Bilder vom Erzählen - Wolfgang Hilbig - E-Book

Bilder vom Erzählen E-Book

Wolfgang Hilbig

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Beschreibung

›Bilder vom Erzählen‹ ist Wolfgang Hilbigs letzter Gedichtband. Er erschien – illustriert mit Radierungen von Horst Hussel – im Jahr 2001, ein Jahr bevor ihm mit dem Georg-Büchner-Preis der bedeutendste deutsche Literaturpreis zugesprochen wurde. »Seit ich den Dichter Wolfgang Hilbig das erste Mal gesehen und gehört hatte, spürte ich, dass da etwas Ungeheuerliches passiert sein musste. Hier hatte sich etwas Unerhörtes in meine Gegenwart verirrt. Somnambul zielstrebig erforschte der Dichter Hilbig Territorien, die nicht mal als Sperrgebiete gekennzeichnet worden waren, weil sie von jeher als verwunschen galten.« Ingo Schulze Aqua alba Ach, der ganze Garten überschwemmt vom Mond - und Schwärme von Fischen am Weg wie Federn leicht wie zuckende Klingen aus Licht. Sie kennen sich aus sie kennen den Trost der Gemeinsamkeit. Und die weißen Hortensien blühen die ganze Nacht - noch wenn der Mond in seinen Abgrund steigt leuchten sie weiter: wie Phosphor weiß und grün und Wassergeister wenn die Fische durch den Zaun entfliehn haben endlich Heimstatt hier in diesem Blühn.

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Seitenzahl: 31

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Wolfgang Hilbig

Bilder vom Erzählen

Gedichte

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Inhalt

Und dann erscheint das Abendlicht (2000)Salz das ich vergaß (1999)Blicklose Uhr (2000)Aqua Alba (2000)Bilder vom Erzählen (1999/2000)Increatum (1999)Saturnische Ellipsen (2001)1.2.Die Zisterne (1998)Der Schlaf in der Dämmerung (2001)1.2.Die Brise (1986)Seestück für C. (2001)Mittag (2000)Tage. Nächte (1990)1.2.Die Antwort (1987)Unsicheres Ufer (M.) (1999)Inverto (1999)Der Garten von Gerhard Altenbourg (1991)Nachtstück mit Erlen (2000)Elaborat in M. (2000)Nach der Prosa (1999)Die Schwelle (2000)Mondsüchtige Tarantella (2001)Mond. Verlust der Gewißheit (2000)1.2.Rosa mystica (2000)Sommer der Motten (1992)Bruchstück im Sommer (1992)Der Zufall. Gedicht zu meinem 60. Geburtstag (2001)Passage (o.J.)Passat (2000)Pro domo et mundo (1993)Anmerkung zu Der Garten [...]

Und dann erscheint das Abendlicht: die Zeit sich fortzustehlen –

und wär dein Wort entworfen ganz aus dem Silber der See:

könntest dus weitersagen in dem antwortlosen Lärm?

Jetzt da Zeit ist das Vergangne zu wandeln in eine Eloge

in Abwesenheit der Klage?

Die lautlosen

die myrrhenverdunkelten Höfe der Klage: niemand betritt sie …

Es blieb davon ein Blitzen in der Takelung

irrend von Mastbaum zu Mastbaum …

Und das Übrige –

ungehalten trägts die faule Dünung hin: Sumpf steht

am Saum von Ithaka und deines Hauses Flure

verseicht von hundertfacher honigsüßer Freite …

Das Eisen selbst sucht sich den Mann! Welch großes Wort …

Ein Sauhirt bleibst du gehst in Lumpen

die von schlechtem Wein besudelt sind

deine Gestalt ist hin und nimmermehr

fällt dir Verstellung vom Gesicht.

Salz das ich vergaß – unerschöpftes Salz in den Tiefen

jeglicher Spur: Reinheit die plötzlich austritt in der Straße

unbeschrieben von den Dichtern auf ihrem Rückzug –

unsichtbar für die Sprachlosen auf der Flucht aus der Dunkelheit –

Geruch der Meerflut auch hier in der herbstlichen Strömung

des Halblichts zwischen den Häusern: wiederholter November

der aus dem Wald tritt und die Gespensterküste der Stadt erreicht …

Licht: kenternd im Rücken einer Mondphase

(Nebel der zerfließt

und im Schlamm den Schimmer von Salz hinterläßt –

und das elektrische Aroma einer ozeanischen Wolke

(unsichtbar für den nachtblinden Dichter)

das in den starren Gabeln toter Äste hängt

von denen schwarze Algen tropfen.

Blicklose Uhr sie steckt im Schatten der Tapete

ihr geisterhaftes Antlitz – umkränzt von Arithmetik –

ihr bleiches Leuchten tragt mir eine rätselhafte Botschaft

in den Schlaf: dort haben weder Tag noch Nacht Beginn

und enden nicht: in Endlosschleifen denkt ihr Hirn

die Wege meines Traums voraus

dahin ich ihr nicht folgen will

in tiefe Räume voller Unrast deren Wände Schatten sind.

Hermetisch tickt die Zeit

nicht Tod nicht Leben nichts beginnt –

wie ein schlafender Rabe röchelt die Uhr

und ich wache und wandle und träume doch nur.

Aqua alba

Ach der ganze Garten überschwemmt vom Mond –

und Schwärme von Fischen am Weg

wie Federn leicht wie zuckende Klingen aus Licht.

Sie kennen sich aus sie kennen den Trost

der Gemeinsamkeit.

Und die weißen Hortensien blühn die ganze Nacht –

noch wenn der Mond in seinen Abgrund steigt

leuchten sie weiter: wie Phosphor weiß und grün

und Wassergeister

wenn die Fische durch den Zaun entfliehn

haben endlich Heimstatt hier in diesem Blühn.

Bilder vom Erzählen

Neujahr – und ich sehe das Meer

Thalatta! Thalatta!

Ich sehe das Meer

auf dem Bildschirm: das graue und randlose Meer

auf der stillstehenden Scheibe tief in der Nacht.

Ich sehe das Meer auf einem Hotelfernseher in Lissabon –

Einsamkeit. Konvexe Erstreckung der See. Wogen – lange

Wogenzeilen ziehen davon in horizontloser Unendlichkeit.