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›Bilder vom Erzählen‹ ist Wolfgang Hilbigs letzter Gedichtband. Er erschien – illustriert mit Radierungen von Horst Hussel – im Jahr 2001, ein Jahr bevor ihm mit dem Georg-Büchner-Preis der bedeutendste deutsche Literaturpreis zugesprochen wurde. »Seit ich den Dichter Wolfgang Hilbig das erste Mal gesehen und gehört hatte, spürte ich, dass da etwas Ungeheuerliches passiert sein musste. Hier hatte sich etwas Unerhörtes in meine Gegenwart verirrt. Somnambul zielstrebig erforschte der Dichter Hilbig Territorien, die nicht mal als Sperrgebiete gekennzeichnet worden waren, weil sie von jeher als verwunschen galten.« Ingo Schulze Aqua alba Ach, der ganze Garten überschwemmt vom Mond - und Schwärme von Fischen am Weg wie Federn leicht wie zuckende Klingen aus Licht. Sie kennen sich aus sie kennen den Trost der Gemeinsamkeit. Und die weißen Hortensien blühen die ganze Nacht - noch wenn der Mond in seinen Abgrund steigt leuchten sie weiter: wie Phosphor weiß und grün und Wassergeister wenn die Fische durch den Zaun entfliehn haben endlich Heimstatt hier in diesem Blühn.
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Seitenzahl: 31
Wolfgang Hilbig
Bilder vom Erzählen
Gedichte
FISCHER E-Books
Und dann erscheint das Abendlicht: die Zeit sich fortzustehlen –
und wär dein Wort entworfen ganz aus dem Silber der See:
könntest dus weitersagen in dem antwortlosen Lärm?
Jetzt da Zeit ist das Vergangne zu wandeln in eine Eloge
in Abwesenheit der Klage?
Die lautlosen
die myrrhenverdunkelten Höfe der Klage: niemand betritt sie …
Es blieb davon ein Blitzen in der Takelung
irrend von Mastbaum zu Mastbaum …
Und das Übrige –
ungehalten trägts die faule Dünung hin: Sumpf steht
am Saum von Ithaka und deines Hauses Flure
verseicht von hundertfacher honigsüßer Freite …
Das Eisen selbst sucht sich den Mann! Welch großes Wort …
Ein Sauhirt bleibst du gehst in Lumpen
die von schlechtem Wein besudelt sind
deine Gestalt ist hin und nimmermehr
fällt dir Verstellung vom Gesicht.
Salz das ich vergaß – unerschöpftes Salz in den Tiefen
jeglicher Spur: Reinheit die plötzlich austritt in der Straße
unbeschrieben von den Dichtern auf ihrem Rückzug –
unsichtbar für die Sprachlosen auf der Flucht aus der Dunkelheit –
Geruch der Meerflut auch hier in der herbstlichen Strömung
des Halblichts zwischen den Häusern: wiederholter November
der aus dem Wald tritt und die Gespensterküste der Stadt erreicht …
Licht: kenternd im Rücken einer Mondphase
(Nebel der zerfließt
und im Schlamm den Schimmer von Salz hinterläßt –
und das elektrische Aroma einer ozeanischen Wolke
(unsichtbar für den nachtblinden Dichter)
das in den starren Gabeln toter Äste hängt
von denen schwarze Algen tropfen.
Blicklose Uhr sie steckt im Schatten der Tapete
ihr geisterhaftes Antlitz – umkränzt von Arithmetik –
ihr bleiches Leuchten tragt mir eine rätselhafte Botschaft
in den Schlaf: dort haben weder Tag noch Nacht Beginn
und enden nicht: in Endlosschleifen denkt ihr Hirn
die Wege meines Traums voraus
dahin ich ihr nicht folgen will
in tiefe Räume voller Unrast deren Wände Schatten sind.
Hermetisch tickt die Zeit
nicht Tod nicht Leben nichts beginnt –
wie ein schlafender Rabe röchelt die Uhr
und ich wache und wandle und träume doch nur.
Ach der ganze Garten überschwemmt vom Mond –
und Schwärme von Fischen am Weg
wie Federn leicht wie zuckende Klingen aus Licht.
Sie kennen sich aus sie kennen den Trost
der Gemeinsamkeit.
Und die weißen Hortensien blühn die ganze Nacht –
noch wenn der Mond in seinen Abgrund steigt
leuchten sie weiter: wie Phosphor weiß und grün
und Wassergeister
wenn die Fische durch den Zaun entfliehn
haben endlich Heimstatt hier in diesem Blühn.
Neujahr – und ich sehe das Meer
Thalatta! Thalatta!
Ich sehe das Meer
auf dem Bildschirm: das graue und randlose Meer
auf der stillstehenden Scheibe tief in der Nacht.
Ich sehe das Meer auf einem Hotelfernseher in Lissabon –
Einsamkeit. Konvexe Erstreckung der See. Wogen – lange
Wogenzeilen ziehen davon in horizontloser Unendlichkeit.