Blut, Feuer, Tod - Ika Johannesson - E-Book

Blut, Feuer, Tod E-Book

Ika Johannesson

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Beschreibung

Extrem - Extremer - Swedish Metal Anfang der 1990er revolutionierte schwedischer Death Metal die Musikwelt. Mit Bands wie Entombed, Dismember und At the Gates befand sich das Land an der Spitze einer neuen Bewegung, bevor Black Metal die Extreme noch stärker ausweitete. Aber wie hat alles angefangen? Warum wurde Schweden zu einer Brutstätte dieser aggressiven und ungebändigten Musik? Und wer sind die Menschen, die vorangetrieben haben? Blut, Feuer, Tod: Eine Geschichte des schwedischen Metal erzählt die Entwicklung des Genres von den Rock-Vorreitern der Siebziger über die satanischen Auswüchse der Neunziger bis zu den vielfältigsten Erscheinungsformen der heutigen Szene. Das spannende Buch konzentriert sich auf die Phänomene, welche die Szene in ihrem Wandel vorangetrieben haben, der nicht nur auf musikalischer, sondern auch auf ästhetischer und ideologischer Ebene stattgefunden hat. Diese beinahe unglaubliche Geschichte wurde bislang noch nie so leidenschaftlich und brillant recherchiert und detailgetreu erzählt.

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Ika Johannesson

Jon Jefferson Klingberg

BLUTFEUERTOD

Eine Geschichte des Schwedischen Metal

Aus dem Englischen von Andreas Schiffmann

www.hannibal-verlag.de

Impressum

Deutsche Erstausgabe 2024

© 2024 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-780-0

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-779-4

Originalausgabe in Schwedisch, erschienen 2011 im Alfabeta Bokförlag mit der ISBN 9789150113341

© Ika Johannesson und Jon Jefferson Klingberg

Übersetzung der amerikanischen Ausgabe, erschienen 2018 mit der ISBN 9781627310673 von Feral House, Port Townsend, USA

www.feralhouse.com

© Ika Johannesson und Jon Jefferson Klingberg

Coverdesign und grafischer Satz deutsche Ausgabe: Thomas Auer

Umschlagfotos: © Vejde Gustafsson

Übersetzung: Andreas Schiffmann

Deutsches Lektorat und Korrektorat: Diana Glöckner

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags repro­duziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden.

Die Autoren haben sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Prolog

I. Fuck Off!

Die Zwillinge Pelle und Erik Gustafsson von Nifelheim nehmen sich vor, die bösartigste Band der Welt zu werden, landen aber schließlich im Werbespot einer Versicherungsfirma.

II. Zu viel verdammter Glibber

Ein Haufen Wikinger aus der Oberschicht ebnet den Weg für die erste schwedische Metal-Welle.

III. Bathory

Wie ein Teenager aus der Vorstadt Anfang der Achtziger den Grundstein für Black Metal legte – mithilfe seines Vaters.

IV. Pelle Dead

Die Geschichte von Pelle „Dead“ Ohlin, dessen Bedürfnis, die Welt vor den Kopf zu stoßen, einen neuen ästhetischen Maßstab für Black Metal setzte.

V. Death Metal

Wie unleserliche Bandlogos, Kassettentausch und flammende Liebe für Splatter-Filme Heavy Metal für immer veränderten.

Bilderstrecke 1

VI. Metal und die Medien

Die Fanzines, Zeitschriften, Fernsehsendungen und anderen Medien, die Metal an die Öffentlichkeit brachten.

VII. Black Metal

Wie die Suche nach wahrer Authentizität eine Metal-­Rand­erscheinung zur weltweiten Sensation machte – durch brennende Kirchen und Mord.

VIII. Metal und Moneten

Als Dark Funeral ihre Plattenfirma wegen finanziellem Miss­management verklagten, geschah etwas Seltsames – die Band ­weigerte sich, aufzugeben.

IX. Dissection

Die Geschichte von Jon Nödtveidts Weg aus dem Gefängnis zur größtmöglichen Freiheit, die man sich vorstellen kann.

X. Von Männern für Männer

Metalhead sein – und vorzugsweise nicht weiblich.

Bilderstrecke 2

XI. Entombed

Warum sich die führenden Wegbereiter der schwedischen Death-Metal-Szene in zwei Bands aufspalteten – mit demselben Namen.

XII. Na dann, Sieg Heil?

Obwohl viele Bands mit dem Bösen und Menschenhass ­liebäugeln, will niemand ernsthaft mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht werden. Oder doch?

XIII. Eine Lektion in Suizid

Die Geburt des Depressive Metal – und warum Niklas Kvarforth von Shining dich ernsthaft verletzen will.

XIV. Heavy Metal

Wie die Power-Metal-Sensation der späten Neunziger die Weichen für ein unerwartetes Revival von Falsettgesang und Spandexhosen stellte.

XV. Watain

Watain touren durch Nordschweden, ausgestattet mit selbst gebauten Flammenwerfern und verwesten Tierkadavern.

Glossar der Metal-Genres

Über die Autoren

Danksagungen

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Prolog

„Guten Abend, Tempelritter Deutschlands!“, ruft Sänger Joacim Cans in die volle Halle. „Wir sind HammerFall aus Göteborg, Schweden! Unsere Karriere begann vor zehn Jahren in diesem Land – und Köln war eine der Städte, wo wir gespielt haben!“ Die Menge grölt einhellig, reckt die Fäuste und drängt nach vorn, während die Band ihre Hymne „The Metal Age“ anstimmt.

Wir schreiben das Jahr 2007, und HammerFall sind in Deutschland, um ihre kürzlich erschienene Greatest-Hits-Sammlung Steel Meets Steel – Ten Years of Glory zur Feier ihres zehnjährigen Bestehens zu promoten. Das Kölner Gloria-Theater fasst nur tausend Zuschauer, und das Konzert ist als intimer, schweißtreibender Abend für eingefleischte Fans gedacht. Sie haben auf der Webseite der Band über die heutige Setlist abgestimmt und können die Mitglieder nach der Show treffen, um sich mit Autogrammen und Merchandise einzudecken. Die Eintrittskarten sind restlos ausverkauft.

Ein paar Stunden zuvor hat sich im hellen Nachmittagslicht vor dem Club ein buntes Publikum eingefunden: Achtzehnjährige in obligatorischen schwarzen Mänteln und Dr.-Martens-Stiefeln neben ergrauten Männern in Motorradjacken und Frauen um die dreißig, die angezogen sind, als kämen sie von der Arbeit in einer Bank. In einer Nebengasse begeht ein Typ seine private Konzertaufwärmparty, indem er eine Flasche Bier hinunterstürzt. Seine langen, zotteligen Locken verstärken den Eindruck, er sei gerade aus einem dreißigjährigen Winterschlaf erwacht, der in der Blütezeit des Heavy Metal begann. Auf seiner abgetragenen Jeansjacke stehen Bandnamen wie Accept oder Anvil, und sie könnte durchaus ein Relikt aus jener Blütezeit sein.

Im Gloria-Theater hat das Aufwärmritual für den Abend begonnen: Aus den vorderen Reihen ertönen Sprechchöre, die an ein Fußballspiel erinnern. Am häufigsten ruft jemand: „LET THE HAMMER …“, und der Rest der Menge entgegnet: „FALL!“ Obwohl sich die Band noch nicht gezeigt hat, liegt kinetische Energie in der Luft, als hätte die Show schon begonnen.

Mit schütterem Vokuhila, Schnurrbart, Brille und Jeansweste sieht der sechsunddreißigjährige Jörg aus Göttingen aus wie die Karikatur eines deutschen Metalheads. Mit breitem Akzent rattert er seine früheren HammerFall-Shows herunter: Dynamo Open Air in Eindhoven 1998, Rock Hard Festival im Frühjahr 2007 und so weiter. „Das Schlimmste an Köln ist das beschissene Bier“, findet er. Dann entschuldigt er sich – auch wenn er den Geschmack von Kölsch zutiefst verabscheut, braucht er echt noch ’ne Flasche.

Elisabeth aus Mississippi besucht den Auftritt mit ihrem deutschen Freund Jens. Sie hat HammerFall noch nie gesehen, schwört aber, dass sie den Look der Band liebt: das Leder, die Metallverzierungen. „Sie sind wie Götter“, sagt sie ehrfürchtig. Ihr Freund ist eher Black-Metal-Fan und deutlich weniger begeistert von den Schweden, obwohl er sie seiner Freundin schmackhaft gemacht hat. Elisabeth sagt, die Deutschen mit ihren begrenzten Englischkenntnissen würden HammerFall nicht vollständig verstehen. Sie ist nahezu überschwänglich. „Ich bin aufgeregt! Let the hammer fall!“

Als das Licht ausgeht, ist das kollektive Gebrüll so laut, dass der Saal zu erzittern scheint.

***

Seit seiner Entstehung als Jugendphänomen hat sich der Metal zu einem der größten Musikgenres der Welt entwickelt. Neben den bahnbrechenden Bands der Siebziger von denen viele immer noch Platten aufnehmen und auf Tournee gehen, beleben jüngere Generationen das Genre neu und entwickeln es weiter. Ein Großteil der Avantgarde des Metal kommt aus Skandinavien und insbesondere aus Schweden.

Ihr Jubiläum im Ausland zu feiern ergibt für HammerFall durchaus Sinn. Schwedische Bands wie Opeth, Ghost, Meshuggah und Enforcer geben in Europa sowie Nord- und Südamerika ausverkaufte Konzerte. Und das Interesse wächst weiter, Metal ist größer als je zuvor. Jedes Jahr werden mehrere Hunderttausend Karten für Metal-Konzerte und -Festivals mit schwedischer Beteiligung verkauft. Die einstige Underground-Bewegung ist wie so viele Nischenbewegungen zu einem Riesengeschäft geworden.

Statt eine endgültige Geschichte des schwedischen Metal zu schreiben, konzentrieren wir uns hauptsächlich auf Bands, Personen und Phänomene, die die Szene in unterschiedlichem Maße vorangebracht haben. Die Entwicklung erfolgte nicht nur auf der musikalischen Ebene, sondern zuweilen auch in ästhetischer oder sogar ideologischer Hinsicht. Sie fand vor allem in den extremeren, aggressiveren Subgenres Death- und Black Metal statt, wo schwedische Bands von Anfang an die Speerspitze bildeten.

Wir haben uns dieser Entwicklung von zwei verschiedenen Teilen des Landes aus angenähert.

Jon Jefferson Klingberg, Jahrgang 1968, kam zum ersten Mal während seiner Gymnasialzeit in dem Dorf Stugun in der ländlichen nordschwedischen Provinz Jämtland mit Metal in Berührung. Die Familie eines engen Freundes nahm Problemteenager aus dem vergleichsweise riesigen Großstadtdschungel Stockholms auf, darunter einer mit einem Stapel Ausgaben der bedeutenden britischen Metal-Zeitschrift Kerrang!.

Jon verschlang die Magazine staunend und verinnerlichte alles über Bands wie Mercyful Fate oder Angel Witch. Schon bald sollte er so ziemlich alles für Geld tun, um sich Metal-Alben besorgen zu können.

Ika Johannesson, Jahrgang 1974, verbrachte ihre Jugend auf den Spielplätzen der südlichen Vororte von Göteborg, wo sie Bier trank und Metal-Demos auf Ghettoblastern hörte. Freunde aus ihrem Umfeld gründeten später Bands wie At The Gates, Dark Tranquillity und In Flames – allesamt Pioniere des Melodic Death Metal, der heute international als „Göteborg-Sound“ bekannt ist.

Alles ging so schnell. Man hörte ein Entombed-Demo auf seinem Kassettenrekorder, und gefühlt am nächsten Tag waren diese Stockholmer Jungs eine der größten Death-Metal-Bands der Welt. Die Urgewalt der Musik und der Bewegung war anziehend und berauschend: Zum ersten Mal entstand eine Szene vor unseren Augen – und es waren Kids in unserem Alter aus unserem Land.

Das Aufkommen des Death Metal an sich bedeutete eine tiefgreifende Umgestaltung des Metal-Genres. Er räumte auch nach einem von Keyboards, Haarspray und Rüschenhemden geprägten Jahrzehnt mit dem Vorurteil auf, Metal sei etwas für Weicheier. Death Metal verband die Brutalität und den DIY-Geist des Punk mit musikalischer Innovation und technischen Fertigkeiten. Schon bald feierte er unwahrscheinliche kommerzielle Erfolge, und genauso schnell machte das Wachstum der Szene schwer zu schaffen, da immer mehr Bands gleich klangen und den Markt übersättigten.

Die Gegenreaktion kam in Form von Black Metal, einem noch extremeren Subgenre mit Norwegen im Mittelpunkt, wo Bands wie Mayhem, Darkthrone oder das berüchtigte Soloprojekt Burzum den Ton angaben.

Black-Metal-Bands klangen derber, roher und finsterer – und ihre Behauptung, den Tod und das wahre Böse zu verehren, war nicht ironisch gemeint. Nach kurzer Zeit kam es sowohl in Norwegen als auch Schweden zu mehreren öffentlichkeitswirksamen Fällen von Brandstiftung an Kirchen, und plötzlich bedeutete das satanische ­Element offensichtlich mehr als nur eine Pose oder ein Bühnen­requisit; es war wortwörtlich und todernst gemeint.

Bald darauf wurde in Schweden der erste Mord begangen, der in direktem Zusammenhang mit Black Metal stand.

***

Eine Ziel dieses Buches bestand darin, herausfinden zu wollen, warum Schweden zu einer Brutstätte derart aggressiver kultureller Ausdrucksformen wurde. Im Laufe unserer Arbeit entdeckten wir extreme Ausmaße der Szene, die wir uns nie hätten vorstellen können.

Viele Fragen, die wir hier zu beantworten versucht haben, gaben uns lange Zeit Rätsel auf. Wie kam ein Teenager aus dem Stockholmer Vorort Vällingby dazu, den Grundstein für ein Phänomen wie Black Metal zu legen? Waren die Mitglieder von Heavy Load Nationalisten? Und welches geheimnisvolle Duo verbarg sich hinter den sagenumwobenen Selbstfolterern Abruptum? Die erste Ausgabe dieses Buches erschien im Herbst 2011. Seitdem hat sich die schwedische Metal-Szene in viele Richtungen weiterentwickelt. Wir haben einige Kapitel aktualisiert, die überarbeitet werden mussten. In anderen Fällen haben wir Fußnoten mit relevanten Informationen hinzugefügt. Der Großteil des Materials in diesem Buch wurde jedoch zwischen 2005 und 2011 gesammelt.

Die Personen, die wir in diesem Buch kennenlernen, kommen aus unterschiedlichen Verhältnissen und Lebenssituationen, doch wie uns eint sie eine tiefe Leidenschaft für Metal. Der Ursprung oder Funke dieser Leidenschaft ist natürlich subjektiv und von Person zu Person unterschiedlich. Manchmal wurde sie vom Intro eines Deep-­Purple-Songs entfacht, von der Ehrfurcht, die pyrotechnische Effekte in einem hervorrufen, oder von der schieren Wucht, die eine Wand aus Marshall-Verstärkertürmen erzeugt. In anderen Fällen war die Ästhetik verheißungsvoller, rätselhafter Bandlogos in unlesbar krakeliger Schrift ausschlaggebend, oder es ging um um den Reiz von Teufelsanbetung und die Suche nach der bösesten Band der Welt.

Oft steht am Anfang eine gemeinsame Begeisterung für die drei wesentlichen Elemente des Metal: Blut, Feuer und Tod.

I. Fuck Off!

Wir haben einen Fleischcontainer in einem Schlachthof aufgebrochen. Wir hatten mehrere komplette Kuhwirbelsäulen und alles Mögliche mehr. Während des gesamten Auftritts regneten Maden auf uns nieder.

– Tyrant, Nifelheim

An den Wänden im Keller des Best Western Hotel Carlia in Uddevalla stehen Felsblöcke aus grau gestrichenem Styropor. Es ist kurz vor zwanzig Uhr, und die beiden Bars des Hotels füllen sich allmählich mit schlaksigen Metalheads der zwielichtigen, verlotterten Sorte, unter die sich neugierig gaffende Einheimische mischen, sportlich elegant gekleidete Männer und stark geschminkte Frauen in kurzen Röcken.

Die Bühne ist mit verschiedenen Requisiten der Black-Metaller Nifelheim ausstaffiert. Eine große, silbern bemalte Platte mit dem Fledermauslogo der Band und ein Leuchter mit schwarzen Kerzen stehen vor den Marshall-Boxen.

Im engen Backstagebereich links neben der Bühne bereiten sich die Bandmitglieder vor, indem sie ihre aus Nieten und Leder bestehenden Outfits anziehen.

„Normalerweise dauert es etwa eine Stunde, bis wir alles anhaben“, sagt Sänger Pelle „Hellbutcher“ Gustafsson und beißt auf einen Riemen, mit der er ein Nagelband an seinen linken Unterarm befestigt.

Bald bedecken Nägel seine beiden Unterarme. Sie sind rostig, gut fünfzehn Zentimeter lang und gefährlich spitz.

„Man kann sich ziemlich übel verletzen, wenn man nicht aufpasst, aber normalerweise merke ich erst nach dem Konzert etwas davon. Am Ende sehe ich aus wie ein Junkie, weil ich solche großen blauen Flecken bekomme, aber ich lege die Dinger lieber zu eng an, als dass sie mir mitten im Konzert abfallen“, erklärt er.

Chrille Eskilsson von dem Black-Metal-Duo Pest fungiert heute Abend für Nifelheim als Stagemanager. Er schiebt sich seitlich in den Raum, da er ein dickes Stück vakuumverpacktes Rind mit Knochen und an die zwanzig Schweinezungen trägt. Chrille fragt sich laut, was er mit dem ganzen Fleisch machen soll.

„Leg es in den Sarg“, sagt Pelles Zwillingsbruder Erik „Tyrant“ Gustafsson, während er sich die Augen schwarz schminkt.

Chrille zerlegt das Rindfleisch in kleinere Stücke und wirft die Schweinezungen in den Kinderholzsarg, den Nifelheim immer auf der Bühne haben. Der Innenbezug aus Seide ist inzwischen mehr braun als weiß und riecht muffig, aber nicht ganz so schlimm, wie man erwarten würde, wenn man weiß, wie viel rohes, verdorbenes Fleisch im Laufe der Jahre in dem Sarg gelegen hat. „Denkt daran, dass ihr nicht damit herumwerfen dürft“, mahnt Chrille, indem er die Zwillinge ernst anschaut.

Die norwegische Band Mayhem dekorierte die Bühne beim Gates of Metal Festival in der ländlichen Stadt Hultsfred im Sommer 2006 mit fast fünfhundert Kilogramm Schweineköpfen und Fleisch, woraufhin die schwedische Landwirtschaftsbehörde aufgrund schwerer Verstöße gegen das Gesetz zur Beseitigung tierischer Nebenprodukte mit einer Klage drohte.

Nach dem Ausbruch des Rinderwahns in Europa in den Neunzigern wurde das Hantieren mit Fleisch auf Bühnen ohne Sondergenehmigung verboten. Erik meint, sie sollten die Regelung einfach ignorieren, und brummelt etwas von legalem Machtmissbrauch. Pelle hingegen ist ein Freund des Besitzers und steht der Sache skeptisch gegenüber.

„Ich will nicht, dass er seine Gaststättenkonzession verliert.“

Erik verdreht die Augen.

„Na gut, dann muss es reichen, dass ich mich selbst damit einreibe“, erwidert er verärgert und tätschelt seinen schmalen, bleichen Rumpf.

Schlagzeuger Peter „Insulter of Jesus Christ!“ Stjärnvind, der früher in Bands wie Entombed und Merciless gespielt hat, hilft Pelle beim Anlegen seiner Lederweste. Hunderte Nieten bilden ein umgedrehtes Kruzifix und einen Stern auf seiner Brust, derweil Leder und noch mehr Nieten seine schwarze Spandexhose zieren. Pelle befestigt dann einen mit Nieten besetzten Latz und einen breiten Ledergürtel mit einem Pentagramm aus Nieten, ehe er weitere Nietengürtel und Armbänder mit umgekehrten Kreuzen anzieht. Schließlich verschmiert er schwarze Schminke um seine Augen und macht zwei große lederne Schienbeinschoner mit Nägeln an seinen Beinen fest.

Am Ende sieht er aus wie eine Mischung aus Pinhead aus Hellraiser und einem durchgedrehten Biker, der aus den Tiefen der Hölle aufgestiegen ist.

Vor einem Spiegel in der Ecke vervollständigt Erik sein Make-up, wobei er mit den sperrigen genagelten Schienbeinschützern hadert.

„Du musst für Metal leiden. Er verlangt es“, sagt er und verrenkt sich, um seine Waden besser sehen zu können. „Wo ist der Spaß dabei, einem Nichtsnutz im weißen T-Shirt auf der Bühne zuzusehen? Ich war schon immer ein Fan von Leder und Nieten. Metal sollte Metal bleiben, sich nie ändern oder weiterentwickeln. Er sollte wie die Greaser-Subkultur auf sein Jahrzehnt beschränkt bleiben – für Metal sind das natürlich die Achtziger. Sieh dir das an! Ich leide jeden Tag für Metal!“, fährt er fort und bindet sich ein schwarzes Tuch um seinen zunehmend kahler werdenden Kopf. Seine verbliebenen Haare sind schwarz gefärbt, die dünnen Strähnen reichen ihm kaum bis zu den Schultern.

Ein Mann mit einem starken südwestschwedischen Akzent bringt ein Paket für Pelle, das rare, heißbegehrte Metallgürtelschnallen mit dem Nifelheim-Logo enthält. Nur knapp zehn Exemplare wurden gefertigt und an wenige Glückliche ausgegeben. An diesem Abend trägt Erik eine Schnalle um seinen Hals; Pelle hat eine an seinem Gürtel befestigt.

Die ganze Ausstattung, die sie verwenden, ist selbst gemacht. Jeden einzelnen Nagel, jede Niete haben die Brüder eigenhändig angebracht. Selbst gemacht bedeutet authentisch, und Authentizität ist für Nifelheim von größter Bedeutung. Alles soll so böse, düster und verkommen wie möglich sein. Die Haupteinflüsse der beiden sind alte Metal-Bands aus dem Ostblock. Je tiefer das Elend, desto besser – im Idealfall haben sich die Musiker ihre Instrumente auf dem Schwarzmarkt besorgt und ihre jüngeren Schwestern dafür eingetauscht.

Dass Gitarrist Sebastian „Vengeance from Beyond“ Ramstedt tagsüber ein beliebter Kindergartenerzieher in Stockholm ist, erwähnen die Brüder nicht so gern. Immerhin ist dies die Band, die sich damit brüstet, ein Mitglied gefeuert zu haben, nur weil es vor einer Disco stand.

Die Vorgruppe, das lokale Black-Metal-Quartett Vornth, hat gerade die Bühne geräumt, und es ist fast Zeit für die Show. Peter ist damit beschäftigt, die Setlisten zu schreiben. Zwei schafft er: eine für sich selbst und eine für Pelle. Der Rest der Jungs muss sich an ihnen orientieren.

Peter trägt die wenigsten Spikes in der Band. Das Leder ist zu warm und zu schwer, um darin Schlagzeug zu spielen, ganz zu schweigen davon, wie gefährlich es ist, mit Nägeln am Körper Blastbeats zu spielen. Er scheint froh darüber zu sein, dass er nicht die volle Montur seiner Bandkollegen tragen muss.

Erik versucht, sich für eine letzte Inspektion seines Outfits im Spiegel umzudrehen, aber in dem beengten Raum bleiben die fünfzehn Zentimeter langen Nägel an seinen Beinen an einer Tasche hängen. Er stößt einen tiefen Seufzer aus.

Der Saal füllt sich, sowohl mit den Zuschauern als auch den flüssigen Rauschmitteln, die sie in sich tragen. Am Merchandise-Stand in einer Ecke ist der Verkauf im vollen Gang. Ungefähr vierhundert Karten wurden verkauft, und Gerüchten zufolge sind Leute aus Deutschland und Mexiko für das Konzert angereist. In der Menge tummeln sich Watain-Sänger Erik Danielsson und mehrere Stockholmer Journalisten. Aus Göteborg kommen der legendäre Punkrocker Onkel und Jonas Björler, der bei At The Gates und The Haunted spielt. Er hat sich Anfang der Neunziger mit den Nifelheim-Brüdern angefreundet und behauptet, die Shows der Band seien zwar spektakulär, doch ihre wahre Stärke liege im Songwriting.

„Viele Black-Metal-Bands klatschen bloß einen Haufen Riffs aneinander. Pelle und Erik machen sich viel mehr Gedanken über die eigentlichen Arrangements. Ihre Songs sind Hits, wirklich. Hinzu kommt die Tatsache, dass sie die ganze Zeit über glaubwürdig waren – völlig authentisch. Sie haben sich seit dem ersten Album behauptet, sowohl hinsichtlich ihres Images als auch musikalisch.“

Plötzlich wird das Licht im Saal gedimmt, und es gibt einen kleinen Ansturm auf die Bühne. Zu den Klängen eines donnernden Intros nehmen die Bandmitglieder ihre Plätze ein. Sie stehen breitbeinig und verwegen da, schneiden bedrohliche Grimassen. Schließlich tritt Pelle auf. Mit einem wahnsinnigen Schrei steigt die Band in den Song „Unholy Death“ von ihrem allerersten Demo ein.

Die tiefe Hingabe der Brüder an die Musik hat Nifelheim zu einer der renommiertesten Bands des Black Metal gemacht, aber auch zu einer der unproduktivsten. Obwohl sie 1990 gegründet wurde, hat sie zu diesem Zeitpunkt erst vier Alben veröffentlicht und weniger als hundert Konzerte gegeben.

In den Anfangstagen hatten Nifelheim kein Interesse an Auftritten, sondern konzentrierten sich darauf, bessere Musiker zu werden. Dann folgten zehn Jahre, in denen sie sich aufgrund ihrer äußerst strengen Ideale und Anforderungen schwertaten, eine stabile Besetzung zusammenzuhalten. Erst 2001 war die Band vollzählig und in der Lage, live zu spielen. Der hohe Anspruch der Brüder bedeutet, dass Nifelheim, wenn sie endlich aus dem Quark kommen – sei es für ein Konzert oder ein Album –, immer mit der größtmöglichen Leidenschaft und Sorgfalt zu Werke gehen.

Ihre allererste Show fand 2002 auf dem 2Heavy4You Festival außerhalb der schwedischen Stadt Falkenberg statt. Nifelheim traten nur unter der Bedingung auf, dass auch die russische Band Korrozia Metalla dort spielen sollte. Diese sagte leider ab, wurde aber durch die Tschechen Root ersetzt, womit die Brüder ebenfalls zufrieden waren. Da sie es so lange vor sich hergeschoben hatten, live aufzutreten, bereiteten sie eine aufwändige Show mit Pyrotechnik, sorgfältig gemalten Kulissen und vielen Tierkadavern vor.

„Wir haben einen Fleischcontainer in einem Schlachthof aufgebrochen“, erzählt Erik. „Einer unserer Roadies hatte Beziehungen und fädelte das Ganze ein. Wir hatten mehrere komplette Kuhwirbel­säulen mehrerer Kühe und alles Mögliche mehr. Während des gesamten Auftritts regneten Maden auf uns nieder.“

Pelle beschreibt den Hergang rückblickend als etwas stressig.

„Wir hatten vorher mit dem Veranstalter gesprochen und erfahren, dass es sich um eine große Bühne handelte, also packten wir massenweise Zeug ein – Pyros, Särge und was nicht alles. Als wir ankamen, fanden wir eine winzige Außenbühne vor, die hauptsächlich für Tanzorchester genutzt wurde, mit einer dicken Säule in der Mitte. Wir waren gezwungen, unsere Pläne ein wenig zu ändern, um es vorsichtig auszudrücken.“

Nach dem ersten Lied zertrümmerte Erik seinen Bass. Die Band wollte zu jedem Song etwas kaputtmachen. Als Gurt für seinen Ersatzbass diente rostiger Stacheldraht, den er mit einem Bolzenschneider aus einem Weidezaun in der Nähe herausgetrennt hatte. Außerdem brachten die Brüder selbst hergestellten Sprengstoff mit.

„Nachdem wir alle Sprengsätze angeschlossen hatten, stolperte irgendein besoffener Arsch über die Kabel, die an den Zündvorrichtungen befestigt waren“, erzählt Pelle. „Als wir also versuchten, sie während der Show zu zünden, ging kein einziger los! Feuerwerkskörper im Wert von mehreren Hunderten Kronen für nichts. Sie liegen immer noch irgendwo bei uns zu Hause rum.“

Als die Band begann, Schlachtabfälle von der Bühne zu werfen, nahm die Show eine dramatischere Wendung als beabsichtigt. Die verfaulende Kuhwirbelsäule traf einen Zuschauer mitten ins Gesicht und schlitzte seine Stirn auf, sodass er mit einer klaffenden Wunde dastand. Erik bemerkt, es sei Jon „Necromancer“ Woodring von der amerikanischen Death-Metal-Band Usurper gewesen, der eigens nach Schweden geflogen war, um den Auftritt zu sehen.

„Er war völlig begeistert! Wir haben auch viel Fleisch geschmissen. Einige Zuschauer grillten und aßen es später. Die ganze Aktion war zum Schreien. Wir haben die Menge gehörig aufgestachelt, das tun wir immer. Als wir kürzlich durch Finnland tourten, brach sich jemand am ersten Abend ein Bein, und bei der zweiten Show hatte jemand einen Herzinfarkt.“

Heute Abend in Uddevalla fliegt kein Fleisch von der Bühne. Die Schweinezungen bleiben in dem Sarg, wo Chrille sie abgelegt hat. Stattdessen wird das Publikum mit meisterlichem Black Metal der alten Schule verwöhnt. Die Band verausgabt sich dergestalt, dass sie fast den Überblick über die Songs verliert. Pelle verzieht sein Gesicht und starrt bedrohlich, während er die Liedtexte aus voller Kehle schreit. Er legt es darauf an, sich die Stimmbänder kaputtzumachen, also überschlägt sich seine Stimme völlig.

Sein Anliegen ist an diesem Abend recht erfolgreich.

Nach dem Konzert hat Pelle gute Laune. Dem Publikum gefiel es wirklich sehr gut, und da er in Uddevalla wohnt, ist dies sein Revier.

„Wir sind vielleicht nicht die größte Band der Welt, haben aber sehr engagierte Fans. Einmal lernte ich einen Deutschen kennen, der die Cover unserer EP und ersten drei Alben auf seinem Rücken tätowiert hatte. Als wir in England spielten, kamen Leute aus Chile und Australien, nur um unsere Show zu sehen.“

Der Backstagebereich füllt sich mit Freunden, die für das Konzert angereist sind, und sowohl Erik als auch Pelle sehen recht zufrieden aus.

„Schaut mal!“

Der große, blonde Gitarrist Johan „Apocalyptic Desolator“ Bergebäck lässt einen Samsonite-Trolley auf den Boden fallen, dass es dumpf knallt. Er ist sehr schwer.

„Fünfzig Pfund Nieten und Leder“, sagt er zufrieden grinsend.

Neben Peter ist Johan das Nifelheim-Mitglied mit der dezentesten Bühnenmontur. Man kann sich also ausmalen, wie schwer die Kleidung ist, die sich die anderen Mitglieder vor einer Show umschnallen.

„Ich brauche keine weiteren Nieten, weil ich so verdammt gut aussehe“, sagt er und rollt sein Gepäckstück zur Aftershow-Party in seinen Raum. Im normalen Alltag arbeitet Johan als Automechaniker.

Ein paar junge Fans lungern vor den Toiletten herum, fasziniert von der aufsässigen und mittlerweile ziemlich angetrunkenen Menge von Metalheads, die an ihnen vorbeistolpert. Sie schenken den Zwillingen besondere Aufmerksamkeit, tuscheln und zeigen auf sie.

Im Herbst 1998 lernte die schwedische Öffentlichkeit Erik und Pelle Gustafsson als die „Hardrock-Brüder“ kennen. Sie wurden in einer Fernsehsendung für Jugendliche namens Propaganda in einem siebenminütigen Beitrag mit dem Titel „Schneid dir die Haare und such dir einen anständigen Job“ vorgestellt, der ihre grenzenlose Leidenschaft für Iron Maiden und ihre rituellen Vorbereitungen zeigte, ehe sie dieser Band auf Tour folgten.

In der Eröffnungssequenz sitzen die Brüder mit ihrem Freund Jonas an einem Küchentisch und diskutieren über das richtige Verhalten bei den anstehenden Maiden-Konzerten, etwa die Notwendigkeit, sich durch die Menge bis zur Bühne zu drängen, „um sich selbst Erste-Reihe-Banger nennen zu können“! Sie erwähnen auch, wie wichtig es sei, richtige Ohrstöpsel zu benutzen. „Man darf sein Gehör nicht beschädigen; es muss völlig heil bleiben.“

Sie packen Zahnbürsten in eine Plastiktüte, holen ihre Reisepässe aus einem Glas in der Küche und überlegen, ob sie Ersatznieten mitnehmen sollen, während sie nervös in die Kamera schauen. Am Telefon versucht Pelle, einen Freund davon zu überzeugen, dass das neue Maiden-Album fantastisch ist.

„Hast du die neue Platte schon gehört? Oh, oh! Du musst sie hören – es ist das Beste, was je aufgenommen wurde!“

Die Brüder sind die größten Iron-Maiden-Sammler Schwedens. Buchstäblich Hunderte Poster, Aufnäher, T-Shirts, Alben und Schals horteten sie in der bescheidenen Wohnung, die sie sich damals teilten.

Erik zeigt auf ein Poster an der Wand, während er nach Worten ringt, um seine Gefühle bezüglich des Covers des Albums Live After Death auszudrücken.

„Das da gehört zum Beispiel zu den schönsten Dingen, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Es ist einfach so verdammt schön. Es ist so fucking Metal, dass er geradezu daraus hervorquillt.“

Seine Stimme zittert fast vor Ehrfurcht.

„Mir geht so ziemlich alles am Arsch vorbei außer Metal. Damit habe ich mehr als genug zu tun. Ich mache das, was mich interessiert, und ignoriere den Rest einfach.“

Dann machen sich die Jungs auf den Weg, um ihr Heavy-Metal-Auto zu holen, einen aufgemotzten pechschwarzen 1970er-Pontiac-Firebird, der mit Flammen lackiert ist. Zu dritt fahren sie über die Landstraßen außerhalb Göteborgs, wobei sie sich über die vielen Pferde in der Gegend beklagen und Pferdeäpfeln ausweichen.

Als das Fernsehteam die drei Freunde ein paar Tage später in einer Umkleidekabine der Stockholmer Globe Arena trifft, trommeln sie in angespannter Vorfreude auf ihren Knien. Sveriges Television hat ein privates Treffen mit den Mitgliedern von Iron Maiden arrangiert. Der damalige Sänger Blaze Bayley erscheint zuerst, gefolgt von Bassist Steve Harris. Die Brüder strahlen vor echter, tief empfundener Freude. Sie erhalten T-Shirts, werden umarmt und posieren für Fotos mit ihren Idolen. Erik und Pelle ziehen böse Black-Metal-Gesichter, während Steve Harris fröhlich lächelt.

Man kann schwerlich sagen, ob es die aufrichtige, bedingungslose Liebe der Brüder zu Iron Maiden, ihre dünnen Schnurrbärte, ihre Nervosität vor der Kamera oder ihre amüsanten Kommentare mit ländlichem Akzent sind, die dieses Segment so überzeugend machen.

Da diese Episode aus der Zeit vor YouTube stammt, wurde sie auf VHS-Kassetten verbreitet und erlangte umgehend Kultstatus. Der Clip lief oft beim Vorglühen, genauso wie zehn Jahre zuvor die amerikanische Minidokumentation Heavy Metal Parking Lot, die 1986 vor einem Judas-Priest-Konzert auf dem Parkplatz vor der Halle gedreht wurde. Das Video ist bis heute populär geblieben und berührt vielleicht etwas Grundlegendes in der Seele von Schwedens Vergangenheit: Damals fand man in jedem Klassenzimmer mindestens eine Person, die stolz eine Jeansjacke, ein Nietenarmband und ein T-Shirt einer Metal-Band trug. Wir sind alle mit den Hardrock-­Brüdern aufgewachsen.

Der Produzent Marcos Hellberg weiß noch, dass die betreffende Propaganda-Folge ein „allgemeines Lifestyle“-Thema haben sollte. Ursprünglich wollte er einen überdrehten Metalhead in seiner natürlichen Umgebung porträtieren. Er rief bei Dolores an, einem Label und Plattenladen in Göteborg, wo er prompt an die Gustafsson-­Brüder verwiesen wurde. Als er sie kontaktierte, wollten sie sich aber nicht darauf einlassen.

„Sie legten eine unglaubliche Integrität an den Tag und wollten die Aufmerksamkeit nicht“, so Hellberg. „Ich lud sie auf einen Kaffee ein und erklärte, es sei tolle Werbung für Nifelheim, doch sie lehnten ab. Mein letztes Argument, nachdem ich eine halbe Stunde versucht hatte, sie zu überreden, lautete: ‚Ich drehe einen zehnminütigen Beitrag über euch und eure Liebe zu Iron Maiden, deren Musik im Vordergrund stehen wird. Das bedeutet wiederum Tantiemen für sie.‘ Das stimmte sie um.“

Ursprünglich sollte die Episode Menschen vorstellen, die unbeeindruckt von Trends an ihrem Stil festhalten. Sie enthielt auch Interviews mit einer jungen Frau, die in Vollzeit bei der Heilsarmee arbeitete, und einem älteren Punkrocker.

„Aber die Brüder haben irgendwie die Show gestohlen“, sagt Hellberg. „Wenn sie über Iron Maiden sprechen, verstellen sie sich nie – sie bleiben sich selbst immer hundertprozentig treu. Iron Maiden zeichnen sich durch eine Beständigkeit aus, die sie zu schätzen wissen. Die Band hat ihre Ideale, ihre Kleidung oder ihre Nieten nie aufgegeben, egal aus welcher Richtung der Wind in der Musikindustrie wehte. Sie meinen, was sie sagen, und leben danach.“

Erik und Pelle betonen, dass sie Nifelheim in der Episode nicht erwähnt haben, sei eine bewusste Entscheidung gewesen. Die eigene Band und ihre Leidenschaft für Iron Maiden sind zwei völlig verschiedene Dinge. Außerdem konnten sie nicht ahnen, dass die Sendung nennenswerte Reaktionen hervorrufen würde. Sie wurden bereits im Radio und in Zeitungen zu ihrer Sammlung interviewt, ohne dass ihnen jemand viel Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Plötzlich konnten sie ihre Wohnung nicht mehr verlassen, ohne an den Fernsehauftritt erinnert zu werden.

„Ich dachte einfach, die Leute würden nicht mehr viel fernsehen“, sagt Erik. „Wie sich herausstellte, taten sie das doch. Ich kam mir vor wie Michael Jackson; wir konnten nirgendwo hingehen, ohne angesprochen zu werden. Ich war erschüttert wegen der Hysterie, die das ausgelöst hat. Und ich bin es immer noch.“

Pelle überraschte es ebenfalls.

„Ich stieg in die Straßenbahn, und alle riefen plötzlich: ‚Woooarrrghhh‘. Das ist leider keine Übertreibung. Es war der totale Wahnsinn.“

Erik findet, dass sie nicht richtig dargestellt wurden. Er macht ihre Jugend und Naivität dafür verantwortlich. „Wir sind viel extremer als das. Während der Dreharbeiten haben sie uns gebeten, bestimmte Dinge zu tun, zum Beispiel: ‚Setzt euch und headbangt zu einer Platte.‘ So was tut man vielleicht, wenn man betrunken ist, doch es würde bestimmt nicht so aussehen, wie es das jetzt im Fernsehen tat. Deshalb ist auch alles so furchtbar konstruiert und unnatürlich. Es geschah ohne jegliche Ironie. Sie haben uns in Karikaturen verwandelt.“

„Die Leute denken, dass wir total quirlig und lustig sind“, fügt Pelle hinzu, „oder zu fast nichts zu gebrauchen, weil wir etwas zurückgeblieben sind. Andererseits ist das genau der Eindruck, den man bekommt, wenn man die Sendung sieht.“

Die Brüder sind der Meinung, der Beitrag sei auf verlogene Weise geschnitten worden, und behaupten, der Kameramann habe oft gesagt, die Kamera würde nicht laufen, obwohl sie sehr wohl eingeschaltet war. Pelle sagt, die Fragen, die ihnen gestellt wurden, seien oft schwer zu beantworten gewesen.

„Sie fragten ‚Warum bist du ein Metalhead?‘ und solche Sachen. Ich antwortete: ‚Weil ich Metal mag.‘ Kurze Antwort! Aber das reichte nicht, also filmten sie zwei weitere Stunden. Darum fingen wir einfach zu schwafeln an, während wir versuchten, diese Fragen zu beantworten. Und dann haben sie es selektiv zusammengeschnitten, damit jeder was zu lachen hat. Außer uns.“

Marcos Hellberg kann sich nicht daran erinnern, dass die Brüder ihren Unmut geäußert hätten, als sie die Endfassung vor der Ausstrahlung gezeigt bekamen.

Einer, der die Episode sah und mochte, war Johan van der Schoot, ein Texter in einer Werbeagentur.

„Alle im Büro waren von dieser Doku begeistert. Danach wurde viel darüber gesprochen, zumindest in den Kreisen, in denen ich mich bewege.“

Zwei Jahre später, als die schwedische Versicherungsgesellschaft Trygg-Hansa eine neue Werbekampagne für ihre Spezialversicherungen benötigte, gehörte Johan zu dem Team, das vorschlug, Material aus dem Segment für einen Fernsehspot zu kaufen.

Die Agentur führte auch neue Interviews mit den Brüdern für Radiospots. „Trygg-Hansa verkauft Sachversicherungen, und diese Kerle liebten ihre Metal-Erinnerungsstücke“, erklärt van der Schoot. „Natürlich ging es ihnen um die Musik, aber eben auch um ihre T-Shirts, die Alben, das Metal-Auto und so weiter. In der Werbebranche soll man immer politisch korrekt sein und sich auf Fürsorge und Liebe den Menschen gegenüber konzentrieren. Zu sehen, wie die beiden stattdessen ihre Sammlung zu einem Fetisch machten, fand ich daher erfrischend; und es war eine so unmissverständliche Liebe.“

Der Werbeslogan lautete: „Schütze, was du liebst, indem du es bei Trygg-Hansa versicherst.“

„Sie riefen uns an und baten, Ausschnitte für eine Marketingkampagne verwenden zu dürfen“, rekapituliert Erik. „Ich sagte Nein. Dann begannen sie, uns mit Geld zu ködern. Ich glaube, sie boten uns zuerst zwanzigtausend Kronen, aber ich habe sie nur ausgelacht. Am Ende bekamen wir wesentlich mehr als das. Es reichte für zwei oder drei Iron-Maiden-Tourneen“, bemerkt er süffisant.

Die fünf TV- und Radiospots bescherten der ursprünglichen Sendung und den Brüdern einen noch höheren Kultstatus. Die Radiowerbung erregte so viel Aufsehen, dass sie mit dem renommiertesten Branchenpreis des Landes ausgezeichnet wurde.

Bis heute können die Brüder keine Kneipe betreten, ohne angesprochen zu werden – es würde wirklich jedes Mal passieren, wenn sie ausgehen, stellt Erik seufzend fest.

„Kürzlich habe ich den Begriff Gelotophobie entdeckt. Das ist die Angst davor, ständig ausgelacht zu werden. Ich habe etwas Ähnliches entwickelt. Jedes Mal, wenn ich an jemandem vorbeigehe, der sich amüsiert, habe ich das Gefühl, dass er mich auslacht, auch wenn er es nicht tut. Die Sendung brachte aber auch einige Vorteile mit sich, was Iron Maiden anging. Wir hatten sie schon vorher einige Male getroffen, konnten sie aber seitdem besser kennenlernen.“

Pelle pflichtet bei.

„Außerdem sahen viele Leute, die tolle Maiden-Raritäten besitzen, die Episode und dachten: ‚Das sollten die Hardrock-Brüder haben‘ – und dann bekamen wir die Sachen umsonst, statt bei eBay Unsummen dafür zu bezahlen.“

***

Erik Gustafsson lebt ganz Black-Metal-typisch in einer alten Militärfestung irgendwo mitten in Schweden. Er weist uns sehr deutlich an, nicht anzugeben, wo genau, da die schwedischen Streitkräfte nichts von seinem Wohnsitz wissen. Daher dürfen wir auch nicht mehr über sein Zuhause sagen, als dass das Gemäuer fensterlos und feucht ist. Es enthält ein Bett und Eriks Teil der Maiden-Sammlung. Zusammen besitzen die Brüder etwa zweitausend Schallplatten, und die Zahl ihrer Bandshirts liegt im vierstelligen Bereich. Der Kindersarg, den Nifelheim als Bühnenrequisit verwenden, steht in der Mitte einer dunklen Kammer nebenan wie eine zeremonielle Reliquie.

Erik führt uns durch die Zitadelle. Gleich vor seinem Schlafzimmer erstreckt sich ein langer Flur mit kleinen, zellenartigen Zimmern. Der Betonboden ist schmutzig, und die anliegenden Nischen sind voller Gerümpel. Er zeigt auf eine Vertiefung im Boden, die voller Dreck ist.

„Ich hatte vor, hier eine Matratze hinzulegen – damit ihr denkt, ich würde hier schlafen“, sagt er und lacht garstig.

Als wir ihn fragen, warum er es nicht getan hat, grinst er und zuckt mit den Schultern.

„Pah, ich hatte keine Zeit“, antwortet er und schlendert durch einen düsteren Tunnel davon.

Wir folgen ihm, und der Gang endet an einer unheimlich langen, steilen Treppe, die direkt in den Berg hinaufführt. Wohin genau, ist schwer zu erkennen, also zieht Erik einen schweren Hebel an der Wand, woraufhin die Treppe schlagartig von Glühbirnen erhellt wird. Sie endet in einem riesigen Gewölbe mit etlichen kleineren Räumen, in denen Bullaugen hinaus aufs Wasser zeigen. In einer Ecke steht ein langer stählerner Dreizack aus Betonstahl.

„Passt doch, oder? Er war schon hier, als ich eingezogen bin.“ Erik zeigt uns eine dicke Eisentür mit einem kleinen Gitterfenster.

„Da drin gibt es ein altes Verlies, in dem es spukt, also wirklich. Manchmal komme ich nachts hierher, um mich in Stimmung zu bringen, aber ich gehe nie wieder rein. Man spürt dort etwas ganz Seltsames.“

Er weigert sich, sich der Tür zu nähern, und wir sind auch nicht besonders scharf darauf, das zu tun.

Teile der verlassenen Berganlage sind in dem Musikvideo zu „Blinded by Light, Enlightened by Darkness“ der Death-Metal-Band Necrophobic zu sehen, das hier gedreht wurde. Erik erzählt, dass er oft Partys im Inneren des Berges schmeißt. Im Winter ist es bitterkalt und trostlos, aber im Sommer eignet es sich bestens für Grillpartys

Vor allem ist es die Metal-mäßigste Wohnung, die man sich vorstellen kann.

„Die wahre Hingabe zum Metal muss etwas Angeborenes sein“, sinniert Erik. „Ich muss drei oder vier Jahre alt gewesen sein, als ich zum ersten Mal Metal hörte. Ich weiß noch, meine Eltern hassten es, dass ich die Musik ständig hören wollte.“

Die eineiigen Zwillinge Erik und Pelle Gustafsson wurden in Dals Långed geboren, einem Dorf in der historischen Provinz Dalsland, das vor allem für die Steneby-Kunstschulen und die einzige Hufeisennagelfabrik Schwedens bekannt ist. Erik kam sechs Minuten vor seinem Bruder zur Welt – eine Tatsache, die er bei jeder Gelegenheit anspricht.

Ihr Vater war Antiquitätenhändler, ihre Mutter Lehrerin. Im Elternhaus bestand wenig Interesse an Musik, und in der Umgebung gab es keine Plattenläden. Ihr erstes Album kauften die beiden bei einer Auktion, als sie noch im Vorschulalter waren. Acts wie Steppenwolf, Alice Cooper und Jimi Hendrix waren die ersten, die sich ihnen einprägten.

„Ich war eine Zeit lang besessen von Kiss und AC/DC“, erzählt Erik. „Danach wurde es ernst. Als ich zum ersten Mal Iron Maiden hörte, war das sozusagen der Beginn eines neuen Kapitels. Es muss Piece of Mind gewesen sein. Mir kam es vor, als hätte ich einen Weg nach Hause gefunden.“

Neben Iron Maiden entdeckten die Brüder bald auch zunehmend härtere Musik. Die Familie reiste oft durch Schweden. Jedes Mal, wenn sie in einer neuen Stadt eintrafen, suchten die Brüder gleich den örtlichen Plattenladen auf und stöberten nach den Alben mit dem finstersten Coverartworks. So stießen sie auf Show No Mercy von Slayer und Sodoms Obsessed by Cruelty.

Etwa zur gleichen Zeit begannen die Zwillinge, selbst Musik zu machen. Erik besteht darauf, dass er vor seinem Bruder angefangen hat.

„Ich habe am Bass losgelegt. Ich schätze, jeder weiß warum.“

Er verdreht die Augen.

„Wegen Steve Harris, natürlich!“

Mit fünfzehn Jahren drängten die Brüder darauf, Dals Långed zu verlassen, und zogen in die Stadt Uddevalla, um ein Gymnasium mit Werbedesign als Unterrichtsschwerpunkt zu besuchen. Das war kurz vor der Computerrevolution, als man noch Letraset-Anreibefolien verwendete. Die Klasse verbrachte sechzehn Wochenstunden mit Beschriftungen von Hand.

Die Brüder lernten in der Schule andere Metalheads kennen und begannen, Partys in den umliegenden Dörfern zu besuchen. Sie besorgten sich Fanzines und standen bald mit Metal-Fans in ganz Schweden in Kontakt.

Als sie 1990 ihre eigene Band Nifelheim gründeten, gehörte neben Erik und Pelle ein Gitarrist dazu, der sich „Demon“ nannte.

In der nordischen Mythologie ist Niflheim (ohne e, wörtlich „Nebelheim“) das dunkle, unwirtliche Reich des Winters. Die Zwillinge entschieden sich mithilfe eines Klassenkameraden für den Namen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass alle bisherigen Einfälle bereits vergeben waren.

„Wir waren stark von Treblinka inspiriert, die gerade eine EP veröffentlicht hatten, und ich wollte etwas, das verstörend klang“, erklärt Erik. „Nifelheim hörte sich cool an. Wir waren allen anderen Bands, die altnordische Namen verwenden, ziemlich weit voraus. Darauf bin ich stolz. Als später ungefähr eine Milliarde neuer Bands mit ähnlichen Namen auftauchten, kotzte uns das an.“ SevereAbominations von Treblinka war eine der ersten schwedischen Black/Death-Metal-Veröffentlichungen auf Vinyl. Die meisten aus der Underground-Szene gelangten über Tauschgeschäfte an die Platte. Die Gustafssons allerdings nicht.

„Ich habe sie bei einer Auktion auf dem Land gefunden, als es gerade veröffentlicht worden war. Sie steckte in einer Plattenkiste zwischen einem Satz Traktorreifen. Es war reiner Zufall; ich hatte keine Ahnung, worum es sich handelte. Ich kaufte sie, weil sie heavy und cool aussah. Das Schicksal hat sich viele Male eingemischt.“

Inspiriert von Treblinka und Morbid, einer anderen Stockholmer Band, entwarf Erik das Nifelheim-Logo ebenfalls in Form einer Fledermaus mit eckigen Buchstaben.

In ihrem Proberaum bauten die beiden ein provisorisches Studio, das sie Moondark nannten, eine Anspielung auf das Sunlight Studio in Stockholm, die damals wichtigste Aufnahmestätte für Death Metal in Schweden. Die dort produzierte Musik – etwa Entombed oder Dismember – war für den Geschmack der Brüder viel zu soft.

Obwohl das Sunlight beileibe kein exklusives Studio war, machte das Moondark noch weniger her als sein Stockholmer Pendant. Statt Geld für Mikrofonständer auszugeben, klemmten die Zwillinge die Mikros an Äste, die sie an Küchenstühlen festbanden. Da ihr tragbares Aufnahmegerät nur vier Kanäle hatte, verlötete „Demon“ die Anschlüsse dreier Mikrofone in einem Brillenetui mit einem Ausgangskabel. Nifelheim begannen mit der Aufnahme von Demos.

Von Anfang an stellten die Brüder Regeln für die Band auf, etwa immer Nieten und Corpsepaint zu tragen und nie langsame Lieder zu schreiben oder über belanglose Dinge – also alles, was nicht satanisch war – zu singen.

Zu Hause in Dals Långed trafen sie sich mit Lennart „Phantom“ Larsson, einem der wenigen Metalheads, die sie kannten und zu denen sie Zugang hatten. Er war der Herausgeber zweier Hefte namens HeavyMetalMassacre und Backstage, schrieb aber auch für das einflussreiche norwegische Metal-Fanzine SlayerMag.

Larsson erinnert sich, fassungslos gewesen zu sein, als er eine Rezension des ersten Demos von Nifelheim in der Zeitschrift MetalZone las.

„Es hieß, sie kämen auch aus Dals Långed, was ich einfach nicht glauben konnte. Bald waren sie bei mir zu Hause und liehen sich Platten aus. Die beiden sind zusammen ziemlich amüsant. Sie haben einen Hang zum Ausschmücken, wenn man es so ausdrücken will.“

Lennart versorgte die Brüder mit Vinyl, Demos und – ganz wichtig – weiteren Bandempfehlungen.

„Er hatte unter anderem Volcano aus Brasilien“, erinnert sich Pelle. „Die kannten wir schon vom Namen her, aber er besaß die richtigen Alben. Damals gab es noch kein eBay, also musste man schon etwas mehr tun, als nur auf eine Schaltfläche zu klicken. Man musste sich auskennen. Schon merkwürdig, wie viele Leute aus diesem unbedeutenden Nest so viel zur Metal-Welt beigetragen haben.“

Nach ihrem Schulabschluss arbeiteten die Brüder in einer Volvo-Fabrik. Erik fertigte den Gurt an, mit dem man die Armlehne der Rückbank herausziehen konnte. Pelle verbrachte seine Tage in einem lauten, fensterlosen Raum mit der Herstellung von Kopfstützen. Das Mittagessen war an Arbeitstagen die einzige Pause.

„Es war unglaublich eintönig, ich wurde zu einem Roboter. Eines Tages dachte ich: ‚Verdammte Scheiße, ich bin müde. Ich sollte wohl besser neues Material besorgen und in die Gänge kommen.‘ Dann schaute ich hoch und sah einen Stapel fertiger Kopfstützen neben mir. Ich hatte dort drei Stunden lang Kopfstützen zusammengebaut, ohne es zu bemerken. Da dachte ich: ‚Es reicht, ich kündige‘, was ich dann auch tat.“

Zuvor malte er noch das Maiden-Maskottchen Eddie auf den Schaumstoff einer Kopfstütze. Irgendwo in Schweden gibt es einen Volvo mit diesem geheimen Kunstwerk unterm Stoffbezug.

Auch Erik kündigte. Da sie nun arbeitslos waren, zogen die beiden in das Küstenstädtchen Tanum, das für seine zahlreichen Felsritzungen aus der Bronzezeit bekannt ist.

„Damals wohnten dort viele wirklich witzige Metalheads“, entsinnt sich Pelle. „Perra von Satanized war einer von ihnen. Keine Berühmtheiten oder so, nur echt lässige Leute. Wie diese Greaser-Metal-Typen. Das ist mir viel lieber als diese Plastik-Metaller, deren Interesse an der Musik sich darauf beschränkt, im richtigen Outfit herumzustolzieren. In Tanum waren selbst gebrannter Schnaps und Saxon das Maß aller Dinge. Das hat mir gefallen, weißt du? Und aufgemotzte Karren. Das ist ein erstklassiger Stil.“

Als viele Metalheads aus der Gegend nach Göteborg zogen, folgten ihnen die Brüder. Sie nahmen sich gemeinsam eine Wohnung in der Vorstadt und gingen dazu über, mit Mitgliedern von At The Gates, Dissection, Swordmaster und anderen lokalen Bands abzuhängen. Sie nahmen auch ihr erstes Album auf. Das war noch in den frühen Neunzigern, als der skandinavische Black Metal mit voller Wucht im Underground einschlug. Einige Personen aus Nifelheims Umfeld begannen, mit Satanismus zu experimentieren. Obwohl die Brüder dem Wesenskern des Black Metal treu geblieben sind, haben sie sich nie als Satanisten bekannt.

„Ich fühle mich gewissermaßen zur dunklen Seite hingezogen“, sagt Erik. „Das ist das Gleiche wie mit Metal selbst; ich kann es nicht in Worte fassen. Es ist etwas, das ich fühle. Aber wenn man sich auf dieses Zeug einlässt, muss man man sehr vorsichtig damit umgehen.“

Nifelheims selbstbetiteltes Album erschien 1994 mit Jon Nödtveidt und John Zwetsloot von Dissection an den Gitarren und verkaufte sich rasch dreißigtausend Mal. Nach der Veröffentlichung ihres zweiten Albums Devil’s Force 1997 wurden die Brüder von dem amerikanischen Regisseur Harmony Korine kontaktiert, der sie bat, eine besondere Version ihres Songs „Hellish Blasphemy“ für den Soundtrack seines Arthouse-White-Trash-Films Gummo aufzunehmen. Nifelheims Publikum wurde durch diese unerwartete öffentliche Aufmerksamkeit erheblich größer, und mit dem dritten Album Servants of Darkness (2000) festigten sie ihren Ruf weiter. Die Platte ist ein beispielloser Tribut an den melodischen Black Metal und spiegelt auf wunderbare Weise die Ideale der ersten Welle des Genres in den Achtzigern wider.

Erik zeigt uns Bilder von Partys aus jener Zeit. Sie beinhalten Göteborger Legenden wie Tompa Lindberg und die Björler-Zwillinge (alle drei At The Gates). Ein weiterer häufiger Teilnehmer war Patrik „Onkel“ Andersson, den man in Schweden als „The Shit Man“ kennt. Dieser wenig schmeichelhafte Spitzname rührte von Patriks tiefer Faszination für Urin und Fäkalien her. Onkel war unter anderem dafür bekannt, bei Musikfestivals in Mobiltoiletten zu steigen. Erik erzählt, dass sie auf dem heute nicht mehr veranstalteten Hultsfred Festival zusammen reichlich Chaos stifteten.

„In einem Jahr wollten wir etwas richtig Großes durchziehen. Ein Metal-Kumpel hatte auf dem Weg zum Festival ein Reh angefahren und es in den Kofferraum seines Wagens gelegt. Unser Plan bestand darin, einer Gruppe sensibel wirkender Teenie-Mädchen übel mitzuspielen. Sobald wir ihr Zelt ausfindig gemacht hatten, wollten wir den Kadaver, der echt makaber aussah, in einen ihrer Schlafsäcke stecken und dann einfach warteten, bis das Gekreische losging. Als wir ihn aber holen wollten, war er weg. Anscheinend hatte die Polizei oder der Sicherheitsdienst ihn beschlagnahmt. Das war so enttäuschend, denn wir hatten alles ausgekundschaftet und uns voll reingesteigert. Es war trotzdem ein verdammt guter Plan.“

Die Brüder wohnten zusammen und arbeiteten in den gleichen Jobs, bis Erik 2002 nach Stockholm ging. Pelle zog in Uddevalla zu seiner Freundin.

„Alles beruhigte sich, als sie sich schließlich trennten“, sagt Peter Stjärnvind. Da er selbst Zwilling ist, kennt er das andauernde Gezanke zwischen engen Geschwistern sehr gut.

„Sie streiten immer noch viel, über fast alles; darüber, dass einer vor einer Show den Nietengürtel des anderen klaut, dass einer sich weigert, dem anderen zu helfen, oder einfach nur, weil einer dem anderen im Weg steht. Meinungsverschiedenheiten über den Kindersarg, ob er auf die Bühne passt oder nicht.“

Obwohl Metal schon seit etwa sechzig Jahren als Genre existiert, sind viele Leute immer noch der Meinung, es sei etwas, aus dem man irgendwann herauswächst, und bezeichnen die Musik als unreif. Natürlich bewegt sich extremer Metal auf einem schmalen Grat und kann albern werden. Für Black-Metal-Fans gehen Nifelheim ebendiesen Mittelweg – und die Zwillinge sind sich dessen wohl bewusst. Beim Sweden Rock Festival 2004 betrat Pelle die Bühne und rief ins Publikum: „Amüsiert ihr euch?“, was es mit einem kollektiven „Jaaaaah!“ beantwortete.

Pelle brüllte zurück: „TJA, DAMIT IST JETZT SCHLUSS!“

„Wir wollten schon immer ein lästiger Finger im Arsch von so ziemlich allem und jedem sein. Andererseits muss ich sagen, dass immer eine gewisse Ernsthaftigkeit dahintersteckt. Ich glaube gewiss nicht, Metal sei bloß Spaß – ich finde ihn genial, wahrhaftig.“

Jenny Walroth, eine langjährige Freundin der Band, erinnert sich, wie sie und Erik einmal ein Spirituosengeschäft in Stockholm verließen. Draußen auf der Straße stießen sie auf einen arg heruntergekommenen Junkie mit schrecklich aufgedunsenem Gesicht. Als er Erik sah, fauchte er: „Into the morbid black!“ Das ist der Titel eines Songs auf Servants of Darkness.

„Erik war begeistert und sagte, das sei GENAU die Art von Fan, die er sich wünsche. Ich glaube nicht, dass ich ihn je so gut gelaunt wegen etwas erlebt habe, das nicht mit Iron Maiden zusammenhing.“

Die Brüder sind Iron Maiden weiterhin auf ihren Touren durch Europa gefolgt. Seit ihrem zum Zeitpunkt unseres Treffens letzten Album Envoy of Lucifer sind zehn Jahre vergangen, aber es besteht keine unmittelbare Eile, neues Material aufzunehmen. Nifelheim hatten nie einen großen kommerziellen Durchbruch, sind jedoch mit ihrer kompromisslosen Metal-Attitüde zu einer Gruppe geworden, an der sich viele andere orientieren.

Erik erzählt uns, dass er sich gerade einen neuen Slogan für die Band ausgedacht hat.

„Wie eine Kettensäge an den Wurzeln von Yggdrasil“, gluckst er mit einer gewissen Befriedigung. „Das fiel mir heute Morgen ein.“

Er sagt, gleich bei der Gründung der Band sei ein Beschluss gefasst worden.

„In den frühen Neunzigern gaben alle vor, etwas zu sein, das sie nicht waren. Wir wollten das Gegenteil tun. Wir versuchten, alles zu vereinfachen, indem wir die primitivsten Formulierungen verwendeten, die uns einfielen. Statt etwas düster Poetisches oder Kompliziertes von uns zu geben, sagten wir: Fuck off!“

Den beißenden Sarkasmus der Brüder schriftlich wiederzugeben ist schwierig. Darum hat die Band nach einer langen Phase der Misstrauens gegenüber Journalisten endgültig aufgehört, Interviews zu geben.

„Ich verstehe sie“, sagt Peter Stjärnvind. „Sie werden immer belächelt. Niemand macht sich über Watain lustig, obwohl sie genauso leidenschaftlich überzeugt von dem sind, was sie tun. Was hingegen Nifelheim angeht, fällt es leicht, sich über sie lustig zu machen. Wahrscheinlich macht es mehr Spaß, Landeier zu verarschen. Da kann jeder Trottel mit einsteigen.“

Das Faszinierende an Nifelheim und den Gustafsson-Zwillingen besteht darin, dass sich ihre aufrichtige Liebe zum Black Metal und der Wunsch, etwas möglichst Räudiges, Bösartiges zu schaffen, mit ihrem grundsätzlichen Wesen als Menschen beißen. Sie geraten trotz ihres Unbehagens in Situationen, in denen sie interviewt werden, weil sie von Natur aus entgegenkommend und höflich sind. Peter Stjärnvind sieht in diesem Widerspruch kein Konfliktpotenzial.

„So wie sie sind, kann man sie nur als gute Menschen wahrnehmen. Das ist meiner Meinung nach aber auch gut so. Sie sind wie zwei kleine alte Männer. Wenn sie Kaffee trinken, dann nur aus diesen winzigen Großmuttertassen, vorzugsweise auf einem Tablett und natürlich mit ein paar Keksen. Wenn du sie zu Besuch hast, holst du besser dein Porzellan heraus. Es ist charmant und gleichzeitig urkomisch.“

Im Januar 2011 – ironischerweise am fünfunddreißigsten Geburtstag der Gustafssons – enthüllte die schwedische Boulevardzeitung Aftonbladet, dass der bekannte Regisseur Ulf Malmros an einem Film über zwei erwachsene Metal-Brüder aus einem hinterwäldlerischen Dorf in Schweden arbeite. Malmros erklärte in dem Interview, dass er sich von der Dokumentation über die kanadische Metal-Band Anvil und dem klassischen alten Propaganda-Beitrag des schwedischen Fernsehens inspirieren ließ. Er betonte, sein Film würde nicht von den Gustafsson-Brüdern handeln, doch diese Art von tiefer Hingabe fasziniere ihn schon lange. Der Titel des Films lautet Mammas pojkar („Mamas Jungs“).

Erik klingt erschöpft, als wir ihn anrufen.

„In meiner Welt ist das nur das Sahnehäubchen auf einem Kuchen aus nichts. Wer hätte gedacht, dass es mich für den Rest meines Lebens verfolgen würde, einmal auf der Straße um Pferdeäpfel herumgefahren zu sein. Es ist unwirklich. Es ist Zeit für eine weitere Abreibung, damit sich irgendein Glücksritter einen Spaß daraus machen kann. Und ich muss jedes Mal, wenn ich ein Brot kaufe, als lebende Reklame für den Film herhalten. Ihr könnt euch bestimmt vorstellen, wie sich das anfühlt.“

Er erwähnt, sie beide hätten einen Rechtsberater aufgesucht, um zu schauen, was machbar ist, um sich von dem Filmprojekt zu distanzieren.

„Du verspottest und verhöhnst jeden auf der ganzen Welt, bist aber am Ende selbst die größte Lachnummer. Das ist ein verdammt ironisches Schicksal.“

Ulf Malmros’ Spielfilm feierte zu Weihnachten 2012 als Mammas pojkar (Momma’s boys) Premiere und erhielt durchwachsene Bewertungen.

Anfang 2023 endete Nifelheims aktive Zeit, teilweise aufgrund von Meinungs­verschiedenheiten über die Fertigstellung eines neuen, noch unveröffentlichten Albums. „Die Band ist gestorben. Nifelheim liegen derzeit im frostigen Reich aus Nebel, Dunkelheit und Kälte, weshalb niemand weiß, was vor sich geht. Es ist einfach sehr dunkel“, erklärte Erik im Mai 2023 im Podcast Rockpodden.

Erik ist jetzt Sänger und Leadgitarrist der Biker-Rockband Crank. Pelle ist Frontmann der neuen Combo Hellbutcher.

II. Zu viel verdammter Glibber

Eigentlich braucht niemand sechs Marshall-Boxen und vier Verstärker. Ich wollte es aber so. Es war mein Ding.

– Ragne Wahlquist, Heavy Load

Das Jarla-Theater befindet sich an der Grenze zwischen den piekfeinen Stockholmer Innenstadtteilen Östermalm und Vasastan. Es handelt sich um einen Schul- und Theaterkomplex aus den frühen 1930ern, der vom schwedischen Staat als „kulturell bedeutsam“ eingestuft wurde. In der zweiten Hälfte der Siebziger fanden dort einige der denkwürdigsten Konzerte jener Zeit statt. Die Ramones spielten hier, als sie im Mai 1977 zum ersten Mal nach Stockholm kamen, und das aufgekratzte Publikum riss die ersten vier Sitzreihen aus dem Boden.

Bei einem weiteren Vorfall zwei Jahre später nahm die Einrichtung auf andere Weise Schaden.

Die Band auf der Bühne hieß Heavy Load, angeführt von den Wahlquist-Brüdern Ragne und Styrbjörn. Ein Teenager namens Anders Tengner, der Jahre später Schwedens wichtigster Metal-­Journalist werden sollte, versteckte sich gerade so außerhalb des Kegels der Bühnenscheinwerfer.

Er fummelte an einem selbst gebauten Sprengsatz herum. Die Bomben auf der Bühne hatte der Pyrotechniker Gunnar Ousbäck gebaut, in dessen Lebenslauf auch Filmproduktionen des weltberühmten Regisseurs Ingmar Bergman stehen.

„Ousbäck war völlig übergeschnappt. Er rauchte Zigaretten in seinem Büro, das mit Dynamit, Schießpulver und allem möglichen Scheiß vollgestopft war“, erinnert sich Tengner. „Wir riefen ihn vor den Auftritten an, um ihm mitzuteilen, was wir brauchten. Wir nannten den Sprengstoff Glibber.“

Eine von Tengners Aufgaben als Allroundhandwerker der Band bestand darin, „den Glibber hochzujagen“.

Der erfahrene Pyrotechniker hatte in der fraglichen Nacht einen kleinen Fehler beim Mischen des Sprengstoffs gemacht, ohne dass die anderen davon wussten.

„Als ich den Knopf drückte, war die Explosion so stark, dass der Putz von der Decke fiel“, sagt er. „In den Bomben steckte einfach zu viel verfluchter Glibber! Zuerst dachte ich, wir hätten das ganze Publikum ausradiert. Die Leute husteten, ihre Gesichter waren weiß von dem ganzen Staub.“

Jemand in der ersten Reihe wurde zurückgeschleudert und knallte mit dem Kopf gegen die Sitzreihe hinter ihm. Heavy-Load-Gitarrist und -Sänger Ragne Wahlquist weiß noch, dass die Druckwelle ihn in die Luft hob und einen guten Teil seiner Haare verbrannte.

„Das hat mir glatt das Kabel aus der Gitarre gerissen. Alles wurde totenstill. Von dem Behälter mit dem Glibber war nichts mehr übrig – auf dem Boden lag nur noch ein Montagebrett.“

Die anderen drei Bandmitglieder hörten erst auf zu spielen, als Schlagzeuger Styrbjörn Wahlquist eine weitere Bombe wenige Meter von seinem Kopf entfernt bemerkte.

„Ich dachte: ‚Was wissen wir wirklich über Anders? Vielleicht zündet er ja auch die nächste Bombe!‘ Also musste ich aufhören, und es war einfach absolut still. Die Leute standen bloß da und glotzten, in totalem Schockzustand.“

„Komischerweise ist niemand ausgeflippt oder hat uns darauf hingewiesen, dass unser Setup potenziell lebensbedrohlich war“, fügt Ragne hinzu. „Die Leute, mit denen ich danach gesprochen habe, fanden es unglaublich cool.“

Der damalige Bassist der Band war ein großer Finne namens Eero Koivisto. Er tut die Geschichte über die einstürzende Decke gewissermaßen als modernes Märchen ab.

„Es war nicht ganz so dramatisch, wie die Leute es gern darstellen. Andererseits war ich schon immer der Meinung, unser Sprengstoff sei zu stark.“

Wenn man Leif Edling, den Bassisten der Doom-Metal-Band Candlemass, nach der ersten richtigen Heavy-Metal-Combo aus Schweden fragt, gibt es für ihn keinen Zweifel.

„Heavy Load. Sie waren die erste Band, die ich je mit einer ganzen Wand aus Marshall-Türmen auf der Bühne gesehen habe.“

Edling wuchs in Upplands Väsby auf, einem Vorort am nördlichen Zipfel von Stockholm, und kam schon früh mit der jungen schwedischen Metal-Szene in Berührung. Er erinnert sich, in den frühen Achtzigern überall in der Stadt große Heavy-Load-Plakate mit brutalen Wikingermotiven gesehen zu haben.

„Wir fragten uns, wie zum Teufel sie sich das leisten konnten. Wie ich aber später erfuhr, arbeitete eines der Bandmitglieder tatsächlich in einer Druckerei.“

Die Frage, wo man die Grenze zwischen Hardrock und Heavy Metal zieht, ist schwierig zu beantworten und war schon Gegenstand vieler Diskussionen. Eine Faustregel besagt, dass man Künstler mit bluesigen und melodischen Elementen häufig der Kategorie Hardrock zuordnen kann, während Metal-Bands in der Regel härtere, weniger Groove-betonte, eindeutig nicht auf dem Blues beruhende Kompositionen mit Gewalt- oder Teufelstexten kombinieren.

En ny tid är här („Ein Neues Zeitalter ist hier“), das Debütalbum der Stockholmer Band November, kam 1970 heraus und gilt gemeinhin als erstes schwedisches Hardrock-Album überhaupt. November tauchten 1969 in dem Stockholmer Vorort Vällingby auf und spielten zunächst Blues-lastigen Rock mit Einflüssen von Cream, Mountain und Led Zeppelin.

Texte in ihrer Muttersprache halfen ihnen, sich in die schwedische Musikszene der frühen Siebziger zu integrieren. En ny tid är här erreichte Platz zwei in den landesweiten Albumcharts, hinter Simon & Garfunkels Bridge over Troubled Water.

Nur zwei Jahre später trennten sich die Wege der Bandmitglieder, die nach drei Alben im Verbund mit ausgiebigen Tourneen ausgebrannt waren. Der Titel ihres Albums hätte jedoch nicht treffender sein können: Der schwedischen Musik stand eine turbulente Zeit bevor.

In den Sechzigern wurde die Jugendkultur im Land von Chart-orientierten Radiosendungen und braven Pop-Magazinen bestimmt. Die einzige Möglichkeit für schwedische Bands mit einem Funken Ehrgeiz bestand darin, internationale Pop-Acts nachzuahmen.

Doch jenseits der Charts und exklusiven Büros großer Plattenfirmen braute sich ein Aufruhr zusammen. Zwei illegale Musikfestivals in Stockholm läuteten 1970 die musikalische Revolution ein. Auf der Bühne standen alternative Bands wie Träd, Gräs och Stenar, Arbete och Fritid und Det Europeiska Missnöjets Grunder.

In den folgenden Jahren entstanden mehrere unabhängige Labels und Gruppen, die stark von der damals vorherrschenden linken Politik beeinflusst waren. Sie wurden einheitlich als Musikrörelsen („Die Musikbewegung“) bezeichnet und sollten das Gesicht der Branche drastisch verändern. Trotz ihrer basisdemokratischen Haltung und der Absicht, konservative Normen aufzuweichen, war die Musik­rörelsen für die erste Welle schwedischer Hardrock-Bands eher hinderlich als förderlich. Außerdem sorgte sie dafür, dass es in den frühen Siebzigern praktisch keine Rock-Acts ohne offenkundig politische Ausrichtung in Schweden gab.

Verdeutlicht wird die problematische Beziehung zwischen dem schwedischen Hardrock und der Musikrörelsen durch eine Rezension von A Dream of Glory and Pride, dem 1974er-Debütalbum der Stockholmer Band Neon Rose, in der Zeitschrift MusikensMakt („Macht der Musik“), die das Sprachrohr der Bewegung war.

Der Kritiker Tomas Tengby fasste seine Eindrücke von dem Album so zusammen: „Ein Abzockerprodukt. Von Kommerzbetrügern.“ Er geht sogar so weit, auf ein ganz anderes Album hinzuweisen, das seine Kriterien für Qualitätsrock erfüllt: För full hals von Nynningen aus Göteborg, die darauf Gedichte des russischen Dichters Wladimir Majakowski vertonten.

„Damals sollte die Musik am besten im Wald mit zwei Holzschuhen als Tonbandgerät aufgenommen werden“, bemerkt Neon-Rose-Sänger Roger Holegård. „Wir gehörten nicht zu dieser Szene.“

Neon Rose hatten englische Texte und waren die erste schwedische Hardrock-Band, die den Look ihrer internationalen Vorbilder übernahm. Sie trugen Lederjacken ohne Hemden und traten live gelegentlich in weißen Anzügen auf, selbst bei kleineren Auftritten in örtlichen Jugendzentren. Zu allem Überfluss wurde ihr Album auch noch von einem ausländischen Label veröffentlicht.

„Es gab sogar Anschuldigungen, unsere Plattenfirma würde Waffen und Kriegsgerät herstellen“, ergänzt Roger. „So weit hergeholt waren die Diskussionen. Dass Vertigo Waffenhändler waren, bezweifle ich irgendwie. Sei’s drum, sind wir dem auf den Grund gegangen, bevor wir den Vertrag unterzeichnet haben? Nein, natürlich nicht.“

Während seiner Jugend in Upplands Väsby erkannte Leif Edling die Auswirkungen der dominanten Stellung der Musikrörelsen deutlich.

„Wenn dort, wo ich aufgewachsen bin, ein Musikfestival stattfand, war es immer ein Haufen alter Männer mit langen Bärten, die politischen Folk Rock spielten.“

Beatles und Rolling Stones waren in den späten Sechzigern die beliebtesten Interpreten auf dem tragbaren Grammofon der Familie Wahlquist – es sei denn, Vater Ingemar saß am Klavier und spielte Schubert oder deutsche Kunstlieder.

Als sie im Sommer 1972 ihre Großmutter in Norwegen besuchten, hörten die Brüder zum ersten Mal das Deep-Purple-Album MachineHead. Danach war nichts mehr so wie zuvor.

„Ragne geriet völlig aus dem Häuschen“, erinnert sich Styrbjörn. „So wie ich, als ich zum ersten Mal ‚Highway Star‘ hörte. Es war eine völlig neue Welt. Wir waren an die Beatles und die Stones gewöhnt, im Grunde an Gesang mit einer Begleitband. Dies klang nun wesentlich kraftvoller und eingängiger. Unheimlich viel wurde durch das Schlagzeug ausgedrückt. Aber was mich wirklich beeindruckt hat, war der lange Vorlauf des Songs, bis Gesang einsetzte.“

Nach ihrer Rückkehr nach Stockholm lief MachineHead ein ganzes Jahr lang ununterbrochen auf dem Plattenspieler der Familie.

„Zu diesem Zeitpunkt konnten wir es uns leisten, ein weiteres Deep-Purple-Album zu kaufen. Ich besorgte Made in Japan, das wir dann während des ganzen folgenden Jahres hörten“, erzählt Styrbjörn.

Die Brüder begannen, im Keller ihres Elternhauses im Karlavägen im Stockholmer Stadtteil Östermalm zu proben, aber die Nachbarn beschwerten sich. Nachdem Ragne seinen Militärpflichtdienst geleistet hatte, zog die junge Band in ein Jugendzentrum um. Ein Bassist wurde rekrutiert, und das Trio nahm den Namen Heavy Load an, da seine Backline schon ziemlich massiv war.