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Einst war ich eine erfolglose Hobbyschriftellerin und glaubte, meine Geschichten und die magischen Wesen darin wären nur ein Produkt meiner Fantasie. Doch dann traf ich meine eigenen Figuren leibhaftig und mein Leben wurde komplett auf den Kopf gestellt.
In der Fantasy-Reihe „Magische Seiten“ beschreibe ich meine Abenteuer in dieser fantastischen Welt rund um die beiden Magier Rick und Alec. Ich erzähle Euch von einer tiefen Liebe, einer ungewöhnlichen Freundschaft und magischen Wesen, die sich im Verborgenen halten.
Nachdem sich der Wirbel um meine magische Herkunft gelegt hatte (
Magische Seiten – Band 1: Ruf der Marwaree & Band 2: Fluch der Taikons), schien eigentlich alles eitel Sonnenschein zu sein. Ich war Ricks Freundin und mein Herz quoll über vor Glück, diesen wunderbaren Mann für mich gewonnen zu haben. Doch noch immer fehlte es uns an Vertrauen zueinander. Rick verheimlichte mir etwas und zugleich veränderten sich seine magischen Kräfte. Seine dämonische Seite erwachte. Da mir Rick sein Geheimnis nicht anvertrauen wollte, brachte mich meine verfluchte Neugier schließlich auf eine sehr, sehr dumme Idee, mit der ich unser Glück zerstörte. Doch ich war nicht bereit aufzugeben und richtete dadurch immer mehr Schaden an. Schließlich riskierte ich alles, um wieder mit Rick zusammen zu sein und zog dabei auch meinen treuen Freund Alec mit in den Strudel der Zerstörung.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Einst war ich eine erfolglose Hobbyschriftellerin und glaubte, meine Geschichten und die magischen Wesen darin wären nur ein Produkt meiner Fantasie. Doch dann traf ich meine eigenen Figuren leibhaftig und mein Leben wurde komplett auf den Kopf gestellt.
In der Fantasy-Reihe „Magische Seiten“ beschreibe ich meine Abenteuer in dieser fantastischen Welt rund um die beiden Magier Rick und Alec. Ich erzähle Euch von einer tiefen Liebe, einer ungewöhnlichen Freundschaft und magischen Wesen, die sich im Verborgenen halten.
Nachdem sich der Wirbel um meine magische Herkunft gelegt hatte (Magische Seiten – Band 1: Ruf der Marwaree & Band 2: Fluch der Taikons), schien eigentlich alles eitel Sonnenschein zu sein. Ich war Ricks Freundin und mein Herz quoll über vor Glück, diesen wunderbaren Mann für mich gewonnen zu haben. Doch noch immer fehlte es uns an Vertrauen zueinander. Rick verheimlichte mir etwas und zugleich veränderten sich seine magischen Kräfte. Seine dämonische Seite erwachte. Da mir Rick sein Geheimnis nicht anvertrauen wollte, brachte mich meine verfluchte Neugier schließlich auf eine sehr, sehr dumme Idee, mit der ich unser Glück zerstörte. Doch ich war nicht bereit aufzugeben und richtete dadurch immer mehr Schaden an. Schließlich riskierte ich alles, um wieder mit Rick zusammen zu sein und zog dabei auch meinen treuen Freund Alec mit in den Strudel der Zerstörung.
Der Bildschirmschoner meines Notebooks schaltete sich zum ungefähr dreitausendsten Mal ein. Ich schubste die Maus vor mir, um das Gefühl loszuwerden, untätig vorm Rechner zu sitzen. Der Bildschirm wurde wieder hell. Erneut starrte ich auf den Text, den ich mittlerweile fast auswendig kannte. Moira hatte mich ermutigt, an dem Roman über Rachel und Sake zu arbeiten. Also tat ich es, denn schließlich war sie mein Boss. Die Geschichte war zwar allgemein bekannt und so eine Art modernen Legende unter Vampiren geworden, aber niemand kannte die genauen Details. Die sollte ich nun liefern. Moira hatte ganz eindeutig völlig falsche Vorstellungen von meinen magischen Kräften. Sofern ich überhaupt welche besaß.
Plötzlich klingelte es an der Wohnungstür. Ich fluchte leise und beugte mich dichter über die Tastatur. Ich erwartete keinen Besuch.
Im nächsten Augenblick pochte es an die Tür. „Mach auf! Ich weiß, dass du da drin bist.“
Es war Debby. Ricks engste Vertraute unter seinen Magier-Freunden und eine verdammte Nervensäge. Was wollte der blonde Giftzwerg hier? Widerwillig stand ich auf und ging zur Tür. Wir waren nicht gerade enge Freundinnen. Zugegeben, vielleicht war ich ein klitzekleines bisschen eifersüchtig auf Debby, weil sie Rick viel länger kannte und ihm in den meisten Dingen sehr viel näher stand als ich. Debby war Ricks Kampfgefährtin, seine treue Begleiterin und Freundin. Sie war die Frau, der er voll und ganz vertraute. Ich war nur die Frau, mit der er sein Bett teilte.
„Was treibst du da?“, fragte Debby als sie durch die Tür trat.
„Ich wünsche dir auch einen schönen Tag“, brummte ich.
„Tu nicht so, als ob ausgerechnet du auf Etikette Wert legst.“
„Etikette? Wen willst du mit dieser verschnörkelten Ausdrucksweise beeindrucken?“
„Ich will mich nicht mit dir streiten.“
„Fein, das spart Zeit. Was willst du dann?“
„Du scheinst mächtig beschäftigt zu sein.“ Debby stapfte zu meinem Laptop. „Schreibst du an einer neuen Geschichte? Nicht besonders klug.“
„Ich habe nicht darum gebeten, für euch zu arbeiten, das war eure Idee …“
„Es war Moiras Wunsch!“, stellte Debby klar. „Ich denke, du solltest gar nicht mehr schreiben.“
„Ach ja? Und warum nicht?“ Ich war dieser Nörgeleien überdrüssig. „Weil es euch sowieso nicht weiter bringt? Weil ich nur über die Vergangenheit schreibe und ihr ohnehin schon wisst, was passiert ist?“
„Wir wussten auch, was Rick als kleinem Jungen zugestoßen ist“, fiel sie mir ins Wort. „Trotzdem ist er durch deine Schreiberei über seine Kindheit beinahe getötet worden.“
Ich zuckte zusammen. Mal wieder hatte sie zielstrebig einen wunden Punkt getroffen. Aber ich war nicht bereit, Debby diesen Triumph zu gönnen. „Rick lebt. Aber dafür ist Dixon tot“, ging ich in die Offensive.
„Das ist aber nicht dein Verdienst“, stellte sie trocken fest.
„Richtig. Ich erinnere mich gut, wie unglaublich dankbar ihr Alec dafür wart, dass er Dixon getötet hat.“ Meine Stimme triefte vor Ironie und Wut. Viel zu lange unterdrückter Wut. Denn es war nicht nur die Eifersucht, die zwischen Debby und mir stand. Der aktuelle Zankapfel war Alec: mein bester Freund und Debbys erklärtes Feindbild.
„Warum nur drehen sich unsere Gespräche früher oder später immer wieder um diesen Psychopathen?“, bemerkte Debby spitz. „Alec scheint dir wirklich äußerst wichtig zu sein.“
„Wenn du damit andeuten willst …“
„Ich will damit andeuten, dass du dir lieber um Rick Gedanken machen solltest, anstatt mit diesem verschlagenen ...“
„Wenn du nur hierhergekommen bist, um auf Alec herumzuhacken, kannst du gleich wieder verschwinden. Er ist mein Freund.“
„Ich dachte Rick ist dein Freund.“
„Du weißt genau, wie ich das meine.“
„Das einzige, was ich genau weiß, ist, dass du nicht gut für Rick bist!“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „So, jetzt ist es raus“, sagte sie sichtlich erleichtert.
„War’s das?“, fauchte ich. Debbys Bemerkung war ein echter Tiefschlag. Sie wusste das verdammt gut. Doch es stimmte leider. Ob es mir gefiel oder nicht, der blonde Giftzwerg hatte Recht. Rick war durch meine Schuld mehr als nur einmal in Gefahr geraten. Trotzdem wollte Rick mich bei sich haben. Als seine feste Freundin. Anfangs hatten seine Freunde das akzeptiert, einige hatten sich sogar für uns gefreut. Außer Debby. Sie hatte schon immer mit eisiger Feindseligkeit auf mich reagiert und mittlerweile schienen sich die anderen ihr anzuschließen. Sogar Neve, meine Halbschwester.
„Versteh mich nicht falsch“, sprach Debby weiter. „Im Prinzip habe ich nichts gegen dich.“
„Klar doch“, schnaubte ich. „Im Prinzip können Werwölfe auch Silberohrringe tragen.“
„Du bist an sich okay, aber du bist definitiv die falsche Frau für Rick.“
„Lass mich raten: Du bist die Richtige für ihn.“
„Auf das Spielchen lass ich mich nicht ein. Es geht hier nicht um Eifersucht. Es geht hier einzig und alleine um Rick.“ Debby atmete tief durch. „Ich weiß, dass du ihn liebst, oder das zumindest glaubst, aber trotzdem … Scheiße, siehst du denn nicht, was mit ihm geschieht? Seit du aufgetaucht bist, verändert er sich. Und damit meine ich nicht nur seine Kräfte – auch wenn ich das im Gegensatz zu Moira äußerst besorgniserregend finde. Rick hat seine Magie immer weniger unter Kontrolle und das Letzte, was er jetzt braucht, ist jemand, der ihn in ein emotionales Chaos stürzt.“
„In ein emotionales Chaos?“
„Schlimm genug, dass Ricks Verstand jedes Mal in die Hose wandert, wenn er in deiner Nähe ist. Aber dann auch noch deine zweifelhafte Freundschaft mit Alec. Manchmal denke ich, Rick vögelt dich nur, weil er Angst hat, dass du ansonsten zu diesem Psychopathen Alec gehst.“ Ich hob zu einer Erwiderung an, doch Debby hob beschwichtigend die Hände. „Ich bin nicht hier, um dir Vorwürfe zu machen“, fuhr sie fort. „Ich bin gekommen, weil ich mir ernsthafte Sorgen um Rick mache. Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen kann. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich ihm helfen kann. Ich fürchte nein. Aber vielleicht, hoffentlich, kannst du ihm helfen. Denn du bist der Dreh- und Angelpunkt all seiner Probleme. Also, wenn dir wirklich was an Rick liegt, dann beende diese Pseudo-Beziehung und halt dich von ihm fern. Tu es für Rick, denn er ist ohne dich besser dran.“ Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, drehte sie sich auf dem Absatz um, rauschte aus meiner Wohnung und knallte die Tür hinter sich zu.
Einen Moment lang war ich sprachlos. Was war nur los mit diesem blonden Biest? Wie kam sie dazu, mir ein schlechtes Gewissen zu machen? Ich machte mir schon viel länger Sorgen um Rick als sie. Debby konnte mich mal!
Ihr überhebliches Getue ging mir gewaltig auf die Nerven. Am meisten nervte mich, dass die anderen ihre Partei ergriffen und dadurch all meine beginnenden Freundschaften im Keim erstickt wurden. Debby war nicht nur der Grund dafür, dass sich meine Halbschwester Neve von mir fern hielt, sondern sie hatte auch einen Keil zwischen mich und meine einzigen drei Freunde unter den Zauber-Neulingen getrieben. Vermutlich hatte Debby sich nur deswegen zur Mentorin von Fergie, Cliff und Tony aufgeschwungen, um sie gegen mich aufzuhetzen. Es war längst in Vergessenheit geraten, dass ich diejenige gewesen war, die als erstes die außergewöhnlichen Kräfte dieser drei Neulinge bemerkt hatte.
Okay, früher oder später hätte es auch Simon bemerkt, aber das tat nichts zur Sache.
Verdammt. Nun wurde ich genauso kleinlich wie Debby. Zur Hölle damit! Das konnte mir doch alles egal sein, sollte Debby doch reden, was sie wollte. Was scherte mich das? Sie konnte mir gestohlen bleiben, in jeglicher Hinsicht.
Dank Debby war meine Konzentration nun endgültig dahin. Ich fuhr mein Laptop runter, packte meinen Rucksack und meine Jacke, und eilte aus der Wohnung. Ohne nachzudenken schwang ich mich auf mein Fahrrad und schlug den Weg zum Hafen ein. Ich ignorierte rote Ampeln, Verkehrsschilder und Einbahnstraßen, um schneller voran zu kommen. Erstaunlicherweise wurde ich trotzdem nicht von einem Auto überrollt. Eines Tages würde ich vermutlich in einem ganz banalen Verkehrsunfall ums Leben kommen – fernab von Magie und übernatürlichem Schnickschnack.
Kurz vor der Abzweigung zum Frachthafen bog ich scharf nach links in einen Feldweg ein. Ich konnte das Meer riechen und trat schneller in die Pedale. Erst als der Weg an einem zerbeulten Maschendrahtzaun endete, stieg ich ab und lehnte das Fahrrad achtlos gegen einen Baum. Ich eilte den schmalen Trampelpfad entlang und schlängelte mich durch die hinter einem Busch verborgene Öffnung im Drahtzaun. Dann kletterte ich über den Felsvorsprung und hatte endlich mein Ziel erreicht. Vor mir lag eine kleine Bucht, ein winziger Streifen Naturstrand, den der Rest der Welt vergessen hatte.
„Ich wusste, dass du hierher kommen würdest“, hörte ich eine vertraute Stimme sagen.
Na ja fast der ganze Rest der Welt, dachte ich lächelnd und drehte mich zu Alec um. Alec war ein begeisterter Kletterer und er kannte jeden Quadratmillimeter Felsen in der Umgebung von Aston. Genauso wie ich Astons Küste wie meine Westentasche kannte. Felsküste war sozusagen der gemeinsame Nenner. Und ganz speziell an dieser Klippe waren wir uns schon viel zu oft begegnet als dass man es noch als Zufall bezeichnen konnte. Es war mein Lieblingsplatz – und Alec wusste das. In gewisser Weise war es unser geheimer Treffpunkt geworden, ein kleines Refugium, von dem Rick nichts ahnte.
„Wo hast du dein Laptop gelassen?“, fragte Alec und setzte sich neben mich auf einen Felsbrocken.
„Ich bin nicht zum Schreiben hergekommen. Wo ist deine Kletter-Ausrüstung?“
„Ich bin nicht zum Klettern hergekommen.“ Er legte den Kopf schief und sah mich fragend an. „Was ist los? Du bist durch die Straßen gefegt, als sei der Teufel hinter dir her.“
„Hast du mich etwa verfolgt?“, knurrte ich gereizt.
„Hey, ganz ruhig. Lass deinen Ärger über die Mini-Blondine nicht an mir aus.“
„Entschuldige“, murmelte ich betreten, denn er hatte recht. „Ich bin nur ... durcheinander.“
„Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie scheiße Debby sein kann. Ich war in der Gegend und wollte dich besuchen. Also so ganz förmlich in deiner … äh … eurer Wohnung.“ Er machte eine kurze Pause. „Doch dann bin ich auf dem Weg zu dir Debby in die Arme gelaufen und als ich bei dir ankam, habe ich dich nur noch von hinten auf deinem Fahrrad gesehen. War nicht schwer zu erraten, wo du hin willst. Du bist eine echte Verkehrsgefährdung, weißt du das?“ Er stumpfte mich freundschaftlich in die Seite. „Du hattest also Streit mit Debby?“
„Streit? Weiß nicht, ob man es so nennen kann. Es war eher ein Vortrag darüber, dass ich die falsche Frau für Rick bin. Dass er meinetwegen so schräg drauf ist.“
„Seine Eifersuchtsanfälle sind also noch schlimmer geworden?“
„Nein, eigentlich nicht. Er ist nun mal aufbrausend, ein bisschen mehr als früher, aber das ist nicht das Problem.“
„Was ist dann das Problem?“
„Rick wird ausrasten, wenn er erfährt, dass ich mit dir darüber rede. Aber ...“ Ich zögerte kurz. „Verdammt! Egal. Ich schätze, ich sollte dich warnen. Halte dich lieber von Rick fern.“
„Wieso? Was habe ich jetzt schon wieder verbrochen?“
„Nichts. Rein gar nichts.“ Ich haderte mit mir selbst. Aber letztendlich war es kein Geheimnis. Vielmehr machte es unter den Magiern längst die Runde, sogar Joel wusste schon davon. „Es ist so ... Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll ... also ... Rick wachsen seine magischen Kräfte über den Kopf.“
„Davon habe ich gehört“, sagte Alec bedächtig. „Ungewöhnlich, dass es in seinem Alter noch mal einen akuten magischen Schub gibt, aber andererseits ist er nicht der Erste, dem das passiert. Ist es wirklich so drastisch, wie man sich erzählt?“
„Es ist sogar noch viel schlimmer. Er hat es kaum mehr unter Kontrolle. Es ist nicht nur so, dass seine bestehenden Kräfte anwachsen, er bekommt auch noch neue Fähigkeiten dazu. Er kann jetzt Stein formen.“
„Aber diese Fähigkeit haben doch nur ...“
„Druiden und einige Dämonen-Arten, normalerweise.“ Aber nichts an Rick schien normal zu sein. „Keiner weiß, was als nächstes kommt. Das ist auch der Grund, weshalb er das Selbstverteidigungstraining komplett an Debby abgegeben hat. Er hat Angst, jemanden zu verletzen.“
„Du lässt dich von Debby trainieren?“, fragte Alec ungläubig.
„Nein, ich habe mich natürlich geweigert, nochmal in diesen dämlichen Selbstverteidigungskurs für aufstrebende Jung-Magier zu gehen. Ich war da sowieso von Anfang an völlig deplatziert.“
„Dachte ich mir“, kommentierte Alec mit einem Lächeln in der Stimme. „Lass mich raten: Rick hat dir deswegen die Hölle heiß gemacht?“
„Ja, das hat er. Er meinte, für mich sei das besonders wichtig, da ich keine Zauberkräfte habe, mit denen ich mich verteidigen könnte. Aber ganz ehrlich: Die Hälfte der Zeit sitze ich dort bloß untätig rum während die Neulinge ihre Verteidigungs-Zauber üben. Mal abgesehen davon, dass ich keine Lust habe, mich von Debby herumkommandieren zu lassen, ist es auch nicht gerade angenehm, angestarrt zu werden. Alle wissen, dass ich nur deshalb mitmachen darf, weil ich Ricks Freundin bin. Entweder sie halten mich für den privilegierten Sprössling des Chefs oder für das kleine naive Flittchen.“
„Übertreibt du nicht ein bisschen? Wenn sie wissen, wer du bist, dann wissen sie doch auch von deinen Fähigkeiten.“
Ich schnaubte. „Ach ja, ich vergaß, meine überwältigenden Fähigkeiten, die bislang nichts als Ärger gebracht haben.“
„Hat Debby dir diese Scheiße eingeredet?“
Ich schwieg. Debby hatte es zwar bislang als einzige laut ausgesprochen, doch ich war mir ziemlich sicher, dass sie mit ihrer Meinung nicht alleine stand.
Alec strich mir vorsichtig über den Arm. Er wusste, dass ich manchmal nicht angefasst werden wollte. Ich lehnte mich gegen seine Hand, eine stumme Geste, dass ich seine Berührung als tröstlich empfand. Seufzend legte er den Arm um meine Schulter und zog mich an seine Seite. Ich legte den Kopf auf seine Schulter und starrte aufs Meer.
Lange Zeit saßen wir einfach so da. Erst als sich der Himmel langsam rötlich färbte, durchbrach Alec das Schweigen.
„Mit einer Sache hat Rick Recht“, sagte Alec.
„Hm?“ Es war ungewöhnlich, dass Rick und Alec einer Meinung waren.
„Es wäre gut, wenn du dich zur Wehr setzen könntest. Du streifst verflucht oft alleine durch die Gegend ...“
„Ich kann mich ganz gut selbst verteidigen, dazu brauche ich nicht Debbys lächerliches Training. Die paar schmutzigen Tricks, mit denen man sich ohne Magie wehren kann, hat Rick mir längst beigebracht.“
„Daran habe ich keine Zweifel“, antwortete Alec. „Aber manchmal reichen schmutzige Tricks nicht aus.“
Ich schwieg.
„Hast du mich gehört?“, fragte Alec nach einer Weile.
„Hm“, brummte ich unwillig.
„Du glaubst mir nicht, oder?“
„Ich finde es ja wirklich süß, dass du dir Sorgen um mich ...“
„Los steh auf.“ Alec erhob sich und zog mich mit auf die Beine. „Lass uns einfach mal testen, wie weit du mit deinen tollen schmutzigen Tricks von Rick kommst.“
„Das ist albern“, entgegnete ich. „Ich weiß, dass ich damit gegen Magie nichts ausrichten kann.“
„Keine Magie“, versprach Alec. „Wir tun einfach so, als sei ich ein stinknormaler Perversling, der es auf dich abgesehen hat.“
„Ich will dir nicht wehtun.“
Alec lachte. „Lass das mal meine Sorge sein. Im Zweifelsfall darfst du mich mit Debbys Salbe verarzten.“
„Das Ganze zielt unter die Gürtellinie.“
„Das war mir klar – umso lieber lass ich mich dort von dir verarzten“, fügte er augenzwinkernd hinzu.
„Und da wunderst du dich, wenn Rick eifersüchtig wird.“
„Jetzt vergiss mal Rick für ein paar Minuten. Bereit, überfallen zu werden?“
„Na gut, du hast es so gewollt“, gab ich schließlich nach und hob die Hände leicht an.
„Okay – folgende Situation: Du bist mal wieder alleine am Meer und inmitten der Einsamkeit taucht irgendein Vollidiot auf, der dich anmacht. Du hast höflich nein gesagt, doch der Typ hält das für Koketterie …“ Alec ging mir einem Grinsen auf mich zu. „… und versucht, dich zu umarmen.“
Er streckte die Arme nach mir aus. Ich schlüpfte darunter hinweg und machte einen Ausfallschritt. Alec erwischte mich an der Gürtelschlaufe und zog mich zu sich. Ich hob das Knie und zielte auf seine Weichteile, doch Alec drehte sich zur Seite, ich traf nur seine Hüfte.
„Jetzt ist der Typ gewarnt, dass du nicht so schwächlich bist, wie du aussiehst“, kommentierte Alec mein Bemühen. „Also wird er zu härteren Bandagen greifen.“ Er wirbelte mich herum, so dass ich mit dem Rücken zu ihm stand. Dann packte er mit seiner Rechten meine Hände und legte seinen linken Unterarm unter mein Kinn. „Nun wird er dich in den Schwitzkasten nehmen, allerdings vermutlich weniger sanft als ich gerade.“ Alec zog mich dicht an seinen Körper. „Was machst du jetzt?“
Ich trat ihm mit dem Absatz auf den Fuß. Gleichzeitig hob ich abrupt die Schultern und zog den Kopf ein, so dass ich mich aus seinem Unterarm winden konnte. Ich biss andeutungsweise in seine Hand, drehte mich schwungvoll um und boxte in Richtung seiner Geschlechtsteile.
Alec sprang zur Seite. „Autsch“, sagte er lächelnd, während meine Faust ins Leere traf und ich dabei ins Straucheln geriet. „Vielleicht hättest du ihn damit kaltstellen können. Vielleicht aber auch nicht – und dann wäre unser erfahrener Triebtäter nun doppelt vorsichtig. Er würde kein Risiko mehr eingehen.“ Alec machte einen Satz auf mich zu, packte meine Handgelenke und stellte sich auf meinen rechten Fuß. Ein leichter Ruck zur Seite und ich verlor endgültig das Gleichgewicht. Noch bevor ich recht wusste, was mit mir geschah, lag ich auf dem Rücken und Alec saß auf mir.
„Und jetzt?“, fragte er während er meine Hände über meinem Kopf zusammenführte und mit der linken Hand fest gegen den Boden presste. „Nun habe ich eine Hand frei, mit der ich dich entweder fesseln oder deine Kleider zerreißen kann. Oder beides. Du hast es vermasselt – obwohl du vorgewarnt warst und wusstest, dass ich dich angreife. Normalerweise würde dich ein solcher Typ aus dem Hinterhalt überwältigen.“ Er gab meine Hände wieder frei, kniete aber immer noch über mir. „So viel zu der Wirksamkeit von Ricks schmutzigen kleinen Tricks.“
„Ich werde trotzdem nicht in Debbys Training gehen!“, motzte ich und wand mich unter ihm hervor.
„Solche Ungeheuerlichkeiten würde ich auch niemals von dir verlangen“, entgegnete er scherzhaft und klopfte sich den Staub von der Jeans.
„Sondern?“ Nun war meine Neugier geweckt.
„Du hast mir mal erzählt, dass du als Kind unbedingt Kampfsport lernen wolltest und dich deine Eltern stattdessen in einen Ballettkurs geschickt haben ...“
„In den ich genau zweimal gegangen bin“, ergänzte ich mit einem grimmigen Lächeln und streifte mir die Haare aus dem Gesicht. Ich war schon damals ein Dickkopf gewesen. Das Verbot, Kampfsport zu erlernen, hatte zu einer strickten Verweigerungshaltung gegen Ballett geführt.
„Kennst du den Unterschied zwischen Kampfsport und Kampfkunst?“, fragte Alec.
„Bei Kampfsport trainiert man auf Wettkämpfe mit Punktesystem und so. Bei Kampfkunst geht es primär um Verteidigung und Angriff, um den effektiven Einsatz von Abwehrtechniken, ohne Rücksicht auf bleibende Schäden.“
„Ja, das fasst es ganz gut zusammen“, stimmte mir Alec zu. „Was du brauchst, sind Techniken, mit denen du dich auch gegen deutlich stärkere und vor allem schwerere Gegner wehren kannst.“
„Kommt jetzt die Geschichte, wie man die Kraft des Gegners gegen ihn selbst umlenkt?“
„Ich sehe schon, du hast genügend Kung Fu Filme gesehen“, erwiderte er meinen spöttischen Tonfall. „Aber mal im Ernst. Kung Fu wäre nicht das Schlechteste für dich. Es gibt einen Stil, der von einer Frau entwickelt wurde und vergleichsweise schnell erlernbar ist.“
Die Idee gefiel mir. Dummerweise hatte mir Rick noch immer keine neue Identität und Ausweise besorgt. Mein richtiger Name stand auf der Abschussliste der SOLFs; damit konnte ich mich nicht bei einem Kurs anzumelden. „Aber wie und wo soll ich ...?“
„Ich könnte es dir beibringen“, beantwortete Alec meine Frage.
„Du kannst Kung Fu?“
„Tja, ich besitze viele ungeahnte Fähigkeiten“, erwiderte er. „Vergiss nicht, ich war lange Zeit der Meinung, dass es um meine magischen Fähigkeiten eher dürftig bestellt ist.“
„War es wegen deines Vaters?“ Es war kein Geheimnis, dass Sirin Kraggen seine Kinder verprügelt hatte.
„Anfangs ja. Ich wollte meine Schwester beschützen können.“ Alec machte eine kurze Pause. „Und dann, nachdem mein Vater tot war ... Na ja, ... ich dachte wohl ... Ist auch egal. Aber abgesehen davon, es hat mir Spaß gemacht und es ist geradezu perfekt, um den Kopf frei zu kriegen. Man muss sich dazu konzentrieren, da bleibt kein Platz für düstere Grübeleien“, fügte er betont fröhlich hinzu.
Zu fröhlich für meinen Geschmack. Aber Alec konnte es nicht leiden, wenn man ihn zu etwas drängte. Er würde mit mir darüber reden, wenn er so weit war. „Mit wem trainierst du normalerweise?“, ging ich auf den Themenwechsel ein.
„Nun, ab jetzt mit dir.“
„Und vorher?“
„Sagen wir mal so, es gibt genügend Typen, die förmlich darum betteln, verprügelt zu werden.“
„Ich bezweifle, dass man so seine Technik verfeinern kann.“
„Es reicht, um in Übung zu bleiben. Was die Technik betrifft: Sogar ich habe Freunde. Oder zumindest so was ähnliches.“
„Wer hat es dir beigebracht?“, bohrte ich wider besseres Wissen weiter. Neugier war eines meiner Laster.
„Eine von Vaters Angestellten.“
„Eine?“
Er nickte. „Anjenka. Sie kam eigentlich zum Putzen und Kochen.“
„Hat dein Vater es herausbekommen?“
„Er hat gemerkt, dass ich es konnte, aber nicht, wer mich trainierte. Sirin war mächtig, aber er war auch ein bonierter Chauvinist. Er hat so ziemlich jeden Mann in meiner Umgebung verdächtigt. Aber er wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass es eine Frau sein könnte.“
„Und Susan?“
„Nein, Anjenka hat sich von Anfang an strikt geweigert, Susan zu trainieren und hat mir auch verboten, ihr davon zu erzählen. Ich dachte, Anjenka würde Susan für zu jung halten und hätte Angst, das kleine Mädchen könnte sich verplappern. Erst später erkannte ich, dass sie einfach mit ihrem scharfen Blick Susans Charakter durchschaut hatte. Scharfer Blick trifft es sogar ziemlich gut. Wenn sie dich ansah, dann hatte man das Gefühl, sie blickt mitten in dein Herz.“
„Wer war sie? Was war sie?“
„Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht genau, sie gehörte wohl zu einer seltenen Dämonen-Art. Sie konnte sich unsichtbar machen und setzte diese Fähigkeit manchmal zur Übung bei unseren Trainingsstunden ein. Damit ich lernte, den Angreifer auch zu spüren und nicht nur auf visuelle Eindrücke zu reagieren. Außerdem hatte sie einen grandiosen Ortungssinn, sie konnte alle Lebewesen, die größer als eine Katze waren, bis auf hundert Meter Entfernung spüren, sie konnte dir bei Bekannten sogar genau sagen, wer sich näherte. Nicht zuletzt dank dieser Fähigkeiten hat mein Vater nie herausbekommen, wer mich trainierte.“
„Wo ist sie jetzt?“
„Ich weiß es nicht. Eines Tages ist sie einfach nicht mehr wieder gekommen. Mein Vater war ziemlich ungehalten deswegen, weil es mehrere Wochen dauerte, bis er eine neue Haushaltshilfe auftreiben konnte, die bereit war für ihn zu arbeiten. Ich habe damals und auch später nach Anjenka gesucht. Erfolglos. Sie will offensichtlich nicht gefunden werden.“ Er sah mit leerem Blick auf das Meer hinaus. Dann wand er sich wieder zu mir. „Was ist nun? Soll ich es dir beibringen?“
Ich nickte.
„Okay. Dann lass uns anfangen.“
„Jetzt? Hier? Sofort?“
„Ja. Wenn dich tatsächlich jemand angreift, dann kannst du es dir auch nicht aussuchen, wann und wo das ist. Keine Angst“, fügte er hinzu. „Wir werden uns nicht am Boden wälzen. Heute noch nicht. Heute gibt es nur ein paar Grundregeln.“
Ich schluckte. Sport war nicht meine Welt.
„Okay, zunächst mal brauchst du einen stabilen Stand, um kämpfen zu können. Stell dich gerade hin und dann dreh deine Füße ein.“ Er machte es vor.
„Sieht nicht sehr stabil aus“, meinte ich skeptisch, machte es ihm jedoch folgsam nach. „Fühlt sich auch nicht stabil an.“
„Du musst leicht in die Knie gehen, verlagere dein Gewicht ein bisschen nach hinten.“
Ich tat es und aus meinen wackligen Beinen wurde eine solide Basis.
„Gut. Jetzt mach zwei Fäuste, Daumen nach außen, aber nicht seitlich abstehen lassen.“ Er stellte sich neben mich. „Und nun schlägst du auf Kopfhöhe zu. Such dir einen Punkt in der Mitte. Stell dir vor, es ist die Nase deines Angreifers. Gerader Schlag, links und rechts abwechselnd, so dass deine Arme einen Keil nachbilden.“ Er machte es vor. „Das nennt man Kettenfaust-Schlag.“
Ich versuchte seine Bewegung zu imitieren. Alec ging um mich herum und stellte sich vor mich. „Du musst immer auf den gleichen Punkt zielen.“ Er griff nach meinen Fäusten und umschloss sie mit seinen Händen. „Lass locker, ich zeig dir, wie es geht.“ Langsam führte er meine Arme. „So muss es sich anfühlen. Mach die Augen zu und spür die Bewegung.“
Ich tat es. Ein echter Vertrauensbeweis. Auch Debby hatte uns ein paar Mal in ihrem Training aufgefordert, die Augen zu schließen und nur die Bewegung zu spüren, aber ich hatte immer geschummelt und geblinzelt. Bei Alec jedoch ließ ich mich darauf ein. Blindes Vertrauen – wortwörtlich.
Wir übten an jenem Tag nur diese Armbewegung und den seltsam verrenkten Stand. Es war ganz erstaunlich wie schwierig es war, eine so einfache Bewegung wie einen simplen Faustschlag korrekt durchzuführen. Noch viel größere Probleme hatte ich mit meinem Gleichgewicht. Und dann sollte ich auch noch auf einem Bein stehen – das überforderte mich völlig.
„Ich schätze, du wirst ziemlich geduldig sein müssen“, seufzte ich.
„Nein, du wirst ziemlich geduldig sein müssen. Aber ich habe vollstes Vertrauen in deinen Dickschädel“, fügte er augenzwinkernd hinzu. „Für heute ist es genug. Wir wollen schließlich nicht schon am ersten Trainingstag Ärger mit deinem Macker kriegen. Er wartet bestimmt schon auf dich.“
Ich zuckte mit den Achseln. „In letzter Zeit kommt er recht spät nach Hause.“
„Euer zu Hause …“, wiederholte Alec nachdenklich.
„Na ja, soweit man unsere Wohnung so nennen kann.“ Es war Ricks Idee gewesen, zusammenzuziehen. Alec wusste das. Er wusste auch, dass mir die gemeinsame Wohnung Angst machte.
„Ich fahre dich, es wird schon dunkel.“
„Aber mein Fahrrad …“
„Passt in den Kofferraum“, nahm er meinen Einwand vorweg.
Mal wieder hatte ich das Gefühl, er kannte mich besser als Rick. Alec wusste, wie schwer es mir fiel, mein Fahrrad nicht in meiner Nähe zu haben. Es lag nicht daran, dass ich gerne Fahrrad fuhr oder das halb verrostete Ding irgendeine nostalgische Bedeutung für mich hatte. Es war meine Mobilitätsgarantie, ein kleines Stückchen Unabhängigkeit, und nebenbei das schnellste Fortbewegungsmittel in einer Großstadt wie Aston.
In Alecs Wagen wurde ich umso schweigsamer, je näher wir meiner Wohnung kamen. Unserer Wohnung. Es war noch immer ungewohnt für mich, nicht mehr alleine zu leben. Aber Rick hatte mir gar keine andere Wahl gelassen. Nun gut, streng genommen hätte ich nein sagen können, aber … ich hatte Angst gehabt, dass Rick mich dann verlässt. Außerdem hatte ich keinen vernünftigen Grund gefunden, der dagegen sprach. Das kleine Ein-Zimmer-Appartement, das Rick mir anfangs besorgt hatte, war nicht mehr sicher gewesen als ich es mir mit Joel verscherzt hatte. Auch Rick hatte seine Wohnung deshalb aufgeben müssen. Dann hatte er mich mehr oder weniger vor vollendete Tatsachen gesetzt und uns eine große gemeinsame Wohnung besorgt. Seitdem lebte ich mit Rick zusammen. Insgeheim haderte ich jeden Tag aufs Neue mir selbst, ob ich das wirklich wollte.
Wollte ich?
Ja. Nein. Jein. Keine Ahnung.
Ein wenig mehr Bedenkzeit wäre gut gewesen. Mein Leben hatte sich in den letzten Monaten komplett geändert. Gerade noch war ich eine abgerissenen Möchtegern-Autorin gewesen und im nächsten Moment fand ich mich im Kreis meiner eigenen Romanhelden wieder, die Kräfte besaßen, von denen normale Menschen bestenfalls träumen konnten. Plötzlich hatte ich ganz andere Probleme als das Geld für die nächste Monatsmiete aufzutreiben und schlug mich – wortwörtlich – mit Magiern, Vampiren und einer skrupellosen Regierungsbehörde, den SOLFs, herum. Zur Krönung des Ganzen erfuhr ich dann auch noch, dass mein ganzes bisheriges Leben eine einzige Lüge gewesen war. Meine vermeintlichen Eltern nur Opfer eines magischen Zigeuner-Fluches und mittlerweile hielten sie mich sowieso für tot. Und was meine richtige Herkunft betraf: Ich war ein Mischwesen, das nicht wusste, ob es nun an Land oder unter Wasser gehörte. Eine verbotene Missgeburt, die man normalerweise schon als Säugling tötete.
Doch die wirklich größte Veränderung in meinem Leben waren meine Gefühle für Rick.
War das Liebe?
Ja, das war es. Ich liebte ihn. Aber mittlerweile war ich mir nicht mehr sicher, wen ich da eigentlich liebte. Oder was.
Denn mit einer Sache hatte Debby recht: Rick veränderte sich tatsächlich. Seine Temperamentsausbrüche wurden heftiger und seine Magie immer stärker. Seine Kräfte vergrößerten sich schneller als seine Selbstbeherrschung, sie unter Kontrolle zu halten. Zudem waren auch Kräfte dabei, die für einen Magier extrem ungewöhnlich waren und daher allgemeine Besorgnis auslösten.
Aber egal, wer oder was Rick war: Ich liebte ihn.
Zu meiner unendlichen Erleichterung war ich vor Rick zu Hause. Hätte er mitbekommen, wie mich Alec zurück brachte, wäre ein neuer Eifersuchtsanfall vorprogrammiert gewesen. Zugegeben, eigentlich mochte ich es, wenn Rick ein bisschen eifersüchtig war, denn dann war ich mir wenigstens sicher, dass er mich noch wollte. Aber diese überschäumenden Wutanfälle, die ihn in letzter Zeit immer häufiger überfiel, waren ziemlich unerträglich. Ich war froh, das Ganze umgehen zu können. Rick kam rund eine halbe Stunde später als angekündigt und ich hatte in der Zwischenzeit meine Kleidung wechseln und Duschen können. Als ich hörte, wie er die Tür aufschloss, saß ich bereits am Rechner und korrigierte eine Textpassage, die ich am Tag zuvor geschrieben hatte. Ich hatte es aufgegeben, etwas Neues zu schreiben. Das ließ sich nun mal nicht erzwingen. Morgen war auch noch ein Tag. Nun stand mir erst mal ein Abend mit Rick bevor. Leider nicht alleine. Seine Freunde erwarteten uns im Covert’s Inn – und wir würden dort unweigerlich auch Debby treffen. Hurra.
Ricks Begrüßung war wie üblich sehr besitzergreifend. Nett ausgedrückt. Ohne ein Wort zu verlieren, packte er meinen Hintern und zog mich an sich. Es war deutlich zu spüren, dass er unser Wiedersehen lieber nackt und in der Horizontalen weiter geführt hätte. Stattdessen ließ er mich los, rückte seine Hose zurecht und trieb mich zur Eile an, damit wir rechtzeitig in der Untergrund-Bar eintrafen.
Es wäre leicht gewesen, Rick mit Sex abzulenken, aber das hätte das Unvermeidliche lediglich aufgeschoben. Verlockend war es trotzdem, ganz besonders, da Rick offenbar genau das wollte. Insgeheim hoffte ich, dass er von sich aus dem Bedürfnis nach körperlicher Entspannung nachgab. Aber auch er blieb ausnahmsweise vernünftig. So umrundeten wir uns wie zwei rollige Katzen und versuchten, eine neutrale Konversation am Laufen zu halten. Rick wirkte abwesend, merkte kaum wie ich seinen pflichtschuldigen Fragen nach meinem Tagesverlauf auswich. Einerseits war ich froh darüber, andererseits ärgerte es mich. Wenn es ihn sowieso nicht interessierte, dann sollte er sich die Fragerei eben sparen. Aber abgesehen davon war sein Gemütszustand eher beunruhigend. Abwesend, wortkarg und nervös. Aus Erfahrung wusste ich, dass er mir nicht erzählen würde, was mit ihm los war. Nicht jetzt und nicht hier. Ich spürte, dass er dazu nicht bereit war.
Außerdem hatten wir auch gar keine Zeit dazu, dachte ich bitter, wir wurden schließlich von seinen Freunden im Covert‘s Inn erwartet. Genauer gesagt: Nicht wir wurden dort erwartet, sondern Rick. Ob ich als sein Anhängsel mitkam oder nicht, war schlichtweg egal.
Als wir in der Untergrund-Bar ankamen, ließ Debby keinen Zweifel daran, wie überflüssig ich eigentlich war. Zum Ausgleich war Neve so übertreiben nett zu mir, dass mir übel wurde. Wenn es irgendetwas gab, das ich nicht ertragen konnte, dann war es Mitleid. Wie üblich reagierte ich darauf derart missgelaunt, dass man mich bald in Frieden ließ und ich mich davon stehlen konnte. Alibimäßig ging ich auf Toilette, um später eine Ausrede zu haben. Dann trollte ich mich in den Nebenraum des Covert’s Inn, wo eine ziemlich schlechte, aber dafür umso lautere Heavy Metal Band spielte. Ich verzog mich in eine Nische und starrte Richtung Band. Ich konnte die Musiker zwar nicht sehen, aber ich wollte alleine sein und dafür war ich hier genau richtig, umgeben von einer lärmenden unbekannten Masse.
Leider funktionierte diese Strategie nicht besonders lange. Ich hatte mein Glas noch nicht mal zur Hälfte geleert, als Miljon und Joel auftauchten. Ein seltsames Gespann. Miljon Shamour war ein Vampir, aber leider kein Durchschnitts-Vampir. Er war älter und mächtiger als die meisten Blutsauger, intrigant und skrupellos, man musste sich vor ihm in Acht nehmen. Joel Carplett hingegen war ein Magier. Zwar waren Zauberer für Vampire normalerweise nichts weiter als Futter, doch Joel Carplett gehörte zu den Privilegierten. Dank seiner Familie hatte er sowohl die finanziellen als auch die magischen Mittel, um seine Ziele zu verwirklichen, ganz egal wie niederträchtig und verwerflich sie sein mochten. Wenn er mit Miljon durch die Gegend zog, so konnte dies nur bedeuten, dass Joel noch immer ein Bündnis mit dem Vampir hatte. Böse ausgedrückt könnte man auch sagen, dass er Miljon als Söldner angeworben hatte. Wozu auch immer.
Ich duckte mich und versuchte, mich aus ihrem Blickfeld zu entfernen. Was natürlich sinnlos war, denn ein Vampir wie Miljon konnte mich riechen. Sein schmieriges Grinsen verriet mir, dass er längst Witterung aufgenommen hatte. Seufzend ließ ich meinen Hinterkopf gegen die Wand hinter mir fallen. Ich fragte mich, wie oft Miljon seine Vampir-Magie noch an mir ausprobieren wollte, bevor er endlich einsah, dass seine erotischen Kräfte bei mir wirkungslos waren. Das wurde allmählich langweilig und war ebenso sinnlos wie Joels Bestechungsversuche, um mich von Rick und Moira weg zu lotsen.
„Sieh an, sieh an. Unsere unbegabte Seherin so ganz alleine.“ Miljon machte eine spöttische Verbeugung.
Ich schwieg. Was sollte ich auch dazu sagen. Unbegabt war ich zweifelsohne, aber eine Seherin war ich nicht. Nicht wirklich. Niemand wusste so recht, was ich war, am wenigsten ich selbst. Ich hatte diese verworrenen Träume, die teils Bruchstücke der Vergangenheit und teils groteske Karikaturen der Gegenwart enthielten. Nur ganz selten war auch ein kleiner Splitter der Zukunft dabei. Alles reichlich nebulös und schwer zu deuten. Meine Romane waren zwar äußerst detailgetreu, aber darin waren nur die alten Geschichten der Vergangenheit zu finden. Das war alles. Vage Träume und meine Schreibanfälle, die meist nur Unheil brachten. Die auch schon Rick beinahe in den Tod getrieben hatten. Danke an Debby für diese Erinnerung.
„Rick scheint seines Spielzeuges überdrüssig geworden zu sein“, sagte Joel. „Er lässt dich in letzter Zeit oft alleine, nicht wahr?“
Wortlos stieß ich mich mit den Schultern von der Wand ab und wollte verschwinden. Miljon verstellte mir den Weg. Ich musterte ihn schweigend. Wie weit wollte er diesmal gehen? Er würde es nicht wagen, offene Gewalt gegen mich anzuwenden. Nicht im Covert’s Inn. Hier herrschte absolutes Gewaltverbot und wer diese Regel brach, musste nicht nur mit einem sofortigen Rauswurf rechnen, sondern war auch für alle anderen Gäste Freiwild. Miljon hatte sehr viele Feinde, die nur darauf warteten, dass er eine solche Dummheit beging. Um mich herum drehten sich die ersten Köpfe zu uns und beobachteten das Geschehen interessiert. Miljon hatte einen gewissen Ruf. Doch eigentlich war er zu klug, ein solches Risiko einzugehen.
„Wie viel hat Rick dir denn erzählt?“, fragte Joel von der Seite.
„Wovon erzählt?“, rutschte es mir heraus.
Joel grinste. Am liebsten hätte ich mir die Zunge abgebissen. Nun war es zu spät. Ich ergriff die Flucht nach vorne. „Okay, ihr beiden Aasgeier. Was wollt ihr eigentlich von mir?“
„Ein wenig reden, nichts weiter.“ Joel legte mir vertrauenswürdig den Arm um die Schulter und drängte mich gleichzeitig gegen die Wand.
„Denk an das Gewaltverbot“, zischte ich.
„Aber, Fate, wer wird denn so zickig sein? Nimm dir ein Beispiel an Rick. Er ist in letzter Zeit sehr viel aufgeschlossener geworden. Nicht mehr so wählerisch bei seinen Freunden. Aber das kann er sich wohl auch nicht mehr erlauben.“
„Was willst du damit andeuten?“
„Andeuten?“, fragte Joel betont unschuldig zurück. „Was heißt andeuten? Das ist doch schon lange ein offenes Geheimnis.“
Ich hörte auf mich zu wehren. Von was zur Hölle sprachen die beiden da?
„Hör schon auf, Joel“, mischte sich Miljon ein. „Du merkst doch, Fate hat keine Ahnung. Dabei ist sie selbst ein Bastard. Und trotzdem … Ich verstehe nicht, weshalb du so viel von ihr hältst. Um ihre Kräfte kann es nicht gut bestellt sein. Rick fickt sie und sie weiß noch nicht mal, mit was sie da fickt.“
„Was für eine rüde Ausdrucksweise“, tadelte Joel. „Fate ist nun mal unerfahren und verliebt, das trübt den Blick. Aber wenn du mich fragst“, er packte mich am Kinn und zog mich unsanft zu sich heran, „beginnen sich die rosaroten Wolken aufzulösen. Sie sieht sich bereits nach neuen Beschützern um. Oder sollte ich sagen: Intensiviert alte Freundschaften.“
„Dieses kleine farblose Ding ist wirklich ein Männermagnet“, hörte ich plötzlich eine vertraute, aber keineswegs gern gehörte Frauenstimme. Es war Hanna, eine dunkelhaarige, rassige Schönheit. Eine Magierin. Auf ihre Art ebenso sehr Außenseiterin wie ich. Unter anderen Umständen hätten wir vielleicht sogar Freundinnen werden können.
„Und? Wie sieht es aus?“, wandte sich Hanna an Miljon. „Beißt du dir mal wieder deine niedlichen Fangzähne an ihr aus?“
„Alles nur eine Frage der Zeit.“
„Nun, vielleicht hast du damit sogar Recht“, entgegnete Hanna. „Sie ist nicht stark genug für einen Dämon. Aber das kann man ihr kaum zum Vorwurf machen. Nur wer selbst ein Dämon ist, erträgt einen anderen.“
„Okay, genug jetzt“, rief ich ärgerlich. „Was soll der ganze Mist? Warum erzählt ihr mir das alles?“
„Weil wir dir unsere Freundschaft anbieten wollen“, antwortete Joel. „Denn ohne Rick wirst du es nicht lange bei Moira und ihrer kleinen Bande aushalten.“
„Ohne Rick?“, rutschte es mir heraus. Wollte Rick etwa weggehen?
„Auch das wusstest du also nicht“, stellte Joel mit einem süffisanten Grinsen fest. „Momentan dulden dich Ricks Freunde nur ihm zuliebe, aber das wird nicht mehr lange anhalten. Nicht mal deine Halbschwester will sich mit dir beschäftigen. Ich hingegen kann dir helfen, deinen eigenen Weg zu finden und deine Kräfte zu entfalten. Ich verfüge über ganz andere Quellen der Magie als Moira.“ Ich hob zu einer Entgegnung an, doch Joel hob die Hand zu einer abwehrenden Geste und sprach unbeirrt weiter. „Nein, sag jetzt nichts. Du würdest es womöglich bereuen. Es ist nur ein unverbindliches Angebot, ausschlagen kannst du es immer noch. Halte dir die Möglichkeit offen, du wirst es brauchen. Glaub mir.“
Bevor ich etwas erwidern konnte, waren Joel und Miljon bereits wieder in der Menge verschwunden. Nur Hanna stand noch an Ort und Stelle und musterte mich interessiert. Herausfordernd blickte ich sie an. Sie schenkte mir ein mitleidiges Lächeln und verzog sich ebenfalls.
Hätten nur Joel und Miljon ihr Gift verspritzt, dann hätte ich es einfach ignoriert. Es war Hannas mitleidiges Lächeln, das mir nicht mehr aus dem Kopf ging, weil es bewies, dass Joels Andeutungen kein Bluff waren. Irgendetwas stimmte nicht mit Rick. Etwas, das weitaus schlimmer war, als die Wutausbrüche und das Anwachsen seiner Kräfte. Und offenbar war ich die Einzige, die keine Ahnung hatte, was eigentlich los war. Verdammt! Zur Hölle mit Rick! Er hatte noch immer kein Vertrauen zu mir.
Ich musste hier raus. Jetzt. Sofort.
Mit geballten Fäusten schlängelte ich mich durch die Menge. Ich wich Rick und seinen Freunden großräumig aus und hastete die Treppe nach oben, raus aus dieser vermaledeiten Untergrund-Bar. Keine Ahnung, weshalb Rick mich überhaupt andauernd dorthin mitschleppte, vermutlich um mich besser unter Kontrolle zu haben. Früher hätte er Joel und Miljon keine zwei Meter an mich heran gelassen, aber mittlerweile hatte er wohl Besseres zu tun. Dann brauchte er sich auch nicht wundern, wenn ich mich davon machte.
Ich hörte, wie der Türsteher Pit mir etwas hinterher rief. Dieser lästige Gnom würde mich sicherlich bei Rick verpetzen. Spontan schlug ich einen anderen Weg ein und bewegte mich Richtung Hafen. Ich würde ganz sicher nicht nach Hause gehen, in diese verfluchte Wohnung, in die mich Rick verfrachtet hatte, ohne mir auch nur eine Minute Bedenkzeit zu lassen, ob ich überhaupt mit ihm zusammenziehen wollte.
Ja, ich war wütend. Stinkwütend.
Rick fickt sie und sie weiß noch nicht mal, mit was sie da fickt.
Es stimmte, ich wusste gar nichts. Nur alle anderen schienen Bescheid zu wissen. Aber ich war auch nur das dämliche Betthäschen!
Es war kein Zufall, dass ich Richtung Hafen ging. Wenn sich Rick schon um mich Sorgen machte, dann sollten es wenigstens berechtigte Sorgen sein. Falls er sich Sorgen machte.
Obwohl … das war überhaupt nicht die entscheidende Frage. Rick würde sich sogar ganz sicher Sorgen machen. Aber ging es dabei um mich? Oder nur um Ricks überdimensionales Ego? Alles nur reiner Besitzerstolz. Manchmal fragte ich mich, ob Rick sich auch nur halb so sehr für mich interessieren würde, wenn ich nicht mit Alec befreundet wäre. Debby hatte nur das laut ausgesprochen, was ich selbst schon die ganze Zeit befürchtete. Joels und Miljons Interesse an mir spielten vermutlich auch eine wichtige Rolle. Das war wirklich grotesk, denn umgekehrt würden sich Miljon und Joel einen Dreck um mich scheren, wenn Rick keinen Alleinherrschaftsanspruch auf mich erhoben hätte.
Ich hatte es so satt, als Faustpfand für ihren schwachsinnigen Kleinkrieg herhalten zu müssen. Der einzige, dem es wirklich um mich ging, war Alec – und ausgerechnet er wurde von allen Seiten als gewissenloser Psychopath beschimpft.
„Wo willst du hin?“ Rick packte mich unsanft am Arm und riss mich zurück. Ich verlor das Gleichgewicht und hielt mich reflexartig an ihm fest.
„Lass mich los. Darf ich nicht mal mehr fünf Minuten alleine sein?“
„Nicht nachts und vor allem nicht in der Hafengegend. Das hatten wir doch schon durchdiskutiert.“
„Von Diskussion kann keine Rede sein. Es war wohl eher ein Monolog deinerseits.“
„Willst du mir verraten, was los ist? Was hat Joel denn nun schon wieder für Lügen verbreitet?“
„Wenn dein kleines Spionagenetzwerk so hervorragend funktioniert, solltest du das eigentlich besser wissen als ich. Bei mir hat er nur vage Andeutungen gemacht. Ansonsten hat er mir ebenso wenig erzählt wie du in letzter Zeit.“
Rick musterte mich abschätzend. „Quid pro quo. Du hast mir auch nicht erzählt, dass du dich mit Alec getroffen hast.“
Es war nicht weiter verwunderlich, dass er davon wusste. Es fragte sich eigentlich nur, ob Ricks Informant mich oder Alec verfolgt hatte.
„Na und?“, entgegnete ich. „Alec ist mein Freund. Was ist daran so ungewöhnlich? Hätte ich mich mit Lluh oder Silas getroffen, wäre es dir egal.“
„Das kann man wohl kaum vergleichen …“
„Vergleichen womit? Mit deiner Geheimhaltungspolitik? Oder deinem unglaublichen Vertrauen zu mir? Ist nicht gerade schmeichelhaft, wenn selbst Hanna besser über dich Bescheid weiß als ich.“
„Was hat sie gesagt?“
„Nichts. Nichts hat sie gesagt. Niemand sagt mir etwas, am allerwenigstens du!“
„Es ist sicherer so.“
„Jetzt hör doch mit dem Schwachsinn auf. Wenn du es mir nicht erzählst, dann wird es jemand anders tun. Joel und Miljon reißen sich ja geradezu darum.“
„Joel und Miljon ...“, echote Rick. „Die beiden wissen gar nichts. Die wollten nur ein wenig Staub aufwirbeln und dich ausfragen.“
„Das war kein Trick, dazu waren die Ankündigungen zu konkret. Welche neuen Verbündeten suchst du? Und was meinte Hanna damit, dass ich nicht stark genug für einen Dämon bin?“
„Scheiße!“ Rick wurde blass. „Das hat sie gesagt?“
„Ja.“
„Was noch?“
„Sie sind darauf herumgeritten, dass ich ein Bastard bin und haben angedeutet, dass du Moira und die anderen verlassen wirst. Sie haben mir ihre Freundschaft angeboten.“
„Verdammt!“ Rick schnaubte. „Das musste ja so kommen. Natürlich halten sie dich für ein leichtes Opfer. Wenn du dich die ganze Zeit mit Alec herumtreibst, müssen sie zwangsläufig denken ...“
„Alec kann nichts dafür! Er kann Joel und Miljon ebenso wenig leiden wie du. Wenigstens in diesem Punkt seid ihr euch einig.“
„Darum geht es nicht.“
„Worum geht es dann?“
Rick sah mich an und blieb mir die Antwort schuldig. Wieder einmal. Ich senkte den Blick und starrte auf meine abgeschabten Schuhe. Sie waren schlicht, nichts Besonderes. Sie passten zu mir. Mit einem Mal war ich nicht mehr wütend, sondern nur noch unglaublich traurig. Ich war dabei, Rick zu verlieren und ich wusste nicht, was ich dagegen tun konnte. Wahrscheinlich hatte ich ihn schon längst verloren. Ich wollte es nur nicht wahr haben.
Plötzlich zog mich Rick an sich und drückte meinen Kopf an seine Brust. „Komm mit nach Hause. Bitte“, flüsterte er.
Ich nickte stumm und stellte keine Fragen mehr. Schwer zu sagen, ob ich die Sinnlosigkeit meiner Fragen eingesehen hatte oder Angst vor den Antworten hatte. Vielleicht lag es auch an meiner erbärmlichen Abhängigkeit von Rick. Kaum umarmte er mich und warf mir ein Bröckchen Zärtlichkeit zu, wurde ich wieder schwach. In jener Nacht bekam ich sogar eine regelrechte Überdosis Zärtlichkeit, die meine bohrenden Fragen beinahe zum Verstummen brachten.
Beinahe.
Und dann, am nächsten Morgen, als ich alleine in dem kalten, großen Bett aufwachte, setzte der Katzenjammer ein. Die erste Tasse Kaffee schmeckte grauenhaft. Die zweite Tasse schüttete ich weg. Selbst der Geruch verursachte bei mir Magenschmerzen. Klares Wasser und schwarzer Tee schienen die einzig genießbaren Lebensmittel zu sein. Alles andere widerte mich an. Erstaunlicherweise war ich an jenem Tag so produktiv wie seit Wochen nicht mehr. Meine Finger flogen über die Tasten, denn auf einmal spürte ich ganz genau, wie mies sich meine Romanfigur Rachel gefühlt haben musste. Vielleicht war es das: Vielleicht hatte ich mich vorher einfach zu gut gefühlt, um über das elende Dasein von Rachel zu schreiben. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich mich so einsam wie selten zuvor fühlte. Meine Romanfiguren waren stets meine besten Freunde gewesen. Und mehr oder weniger auch ein Ersatz für mein missglücktes Liebesleben. Dann war Rick aufgetaucht und auf einmal waren meine Freunde mehr als nur ein reines Fantasieprodukt. Das hatte mich abgelenkt. Und es hatte mir die lächerliche Illusion vermittelt, ich könnte eines Tages zu ihnen gehören. Zu meiner Halbschwester Neve. Zu Rick …
Falsch gedacht.
Ich scrollte über den Text und zählte die Ausbeute des heutigen Tages: Zehn Seiten waren eine beachtliche Leistung. Ich hätte eigentlich zufrieden sein sollen. War ich auch. In gewisser Weise.
Doch zugleich war ich deprimiert, denn ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich immer dann am kreativsten war, wenn ich mich in mein emotionales Schneckenhaus zurückzog. Eskapismus war das Fachwort, auch wenn es in meinem Fall nicht angebracht war. Nicht mehr. Denn ich lebte tatsächlich in genau jener Welt, über die ich schrieb. Eine Fantasiewelt, die real war.
Nein, ich bereute nichts. So grausam es manchmal sein mochte, aber diese Welt, dieses Leben war besser als alles, was ich jemals zuvor erlebt hatte. Und noch gab ich die Hoffnung nicht auf.
Da klingelte mein Handy. Ich blickte auf das Display und musste lächeln. Es war Alec.
„Training?“, fragte er.
„Ich kann in zwanzig Minuten an unserem Strand sein.“
In den nächsten Tagen hörte ich Alecs Frage noch sehr oft: „Training?“ Und ganz egal wie müde ich war, dieses eine Wort reichte aus, um mir einen wahren Energieschub zu verpassen. Nein, Schuldgefühle hatte ich nie, wenn ich ohne Ricks Wissen mit Alec trainierte, an unserem heimlichen Treffpunkt, den Rick nicht kannte. Das war mein kleines Refugium, fernab von Rick und seinem Kontrollwahn. Ich genoss diese Stunden mit Alec. In den letzten Wochen hatten wir fast täglich trainiert und ich merkte, wie ich Fortschritte machte. Nur an jenem Nachmittag schien ich alles Gelernte vergessen zu haben.
„Konzentrier dich.“ Ein ungeduldiger Unterton schlich sich in Alecs Stimme.
Ich hielt kurz inne, atmete tief durch und verbannte Rick aus meinen Gedanken. Dann nickte ich und wir begannen den Drill von vorne. Ich konzentrierte mich auf meine Hände, die Koordination zwischen Abwehr- und Angriffsbewegung fiel mir noch schwer. Dann endlich schaffte ich es, Faust nach vorne, geöffnete Hand seitlich zur Abwehr. Meine Schultern entspannten sich, links, rechts, drehen nicht vergessen. Plötzlich ein ermahnender Tritt gegen meinen rechten Knöchel.
Mist, ich hatte meine Beine völlig vergessen. „Okay, ich hab es kapiert“, murmelte ich mit einem schiefen Lächeln.
„Das war schon zum vierten Mal“, kommentierte Alec nüchtern.
„Ja, ich weiß …“ Ich ging leicht in die Knie, kombinierte die Drehung mit einem leichten Seitwärts-Schritt – und vergaß meine Faust zu schließen. Verdammt!
Alec hielt inne. „Was ist los? Macht Rick Ärger, weil du mit mir trainierst statt zu Debby zu gehen?“
Ich senkte den Blick.
„Du hast es ihm immer noch nicht gesagt“, stellte Alec fest.
„Er hat nicht gefragt“, gab ich trotzig zur Antwort. „Es scheint niemanden zu stören, dass ich nicht in Debbys dämlichen Kurs gehe.“
„Das bedeutet nur, dass Debby dich nicht verpfiffen hat.“
Ich schnaubte. „Sie ist wahrscheinlich froh, wenn ich weg bleibe und sie sich nicht mit mir beschäftigen muss.“ Vor einigen Tagen hatte mir Rick nach einem riesengroßen Streit befohlen, wieder in den Selbstverteidigungskurs für Magier-Neulinge zu gehen, den Debby mittlerweile alleine leitete. Als ob Rick das Recht hätte, mir etwas zu befehlen. Ich hatte eigentlich erwartet, dass meine konstante Abwesenheit irgendjemand auffiel und Rick mir erneut deswegen die Hölle heiß machte. Debby wollte mich zwar sowieso nicht dabei haben oder vielleicht hatte Rick vergessen, sie danach zu fragen, aber auch sonst vermisste mich niemand. Wahrscheinlich lag für die meisten der Gedanke nahe, dass ich Privattraining von Rick bekam. Nun, Privattraining bekam ich tatsächlich. Aber nicht Rick war mein Trainer.
„Hältst du das für eine gute Idee?“, fragte Alec. „Diese Heimlichtuerei wird ihn erst richtig wütend machen.“
„Von Heimlichtuerei kann keine Rede sein. Schließlich bin ich nicht verpflichtet, Rick über jeden meiner Schritte zu unterrichten. Wenn ich in die Bibliothek zu Moira gehe oder Neve besuche, dann muss ich das auch nicht großartig ankündigen.“
„Werd nicht albern. Du weißt ganz genau, dass ich das bevorzugte Ziel von Ricks Eifersuchtsanfällen bin. Dein hitzköpfiger Freund hat es bislang nur zähneknirschend hingenommen, wenn wir uns einfach zum Reden getroffen haben. Er wird ausrasten, wenn er mitkriegt, was wir hier tun. Dass ein Kampftraining mit engem Körperkontakt verbunden ist, weiß wohl keiner besser als Rick.“
Alecs Anspielung auf mein erstes Selbstverteidigungstraining mit Rick ließ Röte in meine Wangen aufsteigen. Das Ganze war ziemlich schnell zu einer erotischen Zerreißprobe geworden. „Das hier ist etwas ganz anderes als damals mit Rick.“ Ich begab mich erneut in Abwehrstellung und bedeutete Alec, mit dem Drill weiter zu machen.
Doch Alec blieb regungslos stehen. „Ist es das wirklich?“, fragte er schließlich. „Ist da wirklich ein so großer Unterschied?“
„Du bist mein bester Freund. Und du bist nicht scharf auf mich. Zwischen uns ist alles rein freundschaftlich.“
„Ach ja, ich vergaß“, entgegnete er. „Alles rein freundschaftlich.“
Sollte ich seine demonstrative Ironie hinterfragen?
Alec nahm mir die Entscheidung ab und machte einen Schritt auf mich zu. Er ergriff meine Handgelenke und löste sanft meine Abwehrstellung auf. „Was wäre passiert, wenn ich dich als Erster gefunden hätte und nicht Rick derjenige ...“
„Alec, bitte, tu das nicht!“ Ich trat einen Schritt zurück und entzog ihm meine Hände.
„Doch, ich werde diese Frage nun endlich laut aussprechen. Ich habe es satt, dass sie in meinem Kopf herumgeistert. Rick ist eifersüchtig auf mich. Du weißt das, ich weiß das und selbst Rick gibt es zu. Warum? Woher kommt diese Eifersucht? Liegt er damit tatsächlich so falsch?“
„Ich liebe Rick.“
„Ach ja? Glaub mir, da kann man sich täuschen. Was genau liebst du denn an diesem egozentrischen ...“
„Alec, hör auf.“
„Nein, ich werde nicht aufhören, denn du bist gerade dabei, den gleichen Fehler zu begehen wie ich damals bei Susan.“
„Willst du Rick etwa mit deiner Schwester vergleichen?“
„Nein, das will ich nicht. Vielmehr will ich dich mit mir vergleichen. Rick hat sich verändert und er verändert sich immer noch, immer mehr. Selbst seine Freunde haben deswegen Bedenken, sogar Moira ist beunruhigt. Nur du verschließt die Augen davor. So wie ich es damals bei Susan ignoriert habe.“
Ich wusste, dass es Alec große Überwindung kostete, von seiner Schwester zu reden. „Es tut dir immer noch weh“, stellte ich fest.
„Ja.“ Er gab ein bitteres, trockenes Lachen von sich. „Trotz allem, was geschehen ist. Ich meine … also … Ich bin darüber hinweg. Eigentlich. Aber manchmal kommt der Schmerz zurück, manchmal ertappe ich mich sogar dabei, wie ich sie vermisse. Dumm, nicht wahr?“
„Nein, ist es nicht.“ Instinktiv trat ich näher und streichelte beruhigend seinen Arm. Er erstarrte und sah auf meine Hand. Ich wollte sie wieder wegziehen, doch er legte rasch seine eigene Hand darauf.
„Ich vermisse nicht die Susan, die du gekannt hast“, erklärte er. „Nun ja, streng genommen hast du sie gar nicht gekannt, aber ... so wie du über sie geschrieben hast ... Sie war nicht immer so.“ Er stockte, dann fuhr er mit belegter Stimme fort. „Oder vielleicht doch. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich sie geliebt habe. Oder vielmehr, das geliebt habe, was ich als meine kleine Schwester sah … sehen wollte.“ Er hob den Kopf und blickte mir in die Augen. „Was siehst du in Rick? Das, was er ist? Oder das, was du dir wünscht?“
„Ich hoffe, das ist das gleiche“, antwortete ich. „Doch manchmal habe ich Angst, dass ich mich irre.“
Alec nahm meine Hand und ging mit mir zum Rand der Klippe. Schweigend setzten wir uns nebeneinander auf den Boden. Die letzten Tage waren windig gewesen und das Meer hatte eine dunkle Färbung angenommen. Kleine Schaumkronen zierten die unruhige See. Am Himmel waren nur vereinzelt blaue Bruchstücke zu sehen, die heranziehende Dämmerung mischte rosa Fetzen in die grauen Wolken. Es wurde Zeit, zu Rick zurückzukehren. Aber ich wollte bei Alec bleiben.
Alec strich über die Narbe auf meinem Handrücken, ein Überbleibsel unserer Flucht vor den SOLFs. Eine Erinnerung daran, dass Alec mir einst das Leben gerettet hatten.
„Wir waren ein tolles Team“, sagte er gedankenverloren.
„Wie geht es Milo?“, fragte ich ihn nach dem ehemaligen SOLF, der uns geholfen hatte.
„Ich musste auch gerade daran denken. Wir drei gegen den Rest der Welt.“
„Lluh war auch noch dabei“, erinnerte ich ihn. „Er hat die anderen zu Hilfe geholt.“ Während wir drei uns darauf vorbereitet hatten, gemeinsam zu sterben. So etwas verbindet.
„Ein tapferer kleiner Flattermann, dieser Viggill.“ Alec lächelte, dann wurde er wieder ernst. „Milo hat sich noch nicht recht eingelebt in seinem neuen Dasein. Kann man nachvollziehen. Er muss sich vor seinen ehemaligen Kameraden verstecken und plötzlich sind die Wesen, die er als Monster verfolgt hat, seine einzigen Freunde. Na ja, das wird schon. Wenn er erst mal ein wenig Abstand gewonnen hat …“
„Also hat Debby ihm jetzt endlich neue Papiere besorgt.“
„Nein, hat sie nicht“, widersprach Alec. „Sie hat einfach so getan, als hätte sie ihn völlig vergessen. Milo ist nicht der Typ, der gerne um etwas bittet, vor allem nicht Debby.“
„Dann werde ich Rick …“
„Vergiss es“, schnitt er mir das Wort ab. „Ich habe es bereits erledigt. Milo hat eine neuen Pass, Personalausweis und Sozialversicherungsnummer. Und als kleine Dreingabe habe ich ihm auch noch eine Geburtsurkunde, einen Universitätsabschluss und einen Führerschein gebastelt. Und wenn dein werter Macho-Freund nicht langsam in die Gänge kommt, werde ich genau das Gleiche für dich tun.“
„Um mir zu helfen oder um Rick zu ärgern?“
„Beides“, gab Alec zu.
Ich seufzte.
„Kommt dir das nicht ein bisschen seltsam vor, dass Rick dir keine neue Identität besorgt?“, stichelte Alec. „Eine äußerst geschickte Art und Weise, dich an der kurzen Leine zu halten. Ohne Ricks Hilfe kannst du letztendlich nichts machen. Keine Reisen, kein Job, kein Mietwagen, keine eigene Wohnung – und vor allem kein eigenes Konto. Handy, Internet und Email auch nur über Ricks Zweitanschluss. Und was den ganzen Finanzkram betrifft, musst du darauf hoffen, dass Ricks blonde Schatzmeisterin dich nicht ebenso vergisst wie Milo. Soll ich mit der Aufzählung weiter machen?“
Ich presste die Lippen aufeinander.
„Tu doch nicht so, als ob dich das nicht stört!“, beharrte Alec.
„Verdammt!“, fluchte ich. „Ja, es stört mich. Es stört mich sogar ganz gewaltig. Aber ...“
„Aber es kostet dich jedes Mal Überwindung, Rick daran zu erinnern“, vollendete Alec meinen Satz. „Weil du dir wie eine Bittstellerin vorkommst. Und außerdem hat Rick ja viel wichtigere Dinge zu tun“, schloss er zynisch.
Ich schwieg. Alec hatte ins Schwarze getroffen und ich hatte deswegen schon mehr als eine Auseinandersetzung mit Rick gehabt.
„Was hat er eigentlich so unglaublich wichtiges zu tun?“, bohrte Alec weiter nach.
„Hör auf. Bitte“, sagte ich tonlos. Das war ein weiteres Mienenfeld. Rick hüllte sich noch immer in Schweigen, was seine Arbeit betraf. Aber wenigstens galt diese Geheimhaltungspolitik nicht nur mir. Er hatte damit auch Moira und sogar Debby verärgert, weil er ihnen auch nichts mehr erzählen wollte.
„Es tut mir leid“, lenkte Alec ein. „Ich will dich nicht drängen. Es ist nur … Ich mach mir Sorgen um dich. Niemand sollte dich so behandeln. Am allerwenigsten Rick.“
„Rick behandelt seine Freunde nicht besser“, entfuhr es mir.
„Macht das einen Unterschied?“, fragte Alec.
„Nein“, flüsterte ich. „Nein, das macht wohl keinen Unterschied.“
Die rosa Farbfetzen in den Wolken wurden zu einem dunklen, angegrauten Orange. Wenn ich mich beeilte, war ich noch vor Rick zu Hause, rechtzeitig genug, um mich duschen und umziehen zu können. Aber ich wollte mich nicht beeilen. Ich wollte hier bei Alec bleiben, versteckt an dem kleinen Strand. Ich wollte mich verkriechen. Auch vor Rick.
„Ich werde einige Zeit aus Aston verschwinden“, sagte Alec unvermittelt.
Erschrocken drehte ich mich zu ihm.
„Sieh mich nicht so entsetzt an.“ Alec legte den Arm um mich und zog mich an sich. „Sonst komme ich noch auf falsche Gedanken.“
„Wohin willst du gehen?“
„Einen Freundschaftsdienst erledigen. Es wird hoffentlich nicht lange dauern.“
„Lass mich raten“, brummte ich. „Du riskierst dabei deinen Hals.“
„Das tue ich täglich.“
„Wie lange wirst du weg sein?“
„Nur ein paar Tage. Mach dir keine Sorgen.“
„Bilde dir bloß nicht ein, ich würde dich vermissen.“ Ich rieb meine Wange an seiner Schulter. „Es geht mir nur um die Trainingsstunden.“
„Ich habe dir gezeigt, wie du Schattenboxen üben kannst. Alternativ kannst du natürlich auch zu Debby gehen“, neckte er mich. Dann wurde er wieder ernst. „Ich lasse dich nur ungern allein.“
„Und ich lasse dich nur ungern gehen“, murmelte ich. „Freundschaftsdienst klingt gefährlich. Wenn dir was passiert, dann mache ich dir die Hölle heiß.“ Plötzlich kam mir ein Gedanke. „Könnte ich nicht mitkommen?“
„Nein“, sagte Alec. „Mal abgesehen davon, dass dich Rick lieber in Ketten legen würde als dich ...“
„Du weißt ganz genau, dass ich mir von Rick nichts verbieten lasse!“
„Das wäre sicherlich ein interessanter kleiner Machtkampf.“ Er lachte leise. „Und ehrlich gesagt, würde ich das wirklich gerne beobachten, aber in diesem speziellen Fall … Nein, ich kann dich nicht mitnehmen. Das ist zu gefährlich.“
„Verdammt, Alec!“ Ich machte mich von ihm los und sprang auf. „Fängst du jetzt auch schon mit diesem Mist an!“, rief ich.
„Hoh, ganz ruhig, Braune.“ Er rappelte sich ebenfalls auf. „Ich würde dich wirklich gerne mitnehmen, nichts lieber als das. Und sei es nur um Rick eins auszuwischen. Aber sieh es ein: Du kannst nicht einfach so verschwinden. Dein Macker würde uns hinterherkommen und nichts als Ärger machen. Das kann ich wirklich nicht brauchen. Dazu ist es zu wichtig. Ich würde nicht nur mein Leben riskieren, sondern auch das meines Freundes.“
Ich blickte ihn trotzig an.
„Okay, meine Süße. Ich will es mal so formulieren: Wenn du mir garantieren kannst, dass Rick keinen Ärger macht und dass er mir nicht in die Quere kommt, dann nehme ich dich mit.“ Er sah mir in die Augen. „Kannst du das? Denn alles andere würde ein unnötiges Risiko bedeuten. Und du willst doch, dass ich einem Stück zurückkomme, oder?“
„Das ist unfair!“
„Hey, du hast dir diesen herrschsüchtigen Egomanen ausgesucht. Jetzt musst du auch damit klar kommen.“
Ich biss die Zähne zusammen und wusste nicht so recht, auf wen ich wütend sein sollte. Auf Alec, auf Rick oder auf mich selbst. Oder auf diese ganze verfluchte Situation.
Hätte ich wenigstens gewusst, wo sich Alec herumtrieb, wäre ich entspannter gewesen. Oder vielleicht hätte ich mir noch mehr Sorgen um ihn gemacht. Aber alles wäre besser als diese verdammte Unsicherheit. Offenbar waren alle Männer in meiner Umgebung sehr bestrebt, mich in Watte zu packen und mir nichts, aber auch rein gar nichts zu erzählen. Alec verzieh ich es viel leichter, denn ihm glaubte ich, dass er triftige Gründe hatte. Einer dieser Gründe war sicherlich auch die Tatsache, dass ich mit Rick zusammen war.
Nein, Alec nahm ich es nicht übel. Nicht sehr zumindest ...
Was Rick betraf, sah die Sache etwas anders aus. Beschützerinstinkt hin oder her, aber es war einfach demütigend, dass selbst Joel und Miljon mehr über ihn wussten als ich. Wir hatten eine Beziehung, verdammt noch mal! Ich hatte ein Recht darauf, zu wissen, was mit ihm los war! Aber einem bedeutungslosen Betthäschen war man natürlich keine Rechenschaft schuldig. Zur Hölle mit Rick!
In jenen Tagen ohne Alec hatte ich nichts als Ablenkung und mir wurde schmerzhaft bewusst, wie sehr er mir fehlte. Außerdem war die Hektik des heimlichen Trainings einer endlosen Warterei gewichen, in der ich viel zu viel Zeit zum Nachdenken hatte. Natürlich hätte ich auch die pflichtbewusste Streberin spielen können. Ich hätte in der Zeit Schreiben können. Oder brav Schattenboxen üben. Aber ich war nun mal keine pflichtbewusste Streberin.
Stattdessen versank ich immer mehr in Grübeleien. Ich wurde immer schweigsamer, stellte auch keine Fragen mehr. Doch Rick bemerkte es kaum, er war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Und was seine Freunde traf, so war ich ohnehin nur sein farbloses Anhängsel, das seine Nützlichkeit erst noch unter Beweis stellen musste.
Sollte mir recht sein. Je weniger Beachtung man mir schenkte, desto leichter konnte ich meinen neuen Plan umsetzen. Vielleicht war Plan übertrieben ausgedrückt, aber immerhin hatte ich eine einigermaßen konkrete Vorstellung, was ich tun wollte. Zuerst war es nicht mehr als das trotzige Vorhaben gewesen, auf eigene Faust Recherchen anzustellen – ohne wirklich daran zu glauben, dass ich etwas Derartiges zustande bringen würde. Aber schon bald wurde mir bewusst, wie einfach das eigentlich für mich war.
Der entscheidende Faktor war Fegleave, ein Mittel, mit dem man seinen Spuren verwischen konnte. Alec hatte mir einen üppigen Vorrat an Fegleave-Staub gegeben, sogar in einer nahezu perfekten Version, die nicht mal Alec selbst austricksen konnte. Natürlich hatte ich Rick nichts davon erzählt, er hätte mir dieses wirklich nützliche Mittelchen sofort wieder abgenommen. Obgleich es eine effektive Schutzmaßnahme war, um notfalls Angreifer abzuschütteln, hatte Rick sich geweigert, mir nochmals Fegleave-Staub zu überlassen, seit ich das Zeug benutzt hatte, um seine Dauerüberwachung zu boykottieren. Er hatte lediglich eine Notfall-Ration in einem Geheimfach für mich deponiert, die er regelmäßig kontrollierte. Hätte ich etwas davon benutzt, dann hätte ich darüber vermutlich einen schriftlichen Rechenschaftsbericht in dreifacher Ausfertigung vorlegen müssen. Und zugegeben, diesmal lag Rick mit seinem ewigen Misstrauen sogar richtig, denn in den letzten Wochen hatte ich Alecs Fegleave vor allem dazu verwendet, Rick und Branco davon abzuhalten, mir zu meinem kleinen Refugium am Strand zu folgen. Nun wandte ich diese Strategie einmal mehr an – allerdings wollte ich diesmal nicht zu meinem Strand, sondern zu Joel.
Rick sollte davon natürlich nichts erfahren. Es galt also, einige Vorkehrungen zu treffen, denn ich war bei Joels Leuten hinlänglich bekannt. Aber sie kannten mich nur als Ricks unscheinbare Begleiterin, die keine anderen Kleidungsstücke als Jeans und T-Shirts zu besitzen schien. Weit gefehlt. Martha, eine von Ricks Vertrauten, hatte mich mit allem ausgestattet, was ein eitles und modebewusstes Frauenherz begehrte. Inklusive passender Schuhe und Make-up. Doch ich war weder modebewusst noch besonders eitel. Das Make-up hatte ich noch nie benutzt und all die feinen Röcke und Kleider verstaubten ebenso wie die Stöckelschuhe im Schrank. Ich hätte die Sachen schon längst weiter verschenkt, aber ich hatte befürchtet, Marthas Gefühle zu verletzten. Nun war ich froh, dass ich die Sachen behalten hatte und als Verkleidung benutzen konnte, um mich zu tarnen.
Ich wählte ein schwarzes Kostüm bestehend aus einem schmalen Rock und einem engen Blazer. Unter dem Blazer zog ich lediglich ein dünnes Top an, das man nicht sah, wenn die Jacke geschlossen war. Es wirkte so, als trüge ich unter der Jacke nicht weiter als nackte Haut. Dazu hochhackige Schuhe und Seidenstrümpfe. Dann noch ein wenig Styling: Hochsteckfrisur, helles Puder, kirschroter Lippenstift, schwarzer Kajal und Wimperntusche. Fertig war der Schneewittchen-Look.
Natürlich sah ich immer noch so aus wie ich selbst und aus der Nähe erkannte man mich, wenn man genauer hinschaute. Aber da ich für die Meisten nur das Mauerblümchen an Ricks Seite war, dem man nur aus der Ferne einen kurzen Blick zuwarf und ansonsten ignorierte, hielt ich die Tarnung für ausreichend, um unbemerkt zu Joel zu gelangen.
Ich schlich mich aus der Wohnung und streute Fegleave-Staub hinter mich bis ich zwei Häuserblocks entfernt war. Dann rief ich mir ein Taxi. Ich hatte nichts weiter dabei als den kleinen Plastikbeutel mit Fegleave-Staub und ein paar Geldscheine für den Taxifahrer. Den Hausschlüssel hatte ich in eine kleine Einbuchtung des hölzernen Türrahmens geklemmt. Das erschien mir am sichersten. Die Wohnung war mit Schutz-Zaubern überfrachtet und ich würde in einigen Stunden zurück sein. Aber für den Fall, dass etwas schief ging, wollte ich keinesfalls etwas mitnehmen, was meine wahre Identität verraten könnte.
Wenige hundert Meter von meinem eigentlichen Ziel entfernt, ließ ich mich absetzen. Joels Familie besaß eine Villa am Stadtrand. Anders als Ricks Wohnung, war diese Adresse kein Geheimnis. Die Carpletts waren zu einflussreich, um sich darüber Sorgen machen zu müssen. Sie hatten Geld und Macht genug, um ihr öffentliches Anwesen zu schützen. Ich stöckelte mit übertriebenem Hüftschwung auf das Tor der Villa zu. An meinem Gang würde man mich definitiv nicht erkennen. Nun folgte der schwierigste Teil meines Vorhabens: Zu Joel vorgelassen zu werden ohne meinen Namen nennen zu müssen.
Das Anwesen der Carpletts war von einem kunstvollen schmiedeeisernen Zaun umgeben. Die Schnörkel sahen wie harmlose Verzierungen aus und wirkten alles andere als einbruchssicher. Aber das lag in der Natur von wirklich fiesen magischen Barrieren. Ich fragte mich, wie viele Einbrecher wohl schon blauäugig in ihr Verderben gelaufen waren. Durch den Zaun sah man den weiträumigen Garten mit wunderschönen knorrigen Pinien, deren Geruch die Luft versüßte. Der Rasen war gepflegt, ein sattes Grün, mit kleinen versprengten Blumeninseln. An einigen Stellen wanden sich Rosenranken um den Zaun. Im Hintergrund ein elfenbeinfarbenes Gebäude im Kolonialstil. All das erinnerte an eine südländische Plantage aus Sklavenzeiten, wie man sie aus den alten Hollywoodfilmen in Technicolor kannte. Der Vergleich mit der Sklavenzeit passte sogar ziemlich gut, denn von den Angestellten wurde blinder Gehorsam erwartet.
Mit einem reichlich mulmigem Gefühl im Magen drückte ich auf die Klingel. Die Überwachungskamera nahm mich mit einem leisen Surren in ihren Fokus. Ich bereitete mich auf eine längere Diskussion mit einem Angestellten vor. Doch stattdessen wurde das Tor geöffnet.
Einfach so.
Man hatte mich entweder erkannt oder man hatte mich erwartet.