Bloodsong 2. Oonas Traum - Isabell May - E-Book

Bloodsong 2. Oonas Traum E-Book

Isabell May

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Beschreibung

Wenn aus Rivalität Feindschaft wird Seit sie denken können, buhlen die Blutjägerin Oona und ihr Konkurrent Xaron um die Anerkennung ihres Oberhauptes und Ziehvaters Marus. Als Xaron Oona zusammen mit Prinzessin Odine ausliefern will, wird aus der Rivalität Feindschaft. Doch Oona weiß, was Marus wirklich im Schilde führt. Sie schwört, Odine um jeden Preis zu beschützen. Als sie sich gegen ihren Ziehvater stellt, gerät auch Xarons Weltbild ins Wanken. Ist er mutig genug, alles zu vergessen, woran er je geglaubt hat, und sich seinen wahren Gefühlen zu stellen? Band 2 der Bloodsong-Reihe für junge Leser*innen ab 14 Jahren erzählt die spannende Geschichte einer starken Blutjägerin, die sich ihrem Oberhaupt und ihrem ewigen Rivalen entgegenstellt, um ihre Freundin zu schützen. Wird sie am Ende alles verlieren? Bloodsong 2. Oonas Traum: Band 2 der packenden Fantasy-Reihe - Spannend und magisch: Eine mitreißende Romantasy voller Blutmagie, Liebe und Abenteuer für Fantasy-Fans ab 14 Jahren. - Ständeunterschiede und erbitterte Rivalität: Mit einer starken Protagonistin, die gegen ihren Ziehvater und ihren ewigen Rivalen kämpft. - Voll angesagt: Mit den beliebten Tropes "enemies to lovers" und "forced proximity". - Mitreißend und dramatisch: Zwei Liebesgeschichten, die es niemals geben darf – in einem von Aberglauben beherrschten und von Bestien geplagten Land.Der fantastische Young-Adult-Roman entführt Leser*innen ab 14 Jahren in ein düsteres Land voller Blutmagie und Rivalitäten. Die fesselnde Geschichte um die starke Blutjägerin Oona eignet sich perfekt für Fans von Sarah J. Maas und Leigh Bardugo.  

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Über dieses Buch

SEIT SIE DENKEN KÖNNEN, SIND SIE RIVALEN. EIGENTLICH …

 

Der Blutjäger Xaron ist Oonas ewiger Konkurrent. Seit ihrer Kindheit buhlen sie um die Anerkennung ihres Oberhaupts und Ziehvaters Marus. Als Xaron Oonas Auftrag zu Ende bringen und sie gemeinsam mit Prinzessin Odine ausliefern will, wird aus Rivalität Feindschaft.

Doch Oona weiß, was Marus wirklich im Schilde führt. Sie folgt der Botschaft aus ihrem Traum und schwört, Odine um jeden Preis zu schützen. Als sie sich gegen ihren Anführer stellt, gerät auch Xarons Weltbild ins Wanken. Ist er mutig genug, alles zu vergessen, woran er je geglaubt hat, und sich seinen wahren Gefühlen zu stellen?

Teil1

Kapitel 1

Oona

Mit dem ersten Schnee setzen die Träume ein. Ich wache auf, spüre schmelzende Eiskristalle auf meinen Wangen. Blinzle ins gleißende Weiß, das vor meinen Augen tanzt, und lausche dem Echo der Traumbilder nach, das durch meinen Körper hallt.

Keinen Moment lang verwechsle ich den Traum mit der Realität. Träume sind bloß bedeutungslose Trugbilder, und ich bin kein kleines Kind mehr, das auf solche Bilder hereinfällt. Trotzdem will ich mit meiner Hand unwillkürlich an meine Brust fahren. Dorthin, wo ich die Wunde noch immer spüre. Den Stich, der heute Nacht durch mein Herz ging und es durchbohrte.

Es bleibt beim Versuch. Robuste Ketten klirren, sobald ich die Hand bewege. Das Metall schließt sich eng um meine Handgelenke und schränkt mich in meiner Bewegungsfreiheit ein.

»Widerling«, sage ich ins Schneetreiben hinein.

Schmal und schwarz taucht sein Umriss über mir auf. Aus seinem Grinsen spricht blanker Triumph. »Du warst schon immer eine schlechte Verliererin.«

»Ich habe noch nie verloren. Nicht gegen dich.« Es mag anders aussehen, aber meine Niederlage ist erst in Stein gemeißelt, wenn er mich in die Festung gebracht hat. Vorher weigere ich mich, das anzuerkennen. Und ich habe nicht vor, es so weit kommen zu lassen. Wie auch immer – ich muss einen Ausweg aus dieser Gefangenschaft finden.

Er macht sich nicht die Mühe, zu antworten. Er hat es nicht nötig. Immerhin bin ich diejenige, die in Ketten liegt. Und er derjenige, der mich an einen Ort verschleppt, an dem ich nicht sein will.

Zurück.

In die kalten, dunklen Mauern der Blutjägerfestung. Dorthin, wo ich aufgewachsen bin und wo ich geglaubt habe, hinzugehören. Dorthin, wo der Mann wartet, der seit Ewigkeiten die Fäden meines Schicksals zieht und an dem ich nie gezweifelt habe. Lange Zeit nicht, bis sich schließlich alles geändert hat.

Xaron blickt mich mit seinen klaren tiefblauen Augen auf eine Weise an, die mich ärgert: voller Faszination. Es ist fast so, als könnte er selbst nicht glauben, dass er mich endlich da hat, wo er mich wohl all die Jahre sehen wollte. Auf dem Boden. Unter sich. Der Aufstieg zu Marus’ Liebling erfolgt unweigerlich über meine Erniedrigung. Xaron staunt selbst darüber, diese nun endlich herbeigeführt zu haben. Ich sehe es ihm an. Und natürlich genießt er jede Sekunde seines Triumphs.

Die beißende Kälte rötet seine Nasenspitze und seine Wangen. Die Färbung hebt sich deutlich von seiner sonst so hellen Haut ab. Bei jedem Atemzug bilden sich kleine weiße Wolken vor seinem Mund. Über das schwarze Leder seiner Jagdkleidung hat er dem Wetter entsprechend einen schweren dunklen Umhang gezogen.

Unerbittlich blicken wir einander an, während er über mir steht und ich gefesselt auf dem Rücken unter ihm liege. Stur starre ich ihm entgegen. Die Genugtuung, als Erste einzuknicken und wegzusehen, gönne ich ihm nicht.

Knirschender Schnee kündigt Schritte an, die sich nähern. Eine der Jägerinnen, Gira, tritt neben Xaron. Schneeflocken liegen auf ihren braunen, teils wild geflochtenen und teils gefilzten Zöpfen. Die Narben, die sich quer über ihr Gesicht ziehen, heben sich hell von ihrem Teint ab. Auch sie hat sich in einen Wollumhang gewickelt.

Den Blick in meine Richtung meidet sie demonstrativ. In der Festung war sie für mich fast so etwas wie eine Freundin. Nicht, dass wir uns je viel miteinander unterhalten hätten. Doch wann immer ich mit ihr auf Jagd geschickt wurde, wusste ich, dass ich mich auf sie verlassen konnte. Ich kann mir vorstellen, was sie jetzt über mich denkt.

Sie räuspert sich. »Xaron, es geht um die Prinzessin. Wenn wir hier noch länger unsere Zeit vertun, gibt es nichts mehr, was du Marus zurückbringen kannst. Ich fürchte, sie macht es nicht mehr lang.«

Odine.

Ich fahre hoch und schaue mich um. Ein Stück entfernt liegt sie, eingehüllt in Decken und Felle, mit denen die Jägerinnen und Jäger versuchen, sie vor der Kälte zu schützen. Trotzdem zittert sie am ganzen Leib. Ihre Lippen sind blass, sogar auf den Wangen liegt ein bläulicher Schimmer. Ihre Augen sind geschlossen, aber die Lider zucken unruhig.

Es ist nicht zu übersehen, was Gira meint: Odine sieht so aus, als wäre sie kurz davor, zu erfrieren.

»Ihr bringt sie um«, zische ich. »Glanzleistung, Xaron. Marus wird außer sich sein vor Begeisterung, wenn du ihm anstelle der Prinzessin einen steif gefrorenen Leichnam übergibst.«

Er runzelt die Stirn. Nicht etwa, weil er sich um Odines Gesundheit sorgt. Sondern, weil es ihm widerstrebt, sich von Gira und mir sagen zu lassen, was er zu tun hat. Vor allem, wenn wir recht haben. Er will derjenige sein, der den Ton angibt. Natürlich sieht er auch, dass er keine Zeit zu verlieren hat. Ihm geht es aber darum, der zu sein, der den Abmarsch beschließt.

Jämmerlicher Wurm.

»Wir brechen auf!«, ruft er in die Runde.

Die anderen Blutjägerinnen und Blutjäger – die vor Kurzem noch meinesgleichen waren, bis ich die Seiten gewechselt habe – erheben sich schweigend.

Trotz meiner Fesseln komme ich halbwegs geschickt auf die Füße. Noch so etwas, was ich ihm nicht gönnen will: die Genugtuung, mir hochzuhelfen.

Wenige Momente später ist das Feuer gelöscht und die Pferde gesattelt. Sie waren etwas abseits angebunden worden, weil sie wie alle Tiere die Nähe von Blutjägerinnen und Blutjägern scheuen.

Es gibt nichts, was ich gerade tun kann. Keine Fluchtmöglichkeit für mich und kein Weg, Odine zu helfen. Im Augenblick kann ich mich den Gegebenheiten nur beugen und abwarten.

Wir setzen uns in Bewegung. Eine Gruppe dunkel gekleideter, berittener Gestalten und zwei Gefangene. Die Richtung ist klar: der Festung entgegen.

Kapitel 2

Dariel

Eiskaltes Salzwasser dringt in meine Kehle. Ich würge und spucke. Meine vollgesogene Kleidung zieht mich hinab in die Tiefe.

In dem Moment, in dem ich wieder zu Bewusstsein komme, erwachen auch meine Überlebensinstinkte. Ich beginne, zu kämpfen. Strample mich hoch. Schnappe nach Luft, als mein Kopf endlich die Oberfläche durchbricht, und spucke gleichzeitig einen Schwall Meerwasser aus.

Schlagartig sind die Erinnerungen da. Wie ein Stück Abfall haben sie mich vom Dock gestoßen. Dieses widerwärtige Pack. Haben mich bewusstlos geschlagen und zum Tode verurteilt. Sie hätten mich gnadenlos ersaufen lassen wie eine Ratte. Doch ich bin erwacht und habe mich nicht so einfach töten lassen.

Mich wundert das Verhalten der Blutjägergilde nicht. Jetzt kann ich ohnehin nicht darüber nachdenken. Ich kann in Ruhe fluchen, wenn ich wieder festen Boden unter den Füßen habe.

Ich ringe nach Luft, kämpfe gegen die Strömung an und sehe mich den grauen Wellen gegenüber, die sich vor mir auftürmen. Es ist nicht weit bis zum Dock, ich kann es schwimmend dorthin schaffen.

Also zögere ich nicht. Mit kräftigen Zügen paddle ich gegen den Sog an, der mich aufs offene Meer ziehen will, vorbei an den Schiffen, die im Hafen vertäut liegen und heftig auf den Wellen schaukeln.

Verdammte Jäger. Der Schlag gegen die Schläfe, mit dem sie mich ausgeknockt haben, macht sich bemerkbar. Mir ist schwindelig, hinter meiner Stirn pocht es schmerzhaft. Immer wieder wird mir schwarz vor Augen.

Aber ich reiße mich zusammen. Ich habe nicht so viel durchgemacht, um jetzt im aufgewühlten Ozean vor Silberfels zu ertrinken. Dafür habe ich noch zu viel zu tun, zu erleben, zu erledigen. Ganz oben auf dieser Liste steht, Odine aus den Klauen der Monster zu befreien, die sie entführt haben.

Etwas streift meine Beine. Haie? Schlimmeres?

Mir stockt der Atem, sekundenlang bin ich ganz starr. Eine Welle spült über mein Gesicht und reißt mich aus meiner Lähmung. Salz brennt in meinen Augen. Hektisch schaue ich um mich, sehe nur schäumendes Grau ringsumher und schwimme weiter.

Etwas packt mein Bein. Ein Ruck geht durch meinen Körper. Es geht so schnell, so unvermittelt, dass ich gar nicht dazu komme, Luft zu holen. Ich bin unter Wasser, die Wellen schlagen über meinem Kopf zusammen. Unbarmherzig zieht es mich in die Tiefe. Was auch immer dieses Es ist.

Mein Schrei verklingt unter Wasser, Luftblasen verlassen meinen Mund. Um mich herum schäumt das Meer, als wäre es plötzlich lebendig geworden.

Ich taste an mir herunter, versuche, die Nerven zu bewahren. Stoße mit den Fingern auf etwas Schleimiges und gleichzeitig Festes, was um mein Bein gewickelt ist. Dränge die Panik nieder, die danach verlangt, dass ich blind um mich schlage und trete und ins Wasser brülle, bis das Meer meine stummen Schreie erstickt.

Wo ist meine Waffe? Ich habe sie nicht bei mir, trage den Revolver doch sonst immer am Körper. Aber jetzt kann ich sie in meiner Panik nicht ertasten, das Waffenholster muss verrutscht sein. Sekundenbruchteile werden zu einer quälenden Ewigkeit, in der ich tiefer und tiefer gezogen werde.

Ein Messer! Ich finde es in einer Tasche meines nassen Hemdes und zögere nicht: Blind hacke ich damit nach dem Etwas. Und tatsächlich, der Klammergriff lockert sich. Nur ein bisschen, aber das reicht. Ich trete mich frei und schnelle nach oben zur Wasseroberfläche, schwimme um mein Leben.

Ich atme die raue Seeluft ein, keuche und brauche einen Moment, um mich zu orientieren. Da, das rettende Ufer. Es ist nicht weit, und doch schier unerreichbar. Mein Puls hallt in meinen Ohren wider wie Paukenschläge. Jeden Moment könnte das Wesen wieder nach mir greifen. Irgendwo dort unten im unergründlichen Dunkel lauert es.

Jeder Schwimmzug bringt mich näher zum Kai. Ich sehe die umschäumte, algenbewachsene Mauer. Wellen überspülen mich, schlagen mir hart ins Gesicht. Ich beiße die Zähne zusammen, halte den Blick aufs Ziel gerichtet. Trotz des eisigen Wassers ist mir glühend heiß.

Meine Finger berühren schon fast die Mauer. Da werde ich wieder brutal unter Wasser gerissen, weiter auf das offene Meer zu. Als würde das Wesen mit mir spielen. Längst bin ich sicher, dass das kein einfaches Tier ist. Es ist eine Bestie.

»Na los, worauf wartest du?« Der Wind trägt Satzfetzen zu mir, die ich über das Rauschen und Platschen des Wassers hinweg kaum verstehe. »Spring schon rein, hilf dem Kerl!«

»Bist du wahnsinnig? Warum ich? Niemand bei klarem Verstand würde da reinspringen!« Die zweite Stimme überschlägt sich beinahe.

Die erste klingt ganz ruhig, sie spricht mit sanftem Tadel, als erklärte sie einem Kind die Welt. »Willst du, dass er stirbt? Er ist nämlich gerade dabei.«

»Warum ich?«, faucht die andere Stimme. »Ich bin nicht lebensmüde!«

Ein mildes Seufzen. »Du weißt, wie sehr ich das Meer verabscheue. Es ist so unhygienisch.« Als wäre damit alles gesagt.

Eine wüste Flut von Schimpfworten ist die Antwort.

Mehr höre ich nicht, mein Kopf taucht wieder unter Wasser. Was ist dieses verdammte Vieh, das nach mir greift? Eine Riesenschlange? Gerade schlingt sie sich um meine Taille, um mein Bein. Was es auch sein mag, es zieht mich hinab in die Dunkelheit.

Ein Platschen neben mir. Da ist jemand, ein Mensch.

Ein Strahl aus grellem Licht durchschneidet die Dunkelheit, während das Meer um mich tobt und wütet. Jetzt sehe ich, was für eine Kreatur an mir zerrt. Doch ich wünschte, ich hätte sie nicht gesehen, denn den Anblick werde ich mit Sicherheit nie wieder los.

Unzählige Tentakel, wie einem Albtraum entsprungen. Klaffende Mäuler, die zu einer formlosen, blinden Bestie gehören. Alles in mir sträubt sich dagegen, zu glauben, was ich da vor mir habe. Ich habe schon einige Bestien gesehen, aber nichts, was dieser Monstrosität gleichkommt. Ein derartiges Wesen, das offenbar direkt im Hafen von Silberfels haust, wo unzählige Handelsschiffe und Fischerboote vor Anker liegen.

Nur kurz sehe ich all die schnappenden Mäuler und wogenden Tentakel, die emporragen und nach mir greifen wollen. Dann erhasche ich aus dem Augenwinkel einen Blick auf das zierliche Mädchen, das neben mir im Wasser ist. Seine Gesichtszüge sind vom gleißenden Licht ganz verwaschen. Nur die dunklen, runden Augen, in denen ein entschlossener Ausdruck liegt, erkenne ich deutlich. Und die kastanienbraunen Locken, die in der Strömung scheinbar schwerelos um den Kopf des Mädchens schweben.

Es beachtet mich nicht, richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf die Bestie. In der Hand hält es einen Gegenstand, den es auf die Kreatur richtet. Auf einen Punkt inmitten der Mäuler und Greifarme.

Kurz passiert gar nichts – dann geht der Lärm los.

* * *

Ich krümme mich unter Wasser. Ein ohrenbetäubendes Schrillen hallt durchs Meer, ein Heulen und Pfeifen, so grell und hoch, dass einem die Zähne wehtun und schwarze Punkte vor den Augen tanzen.

Die Bestie hat mich losgelassen, die Tentakel zucken weg, ziehen sich in die Tiefe zurück. Doch ich kann jetzt nicht schwimmen, keinen klaren Gedanken fassen. Der schrille Laut gellt durch meinen Kopf, bohrt sich in meine Trommelfelle und zerfetzt sie fast. Ich presse mir beide Hände fest auf die Ohren, treibe haltlos in der Strömung.

Eine Hand packt meinen Kragen. Jemand zieht mich mit sich nach oben. Das Mädchen ist stärker, als es aussieht. Ich reiße mich zusammen und rudere unkoordiniert mit Armen und Beinen, um zumindest mitzuhelfen, so gut ich kann.

Mit letzter Kraft packe ich die Dockkante und ziehe mich hoch. Schwer atmend rolle ich mich auf den Rücken. Die harten Pflastersteine, auf denen ich liege, fühlen sich unsagbar gut an. Endlich wieder sicherer Boden.

Zwei Gestalten beugen sich über mich, schmale Umrisse, die sich vor dem Hellgrau des Himmels abzeichnen. Zwei junge Frauen.

Die beiden verschwimmen vor meinem Blick. Gerade noch schaffe ich es, mich auf die Seite zu wälzen, bevor ich mich würgend erbreche und einen Schwall galligen Salzwassers auf den Boden spucke.

Kapitel 3

Oona

Wenigstens kann ich aufrecht auf Xarons Pferd sitzen und muss nicht quer über dem Sattel hängen wie ein Sack Mehl. Oder wie Odine. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie unbequem und schmerzhaft diese Haltung sein muss. Ohne jegliche Körperspannung liegt sie vor Gira auf dem Pferd. Bei jedem Galoppsprung muss Odines Bauch aufs harte Leder prallen.

Allerdings weiß ich nicht, wie viel Odine davon überhaupt mitbekommt. Die meiste Zeit sind ihre Augen geschlossen, und die Lider zucken, als hätte sie aufwühlende Träume. Wenn ihre Augen doch geöffnet sind, starrt sie teilnahmslos ins Leere, ins Nichts, als wäre sie gar nicht richtig da.

Gira weicht meinem Blick aus, genauso wie die anderen Jägerinnen und Jäger. Für uns alle ist das eine neue Situation. Noch nie hat sich eine Jägerin gegen ihre Gilde gestellt. Ich bin die Erste. Mich auszuliefern, scheint ihnen allen nicht zu behagen. Was sie natürlich nicht daran hindert, ihre Befehle auszuführen.

Nur Xaron hat natürlich keinerlei Problem damit, mich in Ketten zu legen und zu Marus zu schleifen. Vermutlich ist sein größter Traum wahr geworden, als Marus ihm aufgetragen hat, mich – die Ungehorsame – gefangen zu nehmen.

Wie gern würde ich jetzt den Kopf hochreißen und eine saftige Kopfnuss in Xarons Gesicht platzieren. Es wäre ganz leicht, ich bin ihm ganz nah. Direkt vor ihm sitze ich auf dem Pferd, seine Arme fassen links und rechts an mir vorbei und halten die Zügel.

Würden wir einander nicht bis aufs Blut hassen, wäre diese Pose regelrecht romantisch: Als wäre ich eine zarte Prinzessin und er mein Prinz, der mich auf seinem Ross einer traumhaften Zukunft entgegenführt. Die Wahrheit könnte nicht weiter davon entfernt sein. Er will mich kontrollieren und sichergehen, dass ich nicht entkomme. Keinen Moment will er mich aus seinen Klauen lassen.

Ich müsste nur meinen Kopf zurückschnellen lassen … Genüsslich male ich mir das Knacken aus, das mein Hinterkopf auf seiner Nase auslösen könnte. Würde ich sie ihm brechen? Mit einer schiefen Hakennase wäre es vorbei mit seinem Dasein als Schönling. Wobei es mich nicht wundern würde, wenn ihn das für die Damenwelt nur noch interessanter machen würde: ein Charaktergesicht anstelle seiner jetzigen glatten Schönheit.

Oder würde ich sein Kinn treffen? Würde er sich auf die Zunge beißen und Blut schmecken?

»Versuch besser nichts Dummes«, warnt er mich, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Du weißt, du bist mir hoffnungslos unterlegen.«

»Und du weißt so gut wie ich, dass Marus mich lebend wiedersehen will.«

Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie sehr mein einstiger Mentor und Ziehvater darauf wartet, mir ins Gesicht zu sehen und von mir selbst zu hören, warum ich, die ehemalige Lieblingsschülerin, mich gegen ihn gestellt und ihn verraten habe.

Bei der Vorstellung, vor ihn geführt zu werden und mich ihm stellen zu müssen, zieht sich meine Kehle zusammen. Er war mein Alles, meine Welt. Die Entscheidungen, die ich aus dem Bauch heraus getroffen habe, sind mir alles andere als leichtgefallen. Trotz allem, was ich in letzter Zeit über ihn erfahren habe, widerstrebt es mir mit jeder Faser meines Daseins, ihn enttäuschen zu müssen. Ihn, den ich doch immer stolz machen wollte.

»Lebend, ja. Aber ich schätze, er besteht nicht darauf, dich unversehrt vor sich zu sehen«, knurrt er.

Kurz kalkuliere ich das Risiko, ein geheimes Gespräch mit Xaron zu führen. Wir alle reiten nah beisammen, doch nicht so nah, dass die anderen Jägerinnen und Jäger unsere Unterhaltung mithören könnten. Nicht einmal mithilfe ihrer Sinne, die schärfer sind als jene von normalen Menschen, könnten sie mich verstehen. Jedenfalls nicht, wenn ich leise spreche. Das dumpfe Trommeln der Pferdehufe auf dem Schnee und das Pfeifen des Windes, der unsere Gesichtszüge erstarren lässt und uns kalte Flocken entgegenpeitscht, würden meine Worte übertönen.

Also senke ich die Stimme, um ganz sicherzugehen, dass nur Xaron mich hört. »Du hast nicht gefragt, warum ich es getan habe. Warum ich mich auf die Seite der Prinzessin und ihres Begleiters geschlagen habe. Gegen Marus’ Befehl.«

»Das muss ich nicht fragen. Du hast es getan, weil du untreues Geschmeiß bist. Eine tollwütige Hündin, der man nicht trauen kann und die die Hand beißt, die sie füttert.«

Ich verdrehe ungeduldig die Augen, auch wenn er das nicht sehen kann, weil ich ihm den Rücken zuwende. Ich lehne mich zurück, gegen seinen Bauch, und drehe den Kopf zur Seite. Meine Wange ist jetzt an seine Brust gedrückt, die von einem dicken Wollumhang eingehüllt ist. So eng bin ich an ihn gepresst, dass ich ganz schwach seinen Geruch wahrnehmen kann. Ich wünschte, ich könnte behaupten, er würde unangenehm riechen. Die Wahrheit aber ist, Xaron duftet schwach nach Wald und Winter, kalt und frisch. Jetzt ist unsere Pose noch romantischer, ich bin richtiggehend an ihn gekuschelt. Doch der Sinn und Zweck ist nur, ihm besser die Informationen zuflüstern zu können, ohne dass die anderen etwas davon hören. Etwas sagt mir, dass ich bessere Chancen habe, ihn allein zu überzeugen, als mit der ganzen Gruppe zu sprechen.

»Bisschen theatralisch, oder?«, zische ich. »Denk noch mal scharf nach. Du weißt, dass ich das nicht einfach so gemacht habe. Dass mehr dahintersteckt. Dass ich einen Grund hatte. Willst du diesen Grund nicht wissen?«

Er schweigt kurz. »Es interessiert mich nicht. Du hast einen Fehler gemacht, und für den wirst du bezahlen. Deine verworrenen Motive könnten mir nicht egaler sein.«

Ich lasse mich nicht beirren. »Marus ist nicht der, für den du ihn hältst. Ich weiß, was du denkst, und auch ich habe ihm immer blind vertraut. Er hat uns großgezogen, war das Zentrum unserer Welt. Aber er hat schlimme Dinge getan, und wenn er Odine in seine Finger bekommt …«

Mit seinen Armen, mit denen er mich links und rechts einkesselt, verstärkt er den Druck um meinen Körper. Grob stößt er mir in die Seite. »Hast du mich nicht verstanden? Es interessiert mich nicht. Ich bin ohnehin schon viel zu nett zu dir. Halt die Klappe, oder ich stopfe sie dir.«

Langsam reicht es. Das lasse ich mir nicht gefallen, schon gar nicht von ihm.

Die Armleuchter haben mir zwar den Neuntöter abgenommen, mich aber nicht durchsucht. Im Stiefelschaft trage ich noch ein kleines Messer bei mir. Außerdem habe ich die Kralle der Kraya, die ich damals erlegt habe, in einer flachen Ledertasche unter der Kleidung um meinen Körper geschnallt. Mein letzter Auftrag vor jenem, der mein Schicksal in neue Bahnen gelenkt hat. Nur kurz erwäge ich, eine dieser beiden Waffen zu zücken und sie Xaron zwischen die Rippen zu jagen. Mit der kurzen Klinge des Messers würde ich ihn schwer verletzen, aber vermutlich nicht töten. Das Gift der Kraya hingegen könnte größere Verheerungen anrichten. Wenn ich ihn damit in der Nähe seines Herzens verletzen würde, gäbe es nichts und niemanden, der die Ausbreitung des Giftes schnell genug stoppen könnte.

Aber was dann? Ein Jäger wäre dann tot. Aber fünf stünden mir immer noch gegenüber. Fünf Jägerinnen und Jäger, die mich bekämpfen würden und umso sicherer gehen würden, dass ich kein Unheil mehr anrichten kann. Immer noch sind meine Handgelenke und Knöchel mit schmalen, aber starken Ketten gefesselt. Ich hätte keine Chance. Also versuche ich gar nicht erst, ihn ernsthaft anzugreifen.

Aber eine Lektion will ich ihm erteilen. Zumindest könnte ich ihn erschrecken. Damit er kapiert, dass ich zwar vorerst unterlegen, aber nicht endgültig besiegt und wehrlos bin. Und um ihm das ekelhaft siegessichere Grinsen aus dem Gesicht zu wischen, das ihm mit Sicherheit gerade auf den Lippen liegt.

Die anderen Jägerinnen und Jäger bemerken nicht, dass ich mich geschmeidig um die eigene Achse winde, nur ein wenig, um mich weiter zu Xaron zu drehen. Die dicke Decke, in die ich gewickelt bin und aus der nur mein Kopf ragt, verbirgt meine unauffälligen Bewegungen.

Zwischen uns ist nur der dünne Stoff seines Hemdes und der Hose. Seine Jagdkleidung aus Leder trägt er nicht, weil es sich so – in Stoffkleidung und dickem Umhang – bequemer reist. Was für ein Fehler. Er ist und bleibt eben ein Einfaltspinsel.

Meine aneinandergefesselten Hände wollen schon hoch zu seiner Kehle schnellen. Wenn ich dort, an dieser empfindlichen Stelle, zudrücke … Nein, nicht nachdrücklich genug. Ich entscheide mich anders. Rascher, als er reagieren kann, ändere ich die Richtung und fasse ihm grob in den Schritt.

»Du tätest gut daran, mir zuzuhören«, zische ich.

Xarons Atmung wird schneller, ich spüre seine Atemzüge auf meiner Stirn und in meinen Haaren. Er tut nichts, um mich zu stoppen – kann er auch nicht, denn meine Hand an seiner empfindlichsten Stelle macht klar, was passieren würde, wenn er versuchen würde, sie da einfach wegzureißen. Ich würde ganz bestimmt nicht loslassen, sondern ihm wehtun. Sehr weh.

Stattdessen packt er hart meine Hand und raunt ganz dicht in mein Ohr: »Tu nichts, was du später bereuen würdest.«

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und verstärke meinen Griff. »Diese Empfehlung kann ich nur zurückgeben.« Unsanft drücke ich zu.

Ein schmerzerfülltes Zischen kommt über seine Lippen. Sein Atem wird noch schneller, nervöser. Er ist mit einem Mal ganz angespannt. Ein Schauer geht durch seinen Körper. Durch das Hemd spüre ich, wie hektisch sich sein Brustkorb unter seinen Atemzügen hebt und senkt. Mich berauscht die Macht, die ich plötzlich über ihn habe.

»Oona«, presst er heiser zwischen den Zähnen hervor. Seine Stimme klingt drohend und gleichzeitig gequält.

Besser. Jetzt habe ich seine Aufmerksamkeit.

»Kein Ton zu den anderen«, fauche ich leise. »Sonst wirst du deine Bewunderinnen, die in der Festung sehnsüchtig auf deine Rückkehr warten und beglückt werden wollen, bitterlich enttäuschen müssen. Uns beiden ist bewusst, dass Marus nicht so jung ist, wie er aussieht. Er ist jedoch noch wesentlich älter, als du ahnst. Vor langer Zeit hat er ein Mädchen getötet, das seine Liebe nicht erwidert hat. Er ist ein Mörder, Xaron. Ich weiß, dass sogar ein Mistkerl wie du da eine Grenze zieht. Wir sind Jäger, wir richten unsere Waffen gegen Bestien. Nicht gegen Menschen. Ich weiß nicht, wie das möglich ist, aber es gibt eine Verbindung zwischen diesem Mädchen, das er vor langer Zeit umgebracht hat, und Odine. Nur darum will er Odine in seine Gewalt bringen. Ich weiß nicht, was er mit ihr vorhat, aber ich darf das nicht zulassen. Wir dürfen das nicht zulassen! Verdammt noch mal, hör auf, so ein feiger Kriecher zu sein! Die Zeit des blinden Gehorsams ist vorbei. Schalte deinen Kopf ein, mach die Augen auf, und betrachte Marus als das Monster, das er ist. Nicht als den liebevollen Retter, den du seit deiner Kindheit in ihm sehen wolltest.«

Schnell habe ich die Worte hervorgestoßen. Schließlich musste er mir in diesem Moment zuhören. Solange ich seine Männlichkeit so brutal im Griff habe, wagt er nicht, mich zu unterbrechen. Was er aus den Informationen macht, liegt nicht in meiner Macht. Vermutlich glaubt er mir ohnehin kein Wort. Und selbst wenn, würde er wahrscheinlich nichts darauf geben, was Marus’ Beweggründe sein könnten. Aber zumindest habe ich die Worte in seinem Kopf platziert. Jetzt kann er sie nicht einfach so loswerden. Vielleicht machen sie ja doch einen Unterschied.

Ich löse meinen Griff. Xaron atmet auf, seine Anspannung lässt nach. Er sagt kein Wort. Ich sollte mich wieder zurückziehen, die dicken Stofflagen des Mantels und der Decke zwischen uns bringen. Doch aus irgendeinem Grund tue ich das nicht. Durch die Kleidung hindurch merke ich, wie wild sein Herz schlägt.

Noch einmal erhasche ich einen Blick auf Odine, die nach wie vor ganz weggetreten wirkt und apathisch im Sattel hängt. Ein Gefühl macht sich in mir breit, das ich bisher nur sehr selten in meinem Leben gespürt habe: Mitleid. Mein Wunsch, endlich aktiv zu werden und mich und Odine zu befreien, flammt noch stärker in mir auf.

Aber das ist nicht der richtige Moment. Ich muss mich in Geduld üben. Etwas, was man als Jägerin ohnehin früh lernt. Es ist wichtig, erst dann zuzuschlagen, wenn man davon ausgehen kann, Erfolg zu haben. Es ist gut und richtig, dass ich mein Messer und die Kraya-Kralle noch nicht eingesetzt habe. Sie ahnen nicht, dass ich weniger wehrlos bin, als ich scheine. Das werde ich zu meinem Vorteil nutzen, wenn die Zeit reif ist. Der Moment wird kommen.

Ich lasse meinen Kopf wieder gegen Xarons Brust sinken und warte.

Kapitel 4

Odine

Endloser Schnee liegt vor mir.

Ein Blinzeln, und alles ist anders: Der Schnee ist weg, ein Abgrund tut sich vor mir auf.

Noch ein Blinzeln. Ein See aus Blut breitet sich vor meinem inneren Auge aus. Oder geschieht das nicht nur in meiner Vorstellungskraft, sondern in echt?

Was ist real, was Traum? Welche Bilder zeigt mir Nisha – Erinnerungen oder vage Nachrichten, die sie mir zu senden versucht – und welche entspringen nur meiner eigenen Fantasie?

Pferdehufe wirbeln vor meinen Augen.

Der junge Mann mit den schönen Augen lächelt mir zu, dann rammt er mir einen Neuntöter zwischen die Rippen.

Eine Bestie springt auf mich zu.

Träume, nichts als Träume und Visionen.

Für einen kurzen Moment weiß ich, dass ich in der Wirklichkeit bin. Man hebt mich hoch, setzt mich ab. Jemand wickelt die Decke noch enger um meinen Leib, um mich vor der beißenden Kälte zu schützen. Das Gesicht der Jägerin, das von den zahlreichen Narben entstellt ist, taucht vor mir auf. Ihre Augen sind freundlich und warm, auch wenn sie zu jenen gehört, die mich gefangen halten.

»Wie ist dein Name?«, frage ich leise.

Sie schaut schnell nach links und rechts, als wollte sie sich vergewissern, dass niemand mitbekommt, dass sie mit mir spricht. »Gira«, murmelt sie.

Sie setzt einen Trinkschlauch an meine Lippen. In kleinen Schlucken nippe ich an dem kalten Honigwein.

Dann taucht neben Giras Gesicht auf einmal das von Nisha auf. Es gleicht meinem eigenen wie ein Spiegelbild. Ich weiß, das kann nicht echt sein. Nisha ist längst tot, sie existiert nur in meinem Kopf. Sie lächelt mich an, doch ihre Augen sind voller Sorge und Kummer.

Gedanken und Träume mischen sich mit der Realität. Von Stunde zu Stunde fällt es mir schwerer, Unterschiede zu erkennen und Grenzen zu ziehen.

Das Bild eines Mannes blitzt klar durch das Chaos: Dariel. Ist er wirklich tot? Haben die Jäger mich wirklich gefangen genommen und ihn in Silberfels umgebracht? Oder ist das einer meiner zahlreichen Albträume, die mich plagen?

Ich weiß es nicht, ich weiß gar nichts. Ich lasse mich fallen, treibe in einem endlosen Strom aus Bildern und habe vergessen, was ist und was nicht.

Kapitel 5

Dariel

Ich sitze in einer Pfütze auf dem Steinboden und schaue an ihr hoch: von den polierten, cognacfarbenen Schnürstiefeln über die bauschige Hose bis hin zu ihrem karierten Wams. Ihre Kleidung ist trocken. Sie war es also nicht, die zu mir ins Wasser gesprungen ist und mich gerettet hat. Was bedeutet, dass sie diejenige ist, die über das unhygienische Meer gewettert und deswegen die andere dazu verdonnert hat, mir zu helfen.

Die aalglatten schwarzen Haare trägt sie kurz. Sie reichen ihr gerade mal bis zum spitzen Kinn und betonen ihre markanten Gesichtszüge: die lange, gerade Nase, die hohen Wangenknochen, die grauen Augen, deren Lider leicht hängen, was ihnen einen verschlafenen Ausdruck verleiht. Der Eindruck täuscht, das wird mir auf den zweiten Blick klar. Denn diese verhangenen Augen schauen hellwach und stechend drein. Nichts scheint in diesem Gesicht so recht zusammenzupassen, trotzdem ist die Frau auf seltsame Weise attraktiv.

Sie reicht mir die Hand. »Heloise«, stellt sie sich knapp vor und zieht mich schwungvoll hoch. Ihr Händedruck ist so wie der gesamte erste Eindruck, den sie auf mich macht: herb und stark.

»Dariel«, erwidere ich. »Und … danke.«

Die andere Frau räuspert sich. Sie ist fast einen Kopf kleiner als Heloise und wirkt um einiges jünger als sie. Ihr rundliches Gesicht wird dominiert von den riesigen dunklen Augen, die mich ein wenig an jene von Feldhamstern erinnern. Die haselnussbraunen Locken triefen vor Nässe, genauso wie ihr schlichtes Kleid, über das sie ein Mieder geschnürt hat und aus dessen Ausschnitt ein weißer Spitzenkragen ragt. Um ihre Füße bildet sich eine Pfütze.

»Ja. Schön. Und bei mir kannst du dich auch gleich bedanken, immerhin bin ich ins Wasser gesprungen und habe mein Leben riskiert, damit die Bestie dich nicht frisst!« Sie funkelt mich an. Als ich ihr die Hand reiche, schüttelt sie sie energisch. »Ich bin Winn. Und ich verstehe ja, dass man mich schon mal übersehen kann, wenn Madame Heloise neben mir steht. Aber unsichtbar bin ich trotzdem nicht.«

Benommen nicke ich. »Danke, Winn. Das war unfassbar mutig. Aber wie …« Ich schüttle den Kopf, in meinen Ohren klingelt es immer noch. »Wie hast du die Bestie in die Flucht geschlagen? Was war das für ein Gerät, das du da benutzt hast?«

Statt Winn antwortet mir Heloise. Und das mit sichtlichem Stolz. »Das Geheimnis ist die Tonfrequenz. Für Menschen ist sie unhörbar, aber der Bestie bereitet sie unerträgliche Schmerzen.«

Fassungslos starre ich sie an. »Also, unhörbar würde ich die Tonfrequenz nicht nennen. Das ist wirklich nicht die Bezeichnung, die sich mir da aufdrängt.«

Sie verdreht die Augen. »Das Gerät ist noch nicht ganz ausgefeilt. Ich arbeite noch daran. Nutze die Bestie im Hafen seit Wochen für meine Forschungen, um das Gerät zu verbessern.« Liebevoll tätschelt sie die Apparatur – ein Kasten mit Griff, bronzefarbenen Zahnrädern und einem Trichter –, die an einem Ledergurt um Winns nassen Körper hängt.

Ich fühle mich, als würde ich in einem seltsamen Traum feststecken. Der Schlag auf den Kopf, der mich ausgeknockt hat. Die Attacke der Meeresbestie, das grelle Licht und der Lärm. Dann diese beiden seltsamen Frauen. Mein Schädel brummt. Ich fasse mir an die Stirn und hoffe darauf, dass das Schwanken und Drehen bald nachlässt.

»Ja, was das betrifft«, knurre ich. »Eine Bestie direkt im Hafenbecken leben zu lassen, ist vielleicht nicht die beste Idee. Was ist los mit diesem Silberfels? Stört sich niemand daran?«

Heloise zieht eine ihrer schmalen Augenbrauen hoch. »Üblicherweise vermeiden die Bewohner von Silberfels es, im Hafenbecken zu schwimmen. Schiffe wurden bisher nie attackiert. Und die paar Betrunkenen, die nachts an den Docks herumtorkeln und nicht zurückkehren … Nun, die haben ihr Schicksal selbst gewählt.«

Ich bin drauf und dran, ihr zu erklären, dass ich keineswegs freiwillig ein Bad genommen habe. Will sie zur Rede stellen, wie um alles in der Welt sie dazu kommen, hier an Geräten zur Bekämpfung von Meeresbestien zu tüfteln. Aber da hebt sich endlich der bleierne Schleier vor meinen Augen, und ich kann wieder einen klaren Gedanken fassen. Schlagartig fällt mir ein, was eigentlich gerade wichtig ist.

»Odine«, keuche ich. Verdammt – je mehr Zeit ich hier vertue, desto größer wird der Vorsprung, den die Jägergilde hat. »Die Blutjäger haben sie verschleppt. Wir müssen sie retten.«

Erinnerungen an unseren Streit blitzen in meinem Kopf auf. All die hässlichen Dinge, die gesagt wurden. Das war das Letzte, was ich von ihr gehört und zu ihr gesagt habe. Kalte, harte Worte, die aber rein gar nichts daran ändern, dass ich ihr jetzt helfen muss.

Heloise blinzelt mich interessiert an. »Entschuldige, was müssen wir?«

»Odine. Eine … Freundin von mir.« Ich zwinge mich zur Ruhe, obwohl es mich danach drängt, die Verfolgung sofort aufzunehmen. »Blutjäger haben uns angegriffen. Mich niedergeschlagen und zum Sterben ins Meer geworfen. Und sie und eine andere … Verbündete … in Ketten gelegt und mitgenommen.«

»Den Teil habe ich verstanden. Wenngleich ich mich frage, was du und deine Freundinnen mit Blutjägern zu schaffen habt. Aber erklär mir, inwiefern betrifft das mich und Winn?« Heloise wirkt aufrichtig fasziniert.

»Der Esel nennt sich selbst zuerst«, murrt Winn so leise, dass man sie kaum hört.

»Verdammt, Odine braucht Hilfe! Sie ist diesen Monstern ausgeliefert.« Hektisch überlege ich, was ich ihnen anbieten kann. Ich habe rein gar nichts, außer der Kleidung, die ich am Leib trage. Trostlosigkeit drückt mich tonnenschwer nieder. »Helft mir! Bitte.«

Der Kai füllt sich wieder, Menschen wuseln umher, tragen Kisten und Fässer, beladen Schiffe, unterhalten sich, gehen ihren Angelegenheiten nach. Sobald die akute Gefahr vorbei ist, kehrt Silberfels zum Normalzustand zurück. Als wäre all das nie passiert. Als wäre keine Gruppe von Jägerinnen und Jägern hier aufgetaucht, als hätte es keinen Kampf gegeben. Als wären Odine und Oona nicht verschleppt worden. Niemand interessiert sich für das Schicksal zweier junger Frauen. Die Bevölkerung von Silberfels ist einfach nur froh darüber, dass die düsteren Blutjägerinnen und -jäger wieder verschwunden sind.

»Und diese Odine, von der du sprichst und der ich nie begegnet bin … Hilf mir mal auf die Sprünge, Dariel. Wieso genau denkst du, ihr Schicksal wäre von Bedeutung für mich?« Heloises verhangener Blick ist kühl und teilnahmslos. Sie verschränkt ihre langen, schlanken Finger miteinander und sieht mich an, als erwartete sie eigentlich gar keine Antwort.

Enttäuschung breitet sich als bitterer Geschmack in meinem Mund aus. Warum habe ich angenommen, sie würden mir helfen, nur weil sie mich aus dem Meer gezogen haben? Heloise hat recht – das alles ist nicht ihr Problem. Trotzdem muss ich versuchen, sie zu überreden. Odine zuliebe.

»Auch mich kennt ihr nicht. Und trotzdem bist du«, ich wende mich an Winn, die wesentlich menschlicher wirkt als diese merkwürdige Heloise, »ein Risiko eingegangen, um mich zu retten.«

Winn zuckt mit den Schultern. »Weil sie mir gesagt hat, ich soll es tun.«

So viel dazu, dass sie menschlicher ist.

Meine Enttäuschung wächst. »Lass mich raten. Dir ging es darum, deine Apparatur an der Bestie zu testen?«, fahre ich Heloise an. »Darum hast du deiner … Was weiß ich, deiner … Assistentin, deiner Dienerin, befohlen, ins Wasser zu springen? Es ging dir gar nicht darum, ein Menschenleben zu retten.«

Heloise legt den gleichen Tonfall an den Tag, den sie schon gegenüber Winn benutzt hat: als spräche sie zu einem Kind, dem sie die Welt erklären muss. »In jedem Augenblick sterben auf Gara Menschen. Von Bestien dahingerafft, in sinnlosen Kriegen gefallen. Würde ich um all diese Fremden Tränen vergießen, würde mein Taschentuchkonsum mein mageres Einkommen auffressen.«

Frustriert presse ich die Lippen zusammen. Es hat keinen Sinn, zu diskutieren. Ich bin auf mich allein gestellt. Odine zählt auf mich. Oona würde es zwar nie zugeben, doch auch sie steckt gerade gewaltig in der Klemme und braucht meine Hilfe. Immerhin hat sie sich gegen die anderen Jägerinnen und Jäger gestellt, die ihr zahlenmäßig hoffnungslos überlegen sind.

»Schön«, sage ich knapp, »dann gehe ich allein. Danke für die Rettung.«

Keine Zeit für Diskussionen, die zu nichts führen. Ich muss die Jägerinnen und Jäger finden und aufhalten. Odine und Oona helfen.

Wie ich das anstellen soll? Ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber noch länger untätig zu bleiben, halte ich nicht aus. Bis auf die Haut durchnässt und mit schmerzendem Kopf stapfe ich los, ohne irgendeinen Plan.

Hinter mir höre ich Gemurmel. Dann rasche Schritte, das Patschen nasser Schuhe auf Steinboden.

»Nun bleib schon stehen!« Winn hält mich am Ärmel fest. »Schmoll nicht gleich. Wohin willst du überhaupt? Weißt du, wohin diese Jäger verschwunden sind, die dein Mädchen entführt haben?«

»Zur Festung der Blutjäger«, sage ich entschlossen. Jedes Kind weiß, dass das Oberhaupt der Blutjägergilde in einem alten Gemäuer verweilt, an der Küste, schwer zu erreichen und sturmumtost. Dort befindet sich der Hauptsitz, an dem sich die Jägerinnen und Jäger regelmäßig versammeln, und dorthin wendet man sich, wenn man ihre Dienste benötigt. Niemand sucht diesen düsteren Ort gern auf, um die Hilfe jener anzufragen, die kaum weniger beängstigend sind als die Bestien, die sie bekämpfen.

»Ich werde nicht zulassen, dass sie Odine dorthin bringen«, erkläre ich mit fester Stimme.

Ohne anzuhalten, marschiere ich weiter und schüttle Winns Hand ab. Doch sie läuft an mir vorbei, stellt sich mir in den Weg und stemmt die Hände in die Hüften. »Also läufst du mal eben los, schneller als jedes Pferd, spürst sie mit deinem untrüglichen Geruchssinn auf und errätst einfach durch deine magischen Kräfte, welchen Weg diese Leute genommen haben? Und wenn du sie eingeholt hast, schlägst du diese Bestien vernichtenden Halbgötter mit deinen Eisenfäusten kaputt und trägst dein Mädchen in den Sonnenuntergang? Korrigiere mich, wenn ich falschliege, aber auf mich wirkst du auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Mensch.«

Ich knirsche mit den Zähnen. Wenn sie nur nicht so schrecklich recht hätte. Was ich da tue, ist völliger Unfug. In keiner Welt unter keinen Umständen könnte das funktionieren. Weder könnte ich den Jägerinnen und Jägern den Weg abschneiden – immerhin weiß ich nicht, welchen Weg sie genommen haben, kenne nur grob die Richtung, in der die Festung liegt. Noch hätte ich diesen Kreaturen etwas entgegenzusetzen, die äußerlich wie Menschen aussehen, aber unendlich viel stärker sind.

»Ich muss es versuchen«, murmle ich.

»Das ist doch glatter Selbstmord! Patschnass und ohne jeglichen Plan … Was meinst du, wie weit du kommst?«

»Was ist die Alternative? Von euch beiden habe ich offenbar keine Hilfe zu erwarten«, schnappe ich. Sie haben nichts getan, womit sie meine Wut verdienen. Aber die Verzweiflung über meine Situation macht meine Nerven hauchdünn.

Winn seufzt. »Heloise hat sich etwas harsch ausgedrückt. Wenn du sie ein bisschen besser kennen würdest … Komm schon, Dariel. Lass uns in Ruhe reden. Heloise möchte mit dir sprechen.«

Ich drehe mich um und schaue zu Heloise, die scheinbar völlig unbeteiligt ihre Fingernägel begutachtet. »Warum sagt sie mir das nicht selbst?«

Ein amüsiertes Grinsen zuckt um Winns Mundwinkel. »Manchmal ist es besser, sie überlässt das Reden mir. Einfühlsamkeit ist nicht unbedingt ihre Stärke. Das ist eine meiner Aufgaben als ihre Assistentin. Also, was ist – kommst du?«