Black Forest High - Nina MacKay - E-Book
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Nina MacKay

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Beschreibung

Was, wenn die Auserwählte tot ist und du ihren Platz einnehmen musst? Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wo Geisterjäger, Exorzisten und Geistmedien zur Schule gehen? Auf die Black Forest High! Seven hält den Rekord der am längsten außerhalb der Schule überlebenden Geistbegabten. Dadurch ist sie, seit sie zusammen mit ihrem Geisterfreund Remi die Schule betreten hat, bekannter als ein Geist mit zwei Köpfen. Was nicht nur bei den geheimnisvollen Zwillingen Parker und Crowe für Aufmerksamkeit sorgt. Und schnell bemerkt Seven, dass auf der Black Forest High so einiges nicht stimmt: Was steckt hinter der geheimen Arbeitsgruppe, von der niemand weiß, was sie tut oder wer ihr angehört? Weshalb halten es alle für normal, dass die Schule gutes Geld mit den Schülern verdient, die Geister austreiben und verschollene Testamente ausfindig machen? Warum verschwinden zahlreiche Schulabgänger spurlos? Und weshalb scheinen es sämtliche Poltergeister, die von Sevens toter Schwester flüstern, auf sie abgesehen zu haben? Seven macht sich auf die Suche nach Antworten - gemeinsam mit ihren neuen Freunden und dem ein oder anderen nervigen Toten, der einfach nicht akzeptieren will, dass seine Zeit abgelaufen ist.  

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Zitat

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Seven

Kapitel 15

Parker

Seven

Kapitel 16

Kapitel 17

Parker

Seven

Kapitel 18

Parker

Crowe

Parker

Seven

Varla

DANKSAGUNG

 

Für Nina SchifferAutorenfreunde für immer

 

There must be some way out of here,

said the joker to the thief.

There’s too much confusion,

I can’t get no relief.

No reason to get excited,

the thief, he kindly spoke

There are many here among us,

who feel that life is but a joke

But you and I, we’ve been through that

And this is not our fate

So let us not talk falsely now

The hour ’s getting late!

Bob Dylan – All along the Watchtower

Kapitel 1

»Du weißt, dass ich dich nicht auffangen werde, wenn du jetzt von der Klippe springst.«

Wie charmant. Seufzend warf ich einen Blick nach unten. In den Abgrund, der sich zu meinen Füßen erstreckte. Ein ziemlich tiefer Abgrund wohlgemerkt. Keiner dieser popeligen Exemplare, die sich am Rande von Skateboardrampen auftaten.

Ein einzelner Stein löste sich genau unter meiner linken Fußspitze und hoppelte über die Klippe nach unten. Wir beide folgten ihm mit den Augen.

Stille.

Die Schnürsenkel an meinen Chucks, die inzwischen mehr grau als weiß waren, hatten sich allesamt gelöst. So, als hätten sie sich abgesprochen.

»Wirst du nicht oder willst du nicht, Remi? Weißt du, darin besteht ein Unterschied.«

Der Geist schwieg einen Moment, was eigentlich völlig untypisch für ihn war.

»Seven, mal ehrlich. Du weißt, ich würde alles für dich tun. Aber nichts, was meine physische Präsenz erfordert. Ich meine, wie bitte soll ich das anstellen?« Er zuckte mit den Schultern. »Ist einfach nicht drin.«

»Wir haben nie ausprobiert, ob du mich in einer Notsituation nicht doch auffangen könntest.« Den vorwurfsvollen Ton in meiner Stimme hatte ich in der Form eigentlich gar nicht geplant. Aber nun war es raus.

Remi biss sich mit dem linken Eckzahn auf die Unterlippe, wie er es häufig zu tun pflegte. Vor allem dann, wenn er genervt war. Und das ausschließlich von mir. Selbstverständlich. »Genau. Weil wir unseren einstudierten Gang-High-five ja schon so gut hinkriegen.«

Darauf antwortete ich nicht. Brauchte es nicht, weil wir beide wussten, dass es die Wahrheit war. Kaum zu glauben, welche merkwürdige Art von Freundschaft sich in den letzten Jahren zwischen uns entwickelt hatte.

Während mich die tief stehende Sonne blendete, lauschte ich auf die Insektengeräusche um uns herum.

Ohne hinzusehen, wusste ich, dass Remi in ebendiesem Moment die Augen in Richtung Himmel verdrehte. »Du musst loskommen von diesem Mist, Süße. Wie oft willst du noch zu dieser Klippe pilgern und kleine Steine in den Abgrund treten? Ich kann nicht mein ganzes Geisterleben damit zubringen, dich davon abzuhalten. Im Grunde genommen sieht mein Auftrag genau das Gegenteil davon vor.« Um seine Worte zu untermauern, schwebte er direkt vor mich, sodass seine geisterhaften Füße, die wie meine in Chucks steckten, direkt über dem Abgrund baumelten. »Wie oft wollen wir das eigentlich noch ausdiskutieren?« Er hob einen Zeigefinger, wedelte damit vor meiner Nase herum und begann den Refrain von Jennifer Lopez’ Ain’t your Mama zu singen. Remis seltsame Art von Humor.

»Schon gut«, murmelte ich. »Aber warum sollte ich es dieses Mal nicht einfach durchziehen? Warum sollte ich heute und hier nicht springen? Ich meine, schau mich an! Was bin ich schon, außer einem verrückten Mädchen, das Geister sieht?« Das stimmte. Im Gegensatz zu anderen hatte ich nichts vorzuweisen außer meiner geistbegabten Seele, wie Remi es ausdrückte. Aber was hatte mir das bisher gebracht? Ich hatte ein paar Tote gesehen, außerdem Remi und diesen gruseligen Poltergeist, den wir »den Gärtner« getauft hatten.

Remi ließ seinen Blick über meine vom Sand im Nationalpark rot verfärbten Fingerspitzen bis zu meinen Augen wandern, sagte aber nichts. Wahrscheinlich war das besser so. Zu dieser Tageszeit und ohne meine fünfte Tasse Kaffee wusste ich recht gut, was für ein Bild ich abgab. Das einer verrückten Höhlenbewohnerin mit verstrubbelten Haaren. Sonst war einfach alles an mir durchschnittlich. Selbst meine Körpergröße entsprach dem absoluten Mittelmaß.

»Außerdem würde es zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn ich springe. Heute und hier. Sobald ich tot bin, kannst du deinen Auftraggebern sagen, dass deine Mission gescheitert ist, und endlich in dein geliebtes Deutschland zurückkehren. Ist mir sowieso schleierhaft, wie du es so lange in Utah aushalten konntest.«

Mit mir aushalten konntest, dachte ich, erwähnte das aber nicht. Stattdessen richtete ich meinen Blick in die Ferne. Auf die andere Seite der großen Schlucht des Yellowstone Nationalpark.

»Du hast Darcy.«

»Was?« Ich hatte irgendwie den Faden verloren.

»Du hast deinen Freund Darcy. Ist er nicht der Grund, warum du nicht mit mir kommen willst? Warum ich seit zweieinhalb Jahren permanent einen Korb von dir einstecken muss? Weil du hier bei Darcy bleiben willst. Warum solltest du dich umbringen, solange …« Er hob verächtlich einen Mundwinkel und malte Anführungszeichen in die Luft. »… die Liebe deines Lebens hier in Utah festsitzt?«

Ich starrte Remi an, der jetzt eine seltsame Version von As long as you love me inklusive eines Ausdruckstanzes aufführte, den es in dieser Form bei den Backstreet Boys sicher nie gegeben hatte. Jedenfalls soweit ich wusste. Andererseits passten Backstreet-Boys-Songs aus Remis Repertoire wirklich besonders gut zu ihm, da er mit seiner blonden Topffrisur wie ein kleiner Bruder von Nick Carter, dem Leadsänger, aussah. Wenn man seine hellen Haare als blond deutete, jedenfalls. Da Remi durchscheinend und wie alle Geister eher farblos und lediglich mit einem leichten Blaustich in seiner Erscheinung durchs Leben ging, falls man das so nennen konnte, war es beinahe unmöglich, Rückschlüsse auf Haut- oder Haarfarben zu ziehen.

Ich knibbelte an meiner Nagelhaut herum. So ziemlich der einzige Grund, weshalb ich Remis ständige Angebote, mich auf diese Schule für geistbegabte Jugendliche in Deutschland zu bringen (und damit ging mir Remi mindestens zweimal pro Woche auf den Geist), wieder und wieder ablehnte, war mein fester Freund Darcy. Mein süßer Darcy mit den niedlichsten Segelohren der Welt und der Biker-Lederjacke, die er selbst bei vierzig Grad im Schatten niemals auszog. Vor meinen Augen lösten sich eine Handvoll winziger Steine, so rot wie aufgeschnittene Blutorangen, und prasselten den Felsen entlang in die Tiefe.

Vielleicht sollte ich ihnen wirklich folgen. Das wäre für alle das Beste. Keine Geister mehr. Keine zerstörte Familie. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Stirn. Aber auch kein Darcy mehr. Und kein Remi.

»Seven«, sagte eine Stimme hinter mir, »auch wieder hier?«

Und kein Jared. Ich hatte Jared vergessen.

»Genau«, antwortete ich, ohne mich umzudrehen. »Du weißt, wie sehr ich Sonnenuntergänge im Park liebe.«

Der Parkwächter räusperte sich. »Das ist unbestritten der einzige Grund. Für jeden deiner Besuche.«

Wir schwiegen. Nur Remi sang, allerdings im Flüsterton, Love is in the air. Warum er flüsterte, war mir schleierhaft. Immerhin war es ja nicht so, dass andere Menschen ihn hören oder sehen konnten. Nein, dieses Exklusivrecht lag ausschließlich bei mir.

»Kann ich dir noch einen Kakao anbieten, bevor wir den Park schließen?«

»Danke, Jared. Das ist sehr liebenswürdig von dir.«

Als sei es eine einstudierte Choreografie, drehte ich mich wie jedes Mal nach diesen Worten zu ihm um. Wie oft genau meine Abende in diesem Sommer nach diesem Muster abgelaufen waren, konnte ich schon nicht mehr sagen. Viele, unzählige Male jedenfalls.

Jared, der eben noch auf seine Schuhspitzen gestarrt hatte, sah auf. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem seiner intensiven Jared-Lächeln.

»Wenn die Sonne hinter dir untergeht, glitzert deine Haut, wusstest du das? Ziemlich merkwürdig. Aber dennoch cool.«

Meine texanische Bräune war wohl das Einzige, was mir je irgendjemand geneidet hatte. Diesen Teil meines Erbes väterlicherseits, den ich zudem verabscheute, tat ich wie immer mit einem Schulterzucken ab. Stattdessen entknotete ich den navyblauen Zipsweater von meiner Taille und schlüpfte hinein. »Bald wird es Herbst.«

»Zweifellos.« Mit einem Nicken bot mir Jared seinen Arm an, worauf ich langsam auf ihn zusteuerte und mich bei ihm unterhakte. Jared war in diesem Sommer zu einem wahren Freund herangereift. Außerdem war er selbst Halbwaise und mit seinen neunzehn Jahren nur knapp drei Jahre älter als ich, weswegen er mich gut verstand. Damit war es offiziell. Ich konnte die wohl verrücktesten beiden Freundschaften auf der Welt vorweisen. Einen jungen Parkwächter, der mir zweimal die Woche Kakao anbot, damit ich nicht von seiner Klippe sprang, und einen Geist, ungefähr im selben Alter, den außer mir niemand sehen konnte. Ob man mit so etwas ins Guinnessbuch der Rekorde kam?

Auf dem Weg zur Hütte der Parkwächter nahm Jared ein stinknormales Gespräch mit mir auf. Das schätzte ich so an ihm. Niemals thematisierte er mein Vorhaben an der Klippe. Machte mir keine Vorwürfe. Empfahl mir noch nicht mal eine Therapiegruppe. Hatte man jemals von so einem guten Freund gehört?

Remi schwebte neben uns her und stieß in regelmäßigen Abständen Glucksgeräusche aus. Insgeheim himmelte er den hübschen Parkwächter seit unserem ersten Besuch hier an, das wusste ich. Auch wenn Remi gerne so tat, als würde er darauf hoffen, dass ich mit Jared zusammenkam. Weil mein bester Geisterfreund Darcy nicht ausstehen konnte.

Aber selbst wenn ich Interesse an Jared gehabt hätte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass dieser hübsche Junge mit den dunkelblonden kurzen Haaren, der wie eine Mischung aus Surferboy und Soldat aussah, Single sein sollte.

Wie aufs Stichwort raunte mir Remi ins Ohr: »Frag ihn! Jetzt frag ihn endlich, ob er eine Freundin hat oder nicht. Ich halte diese Spannung einfach nicht mehr aus!« Als ich unauffällig in Remis Richtung schielte, bemerkte ich, wie er so tat, als würde er sich die Fingernägel abkauen. Ich hob beide Augenbrauen und bedachte ihn mit einem Blick, der keine Fehlinterpretation zuließ. Sicher nicht!

 

Zwei Stunden später betrat ich Tante Karens Vorgarten. Remi wollte noch ein wenig im Park bleiben. Mit anderen Worten: Jared hinterherspionieren. Aber gegen ein paar geisterfreie Minuten hatte ich nichts einzuwenden. Wie immer schmiss ich meine Tasche unter den kleinen Beistelltisch im Flur und drückte als Erstes auf den Anrufbeantworter, auf dem wie jeden Mittag genau eine alte Nachricht auf mich wartete. Unter der Nummer, die auf mich zugelassen war, jedenfalls. Bei Tante Karen mussten es sicher mehr sein.

»Liebling«, ertönte die Stimme meiner Mutter, gleich nachdem die Automatenstimme ihren monotonen Singsang hingelegt hatte, »ich bin’s.« Natürlich. Wer auch sonst? »Wenn du da bist, Seven, bitte geh ran. Ich habe nur diesen einen Anruf.« Kurzes Zögern. »Hör mal, ich weiß, dass du mich verabscheuen musst nach allem, was ich … Aber ich musste es tun. Vielleicht kannst du es irgendwann nachvollziehen. Wenn du älter bist und selbst Kinder hast.« Ein Schluchzer unterbrach sie für einen Augenblick. Ich straffte die Schultern und sprach ihre nächsten Sätze auswendig mit: »Eines Tages wirst du es verstehen. Und du wirst mir hoffentlich vergeben, was ich dir damit angetan habe. Du hast Nova auch geliebt, ich weiß es. Tante Karen wird gut für dich sorgen. Vergiss nie, dass ich dich liebe und jeden Tag an dich denke.« Dann ertönte ein Geräusch, als sei ihr der Hörer aus der Hand gefallen. Ein Handgemenge unter Frauen schien sich am anderen Ende der Leitung abzuspielen. Einen Atemzug später herrschte Stille, worauf sich die Automatenstimme meldete und mich diensteifrig fragte, ob ich die Nachricht speichern oder löschen wollte. Als hätte sich nicht langsam eine gewisse Routine zwischen uns eingespielt in den letzten Monaten. Wie immer wählte ich »speichern« und machte mir dann zwei Spiegeleier. Von beiden Seiten gebraten.

Während das Eiweiß in der Pfanne Blasen warf, krochen meine Gedanken wie von selbst zurück zu Mom. Ein Druck auf meine Lungen verriet mir, dass heute einer dieser Tage war, an dem ich mehr Wut als Sehnsucht verspürte. Einer der selteneren Tage in diesem Sommer. Dennoch empfand ich eine gewisse Erleichterung, dass ich überhaupt noch in der Lage war, Gefühle ihr gegenüber aufzubringen. Mit dem Pfannenwender hob ich die Eier auf den Teller und schnappte mir zwei Toastscheiben. Schon während ich den Kühlschrank öffnete, um mir Ketchup zu nehmen, zitterten meine Hände. Als ich die Flasche herausgefischt hatte, schloss ich die Kühlschranktür. Novas und mein Gesicht lachten mir entgegen. Der Kühlschrankmagnet war bereits leicht verblichen, zeigte uns aber strahlend vor den zugefrorenen Niagarafällen. Mit einer Hand fuhr ich sanft über Novas Kindergesicht. So viel war seit diesem Tag geschehen.

Kapitel 2

Tante Karen kam um halb zehn nach Hause, und da Darcy mir für diesen Abend abgesagt hatte, weil er lernen musste, fand Karen mich gammelnd in meinem Batman-Bademantel auf der Couch vor. Inzwischen wieder in Gesellschaft von Remi, der kopfüber auf dem Sessel direkt neben mir hing, was selbstverständlich niemandem außer mir auffiel.

»Sag mal, seit wann steht da ein Roboter aus Coffee-to-go-Bechern bei uns auf der Veranda?«

Ich begegnete ihr mit einem müden Augenaufschlag.

»Neues Kunstprojekt, Schätzchen? Wirklich, deine Kreativität ist unschlagbar. Ich werfe nie wieder was weg, sondern drücke alles dir in die Hand.«

Der Gedanke daran ließ mich lächeln. »Aber nur unverseuchten Müll, wenn ich bitten darf.«

Wie an jedem Wochentag trennte sich Karen als Erstes von ihrem Spießerkostüm und zog ihre Couchuniform an, wie wir es nannten. Diese Uniform bestand aus einem ausgewaschenen Shirt sowie Comic-Pyjamahosen und einem Bademantel. Während Karen sich mir wenig später in ihrer Simpsons-Couchuniform präsentierte, trug ich heute mit meiner Hose meine ausgeprägte Disney-Affinität zur Schau. Ich strich einmal über den aufgerauten Stoff und das Muster von Arielle samt ihren kleinen Fischfreunden, genoss dabei die Ruhe, bevor Karens Ausfragerei unweigerlich losgehen würde.

»Ach, sieh dir diesen Vollidioten an.« Tante Karen nickte in Richtung Fernseher, wo ich gerade werbeblockbedingt durch die Programme zappte und bei einer Rede des Präsidenten der USA stehen geblieben war. »Unser Land wäre besser dran, wenn der Joker die Politikgeschäfte führen würde.«

Offensichtlich. Ich hob Daumen und Zeigefinger an meinen Mund und tat so, als würde ich mir ein extrabreites Lächeln nachzeichnen.

Nachdem sich meine Tante die blonden Haare zu einem hohen Dutt gedreht hatte, warf sie sich auf den Sessel, wodurch Remi erschrocken aufkeuchte und sich dann auf den Boden zu ihren Füßen hockte, nicht ohne einen Schmollmund zu ziehen, für den er eigentlich zu wenig Weiblichkeit besaß.

»Freitagabend, und du sitzt auf der Couch«, bemerkte Karen jetzt.

Noch in Gedanken bei Remi rubbelte ich mir mit dem Zeigefinger über die Nase. »So wie du, meinst du?«

»Ich bin aber auch keine siebzehn und im ausgehfähigen Alter.«

»Sechzehneinhalb«, korrigierte ich automatisch.

»Sechzehn, siebzehn!« Tante Karen winkte ab, und zwar mit derselben Geste, die sie auch benutzte, wenn sie im Maklerbüro um Grundstückspreise feilschte. »In deinem Alter habe ich mir einen entsprechenden Ausweis anfertigen lassen und bin in jeden Club der Stadt reingekommen.«

»Wirklich, du bist ein tolles Vorbild. Manchmal denke ich, dass kriminelle Energie dieser Familie in die Wiege gelegt wurde.« Ich griff in den Popcorneimer und förderte ein paar versprengte, letzte Krümel zutage. Da man mit diesem ernsten Thema Karen immer zum Verstummen bringen konnte, genoss ich ein paar Minuten der Ruhe, in denen ich mir Dancing with the Stars im Fernsehen ansah.

»Ich vermisse sie auch«, murmelte Karen nach einer Weile. Schweigen.

»Soll ich uns Eis von Jen und Berry’s holen?«

Ich sah auf. Natürlich war meine letzte Bemerkung ihr gegenüber unfair gewesen. Karen hatte auch eine Schwester verloren. Mit dem Unterschied, dass ihre im Gefängnis saß und gleichzeitig meine Mom war, aber meine kleine Schwester unter der Erde lag.

»Ich gehe«, sagte ich daher bestimmt. Meine Tante musste heute genug durch die Stadt gerannt sein. Sie hatte es sich verdient, die Füße hochzulegen. »Du kannst dir sowieso nicht merken, welche Sorte ich mag.«

 

Als ich mein Fahrrad an der Ecke vor dem Eisladen an eine Laterne schloss, in der keine einzige Birne mehr brannte, dachte ich über das anstehende Wochenende nach. In zwei Tagen würde ich spätestens wieder zur Klippe gehen. Übermorgen. An dem Tag, an dem Nova elf Jahre alt geworden wäre. Der Geburtstag meiner Schwester. Bei diesem Gedanken schob sich ein Tränenschleier vor meine Augen, was dazu führte, dass mir der Schlüssel abrutschte und zu Boden fiel. Dem Klackergeräusch nach zu urteilen, war er nicht weit gerollt. Nur ein Stück in Richtung des Bordsteins. Nach einem kurzen Aufstöhnen blinzelte ich die Tränen weg. Weinen half nicht, wie ich inzwischen eigentlich wissen sollte. Also ging ich in die Knie und tastete nach dem Schlüssel. Warum musste auch gerade diese Straßenlaterne ausgebrannt sein?

Und während ich auf den Knien meiner hastig übergestreiften grünen Jeans herumrobbte und in meinen Handyeinstellungen die Taschenlampenfunktion suchte, hörte ich die Stimmen, die über die Hecke vor der Eisdiele zu mir herübergeweht wurden. Zuerst ordnete ich sie einer lachenden Jungenclique zu, vielleicht hatte eins der städtischen Footballteams etwas zu feiern. Aber dann, ganz plötzlich, filterte ich zwei Stimmen aus dem Gelächter heraus. Die von Darcy und seinem besten Freund Lion. Sie mussten direkt hinter mir im Eiscafé sitzen. Auf der anderen Seite der mannshohen Hecke.

Darcy war hier? Aber … warum? In diesem Moment bekam ich endlich den Schlüssel zu fassen, verharrte aber dennoch am Boden. Er hatte mir erzählt, wir könnten uns heute Abend nicht treffen, weil er lernen musste. Doch jetzt saß mein Freund, wenn ich meinen Ohren trauen konnte, im Jen & Berry’s und amüsierte sich offensichtlich ganz gewaltig.

Auf einmal wünschte ich mir Remi herbei, der mich hätte trösten oder herausfinden können, was los war. Aber Remi war heute Abend zu faul, um sich weiter vom Fernseher wegzubewegen als nötig. Vermutlich immer noch in seinen Tagträumen von Jared gefangen.

»Lust, noch einen draufzumachen?« Gläserklirren ertönte zusammen mit einer mir eher unbekannten Stimme, von der ich annahm, dass sie einem Typen aus Darcys Lacrosse-Team gehörte. Normalerweise redete ich nicht mit den Sportfreaks an der Schule. Oder sie nicht mit mir.

»Oder müsst ihr Luschen heute Abend noch zu euren Freundinnen? Darcy? Eric?«

Eric, der große, wasserstoffblonde Typ, räusperte sich. Sehen konnte ich ihn natürlich nicht, aber seine Stimme kannte ich zufällig, weil er mit mir im selben Mathekurs saß.

»Nein, ich nicht. Hab mit Monica Schluss gemacht. Beziehungsweise werde ich das morgen offiziell tun.«

Gelächter. Noch mehr Gläserklirren. Einfach widerlich. In mir zog sich alles zusammen. So redete Eric über Monica? Die süße, sommersprossige Monica, die so stolz darauf war, in einer Woche mit Eric zum Homecomingball zu gehen?

»Ich habe heute keine Lust auf Seven. Bin zu allen Schandtaten bereit!« Das war Darcys Stimme. Eindeutig. Nur bei seinen Worten vibrierte mein Trommelfell, so als wollte es das eben Gehörte löschen. Darcy hatte keine Lust auf mich.

»Echt jetzt?«, mischte sich ein anderer Typ ein. »Seven ist doch heiß. Wenn du sie abservierst, nehme ich sie.«

Gegröle und wieder traf Glas auf Glas. Sicherlich hatten sie Alkohol in ihre Limonaden gemischt.

»Na ja, Seven ist bestenfalls niedlich. Heiß ist doch etwas übertrieben.« Erics Stimme klang eine Spur herablassend. »Seit der Sache mit ihrer Schwester spricht sie doch kaum noch. Außerdem zieht sie sich wie ein Junge an. Ganz schön unsexy.«

»Und fünf Kilo weniger auf den Rippen würden ihr auch guttun«, mischte sich eine andere Stimme ein. Lion. Das hatte Lion über mich gesagt.

Meine Kiefermuskeln spannten sich an, während sich ein schaler Geschmack in meinem Mund ausbreitete. Ich musste hier weg. Die Situation auf der anderen Seite der Hecke war einfach zu absurd. Darcys Freunde so über mich sprechen zu hören. Und dann auch noch über Nova! Wie konnte Eric nur?

Mit dem spontanen Vorsatz, etwas Eis im Seven Eleven, anstatt aus der Eisdiele zu holen, packte ich das Fahrradschloss zurück in den Korb. Meine Hände zitterten dabei wie wild. Obwohl ich nicht mehr hinhören wollte, schockierten mich die nächsten Worte der Jungen. Eben weil ich nicht einfach weghören konnte.

»… ohne Scheiß. Seven sieht aus wie Selena Gomez’ kleine Schwester. Wenn sie eine hätte. Hat sie aber nicht, oder?«

»Was habt ihr nur für ein Problem mit meiner Freundin?«

Endlich sprach Darcy ein Machtwort!

»Ehrlich, Mann, lass mal die Luft raus. Wir wissen doch, dass du neben ihr noch andere hast. Was führst du dich jetzt wie ein Moralapostel auf?«

Meine Hände krampften sich um das Plastikstück an meinem Fahrradlenker, sodass ich es beinahe entzweibrach. Hatte ich das eben richtig verstanden?

»Nur noch eine andere«, gab Darcy jetzt zu. »Das mit Monica habe ich schon vor einem halben Jahr beendet. Bevor sie mit Eric zusammenkam.«

Alle meine inneren Organe schienen bei den Worten meines Freundes abzusterben. Wir waren beinahe drei Jahre zusammen. Dieser Junge war mein Ein und Alles. Neben Remi war Darcy doch meine ganze Welt. Abgesehen von meiner besten Freundin Melody vielleicht. Er hatte mir meine Mathehausaufgaben erklärt, mich gehalten, wenn ich wegen Nova weinte, und war mit mir im Schwimmbad im Kinderbecken geblieben, weil ich Angst vor dem dunklen Wasser im Erwachsenenbecken hatte. Nur dass all meine Liebe zu ihm ganz offensichtlich nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.

»Ah ja, die schöne Melody!«, freute sich der Junge jetzt wieder, der zuerst gesprochen hatte. »Stimmt. Die ist doppelt so scharf wie Seven. Trotzdem: Wenn du offiziell mit Melody zusammenkommst, kann ich dann Seven haben?«

Etwas in mir zerbrach bei diesem Satz. Und ich wusste, dass genau dieser Satz für immer eingebrannt in meinem Bewusstsein weiterexistieren würde. Jederzeit abrufbar in verletzlichen Momenten. Darcy und Melody. Mein Freund und meine beste Freundin. Nein. Wie …? Warum …? Das hatte ich nicht kommen sehen. Hätte es in hundert Jahren nicht geahnt. Mein Innerstes wurde kalt wie Eis. Melody – meine beste und einzige Freundin an der Schule. Ich musste fort von hier. Konnte kein Wort mehr ertragen, das am Lacrosse-Tisch gesprochen wurde. Kein einziges!

 

Während der Fahrt nach Hause zitterte ich durchgehend, wie zuletzt kurz nach Novas Verschwinden. Meine Kieferknochen schmerzten bereits, so fest biss ich die Zähne zusammen. Auf einmal fühlte es sich schwierig an, die Balance auf dem Rad zu halten, wenn gleichzeitig so viele Emotionen aus mir herauszubrechen drohten.

Nach ungefähr einer halben Meile folgten die Tränen in immer kürzeren Abständen. Irgendwann sah ich kaum noch den Fahrradweg unter mir, weshalb ich abstieg und schob. An einer Tankstelle schmiss ich mein Rad letztendlich zur Seite und hockte mich auf den Gehsteig, wo ich mich meinem Selbstmitleid hingab und hemmungslos zu schluchzen anfing. Zu allem Unglück setzte auch noch Nieselregen ein. Das war allerdings gerade mein geringstes Problem, weshalb ich so tat, als machte mir das nichts aus.

Ungefähr drei Minuten später fand mich Remi. Da ich sowieso noch nie besonders gut darin gewesen war, mich in meinem eigenen Selbstmitleid zu suhlen, war ich beinahe erleichtert, als mein Geisterfreund vorbeischwebte.

»Seven? Was ist los? Hatten sie deine Lieblingseissorte nicht mehr, oder warum heulst du?«

Remi las manchmal in mir wie in einem geklauten Tagebuch.

»Natürlich nicht!« Wahrscheinlich verstand er mich kaum unter meinen Schluchzern. Trotzdem nickte er, setzte sich dann neben mich auf den Bordstein, zumindest tat er so und imitierte meine Sitzposition. Damit mich niemand für verrückt hielt, fummelte ich einen Kopfhörer aus meiner Regenjacke und stopfte ihn mir ins Ohr. So konnte ich mit Remi sprechen, aber für die Öffentlichkeit so tun, als würde ich über das Headset telefonieren. Tricks wie diesen hatten Remi und ich in den letzten Jahren perfektioniert.

»Es ist wegen Darcy. Ich habe ihn gesehen. Im Eiscafé.«

»Oh.« Ja, genau. Remi wusste Bescheid. »Der wollte heute Abend doch lernen?«

»Nicht nur, dass er mich angelogen hat, nein, stell dir vor, ich bin nicht mal seine einzige Freundin!« Bei den letzten Worten schrillte meine Stimme ein paar Oktaven in die Höhe. Der Verrat von Melody schmerzte beinahe noch mehr, sodass ich darüber lieber schwieg und die Wahrheit tief in meinem Inneren vergrub.

»Wirklich jetzt? Er geht noch mit einer anderen?«, empörte sich Remi. Seine Umrisse flackerten, wie seine halb durchsichtige Gestalt es manchmal tat, wenn er wütend war.

»Ja, mit Melody und bis vor Kurzem auch noch mit Monica und mit wer weiß wem noch.« Meine Stimme erstarb. Jetzt war es doch aus mir herausgebrochen. Darcy und Melody. Bei dem Gedanken an die beiden fühlte ich mich wie von einem Auto überfahren. Nichts würde mehr so sein wie zuvor. Eigentlich hätte ich gerne noch mehr gesagt, nur fühlte sich meine Zunge plötzlich wie eingefroren an. Wie konnte mir Darcy das antun? Er war doch mein Darcy? Meine erste große Liebe. Hatte es dafür Anzeichen gegeben? War ich so blind gewesen?

»Ach, Süße«, seufzte Remi, »ich würde dich jetzt so gerne in den Arm nehmen.«

Das wäre schön. Nur wussten wir beide, dass das nie funktionieren würde. Mit dem Daumennagel drückte ich mir immer wieder gegen die Oberlippe, während ich nachdachte. Über mich und die letzten drei Jahre.

Schließlich warf ich Remi, der neben mir unaufhörlich auf Dumbo-Darcy schimpfte und dabei noch weitere wenig schmeichelhafte Spitznamen für meinen Freund erfand, einen Blick zu. Nieselregen tropfte durch seine Geistergestalt, was ziemlich seltsam anmutete, allerdings kein gänzlich neuer Anblick für mich war.

»Remi, in dieser Schule in Deutschland, wird dort eigentlich Englisch gesprochen?«

Remi stutzte. Sicher hatte er nach zweieinhalb Jahren, in denen er versucht hatte, mich zu einem Schulwechsel an die Black Forest High zu überreden, nicht mehr damit gerechnet, dass ich jemals ein Gespräch über diese Schule beginnen würde.

»Weißt du, meine Mom und Karen sind zwar Deutsche, aber sie waren nicht gerade konsequent in meiner deutschen Erziehung. Englisch wäre mir lieber.«

Remi öffnete und schloss den Mund, röchelte dann mehrere Sekunden lang. Wenn er noch am Leben gewesen wäre, hätte ich mir sicher Sorgen um seine Luftzufuhr gemacht. Aber so schrieb ich das lediglich seiner Selbstinszenierung zu. Geister mussten nicht atmen. Remi erinnerte sich allerdings gern an Verhaltensweisen aus seiner Zeit als lebender Junge.

»Seventina Alexia Richard! Heißt das, du kommst mit mir in den Schwarzwald?«

»Remington Achilles Osterwald! Ich will einfach nur noch weg von hier. Von meiner Highschool. Nimm mich mit nach Deutschland.« Ich schmeckte Salz auf den Lippen. Inzwischen hatten sich meine Tränen komplett mit Regentropfen vermischt.

Sicherlich hatte Remi absolut nicht erwartet, dass ich doch noch einknicken würde. Und das jetzt, wo das neue Schuljahr bereits vor einigen Wochen angefangen hatte. Aber warum nicht? Wieso sollte ich nicht mal aus Utah herauskommen, das mir in den letzten Jahren nicht gerade Glück gebracht hatte? Die Leute redeten immer noch über mich, Nova und meine Mom. Und jetzt hatte ich nicht mal mehr Darcy.

Bis Remi sich gefasst hatte, kaute ich auf meinem Zeigefingernagel herum. Was sollte ich noch hier? Besser, Darcy und ich verteilten uns auf unterschiedliche Planeten. Nun, Deutschland würde es vorerst auch tun.

»Ehrlich wahr? Mensch, Seven! Die beste Entscheidung deines Lebens! Du wirst sehen! In der Akademie wirst du unter Deinesgleichen sein. Unter anderen geistbegabten Jugendlichen. Ich sage der Schulleitung sofort Bescheid. Sie schicken dir und Karen alle Unterlagen zu.« Er überschlug sich beinahe vor Freude, bis er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. »Das mit Darcy tut mir trotzdem leid. Dieser Lacrosse-Alpha-Kevin hatte dich sowieso nicht verdient.« Bisher hatte sich Remi mit seiner Meinung über Darcy zurückgehalten. Mehr oder weniger. Er mochte ihn zwar nicht, hatte mich aber nie zu einer Trennung zu überreden versucht.

 

Zu Hause bot mein Pappbecher-Roboter im Regen einen traurigen Anblick. Als ich die Tür aufschloss, klopfte mein Herz. Nicht nur, dass ich keine Lust hatte, Karen von meinem Abstecher ins Jen & Berry’s zu erzählen, dazu hatte ich auch vollkommen vergessen, Eis mitzubringen. Doch ich hätte mir um Tante Karen keine Sorgen machen müssen. Im Wohnzimmer schlug mir sofort ihr Schnarchen entgegen. Ein kanadischer Trucker mit Adipositas war nichts dagegen. Sie lag in ihrer Simpson-Uniform quer über der langen Couch, ein Arm baumelte nach unten, knapp über dem Teppichboden. Im Fernseher lief eine Kochshow, bei der gerade eine Gans aus dem Ofen gezogen wurde.

Damit hatte sich immerhin das Eisproblem erledigt. Also schnappte ich mir die kratzige Kameldecke von der Lehne und deckte meine Tante damit zu.

»Wirklich ein Wunder, dass Karen noch Single ist«, bemerkte Remi, der auffällig in Richtung des Sabberfadens schielte, der aus Karens Mundwinkel auf das Kissen unter ihr tropfte.

Ich zuckte zusammen. Genau genommen waren Karen und ich ab heute beide Singles.

Remi, der wohl eben erkannte, was er damit bei mir angerichtet hatte, warf mir einen Blick zu. »Sorry, Seven. Kopf hoch. Im Schwarzwald gibt’s auch hübsche Jungs.«

Ich rümpfte die Nase. Momentan hatte ich die Schnauze voll von Jungs. Aber so was von!

 

Nachdem ich mich eine Weile in meinem Bett hin und her gewälzt, schließlich alle Fotos von mir und Darcy von den Wänden gerissen und mich erneut hin und her gewälzt hatte, fiel mein Blick auf meine Stofftiersammlung. Allesamt von Darcy bei Festivals für mich geschossen. Obwohl es mich einiges an Überwindung kostete, holte ich aus und fegte sie alle aus meinem Bett. Sogar die kleine Ente mit einem roten und einem blauen Flügel, die ich so gerne mochte. Die Tierchen landeten auf dem Teppich, schossen dann noch einmal ein winziges bisschen in die Höhe und kullerten davon. Die kleine Ente sah mich vorwurfsvoll an. Aber das war mir egal. Das einzige Stofftier, das mir etwas bedeutete, war der kleine Eisbär von Nova. Den zog ich beinahe jede Nacht zum Einschlafen in meine Arme.

Ich schluckte, sah mich weiter im Zimmer um. Remi war gegangen, würde aber sicher bald wiederkommen, wie er es immer tat.

Obwohl ich mir sicher war, niemals einschlafen zu können, tat ich es doch. Bis mir jemand etwas ins Ohr zischte.

»Schnell, wach auf, Seven. Er ist da. Der Gärtner ist da!«

Der Gärtner war da? Was wollte er denn mitten in der Nacht? Doch bitte nicht den Rasen vor meinem Fenster mähen? Ich blinzelte, bis mir die Zusammenhänge klar wurden. Remi wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum. Dann bemerkte ich auch schon, wie das Licht flackerte, obwohl ich die Deckenlampe vor dem Zubettgehen ausgeschaltet hatte. An der Tür inmitten meiner Stofftiere stand der Gärtner mit seinem pockenvernarbten Gesicht. Ein dunkler Geist, der stets eine Kettensäge in der Hand hielt. Meine Schultern spannten sich an. Innerhalb nur einer Millisekunde hatte ich mich aufgesetzt.

Ein Ratschen ertönte. Zuerst verstand ich den Sinn dahinter nicht. Doch dann senkte ich den Blick. Zu Füßen des Gärtners zerfetzte eine unsichtbare Macht ein Stofftier nach dem anderen in zwei Hälften. Der Hase war in der Mitte entzweigerissen. Dem Schneeleoparden klappte gerade der Kopf von den Schultern. In den Händen des Geistes rasselte die Kettensäge. Was wollte dieser Geist nur immer von mir? Wie betäubt hob ich den Kopf. Der Gärtner grinste. Seine Nase, so groß wie eine Kartoffel, zuckte verräterisch. Er genoss es sichtlich, mich zu quälen. Nur dass mir das Zerteilen von Darcys Geschenken nicht so viel ausmachte. Nicht heute. Und nicht so viel, wie manch andere Aktionen des Geistes. Das Schlimmste bisher war eigentlich gewesen, als er mein Weihnachtsgeschenk für Karen an Heiligabend zerstört hatte und als er mir einmal die Bremsen an meinem Fahrrad durchgeschnitten hatte. Solche Dinge tat er ein- bis zweimal im Monat. Aber ich hatte noch nicht herausgefunden, warum. Wenn ich nicht schon viel Schlimmeres in meinem Leben durchgemacht hätte und wenn das nicht Darcys Sachen gewesen wären, hätte mich seine heutige Stofftier-Schlachteraktion sicher mehr getroffen.

»Hau ab, du Prolet!« Remi schwebte mit wutverzerrter Miene auf den Gärtner zu. »Lass Seven in Ruhe! Was willst du von ihr?«

Als Antwort lachte der Gärtner nur.

Remi ließ sich nicht beirren. »Siehst du, Seven. Auch deswegen musst du dringend auf die Akademie. Dort werden sie dir beibringen, dich gegen Poltergeister zu wehren.«

Von mir aus sollte der doofe Poltergeist alle von Darcys Stofftieren zerteilen, aber dann bitte abhauen.

Wieder und wieder redete ich mir ein, wie egal mir alles hier in Utah war. Doch dann fiel mein Blick auf die kleine Ente. Mit einem grausigen Ratschen, so kam es mir vor, wurden ihr beide Beinchen abgerissen und dann explodierte ihr Kopf. Ein Auge prallte von meinem Spiegel ab und rollte unter den Schreibtisch.

Nun schlich sich doch eine Träne aus meinem Augenwinkel, kullerte über meine Wange bis zum Kinn, wo sie verharrte. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich würde also ohne Darcys Stofftiere nach Deutschland reisen.

 

Am folgenden Samstag zeigte Remi sich im Verlauf des Morgens kein einziges Mal. Er hatte sich nach Deutschland teleportiert und ließ sich vermutlich gerade irgendwo feiern, weil er seine Mission abgeschlossen und mich für die Schule gewonnen hatte. Ich hatte es mir mit einem Eiskaffee auf dem breiten Fenstersims in meinem Zimmer gemütlich gemacht und starrte nach draußen. Ob ich Remi danach immer noch wiedersehen würde? Darüber hatte ich gar nicht nachgedacht! Wenn ich ihn auch noch verlor … ja, dann würde ich ganz sicher springen!

Aber es lag durchaus im Bereich des Möglichen, dass die Schule ihn sofort dem nächsten geistbegabten Kind zuteilte, oder nicht? Mit den Fingerkuppen massierte ich mir die Schläfen. Wenn ich nach Deutschland ging, würde ich Karen und Jared aus den Augen verlieren, vielleicht sogar Remi. Andererseits konnte ich auch nicht hier in Darcys Nähe bleiben. Und Karen würde wohl kaum von hier und ihrem gut bezahlten Job wegziehen.

Ich musste es tun. Wer weiß, nach allem, was Remi berichtet hatte, würde mir dieses Geistinternat womöglich ganz neue Türen öffnen. Die Frage war nur, ob ich vorher noch einmal Mom besuchen sollte. Darüber würde ich mit Karen sprechen müssen.

Seufzend öffnete ich die Schreibtischschublade, die ich von meinem Platz am Fenster gerade so erreichen konnte. Wie selbstverständlich angelte ich nach dem Zeitungsartikel, der oben auf meiner Stiftsammlung lag. Behutsam strich ich das Papier glatt, wie ich es schon so oft getan hatte. Es war ein Ausdruck aus dem Internet. Die Übersetzung einer deutschen Nachrichtenmeldung. Komisch, wie sehr mir Remi bereits jetzt fehlte. Mein Blick glitt gemeinsam mit meinen Fingern langsam über den Artikel. In der oberen linken Ecke berichtete ein kurzer Text über einen toten Jungen. Meinen toten Jungen. Remi. Von einem Schwarz-Weiß-Bild strahlte er mir entgegen.

»16-jähriger vermisster Junge tot aufgefunden«, lautete die Überschrift. Dem Inhalt des Artikels nach war Remington Achilles Osterwald bei einem grausigen Unfall im Schwarzwald ums Leben gekommen. Fürchterlich. Nicht in Worte zu fassende Dinge hatte er erleiden müssen. Ob man in diesem Fall von Glück reden konnte, dass er sich partout nicht daran erinnern konnte? Irgendwann würden wir dieses Mysterium aufklären. Wir hatten bereits eine Liste an Möglichkeiten erstellt, was ihm passiert sein mochte. Aber laut Remi hatte das Zeit.

Draußen prasselte Regen gegen die Scheibe. Passend zu meiner Stimmung. Langsam fragte ich mich, wie tief ich noch sinken würde. Eigentlich hatte ich gedacht, schon ganz unten angekommen zu sein. Doch falsch gedacht. Darcy hatte mich nicht nur verletzt, sondern mich zudem um mein Sicherheitsnetz gebracht, weswegen ich mich jetzt im freien Fall befand.

Bisher hatte er sich noch nicht bei mir gemeldet. Ich schien ihm wirklich gleichgültig zu sein. Wann war das passiert? Waren wir nicht immer glücklich gewesen? Verärgert ertappte ich mich dabei, dass ich an die gemeinsame Zeit mit Darcy in den letzten Weihnachtsferien dachte. Im verschneiten Park und auf dem Fluss aus purem Eis. Beinahe magische Erinnerungen. Zumindest, wenn man mich fragte. Als ich mir Träne um Träne von der Nasenspitze wischte, damit nichts davon auf den Zeitungsausschnitt tropfen konnte, wusste ich plötzlich nicht mehr, ob ich um Darcy oder um Remi weinte.

 

Gegen elf Uhr am Vormittag klopfte es an meine Zimmertür. »Süße, bist du in deinem Zimmer? Alles in Ordnung bei dir?« Eine verschlafene Karen, dieses Mal im zerknitterten Baumwollkleid, öffnete die Tür. Bevor ich etwas sagen konnte, gähnte sie, was mich irgendwie ansteckte.

»Alles okay, Karen? Hast du bis jetzt geschlafen?«

Sie ließ sich auf mein Bett fallen, als sei sie soeben einen Marathon gelaufen, wenn nicht zwei. Dabei schien sie die Stofftiere nicht zu vermissen, die seit dem Morgengrauen in einer Mülltüte ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten.

»Ja. Und jetzt sag mir bitte nicht, du hast die ganze Eiscreme gestern ohne mich aufgegessen? Wie konntest du den Schlafmangel deiner Lieblingstante nur so schamlos ausnutzen?«

Bei Karens offensichtlichem Anfall an theatralischer Selbstbemitleidung neigte ich nur den Kopf. Tanten mit Hang zur Dramatik unterbrach man besser nicht.

»Was liest du da? Wieder diesen Artikel über den toten Jungen?«

Verdammt, nicht diese Leier.

»Langsam mache ich mir Sorgen. Muss ich mir Sorgen machen, Seven?« Vom Bett her blinzelte sie mich einige Male verwirrt an, rollte sich dann auf die Seite. »Du scheinst geradezu besessen von ihm zu sein. Bist du vielleicht verliebt? Ist das so eine tragische Liebesgeschichte mit diesem … wie heißt er noch? Reddington?«

»Remington«, korrigierte ich automatisch, ließ dann den Artikel aber demonstrativ in die Schreibtischschublade zurückgleiten. »Nein, keine Sorge, ich bin sicher nicht in ihn verliebt. Es ist nur … ein ungewöhnlicher Todesfall.«

Tante Karen musterte mich einen Moment. Aus den Augenwinkeln konnte ich geradezu erkennen, wie sie ihre Gedanken neu sortierte. Sicherlich fragte sie sich, ob ich eine makabre Vorliebe für grausige Todesfälle entwickelt hatte, die mit Kindern zu tun hatten, seit Nova gestorben war.

»Ist es wegen Nova …?« Ihre Stimme brach ab, sobald sie mich schnauben hörte.

»Es steht nicht immer alles, was ich tue, in Verbindung zu Mom oder Nova.« Damit rutschte ich vom Fensterbrett und setzte mich an meinen Schreibtisch. Wie immer checkte ich alle sozialen Medien und auch mein E-Mail-Postfach in weniger als zehn Sekunden. Tatsächlich prangte eine mit wichtig gekennzeichnete E-Mail ganz oben. Diese Schule im Schwarzwald, die Black Forest High, hatte mir bereits eine E-Mail geschickt. Unglaublich, aber wahr. Und noch viel unglaublicher … meine Augen wurden groß, als ich die Zeilen las: Sie boten mir sogar ein Kunststipendium an! Meine Fingerspitzen tippten unkontrolliert auf der Schreibtischplatte auf und ab. Das mit meiner Kunst musste ihnen Remi erzählt haben. Dennoch … das konnte auch lediglich ein Trick sein, um Tante Karen zu überreden, mich gehen zu lassen. Als ich die Summe sah, die das Stipendium monatlich bereitstellte, setzte mein Herzschlag einen Moment aus. So viel war ich dieser Schule wert? Einer Schule, die wahrscheinlich noch keine Skulptur, keine meiner Leinwände bisher zu Gesicht bekommen hatte. Außerdem war Remi wirklich der einzige Mensch, beziehungsweise Geist auf der Welt, der meine Kunst mochte. Alle anderen fanden sie verstörend. Und Tante Karen tat nur so, als ob ihr meine düsteren Bilder von zerbombten Städten gefielen.

»Ist irgendetwas, Schatz?« Tante Karen hatte sich von hinten angeschlichen, weshalb ich hastig einen anderen Webbrowser aufrief. Das mit der Black Forest High musste ich erst einmal sacken lassen, bevor ich es ihr erzählte. Sicherlich war der beste Zeitpunkt für dieses Schulwechselgespräch das Abendessen. So hatte ich noch etwas Zeit, um mich zu sortieren.

»Wann können wir Mom wieder besuchen?«, fragte ich stattdessen.

Beinahe unmerklich versteifte sich Tante Karen hinter mir. »Ich denke, morgen wäre ein guter Zeitpunkt. Was meinst du?«

Novas Geburtstag. Natürlich immer ein guter Anlass zusammenzukommen. Und Sonntag und Mittwoch waren Besuchstage im Gefängnis von Christchurch, Utah.

Ich hob den Kopf und versuchte mich an einem Lächeln. »Gleich morgen nach dem Frühstück?«

Karen nickte. Ihr Mundwinkel zuckte eine Spur, doch das Lächeln wollte ihr plötzlich nicht mehr gelingen.

Auf einmal kam mir ein Gedanke: Wie würde Tante Karens Leben ohne mich aussehen?

 

Beim Abendessen wagte ich den Vorstoß und reichte Karen die ausgedruckte Mail aus Deutschland über die Schüssel Kartoffelbrei hinweg. Nachdem sie ihre Überraschung überwunden hatte, freute sie sich für mich. Freute sich über das Stipendium an dem »Kunstinternat«. Wenigstens hatte ich so etwas Glaubhaftes zum Vorzeigen. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich versucht, meiner Tante diese Geistersache zu erklären, zumal ich keine Beweise für mein Spezialtalent hatte. Ich wollte einfach nicht, dass sie mich für verrückt hielt.

Meine Geisterkontakte waren zudem recht überschaubar. Außer Remi hatte nie einer mit mir gesprochen. Abgesehen von dem Gärtnerpoltergeist vielleicht, dessen Gebrumme man aber über die Geräusche seiner Geisterkettensäge hinweg allerdings nur schwer verstehen konnte. Normalerweise lachte er mich lediglich aus, wenn er auftauchte.

Nach etwa einer halben Stunde, in der sie mir überschwänglich gratuliert und von ihrem früheren Leben in Deutschland erzählt hatte, stand mein Entschluss fest. Ich würde das Stipendium annehmen. In den Sommer- und Weihnachtsferien konnte ich mir ein günstiges Ticket zurück nach Utah buchen. Und Tante Karen würde endlich wieder Männer mit nach Hause bringen können, vielleicht sogar heiraten. Ohne mich konnte sie frei wie eine Singletante in den besten Jahren sein. Mit der Verantwortung für einen Teenager im Nacken verkniff sich Tante Karen alle spaßbringenden Eskapaden. Es wurde Zeit, dass sich das änderte.

 

Remi kam erst am nächsten Morgen zurück, breit grinsend.

»Hast du schon in deine E-Mails gesehen? Die Akademie hat dir eben ein Flugticket gemailt. Für nächsten Freitag. Willkommen auf der Black Forest High!«

Freitag, der Dreizehnte. Wie passend.

Remi breitete die Arme aus, so als wolle er mich umarmen. Ihm zuliebe täuschte ich eine Umarmung an und hob dann eine Hand für unseren Gang-High-five, der weitaus schwieriger mit einem Geist als mit einem Menschen aus Fleisch und Blut durchzuführen war. Eine komplizierte Abfolge an Hand- und Faustschlägen, bei denen ich darauf achten musste, rechtzeitig abzubremsen, bevor ich durch seine Geisterhand hindurchschlug. Beinahe freute ich mich schon genauso wie Karen und Remi auf meinen Neustart im Süden von Deutschland. In Europa. Vielleicht war das tatsächlich die Chance auf einen Neubeginn. Auf ein ganz neues Ich.

»Du wirst zwar ein paar Wochen später mit dem Schuljahr anfangen als die übrigen Schüler, aber besser, als noch ein Jahr auf dich warten.« Remi zwinkerte mir zu, bevor er zu meinem und auch seinem Lieblingsplatz auf der Fensterbank schwebte. Dort steckte er seinen Kopf durch die Scheibe und spähte nach unten, wo Karen gerade das Auto aus der Garage holte. »Fahrt ihr nach Christchurch?«

Ich schluckte. »Mom wird sich freuen.« Wie um mich selbst davon zu überzeugen, nickte ich nachdrücklich. Mein Blick glitt zu dem Bilderrahmen, den ich aus weggeworfenen Plastikgabeln und Papptellern gebastelt hatte. Mein jüngeres Ich grinste mir darauf stolz entgegen, während ich Nova auf einer Babyschaukel anschubste. Heute wäre sie elf Jahre alt geworden.

»Natürlich wird sie das. Daran zweifelst du doch hoffentlich nicht? Und jetzt erzähl mir, wie du mit Darcy Schluss gemacht hast. Jedes Detail! Darf ich seine Nachrichten an dich lesen?«

Ich seufzte. Gleich würde mein bester Freund erfahren, dass es bisher weder Nachrichten an Darcy von mir noch irgendwelche Antworten von ihm gab. Den Mut dazu hatte ich bisher einfach noch nicht aufgebracht.

Kapitel 3

Freitagnachmittag saß ich im Flugzeug. Allein und ziemlich aufgeregt. Nun, nicht ganz so allein. Remi war bei mir, allerdings konnte er nicht lange einfach neben mir im Gang schweben. Das war nicht seine Art. Also streunte er die ganze Zeit im Flugzeug hin und her oder verschwand für ein paar Stunden komplett, weil er das Reisen als zu anstrengend bezeichnete. Bisher hatte ich ihn noch nicht darauf angesprochen, ob er mich verlassen würde, sobald er mich in Deutschland abgeliefert hatte. Hauptsächlich aus Angst vor seiner Antwort.

Stunden später, als wir gelandet waren und vor dem Kofferband standen, hielt ich es nicht mehr aus. So auffällig wie möglich steckte ich mir einen Kopfhörer ins rechte Ohr.

»Remi, bist du da?« Eine rhetorische Frage. Schließlich schwebte er gerade über dem Kofferband, das immer noch keinen einzigen Koffer ausgespuckt hatte. Aber die anderen Passagiere sollten denken, dass ich telefonierte.

»Stets zu Diensten, neuste Einwohnerin Süddeutschlands!« Er salutierte.

Da ich nicht wusste, wie ich es anfangen sollte, schluckte ich einmal und legte kurz darauf alle Karten auf den Tisch.

»Bitte sag mir nicht, dass heute unser letzter gemeinsamer Tag ist.«

Irritiert sah Remi auf, strich sich dann eine blonde Strähne aus der Stirn. »Wie jetzt? Weil ich dich in die Schule bringe?«

Ich nickte. Diese Unterhaltung gestaltete sich schwieriger als gedacht.

»Ach, Seven, als ob ich dich verlassen würde. Du bist meine beste Freundin! Bis ich einen neuen Auftrag erhalte, bleibe ich Tag und Nacht bei dir.« Mit einer Geste, als wolle er einen Schwur leisten, legte er sich eine Faust auf die Brust. »Und wenn ich einen Auftrag bekomme, werde ich nur ab und zu verschwinden. Sicherlich wird mir wieder ein amerikanisches Kind zugeteilt, also wirst du durch die Zeitverschiebung kaum merken, dass ich weg bin.«

Oder vielleicht, ganz vielleicht würde man ihm einfach keinen Auftrag mehr geben, da er bei mir nicht gerade erfolgreich gewesen war. Es hatte ihn fast drei Jahre gekostet, wobei es nach Remis Aussage meist weniger als drei Wochen dauerte, ein geistersehendes Kind zu einem Schulwechsel im darauffolgenden Sommer zu bewegen. In diese Tatsache legte ich all meine Hoffnungen.

Schließlich, als ich meine beiden Koffer auf den Rollwagen gehievt hatte, verließen wir die Ankunftshalle. Remi schwebte die ganze Zeit neben mir her, lästerte dabei über den Kleidungsstil der Deutschen (Socken in Sandalen!) und quasselte einfach ununterbrochen. Beinahe wie zu Hause.

Kurz nachdem wir uns durch die Zollabfertigung manövriert hatten, brüllte mir Remi schon ins Ohr: »Da drüben! Schau nach links!«

Ein paar Schritte links von uns hinter einer Absperrung wartete ein Mann mit Chauffeurmütze und weißen Handschuhen. In den Händen hielt er ein Pappschild mit meinem Namen. Bei seinem Anblick wirkte Remi aufgeregter als ich.

 

Die Fahrt zur Black Forest High in der dunklen Limousine verschlief ich fast vollständig. Die Zeitverschiebung hatte mich doch noch erledigt. Remi, der nie schlief, machte es natürlich nicht das Geringste aus.

Praktisch die ganze Zeit, in der ich wach mit der Stirn gegen die Scheibe gelehnt dasaß, fuhren wir durch ein dicht bewachsenes Waldgebiet. Die Bäume bildeten ein undurchdringliches Dach über der Straße, die Kronen schienen das Sonnenlicht aufzusaugen, sobald die Strahlen sie berührten. Langsam wurde mir klar, woher der Black Forest seinen Namen hatte. Im Radio lief klassische Musik. Mozart.

Der Fahrer schwieg. Remi selbstverständlich nicht.

Gedankenverloren lehnte ich meine Stirn gegen die Fensterscheibe. Mein allererster Tag in Deutschland. Vor dem Abflug hatte ich offiziell mit Darcy Schluss gemacht. Nachdem ich eine Woche nicht zur Schule gegangen war, indem ich eine Magen-Darm-Grippe vorgetäuscht hatte, hatte ich ihn gestern nach seinem Lacrosse-Training abgepasst, ihm gesagt, dass ich umziehen würde und mich deshalb von ihm trennen musste. Meine Sachlichkeit und Gefühlskälte hatten ihn überrascht. Mich auch.

In Gedanken immer noch bei Darcy, massierte ich mir die Stirn. Ich redete mir ein, dass mir alles egal war. Meine alte Highschool, an der ich sowieso keine richtigen Freunde gehabt hatte, Darcy und selbst Mom hatten mich hintergangen. Ich drückte meinen Daumennagel nacheinander tief in das Fleisch meiner anderen Fingerkuppen. Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, kleiner Finger und zurück. Mom, die mich im Stich gelassen hatte, um Nova zu rächen. Dafür hatte sie mich geopfert. Unser Leben – und das konnte ich ihr nicht verzeihen.

Irgendwann bogen wir von der vollständig geteerten Straße in einen schmalen Schotterweg ein, der bergauf führte. Der Weg schlängelte sich zwischen zahlreichen Bäumen einen Hügel empor. Blätterdächer wogten im Wind. Vereinzelte Nebelschwaden krochen wie Schlangen um die Baumstämme. Eichhörnchen, die viel rötlicheres Fell hatten als die in den USA, kletterten an Baumstämmen empor. Mittlerweile klebte ich geradezu an der Scheibe. Das hier, dieser Teil der Welt, fühlte sich irgendwie magisch an. Vielleicht war das sogar der berühmte Märchenwald aus den Büchern der Gebrüder Grimm.

Nach einer weiteren Kurve bogen wir nach rechts auf eine breite Schotterpiste ein, die noch steiler bergauf führte. Offensichtlich hatten wir die Auffahrt zur Schule erreicht.

»Home, sweet home«, meinte Remi zufrieden, tat so, als fläzte er sich in die Ledersitze, und stimmte dann den Refrain von Sweet Home Alabama an, wobei er ein unsichtbares Orchester dirigierte.

Der Chauffeur ließ das Fahrerfenster herunter und betätigte die Sprechanlage vor einem schmiedeeisernen Tor und meldete uns an. Ein Tor über einem Waldweg, links und rechts davon nur Bäume. Zu Fuß konnte man es einfach umrunden. Aber wahrscheinlich hielten Mauern Geister sowieso nicht davon ab, die Schule zu betreten. Nur einen Atemzug später glitt das Tor in der Mitte auseinander, nein, es schwang ganz altmodisch nach innen auf. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Staunend wandte ich mich nach hinten, als wir hindurchrollten. Das hätte ich besser bleiben lassen, bereute es im selben Augenblick, denn direkt hinter uns am Tor tauchte wie aus dem Nichts der Gärtner auf. Inklusive seiner Kettensäge. Vor Schreck zuckte ich zusammen, und obwohl ich langsam an seine gruseligen Auftritte gewöhnt sein sollte, drehte sich mir bei seinem Anblick der Magen um.

Noch während ich ihn anstarrte, bemerkte ich sein Grinsen in meine Richtung. Auf seinen strähnigen Haaren trug er eine Schirmmütze, die Kettensäge leuchtete genau wie er durchscheinend. So direkt neben Remi trat der Unterschied zwischen den beiden Geistern viel deutlicher hervor. Während Remis Präsenz weiß lumineszierte, mit einem Hauch Blau gemischt, wirkte es, als bestünde der Gärtner aus dunkelgrauem Nebel.

Wie automatisch schnippte ich mit den Fingern, um Remis Aufmerksamkeit zu erlangen, bis mir klar wurde, dass unser Chauffeur Remi auch sehen konnte und wir daher keine Geheimzeichen mehr brauchten.

»Oh. Der Gärtner. Er ist uns gefolgt«, meinte Remi nach einem Blick durch die Heckscheibe. Bei allem, was uns aus den USA hätte folgen können, musste es ausgerechnet der Gärtner sein!

Unser Wagen stoppte. Der Poltergeist kam näher herangeschwebt. Verdammt. Meine Kiefermuskeln spannten sich an, als ich sah, wie die Sägeketten rotierten. Der Poltergeist öffnete den Mund. Er wisperte vollkommen lautlos, dennoch erkannte ich an seinen Mundbewegungen, was er mir mit diesem hämischen Grinsen zu sagen versuchte: »Willkommen daheim.«

Ich schluckte.

Dann, gerade als der Chauffeur ausstieg, verschwand der Geist.

»Miss Richard.« Der Fahrer half mir nach draußen und nickte Remi höflich zu, der hinter mir ins Freie schlüpfte. »Willkommen an der Black Forest High.« Den Poltergeist schien er nicht bemerkt zu haben.

Wenn der Geist nicht gerade ähnliche Worte benutzt hätte, wäre mir sicher keine Gänsehaut den Rücken hinabgelaufen. Aber so konnte ich mich nicht wirklich freuen. Noch nicht. Verstohlen warf ich einen Blick zurück auf den Weg, stellte aber fest, dass wir allein waren. Kein Poltergeist weit und breit. Warum war der Gärtner immer noch hinter mir her? Ich hatte ihm doch nichts getan! Hätte er nicht einfach in Utah bleiben können? Eine Sekunde später schalt ich mich selbst für diesen egoistischen Gedanken. Wenn er bei Tante Karen im Haus herumspukte und weder ich noch Remi dort waren, um sie zu beschützen, würde ihr vielleicht am Ende etwas zustoßen … Immerhin war er in der Lage, Dinge in der realen Welt zu zerstören. Ab und zu jedenfalls. Dennoch. Das Gefühl, dass dieser Poltergeist mich ganz gezielt verfolgte, um mich irgendwann zu töten, ließ sich nicht abschütteln. Ob er schon wieder genug Kraft gesammelt hatte, um in unserer Welt Dinge zu bewegen? Remi hatte es mir zwar erklärt, wie Geister so etwas hinbekamen und Gegenstände verrücken, zerstören oder sonst wie manipulieren konnten, aber ich war irgendwie nicht so der Quantenphysiktyp. Bei mir war nur hängen geblieben, dass Materie an sich eine Illusion war, also auf Teilchenebene. Und dass die Gedanken und die Vorstellungen, die man sich von Dingen machte, die Materie beeinflusste und veränderte – und zwar ohne zeitliche Verzögerung. An der Stelle war ich meistens ausgestiegen, weil ich mir nichts davon wirklich vorstellen konnte. Vereinfacht bedeutete es, dass die Vorstellung, die der Verstorbene von sich selbst hatte, sich zu einer gewissen Materie formte und so die Geisterpräsenz bildete. Also »dachten« sich Geister in unsere Welt. Das mochte auch der Grund sein, wieso sie in den »Kleidern« erschienen, in denen sie auch gestorben waren, auch wenn diese Kleider nichts als ein Abbild ihrer Erinnerungen sein konnten. Was sie sich vorstellten, wurde Materie. Und wenn die Emotionen stark genug waren, also zum Beispiel bei dem unbändigen Hass, den Poltergeister empfanden, dann reichte dies wohl aus, um Menschen körperlich anzugreifen.

»Und?« Remis Stimme holte mich zurück in die Realität. »Was sagst du?« Er klang wie ein aufgeregter Schuljunge, der von mir wissen wollte, wie ich seinen selbst gebauten Schneemann fand.

Langsam wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Schulgebäude zu. Mein Blick glitt von den historisch anmutenden Pflastersteinen zu der steinernen Treppe, die zum Schulgebäude hinaufführte. Rotbraune Blätter wirbelten wie lebende Wesen um die Stufen herum, dennoch wirkte die Akademie einladend. Ich hob den Kopf. In der Vormittagssonne, die hinter dem trüben Himmel gerade so zu erkennen war, ragte ein gigantischer gemauerter Koloss in den Himmel. Das war also die Black Forest High. Im Internet hatte sie kleiner gewirkt. Es war, als hätte jemand einen Bunker mit einem pompösen Schloss gekreuzt. So wie das Regierungsgebäude der deutschen Kanzlerin aussah, nur größer und mit mehr Verzierungen. Überall ragten Erker aus den Wänden und auf mehreren Vorsprüngen thronten steinerne Adler und Krieger. Stolze Beschützer der Schule. Wenn sie mich vor dem Gärtner beschützten, würde ich nichts gegen sie sagen.

Insgesamt wirkte der Komplex wie ein Gruselschloss an Halloween. Nur in stählernem Grau.

Links und rechts erhoben sich kleinere Nebenbauten, sicherlich für Gäste und Angestellte der Schule.

»Ganz toll«, murmelte ich. »Du gibst mir dann eine Führung, richtig, Remi? Nicht dass mich eine Falltür direkt an meinem ersten Tag verschlingt und ich als der nächste Poltergeist der Schule ende.«

Der Chauffeur lächelte mich an. Inzwischen hatte er mein Gepäck die Treppe emporgehievt und konnte im Gegensatz zu Remi über meinen Scherz lachen.

»Nicht komisch. Aber was immer du meinst, Seven Eleven!«

Wenn er mich so nannte, konnte Remi nur eins sein: eingeschnappt. Möglicherweise hatte er sich mehr Begeisterung von mir erhofft, da das hier ja sein geliebtes Zuhause war. Andererseits wusste er doch am besten, dass ich nicht gerade jemand war, der vor Freude wild klatschte, wenn ihm ein hübsches Schloss gezeigt wurde.

Also straffte ich die Schultern. Ich würde dieser Schule eine Chance geben. Jetzt und hier. Remi hatte es verdient und vielleicht würde es mir hier sogar gefallen. Einen Moment dachte ich an all das, was ich hinter mir ließ: Karen, Mom, Novas Grab, Jared. Ich seufzte. Jared, der letztes Wochenende an Novas Geburtstag meine Hand gehalten hatte, als ich um meine Schwester geweint hatte. Jared würde ich sehr vermissen. Und Mom irgendwie auch. Obwohl sie keine Tränen mehr vergoss, wenn wir über Nova sprachen. Ich strich den gemusterten Schottenkarorock glatt. Remi hatte mich dazu überredet. Er meinte, ich solle mich hier neu erfinden. Die alten Jungsklamotten im Schrank in Utah lassen oder besser noch: endgültig verbrennen. In der Akademie würden sie mir sowieso eine Schuluniform verpassen. Besser, ich verdrängte alle Gedanken an die Daheimgebliebenen. An Weihnachten würde ich sie besuchen. Auch meine Schwester. Für zwei Sekunden schloss ich die Augen. Noch nicht mal als Geist konnte ich Nova noch treffen. Und dabei hatte ich es mir so sehr gewünscht, sie wie Remi in halb durchsichtig zu sehen. Aber dieser Wunsch war nie in Erfüllung gegangen.

Ich räusperte mich. Nicht hilfreich, sich gerade jetzt damit zu befassen. Erneut rief ich mich selbst zur Ordnung. Ich konzentrierte mich darauf, wenigstens so zu tun, als hätte ich gute Laune.

Gerade als ich einen Fuß auf die unterste Treppenstufe setzen wollte, stürmte jemand um die Ecke des Gebäudes. Zuerst dachte ich, es sei ein Baseballspieler, der einem Ball hinterherjagte, doch dann nahm ich wahr, dass der Junge ganz normale dunkelblaue Stoffhosen trug. Passend zu seinem Blazer. Doch er rannte um die Schule, als gelte es, einen Wettbewerb zu gewinnen. Sein Blick flackerte umher, bis er auf meinen traf. Erleichterung sprühte aus seinen Augen, als er mich bemerkte, und wenn ich mich nicht täuschte, auch eine Spur Bewunderung. Gut, seiner Statur nach war er definitiv ein Sportler. Dunkelbraune, fast schwarze Haare umrahmten ein Gesicht mit Augen so türkisfarben wie ein Sommermorgenhimmel. Dennoch erkannte ich auf den ersten Blick den Schmerz dahinter. Einen Schmerz, der auch mir jeden Morgen im Spiegel entgegenblickte. Nur, dass dieser Junge ihn besser zu überspielen wusste. Mit einem auffällig selbstbewussten Grinsen trabte er auf mich zu.

Beklommen blieb ich stehen. Konnte mich nicht mehr rühren, als hätte sein Anblick mich zu Stein erstarren lassen. Was war das da in seinen Augen? Freute sich dieser Fremde tatsächlich, mich zu sehen? Fast fühlte ich mich, als würde ich eine Filmszene betrachten, brannte geradezu darauf zu wissen, was als Nächstes passieren würde.

»Du bist nicht von hier, richtig?«, legte der breitschultrige Typ sofort los. Er sprach Englisch, wie ich erfreut feststellte.

Ich konnte nur nicken. Auf einmal war alles um mich herum vergessen.

»Gut, kannst du kurz mitkommen? Das würde mir sehr helfen.« Seine Atmung rasselte ein wenig, als sei er eine weite Strecke gerannt. »Es ist ganz eilig.«

Verwundert starrte ich auf die Hand, die er mir entgegenhielt.

»Ähm, Seven, wir sollten uns anmelden. Und zwar jetzt gleich.« Remi klang eine Spur pikiert. Wie damals, als ich im Park eine Ente hatte füttern wollen und kopfüber in den Teich voll Entenkot gestürzt war.

Wie in Trance starrte ich immer noch auf die Hand des Schülers vor mir. Er überragte mich um einen halben Kopf, musste ungefähr so alt wie ich sein. Vielleicht ein Jahr älter. Plötzlich klopfte mein Herz aufgeregt. Das hier erinnerte mich an ein Spiel aus Kindertagen.

»Bitte«, fügte der Junge hinzu. »Ich passe auch auf dich auf. Der Geist wird dich nicht mehr nerven.«

Fast hätte ich laut aufgelacht. Da kannte er Remi aber schlecht.

Aber was wollte er von mir? Ein wenig verwirrt hob ich den Kopf, registrierte am Rande, dass ich an meiner Unterlippe kaute. Diese Augen. Sie starrten mich an, so flehentlich, als könnte nur ich ihn retten.

Langsam, ganz langsam hob ich meine Hand und legte sie in seine.

»Seventina Alexia Richard!«, hörte ich Remi hinter mir brüllen, doch da zog der Junge mich schon mit sich.

»Schöner Name«, flüsterte er mir zu. Sicher war er einer der umschwärmtesten Typen an der Schule. Und ich rannte mit ihm Hand in Hand um die Akademie herum.

Blätter raschelten, als wir in einen Park abbogen, der mit mehreren Tischtennisplatten und einem Bodenschachbrett am Eingang aufwartete. Dahinter erstreckten sich Blumenbeete und Hängeschaukeln mit einem Boden aus Eisengestängen für zwei oder vier Personen. Hollywoodschaukeln und solche, die es eigentlich nur auf dem Jahrmarkt gab. Sie wirkten, als hätte man sie aus alten Riesenrädern ausgebaut und hier neu verwendet. Auf einer Schaukel saß ein Mädchen in Schuluniform, das in einem Buch blätterte. Als wir an ihr vorbeirannten, hob sie den Kopf. Ihre Hollywoodschaukel quietschte in einem gleichmäßigen Takt. Es hätte sich hierbei auch durchaus um eine Szene in einem Horrorfilm handeln können. Das Mädchen wirkte recht klein, mit einer überdimensionalen Brille und einem Samthalsband, an dem eine Glocke befestigt war. Damit hätte sie auch gut in einen Manga-Comic gepasst. Doch mir blieb keine Zeit, sie näher in Augenschein zu nehmen, denn der Unbekannte zog mich weiter hinter sich her. Langsam ging mir die Puste aus. Sein Griff wurde fester, als spürte er, dass ich aufgeben wollte. Was tat ich hier eigentlich? Was, wenn er … nein, er sah nett aus und musste ein geistbegabter Schüler sein, so wie ich.

Dann hörte ich sie. Eine Gruppe Jugendlicher in dunkelblauen Schuluniformen lärmte hinter den Hollywoodschaukeln. Sie hatten sich um ein Lagerfeuer versammelt, obwohl es Vormittag war. Nicht weiter ungewöhnlich, wenn man von dem gespenstischen Nebel, der hier alles zu umwabern schien, einmal absah. Nur … dass das Lagerfeuer absolut unnatürlich hellblau brannte und ab und zu violette Funken daraus emporstoben. Bei diesem Anblick riss ich die Augen auf. Aber noch seltsamer war, dass hinter dem Feuer zwei Geister mit Schwertern gegeneinander kämpften. Zwei Mädchen. Das eine sah aus, als stammte es von amerikanischen Ureinwohnern ab, das andere wirkte asiatisch. Wie das Feuer leuchteten die beiden Geistermädchen in hellem Blau. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen.

Der Kampf zwischen ihnen wirkte wie ein Showkampf. Selbst ich als Laie konnte erkennen, dass sie sich gegenseitig nicht verletzen, sondern nur ihre Zuschauer beeindrucken wollten. Um die hellblauen Geister herum grölten ihre Zuschauer, feuerten sie an. Bis, nun ja, bis sie uns bemerkten.