Book of Sirens - T.K. Alice - E-Book

Book of Sirens E-Book

T.K. Alice

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Beschreibung

Manche Dinge erscheinen viel einfacher, als sie es wirklich sind.
Manche Dinge sind dafür viel einfacher, als sie erscheinen
Und manche Dinge, sind schlicht und ergreifend Magie

The Witchcraft Chronicles


Der Umzug des vom Schicksal geplagten Noah in das alte Haus seiner Großeltern, sollte zunächst ein großer Neuanfang für ihn sein - doch das gestaltet sich weit schwieriger als gedacht.
Als er eines Morgens seine Tasche aus dem Keller bergen möchte und dabei in eine abgelegene Ecke vordringt, stößt er auf etwas Seltsames. Ein Buch - versteckt unter den Dielen, neben der in ein Tuch gewickelten Kette seiner Mutter.
Zusammen mit seinem besten Freund Eddie, will er dem auf den Grund gehen, da ihm irgendetwas an dieser ganzen Sache, einfach nicht geheuer scheint.
Doch gerade als er tiefer gräbt und weiter in das Geheimnis vorzudringen scheint, wird ihm erst klar, wie tief er bereits von Anfang an darin verwoben war...

Kann er das Geheimnis lüften und seine Zukunft schützen?
Was ist außerdem mit dem mysteriösen Aiden, der ihm nicht ganz uneigennützig helfen will? – Und was ist, wenn Noah bald sehr viel mehr für seinen Retter empfindet, als er eigentlich sollte?

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T.K. Alice

Book of Sirens

The Witchcraft Chronicles Ⅰ

Ich widme diesen ersten Band der lieben Joan Darque - welche so nett und geduldig war, mir in der Zeit, als ich es selbst noch nicht konnte, diese wundervollen Cover zu erstellen, so wie ich es mir vorgestellt hatte. Ob jemand anderes es genauso gut hinbekommen hätte, weiß ich nicht, aber ich bin ihr in jedem Fall dankbar, dass sie mir zugehört hat und etwas so Schönes erschaffen konnte.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Prologue

 

Mum...

„Geh hier rein. Erinnerst du dich? Unser Geheimversteck…“

Der Boden ist kalt. Das Versteck ist so klein…

Mama.

„Bleib hier, mein Schatz…bleib hier und mach keinen Mucks.“

Ich habe Angst...

„Mummy… geh nicht weg…“

Lass mich nicht allein.

„Es wird alles gut werden…nicht weinen, mein Schatz. Ich muss gehen – aber ich komme sofort wieder, wenn ich alles erledigt habe. Und du versteckst dich brav  hier drin, bis ich dich holen komme!“

„Mummy, nicht…“

„Ich muss gehen – bitte sei ruhig…bitte, mein Schatz, du musst jetzt tapfer sein, okay? Ich komme sofort wieder, bitte sei nicht traurig.“

Sie sieht aber traurig aus.

Und sie weint.

„Mummy…warum weinst du?“

Ich strecke meine Hand nach ihr aus.

Sie schiebt sie zurück. „Es ist nichts. Alles in Ordnung…ich muss mich nur um ein paar böse Menschen kümmern…es ist sehr wichtig.“

„Böse Menschen?“

„Ja, sehr böse, sehr mächtige. Sie wollen uns wehtun, aber das werde ich verhindern und es ist wichtig, das du das verstehst – ich weiß, es ist schwierig, aber…“

„Hm…aber ich will nicht…“

„Tu es für mich, okay? Komm schon - für Mummy!“

Ich höre Poltern. Meine Mum wirkt nicht sehr glücklich.

„Okay…“

Jetzt sieht sie wenigstens nicht mehr so traurig aus.

„Schön…und schön hier bleiben, egal was passiert – egal was du hörst oder siehst. Hier bleiben, verstehst du?“

Ich nicke nur…es ist so kalt hier.

„Gut. Gib deiner Mum noch einen Kuss…und keine Sorge, ich werde sofort wieder kommen und dich holen. Und später kommt Daddy und dann gehen wir zusammen zu Oma und Opa, okay? Ich habe dich sehr lieb, verstehst du? Ich liebe dich, mein Junge.“

Ein Kuss, dann ist sie auch schon weg…

 

Sie war so schnell weg…weg und hat mich hier allein gelassen.

Ich sehe mich um. Finster.

Im Haus poltert es wieder. Immer lauter.

Ich kann Leute hören. Meine Mum.

Ich soll still sein.

Hier bleiben. An diesem dunklen Ort.

Ich halte mir die Ohren zu.

Es ist so dunkel.

Ich kann sie immer noch hören.

Und ich weiß nicht, wieso ich weine.

Aber ich denke…

 

…sie wird mich nicht wieder holen kommen.

Chapter 1: Moving In

 

„Nein danke, ist schon okay. Wir kommen zurecht“, höre ich meinen Onkel Charlie noch lachend sagen, als er den neuen Nachbarn verabschiedet – wir haben hier eigentlich keine direkten Nachbarn, aber man könnte sagen, es war der Mensch, den man am ehesten als Nachbarn bezeichnen kann. Der nächste Anwohner eben.

Meine Aufmerksamkeit gilt ihm jedoch nur teilweise – meine Konzentration bezieht sich im Moment eher auf das Haus vor mir. Das große, alte Haus, das schon seit Jahrzehnten, oder Jahrhunderten im Besitz der Familie Reagan – meiner Familie – war.

Doch diese Familie existiert nun nicht mehr. Meine Mutter und deren Mutter, waren die Letzten. Und ich trage einen anderen Namen.

Es ist schade.

Die Kiste auf meinen Armen mit einem Knie wieder in Position rückend, marschiere den kurzen Weg zur Tür, um einzutreten.

Es ist gewiss nicht das erste Mal, dass ich hier in diesem Haus bin. Als ich das erste Mal hier war, war ich noch so klein, dass ich mich nicht einmal daran erinnern kann.

Aber ich weiß noch… das erste Mal, an das ich mich zurück erinnern kann, war an einem Geburtstag. Und schon im ersten Moment wusste ich, dass ich zu Hause war. 

Dass ich mich dort geborgen fühlen konnte.

Mein Onkel Charlie meinte immer, in dem Haus würde es spuken. Dass etwas nicht ganz in Ordnung sei – das würde er spüren. Besonders im Keller.

Doch ich selbst spürte in diesem Haus immer nur Wärme und Liebe.

Aber jetzt…

Jetzt, als ich mit meiner Kiste im Eingangsbereich stehe, will ich nur noch weg.

Es ist kalt.

Es ist dunkel.

Es ist leer.

Die Bewohner sind verstorben und mit ihnen auch die Seele dieses alten Hauses. Als würde seine Geschichte hier enden und mit mir hat sie nichts mehr zu tun.

Viele Leute hier glauben, dass es sich um ein Hexenhaus handelt – aber wen wundert es? Wir sind hier immerhin in Salem, Massachusetts.

In der Stadt der Hexen.

Sowas Albernes.

Klar, so eine Geschichte zieht Touristen an. Kein Ding. Aber es stimmt einfach nicht, weil es eben keine Hexerei gibt. Das sind doch alles Ammenmärchen – und dabei ist es wirklich Ironie des Schicksals, dass die größten Skeptiker selbst, in der für Hexen bekanntesten Stadt zu leben scheinen, die es überhaupt gibt. Mich eingeschlossen.

Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass man von der Stadt zu einem Skeptiker und Pessimisten erzogen wird – ich weiß es nicht. Doch das ist nun auch nicht so wichtig.

Das Haus ist jetzt jedenfalls wirklich nicht mehr so schön wie damals.

Doch anders ging es nicht…

 

„Noah, es geht nicht!“, schreit er mich fast an.

Ich habe meinen Onkel noch nie so in Rage erlebt. Er schreit eigentlich nie – ist immer die Ruhe selbst und absolut gefasst.

„Aber…“, fange ich an und ich kann die Tränen in meinen Augenwinkeln spüren. Irgendwie erbärmlich für einen Jungen in meinem Alter, aber ich kann es nicht ändern.

Mein Onkel tritt auf mich zu, mit einem traurigen Gesichtsausdruck auf seinen Zügen. „Du kannst hier nicht bleiben. Das Haus wird verkauft. Die Hypotheken wurden nicht bezahlt und dein Vater braucht professionelle Hilfe – siehst du das denn nicht?!“

Ich antworte nicht. Sehe ihn nur stumm an.

Wie, als würde er dadurch eher eine Antworte erwarten, greift er nach meinen Schultern und schüttelt mich leicht, doch ich kann dennoch nichts erwidern.

Ich kann einfach nicht.

Erst meine Mutter. Dann meine Großeltern. Nun mein Vater.

Ich will nicht auch noch mein Zuhause verlieren!

Aber er hat Recht…bleiben kann ich auch nicht.

Es ist vorbei. Endgültig.

 

Nachdem wir damals zusammen das Haus verlassen haben, habe ich es nie wieder betreten.

Man hat mein Zimmer ausräumen und das Haus verschließen lassen.

Ich habe sie alle dafür gehasst. Für alles.

Aber ich bin kein Kind mehr und weiß, dass man nicht alles haben kann. Manchmal muss man Kompromisse eingehen. Und manchmal muss man einfach Dinge tun, die einem nicht gefallen.

Oder die man sogar hasst.

Ich habe es lernen müssen und musste einige Zeit mit meinem Onkel leben, bis wir beschlossen, in das Haus meiner Großeltern zu ziehen.

Sie haben es uns nach ihrem Tod hinterlassen – und zwar an alle. Auch an Onkel Charlie.

Wir hätten locker zu dritt hinein gepasst – sogar zu sechst.

Doch meine Mutter ist tot, so wie auch meine Großeltern. Und sie alle sind in diesem Haus gestorben.

Seltsamerweise ist es nicht das, was mich ein solches Unbehagen fühlen lässt.

Es ist etwas Anderes. Aber ich weiß nicht, was.

„Noah?“, bringt mich die Stimme meines Onkels wieder zurück in die Realität.

„Was denn?“, nuschle ich in seine Richtung.

„Du… solltest dir ein Zimmer aussuchen. Soweit ich weiß, sind sie noch immer möbliert. Es wird noch ein bisschen dauern, bis all deine eigenen Sachen aus dem Container wieder hergeschafft werden – mindestens bis morgen“, sagt er langsam. „Aber du kannst dich ja dennoch soweit einrichten.“

Seine Stimme klingt sanft – vorsichtig. Es wirkt, als würde er auf jedes Wort achten, das er sagt. Als hätte er Angst, mich zu verschrecken, oder vor dem, was auch immer geschehen mag, sollte er doch mal etwas Falsches sagen.

So als wäre ich ein wildes Tier.

Es ist schon seltsam. Seit der Sache in unserem Haus, hält er mich für verrückt.

Wie meine halbe Schule.

Mein Vater war nur Schizophren – okay, ‘nur‘ ist vielleicht doch ein wenig falsch ausgedrückt. Aber er war nicht komplett gestört, oder ähnliches.

Ich habe versucht, es irgendwie geheim zu halten. Seine Schübe kamen nur einfach immer häufiger. Immer schlimmer.

Am Ende hat er mich nicht einmal mehr wiedererkannt.

Dann kam das Problem mit der Hypothek und seiner Arbeit. Letztendlich kam dann irgendwann jemand, um die Sache zu überprüfen… und da kam alles raus.

Mein Vater wurde als ‚nicht mehr zurechnungsfähig‘ befunden, und mein Onkel Charlie hat die Vormundschaft für mich übernommen.

Schon komisch. Mein Vater hat mir schon einmal erzählt, dass er krank war.

Charlie ebenfalls.

Allerdings dachten sie, es sei verschwunden – was technisch gesehen unmöglich war, aber es schien so. Es ging ihm gut. Das sagte jeder und es war auch so.

Keine Schübe mehr. Keine Paranoia. Keine Positiv-, und auch keine Negativsymptome.

Nichts. Alles in Ordnung.

Und dann, nach Mom‘s Tod, ging plötzlich alles wieder von vorne los. Anfangs immer nur ganz leicht, doch nachdem auch meine Großeltern vor wenigen Jahren verstorben sind, wurde es sehr schnell, immer schlimmer.

Dann hat es nicht mehr lange gedauert.

Und vor drei Monaten dann…

Naja, jedenfalls halten mich einige hier für verrückt. Wie diese Leute aus Horrorfilmen, die gestörte Familienmitglieder bei sich zu Hause halten, um sie zu ‘beschützen‘.

Mein Vater ist jedoch nicht gestört – jedenfalls nicht auf diese Weise – und keine Gefahr für andere, indem er sie angreift, oder ähnliches. Wie die kleine Schwester, aus House at the End of the Street, zum Beispiel.

Aber die Leute glauben es. Weil sie einfach keine Ahnung haben.

Immer nur reden, aber nichts verstehen.

Doch es ist mir egal. Alles.

Mein Onkel wird sich auch wieder einkriegen. Er denkt sowieso, er müsse mich nun wie ein rohes Ei behandeln, weil ich praktisch allein auf der Welt bin.

Aber ich bin es gewohnt, allein gelassen zu werden.

Gewohnt, dass die Leute nicht zu mir zurückkehren.

Es ist wohl einfach so. Und ich komme damit klar.

Das krieg ich hin.

 

„Hey, Noah, was‘n los?“

Die Stimme, die mich gerade aus meinen Gedanken reißt, ist die meines wohl besten Freundes – Edward Preslyn. Aber alle nennen ihn nur Eddie, weil er sonst immer einen Anfall bekommt. Besonders nach diesem bekannten, kitschigen Teeniefilm, der immer so beliebt war – so lange, bis er dann plötzlich nicht mehr beliebt war und alle nur noch darauf herum hackten, jedenfalls.

Ich sehe ihn an und ziehe eine Augenbraue nach oben. „Was soll denn schon los sein?“

Aber er sieht mich nur an, als hätte ich gerade ziemlichen Müll von mir gegeben und schlägt mir spielerisch gegen die Schulter. „Was los sein soll? Vielleicht das du, mein kleiner blonder Freund, schon seit Tagen nicht mehr auf meine Nachrichten Antwortest und nur noch hier in deinem Zimmer vor dich hin gammelst – oder eher dem Kinderzimmer deiner Mutter, wie du es so schön nennst. Und dabei dachte ich wirklich, wir könnten mal wieder eine Pyjamaparty schmeißen“, meint er dann und verstellt bei seinem letzten Satz die Stimme, weswegen ich nur die Augen verdrehen kann.

„Du bist schon oft genug hier, du Spinner, da musst du nicht auch noch hier übernachten, auch wenn die Sache mit meinem Vater wohl vorbei ist“, meine ich und es stimmt ja auch.

Auch war ich schon oft bei ihm zu Hause – wobei oft dabei sicher auch kein Ausdruck mehr ist.

Selbst seine Eltern meinten immer bereits, einen zweiten Sohn zu haben, weil ich einfach immer und oft bei ihm war – auch wenn ich nicht mehr bei ihm übernachtet habe, seit ich klein war. Weil ich sonst nicht schlafen konnte. Eddie hat das berücksichtigt und seinen Eltern haben wir immer gesagt, dass es wegen meinem Vater war.

Welcher dann tatsächlich der Grund dafür war, dass Eddie wiederum nicht mehr sehr oft zu mir kommen konnte.

Aber das ist nun alles vergangen. Jedenfalls für alle anderen – und ich muss mich dem anpassen, wenn ich nicht auf der Strecke bleiben will.

So schüttle ich geistesabwesend den Kopf und konzentriere mich wieder auf das Gespräch. „Und außerdem nenne ich das Zimmer nicht nur so – es ist einfach so. Nur weil ich jetzt hier lebe, ist es noch immer nicht einfach so Meins.“

Einen Moment sieht er nach oben und tut so, als würde er darüber nachdenken, ehe er zu einem Schluss kommt, den er offensichtlich schon zuvor hatte. „Doch, irgendwie schon“, meint er nur und lässt sich dann neben mir auf das Bett fallen. „Aber abgesehen davon…“

„Was?“

„Was machst du jetzt eigentlich wegen dem Winterball? Schon jemanden gefragt?“, erkundigt sich mein dunkelhäutiger Freund und grinst mich an.

Ich starre zurück, als wäre er jetzt völlig übergeschnappt. „Na, was wohl? Musst du das wirklich erfragen?“

Ein etwas schiefes Nicken seinerseits ist alles was ich sehe, ehe er mit einem Ruck aufspringt und mich dann mit zu sich nach oben zieht. „Also gut. Dann gehen wir dir heute ein Date suchen!“, schreit er fast, in seinem unendlichen Enthusiasmus.

„Heute ist die Schule aber schon vorbei…“, werfe ich von der Seite ein.

„Wir gehen dir morgen ein Date suchen!“, verbessert er sich praktisch nahtlos und tut ernsthaft so, als wäre ihm der Fehler gar nicht unterlaufen.

Aber so ist er immer.

Ich lächle etwas schwach und umarme ihn von der Seite, was ihn etwas zu verwirren scheint. „Ähm, Noah? Alter? Was machst du da?“

Schnell lasse ich wieder von ihm ab, und sehe ihn an – selbst etwas verwirrt. „Keine Ahnung. Hatte einfach gerade den Drang dich zu umarmen. Oder naja, irgendetwas anderes, aber ich wusste nicht, was es war, also hab ich dich umarmt…“ Halb in Gedanken, lasse ich mich ein weiteres Mal am heutigen Tag auf das Bett hinter mir fallen.

„Oh… kay…“, meint Eddie nur und zuckt dann gleichgültig mit den Schultern. „So warst du ja schon immer. Tust immer irgendwelche Dinge, aber du weißt ja – ich bin da flexibel. Schade dass die anderen das nicht ganz so locker zu sehen scheinen...“

„Tja…“, gebe ich nur zurück.

Er hat schon Recht. Die anderen in meiner Klasse sind nicht gerade Fans von mir – oder sagen wir eher, überhaupt die anderen Menschen um mich herum.

Ich habe ihnen nichts getan, oder so etwas, falls das einer denken sollte. Es ist einfach so, dass wir wohl verschieden ticken. Und die Menschen sind nicht gerade dafür bekannt, gut mit Leuten auszukommen, die anders sind als sie selbst.

Und in diesem Fall, scheint sich diese Annahme wirklich mehr als nur zu bewahrheiten. Aber an sich ist mir das auch egal. Ich weiß ohnehin nicht, ob ich zu dem Ball gehen werde, auch wenn Eddie mich schon seit Wochen oder gar Monaten dazu drängt. Es wäre mir einfach zu… voll.

Zu stickig.

Zu erdrückend.

Ich fühle mich eben einfach nicht besonders wohl, wenn ich zu viele Menschen um mich habe. Es fühlt sich dann immer so an, als würde meine Schädeldecke bald einbrechen – wie ein enormer Druck auf meinem Kopf, der jeden Moment droht zu stark zu werden.

Als würde etwas hindurchkommen wollen. Es macht mir Angst.

Nur wenn ich hier war – im Haus meiner Großeltern, als sie noch lebten – da ging es mir gut. Also richtig gut – wirklich gut. Jetzt nicht mehr.

Immer dieses stete Klopfen in meinem Kopf, sobald jemand in meiner Nähe ist.

Sogar gerade in diesem Moment. Eigentlich kenne ich es gar nicht anders, aber seit ich mit Eddie verkehre, weiß ich, dass es anderen Menschen vermutlich nicht so geht.

Etwas müde lasse ich mich zurückfallen, auf die Matratze unter mir und starre vorerst meine weiße Zimmerdecke an. „Wie stellst du dir das dann eigentlich vor? Mit dem Date, meine ich“, frage ich ihn etwas beiläufig.

„Naja, indem wir uns umsehen und jemanden finden, wie sonst?“

„Wenn das mal so einfach wäre…“

Weitere Gespräche werden jedoch unterbrochen, als ich einen etwas lauteren Schlag von unten höre, gefolgt von der leicht verzweifelt klingenden Stimme meines Onkels. „Noah? Kannst du mal runterkommen?“

Sofort setze ich mich wieder auf. „Warum denn?“, schreie ich und merke zu spät, dass ich meinem Kumpel dabei praktisch genau ins Ohr schreie – merke es erst, als er sich etwas erschrocken die Ohren zu hält. „Sorry…“, murmle ich dazu leicht geknickt, was er jedoch lediglich mit einer wegwerfenden Handbewegung quittiert.

Dann höre ich erneut meinen Onkel. „Du müsstest mir mal bitte einen Gefallen tun, okay? Komm runter!“

Was will er denn jetzt wieder?

Aber andererseits kümmert er sich nun um mich, was er nicht müsste. Also sollte ich wohl dankbar sein – oder naja, es eben auch zeigen. Dankbar bin ich ihm schließlich ohnehin.

Ein bisschen träge, hieve ich mich also letztendlich von meiner Bettkante nach oben und durchquere den kleinen Raum; bemerke im Augenwinkel, wie Eddie es mir gleichtut. „Ich komme ja schon…“, rufe ich noch nach unten – wobei er das wahrscheinlich nicht gehört hat, weil es zu leise war – und bin auch schon fast durch die dunkle Holztür hindurch, hinaus auf den Flur.

Noch auf dem Weg, die lange Treppe hinunter ins Erdgeschoss, kann ich meinen Onkel leise fluchen hören – seltsam. Er flucht eigentlich nie. Und es scheint auch nicht wirklich an eine Person gerichtet zu sein – soweit ich weiß, ist niemand außer ihm, Eddie und mir im Haus.

Er wird doch wohl nicht auch noch verrückt geworden sein?

„Charlie?“, frage ich ihn als ich an der letzten Treppenstufe ankomme und ihn mit einer Packung Angelhaken vor der Tür stehen sehe – scheinbar steckt ihm einer der Haken nun in einer seiner Fingerkuppen... „Was machst du da?“

„Entschuldige, aber kannst du mir bitte einen Gefallen tun? Du hast ja keine Probleme mit dem Keller hier – aber du weißt ja, wie das bei mir ist. Ich muss noch einmal in den Anglershop, aber unten sind wohl noch einige Sachen, die man aussortieren müsste. Alter Kram – aber darunter bestimmt noch ein paar Dinge, die irgendwie wichtig sind. Vielleicht Andenken, oder Antiquitäten. Sieh es dir einfach mal an und check das. Würdest du das tun?“

Einen kurzen Augenblick, denke ich noch darüber nach, nicke dann jedoch eher schwach. „Klar…“, antworte ich.

Ich fühle mich seltsam müde. Doch das ist unlogisch, da ich eigentlich ausgeschlafen sein müsste.

Das geht auch wieder vorbei.

„Gut…“, meint er und wirkt dann ein wenig nervös. „Danke. Ich gehe dann – bis heute Abend… oder morgen, je nachdem wie schnell ich es fertig bekomme.“

Nicht wirklich wissend, wovon genau er gerade spricht, nicke ich jedoch trotzdem ein weiteres Mal bestätigend.

So verhält er sich immer, wenn er direkt mit mir spricht. Er wird einfach nicht locker.

Es leuchtet mir nicht ein – also, ich weiß, dass er mich noch immer für anormal hält, jedoch war das früher nicht so. Und da war er auch oft so nervös. Auch wenn er mit meiner Großmutter gesprochen hat.

Bei meinem Großvater war es nur heikel, wenn er mit ihm hier im Haus war.

Seltsam ist es auf jeden Fall – doch eine logische Erklärung habe ich bis heute noch nicht erhalten.

Aber gut. Ich drehe mich kurz um und sehe Eddie an, der jedoch nur fragend zurück sieht.

Alles klar…

 

Dann mal ab in den Keller.

Chapter 2: Down Under

 

Ich höre wie die Haustür ins Schloss fällt und weiß, dass mein Onkel gegangen sein muss, während ich gerade dabei bin, in den Keller hinabzusteigen.

Was er sagte war wirklich nicht falsch – er und Dad waren noch nie in diesem Keller. Zumindest nicht länger als knappe zehn Sekunden. Irgendwie fühlten sie sich beide unbehaglich, wobei mein Vater es sehr viel lockerer sah, als Charlie.

Charlie ist aber ohnehin eine Ausnahmesituation, da er ja mit fast nichts zu Recht kommt, in das meine Großeltern, oder meine Mutter involviert waren.

Ich steige die alte Holztreppe, die versteckt hinter einer Tür im Gang liegt, langsam hinab – die Lampe scheint kaputt zu sein, daher sind die Stufen nicht beleuchtet. Die kleinen Erkerfenster an der Wand spenden ein schummriges Licht, das den ganzen Staub offenbart – doch liegt die Treppe, von einer dünnen Wand verdeckt, im Schatten.

Als ich ins Licht trete, kann ich schon den vielen Dreck und Staub sehen, der sich über die Jahre angesammelt haben muss und versuche noch, einen kleinen Hustanfall zu unterdrücken.

„Okay. Hier war definitiv schon lange keiner mehr“, spricht Eddie hinter mir meine Gedanken aus.

Ich sehe mich von der Seite aus um. Direkt vor mir – vor dem Ende der Treppe – steht ein großer, dunkler, sehr alt aussehender Holzschrank.

Daneben beginnt die Wand mit einem recht hohen Regal, über denen die kleinen Fenster liegen.

In den Schränken stehen mit Spinnenweben und Staub versehene Kisten und jede Menge Kleinkram – ich kann sogar Fotos ausmachen, die aus einer Kiste hervorragen.

Eigentlich ein gutes Zeichen.

Wir haben beinahe keine Fotos – vor allem von meiner Mutter. Das Traurige ist, dass ich mich kaum an sie erinnern kann.

Nicht an ihr Gesicht.

Nur noch schemenhaft an ein paar Momente mit ihr. Wie sie gerochen hat.

Ihre Stimme, wenn sie mir etwas vorsang – sie klang wie ein Engel. Und das ist nicht übertrieben. Ihre Stimme und ihr Gesang, hatten etwas Besonderes; Wundervolles. Es hat sich in mein Gedächtnis, vielleicht sogar direkt in meine Seele gebrannt.

Ich kann mich noch an ihr Haar erinnern und ihren Hals. Wenn sie mich getragen hat. Sie war blond – so wie ich.

Und sie hatte schönes Haar. Wenn sie mich getragen hat, dann habe ich immer damit gespielt, weil es so lang war.

Aber ihr Gesicht… wieso kann ich mich nur nicht an ihr Gesicht erinnern? Es ist zum verrückt werden…

Etwas in Trance, bemerke ich gar nicht wie um mich herum die Zeit vergeht, bis etwas an meiner Schulter rüttelt – oder eher jemand. „Erde an Noah? Noch wach, oder schon tot?“, witzelt er neben meinem Ohr, ehe er an mir vorbei in den Raum tritt.

Dort stemmt er dann die Arme in die Seiten und sieht sich um, während er einmal hörbar ausatmet. „Also gut… hier haben wir echt eine Menge zu tun. Kein Wunder, dass dein Onkel keinen Bock hierauf hat.“

Darüber kann ich nur Lächeln. „Ja, da magst du wohl Recht haben…“

„Na dann komm und wir fangen an!“ Er geht zur Wand neben der Treppe. In der Ecke zwischen der Wand, die die Treppe einschließt und der Wand auf dieser Seite des Kellers, sind einige Hocker und Stühle aufgestapelt – wahrscheinlich für oben, wenn Gäste kommen.

Er nimmt sich zwei davon weg und platziert sie genau vor dem Regal. „Also?“, meint er und weist mir einen davon zu, nur um dann selbst auf dem anderen Platz zu nehmen.

Ich trete ebenfalls nach vorn, setze mich neben ihn. Wo fangen wir nun an?

Doch die im Geiste gestellte Frage von eben, wird mir beantwortet als Eddie eine Kiste, einfach von vorn aus dem Regal birgt, den Deckel auf den Boden wirft und anfängt, den Inhalt zu inspizieren.

„Fotos behalten wir alle, okay?“, meine ich und zeige auf die Box in seinen Händen, in der ebenfalls Fotos zu sein scheinen, da ich eines bereits erkennen kann.

„Klar, hätte ich auch nicht anders erwartet“, erwidert er nur.

Stimmt. Eddie weiß wie wichtig mir Erinnerungen sind. Er kennt mich immerhin gut, und lange genug.

Ich tue es ihm daher gleich und nehme mir ebenfalls eine kleine Kiste vorn weg. Als ich sie öffne, kommt mir ein kleines Staubwölkchen entgegen und bringt mich zum Husten – ich hoffe nur, es gibt nicht auch noch Spinnen. Oder zumindest nicht da, wo ich hineingreifen könnte.

Auf den ersten Blick wirkt der Inhalt der Kiste, abgesehen vom Staub, jedoch Fremdkörperfrei. Es liegt nur eine Menge Kram darin – ziemlicher Plunder.

Der Griff einer Tasse. Ein kleines Plastikteil, das aussieht wie das Spielzeug aus einem Überraschungs-Ei. Ein alter Kamm.

Und Bilder.

Als ich mir die rechteckigen Papierstücke ansehe, erkenne ich darauf… nichts.

Außer meiner Großmutter, zusammen mit einer jungen Dame. Das Bild sieht alt aus – also, wirklich alt.

Im Sinne von schwarz-weiß und in recht wackeliger Qualität. Ein bisschen so, als wäre dieses Bild mit einer Kamera von vor einem Jahrhundert, oder sogar noch älter, geschossen worden. Es ist auch im alten Stil gehalten – so wie die Kulisse im Hintergrund.

Ob es wohl bei einem Motto-Fotografen geschossen wurde?

Ich weiß es nicht. Was mir jedoch in diesem Moment klar wird, ist, wer das Mädchen neben ihr sein muss. „Eddie – sieh dir das mal an…“, sage ich etwas leiser als gedacht und sehe zu ihm, während ich ihm das Bild hinhalte.

„Sieht alt aus“, meint dieser nur und sieht dann noch einmal richtig hin. „Ist das nicht deine Oma?“ Er zieht die Augenbrauen verwirrt zusammen.

„Das war sie, ja. Ich vermute, es wurde von einem Motto-Fotografen im alten Stil geschossen, auch wenn ich die Kulisse nicht identifizieren kann. Worum es mir geht ist die Frau neben ihr – die Junge.“

Er kneift die Augen ein wenig zusammen – das Bild scheint ein wenig überlichtet und ist leider sehr dunkel geworden. Nicht ganz erkennbar.

Wahrscheinlich wurde es mit einer Lochkamera aufgenommen.

Dann scheint es, als hätte der Junge neben mir eine Art Geistesblitz. „Hey, die Frau ist auch auf den Bildern, die ich aus dem Müll in meiner Kiste hier gefischt hab“, meint er dann und hält mir den Stapel in seiner Hand hin. „Sag mal, kann es sein, dass das…“

Ich sehe sie direkt auf dem obersten Foto in seiner Hand. Wie sie einen kleinen Jungen hält und dabei neben einem Mann steht, den ich nur allzu gut kenne. „Ja, das ist sie“, bestätige ich ihm, da ich mir denken kann, was er gerade denkt – es ist ja auch nicht schwer zu erraten. „Das ist meine Mutter.“

Er nickt und wirkt etwas beeindruckt. „Und ich dachte schon, in deiner Familie seien wirklich alle so gestört, von Verstorbenen keine Bilder zu behalten – ich meine, du warst noch so klein, dass du über die Jahre ihr Gesicht vergessen hast, doch keiner hat auch nur ein Bild von ihr?“ Sein schockierter Gesichtsausdruck passt auch zu meinen Gefühlen, was dieses Thema betrifft. „Wie trauert ihr denn bitte in dieser Familie?“, hängt er dann noch an und widmet sich dann wieder seiner Arbeit.

„Ich weiß es nicht…“, murmle ich wahrheitsgemäß.

Ich weiß es wirklich nicht.

Immer im Dunklen darüber zu sein, was damals geschah. Immer daran denken zu müssen, dass sie in Vergessenheit geraten war – dass sie jemand zu sein schien, an den niemand mehr dachte.

Als hätte sie nie existiert.

Der Gedanke war schon als Kind unverständlich für mich. Grausam, in meinen Augen.

Und ich vermag auch heute nicht, ihn zu verstehen.

 

Etwa zwei Stunden und gefühlte dreißig Kästchen, Schachteln, Boxen und Schatullen später, sitzen wir gemeinsam auf der Treppe und bewundern unser Werk.

Zwischendurch hatte ich noch staub gesaugt. Daher ist der Boden, der aus einem Teppich auf alten, ausgefransten Dielen besteht, wieder so sauber wie er es eben in seinem Zustand noch sein kann.

Die Regale sind ordentlich eingeräumt und zwei Säcke Müll stehen draußen bei den Tonnen.

Kurz gesagt… wir sind einfach nur fertig.

Allerdings nicht mit dem ganzen Keller. Es existiert noch der Schrank – dieser allerdings, ist mit einem alten Schloss versehen und es ist auch nicht so wichtig, dass wir ihn jetzt ausräumen.

Solange der Keller selbst in Ordnung ist, sollte es reichen. Es kommt ohnehin keiner hier herunter – von mir und Eddie abgesehen.

Und selbst Eddie hat sich zwischendurch beschwert. Dass irgendetwas komisch sei, an diesem Keller.

Er wüsste nur nicht, was es ist.

Also ein und dieselbe Aussage, wie ich sie bereits so oft gehört habe.

„Also dann“, höre ich von der Seite, zusammen mit einem Seufzer. „wir haben erst halb acht und ich bin einfach nur am Ende. Ich sollte langsam gehen, schätz ich.“

Ich drehe mich zu ihm um. Er sieht wirklich fertig aus.

Wie aus Reflex und ich weiß schon wieder nicht, woher er kommt, lege ich ihm eine Hand auf seine Wange und starre ihn einen Moment an.

Was soll das? Ich hab wirklich keine Ahnung.

Schnell schüttle ich den Kopf und nehme meine Hand von seinem Gesicht. „Okay, ist gut. Wir haben morgen ohnehin Schule, also wäre es besser, wenn du nicht ewig wach bleibst“, meine ich scherzhaft, auch um von meinem vorigen Verhalten ein wenig abzulenken und strecke ihm die Zunge heraus. „Du kommst ja schon so nie aus der Hüfte, da musst du nicht auch noch unausgeschlafen sein.“

Gespielt geschockt, sieht er mich an und schnaubt. „Ich? Das sagt der Richtige.“ Dann lacht er jedoch und steht träge von der Stufe auf. Die Stühle haben wir bereits wieder dorthin gestellt, wo sie herkamen.

Auf dem Weg nach oben, sagt keiner ein Wort. Wir sind beide müde.

Wenn man die Uhrzeit betrachtet, waren wir wohl auch länger als nur zwei Stunden beschäftigt.

Oben angekommen, wuschelt er mir noch einmal durch die Haare, was er immer macht, obwohl ich noch nicht herausgefunden habe, ob mich das nun ärgern soll, oder nicht.

„Dann bis morgen. Soll ich dich abholen, oder wartest du am Anglershop?“

Kurz muss ich noch darüber nachdenken, doch eigentlich ist es mir gleich. Zusammen gehen wir ohnehin. „Entscheide du“, sage ich also, während ich noch die Tür öffne.

Draußen ist es bereits dabei dunkel zu werden – die Dämmerung ist schon vor einer guten halben Stunde angebrochen.

„Okay, dann komm ich und hol dich ab. Liegt ja ohnehin auf dem Weg und jemand muss ja auf dich aufpassen“, witzelt er auf dem Weg durch die Tür.

„Gute Nacht“, sage ich nur, aber auf eine Weise, die das Gespräch für beendet erklärt und sehe ihm noch nach, ehe ich die Tür schließe, als er außer Sichtweite ist.

Hier muss man wirklich aufpassen – in Salem geschehen hin und wieder wirklich merkwürdige Dinge.

Diese haben jedoch nichts mit dem Übernatürlichen zu tun. Nur mit mehr als menschlichen Arschlöchern, die Sachen in Brand stecken und womöglich auch noch Kinder entführen.

Läden in der Nacht demolieren. Die Straßen immer wieder ein wenig unsicherer machen.

Das SPD weiß mittlerweile auch kaum noch weiter – aber was will die Polizei auch schon groß dagegen tun? Selbst wenn sie einen der Randalierer finden würden, wäre es nichts, für das diese Person dann lange einsitzen würde... abgesehen von der Sache mit den Kindern natürlich.

Aber die, die solche größeren Verbrechen begehen, lassen sich nicht schnappen. Es ist immer dasselbe.

Als ich die Tür abschließe – mein Onkel wird heute nicht mehr kommen, das weiß ich, und wenn er es entgegen meiner Vermutungen doch tun sollte, dann hat er ja ohnehin einen eigenen Schlüssel dabei – denke ich noch kurz darüber nach.

Eigentlich will ich danach einfach wieder nach oben gehen, mich umziehen, waschen und schlafen. Doch irgendwie…

Mein Weg führt mich ein Stück weiter, am Treppenaufgang vorbei, an die Seite – dorthin, wo die Tür zum Keller ihren Platz hat.

Als ich die kleine Tür öffne, fällt mir erst wirklich auf, wie dunkel es bereits ist. In den letzten Minuten, muss es noch einmal dunkler geworden sein und von unten hatten wir die ganze Zeit das Licht aus dem Hausflur.

Jetzt steht der Keller vor mir. Nicht wie ein einladender Raum, oder überhaupt ein Raum in diesem Haus. Nein, im Moment sieht er eher aus wie ein schwarzes Loch.

Ein Loch, das mich jeden Moment zu verschlingen droht.

Ich trete ein paar Schritte zurück und drehe mich dann um, zu dem kleinen Gang der einen durch das Erdgeschoss führt.

Gleich die erste Tür nach der Treppe, ist die, die ich ansteure – unsere kleine Kammer. Charlie, Dad und meine Großeltern hatten immer eines Gemeinsam: Sie hatten immer, egal wo sie wohnten, irgendwo Platz.

Den Platz dafür, Dinge zu bunkern. Das waren in der Regel immer Vorräte an Küchentüchern und Klopapier, Wasser und Konserven, aber auch Zahnpasta und andere Drogerieartikel – sowie Glühbirnen, Taschenlampen und Batterien, in gefühlt sämtlichen Ausführungen.

Als würde uns jederzeit eine Eiszeit, oder ein Erdbeben treffen können.

Oder irgendetwas anderes, das uns möglicherweise in unseren Häusern einschließen könnte. Dabei hat keiner in meiner Familie je in einem Krisengebiet gelebt – jedenfalls nicht, dass ich davon wüsste.

Mein Vater meinte immer, das habe er von meiner Mutter. Und Charlie hat es von meinem Vater.

Aber es ist ja auch egal – vielleicht ist das einfach so. Weil ältere Leute einfach immer auf jeden Notstand vorbereitet sein wollen, auch wenn es keinen Grund gibt, einen zu erwarten.

Und im Moment, kommt mir das wirklich gelegen. Auf den ersten Blick, den ich in die Kammer werfe, nachdem ich das kleine Deckenlämpchen einschalte, kann ich schon sehen, was ich finden wollte.

Ich berge eine Taschenlampe, prüfe nach, ob sie noch funktioniert und nehme dann noch zwei Glühbirnen mit, von denen ich glaube, dass sie die richtige Größe besitzen.

Etwa zehn Minuten, oder auch eine Viertelstunde später, sitze ich wieder auf der Treppe und starre das Regal mit nun sehr geordneten Boxen, schräg gegenüber von mir an.

Die Glühbirnen sind gewechselt und das Licht ist demnach wieder genau da, wo es auch hingehört – und ich bin froh darüber.

Ich mag keine Dunkelheit.

Genau genommen, hasse ich sie.

Wieder etwas, das für einen fast Siebzehnjährigen, eigentlich peinlich sein sollte, doch auch hier kann ich nichts daran ändern. Auch weiß ich nicht, woran es liegt.

Mein Vater meint, es könnte daran liegen, dass ich damals da war. Als meine Mutter gestorben ist.

Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, dass ich dabei gewesen sein soll – aber nichts mehr davon weiß, obwohl ich bereits vier Jahre alt war.

Ist das nicht etwas, an das man sich einfach erinnern können sollte?

Mein Vater hat mir nicht viel gesagt. Nur, dass wir wohl zusammen verstecken gespielt haben sollen, als meine Großeltern nicht zu Hause waren – in diesem Haus also. Und sie fiel eine Treppe herunter.

Ich wäre angeblich an einem dunklen Ort gewesen, als das alles geschehen ist. Ich selbst habe Träume… weiß jedoch nicht, inwieweit ich ihnen glauben schenken kann. Verstehen tue ich sie ohnehin nicht wirklich. Doch mehr wollte er mir eben nicht verraten.

Und später konnte er es dann nicht einmal mehr.

Mit einem Seufzen erhebe ich mich und greife nach der Schachtel, die Eddie zuerst in der Hand hatte.

Ich kann mich an ein Bild darin erinnern – ein Bild von meiner Familie.

Von meiner Mutter, meinem Vater und mir. Alle zusammen.

Es war ein schönes Bild.

Mit flinken Fingern, durchsuche ich die Papiere in der Schachtel. Doch obwohl ich alle durch habe, kann ich es nicht finden. Nur andere Schnappschüsse, ebenfalls mit meiner Mutter.

Aber nicht das Schöne von vorhin.

Vielleicht weiß Eddie noch, wo er es deponiert hat? Auch wenn es unwahrscheinlich sein wird, dass er sich noch an ein einzelnes Foto erinnern kann, wo das hier doch ein wenig wie der Bilder-Bunker der Erinnerungen, extra angelegt von meiner Familie wirkt.

Und da fragt man sich sein ganzes Leben, wieso es keine Fotos zu geben scheint…

Naja, bis morgen werde ich es mit ein paar anderen Abzügen aushalten. Ich kann das andere schließlich auch noch morgen suchen.

Mit diesem Gedanken im Kopf, drehe ich mich um, nachdem ich die Box wieder verschlossen und weggestellt habe, und verlasse ein weiteres Mal den Keller.

Als ich oben bin, sehe ich noch einmal zurück. Die Treppe wirkt noch immer etwas fremdartig, aber viel einladender als zuvor.

An diesem Keller ist nichts ungewöhnlich, würde ich sagen. Vielleicht eine etwas stickige Atmosphäre, doch sicher nichts, vor dem man flüchten müsste.

So schalte ich das Licht ab und schließe mit einem Seufzen die Tür.

Jetzt sollte ich jedenfalls erst einmal schlafen gehen – mein Kopf schmerzt ein wenig. Auch wenn ich zugeben muss, dass es mir gut ging, auch in Gegenwart von Eddie, als wir im Keller waren.

Doch ich vermute, das war lediglich meine Einbildung. Und selbst wenn nicht…

 

Kann ich immer noch morgen darüber nachdenken.

Chapter 3: Lost and Found I

 

Gelangweilt, müde und irgendwie wie gerädert, schlurfe ich über den langen Flur meiner Schule.

Mein Kopf schmerzt und die Gegenwart der vielen Schüler um mich herum, machen die ganze Sache nun auch nicht sehr viel besser.

Wo ist Eddie? Er hatte die letzte Stunde Mythologie – ein Wahlfach – während ich antikes Latein hatte. Ein Kurs den man freiwillig belegen kann, wie Mythologie. Man sollte normales Latein jedoch wirklich beherrschen, wenn man Altlatein belegen will…

Er jedoch interessiert sich für solche Sachen wie Monster und Götter, und das schon seit wir klein waren. Das macht ihn wohl zu einem der einzigen Menschen hier, die nicht total skeptisch gegenüber allem Übernatürlichen sind.

Er ist da eher das Gegenteil – glaubt felsenfest daran. Ich belächle sein Verhalten dann wohl meist nur, auch wenn ich weiß, dass das nicht fair ist. Es ist eben einfach das, an das er glaubt und glauben will. Daran ist wirklich nichts falsch.

Gerade als ich denke, ich bin kurz davor, endlich dieses Horror-Haus zu verlassen, auch ohne Eddie wiedergefunden zu haben, hält mich etwas zurück.

„Mr. Jenkins?“, höre ich meinen Biologielehrer hinter mir herrufen.

Nicht das noch. „Ja, Mr. Adaire?“ Ich wende mich ihm zu, als ich das Frage und sein Gesichtsausdruck gefällt mir nicht.

Ich weiß nicht, wieso, aber mittlerweile kann ich so gut wie jeden Gemütszustand der Leute um mich herum, an ihrem Gesicht ablesen – teilweise sogar das, was sie denken, auch wenn es unmöglich erscheint.

Habe ich vielleicht eine gute Beobachtungsgabe? Eddie meint, er verstehe absolut nicht, wie ich das mache. Ich verstehe dafür nicht, wieso er es nicht kann. Es ist seltsam.

Aber das bin ich ja bereits mein ganzes Leben.

Abgesehen davon, zeigt mir sein Gesicht – oder was auch immer es sein mag das mir diesen Eindruck vermittelt – dass er etwas von mir will. Einen Gefallen. Und zwar einer, der mir nicht gefallen wird. Wobei ich nicht weiß, ob er mir nicht gefallen wird, oder ob das Gefühl bedeutet, dass etwas anderes dahinter steht. Jedoch könnte ich mir nichts anderes vorstellen.

„Ich hätte eine kleine Bitte an Sie – könnten Sie vielleicht eine kleine Besorgung für den Biologieunterricht machen? Wir brauchen es nächste Stunde und ich selbst muss kurzfristig auf eine Tagung. Das dauert eine Weile und danach werde ich viel zu tun haben – eine andere Klasse wird es auch brauchen, schon vor euch. Daher müsste es heute beim städtischen Tierheim abgeholt werden, nur komme ich nicht dazu“, erklärt er etwas kryptisch.

Und ich habe absolut keinen Schimmer, von war er da gerade spricht – da ich bisher nur heraushören kann, dass ich etwas abholen muss, das für den Biologieunterricht verwendet wird, was wiederverwendbar ist und das ich aus einer Tierhandlung beschaffen soll. Nun, wenn es im Grunde wiederverwendbar ist, wird es wohl zumindest kein Frosch zum Sezieren sein.

Aber… dann ist es noch lebendig?

Super. Ich glaube ich habe eine ziemlich genaue Vorstellung davon, welches von den beiden Möglichkeiten es zuvor wirklich war – denn mir gefällt sein Gefallen jetzt schon nicht wirklich. „Und worum handelt es sich?“, frage ich mit einem unguten Gefühl in der Magengrube.

„Nun, Sie erschienen mir bisher als einer der verlässlichsten Schüler…“ Wohl eher der, auf dem man am besten herumtrampeln kann. Auch wenn das nicht fair ist – Mr. Adaire ist hier nicht nur Biologie-, sondern auch Vertrauenslehrer. Er ist wirklich in Ordnung, auch wenn ich ihn manchmal nicht ganz entziffern kann. „Es handelt sich um eine Python.“

Eine was?! Was will der Kerl im Unterricht mit einer Python?!

Er winkt jedoch lächelnd ab – wahrscheinlich, weil mein Gesicht gerade meine Gedanken perfekt widerspiegeln sollte. „Keine Sorge, sie wird in ihrem Terrarium bleiben. Wir brauchen sie nur zu Veranschaulichungszwecken und sie wird eine Art Spende von mir sein – wie ein Maskottchen für den Biologieclub“, versucht er mich zu beschwichtigen. „Und Sie sollten sie auch eigentlich nicht direkt abholen und hertragen – es ist eher so, dass Sie als Vertreter unserer Schule dort vorbeischauen, unterschreiben dass es an der Schule ankam und die Arbeiter die sie herbringen, anweisen wo sie hinsoll. Der Ort wäre der Biologieraum im ersten Stock – der erst neulich freigeräumte Schrank neben der Tür. Würden Sie das tun?“

Mein erster Impuls ist es eigentlich, dankend abzulehnen und dann das Weite zu suchen.

Doch dann sehe ich ihn an. Er braucht die Hilfe wirklich – die Schlange muss ja von irgendwem in Empfang genommen werden.

Eines meiner größten Probleme ist das, dass ich Leute nicht hängen lassen kann, wenn sie Probleme haben. Was oft dazu führt, dass ich Dinge tue die einfach dämlich sind.

Dass ich ständig hin und herrenne, weil ich anderen helfe. Zum Glück umgehen mich die meisten Menschen und so bleibt eigentlich nicht viel an mir hängen.

Doch macht sich dieses Problem immer in Momenten wie diesen bemerkbar. Also seufze ich nur, sehe kurz zu Boden und dann wieder zu meinem Lehrer. „Also gut. Ich hätte Zeit, sobald ich noch schnell jemanden gefunden habe“, biete ich ihm an.

„Jemanden gefunden?“, wiederholt er etwas verwirrt, lächelt dann aber. „Ist schon okay. Solange Sie es bis heute Nachmittag schaffen, also ehe die Schule geschlossen ist, sollte alles in Ordnung sein. Ihre Klasse hat für heute bereits Schluss, nicht wahr?“

„Ja, das stimmt. Also dann…“, sage ich nur, ehe ich mich schon zum Gehen wende.

Zugegebenermaßen, bin ich hin und wieder ein wenig unsozial. Aber im Gegenzug sorge ich ja auch dafür, dass seine geliebte Schlange heil in der Schule ankommt.

Ich höre noch, wie er irgendetwas murmelt – von wegen ‚Bis dann‘, oder so, aber das ist mir eigentlich egal, da ich im selben Moment auch schon eine etwas größere, dunkelhäutige Gestalt, mit super-kurzem, schwarzen Haar sehe, die sich aus der Menge abspaltet. „Hey, Eddie!“, rufe ich ihm zu und er sieht direkt zu mir.

Er nickt mir nur zu und geht zu seinem Spind, wohin ich ihm folge. „Wo warst du denn so lange?“, frage ich.

„Na, vielleicht im Unterricht? Wir hatten heute wieder länger…“, meint er und wirkt ein wenig müde.

„Kann es sein, dass bei Mythologie immer überzogen wird?“, necke ich ihn ein bisschen. Meine Frage war zwar scherzhaft gemeint, doch eigentlich stimmt es sogar wirklich.

Diesen Unterricht hat er nur einmal in der Woche und immer kommt er mindestens eine Viertelstunde später – ist das überhaupt erlaubt?

Er seufzt und packt seine Bücher ein. „Heute haben wir die nordische Mythologie nochmal unter die Lupe genommen – ging um Verschiedenes. Harpyien und solche Gestalten, die oft in die nordische Mythologie einfließen – als Kinder von irgendwelchen Göttern. Ähnlich wie bei den Griechen.“

„Cool…“ Ich meine, nur weil ich nicht daran glaube, heißt es ja noch lange nicht, dass es nicht dennoch irgendwie interessant wäre. Nur habe ich Latein schon immer für ein wenig interessanter gehalten, auch wenn ich dafür von vielen schief angesehen werde.

Ist ja nicht so, als wäre das anders, wenn ich kein Fan von Latein wäre.

„Ich muss für Adaire noch was erledigen – kommst du mit?“

„Nein, heute nicht – ich muss nach Hause, komm aber später bei dir vorbei. Du weißt doch – die Sache mit dem Date. Das lass ich dir ganz sicher nicht durchgehen. Wir brauchen einen Plan.“ Dieser verschwörerische Ausdruck auf seinem Gesicht, als er das sagt, will mir dabei irgendwie nicht ganz gefallen.

Toll. „Klar… Bis später“, sage ich noch, als ich mich schon von ihm abwende um den Gang entlang, zum Ausgang zu marschieren.

Und ehrlich, wenn ich daran denke, was mich erwartet wenn ich Eddie das nächste Mal sehe, wird mir meine Aufgabe hier irgendwie immer sympathischer.

Dann werde ich wohl mal eine Schlange besuchen gehen…

 

Die Tierhandlung ist nicht sehr weit von der Schule entfernt gewesen und das Dirigieren der Terrarien-Schlepper war auch nicht unbedingt anspruchsvoll, oder umständlich.

Und da ich noch immer weiß, was auf mich wartet, wenn ich erst einmal zu Hause bin, habe ich gerade auch wirklich nichts dagegen meine Zeit irgendwie anderweitig totzuschlagen.

Das Terrarium steht nun genau da, wo es mir beschrieben wurde. Darin ist eine noch nicht so große, gelbe Python. Eigentlich ein sehr schönes Tier.

Auch wenn ich noch immer kein Verständnis dafür habe, warum man unbedingt eine lebende Schlange im Unterricht einer gewöhnlichen Highschool braucht, finde ich im Nachhinein doch, dass es eigentlich ein ziemlich interessantes Maskottchen darstellt.

Zu schade, dass ich nicht im Biologieclub bin.

Etwas geistesabwesend, lege ich eine Hand an die Scheibe des Terrariums und schrecke nur wenige Sekunden später zurück, so als hätte ich mich daran verbrannt, als die Schlange plötzlich mit der Schnauze gegen das Glas schlägt.

Etwas perplex, sehe ich sie an und obwohl ich weiß, dass es eigentlich nicht sein kann, habe ich das unheimliche Gefühl, dass die Schlange direkt zurück blickt. Dass sie mir in die Augen sieht und durch mich hindurchsehen kann, wie durch das Glas ihres Gefängnisses – weiß, was ich denke.

Irgendwie gruselig, wenn man es so sieht.

Unsicher darüber, was ich nun denken soll, drehe ich mich leicht irritiert um und verlasse den Raum – direkt bevor ich auch langsam das Gebäude hinter mir lasse.

Als ich noch durch die momentan leeren Hallen der Schule gehe, denke ich noch einmal darüber nach – was dazu führt, dass ich einen halben Herzinfarkt erleide, als mein Handy plötzlich in der Hosentasche zu vibrieren beginnt.

Der Display zeigt mir eine Nummer an – die Namensanzeige spinnt, doch kenne ich die Nummer auswendig, also macht es nichts. „Hey, was gibt’s?“, grüße ich die Person direkt, nachdem ich auf annehmen drücke.

„Du sagtest du musst noch was erledigen. Bist du schon zu Hause?“

„Noch nicht, aber sicher in ein paar Minuten. Wieso?“, frage ich, obwohl die Antwort ja eigentlich klar ist.

„Na, warum wohl? Ich sagte doch, ich komm vorbei – du Drückeberger. Wieso ist es so schlimm für dich, auf diesen Ball zu gehen? Immerhin hast du an dem Tag Geburtstag und dann unternimmst du wenigstens mal irgendwas. Wenn du aber so weiter machst, gibt es keinen mehr, den du fragen kannst. Der Ball ist am Ende der Woche und nicht erst am Ende des Jahres!“, wettert er von der anderen Seite der Leitung.

„Ja ja…“, meine ich jedoch nur. „Ich bin gleich zu Hause – kannst ja vor der Tür warten, oder so…“

Um ihm noch einmal zu verdeutlichen, was ich von all dem halte, lege ich einfach auf. Wenn er jetzt nicht mehr kommen will, dann soll mir das Recht sein.

Natürlich weiß ich, dass er es nur gut meint, aber ich mag es einfach nicht, wenn man mich unter Druck setzt.

Zumindest war aber meine Angabe korrekt, da ich tatsächlich ein paar Minuten später zu Hause bin. Ich brauche nur das Gebäude zu verlassen, über den Hof und ein paar Straßen weiter. Ein wenig auf dem Feld, recht weit hinten – abgelegen vom Rest der Stadt.

Das Haus meiner Ahnen. Und das Haus, in dem ich nun lebe.

Als ich meinen Schlüssel aus der schwarzen Umhängetasche krame und die Tür aufschließe, rufe ich ein recht mattes „Charlie, ich bin zu Hause…“ in das leere Haus.

Ich weiß, dass er nicht zu Hause ist, doch das tue ich immer. Ich habe es auch immer getan, als ich noch in meinem alten Haus gelebt habe, zusammen mit meinem Vater.

Auch der hat mir am Ende nicht mehr geantwortet.

Egal. Mein Weg führt mich auch heute wieder… in den Keller. Unten angekommen, werfe ich meine Tasche in eine Ecke und wende mich direkt dem Regal mit den Bildern zu.

Ich kam zwar nicht mehr dazu, Eddie nach dem Bild zu fragen, aber ich werde es schon irgendwann wieder finden.

Und wenn nicht, dann finde ich vielleicht ein anderes. Ich möchte einfach ein Foto meiner Mutter in meiner Nähe haben, nachdem ich so lange gar keines besaß.

Bei der ersten habe ich gestern angefangen, also beginne ich heute bei einer anderen Schachtel. Gehe Bild für Bild durch – aber langsam, nicht schnell.

Sehe mir jede Linie, jeden Pixel und jeden Farbklecks genauestens an. Ein Bild mit meiner Mutter, während sie mich trägt, aber nicht so gut wie das andere. Dafür spielt sie auf dem Bild mit mir, aber aus diesem Grund wendet sie den Blick ab; sieht nicht in die Kamera.

Dann gehe ich zum Nächsten. Ein Bild meiner Großeltern. Dann wieder eines mit meiner Mutter, aber zusammen mit meinem Vater.

Das Schöne von gestern jedoch, kann ich nicht finden. Und ehe ich mich versehe, klingelt es plötzlich an der Tür und so wie vorhin, bekomme ich einen Schock, als das Geräusch ertönt. So sehr, dass ich die Sachen beinahe fallen lasse.

Kurz atme ich durch, lege die Bilder zurück und eile nach oben, an die Haustür.

Mein Onkel kann es wohl kaum sein – er hat schließlich einen Schlüssel und wenn er den nicht hätte, würde er damit ja auch gleichzeitig seine Schlüssel für den Laden vergessen. Das kann also nicht der Fall sein.

Also wird es wohl… „Hey… ich dachte, du kommst vielleicht doch nicht“, meine ich, als ich den jungen Mann vor meiner Tür so unschuldig ansehe, wie ich kann.

„Was denn? So denkst du also von mir? Ich hab noch ein bisschen gebraucht, aber ich lass mich doch nicht vergraulen, nur weil du am Telefon ein bisschen zickig bist“, entgegnet er grinsend.

Ich rolle jedoch nur mit den Augen. „Super, was hab ich doch für ein Glück…“ Meine sarkastische Bemerkung stößt jedoch offenbar mal wieder auf taube Ohren, denn er reagiert nicht weiter darauf, als frech zu grinsen, während er zu mir eintritt.

Zusammen gehen wir so erst einmal nach oben. „Und?“, hakt er nach.

„Was?“, frage ich dagegen verwirrt.

„Na, hast du schon drüber nachgedacht? Mit wem du zum Ball willst, mein ich.“

War klar, dass er das direkt ansprechen wird. „Nein. Und ich will sowieso nicht hingehen, also kann ich mir auch nicht denken, mit wem ich wohl hingehen sollte.“

In meiner momentanen Bleibe angekommen, lassen wir uns beide auf das große Doppelbett fallen. Das einzig irgendwie luxuriöse Teil hier.

Er atmet einmal mehr als nur hörbar aus und starrt an die Decke. „Aber du solltest hingehen – und wollen. In deinem Alter. Was ist denn so schlimm daran?“

Diese endlose Debatte darüber, warum es so schlimm ist, geht mit langsam wirklich auf die Nerven. Mit einem genervten Laut, drehe ich mich auf den Bauch und wende mich ihm zu. „Was so schlimm daran ist? Das weißt du doch bereits. Wie oft soll ich es dir noch erklären?“

Er tut es mir gleich und sieht mir direkt in die Augen, einfach weil er wohl denkt, dass ihm das mehr Kontrolle über die Situation verleiht und ich lasse ihn in dem Glauben. „Also…“, beginnt er. „ich weiß dir geht es nicht so gut, wenn du unter Menschen bist und das glaube ich dir auch-“

„Scheinbar nicht!“, falle ich meinem eigentlich besten Freund ins Wort und sehe ihn etwas entsetzt an. Ich meine, würde er mir glauben, dann würde er sich nicht so verhalten, oder?

Ich war schon zuvor bereits – allein schon, weil Schizophrenie gemeinhin als erblich gilt – von Therapeuten untersucht worden. Diese meinten, ich hätte ein Problem. Es sei nichts, womit ich meinem Vater direkt Gesellschaft leisten müsste – ganz sicher keine Schizophrenie. Doch sollte ich angeblich vorsichtig sein.

Dass ich mich seltsam unter anderen Menschen fühle. Was ich überhaupt fühle, wenn andere Leute bei mir sind; die Angst die ich verspüre.

Dass das alles nicht normal und nur Einbildung sei. Aber es wird mit jedem verstrichen Jahr nur schlimmer.

Allerdings war ich parallel dazu auch schon sehr lange bei keinem Therapeuten mehr.

Ich sehe wieder zu Eddie und bemerke, wie nachdenklich er aussieht. Keine Ahnung, wie lange ich in Gedanken war, aber er scheint da nicht anders zu sein – bis er seinen Blick plötzlich wieder anhebt. „Doch, ich glaube dir. Und weißt du auch, wieso?“

Kurz und schmerzlos. „Nein.“

Er stützt sich auf seine Ellbogen und ich tue es ihm gleich. „Du weißt sicher noch, als du mir das erste Mal erzählt hast, warum du Menschenmengen hasst, oder?“, meint er, wartet aber nicht wirklich auf meine Antwort darauf – scheint auch nicht besonders wichtig zu sein. „Da waren wir beide noch klein. Damals war es noch nicht so schlimm wie jetzt und ich muss zugeben – damals habe ich mich mit dir angefreundet, weil ich dich einfach für irgendwie interessant hielt. Und weil du keine Freunde zu haben schienst und ich wissen wollte, wieso“, erklärt er langsam.

„Aha…“ Nicht unbedingt sehr neu, finde ich.

„Ja. Aber das war nicht alles. Nach einer Weile war es so, dass du immer seltsamer wurdest – wie gesagt. Nach ein paar Jahren. Und mit jedem Jahr, in dem du dich mehr zurückgezogen hast, habe ich mich ebenfalls… seltsam gefühlt. In deiner Gegenwart. Und das war sicher keine Einbildung. Ich hab… ich weiß nicht so Recht, wie ich das beschreiben soll. Aber wenn du in meiner Nähe warst, war es irgendwie so, als würde sich etwas in mein Hirn bohren wollen. Und ich fühle mich in jedem Moment irgendwie ertappt – irgendwie transparent. Als wüsste jeder, was ich denke, was natürlich absolut bescheuert ist. Sogar jetzt im Moment, auch wenn ich mich daran gewöhnt habe…“, sagt er und ich glaube, er war noch nie in seinem Leben so ernst. Zumindest nicht mir gegenüber.

Ich kann jedoch nicht darauf eingehen, weil ich damit beschäftigt bin, ihn wie ein Alien anzustarren.

Mir geht nur eine einzige Frage durch den Kopf. Immer und immer und immer wieder.

„Warum hast du nie etwas gesagt?“, rutscht es mir halblaut heraus.

Er wirkt leicht perplex. „Du wirkst irgendwie… gar nicht so überrascht. Oder naja, nicht so verwirrt, oder verletzt, wie es wohl die meisten wären. Solltest du solche Aussagen nicht irgendwie persönlich nehmen?“

Schulterzuckend, wende ich mich kurz ab, um mich normal auf das Bett zu legen, während ich meine Schuhe von den Füßen kicke. „Naja, irgendwie war es schon immer so. Ich fühle mich nicht wohl unter Menschen – und sie fühlen sich auf ihrer Seite auch nicht wohl in meiner Gegenwart. Als ich klein war habe ich meinen Vater, meine Lehrer und Mitmenschen noch hin und wieder darauf angesprochen – mich auf diese Weise erklärt. Doch weigerten sich bis dahin alle, es mir zu glauben; dachten, ich sei verrückt. Erst später haben dann auch die anderen angefangen, sich seltsam zu fühlen. Aber die meisten haben es kaum beachtet – maximal kommentiert. Zu diesem Zeitpunkt war ich aber bereits so auf Abstand, dass ich kaum jemanden hatte, der längere Zeit mit mir allein war, um etwas zu merken und die Verbindung zu mir herzustellen. Nur du…“

Die ganze Zeit über, sieht er mich von seiner etwas höheren Position aus an und hört mir lediglich stumm zu.

Und ich denke derweil einfach noch einmal nach – über alles, was ich ihm eben erzählt habe. So ehrlich war ich noch nie, denke ich.

Und ich habe auch noch nie so viel über meine Eigenarten nachgedacht.

„Wer bist du?“, ist die Frage, die meine Gedanken zu einem Stillstand zwingen. Als ich ihn nur ansehe, präzisiert er seine vorige Frage noch einmal. „Ich meine, was bist du? Ich will dich nicht beleidigen, oder verletzen – ich liebe dich praktisch wie einen Bruder, das weißt du – aber irgendwie ist das doch… anormal, oder? Ein wenig unnatürlich? Und ich meine damit nicht ‚krankhaft‘ anormal, sondern… eben wirklich.“

Zwar weiß ich genau, was er meint, doch kann ich ihn dennoch bloß entsetzt anstarren. „Hey!“ Dazu boxe ich ihm einmal demonstrativ gegen den Brustkorb. „Natürlich bin ich ein Mensch – was soll ich denn bitte sonst sein?!“

Er zuckt wieder nur mit den Schultern. „Vielleicht ein Dämon?“, schlägt er vor.

„Eddie!“ Also, jetzt reicht‘s aber!

Diesmal schlage ich ihm gegen die Schulter und sehe ihn dann flehend an. Ich will nicht mehr darüber sprechen – dann wurde ich eben zum unsozial-sein geboren, na und? Kein Grund mich direkt als Höllenmonster abzustempeln…