überhaupt keinen Hunger“, erwidert sie, und am liebsten möchte ich sie schütteln. Wieso überrascht sie sein Verhalten so sehr? So benimmt er sich uns beiden gegenüber, und das war schon immer so. Zwar verstehe ich es nicht, aber es ist mir mittlerweile völlig egal, und so sollte sie es auch halten.
„Okay.“ Die Hände in den Hosentaschen vergraben, stehe ich auf. Ich kann das nicht zum hunderttausendsten Mal durchmachen. „Ich werde dann mal aufbrechen und mich mit John treffen. Vorher bitte ich Immaculada noch, dass sie das Essen wegstellt. Vielleicht bist du später hungrig.“ Das wird sie nicht sein.
„Ja, das ist eine gute Idee. Ich danke dir, Reid.“
Ich seufze auf. Sobald sie meinen Namen ausspricht, verflüchtigt sich meine Wut – auf sie, wohlgemerkt. Bevor ich aufbreche, beuge ich mich zu ihr hinunter und gebe ihr einen Kuss. Während ich den Flur entlanggehe, gebe ich vor, nicht gehört zu haben, was sie gesagt hat. „Ich liebe dich.“
Wenn Chloe mich zum Vorsprechen begleitet, besteht sie auf einem Fünfsternehotel, als wäre ich schon ein großer Star. Bisher war es noch nie die Penthouse-Suite, aber ich schätze, sie hat dahingehende Pläne.
Beim Frühstück bin ich die Erste. Die Kellnerin bringt mir Kaffee und Milch in einem kleinen Kristallkännchen und kleine Päckchen Rohrzucker in einem dazu passenden Behälter. Mein Omelett wird auf chinesischem Porzellan mit Prägemuster serviert. Wenn ich diese Rolle tatsächlich bekomme und den Ruhm und das Glück erreiche, die mein Vater sich für mich erträumt, dann könnte das mein Leben werden. Jeden Tag.
Draußen vor dem Restaurantfenster geht, begleitet von ihrem Gefolge, eine blonde Promi-Persönlichkeit vorbei. Ihr Gesicht wird von einer dunklen Sonnenbrille halb verdeckt. In dem Moment, als die Paparazzi auftauchen und mindestens ein Dutzend Fotografen ihren Namen rufen, senkt sie den Kopf und steigt hinten in einen wartenden Mercedes-SUV mit getönten Scheiben.
Erst zweimal hat mich jemand in der Öffentlichkeit angesprochen. Das erste Mal ist schon Jahre her, es war hier in Los Angeles. Mein Vater und ich waren nach einem Vorsprechen essen gegangen, und eine Frau mit einem Kleinkind im Schlepptau trat an unseren Tisch. Sie erzählte mir, dass meine Rolle als Tochter einer Frau mit einer bipolaren Störung in einem Werbespot für Antidepressiva sie dazu gebracht habe, sich ärztliche Hilfe gegen ihre Depressionen zu holen. Mein Vater hat gestrahlt. „Hätten Sie gern ein Autogramm?“, bot er an. „Emma, unterschreib auf einer Serviette.“
Das zweite Mal war vor ein paar Monaten. Damals hatte ich eine kleine Rolle in einem TV-Film, der regelmäßig wiederholt wird. Emily hatte einen Chor-Wettbewerb in San Francisco, ungefähr neunzig Meilen südlich von Sacramento, und ich war an diesem Wochenende mitgefahren. Als wir gerade in einem kleinen Buchladen stöberten, sprach uns ein Mädchen an.
„Hey, hast du in dem Film über den Bürgerkrieg mitgespielt? Du warst die Schwester dieses Typen, der von den Konföderierten desertiert ist und sich den Nordstaatlern angeschlossen hat.“ Vorsichtig nickte ich. „Mein Vater ist nach Notre Dame, Indiana, gezogen, und mein Bruder hat beschlossen, in Michigan zu leben. Es ist, als wäre er zur dunklen Seite übergelaufen“, fuhr sie fort. Als sie eine Hand auf meinen Unterarm legte, widerstand ich dem Drang, zurückzuzucken. „Meine ganze Familie hat sich verpisst. Ich kann mich total mit deiner Rolle identifizieren, verstehst du das?“ Ich nickte, doch ich begriff es nicht.
Emily bot an, ein Foto von mir und meinem Fan zu schießen, dieser völlig Fremden, die ihren Arm um mich schlang und ihr Gesicht an meines presste. Ich bin ziemlich sicher, dass ich völlig erschrocken aussah.
„Okay, wir müssen jetzt gehen, danke, dass du dir den Film angeschaut hast“, sagte Emily. Damit drückte sie dem Mädchen das Foto in die Hand, zog meinen Arm unter ihrem hindurch und trieb mich aus der Tür.
Als ich gestern Abend noch einmal meinen Text gelernt habe, sind Chloe und mein Vater ausgegangen. Als Chloe bei mir angeklopft hat, um Bescheid zu sagen, habe ich durch den Türspion ihre Ohrringe erkennen können, die bis auf ihre Schultern reichten, und den breiten Lidstrich. Ihr Outfit sah eher aus wie ein paar breite Bänder und weniger wie ein übliches Top mit einem Unterteil. Um drei Uhr morgens sind sie zurückgekommen, offensichtlich beschwipst. Ich habe gehört, wie sie versucht haben, mit ihrer Zimmerkarte die Tür der Nachbarn zu öffnen, dann meine und schließlich ihre eigene.
Heute Morgen am Frühstückstisch ist mein Vater wortkarg, und Chloe trägt eine Sonnenbrille, während sie schwarzen Kaffee inhaliert. Sie ist nicht begeistert von meiner Platzwahl direkt an der bodentiefen Fensterfront mit einem Blick in den strahlend blauen Himmel, der nicht annähernd diesig ist. Es ist der perfekte Platz, um Leute zu beobachten. Bis Dan kommt und mich über das Vorsprechen für die beneidenswerte Rolle der Lizbeth Bennet an der Seite von Reid Alexander ausfragt.
„In seinem letzten Film hat er sich seine Partnerin aussuchen können.“ Aufgeregt gestikuliert Dan mit beiden Händen, wobei er die Ellbogen auf dem Tisch aufstützt. „Der Regisseur hatte zwei oder drei in die engere Auswahl genommen, und wie ich hörte, meinte er einfach ‚Ich will Alyson‘, und schon war sie dabei.“
Offen gestanden bezweifle ich, dass Reid Alexander eine solche Macht hat, aber ich behalte diesen Gedanken für mich.
Dan mustert mich intensiv, wie er es immer tut, wenn er etwas Wichtiges verkünden möchte. „Die Chemie ist ihnen immens wichtig. Immerhin geht es um Darcy und Elizabeth, um Himmels willen.“ Alle drei starren mich an. Die richtige Chemie zwischen den Hauptpersonen einer romantischen Geschichte. Was für ein ungewöhnliches Konzept.
„Ähm, okay, ich weiß.“ Ich kann mich gerade noch zurückhalten, meine Augen zu verdrehen. „Meiner Meinung nach lief es gut, aber entweder stimmt die Chemie oder nicht. Vermutlich rufen sie mehrere …“
„Richter ist seit zwei Jahrzehnten Regisseur. Er hat mit großen Namen gearbeitet, große Filme gedreht. Der Mann erkennt, wann die Chemie stimmt. Wenn es bei euch so ist, wird er es sehen.“ Ist das nicht genau das, was ich gesagt habe? „Was genau hat er gemeint, als er die Szene beendet hat?“ Dieselbe Frage hat er mir vor fünf Minuten schon mal gestellt. Ich habe keinen Schimmer, ob er glaubt, dass ich ihn anlüge, oder einfach befürchtet, ich würde etwas Bedeutendes zurückhalten.
Ich beiße die Zähne zusammen, dann wiederhole ich wörtlich, was ich schon vor fünf Minuten erklärt habe. „Er sagte ‚Gut, gut‘, anschließend bedankte er sich bei mir und meinte, sie würden sich melden.“
Dan legt die perfekt manikürten Finger auf sein Gesicht. Unter dem Manschettenärmel seines makellosen himmelblauen Hemdes blitzt seine TAG-Heuer-Uhr auf. „Er hat euch also gebremst, ehe ihr euch geküsst habt“, meint er erneut. „Aber er hat ‚Gut, gut‘ danach gesagt.“
Oh. Mein. Gott. „Ja.“
„Das könnte klappen, es könnte gut gehen. Vielleicht wollte er nur den Aufbau der Szene sehen – ich meine, küssen kann jeder.“ Wenn Dan das wirklich glaubt, tut er mir leid. Selbst ich mit meinen wenigen Erfahrungen weiß, dass nicht jeder küssen kann. Sollte an den Gerüchten etwas dran sein, werde ich Reid Alexander zu Füßen liegen. Allerdings bezweifle ich, dass es stimmt, denn die bestaussehenden Typen sind nicht unbedingt die besten Küsser, so altklug das auch klingen mag.
Meinen ersten Kuss habe ich von einem Schauspielerkollegen in diesem intergalaktischen Forscher-Film bekommen. Während der stundenlangen Proben bei Außenaufnahmen sind wir uns nähergekommen. Doch Justin wohnte in New Jersey, und wir waren zu jung, um nach dem Ende der Dreharbeiten die Entfernung zwischen Newark und Sacramento zu überwinden. Damals glaubte ich, an gebrochenem Herzen sterben zu müssen. Später empfand ich die Erkenntnis weitaus schmerzvoller, dass Justin, was das Küssen betraf, ein heller Stern unter vielen gedimmten Glühbirnen gewesen war.
Dans Handy fängt an, einen Rapsong aus den Achtzigern zu spielen. Er zieht es von seinem Gürtel ab und nimmt das Gespräch an. Gleichzeitig hebt er einen Finger, um uns dreien zu bedeuten, leise zu sein, obwohl keiner von uns etwas sagt. „Dan Walters hier. Ja, natürlich. Großartig. Drei Uhr, kein Problem. Vielen Dank, Daria.“
Sein Gesichtsausdruck wirkt beinahe durchgeknallt, als er sich mir zuwendet. „Wir sind dabei, Baby. Morgen hast du weitere Probeaufnahmen mit Reid.“
„Ja!“ Chloe klatscht in die Hände, als hätte Dan mit ihr gesprochen. Das ist typisch für Chloe. Sie benimmt sich wie ein Aufziehäffchen, das sich selbst aufziehen kann.
Dan schüttelt leicht seinen Kopf (ich kenne dieses Gefühl) und spricht mit meinem Vater. „Connor, bring sie morgen um zehn vor drei dorthin. Früh genug, um Interesse zu signalisieren, aber doch nicht übereifrig zu wirken. Inzwischen mache ich mich schlau, welche Gage wir verlangen können. Ich melde mich, hoffentlich bald.“ Dann legt er eine Hand auf meinen Arm. „Spiel sie an die Wand.“ Ein weiterer großer Schluck Kaffee (obwohl Dan eigentlich überhaupt nichts zum Aufputschen braucht), danach rauscht er durch das Restaurant auf den Ausgang zu.
Ich schreibe Emily eine Nachricht.
Ich: Sie haben angerufen. Morgen um drei. Vielleicht küsse ich Reid Alexander. Wünsch mir Glück.
Em: BRAUCHST du noch GLÜCK??? Klingt so, als hättest du es längst. LOL
Emma Pierce ist die Vierte von fünfen, die wir zurückgerufen haben. In dem Versuch, professionell zu wirken, habe ich mich auf die drei Mädchen vor ihr konzentriert. Doch den ganzen Tag bin ich voller Energie, mein Körper vibriert förmlich, und ich warte auf sie.
Als Daria sie reinbringt, ist es, als steckte mein Körper an einer Steckdose. Ich werfe einen Blick in das Skript, obwohl ich meine gesamte Rolle auswendig kann und ihre noch dazu. Aber ich will den Moment hinauszögern, in dem unsere Blicke sich treffen, denn es wird uns wie ein Stromschlag treffen, wenn wir gemeinsam den Text sprechen. Wir spielen dieselbe Szene wie vor zwei Tagen, allerdings wird uns Richter dieses Mal nicht unterbrechen.
Er lässt uns die Plätze einnehmen, und sie wendet sich ab. Sie scheint ein wenig verwirrt, doch sie wirkt bereit. „Action“, ruft Richter, und als ich ihre Schulter berühre, dreht sie sich zu mir um, missmutig und perfekt in die Figur geschlüpft. Ich wünschte mir, wir würden schon drehen, denn diese Szene könnte nicht besser sein. Wir werfen uns die Stichworte zu, als hätten wir die Szene schon ein Dutzend Mal geprobt, und als sie das letzte Wort sagt – „Was?“ –, fasse ich sie an der Schulter, wie es in der Regieanweisung steht, und küsse sie.
Kaum dass ich sie berühre, ist mir klar, dass mein Griff nicht optimal ist, sondern beinahe feindlich, aber ich tue das, was im Skript steht. Wir müssen es noch mal wiederholen, doch das ist in Ordnung. Die Chemie zwischen uns ist nicht zu leugnen. Als ich sie loslasse, schwankt sie ein bisschen, ihre grüngrauen Augen funkeln. Sie spürt es auch.
„Cut.“ Richter springt von seinem Stuhl auf und schürzt nachdenklich die Lippen. Während er uns anschaut, trommelt er mit einer Hand auf die Seite seines Oberschenkels. Bei den drei letzten Probeaufnahmen ist er nicht einmal aufgestanden. „Das war zu aggressiv für meinen Geschmack, Reid.“ Erneut verzieht er den Mund und tippt mit den Fingern auf seinem Bein herum. „Lasst es uns noch einmal von Anfang an machen. Mehr Leidenschaft und weniger Dominanz in den Kuss.“ Er lässt mich die Szene körperlich beherrschen – genau so arbeite ich am besten. „Emma, ein bisschen mehr Reaktion – du erwiderst den Kuss genau in dem Moment, bevor Reid zurückweicht.“
Während die Kameras neu ausgerichtet werden, lächle ich sie an. „Keine Sorge“, flüstere ich.
Ein bisschen nervös erwidert sie mein Lächeln, aber das wird schon. Sie muss nur meiner Führung folgen, und das hat sie bis jetzt einwandfrei getan. Dieses Mal drücke ich sie an mich, eine Hand an ihrem Hinterkopf, die andere gleitet an ihrem Arm hinunter. Ich ziehe sie auf die Zehenspitzen und bringe sie aus dem Gleichgewicht, sodass sie sich an mich lehnen muss, während ich sie küsse. Ihre Hände liegen an meiner Brust, sie ist die perfekte Personifizierung von Lizbeth Bennet, die sich Will Darcys Begehren hingibt.
„Erstklassig. Licht an“, sagt Richter und reibt sich die Hände.
Zur Hölle, yeah!
Nachdem wir noch ein paar Szenen gedreht haben und Richter ihr versichert hat, er werde sich melden, begleitet Daria Emma zum Ausgang. Sie nickt und sagt ein Dankeschön in die Runde, wobei sie mich anschaut. Mein entspannter Gesichtsausdruck gibt nichts preis, doch ich habe keine Zweifel – sie ist Lizbeth.
Als ich eine Woche nach den Probeaufnahmen vom Sport nach Hause komme, köpfen mein Vater und Chloe gerade eine Flasche Champagner. „Du hast die Rolle!“, verkündet er. Chloe kreischt und bietet mir ein Glas an. Sie haben mich also tatsächlich ausgewählt, Lizbeth Bennet in School Pride zu spielen. Und ich werde dabei mehr verdienen als in den letzten sieben Jahren zusammen. Die Dreharbeiten beginnen Mitte August in Austin.
Völlig benommen von diesen Neuigkeiten, der Gage und der Aussicht auf drei Monate Dreharbeiten mit Reid Alexander tue ich das, was jedes andere Mädchen auch tun würde. Ich nehme mein Handy und schreibe meiner besten Freundin. Emily ist bei der Chorprobe, doch ich hoffe, dass der drohende Zorn des Chorleiters sie nicht davon abhalten wird, mir zu antworten.
Ich: Ich habe sie bekommen.
Em: OHMEINGOTT!!!
Ich: Allerdings. Heilige Scheiße.
Em: Bisher war ich nie eifersüchtig auf dich, aber OMG – REID ALEXANDER!?!!!!
Ich: Nach unserer Champagnerparty und Chloes Tanzeinlage rufe ich dich an. Sie nervt.
Em: Ignoriere sie einfach. Hier geht es um DICH <3
Ich: Versuche ich, aber es ist eigentlich unmöglich, sie zu ignorieren.
„Ich schätze, das können wir nicht unser Leben lang machen, hm?“, meint Emily und lässt den Blick über den Essensbereich der Shopping Mall wandern, ohne den Strohhalm ihres Smoothies aus dem Mund zu nehmen. Es ist Ende Juli. In weniger als einem Monat werde ich nach Austin fahren, um meinen ersten wichtigen Film zu drehen.
„Was meinst du? Uns in der Öffentlichkeit blicken lassen?“ Ich denke an den Promi, der vor dem Hotelrestaurant in L. A. von Paparazzi belagert wurde. „Ich glaube nicht, dass ich so berühmt werde.“
„Nun, wir wissen jetzt noch nicht, wie bekannt du wirst, oder? Vergiss nicht“, sie beugt sich näher zu mir herüber und senkt ihre Stimme, „du küsst Reid Alexander. Dadurch wirst du zum Hassobjekt für die Hälfte aller vorpubertären Mädchen von hier bis Kanada. Sie werden dir abscheuliche Mails schicken.“
Jedes Mal, wenn ich an diesen Kuss denke, kann ich ihn spüren. Habe ich jemals etwas darüber gesagt, dass sexy heiße Jungs nicht unbedingt am besten küssen können? Streich das.
„Mist.“
„Total. Außer der Tatsache, dass du Reid Alexander küsst.“ Emily grinst anzüglich und wackelt mit den Augenbrauen.
„Em, du kannst wirklich nur an eins denken.“ Ich schüttle den Kopf.
„Wie auch immer, Süße. Ich habe mich bemüht, dir die Schattenseiten des Lebens der Reichen und Berühmten nahezubringen – das ist nicht lustig. Drogen, Alkohol, versehentliche Pornos …“ Lautstark saugt sie den Rest ihres Smoothies durch den Strohhalm.