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Eine romantische Liebeskomödie im Stil des Klassikers »Harry & Sally«, aber schneller geschnitten - und mit Birnen
Eli hat das Chaos-Gen und bisher mit Männern wenig Glück. Paul lebt von Cornflakes und Cola light und freut sich jedesmal, wenn er Eli sieht. Doch seine Flirtversuche scheitern immer, denn Paul versteht die Frauen nicht. Ob er als Held am Herd bessere Chancen hätte? Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Paul legt los. Er verbrennt sich die Finger, die Hose und die halbe Küche. Dann lädt er Eli zum Essen ein - und die Flammen schlagen hoch.
Ein warmherziger Liebesroman, in dem mehr als nur das Gemüse dampft und die Töpfe überkochen.
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Für meine Helene, die Steffi heißt
ISBN 978-3-492-98605-2© dieser Ausgabe, Piper Verlag GmbH, 2019© 2010 Carsten Sebastian Henn© Originalausgabe: List im Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinCovergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.atCovermotiv: DenisProduction.com und HelenaQueen / shutterstock.com
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Cover & Impressum
Zitat
ERSTER GANG
Kontaktanzeige
ZWEITER GANG
Kontaktanzeige
DRITTER GANG
Kontaktanzeige
VIERTER GANG
Kontaktanzeige
FÜNFTER GANG
Kontaktanzeige
SECHSTER GANG
Kontaktanzeige
SIEBENTER GANG
Kontaktanzeige
ACHTER GANG
Kontaktanzeige
NEUNTER GANG
Kontaktanzeige
ZEHNTER GANG
EPILOG
Kontaktanzeige
REZEPTE
Birne Helene
Rezept Weinendes Lamm
Weinendes Lamm
Rezept Glückskekse
Glückskekse
Danken möchte ich:
»Birne Hélène. Eine in Vanilleläuterzucker pochierte, abgekühlte Birnenhälfte auf Vanilleeis mit heißer Schokoladensoße begossen.«
Das Gourmet-Handbuch
Vom Glück der Kiwi
Eli war glücklicher als ein Bär im Honigfass. Sie hatte doch tatsächlich den einzigen, ehrlichen Gebrauchtwagenhändler Deutschlands gefunden! Das konnte sie an seinen Augen sehen, die waren dunkelbraun und total vertrauenswürdig. Er hatte völlig recht. Rostflecken waren ganz normal bei einem Auto von acht Jahren, und auf den durchgesessenen Fahrersitz brauchte sie bloß ein Kissen zu legen, dann ging das schon. Er hatte ihr sogar extra 15 Euro Nachlass gegeben, damit sie sich eins kaufen konnte. Und wie nett, dass er für ihren alten Fiesta noch 300 Euro bezahlt hatte, obwohl doch der ganze Motor hin war, wie er sagte. Er musste sie ins Herz geschlossen haben! Na ja, sie hatte auch ein wenig mit ihm geflirtet.
Eli packte die Fahrzeugpapiere ein und fuhr in bester Stimmung vom Gelände des »Gebrauchtwagen-Paradies Ratz-Fatz (Inh. Toni Amoroso)«. Dabei kümmerte sie sich, genau wie Toni ihr geraten hatte, nicht um das leise Klappern des Auspuffs.
»Der geht problemlos durch die TÜV, da könne Sie sich Hundertprozent darauf verlasse.«
Eigentlich war sie keine Polo-Fahrerin, und schon gar nicht in dieser Farbe. Gott, wie nannte man die überhaupt? Dschungelgrün? Moosblau? Sie hatte noch nie zuvor einen Wagen in dieser Farbe gesehen. Man bekam automatisch einen unscharfen Blick, wenn man versuchte sich auf die Lackierung zu konzentrieren. Irgendwie erinnerte sie der kleine Wagen an Das Ding aus dem Sumpf. Eli schloss ihn trotzdem ins Herz. Er war nun ihr kleines Sumpfmonster. Und sie wollte am liebsten gleich der ganzen Welt von der Neuerwerbung erzählen, mit ihren besten Freunden zur Feier des Tages richtig gut essen gehen, in einem Restaurant mit Kerzen, tollen Weinen – und einer extra langen Dessertkarte. Doch zuerst würde sie den unangenehmsten Anruf des Tages in Angriff nehmen. Man musste den Stier bei den Hörnern packen – und dieser Stier hatte ihr für den Wagen finanziell unter die Arme gegriffen. Es war der Stier namens Mama. Innerlich fluchte Eli darüber, dass sie immer noch Geld von ihr brauchte, wo sie mit Ende zwanzig doch längst auf eigenen Beinen stehen wollte. Doch das Schicksal hatte es dafür nicht gut genug mit ihr gemeint. Sondern »eher so mittel«, wie eine ihrer Arbeitskolleginnen in der Kölner Buchhandlung Eselsohr immer sagte.
Aber mit »Sumpfi« – wie Eli nun beschlossen hatte, ihren neuen Wagen zu nennen – würde ein neuer Lebensabschnitt beginnen! Bei anderen Frauen startete er mit einer neuen Frisur, bei ihr mit einem neuen Auto. Das war immerhin das 21. Jahrhundert.
Ihre Mutter brauchte wieder ewig, um den Hörer abzunehmen. Und war atemlos, als sie sich endlich meldete. Hatte sie auf dem Weg zum Telefon etwa Saltos und Flickflacks vollführt?
Eli entschied sich, ihre Mutter einfach zu überrumpeln: »Du glaubst ja nicht, was ich gerade gemacht habe. – Woher weißt du …? – Aber ich habe doch …! – Nein, einen Polo. Das ist ein Volkswagen. Kein Franzose. – In … einer Art Grün. – Acht Jahre, aber noch topp in Schuss! – Nein, Mama, ich habe mich nicht übers Ohr hauen lassen. Und ich weiß auch nicht, warum du »wie immer« sagst. – Ist schon okay, und danke noch mal für das Geld. Das war echt lieb von dir. – Klar, komme ich bald mal bei dir in Bonn vorbei. Muss dir das Schmuckstück doch zeigen.«
Es folgte ein Moment der Stille, denn eigentlich war alles gesagt. Eli wollte sich schnell verabschieden, bevor ihre Mutter die Lieblingsplatte auflegte.
Doch sie war nicht schnell genug.
Die Lieblingsplatte trug den Titel »Hast du endlich einen Freund?«. Dabei schwang immer mit, dass man ohne Mann quasi nicht komplett sei. Und es eine Art Krankheit wäre, keinen zu haben. Elis letzter Freund lag schon zwei Jahre zurück und sie war kurz davor, einen zu erfinden, nur damit ihre Mutter endlich Ruhe gab.
Andererseits fand Eli, dass man sich nicht dafür zu schämen brauchte, solo zu sein. Und ihre Mutter würde sie nicht dazu bringen, sich deshalb schlecht zu fühlen!
Das tat sie sowieso schon.
Aber diesmal war sie vorbereitet.
»Nein, aber …«
Sie kam nicht weiter, denn ihre Mutter schoss den zweiten Satz ab, den Eli so hasste.
»Kauf dir doch mal was Schickes zum Anziehen. Ich geb dir auch das Geld. Was Modernes. Nicht immer dieses Second-Hand-Zeug. Dann klappt das auch.«
Von diesem »Second-Hand-Zeug«, das ihre Mutter so hasste, hatte Eli den ganzen Schrank voll. Denn sie liebte es. Schöne Kleider mit großen Mustern, geringelte Schals, norwegische Wintermützen, hohe Lederstiefel, Jeans mit Blumenstickereien. Hauptsache: schön bunt und die Stile wild gemixt. Aber ihre Mutter wollte, dass sie wie Michelle Hunziker aussah. Dabei sahen sie sich überhaupt nicht ähnlich! Hunziker war groß und blond, Eli zierlich, mit roten Korkenzieherlocken. Nur eine Ähnlichkeit gab es: Sie hatten beide einen Mund, der wie zum Lachen gemacht war.
Eli verfluchte den Tag, an dem die Italienerin bei »Wetten, dass?« eingestiegen war.
»Ich guck, ob ich beim nächsten Einkauf was Passendes finde.«
»Mach das aber auch! Und schau mal wieder in die Kontaktanzeigen. So hat Tante Uschi auch ihren Dieter kennengelernt. Und der ist wirklich ganz passabel, das mit der Hygiene bekommt die Uschi bei ihm sicher auch noch in den Griff.«
Eli atmete tief durch und zwang sich ein Lächeln ins Gesicht. Denn sie hatte mit all dem gerechnet. Und in der Tasche lag ihre Rettung.
»Weiß ich doch, Mama«, flötete Eli deshalb nun und suchte den Zeitungsausschnitt, während sie mit den Knien weiterlenkte. »Gerade heute habe ich eine tolle Anzeige gefunden. Warte, ich hab sie gleich, dann kann ich sie dir vorlesen. ›Birne sucht Helene‹ fängt die an. Ein Beamter Ende zwanzig, wenn das nicht was Verlässliches ist, Mama. Und es stand sogar darin, dass er lebendig ist! Genau so einen suche ich doch. Ein toter Mann hat nämlich auch Nachteile. Dieser Beamte sucht eine Frau mit Charme und Humor – wahrscheinlich weil man viel Humor haben muss, um ihn attraktiv zu finden.«
Das hatte sie gerade doch nicht wirklich gesagt, oder? Das hatte sie doch sicher nur gedacht!
Als sie hörte, wie ihre Mutter am anderen Ende der Leitung leicht röchelnd die Luft einsog, wusste Eli, dass deren Zunge das Hirn übertölpelt hatte.
»Elisabeth, bitte. Das ist eine ernste Sache für eine Frau. Ich will doch nur, dass du abgesichert bist.«
Oh, Gott. Sie sagte schon Elisabeth zu ihr. Jetzt gab es nur noch eine einzige Steigerung: Wenn sie anfangen würde zu weinen – und davon erzählte, wie sehr sie sich Enkelkinderchen wünschte. Und da Elis jüngere Schwester Katharina in Mailand Modedesign studierte, fiel die Weitergabe der familiären Gene vorerst ihr zu.
»Eli, du weißt doch, wie sehr ich mir Enkelki …«, ihre Stimme brach schluchzend ab. »Ich seh schon kommen, dass mir Katharina eher Enkelkinder schenkt als du. Sie ist ja schon so selbstständig und weiß, was sie im Leben will.«
Eli wollte schreien, doch beschloss, lieber ganz schnell eine Kontaktanzeige vorzulesen, die glaubwürdiger klang. Verdammt, wo war nur die blöde Zeitungsseite? Warum musste nur immer alles Wichtige in der Tasche nach unten rutschen? Nur der Blödsinn trieb immer oben. Da! Jetzt hatte sie etwas gegriffen, das wie Papier knisterte.
Da krachte es.
Sumpfi stand plötzlich.
Ein Verkehrsschild hatte sich Eli in den Weg gestellt. Einfach so. Ohne Vorwarnung.
»Eli? Lebst du noch?«, rief ihre Mutter aus dem Telefon. »Sag doch was, Kind. Soll ich den Arzt rufen?«
»Ja, Mama. Deinen alten Hausarzt in Bornhorst. Der soll den nächsten Flieger nach Köln nehmen und das Stoppschild schienen.«
Eli legte auf. Das würde sie sicher noch bereuen, aber gerade jetzt tat es verdammt gut.
Sie brauchte wirklich einen Freund. Dringend. Und wenn nur, um ihre Mutter endlich zum Schweigen zu bringen!
Paolo Birnbaum, genannt Paul, war so gut drauf wie ein drei Wochen altes Thunfischbrötchen. Wieder einmal hatte niemand auf seine Kontaktanzeige geantwortet. Und als einzige neue Bekanntschaft hatte er eine aufkeimende Krankheit.
Die Sprechstundenhilfe lächelte ihn jetzt allerdings so nett an, als kuschelte sie gerade mit ihm am Baggersee und die Sonne ginge endlich unter.
»Ich schau, dass Sie schnell drankommen. Sie sehen ja richtig elend aus.«
Sie sah ein wenig aus wie Pauls zweite Freundin Sabine. Mit ihr war er auf der Messdienerfahrt nach Korfu zusammen gewesen. Damals hatte er sich immer gewundert, warum sie nur vor anderen Jungs mit ihm knutschte. Irgendwann wusste er es. Sie wollte Dirk eifersüchtig machen, das testosterondurchtränkte Alphamännchen. Sie hatte ihn nur benutzt.
Paul wollte gern mal wieder benutzt werden. Eigentlich stimmte alles an ihm, er war so klug, dass er es bei Günther Jauch ohne Joker zur 64 000 Euro-Frage geschafft hätte, und auch was Aussehen betraf, konnte Paul nicht klagen – dank der italienischen Gene seiner Mutter und der großen, blauen Augen seines Vaters. Das Problem war nur, dass er überhaupt kein Gefühl für Kleidung hatte. Dass Strickpullis nicht mehr der letzte Schrei und Herrensandalen als »mega-out« galten, war bei ihm leider nie angekommen.
Im Wartezimmer saß die übliche Mischung aus chronisch Verschnupften, schwatzhaften Hypochondern und Zombies. Pauls Urgroßtante war auch eine von denen. Jeden Tag zum Onkel Doktor, und wenn der zuhatte, kippte sie sich eimerweise Klosterfrau Melissengeist hinter die Binde. Das verlieh ihr immer ein jenseitiges Glitzern in den Augen.
Die Zeit im Wartezimmer verging wie im Flug. Einem Langstreckenflug. Mit Zwischenstopp.
Eine ältere Kittelträgerin brachte Paul schließlich ins Sprechzimmer. Natürlich musste er dort wieder warten. Immerhin lag auf dem Arztschreibtisch der Express. Er traute sich nicht, die Zeitung zu nehmen, schließlich hätte Dr. Engels ja jeden Augenblick mit seiner forschen Art reinkommen können. Aber die Überschrift konnte er lesen: Das ging in die Hose. Aus Versehen: Mann schießt sich in Penis. Aua.
Diese Info gab ihm zu denken.
Vielleicht war der Unglückliche ja bei Dr. Engels in Behandlung? Er würde ihn gern fragen, wie es war. Man kam ja so selten dazu, sich in den Penis zu schießen.
Der Meister des Schmerzes trat plötzlich ein, die Hand wie ein Schwert ausgestreckt.
»Herr Birnbaum«, begrüßte er Paul, »haben Sie sich verlaufen? Das Bestattungsunternehmen ist nebenan.«
Herzlich wie eh und je. Dr. Engels hatte schon vor Jahrzehnten entschieden, dass Mitgefühl seine Patienten nicht heilte.
Paul betete seine Beschwerden herunter, als hätte er etwas zu verkaufen: Müdigkeit, Knochenschmerzen, Verdauungsprobleme und Zahnfleischbluten. Es folgte die übliche Auszieh- und Untersuchungs-Prozedur. Danach ließ sich Dr. Engels in den rollbaren Ledersessel fallen und grinste breit.
»Skorbut.«
»Skorbut?«
»Soll ich es Ihnen aufschreiben?« Dr. Engels klickte mit seinem Kugelschreiber.
»Sie haben gerade Skorbut gesagt, oder?«
»Eine Mangelerscheinung, die früher unter Seeleuten äußerst verbreitet war.«
»Ich bin aber kein Seemann. Ich arbeite beim Straßenverkehrsamt. Bei uns gibt es nur dann größere Wassermengen, wenn Kollege Brömser mal wieder das Klo verstopft hat. Ich kann also keinen Skorbut haben.«
»Die Behandlung ist ganz einfach.«
Paul atmete durch. Na, wenigstens etwas. »Vielleicht habe ich ja doch Skorbut.«
»Einfach Vitamin-C-Tabletten nehmen, bekommen Sie überall. Brauchen Sie kein Rezept für. Sie können aber auch Zitronensaft pressen oder Kiwis essen. Grünkohl und Rosenkohl sind auch gut – aber nur roh! Die weisen alle viel Vitamin C auf. Wie ernähren Sie sich aktuell?«
Paul redete nicht gerne darüber. Aber wenn ein Arzt fragte, gestand man ja alles. Ganz automatisch. Wie vor Gericht.
»Von Coke light und Cornflakes. Da ist alles drin. Viele Kohlenhydrate aus Getreide und Vitamine und Eisen – für einen guten Start in den Tag.« Den Spruch las er jeden Tag auf der Packung. Sehr eingängig.
»Und sonst?«
»Nichts sonst. Ist ja alles drin. Was soll die Frage?«
Dr. Engels starrte ihn lange an.
»Nur Cornflakes und Cola?«
»Abends auch mal eine Pizza oder so. Und natürlich Nüsse. Diese salzigen.« Wieder dieser Blick. Paul meinte sogar, Dr. Engels’ Augen würden hervortreten. »Ich geh dann mal. Kann ich morgen zur Arbeit oder bin ich ansteckend?«
Dr. Engels fing sich wieder. »Sie haben Skorbut und nicht die Schweinegrippe!«
Als Paul aus dem Behandlungszimmer trat, lächelte ihn die nette Sprechstundenhilfe wieder an, doch diesmal mitleidig. Na ja, dachte Paul, so was passierte wohl allen Seemännern mit Skorbut. Wenn die Gliedmaßen vermodern und die Zähne ausfallen, verliert auch der strammste Matrose seinen Schlag beim weiblichen Geschlecht.
Nachdem er sich im Supermarkt die überlebenswichtigen Zutaten besorgt hatte, ging es in die Buchhandlung. Ein Kochbuch für Stümper, das brauchte er. Idiotensicher und Vitamin-C-reich. Ein Kiwi-Kochbuch zum Beispiel. Gab es natürlich nicht. Dafür Werke von Fernsehköchen und stapelweise Backliteratur. Das Buch Kochen mit Feng-Shui schlug Paul gar nicht erst auf. Er konnte sich schon denken, was drinstand: Geben Sie nie eckig gefrorenen Spinat in einen runden Topf! Es sei denn der Kochherd hat drei Platten, steht in südlicher Richtung am Fenster und gegenüber liegt eine Tür, die sich nach links öffnen lässt.
Irgendwann stand er dann bewegungslos zwischen den Bücherinseln, wie der kleine Pierre-Luca, den seine Eltern im Småland bei Ikea vergessen haben. Hilflos aussehen konnte Paul prima.
»Müssen Sie kochen lernen?«, fragte ihn plötzlich eine Verkäuferin, deren Dutt so fest gebunden war, dass sie sich das Facelifting sparen konnte.
Paul nickte.
»Nehmen Sie das, da machen Sie nichts falsch mit.«
Er erwartete das Kochbuch zur »Sendung mit der Maus«, aber es war das Studenten-Kochbuch: Einfach, schnell und preiswert.
»Kochen lernen ist wie Schwimmen lernen«, zitierte sie den Klappentext. »Nach dem Sprung ins kalte Wasser folgt der Genuss.«
»Ich kann nicht schwimmen«, sagte Paul wahrheitsgemäß.
»Dafür hätte ich auch ein Buch!«
Die Verkäuferin war unglaublich energiegeladen. Lag sicher an ihrer gesunden Ernährung.
»Nein, danke. Und das ist wirklich für Dumme?«
»Das ist für Anfänger.«
»Ich bin ein dummer Anfänger!«
Sie tätschelte ihm mütterlich die Hand: »Vertrauen Sie mir. Ich kenne Männer in Ihrer Situation. Übrigens sehen Sie gar nicht gut aus, Sie sollten mal zum Arzt gehen.«
»Ich habe Skorbut.«
So ein Satz beendete jede Diskussion. Dafür war Skorbut super. Vergleichbar mit Pest, Cholera und Schweißfüßen. Die Verkäuferin sah ihn eindringlich an.
»Da hab ich genau das richtige Buch für Sie!« Und tatsächlich, sie hatte es.
Paul brachte die Bücher heil nach Hause und fand ein schönes, warmes Plätzchen für sie. Neben den DVDs und seiner Altersvorsorge: der Schlumpfsammlung. Absolutes Highlight war »Papaschlumpf in Hängematte«. Ein seltenes Fehlexemplar vom Februar 1983. Die Figur selbst war rot, Mütze und Hose aber blau. Paul hoffte, eines Tages mit ihr das Studium seiner Kinder finanzieren zu können. Dem jetzigen Stand nach zu urteilen, musste er die kleinen Bälger aber wohl wie Angelina Jolie aus dem Urlaub mitbringen.
Erst spät bemerkte Paul, dass er nicht allein in seiner Dachgeschoss-Wohnung war.
Eigentlich war er das natürlich nie. Die Fische waren schließlich da. Und Freddy, seine Geierschildkröte. Benannt nach Freddy Krüger, dem Horror-Schlitzer aus Nightmare On Elm Street. Freddy hatte nämlich etwas äußerst Verschlagenes. Paul vermutete schon länger, dass die hohe Selbstmordrate seiner Goldfische mit ihm zusammenhing.
Aber es war nicht Freddy, den er im Wohnzimmer bemerkte, es war Andy. Manche hielten auch ihn für ein Tier. Wegen der Geräusche, die er manchmal von sich gab. Er klang wie Darth Vader im Stimmbruch. Andy wusste selber nicht, wie er das machte.
Paul hatte ihm in einem schwachen Moment einen Wohnungsschlüssel gegeben – und es nie übers Herz gebracht, ihn zurückzuverlangen. Jetzt lümmelte sich Andy auf dem durchgelegenen Bettsofa, wie immer mit einem Heavy-Metal-T-Shirt, auf dem ein vielzahniges Monster eine Bikini-Schönheit verspeiste. Sah nach einem Proteinsnack aus. Andy daddelte auf Pauls Nintendo Super Mario – er selbst wusste noch nicht, welche Spielkonsole am besten zu seinem Typ passte. Seit zwei Jahren. So eine wichtige Entscheidung durfte man schließlich nicht übers Knie brechen!
»Na, du Held. Willst du wissen, wie mein Tag war?«, fragte Paul.
»Nö.«
»Dann erkundige ich mich eben selbst: Und, Paul? Wie lief’s heute? – Danke für die Nachfrage! Lass mich einen Moment überlegen … Auf dem Weg zur Arbeit hab ich einen Wagen gesehen, der als Kennzeichen die sehr seltene Nummernfolge 4711 hatte, und zwei Karren, bei denen der TÜV seit Monaten abgelaufen ist.«
»Wow.«
»Und einen SUV ohne AU.«
»Echt jetzt?« Andy schaute überhaupt nicht auf. Er hatte gerade einen Powerup aktiviert und einen Super-Pilz gegessen. Sein Endgegner warf einen Feuerball. Natürlich mit der Schwanzspitze. Doch es sah gut aus für Andy. Vielleicht würde er Prinzessin Peach heute endlich befreien.
Sie würde sich bestimmt wie verrückt freuen, ihn kennenzulernen.
»Und ich habe Skorbut.«
»Cool.«
»Cool?«
»Hast du mir auch was mitgebracht? Ich esse doch so gerne Fisch.«
Paul brauchte einige Zeit, um Andy klarzumachen, dass Skorbut nicht im offenen Meer schwamm. Dann holte er sich etwas zu trinken und setzte sich zu ihm aufs Bettsofa.
»Weißt du noch, was wir uns an deinem Zwanzigsten geschworen haben?«
»Dass wir mal gemeinsam ins All fliegen! Suchen die von der kasachischen Weltraumbehörde in Baikonur wieder wen?«
»Nein, wir haben geschworen, dass wir zusammenziehen und schwul werden, falls wir bis dreißig keine feste Beziehung haben.«
»Ach, so. Das hatte ich vergessen. So, du Scheißdrache. Jetzt rottet Andy dich aus!«
»Ich werde in vier Monaten, 16 Tagen und … knapp sechs Stunden dreißig.«
»Wo ist das Problem?«
»Ich finde dich nicht besonders attraktiv.«
Andy sah an sich herunter und strich einige Kekskrümel von seinem Iron-Maiden-Shirt. »Aber weißt du, was das Gute ist?«
»Ich kann leider überhaupt nichts Gutes daran finden.«
»Na, dass ich eh schon so gut wie hier wohne. Müssen wir nur noch schwul werden. Ich möchte aber der Mann sein, okay?«
»Als Schwer-Metaller?«
»Na, und? Rob Halford von Judas Priest ist auch schwul. Das geht heute. Steht meiner Karriere als Shouter nicht im Weg. Dein Dreißigster kann also kommen! So, jetzt krieg ich aber Hunger. Bestellste Pizza? Ich nehm ’ne Funghi. Und extra Pizzabrötchen. Aber das die nicht wieder die Knoblauchbutter vergessen!«
Paul würde eine Spinaci nehmen. Das war doch ein hervorragender Beginn für sein neues, gesundes Leben! Er orderte die italienischen Kalorienfladen und warf Andy die Marie-Claire zu. Die hatte er im Abo, um die Psyche der Frauen zu begreifen. Der direkte Kontakt mit dem anderen Geschlecht hatte ihn leider keinen Schritt weitergebracht.
Andy war begeistert: »Wow! Nackt gut aussehen – sofort: SOS-Tipps für Beauty-Probleme.«
»Sag bloß, du hast Beauty-Probleme?«
»Weißt du, nackt sein ist nicht so meine Stärke.« Er hob sein T-Shirt, klopfte auf die Specktrommel und unterstrich damit glaubwürdig seine Aussage. Paul nahm auf den Schock einen großen Schluck Cola light – doch der Anblick verschwand einfach nicht von der Netzhaut. Auch Freddy musste ihn gesehen haben, denn er rammte jetzt seinen Kopf wie irre gegen das Terrarium. Paul beruhigte ihn mit ein paar gefrorenen Mückenlarven.
Als Andy die Marie-Claire nach einer halben Stunde durchgeackert hatte, war er ganz aufgekratzt. Eine geheimnisvolle Welt hatte sich ihm eröffnet. Während des Abendessens redeten die zwei über das große Special »Mode, die schlank macht«. Andy schrieb sich eine Einkaufsliste mit Kuli auf den Unterarm – das Tattoo des kleinen Mannes. Er würde seinen Look grundlegend verändern!
Dann war es so weit. Paul ging mutig in die Küche und bereitete sich sein erstes Vitamin-C-Dessert zu. Ohne Hilfe!
Wasser mit Zitronensaft. Dazu eine Kiwi. Es schmeckte irre gesund. Und er fühlte sich gleich hundeelend.
Als Paul zurück ins Wohnzimmer kam, hielt Andy das Frauenmagazin triumphierend in die Höhe.
»Ich hab gerade den Test ›Sind Sie zu anspruchsvoll?‹ gemacht. Super Ergebnis! Ich bin ›Die Realistische‹: Ich weiß, was ich will und was mir guttut, aber ich bin durchaus bereit, einem Menschen eine zweite Chance zu geben, wenn er im ersten Moment meinen Ansprüchen nicht gerecht wird. Meine Chancen, Mr. Right zu finden, stehen sehr gut! Klasse, was?«
So gut drauf war Andy das letzte Mal gewesen, als er beim rückwärts Abspielen der zweiten Black-Sabbath-LP die eindeutige Botschaft »Tötet alle Delfine!« herausgehört hatte. Auf Aramäisch versteht sich.
»Du siehst mich beeindruckt«, antwortete Paul, den das Vitamin C nun ordentlich durchrüttelte. Wahrscheinlich hielt sein Körper den unbekannten Eindringling für einen Krankheitserreger.
»Ich war aber auch echt lässig«, erzählte Andy weiter. »Hab sogar angekreuzt, ich sei entspannt, wenn er groß aufkocht, dann aber jedes Gericht misslungen ist und sogar die Tischdeko ein Trauerspiel darstellt.«
»Die Tischdeko? Wie konnte ihm das nur passieren? Das ist doch das Erste, woran man denkt.«
»Du veräppelst mich, oder? Wer weiß denn so was?«
»Dafür muss man nur die Brigitte gelesen haben. Vorbereitung ist alles. Guck mal, was ich hier in der Esstischschublade habe: einen Läufer mit Paisley-Muster, Rosenblätter aus Stoff und ein Keramikblock, in den vier Teelichter passen. Falls das Rendezvous kommt, bin ich vorbereitet!«
»Oh wie süß. Du bist mein Mr. Right. Komm kuscheln!« Andy breitete die Arme aus und schenkte Paul einen bezaubernden Augenaufschlag.
Der Tag wurde einfach immer besser.
Paul lehnte dankend ab und ließ sich rücklings aufs Sofa fallen. Andy wuschelte ihm über den Kopf, sprang auf und griff nach seinem Motorradhelm – er hatte Hörner. »Ich bin dann mal weg. Muss noch was essen. Um meinen Bauch richtig auszudefinieren. Schön rund! Aber keine Pizza mehr.«
»Und wonach gelüstet es dich?«
»Na, Mäckes. Ham, Ham – der Hamburger, Peng, Peng – der Schießburger! Schnelles Fett auf die Faust. Das ist doch die Essenz von allem.«
In diesem Moment wurde Paul klar, dass mit seinem Leben etwas überhaupt nicht stimmte. Und dass sich noch vor seinem dreißigsten Geburtstag dringend etwas ändern musste. Sonst würde er sich zwar nicht die Kugel geben – aber Andy ihm sicher einen Schießburger.
Als Paul am nächsten Morgen aufwachte, hatte sich das Vitamin C so weit in seinem Körper verteilt, dass er sich fast wieder wie ein normaler Mensch fühlte. Andy war spät zurückgekommen, hatte die Nacht auf dem Bettsofa verbracht und sich nicht einmal die Mühe gemacht, das Bettzeug herauszuholen. Er schlief zusammengerollt wie ein Baby – denen allerdings üblicherweise kein Dreitagebart wuchs. Und Babys rochen auch nicht wie vor drei Wochen verendete Bären.
Paul war ganz leise und ließ seinen parasitären Untermieter weiterschnarchen. Obwohl es draußen noch stockduster war, musste er raus, denn Punkt 7.00 Uhr war Schichtbeginn in der KFZ-Zulassungsstelle. Schon eine Viertelstunde später kam die Kundschaft. Oder wie sie intern genannt wurde: die Horde.
Als Paul eintraf, war die Festung der Nummernschilder aber noch unbelagert.
Allem Anschein nach war Kollege Günther wieder als Erster an der Stechuhr gewesen. Die Kaffeetasse dampfte schon auf seinem Tisch, der Rechner war hochgefahren, das Lächeln aufgesetzt. Gerade polierte er mit einem Stofftaschentuch seine Vorderzähne. Günther spekulierte auf den Job als stellvertretender Amtsleiter – seit über zwanzig Jahren. Diese Beharrlichkeit rief bei Paul gleichermaßen Bewunderung wie Mitleid hervor.
»Guten Morgen, lieber Kollege!«, begrüßte der Aufstiegswillige ihn. »Wir haben dich gar nicht mehr erwartet. Unsere Chefin hat auch schon nach dir gefragt – ich konnte ihr leider nicht sagen, wo du schon wieder steckst …«
Paul ließ sich auf seinen ergonomisch geformten Drehstuhl am Schalterplatz 12 fallen und wünschte Günther einen Neandertaler als Kunden, der sein Wunschkennzeichnen nicht erhielt. In der Regel etwas wie »K-ILL«, oder »K-ING«. Stattdessen könnte Günther ihm »K-OT 00« heraussuchen.
Nachdem Paul seinen Computer angeschaltet hatte, ging er mit schweren Schritten ins Büro der Chefin und spulte die Erklärungen über seinen Skorbut herunter (»Nein, es ist wirklich nicht ansteckend!«). Zurück an seinem Platz fühlte er sich so fertig, als habe er gerade den Iron-Man-Triathlon mit einem Elch über der Schulter hinter sich gebracht.
In diesem Moment glitten die gläsernen Schiebetüren zur Seite. Und die Horde drang ein, wie wild Wartemärkchen ziehend.
Paul blickte hilfesuchend zu seiner Kollegin Tine – das baute ihn immer auf. Tine war Mitte zwanzig und hatte die Stelle hier angenommen, weil sie so gern mit Menschen zu tun hatte. Anders ausgedrückt: Sie konnte ein gesundes, braunes Pferd totplappern. Leider hatte sie keine Ahnung von Farb-Psychologie. Tine trug fast immer rot. Heute ein schickes Kostüm, das wunderbar zu ihren langen, blonden Haaren und der milchweißen Haut passte. Das Problem war: Rot erregte andere Menschen. Im Positiven wie im Negativen. Was in pikanten Lebenssituationen durchaus einen Sinn erfüllte, führte an ihrem Schalter zu gesteigerten Aggressionen. Männlichen Kunden drang bei Tine zuweilen der Dampf aus den Ohren.
Ihr Anblick war für Paul jedoch der einzige Lichtblick in dieser Neonhölle. Er verfluchte den Tag, an dem er die Stelle angenommen hatte – nur, um möglichst schnell aus dem vermaledeiten Bergischen Land wegzukommen. Und wo er gerade dabei war, verfluchte er gleich seine Eltern, die ihn zu der Ausbildung bei der Stadtverwaltung Gummersbach überredet, na ja, eher gezwungen hatten. Weil sie den Job bei der Robben-Aufzuchtstation in Friedrichskoog für Spinnerei hielten. Das war er vermutlich auch – aber Paul hätte es gerne selber herausgefunden. In persönlichen Gesprächen mit den Robben.
Seine Eltern lebten mittlerweile in Italien, in dem kleinen piemontesischen Dörfchen namens Rimella, aus dem die Familie seiner Mutter stammte. Dort gab es ein Weingut, eine kleine Trattoria, einen Friseurladen, eine Kirche, einen Metzger, streunende Hunde, und nicht viel mehr. Es war wirklich sehr nett.
Die erste Ummeldung riss ihn aus den Gedanken. Gefolgt von einer Neuanmeldung und einer Abmeldung. In den kurzen Pausen zwischen den Kunden rief Günther ihm immer wieder Sprüche zu, von denen »Kommst du eigentlich in allen Lebenslagen zu spät?« noch der harmloseste war.
Erst kurz vor der Mittagspause bot sich Paul die Chance zur Rache. Seine Chefin stand in der Nähe – und er hatte einen Antragsteller vor sich, der mehr nach Ärger roch als Jürgen Drews nach billigem Parfüm.
»Könntest du vielleicht mal übernehmen?«, rief er Günther zu. »Hier geht es um ein Leasingfahrzeug. Damit kennst du dich doch sicher aus?«
Obwohl Günther es hasste, Kunden zu übernehmen, konnte er nun nicht anders. »Leasingfahrzeuge? Selbstverständlich, das mache ich doch gern, Paul. Aber du solltest wirklich mehr Zeit in deine Weiterbildung investieren.« Günther zwinkerte der Chefin zu.
Paul wusste, dass er nicht lange würde warten müssen.
Dem Kunden war das hintere Kennzeichen gestohlen worden. Ohne Fahrzeugbrief gab es jedoch kein neues. Dieser lag allerdings beim Leasinggeber. Um das zu wissen, brauchte man keine Weiterbildung.
Nach sechs Minuten und zwölf Sekunden – Paul hatte die Zeit gestoppt – sprang der Kunde auf, sein Kopf roter als der Hintern eines Mantelpavians.
»Wo leben wir eigentlich, dass solche Arschlöcher wie Sie von meinen Steuergeldern bezahlt werden? So geht Deutschland endgültig zugrunde!«
Die Chefin ließ gegenüber Günther ihr berüchtigtes »Tsstsstss« erklingen. Pauls Stimmung war deshalb bedeutend besser, als sie erschien. Und die Sonne aufging. SIE. In Großbuchstaben. Und unterstrichen.
Zweimal war diese Antragstellerin schon bei ihm gewesen. Sie meldete immer Gebrauchte an, deren Papiere schwer nach Unfallwagen rochen. Doch dabei strahlte sie, als habe sie gerade einen Porsche 911 im Tausch gegen einen alten Labello bekommen. Eigentlich war sie überhaupt nicht sein Typ – aber komischerweise beschleunigte sich Pauls Puls trotzdem enorm bei ihrem Anblick. Er konnte sich sogar noch an ihren Namen erinnern: Elisabeth Spatzner, genannt Eli.
»Hallo, Frau Spatzner.« Es fühlte sich völlig falsch an, sie zu siezen, aber so war es Vorschrift. »Setzen Sie sich doch. Ich habe eine freudige Mitteilung für Sie!«
»Bekomme ich ein Baby?«
»Nein, Sie bekommen Mengenrabatt!«
Eli lachte auf.
»Sind Sie denn schwanger?«, fragte Paul und fixierte ihren Bauch.
»Sehe ich etwa so dick aus?«
Fettnäpfchen. Mitten rein. Mit Anlauf. Wann würde er endlich lernen, mit tollen Frauen ganz normal zu reden? Leider blockierte seine Schüchternheit immer die Blutzufuhr zum Hirn – und er hatte mit einem Schlag nur noch den IQ eines Teletubbies.
»Nein, Sie haben eine ganz, ganz tolle Figur.«
»Na, da bin ich aber beruhigt!«
Eli reichte die Fahrzeugpapiere über den Tisch.
»Und gut in Schuss?«, fragte Paul. Eli sah ihn fragend an. »Ich meine natürlich Ihren Wagen! – War das jetzt schon wieder ein Fettnäpfchen?«
Sie winkte ab. »Keine Sorge, erst ab dreien müssen Sie mir einen ausgeben! Und was meinen Wagen angeht: Ich hatte schon den ersten Unfall.«
»Oh, das tut mir aber leid.«
»Ach was! Nur eine kleine Delle. Das ist ein gutes Omen. Sumpfi hat seinen Unfall jetzt weg – und das war nur ein ganz kleiner. Jetzt kann nichts mehr passieren! So muss man das sehen, oder?«
»Gesunde Einstellung!« Paul lächelte und Eli lächelte zurück, wobei ein wunderschönes Funkeln in ihren Augen erschien. Die Papiere hätte er gleich fertig, doch er wollte noch länger mit ihr quatschen. Egal, worüber. Welche Themen hatte er für solch einen Fall vorbereitet? Ach ja, angesagte Urlaubsziele!
»Wollen Sie mit dem neuen Wagen denn gleich in Urlaub fahren? Portugal soll momentan der Hit sein! Surfen und Yoga in Kombination.«
»Wie? Gleichzeitig?« Sie lachte auf. »Sie sind wirklich der merkwürdigste Beamte, der mir je begegnet ist. Surfen und Yoga – sieht man Ihnen gar nicht an. Sie sehen eigentlich eher nach Völkerball aus.«
Aua, das tat weh. Auf der Liste der uncoolsten Sportarten rangierte Völkerball ja wohl auf Platz zwei. Nur knapp geschlagen von Ertüchtigung auf der Bundeskegelbahn.
Eli betrachtete ihn nochmals eingehend. »Oder nach Kegeln!«
Danke, reicht.
Neues Thema, neues Glück. Der Drucker spuckte schon die Papiere aus, und die Chefin hatte ihm bereits einen mahnenden Blick zugeworfen. Sie behielt immer im Auge, wie lange man mit der Kundschaft sprach. Und wenn es zu nett wurde, rief sie einen über das Telefon zur Räson.
Doch Paul hatte noch eine Chance. Die Pflegeprodukte! In der Brigitte war ein großes Special darüber gewesen.
»Sie haben übrigens wunderschön glänzende Locken, benutzen Sie einen Conditioner? Der neue von L’Oréal soll ja ganz hervorragend sein.«
Eli legte den Kopf schief. »Hab ich ehrlich gesagt noch nicht probiert.«
Okay, Shampoos funktionierten ebenfalls nicht. Waren aber auch so uninteressant wie das Sexualleben des Papstes. Paul reichte ihr die neuen Unterlagen und kassierte die Gebühren. Dabei kam ihm die Idee: der Insider-Report »Heimliche Helfer – Kosmetikprodukte, die unauffällig Fältchen und Rötungen ausgleichen«!
»Bevor Sie gehen, muss ich Ihnen noch einen ganz tollen Tipp gegen Fältchen mit auf den Weg geben. Also nicht, dass Sie welche hätten, nicht mal ansatzweise, aber die könnten ja irgendwann, also in der Zukunft, ganz, ganz weit in der fernen Zukunft mal kommen, und dann wissen Sie, was zu tun ist.«
Eli stand für kurze Zeit der Mund offen, dann griff sie nach Pauls Hand. Die Berührung schoss wie Feuer durch seinen Vitamin-C-gestählten Körper. Sie blickte ihm verschwörerisch in die Augen.
»Jetzt verstehe ich erst, dass Sie … Sie wissen schon. Andere Männer sind ja nicht so für ein gepflegtes Äußeres. Da muss ich Ihnen unbedingt die Nummer von Löschi geben – also eigentlich heißt er Alexander Löschmeyer. Ein ganz lieber Arbeitskollege. Er ist Buchhändler so wie ich. Ich glaube, Sie würden sich super mit ihm verstehen. Er hat zurzeit auch keinen festen Freund.« Sie zwinkerte ihm zu, während sie die Nummer auf einen Zettel schrieb. »Löschi ist eher weiblich, und Sie sind ja wohl eher männlich, oder? So, jetzt muss ich aber ganz schnell weg. Bis bald – oder lieber«, sie hielt die Fahrzeugpapiere hoch, »bis nicht ganz so bald!«
Und weg war sie. Eher männlich?
Wie gut, dass so etwas nicht im Personalausweis stand.
Der Raum befand sich im hintersten Winkel der Buchhandlung und war über und über vollgestopft. Eli nannte ihn auch »Den Ausguck«. Denn wenn das kleine Fenster offen stand, hatte man einen tollen Blick über Köln, konnte sogar die Spitzen des Doms sehen – und rauchen, ohne dass es jemand merkte.
Hier lagerten all die Mängelexemplare und Remittenden, die zurückgeschickt werden mussten. Ein Job, den niemand wollte und den Eli nur übernommen hatte, weil man hier hinten wenigstens für ein paar Minuten seine Ruhe haben konnte. Dieser Raum war ihr Reich.
Löschi stand am offenen Fenster. Er fuhr sich ständig mit der Zungenspitze über die Vorderzähne, weil er so aufgeregt war.
»Was meinst du, wie der Neue so sein wird?«
»Kommt der etwa heute?«
»Ich glaub schon. Ulrike hat das Foto auf der Bewerbung gesehen und meint, er sei super süß.«
Löschi blies den Rauch mit gespitzten Lippen in die Morgenluft und sah dabei wieder einmal aus wie Cathérine Deneuve. Löschi war Elis Arbeits-Ehemann. So einen brauchte man als moderne Frau einfach.
»Mein lieber Löschi, ich kann dich nur warnen: Beziehungen am Arbeitsplatz sind immer gefährlich. Ich hab da was viel Besseres für dich … aufgerissen.«
»Eli, wie redest du denn plötzlich? Das klingt ja nach einem ganz schlimmen Mädchen!« Er warf ihr einen wilden Blick zu. Das konnte er prima. »Du brauchst niemanden für den hübschen Löschi aufzureißen. Das kann der schon ganz alleine.«
»Ach ja? Und wie lange bist du jetzt schon solo?«
Löschi blickte demonstrativ hinaus. Erst nach drei weiteren Zügen an seiner Light-Zigarette sprach er wieder. »Nun quäl mich doch nicht so und erzähl endlich!«
»Also: ein ganz, ganz Süßer. Total schöne, blaue Augen. Und ein echt tolles Lächeln, der hat richtig gestrahlt, als ich mich zu ihm gesetzt habe. Zieht sich ein wenig altmodisch an, du weißt schon, Strickpullover und so. Der braucht ganz dringend einen modischen Berater. Er arbeitet in der KFZ-Zulassungsstelle, Schalter zwölf – und ich hab ihm deine Handynummer gegeben.«
»Du hast was?«
»Ich wette, er ruft dich heute noch an.« Eli stand von ihrem Kartonstapel auf und kniff Löschi in die Wangen. »Damit du was Farbe ins Gesicht bekommst. Darauf stehen die Kerle.«
»Lass das, du freches Früchtchen!«
»Ich hab ihm auch gesagt, dass du eher der weibliche Typ bist.«
»Ach, Gott! So läuft das doch überhaupt nicht, aber das verstehst du sowieso nicht.« Er kam näher und sprach nun leiser. »Und der ist wirklich schnuckelig, dieser KFZ-Typ? Also so richtig?«
»Ja, so richtig. Auch ein bisschen unbeholfen, das finde ich ja total Zucker.«
Löschi blickte ihr mit einem verschmitzten Lächeln in die Augen.
»Ich glaub, den würdest du dir lieber selber greifen!«
»Quatsch. Der ist doch schwul!«
»Du stehst doch auf schwule Männer! In mich warst du damals ja auch verknallt.«
»Wie bitte?«
»So was merkt Mann direkt. Dafür haben wir Antennen.«
»Dann sind deine aber schwer verbogen!«
Löschi klimperte mit den Wimpern. »So habe ich dich damals angeschaut.« Er warf sich in Pose. »Ein verletzlicher, junger Mann. Ein sensibler Träumer. Der Buchhändler, dem die Frauen vertrauen.« Schmachtend betrachtete er den Himmel – an dem heute nur die typisch matschigen Kölner Wolken hingen.
»Das sieht total schwul aus.«
»Weil ich total schwul bin, Liebelein! Wenn ich hetig aussähe, bräuchte ich mich im Bermudadreieck nicht mehr blicken zu lassen.«
»Dann wären die Kölner Straßen endlich wieder sicher!«
»Diese Bemerkung würdige ich jetzt keines Kommentars. Aber wenn ich schon nicht dein Traumprinz bin, wie sieht er denn dann aus?«
Eli schüttelte den Kopf. »Zuerst du!«
»Tja, bei mir ist es der verwegene Kirmes-Typ. Du weißt schon, groß und männlich, ruhig mit etwas Bauch. So ein richtiger Bär.«
»Ehrlich?«
»Ein zierlicher Mann wie ich braucht halt was Starkes zum Anlehnen. – Jetzt du! Karten auf den Tisch, Schatzilein.«
Eli ließ den Kopf in den Nacken sinken. »Mein Mr. Right? Puh, wie soll ich den beschreiben?«
Auf der Straße begann ein ohrenbetäubendes Hupkonzert. Einem Holztransporter waren Bohlen heruntergefallen. Löschi schloss das Fenster.
»Also, mein Traumprinz sieht so aus: Groß, dunkle Haare, am besten etwas strubbelig und nicht zu kurz, trägt Brille, so eine runde mit dunklem Rahmen, und er hat einen knackigen Hintern – jetzt guck nicht so, darauf achtest du doch auch immer direkt. Er trägt am liebsten Fred-Perry-Hemden, und immer bunte Turnschuhe. Wir werden drei Kinder haben. Zwei Mädchen, einen Jungen. Catharina, Charlotte und Christopher Robin. Mein Traumprinz ist intelligent und belesen – warum winkst du so albern? Hast du zu viel Koffein in deinem Blutkreislauf?«
Löschi schüttelte den Kopf. »Hinter dir.«
Als Eli sich umdrehte, sah sie in der Tür ihren Chef und den neuen Kollegen stehen.
Er war groß, hatte dunkle, leicht strubbelige Haare, nicht zu kurz, trug eine runde Brille mit dunklem Rahmen, rot-weiße Turnschuhe. Und ein Fred-Perry-Hemd.
Vermutlich hatte er auch einen knackigen Hintern.
Um Gottes willen! Wegen des Tohuwabohus unten auf der Straße musste sie überhört haben, wie die beiden reingekommen waren. Wie lange mochten sie schon in der Tür stehen? Sie hatten bestimmt nichts gehört, dafür hatte sie viel zu leise gesprochen, und außerdem in die entgegengesetzte Richtung.
»Frau Spatzner, Herr Löschmeyer. Ich wollte Ihnen Ihren neuen Kollegen vorstellen.«
Der junge Mann reichte Eli die Hand.
»Hallo, ich bin Roman Holz. Ihr Traumprinz.« Eli zuckte zusammen. »Das mit den drei Kindern geht völlig in Ordnung – aber über die Namen müssen wir noch mal reden.«