Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
"Tiefgründig, facettenreich, anspruchsvoll und unglaublich spannend." *************************************************************************************************************************** Dämonen sehen aus wie Engel und sie reiten den Wind auf majestätischen, schwarzen Schwingen, jede einzelne Feder so spitz, als wäre diese als Waffe einsetzbar. Engel hingegen tragen schneeweiße Flügel mit runden, weichen Federn. Die Himmelsboten gelten als über alle Maßen gütig und rein. Dennoch sind es nun die Engel, die in die Dämonendimension eindringen und Dämonenkinder entführen. Teal, Smaragd und Bernstein werden voneinander getrennt – in einer Welt voller Gefahren. Doch der schlimmste Feind lauert noch im Verborgenem … ***************************************************************************************************************************** Klappentext: Das Leben der drei Dämonensprösslinge Teal, Smaragd und Bernstein ist voller Abenteuer. Entgegen geltenden Gesetzen lernen sie heimlich das Fliegen und befreien in Gefangenschaft geratene Geschöpfe aus den Klauen machtgieriger Dämonen. Doch als Engel in ihre Dimension eindringen, werden sie voneinander getrennt. Auf sich gestellt, müssen sich alle drei ihren eigenen Bedrohungen stellen. Doch die Gefahr geht nicht nur von den Invasoren aus, denn der wahre Feind lauert noch im Verborgenem … Der Heilige Krieg zwischen Engeln und Dämonen fordert Opfer, doch erschafft er auch neue Helden. Grausame Zeiten machen Kinder zu Erwachsenen, Jugendliche zu Kriegern und Freunde zu Feinden.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 729
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Band 1
Robin R. Lorien
Das Leben der drei Dämonensprösslinge Teal, Smaragd und Bernstein ist voller Abenteuer. Entgegen geltenden Gesetzen lernen sie heimlich das Fliegen und befreien in Gefangenschaft geratene Geschöpfe aus den Klauen machtgieriger Dämonen. Doch als Engel in ihre Dimension eindringen, werden sie voneinander getrennt. Auf sich gestellt, müssen sich alle drei ihren eigenen Bedrohungen stellen. Doch die Gefahr geht nicht nur von den Invasoren aus, denn der wahre Feind lauert noch im Verborgenem …
Der Heilige Krieg zwischen Engeln und Dämonen fordert Opfer, doch erschafft er auch neue Helden. Grausame Zeiten machen Kinder zu Erwachsenen, Jugendliche zu Kriegern und Freunde zu Feinden.
Invasion der Engel
Robin R. Lorien
Impressum:
Robin R. Lorien
c/o Autorenservice Gorischek
Am Rinnergrund 14/5
A - 8101 Gratkorn
©2022, 2. Auflage
Coverdesign: Dream Design – Cover and Art
Schriftzugdesign: design9creative (www.fiverr.com)
Korrektorat & Lektorat (1.Auflage): Hannah Koinig
www.beyondimmortal.com
Triggerwarnung:
Dieses High Fantasy Epos wird ab 16 Jahren empfohlen.
Mögliche Trigger sind: Darstellung und Erwähnung körperlicher und seelischer Gewalt, Krieg und Tod geliebter Personen.
Gedicht 1: Dimensionales Denken
Dimensionales Denken
Ich bin,
Sagte eine Kugel und rollte hinfort,
Doch sie fand sich an einem gar seltsamen Ort,
Die Ebene erlaubte ihr nicht so zu sein,
Sein als Kugel, nein.
Ein Kreis war sie nun, gezwungen zu verweilen
Und sie begann sich den anderen Kreisen mitzuteilen,
Sprach zu ihnen von Höhen und von Tiefen,
Die Anderen verstanden nicht, sie riefen:
Du bist nicht mehr, nicht besser als wir!
Und sie begannen sie zu meiden.
Die Kugel fragte, welch Unrecht tut ihr mir,
Lasst mich nicht wegen eurer Unwissenheit leiden!
Ich werde gehen,
Denn ihr denkt nicht in meiner Dimension.
Die Kugel ging, konnte bald Schemen sehen,
Rund um sie erklangen Stimmen in Hohn.
Bist so anders als wir, bist so seltsam.
Bist so simpel und ordinär.
Die Kugel sich wundert: ist da mehr, als ich annahm?
Dass da noch eine Dimension wär!
Wie sähe diese Welt aus?
Um wie viel übersteigt sie mein Denken?
Und wie wachs ich über mich hinaus,
Kann ich die neue Erkenntnis lenken?
Ich befürchte, ich übertreibe meine Spekulationen,
Kehre lieber zurück in meine Dimensionen,
Zu riskant, was ich in Gang setzen würde, wer weiß,
All meine Thesen wären letztendlich kein Beweis.
Häufig verwendetes Vokabular:
adoleszent
heranwachsend
adult
erwachsen, ausgewachsen
Agonie
Todesangst, Todeskampf, Schmerz
Blessur, blessiert
Verletzung, verletzt
Fehde, sich befehden
Kampf, sich bekämpfen
frappiert
überrascht, erstaunt
instruieren
anleiten, anweisen, in Kenntnis setzen
juvenil
jugendlich
lädiert/ versehrt
verletzt, beeinträchtigt
Opponent/ Kontrahent
Gegner, Widersacher
sonor
volltönend, wohltönend, tief
taxieren
jemanden mustern, prüfend betrachten
Inhaltsverzeichnis
1. The only True Wisdom is in knowing you know nothing
2. Hard Shell soft core
3. The Courage to bend the Rules
4. A Lost Friend is the worst loss
5. History is a set of Liesagreed upon
6. The Best Teachers are those who show you Where to Look
but don’t tell you what to see
7. The Best Way to Destroy an Enemy is to make him a friend
8. In the End, we will Remember
not the words of our enemies but the silence of our friends
9. The Truth is the first to die
10. Rebellion is the Answer to not answered demands
11. Be the Change you want to see in the world
12. War is the Servant of Chaos and chaos serves only a few
13. An Eye for an Eye only ends up making the world be blind
GLOSSAR
Prolog:
Bernstein blickte zum nächtlichen Dimensionshimmel empor und beobachtete mit stiller Demut, wie die beiden Dimensionsmonde sich mit dem Fortschreiten der Nacht zusehends annäherten. Die Sterne funkelten auf den Teenager herab, spendeten Zuversicht mit ihrem intensiven Strahlen. Der Dämonenjunge dachte voller Ehrfurcht: Das Universum ist riesig und ich bin so winzig. So klein und bisher auch unbedeutend. Doch heute Nacht könnte sich das ändern, denn heute Nacht werde ich vielleicht etwas Bedeutsames vollbringen, meine Feigheit überwinden und meine Freunde und Clankameraden aus den Fängen des Feindes befreien. Ich habe Angst.
Bernstein schlug sich die Hand gegen die Stirn, knetete und riss an seinem kurzen, gelockten, bernsteinfarbenen Haar. Wie immer habe ich Angst. Bernstein, der ewige Feigling!
Der Junge ließ mutlos seinen Lockenkopf zwischen seine Schultern sinken und raufte weiterhin sein Haar. Er saß auf einem am Boden liegenden Baumstamm und hatte die Ellbogen auf den Knien aufgestützt. Oh, wenn meine Freunde doch hier wären! Smaragd, ich brauche dich! Ich brauche deinen Optimismus! Du warst immer wie eine große Schwester für mich. Du warst es, die mich bei sich aufgenommen hat, als ich niemanden sonst hatte. Ganz allein war. Und verängstigt. Bernstein konnte sich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. Er war damals so verzweifelt gewesen und er hatte Tage des Schmerzes, der Trauer und der Wut hinter sich gehabt, nachdem seine Eltern ihn einfach zurückgelassen hatten, doch Smy hatte ihm ein Zuhause gegeben. Ich vermisse dich!
Bernstein blickte auf, seine dichten orangebraunen Brauen waren zusammengezogen vor Kummer. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, Richtung der dichten Farnwedel, die beinahe so groß waren wie er selbst. Wie alle Pflanzen in der Dämonendimension waren diese Farne üppig. Sie wogten sanft im Wind und glänzten matt im fahlen Mondschein. Rundherum erstreckte sich ein Wald mit mehreren Lichtungen. Trampelpfade pflügten bequem begehbare Korridore durch das Gras und das Unterholz. Solche Wege fand man selten hier in dieser grünen Dimension, die sich durch ihre unberührte, atemberaubende Natur, durch weitläufige, wildwachsende Wiesen, wild wuchernde Wälder, undurchdringliche Dschungel, majestätische Gebirgszüge, glänzende Seen und ungebändigte Gewässer auszeichnete. Doch hier gab es solche Pfade, so absurd es einem Dämon erschien. Es gab sogar befestigte Hochsitze und einen Wall aus angespitzten Baumstämmen und aufeinandergestapeltem Geröll rund um dieses Lager, das die Jugendbande hier zum Schutz gegen die Engel errichtet hatte.
Engel waren lautlose Jäger. Sie erschienen wie aus dem Nichts. Wenn man Glück hatte, spürte man zuvor noch ihre Präsenz, so süß und doch bedrohlich zugleich, bevor man von ihnen verschleppt wurde. Sie hatten es vor allem auf wehrlose Opfer abgesehen, auf schwächere Dämonen und auf Kinder, nicht nur auf Frischlinge1, sondern sogar auf Sprösslinge, die wehrloser nicht sein könnten.
Bernstein erschauderte und er fasste nach dem Heft des Schwertes, das an seiner Hose befestigt war. Der eiserne Griff fühlte sich kälter an als die Nacht. Diese Waffe war wie ein Fremdkörper und würde niemals Teil seiner selbst werden. Doch er hatte keine Wahl. Er musste sie mit sich führen. Er musste kämpfen. Und die anderen zählten auf ihn! Bernstein schluckte. Schweiß sammelte sich auf seiner Handfläche. Na toll. Wenn ich jetzt schon schwitze, wenn ich nur an die Befreiungsaktion denke, wie wird das erst, wenn ich den blutrünstigen Himmelsboten gegenüberstehe? Der Junge schüttelte seufzend den Kopf. Wahrscheinlich entgleitet mir die Waffe, bevor ich sie gegen den ersten Feind führen kann. Was habe ich mir nur dabei gedacht!? Wie konnte ich nur ansatzweise glauben, dass ich unsere Leute retten könnte?
„Die Monde werden sich jeden Moment berühren. Wir sollten uns bereitmachen“, konstatierte2 das Mädchen, das bisher stumm neben Bernstein gesessen war, und jener nickte. Die Dämonin erhob sich. Ihr sonst grellgrünes Haar war dunkel, doch es flimmerte teils hell auf im Widerschein von Sternen und Monden.
Der Junge hielt die Halbwüchsige am Arm zurück und seine Stimme klang unsicher. „Lime …“, nannte er den Namen seiner Begleiterin. „Wie viele, glaubst du, werden da sein? Was, wenn zu wenige kommen?“ Denn wenn kaum jemand seinem Aufruf folgen würde, dann wäre die Rettungsaktion zu waghalsig.
Das kleinwüchsige Mädchen in den hellgelben Leggins und der pastellgrünen Jacke lächelte dem Sorgenvollen zu und zwinkerte aufmunternd. „Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden. Komm!“ Die Kriegerin tat ein paar entschlossene Schritte, als Bernstein ihren Namen flüsterte. Ihr kurzes, voluminöses Haar glänzte seidig, als sie herumschwang und in ihren grünen Augen lag ein Glanz, der voller Zuversicht war.
Bernstein bewunderte diese selbstbewusste Entschlossenheit. Diese Dämonin war so viel mutiger als er selbst und ohne sie wäre er nichts. „Erinnerst du dich…“, murmelte Bernstein, „wie du mich damals beschützt hast, als die anderen mich gemobbt haben?“
„Ja.“ Lime lächelte keck. „Ich hab dir den Arsch gerettet.“ Ihr Grinsen nahm eine sanfte Nuance an. „Aber jetzt, sieh dich an, sie vertrauen auf dich! Sie glauben an dich! Sie sind bereit gegen Cornsilk zu intrigieren und seine Befehle zu missachten, weil sie jetzt erkennen wie falsch und rücksichtlos sein Regime ist.“ Die Dämonin machte zwei Schritte auf Bernstein zu, der gerade eben wie das eingeschüchterte Kind von damals aussah. Sein von Sommersprossen übersätes Gesicht war noch beinahe so rund wie damals, obwohl es kantiger geworden war und auch seine beige Hose war ihm nach wie vor etwas zu locker. Doch sie sah eine erblühende Stärke in ihm.
Der junge Krieger wisperte: „Was, wenn wir es nicht schaffen die Engel aufzuspüren? Was, wenn wir sie nicht besiegen können?“
Lime sah traurig in diese sanftorangenen Augen, die sie so offen und ehrlich anflehten. Die Zeit der Unmündigkeit, der seelischen Qualen steckte wohl noch tief in Bernsteins Knochen und er würde sich vermutlich bis an sein Lebensende als Schwächling, als Versager fühlen. Aber sie sah das, was auch andere ihn ihm sahen: Einen selbstlosen und aufrichtigen Kerl, der das Wohl anderer über sein eigenes stellte. Bernstein wäre ein viel besserer Anführer als Cornsilk es je sein könnte. Die Dämonin schritt auf den in sich zusammengesunkenen Jungen zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du warst der Einzige, der sich nicht nur hinter vorgehaltener Hand über Cornsilks Entschluss, unsere Kameraden ihrem Schicksal zu überlassen, aufgeregt hat, sondern dazu aufgerufen hat, unsere Leute zu suchen. Jetzt wird sich herausstellen, wer nur großspurig daherredet und wer es tatsächlich wagt, sich aus dem Lager zu schleichen trotz der Strafe, die uns erwartet, trotz der Gefahr da draußen!“ Lime fasste den Jungdämon an der Hand. Ihre zarte Berührung löste sofort ein Gefühl aus, als würden kleine Flügel in Bernsteins Brust schlagen. Ihre Stimme klang so sanft und doch so bestimmt. „Du hast nur Angst, dass niemand da sein wird, weil du kein Vertrauen in dich selbst hast. Aber ich sage dir, viele bevorzugen deine Großherzigkeit gegenüber dem Brachialregime von Cornsilk. Und du bist schließlich nicht allein.“ Die grellgrünhaarige Dämonin zwinkerte heiter. „Lass uns gehen!“
Die beiden Heranwachsenden schlichen, immer auf Deckung bedacht, entlang von Büschen und im Schatten der Bäume, zum vereinbarten Treffpunkt und versuchten, ungesehen von den Wachen zum Sanatorium zu gelangen, dem einzigen Ort im Lager, der unbewacht war. Als Resultat des letzten Engelangriffes befanden sich einige Verletzte im Lazarett, doch es gab Abteilungen, die leer waren. Hohe Farngewächse umgaben diese unbenutzten Bereiche. Bernstein stellte sich mit dem Rücken an die pflanzliche Wand und versuchte sich unauffällig umzusehen. Zu so später Stunde waren nur wenige Clanangehörige unterwegs und eine gespenstische Stille hatte sich über die leere Lichtung gelegt. Hier wuchs kaum Gras, da dieses vom sonstigen geschäftigen Treiben rund um die Krankenstätte niedergetrampelt war. Der Jungdämon holte tief Luft, denn jetzt würde sich die Loyalität der anderen offenbaren. Vielleicht aber hatte ihn jemand verraten und Cornsilk höchstpersönlich empfing ihn hinter der Sichtschutzhecke.
Bernstein und Lime bogen die üppigen Halme zur Seite und betraten den abgeschotteten Treffpunkt. Der kleine Platz war leer. Nur kahle Erdfläche, rundherum Farne und Gestrüpp und über ihnen ein dichtes Blätterdach, das den Mondschein abschirmte und diese Nische, wo sonst Verletzte ihre Wunden kurierten, in Dunkelheit tauchte. Plötzlich regte sich etwas im Schatten der Farne und Gestalten traten auf die Lichtung. In dieser Düsternis war nicht auszumachen, ob ihnen diese Krieger wohlgesonnen waren oder nicht. Bernsteins Herzschlag beschleunigte sich in seiner Brust und der Griff seines Schwertes schmiegte sich wie ganz von allein in seine Handfläche. Ihm war nicht aufgefallen, dass er selbst danach gegriffen hatte.
„Wie lautet der Plan, Bernstein?“ Die Stimme klang genauso schelmisch wie ihr Besitzer war und Bernstein kannte sie gut! Erleichtert atmete er aus. Amarillo war gekommen und außer ihm noch einige andere. Bernsteins Herz jauchzte vor Freude und in Gedanken zählte er die Freiwilligen durch, die erschienen waren. Es waren zehn Dämonen inklusive Lime und ihm selbst. Dies waren immerhin ausreichend Kämpfer, um ein Gelingen des Coups wahrscheinlicher werden zu lassen. Aber der wichtigste Kandidat dieser Meuterei fehlte: Maroon, der einzige adulte Dämon des Clans, der ein Dimensionstor für sie öffnen hätte sollen, damit sie unbemerkt aus dem Lager gelangen konnten. Verzweifelt sah Bernstein zu Lime, die sich irritiert und mit in die Hüften gestemmten Armen umsah.
„Danke, dass ihr gekommen seid!“, begann Bernstein seine Erläuterungen, wie er die entführten Kumpane zu befreien gedachte, denn aus Sorge vor Verrat, hatte er bisher keine Details erwähnt.
Nachdem alles erklärt war, lachte der blondgelockte Jungdämon Amarillo und fragte spöttisch: „Und? Wer errichtet jetzt das Dimensionstor, wenn Maroon offensichtlich beschlossen hat, das Ganze lieber bleiben zu lassen?“
„Wir schleichen uns aus dem Lager!“, konterte eine junge Frau namens Rumen, die für ihre Stärke und ihr Durchsetzungsvermögen bekannt war. „Wir sind nicht auf Maroon angewiesen, Amarillo!“
Bernstein überlegte. Sein Blick blieb auf zwei kleinwüchsigen Frischlingen haften, die kaum Kampferfahrung vorweisen konnten und dennoch dieses Vorhaben wagen wollten. Er verlautbarte mit einem Strahlen in seinen sanftorangenen Augen: „Hijau und Juodas, ihr geht voran und kundschaftet den Weg aus! Ihr gebt uns Bescheid, wenn die Luft rein ist. Wenn ihr entdeckt werdet, lasst euch eine Ausrede einfallen.“
„Das klingt plausibel. Keiner wird Verdacht schöpfen, wenn sie die zwei halben Portionen entdecken“, stimmte Rumen zu.
Bernstein nickte und hob die Faust. „Wir werden unsere Freunde nicht im Stich lassen!“ In stiller und entschlossener Eintracht schnellten die Fäuste aller Anwesenden in die Höhe.
Die Gruppe war unentdeckt aus dem Ressort gelangt und eilte in Richtung des Kampfplatzes, wo die Engel ihre Patrouille eineinhalb Tage zuvor unterjocht hatten. Es war ihnen anzusehen, wie unwohl sie sich ohne den Schutz ihres Clans außerhalb des Bollwerks ihres Refugiums fühlten. Den Jüngeren unter ihnen klapperten sogar die Zähne.
Amarillo legte dem Mädchen, das neben ihm herlief beschwichtigend die Hand auf den Arm und lächelte ihr aufmunternd zu. Unter dem dünnen Stoff konnte er das Zittern ihres zierlichen Oberarms spüren. Noch mehr als den anderen stand der Kleinen die Furcht und die Anspannung wie ins Gesicht geschrieben. Um sie abzulenken, plauderte der Schelm in flüsternder Lautstärke drauf los: „Wusstest du, dass Engel essen müssen, um ihre Energien zu regenerieren?“
„Ernsthaft? Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlt etwas zu essen!“
Der juvenile Dämon lächelte, denn er hatte es geschafft, das Mädchen aus ihrer verkrampften Angststarre herauszuholen. „Ja und stell dir mal vor, vielleicht muss das, was oben reinkommt, unten wieder heraus wie bei Menschen.“
„Iiihh! Das ist ekelhaft!“, beschwerte sich die viel zu junge Kriegerin. Amarillo lachte in sich hinein, als Rumen sich einmischte: „Das ist Unfug. Engel essen, aber sie resorbieren die Naturalien komplett. Außerdem benötigen sie die Hilfe anderer, um sich aktiv zu heilen! Nahrung jedoch heilt keine Wunden.“
Der Krieger in dem simplen und lockeren Gewand warf der uniformierten Besserwisserin einen missbilligenden Blick zu. Das war typisch für die meisten Dämonen, sie konnten sich kaum in andere hineinversetzen. Nicht umsonst galten Dämonen allgemeinhin als egozentrisch, analytisch, kühl und ernst. Im Gegensatz zu den Himmelsboten, die im Grunde herzensgute und hilfsbereite Wesen waren und ebenso arglos wie rein.Und doch waren es nun die Engel, die in das Dämonenreich eindrangen und dem altruistischen3 Gesetz ihrer Rasse zuwider Jagd auf ihre Erzfeinde machten. Aber warum? Was hat dieses sonst friedfertige Volk veranlasst, einen Krieg zu beginnen?
Amarillo setzte erneut an, um von der Ernsthaftigkeit der Lage abzulenken: „Was denkt ihr, was die so futtern? Blätter? Rinde?“ Er erntete dafür einen irritierten und bösen Blick der blonden Dämonin. Amarillo konterte genervt: „Hör mal, ich versuche hier jemandem die Angst zu nehmen!“
Rumen zischte: „Wer sich der Gefahr nicht bewusst ist, hätte nicht mitkommen sollen! Nicht umsonst sind fast alle anderen zuhause geblieben. Außerdem, da draußen lauert eine noch viel größere Bedrohung als die Weichfedern!“
Amarillo sah, wie das kleinwüchsige Mädchen wimmernd zurückwich. Auch er fühlte die Furcht wie ein zweischneidiges Schwert quer durch seinen Leib schneiden. Er war, wie alle anderen auch, ausgelaugt von der ständigen Angst davor, von Engeln angegriffen und verschleppt zu werden und nur ein Gedanke reichte aus, um seinen ganzen Körper in Alarmbereitschaft zu versetzen. Doch das war noch lange nicht alles. Es gingen Dinge vor sich, die unverständlich waren. Ein Unheil braute sich hinter ihren ungeschützten Rücken wie dunkle, furchteinflößende Wolken zusammen. Plötzlich kam die Gefahr nicht nur mehr von den extremistischen Engeln, sondern von einer Macht, die sie nicht bezwingen konnten.
Amarillo wollte das Mädchen trösten, die Kleine aber überraschte ihn, als sie die Fäuste ballte und beteuerte: „Ich weiß, welcher Gefahr wir gegenüberstehen und ich werde mich ihr stellen! Ich habe hart trainiert!“
Rumen grunzte belustigt, wandte sich dann ab und murmelte in sich hinein: „Gut, dass wenigstens auch ein paar richtige Krieger für die Sache zu begeistern waren.“
„Hier ist es!“, rief Lime und deutete den Kameraden anzuhalten. Sie befühlte den von der vorangegangenen Schlacht aufgewühlten Boden, betrachtete die ausgerissenen Gräser.
„Wie finden wir die Engel nun?“, fragte eine Dämonin mit grauem Haar und türkis-rot gestreiftem Stirnband.
Bernstein wusste es nicht. „Verteilt euch und versucht, ihre Energie zu orten“, instruierte4 er.
Doch auch nach längerer Suche hatte niemand der Gefährten eine Spur entdeckt.
„Sowas Grenzdebiles!“, entrüstete sich Amarillo. „Das ist doch hoffnungslos.“
„Stopft bitte jemand diesem Querulanten5 Federn in den Mund!“, konterte Rumen und stierte den blonden Jungdämon strafend an.
Bernstein beschwichtigte die unruhig werdenden Kameraden: „Wir dürfen nicht aufgeben! Das sind wir unseren Clankameraden schuldig.“
„Also Orchid, der arroganten Stumpffeder, bin ich nichts schuldig außer ein paar Watschen. Die Engel können sie gern behalten“, stellte Amarillo klar. Orchid war die Erste Offizierin des Clans und treue Adjutantin von Cornsilk. Sie verteilte unverhohlen Verbalinjurien6 und es gab wohl niemanden außer dem Anführer selbst, der von ihr nicht bereits bloßgestellt worden war, daher genoss sie keine große Beliebtheit.
„Niemand wird zurückgelassen, auch nicht Orchid!“, beharrte Bernstein. „Still! Ich habe etwas gehört!“, zischte Rumen mit dem hochgestreckten Finger vor dem Mund. Alle Anwesenden griffen schockiert zu ihren Waffen, starrten auf das Gebüsch, das deutlich zitterte und raschelte. Keiner von ihnen wagte zu atmen. Als eine großwüchsige Mannesgestalt die Zweige zur Seite wühlte, sogen mehrere Münder die Luft scharf ein.
Ein rothaariger Dämon mit mehreren geflochtenen und zu kunstvollen Kreisen hochgesteckten Zöpfen trat aus dem Dickicht und merkte an: „Das war nicht sehr galant von euch, ohne mich loszuziehen.“
„MAROON!“, rief Bernstein begeistert und auch andere applaudierten.
Der erwachsene Dämon erklärte seine Verspätung damit, dass er erst zwei neugierige Clanangehörige abschütteln hatte müssen. Dann fragte er: „Nun. Wie lautet dein Plan, Bernstein?“
„Wir teilen uns auf, aber bleibt mindestens zu zweit oder zu dritt! Und …“, Bernstein legte dem hageren Teenager mit dem welligen, dunkel- und hellblonden Haar kameradschaftlich die Hand auf den Rücken und fuhr fort, „unser Amarillo hier hat eine besondere Fähigkeit. Er kann seine dämonische Präsenz suppressieren7. Wenn wir die Engel aufgespürt haben, lenken wir sie ab und Amarillo schleicht sich davon, um unsere Freunde zu suchen.“
Alle außer Lime, die eingeweiht war, machten perplexe oder gar skeptische Gesichter.
Amarillo zwinkerte herausfordernd. „Na dann schaut genau her!“ Und tatsächlich. Sein Energiefeld war kaum mehr spürbar und würde er hier nicht direkt vor ihnen stehen, würden sie seine Präsenz nicht bemerken. Die jungen Dämonen staunten nicht schlecht. Von solch einer Fähigkeit hatten sie noch nie gehört.
„Großartig“, kommentierte Maroon, konzentrierte sich dann auf den Kampfplatz und erläuterte nach intensiver Begutachtung: „Sie haben ein Dimensionstor verwendet.“
„Und kannst du eines errichten? Für uns alle?“, fragte Bernstein hoffnungsvoll.
„Mhm. Ja, es wird schwierig. Die Energie des Tores ist fast verblichen. Es ist fraglich, ob ich es noch zurückverfolgen kann. Ein Dimensionsdurchgang für elf Leute wird mich eine Menge Energie kosten, doch ich beherrsche es.“
„Fantastisch!“, jubelte Bernstein und beobachtete dann mitfiebernd, wie der adulte Dämon in sich ging, eine Energie heraufbeschwor und ein bläulicher Schimmer zaghaft vor seinen Handflächen entstand, zusehends Form annahm, wieder lichter wurde und sich dann wieder verfestigte. Es hatte den Anschein, als hätte Maroon Schwierigkeiten, das Engelstor zurückzuverfolgen, als würde er die korrekte Passform der marginal vorhandenen Informationen erst mühsam erarbeiten und zusammenfügen müssen.
Letztendlich stand der Dimensionsdurchgang fertig errichtet vor der staunenden Truppe juveniler Dämonen. „Ich gehe hindurch und wenn ich in fünf Atemzügen nicht zurückgekehrt bin und das Tor immer noch steht, dann könnt ihr nachkommen!“, hauchte der junge Mann und verschwand im bläulichen Dunst.
Bernstein inhalierte kräftig, gestikulierte seinen Gefolgsleuten, sie sollten sich bereithalten. Eins. Zwei. Drei. Werden wir erfolgreich sein? Fünf.
Die jugendlichen Dämonen sprangen einer nach dem anderen durch das Raumkontinuum, fanden sich auf einer mondbeschienenen Lichtung wieder, unweit davon lag ein Hain. Zwischen den Bäumen stand Maroon und winkte die Gefährten herbei. Er legte ostentativ den Finger auf die gespitzten Lippen und die Dämonen schlichen in geduckter Haltung zu dem Waldrand. „Die Engel haben die Energieaufwallung mit Sicherheit gespürt“, flüsterte Maroon seinen Kumpanen zu, „Wir müssen rasch handeln.“
„Vorsicht!“, fauchte Rumen plötzlich. Im nächsten Moment stoben Engel mit erhobenen Schwertern herbei, ließen die Klingen auf die rapide ausweichenden Dämonen niedersausen. Manche von ihnen hatten ihre Flügel materialisiert und diese schimmerten gespenstisch in einem fahlen Schein. Die enorme Spannweite der Schwingen war beängstigend. Egal wohin man sah, überall war dieser undurchdringliche Wall aus Federn.
Das Erscheinen der Engel hatte etwas Übersinnliches an sich, Bernstein konnte nur nicht definieren, was es war. Die Haut der Himmelsboten, egal ob diese beinahe alabasterfarben oder dunkler war, schien von innen her zu leuchten. Ihre ebenmäßigen Gesichtszüge waren von einer atemberaubenden, beinahe schon unheimlichen Schönheit.
Bernstein hatte von diesem Überraschungsangriff eine tiefe Wunde am Oberarm davongetragen. Der Junge sammelte seine Energie und die Wundränder begannen zu knistern und zu zittern. Schließlich bildete sich neues Gewebe, blutfrisch und glänzend rot. Der Dämon hatte sein Selbstregenerationsvermögen eingesetzt.
Die Angreifer waren unbarmherzig. Maroon parierte gerade den Hieb eines kräftigen, männlichen Engels in einer wallenden Robe, während die beiden Frischlinge den Angreifer von den Seiten her traktierten. Bernstein kreuzte indes die Klingen mit einer hochgewachsenen Himmelsbotin in einer golden glänzenden Rüstung. Die wild kreischende Frau drückte mit aller Kraft gegen seine Klinge, sodass deren Gesicht knapp vor dem des Dämons war. Unter dem Visier kamen dünne, wohlgeformte Lippen zum Vorschein, die in einem süffisanten Grinsen makellose Zähne entblößten. Anders als Dämonen besaßen Engel keine spitzen Eckzähne. Doch gerade diese perfekte Ebenmäßigkeit erschien Bernstein unheimlich. Ihre Aura war gefährlich frohlockend, beinahe süßlich, doch ihr Antlitz war grausam und kalt.
Ein gepeinigtes Brüllen lenkte Bernsteins Aufmerksamkeit zu Lime, die sich mit einem weiblichen Engel befehdete und getroffen worden war. Den jungen Krieger packte die Angst. Lime, halte durch! Der orangehaarige Teenager stieß seine Opponentin mit einem kräftigen Tritt zu Boden, eilte der Kumpanin zu Hilfe, packte die Lanze der bezaubernd hübschen Himmelsbotin mit beiden Händen und entriss der aufquietschenden Gegnerin die Waffe mit einem Ruck. Lime war bereits wieder auf die Beine gesprungen, attackierte die blondgelockte Frau, fügte ihr eine ernsthafte Blessur8 zu, sodass die Versehrte sich zurückzog.
Bernstein nutzte das Kampfgetümmel für einen Hinterhalt und überraschte einen Himmelsboten, indem er diesem den Knauf seines Schwertes mit aller Kraft gegen das Haupt knallte, doch der Engel taumelte nur, drehte sich dann mit hasserfüllter Mimik zu dem Frevler um. Des Dämons Muskeln spannten sich an und machten sich für den Gegenschlag bereit, doch bevor der Engel seine Waffe erheben konnte, schlang Rumen von hinten die Kette eines Nunchakus um den Hals des Kontrahenten.
Japsend, geradezu panisch versuchte sich der überrumpelte Gegner freizuringen. Bernstein starrte entsetzt auf den Todeskampf der bedauernswerten Gestalt mit der blassen Haut. Das verzweifelte Keuchen und Wimmern schien den Kampflärm sogar zu übertönen und Bernsteins ohnehin schon galoppierender Herzschlag verfiel in ein Rasen, das seine Brust beinahe barst. Auch, wenn es dumm und inopportun9 erschien, er hatte Mitleid mit dem Feind. „Rumen! Es reicht!“, brüllte er mit für ihn ungewohnter Strenge und die blonde Dämonin ließ konsterniert10 und widerwillig von ihrem Opfer ab. Der beinahe strangulierte Mann fiel auf die Knie und griff sich peinvoll an die Kehle.
Bernstein registrierte, wie auch die anderen beiden Widersacher in die Enge manövriert wurden, schöpfte Hoffnung auf einen Sieg, als unversehens ein dumpfes Geräusch erklang. Den Schmerz am Hinterkopf nahm der Jungdämon erst einige Sekunden später wahr und bevor er realisierte, was geschehen war, wurde sein Sichtfeld von Schwärze ummantelt. Bewusstlos sackte er zu Boden.
Als Bernstein wieder zu sich kam, rappelte er sich stöhnend auf. Sein Hinterhaupt pochte und schmerzte. Ein Clankamerad zog ihn hoch.
„Die Brut ist geflohen“, berichtete eine Soldatin.
„Habt ihr bereits von Amarillo gehört?“, fragte Bernstein und rieb seinen schmerzenden Hinterkopf. Als Antwort erhielt er nur Kopfschütteln. Der Anführer blickte durch die Runde, bemerkte, wie hart seine couragierten Mitstreiter gekämpft haben mussten, so lädiert, wie sie alle waren.
„OH NEIN! SIE KOMMEN ZURÜCK!“, rief eine schwer verletzt am Boden sitzende Soldatin angsterfüllt.
Bernstein drehte sich um und ihm stockte der Atem. Er stellte mit Entsetzten fest, dass alle vier Engel genesen und wohlauf, ohne auch nur einen Kratzer und mit triumphierendem Grinsen auf sie zu stapften. „Es muss Komplizen geben!“, rief Bernstein. „Wir müssen sie ausfindig machen, sonst sind wir chancenlos!“
Ein weiteres Gefecht entbrannte. Bernsteins Herz flatterte in seiner Brust wie verzweifelt schlagende Flügel und während er seine Waffe in weiten Bögen führte, seine Klinge das grausame Lied der Schlacht sang, sah er nur rasant auf sich zurasende Schneiden, vorbeihuschende Gesichter von gnadenloser Schönheit und böse funkelnde Augen, die in der Geschwindigkeit des Gefechts ineinander verschwammen.
Die bereits geschwächten Dämonen waren im Nachteil, denn auch, wenn diese die Fähigkeit der Rekonvaleszenz11 besaßen, waren die meisten von ihnen noch zu jung, um die Verletzungen so rasch zu verschließen, wie sie gesetzt wurden. Selbst Maroons Selbstheilungskräfte waren unzureichend, da dessen Kraftreserven durch den Torbau bereits aufgebraucht waren. Bernstein focht mit dem Mut der Verzweiflung gegen einen Himmelsboten mit bodenlangem, blassblauem Haar. Er spürte, wie ihm das Blut warm über seine Schläfe rann. All seine Hoffnungen lagen auf Maroon, denn als adulter Dämon, war er der einzige, der diesen Bestien etwas entgegensetzen konnte.
Maroon rangelte verbittert mit der Himmelsbotin mit dem wallend schwarzen Haar, als Lime ihn warnte: „Hinter dir! Sie haben Verstärkung bekommen!“ Der adulte Dämon blickte auf, starrte in das Antlitz zweier überlegen grinsender Engel und reagierte vor Schock zu spät auf den Faustschlag der Frau, die er zu Boden gedrückt hatte. Blut quoll aus seiner gebrochenen Nase, doch bevor seine Gegnerin einen weiteren Angriff unternehmen konnte, schlug Maroon mit ausfahrenden Krallen gegen das biblisch hübsche Gesicht und hinterließ tiefe Kratzspuren. Plötzlich wurde der Dämon von kräftigen Händen gefasst und von der Himmelsbotin weggerissen. Die beiden neu hinzu gekommenen Engel fixierten die Arme des Dämons und bevor Maroon sich ihnen entwinden konnte, hatten sie ihm beide ihre Klingen zwischen die Rippen gestoßen. Der Dämon brüllte peinvoll auf. Er fühlte, wie sich die scharfen Schneiden in seinem Brustkorb nach oben bohrten. Jede noch so kleine Bewegung, sogar das Atmen, jagte einen paralysierenden Schmerz durch seinen ganzen Oberkörper und Maroon glaubte, er müsste jeden Moment die Besinnung verlieren.
Die Engelfrau hatte sich erhoben, Blut sickerte aus den von dem Dämon zugefügten Kratzwunden. Ihr garstiger Blick aus diesen samtgrünen Augen mit den langen, dichten Wimpern schien vollkommen unpassend für einen Engel. Maroon starrte verzweifelt zu seinen Gefährten, stellte fest, dass Bernstein und Lime einen der Widersacher überwältigt hatten, dennoch blieben vier unbesiegte Himmelsboten. Sie hatten verloren. Ihr Coup war gescheitert.
Bernstein sah im Augenwinkel wie Maroon zu Boden ging. Es fühlte sich an, als würden die Klingen in seinem eigenen Leib stecken. Oh, nein! Maroon war unser bester Mann!
Maroon hatte den Blick resigniert auf den Boden geheftet, wurde nun auf eine Lichtspiegelung vor ihm aufmerksam, sah langsam auf, nur um eine scharfe Schneide, direkt auf sein Gesicht gerichtet, zu sehen. Die Engelfrau warnte die anderen Dämonen, keine Bewegung zu wagen und grinste diabolisch. Der schwer keuchende Gefangene wimmerte: „Haltet ein! Ihr handelt gegen das Gesetz Eurer Rasse!“
Die Himmelsbotin zuckte die Schultern. „Weißt du, warum mich das nicht tangiert?“ Sie strich mit der Schwertspitze um das kaltschweißige Gesicht und schmunzelte hämisch. „Wusstest du, Dämon, dass Engel in einem schwachen Körper mit einem noch schwächeren und naiven Geist interniert12 sind? Wenn wir fallen, befreien wir uns von unseren debilen Doktrinen13. Dann dienen wir endlich uns selbst und nicht mehr allen anderen.“ Die Frau holte aus und ihre Tunika wallte auf, gleichzeitig stürmten Bernstein und Rumen herbei, doch sie würden den Todesstoß nicht rechtzeitig abwenden können. Maroon ergab sich seinem Schicksal.
Der erwartete Schmerz kam jedoch nicht und des Weiteren wurde der rotbraunhaarige Dämon unversehens losgelassen und brutal zu Boden gestoßen. Sogleich bemühte der letal verletzte Krieger seine Selbstheilungskräfte und realisierte, wie sein Leben am seidenen Faden hing. Sein Atem ging flach und seine Gliedmaßen waren so schwer wie Steine. Er hörte Kampfgebrüll, Erde wirbelte neben ihm auf, schwere Schritte trampelten unweit neben ihm auf den Boden, Klingen klirrten aneinander, Schmerzensschreie ertönten, doch Maroon wagte es nicht aufzusehen, aus Sorge, aus seiner Konzentration gerissen zu werden. Allmählich spürte der lädierte Dämon, wie seine inneren und äußeren Wunden zu heilen begannen, und er riskierte einen Blick.
Amarillo! Er hatte die Gefangenen befreit und somit hatte ihr Bataillon Verstärkung bekommen! Vier der wiedergefundenen Gefährten kämpften Seite an Seite mit Bernstein und den anderen. Sie trieben die Engelsbrut in die Enge.
Letztendlich schnappten sich die Weichfedern ihre invaliden Kameraden, materialisierten schneeweiße, gigantische Schwingen mit abgerundeten, samtweichen Federn und flohen in den bereits lichter werdenden Morgenhimmel.
Bernstein war noch baff über den plötzlichen Rückzug, als Siegesjubel rund um ihn erklang. Sind die Engel tatsächlich besiegt? Und was ist mit unseren Kameraden? Er blickte sich nach seinen Gefährten um. Bis auf Maroon war keiner schwerwiegend verletzt, doch als adulter Dämon würde dieser die Läsion14 bald heilen können.
Da entdeckte er Lime, die freudestrahlend auf ihn zugerannt kam und Bernstein wurde warm ums Herz. Am liebsten hätte er sie umarmt. Doch als sie keuchend bei ihm ankam, nickte er der eindrucksvollen Dämonin nur anerkennend zu.
Maroon rappelte sich ungläubig und sprachlos vor Glück hoch, kam nicht so recht auf die Beine, als sich eine Hand in sein Blickfeld streckte und ihm wortlos anbot, ihm aufzuhelfen. Der adulte Dämon blickte hoch in das schmale, hochmütige Gesicht einer Dämonin mit lavendelfarbigen Haaren. Er nahm die Hilfe an und sprach, während er sich aufziehen ließ: „Ihr seid in letzter Sekunde eingeschritten.“
Die Dämonin namens Orchid entgegnete in ihrer gewohnt schroffen Art: „Wir hätten auch auf eine ehere Befreiung gehofft. Wo sind die anderen!? Wo ist Cornsilk?“
„Cornsilk hat sich geweigert, euch zu suchen“, mischte sich nun Bernstein ein, trat mit gemimter Selbstsicherheit vor die ihn abfällig anstierende Dämonin. „Wir sind auf eigene Faust losgezogen.“
„Unter Bernsteins Kommando“, betonte Maroon und es war Orchid anzusehen, wie sehr sie an diesen Aussagen zweifelte. Da Dämonen jedoch keine Lügen aussprechen konnten, musste sie die Wahrheit akzeptieren. Ihr Gesichtsausdruck nahm bizarre Züge an. Sie war die Erste Offizierin und hatte neben Cornsilk eine der obersten Positionen inne und er desavouierte15 sie einfach so?
„Wo sind Shakor und Lichtgeel?“, unterbrach nun Bernstein ihre Gedanken und Orchid erzählte: „Sie sind noch bewusstlos. Diese widerwärtigen Engel haben ihr Blut getrunken, so viel, dass sie sich noch immer nicht erholt haben. Sie wollten auch von mir trinken, aber mein Blut ist ihnen nicht wohl bekommen.“ Die Dämonin mit dem einseitig kahlrasierten Haupt grinste schadenfroh.
„Engel trinken Dämonenblut?!“, ekelte sich Bernstein.
„Diese jedenfalls schon“, gab Orchid bissig zurück und trieb dann zur Eile an, ins Lager zurückzukehren.
„Moment. Bernstein hat die Befehlsgewalt“, warnte Rumen die Offizierin, doch diese lachte nur spöttisch auf und winkte die Clanmitglieder herbei. Keiner rührte sich von der Stelle, niemand wollte ihrem Befehl Folge leisten.
„Was soll das! Wollt ihr desertieren!?“, echauffierte16 sich Orchid und Amarillo konterte: „Ohne Bernstein wärst du noch immer in Gewalt der Weichfedern, du Daunenhirn! Er ist der Chef!“
Das Gesicht der Dämonin wandelte sich in eine furchteinflößende Fratze und mit gefletschtem Gebiss tat sie ein paar schnelle Schritte Richtung des Großmauls, doch einige der Clanmitglieder stellten sich ihr in den Weg und verdeutlichten so ihre Überzahl. „Wartet, bis wir erst im Lager sind!“, fauchte die junge Frau.
„Undankbares Biest!“, zischte Lime, die dicht neben Bernstein stand, doch dies hörte Orchid nicht.
Die Gefährten waren nach einer langen, mühseligen Reise in ihrem Refugium eingekehrt, denn sie hatten die Strecke größtenteils ohne Dimensionstor zurücklegen müssen, bis Maroon genesen gewesen war. Sie wurden mit Überraschung und Jubel empfangen und allmählich scharte sich der ganze Clan um die kleine Gruppe siegreicher Dämonen.
Maroon, der zwar noch von hässlichen, frischen Narben übersät war, aber sich ansonsten weitgehend erholt hatte, posaunte: „Das haben wir nur Bernstein zu verdanken, der die Hoffnung nicht aufgegeben hat!“
Bernstein senkte verlegen sein Haupt. Unversehens teilte sich die Menge und das Getratsche verstummte, als ein stämmiger Dämon mit ein-fingerbreit kurzrasiertem, beige-grauem Haar und Militärkleidung in das Zentrum des Trubels trat. Orchid begab sich sogleich an die Seite des grimmig in die Runde starrenden Clanoberhauptes. Der Warlord taxierte den bernsteinfarbenen Lockenkopf, schwieg minutenlang. Kaum merkbar war die Menge zurückgewichen, hatte mehr Abstand zu den Rebellen hergestellt. Die Stille knisterte unheilvoll zwischen den Fronten. Bernstein blieb standhaft mit herausgestreckter Brust stehen, dicht neben ihm seine Adjutanten Lime und Maroon. Innerlich jedoch fühlte sich Bernstein fürchterlich unwohl in seiner Haut.
Der stechende Blick des Clanoberhauptes durchbohrte ihn förmlich und die mächtigen Oberarme, in denen sich nervös zuckend die Muskeln spielten, ließen ihm mulmig zumute werden. Schließlich grollte der Anführer mit leiser, bedrohlicher Stimme: „Wer meine Befehle missachtet, ist ein Verräter.“ Bernstein blieb stumm, legte die Hand kampfbereit auf den Griff seiner Waffe. „Arretiert die Verräter!“, befehligte Cornsilk und entblößte seine spitzen Eckzähne. Der orangegelockte Teenager riss sein Schwert aus der Scheide, genauso wie seine Gefährten, die von Cornsilks getreuen Gefolgsleuten angegriffen wurden. Eine Schlacht entbrannte. Das Klirren der aneinanderschlagenden Klingen dröhnte peinvoll in Bernsteins Ohren. Das hatte er nicht gewollt!
Lime schrie qualvoll auf, als scharfe Schneiden ihre Arme zerschnitten, und als Bernstein das Blut im Kontrast zu ihrer blassen Haut sah, fühlte er eine unerklärliche Panik in sich implodieren. Er schlug die Widersacher zur Seite und drängte Limes Peiniger zurück. Mit gefletschtem Gebiss drohte er seinen Gegnern. Doch die Hoffnung verließ ihn. Wie soll ich gegen so viele verblendete Stumpffedern bestehen können?
„Ich fordere dich zum Duell heraus!“, skandierte der Clanführer.
„Beweise Ehre und stelle dich mir, Bernstein!“
„Ruf deine Leute zurück! Lass meine Freunde gehen und ich werde mit dir kämpfen!“
„So sei es! Clan! Macht Platz für eine Manege!“
„Du musst schwören, dass du alle, die sich an der Befreiungsaktion beteiligt haben, ungeschoren davonkommen lässt! Dass ihnen keine Nachteile entstehen und sie weiterhin alle Rechte im Clan haben!“, insistierte der gelockte Teenager und Cornsilk stimmte schließlich zu. „Sie alle sind meine Zeugen!“ Bernstein führte seine ausgestreckte Hand im Halbkreis herum. „Stehe zu deinem Wort. Sei ein einziges Mal ein ehrenhafter Anführer!“
Mit einem cholerischen Brüllen war der Clanführer herbeigerast und während er mit dem kleineren Dämon die Klingen kreuzte, fauchte er: „Du wagst es …!“
Bernstein stemmte sich mit all seiner Kraft gegen den Druck des Breitschwertes, Funken sprühten, als er abrutschte und seitwärts stolperte, doch sich sogleich fing und gerade noch einem gnadenlosen Hieb auswich. Die zahlreichen Schnallen an Cornsilks Militärhose klirrten, musizierten ein fürchterliches Orchester und ließen die Fehde noch schauerlicher erscheinen. Der selbsternannte Warlord war für seine Erbarmungslosigkeit bekannt. Er würde sich mit Bernstein bis zum bitteren Ende duellieren, und da der rabiate Clanchef dem Jugendlichen überlegen war, wusste Bernstein, er würde diesen Kampf nicht überleben. Alles, was er tun konnte, war, sich so lange wie möglich zur Wehr zu setzen, um nicht als Schwächling zu sterben und dies tat er.
Das goldorangene, lockige Haar war verklebt von Blut. Bernsteins Kraftreserven waren aufgebraucht und er hockte jämmerlich am Boden. Er hatte nicht genügend Energie, um seine Selbstheilungskräfte einzusetzen. Der unbarmherzige Clanführer war zwar ebenso geschunden von der Schlacht, doch kurierte er die Wunden während Bernsteins Verschnaufpause und schritt nun triumphierend an den erbärmlich im Dreck knienden Rebell heran, fasste brutal in das geschneckelte Haar und riss das Haupt des Intriganten zurück, sodass dessen nackte Kehle präsentiert wurde.
Mit gefletschten Zähnen hob Cornsilk den muskulösen Arm und stellte zufrieden fest, dass der Schwächling keine Intention mehr zeigte, sich der Enthauptung zu entziehen. Ein maliziöses Grinsen verunzierte das scharfkantige Gesicht mit dem breiten Kiefer.
„NEIN!“, schrillte Limes verzweifelte Stimme, doch die herbeistürmende Dämonin wurde von Cornsilks Vasallen daran gehindert einzugreifen. „Nein!“, schrie Lime eindringlich, „Bernstein ist der bessere Anführer! Vereint euch! Zusammen sind wir stark!“
„Bringt diese Kanaille zum Schweigen“, knurrte Cornsilk nur und sah mit verengten Augen zu, wie sie und andere randalierende Meuterer von seinen getreuesten Gefolgsleuten in einen Kampf verwickelt wurden.
Unversehens spürte der Warlord einen Schmerz in den Knien und sackte zusammen, denn Bernstein hatte sich zur Seite gedreht und mit all seiner zurückerlangten, letzten Kraft gegen seine Beine getreten. Wutentbrannt schlug Cornsilk den intriganten Kerl mit dem Knauf seines Schwertes bewusstlos, stellte einen seiner schweren Stiefel auf den Kopf des am Boden liegenden Schwächlings und hob seine Waffe mit beiden Armen weit über sein Haupt. „Seht alle her! Das widerfährt allen, die mich verleumden!“
1. The only True Wisdom
Is in knowing you know nothing (Sokrates17)
Knapp ein Jahrzehnt zuvor:
Der Junge, der so einsam, sein kindliches Gesicht gezeichnet von Melancholie, in dieser grünen Idylle hockte, ließ seinen trübsinnigen Blick über die Gefilde streichen. Ein lauer Wind kam auf und streichelte sanft seine Wangen, als würde die personifizierte Schönheit der Natur das verwaiste Kind in eine tröstende Umarmung betten. Der Halbwüchsige schloss die Lider und genoss die Berührung auf seiner Haut.
Die blauen Augen öffneten sich langsam, schweiften umher, besahen die hohen Farngewächse, die Büsche, Bäume und die satten, grünen Wiesen. Seine Heimat leuchtete in den schönsten Grün-, Gelb- und Brauntönen. Andere Farben jedoch suchte man hier vergebens, denn es gab keine Blumen, denn schließlich existierten auch keine Bienen, die die Blüten bestäuben konnten. Diese Welt, in die der Junge geboren worden war, war leer von Lebewesen, bis auf eine einzige Existenzform – die Rasse, der er angehörte. Dämonen.
Letztendlich waren Farben überflüssig, denn die Haare der Bewohner dieser Dimension schimmerten in den wundersamsten Kolorationen, als wären sie Ausdruck ihrer Persönlichkeit, genauso wie ihre ganze Erscheinung die Verkörperung ihrer Wesenszüge, Ambitionen und persönlicher Präferenzen war. Der Junge besah seine Hände und fragte sich zum wiederholten Male: Warum bin ich hier? Was macht mich aus? Bin ich nicht aus Fleisch und Blut, so wie meine Dimensionsnachbarn, die Menschen? Wir sehen aus wie diese sterblichen Wesen, doch sind wir nicht gleichzeitig eine Manifestation unserer ureigensten Energie?
Wir sind nicht gefangen in dem gleichen begrenzten Körper und unser Molekülverband ist keiner Halbwertszeit verfallen, denn unsere Hüllen können nicht altern, können nicht von Krankheiten heimgesucht werden, solange unsere Energie ungehindert fließen kann. Doch woher beziehen wir diese Energie?
Der Frischling fasste in seine Hosentasche, holte eine tiefschwarze Feder hervor, spitzzulaufend und so nadelscharf, als wäre das sonst weiche Material als tödliche Klinge einsetzbar. Wehmütig ließ er die Äste der Feder durch Daumen und Zeigefinger gleiten. Was ist das für ein erdrückender Schmerz in meiner Brust? Warum tut es so weh? Diese Feder gehörte seinem Vater.
Dieser war nie zugegen gewesen, hatte sich niemals um seinen Spross gekümmert und keine fürsorgliche Energie verschwendet, um seinen Sohn zu beschützen, geschweige denn, ihm alle Fragen zu beantworten.
Wenn Dämonen unsterblich sind, warum ist meine Mutter dann nicht mehr am Leben? Was musste geschehen, um einen Dämon zu vernichten?
Und wie mag sie wohl gewesen sein, meine Mutter?
Das Kind fixierte verwirrt einen Farbklecks zu seinen Füßen. Wie konnte das sein, wie war es möglich und warum erblühte gerade hier eine Blume mit strahlend pinken Blüten, hier an dieser Stelle, an der er kurz zuvor eine Entscheidung gefällt hatte? Einen Entschluss gefasst hatte, der womöglich sein Leben verändern könnte.
Der Dämonensprössling stieg über das eigenartige Phänomen hinweg, richtete seinen Blick vorwärts, dem nächsten Ziel seines Vorhabens entgegen und zielstrebig stapfte er aus dem Dickicht über die wogenden, leuchtend grünen Wiesen, die in einem beschwörenden Rauschen musizierten, als wollten sie den Jungen anspornen, oder aber ihn zurückhalten. Es gibt kein Zurück. Ich möchte endlich, endlich die Achtung meines Vaters erlangen. Ich kann nicht mehr so leben, geringgeschätzt und wie Abschaum behandelt.
Der Junge kletterte über den einfachen Holzzaun, der schlampig mit ein paar Brettern zusammengenagelt worden war, besah missbilligend das ganze Geröll, das den wunderschönen Rasen verunzierte. Viele der fremdartigen Gefäße und Gestelle, die mit Gewissheit aus einer anderen Dimension entwendet worden waren, waren verrostet und ihr Nutzen wollte sich dem Dämonenfrischling nicht offenbaren. Der kleinwüchsige Junge marschierte an einem rostigen Fass vorbei, drehte sich um und starrte interessiert hinein, als dessen Oberfläche glitzerte, doch es war nur Wasser, das sich in der Tonne gesammelt hatte und das Gesicht des Jungen reflektierte. Das Kind betrachtete seine saphirblauen Augen und die dunkelgrünblauen, kinnlangen, glatten Haare im Spiegelbild, stellte mit Zufriedenheit fest, dass seine gleichmütige Mimik nichts von seinem inneren Aufruhr, der Furcht vor seinem Vorhaben, offenbarte. Dämonen tragen die Namen ihrer Haarfarbe, demnach werde ich Teal genannt, auch wenn dies nicht von Belang ist, die meisten nennen mich schließlich nur Menschling. Eine entwürdigende Bezeichnung, die wohl diffamierendste18 Beleidigung im Dämonenreich, da Menschen bei Weitem nicht die Kräfte eines Dämons innehatten und vollkommen wehrlos im Falle eines Angriffes wären. Heute werde ich es ihnen jedoch beweisen, werde zeigen, wozu ich fähig bin und sie werden gezwungen sein, mich mit Respekt zu behandeln. Vater, du wirst mich nicht mehr mit Ignoranz demütigen, denn wenn Vertraute des Dämonenführers von mir sprechen, musst auch du mir letztendlich Beachtung schenken! Das Spiegelbild reckte das Kinn nach vorne und mit einem entschlossenen Lodern in den Augen tauchte es davon, denn Teal hatte sich von dem Fass entfernt und setzte seinen Weg fort zu einem Dämon namens Kupfer, der als Konfident von Saphir galt. Saphir, das Oberhaupt der Dämonen. Genauso gefürchtet wie verehrt.
Unversehens erklang ein haarsträubendes Kreischen direkt über dem Dämonenfrischling, der sich sogleich alarmiert wegduckte, sich abrollend unter einem rostigen und modernden Kastengestell verschanzte und frappiert das Schauspiel hoch oben am Himmel beobachtete, wo ein riesiges Ungeheuer mit kurzem Hals, spitzzulaufender, schnabelähnlicher Schnauze, schmutzigem, gelb-orangenem Gefieder und langem, echsenartigem Schwanz die Luft durchschnitt. Ein adulter Dämon mit metallisch schimmerndem, bräunlichem Haar folgte dem sich abstrus windenden Tier dicht auf den Fersen und schwang ein zu einer Schlaufe gebundenes Seil. Es sah aus, als hätte Teal denjenigen gefunden, den er gesucht hatte.
Furchtsam bestaunte der Frischling das sonderbare Biest, dessen ausgerupft wirkenden Flügel viel zu klein für seinen massigen Körper wirkten und das dennoch mit solch rasanter Geschwindigkeit durch den Himmel peitschte, dem geworfenen Seil auswich. Kupfer war als Kreaturensammler bekannt und scheinbar war eine seiner Trophäen, eines seiner Geschöpfe, die er aus anderen Dimensionen bezog, ausgerissen. Zürnend den dick geflochtenen Strick zwischen seinen Fäusten spannend, blieb der Jäger mitten am blauen, unschuldigen Himmel stehen, schlug zeitweise mit seinen majestätischen, lackschwarzen Schwingen, die sicherlich an die vier Meter Spannweite hatten, und analysierte die Lage mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen. Er studierte die Flugbahn des entflohenen Ungeheuers und stieß schließlich urplötzlich vom Himmel herab, tauchte in einem Atemzug19 zehn Meter abwärts, um gleich darauf mit kräftigem Flügelschlag und in einer eleganten Pirouette wieder an Höhe zu gewinnen und das perplex kreischende Wesen von unten her zu überraschen. Wie es schien, hatten die tellergroßen, giftgelben Augen ein eingeschränktes Sehfeld, vor allem, wenn der Angreifer vom eigenen, kugelrunden Körper weitgehend verdeckt wurde.
Kupfer hatte dem wehklagenden Tier die ausgefahrenen Krallen in den Leib geschlagen, allerdings ohne lebensbedrohende Verletzungen zu setzen, denn schließlich stand es nicht in seinem Sinne, sein Sammlerstück nachhaltig zu beschädigen und so packte er das an Höhe verlierende Biest unsanft an den mickrigen und zerflederten Flügeln, warf dann den Strick um das sich wild gebärdende Monstrum und zog die Schlaufe mit einem triumphierenden und diabolischen Grinsen fest, sodass das riesige Tier wie ein Stein Richtung Erdboden stürzte und nur durch Kupfers beeindruckende Körperkraft an einem tödlichen Aufprall gehindert wurde. Mit heftigen Schwingenschlägen hielt sich der Dämon am Himmel, das Seil und den Ballast mit gestreckten Armen und geballten Fäusten umklammert. Seine angespannten Muskeln wölbten sich nach außen, ließen die Adern hervortreten. Behutsam ließ der Dämon das verschnürte Tier zu Boden sinken, landete dann schließlich selbst unweit des immobilisierten Viehs, leichtfüßig und mit einer Anmut, sowie gleichermaßen ein Exempel an physischer Kraft ausstrahlend, wie es nur ein Dämon vermochte. Teal schluckte. Wenn ich mit meinem Anliegen Kupfers Unmut auf mich ziehe, macht er mich zum Engel.20
Ohne jegliches Indiz auf die vorangegangene, körperliche Anstrengung, schritt Kupfer zurück zu seiner Farm, dematerialisierte seine Schwingen, schleifte das lamentierende Bündel hinter sich her und adressierte nur so nebenbei den Frischling, der sich unter dem altertümlichen Leiterwagen versteckt hielt: „Was hast du hier zu suchen? Verschwinde!“
Teal sprang unter dem Gestell hervor, er nahm eiligst eine aufrechte Position ein. „Ich bin der Sohn von Verdin und möchte Euch ein Angebot unterbreiten!“
Der unbeirrt weiterschreitende Dämon schmunzelte, sprach geringschätzig: „Nun. Sohn von Verdin.“ Das Knurren wurde mit jedem Wort bedrohlicher. „Was könntest du mir anbieten, das mein Interesse weckt und meine Gram lindert über dein unbedachtes Eindringen in mein Landgut?“
„Ich fange einen Rarackoon für Euch.“ Teals feste Stimmlage verriet in keiner Weise seine Unsicherheit, denn im Grunde genommen war sich der Dämonenjunge nicht sicher, ob Kupfers Sohn Zinn ihn nur veralbert hatte, als er von dem begehrten Sammlerstück erzählt hatte, dessen Erwerb sogar Kupfer persönlich zu waghalsig erschien. Der Dämon mit dem metallisch schimmernden, stachelig abstehenden Haar und den breiten Schultern, taxierte den Sprössling von Kopf bis Fuß, schwieg gut dreißig Atemzüge21 lang und brach dann schließlich in ein homerisches22 Gelächter aus. Teal biss die Zähne zusammen, versicherte mit ernstem Blick: „Errichtet mir ein Dimensionstor und ich beweise Euch meine Mündigkeit.“ Kupfer grinste maliziös.
Und so kam es, dass das Dämonenkind zum ersten Mal in seinem Leben in einer anderen Dimension einkehrte. Kupfer hatte ihm einen Dimensionsdurchgang zu dieser entlegenen Welt erbaut und Teal war ehrfürchtig durch das raumverzerrende, im blauen Schein pulsierende Energietor getreten. Oder war es doch nicht das erste Mal? Teal konnte sich an seine frühe Kindheit kaum und an wenige Begebenheiten nur vage erinnern und tief in seinem Inneren spürte er, dass er nicht immer in der Dämonendimension verweilt hatte, denn diese gab ihm nicht ein Gefühl von Heimat, obwohl er seine grüne Dimension, die in allen Ecken und Enden mit reiner, unverfälschter Energie erblühte, so bedingungslos liebte. Teal strich mit den Fingern beim Vorübergehen ein gezacktes Blatt entlang, das bräunlich-grün nahe der Ausdörrung stand, denn hier mussten die Pflanzen um Wasser und Nährstoffe rivalisieren, angewiesen auf Regen und auf Tiere, die sie düngten oder ihre Vermehrung garantierten. Dieser bittere Überlebenskampf war spürbar in der schwachen Energie, die dieser Strauch, sowie die meisten der Grünpflanzen hier innehatten und wenn der kleine Dämon sie berührte, fühlte es sich an, als würde ein Hilferuf in seinem Herzen sprießen: „Gib mir Wasser, gib mir Nahrung!“
Kupfer hatte dem Frischling drei Tage gewährt, doch ihn gewarnt, würde Teal nicht rechtzeitig oder ohne Beute das Tor zurück in die Dämonendimension betreten, würde er für immer in der unwirtlichen, fremden Welt gefangen sein.
Entschlossen schlich der Junge durch den Horst, kämpfte sich durch die Gebüsche und flehte, er möge sie bald aufgestöbert haben, die Rarackoons, drachenähnliche Wesen, deren Sozialverhalten und ausgeprägter Herdensinn es unmöglich machte, ein Jungtier zu entwenden. Kupfer begehrte nichts mehr als einen Rarackoonwelfen, wie er nun selbst bestätigt hatte, da es beinahe an das Unmögliche grenzte, ein Tier dieser Rasse zu fangen, denn die Herde würde jedes Mitglied bis auf den Tod verteidigen. Teal war sich der Absurdität, der Widernatürlichkeit dieses Vorhabens bewusst, denn normale Dämonen hatten keinerlei Verwendung für sterbliche Wesen, hatten keine Motivation, für ihr Überleben Sorge zu tragen. Kupfer jedoch war ein Sonderling unter den Dämonen und er war nur deshalb nicht geächtet, da er mächtig genug war, sich außer Feinden sogar Freunde zu machen. Gefährliche Freunde wie den Dämonenführer selbst. Saphir duldete den widernatürlichen Jäger- und Sammlertrieb Kupfers und ließ ihn gewähren.
Der angespannte Dämonenjunge blickte sich immerzu nervös um, verunsichert durch die Fremdartigkeit dieser Dimension, die vielen Geräusche verursacht von allerlei Getier, das sich in der Erde und in der Luft tummelte. Ein kleines Insekt landete auf seinem Arm, im Inbegriff sein Blut aus der Haut zu saugen, besann sich aber dann eines Besseren oder fand einfach nur keine Stelle, an der es ansetzen konnte. Umschwirrt von blutsaugenden Insekten trippelte der Junge weiter, entdeckte eine Menge anderer Lebewesen, jedoch keine Rarackoonherde. Nach stundenlanger Suche ließ sich Teal an einer moosbewachsenen Lichtung nieder, bettete sich in den weichen, grünen Teppich und bestaunte die Moospflänzchen, die für ihn so winzig aussahen, doch für das Insekt, das sich darin tummelte, wie ein Wald erscheinen musste. Und die Pflänzchen sahen tatsächlich aus wie kleine Bäumchen, wenn man die Welt mit anderen Augen betrachtete. Wäre es möglich, dass ein Riese genau in diesem Moment auf mich herabsieht und den Wald rund um mich nur als Moos wahrnimmt? Als stacheliges, dürres Moos, viel weniger ansehnlich als diese satten, grünleuchtenden Pflänzchen vor der Nase des Dämons, die Wasser und Lebensenergie gespeichert hielten, die dem müden Jungen neue Kraft verliehen.
Schließlich war der Frischling in einen erholsamen Schlaf gefallen. Als er erwachte, beobachtete er sorgenvoll, wie der Himmel errötete, ein neuer Tag angebrochen war. Warum errötete der Tag? In der Dämonendimension gab es dieses Phänomen selten. Schämte er sich etwa für die Stunden, die folgen würden? Der Dämon musste sich sputen und setzte sorgenvoll seine Suche fort, denn wenn er am dritten Tage vor Sonnenuntergang nicht durch das Tor, das sich nur für einen kurzen Moment öffnen würde, trat, würde er für immer hier verweilen müssen, es sei denn, sein Vater machte sich die Mühe ihn abzuholen, was sehr unwahrscheinlich war. Wenn meine Macht doch endlich an die meines Vaters heranreichen würde, dann wäre ich nicht auf die Dimensionstore anderer angewiesen und würde mir einfach selbst welche weben.
Der Dämonensprössling war wieder stundenlang ohne ein Indiz auf eine Rarackoonherde unterwegs gewesen und er fragte sich zurecht, ob Kupfer ihn absichtlich an einer zufälligen Stelle dieser ungemütlichen Dimension ausgesetzt hatte, statt ihn direkt zu dem Zielort zu führen, oder hatte es der einflussreiche Dämon tatsächlich nicht besser gewusst?
Nach weiteren neun Mondbreiten23 vernahm der verdrießliche Frischling ein fernes Gurren und Knurren, schlich achtsam näher und endlich hatte er sie aufgespürt!
Der Dämonenjunge bestaunte ehrfürchtig die riesigen Wesen mit ihrer grün, rot, gelb und teils silbern schimmernden Schuppenhaut, den langen, muskulösen Beinen mit den kräftigen Tatzen und langen Zehen, den langen Hälsen und den kunstvoll spiraligen Kopfhörnern, die wie eine Verlängerung des Hinterkopfes wirkten. Vom Hals bis zum Schwanzende zog sich ein bei den meisten Tieren roter, teils aber auch brauner oder gelb-brauner, gezackter Hautlappen, der wie eine Mähne aussah. Eine der Bestien war gigantisch, hätte Teal problemlos als Ganzes verschlingen können, die Zähne des Wesens waren so lang wie er selbst. Das silbrig-grüne Monster witterte, schien immer auf der Hut und dirigierte die anderen Drachenwesen mit kehligen Rufen, ihm zu folgen. Scheinbar war dies der Anführer der Meute. Ein bulliges Tier mit unterschiedlich langen Kopfhörnern holte zu dem Leittier auf und legte seine Schnauze sanft auf den Hals des größeren Tieres. Der Dämonenjunge folgte der Herde, observierte sie, denn ein direkter Angriff wäre reinster Suizid. Ihm blieb nicht viel Zeit, ihre Gewohnheiten und Schwächen zu studieren, bevor er sich ein Jungtier schnappen und sich zurück in seine Dimension flüchten konnte. Während seiner Observation wurde Teal Zeuge von überraschenden, sozialen Verhaltensweisen dieser Schuppentiere, von Lauten, die an Kommunikation denken ließen, und einer erfolgreichen Jagd. Die Rarackoons waren begabte Jäger. Der Frischling begann seine Intentionen zusehends in Frage zu stellen. Wie sollte er diesen wachsamen und unglaublich kräftigen und geschwinden Wesen einen ihrer Sprösslinge entwenden?
Bald stellte der Dämonenjunge fest, dass er einem Irrtum erlegen war, als er automatisch angenommen hatte, das Leittier wäre männlich, denn in Wahrheit handelte es sich um ein Weibchen und der kleinere Drache mit den unterschiedlich langen Hörnern war ein Bulle. Der Dämon bemerkte, dass das Rudel sich nur innerhalb eines begrenzten Gebietes aufhielt und eine der Bestien nur zeitweise zu den anderen stieß und sich ansonsten im Dickicht versteckte. Bei Nacht lagerten die Monster rund um diesen kleinen Horst, stets mindestens ein Tier als Wächter, als wollten sie etwas beschützen, das sich im Gehölz befand. Und so übte sich der Dämonenjunge weiterhin in Geduld, wartete die Nacht ab und den nächsten Morgen, solange bis das gelbrot gesprenkelte Weibchen mit dem wuchtigen Hornansatz endlich wieder ihr Versteck zum Fressen verließ. Mit stockendem Atem schlich Teal immer näher, duckte sich im hohen Gras und robbte mit klopfendem Herz durch Abschnitte, die weniger Schutz boten. Die Furcht, entdeckt und zerfleischt zu werden, schnürte ihm die Kehle zu.
Letztendlich hatte er das Gebüsch erreicht und er lief so geräuschlos wie möglich, den Spuren der Bestie folgend, tiefer in das Wäldchen. Ihm blieb nur mehr wenig Zeit, vermutlich hatte sich das Tier bereits auf den Rückweg begeben. Beinahe wäre der rennende Junge über ein plötzlich auftauchendes Hindernis gestolpert und atemlos erkannte er das fauchende Miniaturmonster als Rarackoon, scheinbar ein Junges, gerade mal kniehoch. Teal versuchte die Warnlaute des fletschenden Tieres aus seiner Wahrnehmung zu verbannen, um auf verdächtige Geräusche, wie etwa das Knacken von Holz, zu achten, denn es war nur mehr eine Frage der Zeit, wann das Muttertier die Hilferufe ihres Sprösslings vernehmen würde. Er musste sich jetzt rasch entscheiden, denn dies war seine einzige Chance und mit einem tiefen Atemzug warf sich der Junge auf das zurückweichende Tierbaby. Mit lautem Gekreische strampelte das Biest in seiner Umklammerung und Teal hatte große Mühe, es festzuhalten. Die Mutter war nun mit Gewissheit direkt auf dem Weg zu ihrem Nest. Panisch setzte der Dämonenjunge zu einem Spurt an, doch das zappelnde Vieh in seinen Armen biss um sich, setzte zahlreiche Wunden mit seinen nadelscharfen Hauern und obgleich Teal die Zähne zusammenbiss, wusste er, er würde eine Flucht unter diesen Umständen nicht erfolgreich meistern können. Ein laut grollendes Knurren ertönte und Teal riss panisch die Augen auf. Oh nein! Das Muttertier kommt!
Da entdeckte er in dem riesigen Nest ein einziges intaktes Ei unter all den Eierschalen, aus dem die Jungtiere scheinbar vor nicht allzu langer Zeit geschlüpft waren. Das Ei hatte bereits Risse und ein gelbes Auge mit roter Pupille sah ihm aus dem Schlitz entgegen. Sogleich ließ der Dämon den Rarackoonwelfen los, doch dieser hatte sich in seinen Hals verbissen. Teal zog und zerrte, fühlte wie die kleinen Hauerzähne eine Halssehne anritzten. Der Junge versuchte all seine Willenskraft zu mobilisieren, um seine Krallen wachsen zu lassen, doch es wollte ihm nicht gelingen. „AAHH!“ Teal schrie auf, als sich ein Stück Fleisch aus seinem Hals löste, doch diese Pein ließ seine Klauen endlich hervorschießen und er zerrte das aufquietschende Biest von sich und schleuderte es ins Gebüsch. Dann schnappte er sich das Ei mit der noch nicht vollständig geschlüpften Echse darin. Keinen Moment zu früh war Teal in das Gehölz gerannt, denn das Gegröle hinter ihm war ohrenbetäubend laut geworden und die Erde erbebte, denn nicht nur das Muttertier, sondern auch weitere Tiere der Herde rissen die Bäume um, als sie zu dem geplünderten Nest stürmten.
Der Junge mit dem unhandlichen Ballast in den Armen stürmte panisch durch das Dickicht und ignorierte die seine Haut aufreißenden Äste und Dornen. Er stolperte, fing sich und rannte weiter. Plötzlich hörte der Boden zu vibrieren auf und das kehlige Knurren verklang. Teal lauschte, doch alles, was er hörte, war das wilde Trommeln seines Herzschlages. Hielten die drachenähnlichen Wesen ihre Schnauzen in die Luft und hatten bereits die Witterung nach ihm aufgenommen? Teal wäre vor Zittern beinahe gefallen, doch er reagierte rasch mit zusätzlichen schnellen Schritten. Er spurtete keuchend weiter, hüpfte über eine Wurzel und landete schließlich am mit Blättern und Tannennadeln übersäten Boden des Waldrandes. Voller verzweifelter Hoffnung hastete der keuchende Dämon über die Wiese, hielt direkt auf eine verdächtige Wölbung am Horizont zu und umso näher er kam, umso mehr wurde er die Befürchtung nicht los, dass diese Wiese in einem Abgrund endete. Teal wäre fast das schwere Ei aus den Armen gefallen, als der Untergrund plötzlich erbebte und einen kurzen Blick nach hinten riskierend, musste er schockiert feststellen, dass zahlreiche wütende Rarackoons aus dem Wäldchen gestürmt kamen und mit geifernden Mäulern direkt auf ihn zu hielten. Der Junge versuchte nochmals, einen Zahn zuzulegen. Wenn es sich dort vorne um ein Kliff handeln sollte, dann hätte er keine andere Wahl, als zu springen.
Teal hatte das Ende des Plateaus erreicht und zu seiner Erleichterung fiel der Hang steil, aber nicht senkrecht ab und obgleich es sicherlich an die zwölf Schwingenspannen24 in die Tiefe ging, sprang der panische Frischling so weit er konnte, landete, eines Dämons würdig, gekonnt auf den Füßen und schlitterte dann den erdigen Abhang hinab. Er hatte kaum die Hälfte des Hanges hinter sich gebracht, als heftige Erschütterungen und aufwirbelnder Staub ihm die Sicht und Orientierung nahmen. Seine Verfolger waren ebenfalls über den Abgrund gesprungen. Der Junge zog sich den weiten Wollpullover über den Mund, setzte hustend, mit tränenden Augen seine Flucht fort, wankte aufgrund der bebenden Erde, doch plötzlich wurde er von einem harten Stoß von den Füßen geschleudert. Kurz darauf realisierte Teal, dass er von einem Erdrutsch erfasst worden war.
Der Dämon strampelte hektisch, um sich über dem Geröll zu halten, ließ das Ei dabei jedoch nicht los. Harte Erde schlug schmerzhaft gegen seine Schultern, seine Rippen, Hüften und Knie. Die Talfahrt kam zu einem jähen Stillstand. Spuckend und hustend, richtete sich der lädierte Junge auf, sah mit Entsetzen, dass die zornigen Bestien vor ihm ins Tal gestürzt waren, sich brüllend und wimmernd unbehände aufrappelten und verwirrt nach ihren versehrten Gefährten riefen mit ihren gurrenden Geräuschen. Ihre Kiefer waren monströs, die Zähne riesig und in ihren Hälsen spannte sich eine stählerne Muskulatur unter der Echsenhaut. Die mächtigen Tiere krochen über- und untereinander und versuchten sich zu orientieren. Teal musste ihre Benommenheit nutzen, um zu flüchten, doch es gab keinen Ausweg, denn schließlich gab es kein Zurück und vorne lauerte die Meute. Da entdeckte der vor Furcht beinahe paralysierte Frischling ein Erdloch und zwängte sich und seine Beute mühevoll hinein. Blieb nur zu hoffen, dass dieser Tierbau nicht mehr behaust war. Der Dämon bangte, ob der Erdgeruch, von dem er bedeckt war, ausreichen würde, um zu verhindern, dass die tobenden Rarackoons seine Fährte aufnahmen.
Mit verstreichender Zeit und allmählich leiser werdenden Knurrtönen schöpfte Teal Hoffnung, dass er die Bestien abgehängt hatte, und er nutzte die Zeit des Ausharrens zur Regeneration. Auch wenn er nicht von den aktiven Selbstheilungskräften Gebrauch machen konnte wie ein adulter Dämon, so war der Heilungsprozess dennoch beachtlich. Mit der regenerierten Energie verengten sich auch zusehends die Löcher in der zerrissenen Kleidung und Teal fragte sich, was es über seinen Charakter wohl aussagen mochte, dass er eine schlichte, braune Stoffhose und einen viel zu weiten, roten Pullover trug. Die dämonische Energie manifestierte sich bei jedem Dämon in Form eines individuellen Kleidungsstils und jener spiegelte Gesinnung und Einstellung wieder. Anders als etwa Menschen mussten sich Dämonen nicht einkleiden, denn die Hüllen waren Produkte ihrer ureigensten Energie.
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Wenn Teal jetzt nicht aufbrechen würde, dann hätte er keine Möglichkeit mehr, nach Hause zu kommen und des Weiteren war es fraglich, ob er den weiten Weg zurück zu seinem Ankunftsort überhaupt so rasch mit der zusätzlichen Last zurücklegen konnte. Teal wurde von einem mulmigen Gefühl förmlich überrannt. Als der Dämonenjunge den Canyon entlangwanderte, teils noch humpelte, lauschte er erstaunt dieser Stille und mit dem trügerischen Gefühl der Sicherheit verfiel der Erleichterte in einen Spurt. Eine sanft ansteigende Anhöhe führte Teal wieder zurück auf die Ebenen und eilig rannte der Junge der tief stehenden Sonne entgegen, angetrieben von der Sorge, das Tor nicht rechtzeitig zu erreichen.