Böse Falle - Die Krimi-Cops - E-Book

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Die Krimi-Cops

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Beschreibung

Die Krimi-Cops schlagen wieder zu! Mieses Spiel in Düsseldorf Kriminalhauptkommissar "Struller" Struhlmann genießt im Aquarium bei seinem einarmigen Kumpel Krake das wohlverdiente Feierabendbierchen, als ihn der merkwürdige Anruf von Karel Skupa, einem Kollegen von der Kripo Prag, erreicht. Der Mann, den Struller bei einem früheren Fall kennengelernt hat, bittet ihn um ein Treffen. Aber auf dem Parkplatz nahe der A3 erwartet ihn nicht Skupa, sondern eine tote Frau in einem tschechischen Fahrzeug. Vom Täter fehlt jede Spur, ebenso von der roten Sport­tasche, die kurz zuvor bei einer zivilen Routinekontrolle noch auf dem Rücksitz lag. Als Struller wenig später diese Tasche in seinem Büro findet, ahnt er, dass ihm jemand eine Falle stellen will! Struller taucht ab. Und es ist jetzt nicht nur Oma Jensen, die ihm energisch unter die Arme greifen muss. Im Aquarium formiert sich um Krake, Bertie Spurtmann und seinen Ex-Praktikanten Jensen eine zu allem entschlossene Task-Force der schrägen Art, die sogar auf den smarten Ex-­Fußballer und Privatdetektiv Hartmann zurückgreifen muss.

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Vom Autoren-Team bisher bei KBV erschienen:

Stückwerk

Teufelshaken

Umgelegt

Bluthunde

Knock Out

Goldrausch

Die Krimi-Cops sind:

Carsten »Casi« Vollmer, Jahrgang 1967, aus Düsseldorf, Ingo »Inge« Hoffmann, Jahrgang 1978, aus Hilden, Carsten »Rösbert« Rösler, Jahrgang 1977, aus Düsseldorf, Martin Niedergesähs, Jahrgang 1977, aus Herongen an der niederländischen Grenze und Klaus »Stickel« Stickelbroeck, Jahrgang 1963, aus Kerken am Niederrhein. In ihren Büchern verarbeiten die Polizisten nach Feierabend mal komische, mal härtere Einsätze der zurückliegenden Schichten. Mit Böse Falle haben sie nun bereits den siebten witzig-spannenden Kriminalroman um den Düsseldorfer Kriminalhauptkommissar Pit »Struller« Struhlmann und seinen Praktikanten Jensen verfasst. www.krimicops.de

Die Krimi-Cops

Böse Falle

Originalausgabe

© 2021 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim

www.kbv-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Telefon: 0 65 93 - 998 96-0

Umschlaggestaltung: Ralf Kramp

unter Verwendung von © aleciccotelli - stock.adobe.com

Lektorat: Volker Maria Neumann, Köln

Print-ISBN 978-3-95441-564-9

E-Book-ISBN 978-3-95441-573-1

Alles für Struller!

»Ich rieche Hundescheiße,bevor der Köter kackt.«(Pit »Struller« Struhlmann)

Inhalt

Über den Autor

Prag

1. Tag

2. Tag

3. Tag

4. Tag

5. Tag

Schlussakt

Danksagung

Prag

Unwirsch schlug er den Kragen seiner dunkelblauen Sommerjacke hoch. Scharfer Wind pfiff ihm eine unangenehme Gänsehaut über den Körper. Die raue Brise passte in diesen miesen, verschissenen Vorort wie am anderen Ende Prags die prunkvolle Teynkirche in die historische Altstadt. Eine dicke Ratte flüchtete vor seinen Schritten hinter zerbeulte Blechtonnen. Es schepperte und quiekte. Augenblicke später sah er einen verfilzten, schwarzen Kater mit frischer Beute im Maul davonrennen.

Er grinste. Genau. Irgendwo lauerte immer ein fetter Kater. Und heute, heute würde er das feiste Katzenvieh sein …

Sein Grinsen gefror. Er hatte sein Ziel erreicht. Sein Blick fuhr den kalten, nackten Rohbau zur Rechten nach oben. Vierzehn Stockwerke ragte das graue Betonmonster in den düsteren, tschechischen Himmel, zwei weitere Etagen würden noch folgen. Der ideale Ort für das, was er vorhatte.

Eine gute Entscheidung, das Ergebnis langer Planung. Er wollte alles richtig machen. Er wollte Rache. Dafür hatte er sich Zeit gelassen, das war es ihm wert gewesen. Er wollte sich an dem Mann rächen, der ihm alles genommen hatte, der alles kaputt gemacht hatte, der alles zunichtegemacht …

Er spürte den brodelnd steigenden Blutdruck und schüttelte sich energisch. Halt, er brauchte einen kühlen Kopf. Keine Emotionen, die waren hier vollkommen fehl am Platz. Es war alles sorgfältig durchgeplant. Gleich würde sich mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks ein kompliziertes, ratterndes Räderwerk unaufhaltsam in Gang setzen.

Endlich!

Er blickte nach links und rechts. Kurz vor zehn. Niemand verirrte sich an einem Montag um diese trostlose Uhrzeit freiwillig in die dunkle Nacht; der Gehweg war menschenleer. Geschmeidig zwängte er seinen drahtigen Körper durch eine schmale, kaum erkennbare Lücke im Bauzaun. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, achtsam wich er Steinen und Holzbohlen aus, die vor ihm auf dem Boden lagen. Er zwängte sich zwischen zwei hohen Stapeln mit gelbbraunem Dämmmaterial hindurch und erreichte das Gebäude, das der Stadt schon bald als repräsentatives Hotel der Spitzenklasse internationales Flair bescheren sollte. Nach wenigen Metern schob er eine stabile Klarsichtfolie zur Seite und betrat den kaltfeuchten Rohbau. Leise stieg er eine nackte, geländerlose Betontreppe nach oben. Der Wind zerrte an der Folie.

Er war früh dran, eine Stunde vor der vereinbarten Zeit. Das schien ihm angemessen für das, was er plante. Obwohl das heute keine große Sache werden sollte.

Der breite, dunkle Schatten schoss plötzlich auf ihn zu, wie aus dem Nichts. Er wich zurück. Seine Hand fuhr in die Jacke. Er riss die Pistole mitsamt Schalldämpfer aus dem Spezialholster und zielte. Fast hätte er abgedrückt. Dann erkannte er im letzten Moment den fetten, schwarzen Kater, den er kurz zuvor beim Abendessen gestört zu haben schien. Wie ein Blitz sauste das massige Vieh mit einem blutigen Stück Ratte in der Schnauze an seinen Füßen vorbei die Betonstufen nach unten. Er packte seine Waffe wieder weg, sein Herzschlag beruhigte sich.

»Drecksvieh«, murmelte er in den feuchten Rohbau hinein.

Der Kater war wie dieser heruntergekommene Vorort Prags. Schäbig, hässlich, verlaust und ohne Würde.

Er hatte die dritte Etage erreicht.

»He«, krächzte es von der Seite.

Er fuhr herum, seine Hand rauschte wieder automatisch ans Holster. War das …?

»Was machst du hier?«, keuchte ihn ein Stadtstreicher an. »Ich war hier zuerst.«

Der Stadtstreicher hielt plötzlich eine schwere Taschenlampe in seinen Fingern. Verdammt. Dass jemand sein Gesicht sehen würde, passte ihm überhaupt nicht. Nicht heute. Nicht jetzt.

»Lass die Lampe aus«, zischte er.

Aber zu spät. Der Penner hatte den Knopf schon gedrückt. Sein Todesurteil.

Nein. Kein Lichtstrahl. Die Batterie war leer.

Er riss die Knarre aus dem Holster und sprang nach vorn. Nicht schießen! Er holte weit aus und schlug kräftig zu. Der Stadtstreicher riss seine Arme hoch. Vergeblich. Der schwere Knauf der Waffe ratschte dem Obdachlosen eine Wunde in die haarige Stirn. Benommen sackte der Kerl zu Boden. Eine halbvolle Schnapsflasche rutschte dem verlausten Penner aus dem Mantel und kullerte über den nackten Betonboden Richtung Treppenabsatz.

»Scheiße!«

Hastig sprang er der Pulle hinterher und erwischte sie im allerletzten Moment, bevor sie über den ungesicherten Etagenabsatz in die Tiefe gerauscht und unten mit einem lauten, verräterischen Scheppern zu Bruch gegangen wäre.

Das war knapp. Verdammt. Er hatte nicht damit gerechnet, dass in dem Bau Stadtreicher hausen würden. Ein grober Planungsfehler, der fast fatale Auswirkungen gehabt hätte.

Und hatte! Er war für einen Moment abgelenkt. Sonst hätte er ihn kommen hören.

»Keine Bewegung!«, fuhr ihn der Mann an.

Er wirbelte herum, die Flasche Schnaps des verfluchten Penners noch in der linken, die Pistole mit der Mündung zum Boden gerichtet in der rechten Hand.

Auch der Mann, mit dem er verabredet war, hatte ihren Treffpunkt eine Stunde vor der Zeit aufgesucht. Er erkannte den Polizisten. Die zerknautschte, dunkelbraune Lederjacke, dieser Gestank nach Zigaretten, nach billigen Blesk. Und in seiner rechten Hand die Pistole, die Mündung lässig auf seinen Brustkorb gerichtet.

In den Augenwinkeln bemerkte er, dass der elende Stadtstreicher sich aufrappelte und taumelnd das Weite suchte. Verflucht, um den musste er sich dringend nachher noch kümmern. Wenn es ein … Nachher … geben würde.

»Lass die Knarre unten, sonst bist du tot«, knurrte der Bulle, mit dem er eigentlich in der fünften Etage verabredet war.

»Du wirst mich nicht erschießen!«

»Meinst du?«, fragte der Bulle.

Ihre Blicke trafen sich. Der Blick des Polizisten war kalt, seiner wissend. Er lächelte und ließ seine Knarre nicht unten.

Sekundenbruchteile später zuckte drei Stockwerke unter den Männern ein fetter, schwarzer Kater erschreckt zusammen.

1. Tag

Sie hätte sich niemals darauf einlassen dürfen. Nervös warf sie einen Blick in den Rückspiegel. Keine Scheinwerfer. Kein Fahrzeug folgte ihr die Autobahnabfahrt runter auf die Bundesstraße. Das war gut, wollte sie aber nicht beruhigen.

22 Uhr durch.

Am Ende der langgezogenen Ausfahrt setzte sie den Blinker rechts und bog zügig auf die Bundesstraße.

»Mettmann.«

Der Ortsname auf dem gelben Straßenschild sagte ihr nichts. Sie warf einen weiteren prüfenden Blick in den Spiegel. Nichts, die Fahrbahn hinter ihr war leer. Ihr angestrengter Blick streifte die leuchtend rote Sporttasche auf dem Rücksitz. Sie biss sich auf die Unterlippe.

Das war ein Fehler. Ein riesiger Fehler.

Sie hätte sich niemals darauf einlassen dürfen.

Erschöpft fuhr sie sich mit der linken Hand durchs verkrampfte, angespannte Gesicht. Sie kniff die Augen zusammen. Zu viele Kilometer steckten ihr in den Knochen. Die Muskeln schmerzten, die Gelenke waren steif. Ihren Rücken hatte sie mit einer halben Packung Schmerztabletten ein wenig zur Ruhe bringen können. Der dunkelblaue Strickpullover wärmte sie nur unzulänglich, die Heizung ihres Leihwagens war wirklich nicht der Bringer.

Die Schriftzüge auf den Straßenschildern längs der Strecke konnte sie kaum noch lesen. Was vielleicht auch am aufziehenden Nebel liegen konnte.

»Mist.«

Nebel. Das hatte ihr noch gefehlt.

Sie hätte sich niemals darauf einlassen dürfen.

Sie nahm den Fuß vom Gaspedal. Links musste gleich der schmale Weg abgehen. Da war ein Hinweisschild.

»Golfclub.«

Irgendetwas Asiatisches …

Sie fuhr zusammen. Ein Scheinwerferpaar drängte sich plötzlich in den Rückspiegel.

»Verdammt.«

Wo kam der Wagen so plötzlich her? Ein orangefarbener Fahrtrichtungsanzeiger blinkte durch die spinnfeinen Nebelschlieren. Der Fahrer hinter ihr setzte zum Überholen an. Ihr Herzschlag setzte aus. Gott, das waren … sie.

Der Wagen schob sich zügig links an ihrem Auto vorbei und blieb dann schräg vor ihr. Wie in Trance erkannte sie, dass die Scheibe auf der Beifahrerseite heruntergefahren wurde. Eine Hand. Ein Gegenstand. Da wurde eine Waffe auf sie gerichtet!

Nein, eine Anhaltekelle leuchtete hell und rot.

»Polizei«, flüsterte sie, drehte kurz ihren Kopf und blickte nervös auf den Rücksitz und auf die rote Sporttasche.

Die Anhaltekelle senkte und hob sich. Die Fahrbahn hatte einen mit weißer Markierung abgetrennten Standstreifen. Sie blinkte rechts, senkte ihr Tempo und fuhr ihren roten Kleinwagen wie befohlen rechts ran.

Das Fahrzeug setzte sich mit einem vorsichtigen Schlenker vor ihres. Sie schnappte laut nach Luft, hatte vergessen zu atmen. Nur mit aller Gewalt konnte sie ihre starren, schreckverkrampften Finger vom Lenkrad lösen. Die Hände zitterten. Schnell legte sie ihre Hände wieder auf das Steuer.

Der Beifahrer stieg zuerst aus dem Fahrzeug. Der Polizist trug keine Uniform. Er war groß und auf eine nicht dickliche Art massig. Ein Kraftpaket, breiter Gang. Ein mächtiger Brustkorb spannte seine hellblaue, abgewetzte Jeansjacke. Der Mann erinnerte sie an Jan Koller, den ehemaligen Fußballer, den ihr Vater damals so toll fand.

Sie hätte sich niemals darauf einlassen dürfen.

Auf der Fahrerseite entstieg dem dunklen BMW eine weitere Person. Eine Polizistin. Das war gut, das beruhigte sie. Eine Frau. Schlank, athletisch, federnder Schritt, strohblonde, nackenlange Haare, in der Mitte gescheitelt.

Der Mann stand inzwischen auf der Beifahrerseite, leicht nach vorne gebeugt. Seinen linken Arm hatte er in Schulterhöhe angewinkelt. Augenscheinlich war er bereit, bei Gefahr sofort eine Waffe aus dem Schulterholster zu ziehen. In der anderen Hand hielt er eine schwere, schwarze Taschenlampe, die er in diesem Moment einschaltete. Der Lichtstrahl boxte ihr mitten ins Gesicht, blendete ihre sowieso schon empfindlichen Augen. Schützend legte sie eine Hand vors Gesicht, aber der helle Lichtkegel fingerte schon suchend durch den Innenraum des Fahrzeugs.

Sie schluckte. Mist, die Sporttasche. Sich gegen den Anflug von Panik stemmend, fuhr sie die beiden Fensterscheiben herunter.

Die Kollegin des Taschenlampenmannes beugte sich auf der Fahrerseite ins Innere. Hellblaue Augen funkelten. »Polizei, allgemeine Verkehrskontrolle«, summte die Frau mit aufmerksamem Blick und streckte ihr mit der linken Hand einen Dienstausweis entgegen. »Bitte den Führerschein und den Fahrzeugschein.«

Sie fischte die Papiere aus der Mittelkonsole und registrierte, dass der grelle Lichtkegel auf dem Rücksitz die Sporttasche entdeckt hatte und dort verharrte.

»Habe ich etwas falsch gemacht?«, fragte sie hastig und mit erstaunlich fester Stimme.

»Ich hoffe nicht«, summte die Polizistin und strich sich mit einer Hand eine Strähne hinters Ohr.

Nickte sie ihrem Partner zu?

Rechts von ihr beugte sich der breite Jeansjackenmann jetzt in ihr Fahrzeug. Er stützte sich dabei mit der linken Hand am Fensterrahmen ab. Irgendetwas im Zusammenhang mit dieser Bewegung machte sie stutzig.

»Wo kommen Sie jetzt her?«, fragte die Polizistin.

»Aus Prag.«

»Aus Prag?«

»Ja. Tschechien. Deshalb die tschechischen Kennzeichen am Fahrzeug und mein tschechischer Führerschein.«

»Das ist eine lange Strecke.«

»Ich hab hin und wieder eine Pause eingelegt, so ging es.«

»Sie sprechen sehr gut Deutsch«, kleidete die Polizistin eine weitere Frage in eine Behauptung.

»Danke«, wich die Frau aus.

Die Polizistin nickte.

Die Frau riss ihren Kopf nach rechts. Der Arm des Mannes! Die Uhr. Es war die Uhr, die ihr aufgefallen war. Selbst im trüben Licht der Innenbeleuchtung hatte sie erkannt, dass der Polizist eine sündhaft teure Armbanduhr von Breitling trug.

Und als die Frau sich ihr nun von links entgegenbeugte, ohne sich die Ausweispapiere angesehen zu haben, hatte sie auf einmal ein ganz, ganz schlechtes Gefühl.

Neben dem würzig leckeren Altbier und den saftigen Frikadellen war das Beste in Krakes Kneipe – vom einarmigen Wirt selbst mal abgesehen – die ausgesucht geile Musik.

»Ist das Aretha Franklin?«, fragte Struller und nickte Richtung Box unter der Decke.

»Ihre ältere Schwester. Erma«, summte Krake, ohne vom Laptop aufzusehen.

Struller nickte. »Ich hätte nie gedacht, dass mir jemals ein Light-my-Fire-Cover gefallen würde.«

»1969, drittes Lied, erste Seite. Soul Sister. Erstklassige Scheibe«, spulte Krake ab.

In Sachen Soulmusik machte Krake keiner was vor. Das war bei Strullers Lieblingswirt pure Kernkompetenz. Wie Frikadellen kneten. Einhändig. Einhändiges Frikadellenkneten.

Struller streckte ihm sein leeres Glas entgegen. »Ist alle. Neu.«

Krake seufzte. »Das ist schon dein drittes.«

»Ich habe Durst. Das ist hier eine Kneipe. Deshalb bin ich hier. Und du bist Wirt. Deshalb bist du hier. Du solltest dich über meine durstige Anwesenheit erfreut zeigen. Also, mach hin.«

Krake schob den Laptop beiseite und ließ den Zapfhahn zackig schnacken. »Was macht dich denn so durstig?«

»Die bleihaltige Luft auf dem Schießstand.«

Krake hob überrascht seine Augenbrauen. »Schießstand? Hast du da nicht Hausverbot? Warum noch mal? Ach, weil du auf einen Schießtrainer geschossen hast.«

»Er hat ständig Schlager vor sich hingesungen. Bei Hello Again hab ich abgedrückt. Das hätte jeder normale Polizist getan.«

»Du hast ihn verfehlt.«

»Mit Absicht.«

»Du würdest auch ein Scheunentor nicht treffen!«

»Wir schießen nicht auf Scheunentore. Wir schießen auf Pappkameraden. Und da auf die Arme und die Beine. In deinem Fall: auf den Arm und die Beine.«

Krake parkte das Bier vor Struller.

Der ergriff das Glas und fuhr fort. »Ich bin ein super Schütze. Treffsicher wie Robin Hood, schnell wie Lucky Luke, präzise wie ein Hirnchirurg. Meine Schießkünste haben den Schießtrainer wachgehalten. So einen Killer hatte der lange nicht gesehen.«

»Aha, du bist also ein Killer. Soso. Und wieso muss man einen Schießtrainer wachhalten? Sollte der nicht hellwach sein, damit ihr euch nicht gegenseitig abknallt?«

»Der Kerl verdient sich nachts nebenbei was dazu. Unterm trüben Neonlicht und bei stickiger Luft kann Freund Morpheus dann tagsüber schon mal zulangen. Immer die gleichen Übungen, immer das Gleiche zu erklären. Für mich wäre das nichts.«

»Dir sind Tote lieber?«

Struller schürzte die Lippen. »Nein, mein Sportsfreund, das kannst du so auch nicht sagen. Auf jeden Fall konnte ich ihn heute mit meinen Schießkünsten schwer begeistern.«

»Is’ klar, du Scharfschütze. Wenn du arbeitest, steht bei dir der Mensch im Mittelpunkt«, knurrte Krake wenig beeindruckt und schnappte sich wieder seinen Laptop.

Struller leerte das halbe Glas und fragte. »Was hängst du denn mit der Nase andauernd so ungemütlich in dem Klappkasten. Reife Hausfrauen in deiner Nähe warten auf dich?«

»Ich recherchiere im Netz.«

»Ach! Was denn?«

»Ich überlege, mir eine Prothese zuzulegen.«

»Penisverlängerung?«

»Idiot. Es gibt da ganz interessante Armprothesen.«

»Aus Gummi?«

»Auch.« Krake drehte den Bildschirm in Strullers Richtung. »Hier, myoelektrisch.«

Struller kräuselte die Nase. »Myo-was? Also mir würde was fehlen, wenn du wieder vollständig wärst. Ich liebe dich so wie du bist, Schatz.«

»Och …«

Struller nippte nachdenklich am Altbier. »Allerdings, du könntest dir ein paar Gimmicks in den neuen Arm einbauen lassen. Wie damals beim Sechs-Millionen-Dollar-Mann. Quasi: Krake, der Vierhundert-Euro-Kerl.«

»Hm.«

»Das würde dich insgesamt aufwerten. In den Zeigefinger ein Feuerzeug«, schlug Struller vor.

»In den Mittelfinger einen Korkenzieher«, nahm Krake den Gedanken auf.

»Eine Taschenlampe im Daumen. Licht fehlt dir dauernd irgendwie. Gerade bei Dunkelheit.«

»Ein Schraubendreher mit Wechselkopf. Kreuzschlitz, Längsschlitz, Torx.«

»Da gibt es bestimmt coole Sonderanfertigungen«, mutmaßte Struller, als sein Handy klingelte.

»Dienstlich?«, fragte Krake spöttisch.

Struller checkte das Display. »Eine ausländische Nummer. Elf Uhr? Wer soll das denn sein?«

»Geh ran und frag. Mach ich auch immer«, empfahl Krake. »Hat sich bewährt.«

»Verrückt«, murmelte Struller und tat es. »Struhlmann. Hallo? Oh, schlechte Verbindung. Skupa? Karel Skupa?«

Struller stand vom Hocker auf und wechselte das Handy ans andere Ohr. Karel Skupa! Der coole Kollege aus Prag, mit dem er es im Umgelegt-Fall zu tun gehabt hatte. Guter Mann! Vierzig Jahre, scharfe Kurzhaarfrisur, zerknautschte, dunkelbraune Lederjacke, immer eine Blesk am Zahn.

Die Verbindung blieb allerdings unter aller Sau.

»Ich kann dich kaum verstehen, Kollege. Nimm die Kippe aus dem Mund! Treffen? Treffen mit dir? Sicher! Wann? Jetzt gleich? Scheiß Verbindung! Ja, Tschechien ist weit weg. Noch hinter Köln. Wo denn treffen? Hoppenhofweg? Wo soll das denn jetzt sein? Okay. Ich komme.«

Struller drückte an seinem Handy den Aus-Knopf, Krake blickte ihn fragend an.

»Ein Kollege aus Tschechien will sich mit mir treffen. Jetzt. Sofort. Hoppenhofweg.«

»Hoppenhofweg? Nie gehört.«

»Soll von der Bergischen Landstraße abgehen, ganz weit draußen, Richtung Mettmann.«

»Ja, dann«, nickte Krake und reichte Struller ein letztes Altbier über den Tresen. »So spät abends sollte man besser nicht mehr ans Telefon gehen.«

Das sollte Struller wenig später auch so sehen.

Mann, war das nebelig. Struller kroch mit seiner Kiste im Schritttempo über die Bergische Landstraße, um die Straßenschilder überhaupt lesen zu können.

»Hoppenhofweg? So einen Namen kannst du dir nicht ausdenken.«

Ihm war seit Langem klar, dass bei den Ich-denk-mir-einen-Straßennamen-aus-Dienststellen übel viel gekifft wurde. Außerdem war das hier ja inzwischen schon Mettmann. Gruselig. Und dann dieser Nebel. Nebel … Auch so eine völlig blödsinnige Erfindung. Der liebe Gott hatte seinerzeit nicht nur gute Ideen gehabt.

»Ah da.«

Schwungvoll bog Struller mit seinem mintfarbenen Passat nach links ab in einen schmalen, einspurigen, asphaltierten Feldweg. So, jetzt sollte auf der rechten Seite gleich eine Reitschule kommen. Ja genau, da war das Gebäude schon. Und circa zweihundert Meter weiter befand sich der unbefestigte Schotterparkplatz, den Pendler zum Abstellen ihrer Pkw nutzten, bevor sie sich im Berufsverkehr die Serpentinen hinunter Richtung Düsseldorf stürzten.

Struller stoppte seinen Dienstwagen und sah sich suchend um. Aber nach einigen Metern schluckte der dichte Nebel seinen Blick. Selbst die Umrisse des Schotterparkplatzes waren nicht auszumachen. Hm, hatte Karel seinerzeit nicht einen kleinen Skoda gefahren? In einem farbenfrohen Maustaubengraubraun? Er konnte kein passendes Auto entdecken.

Vorsichtig ließ er seinen Wagen noch ein paar Meter weiterrollen und entdeckte dann plötzlich das Fahrzeug, das hinter einem alten, rostigen Wohnmobil geparkt war. Kein Skoda, aber ein roter Kleinwagen mit tschechischen Kennzeichen, die Scheinwerfer ausgeschaltet.

Da musste Karel drinsitzen.

Struller würgte den Motor ab und stieg aus. Der Nebel drückte ihm Feuchtigkeit in den hochgestellten Kragen seiner Jacke, sehr unangenehm. Struller schniefte. Gab es hier in Mettmann eigentlich Werwölfe?

Im Kleinwagen regte sich nichts. Zügig trat er an das Fahrzeug heran. Auf die Entfernung war nicht zu erkennen, ob sich überhaupt jemand im Auto befand.

»Karel?«

Struller hatte den Wagen erreicht, beugte sich über das Fahrzeug und presste sein Gesicht gegen die Scheibe auf der Beifahrerseite. Total beschlagen war sie von innen, die Scheibe, es ließ sich kaum was erkennen.

Aber ja. »Karel!«

Durch die feuchtgrauen Schlieren in der Scheibe entdeckte er den tschechischen Kollegen. Den Körper vornübergebeugt, hatte der Kerl seinen Kopf aufs Lenkrad gelegt.

»Der schläft, der alte Knaller.«

Struller richtete sich auf, ging ums Fahrzeug herum. Es war ein kleines, schelmisches Teufelchen, das ihm befahl, jetzt nicht etwa rücksichtsvoll und vorsichtig gegen die Scheibe zu klopfen, sondern die Fahrertür zügig mit einem Ruck aufzureißen.

»Aufstehen, Kollege!«, brüllte Struller.

Und fuhr zusammen. Die Person auf dem Fahrersitz hatte nicht mal gezuckt, hatte sich überhaupt nicht bewegt. So tief und fest konnte doch gar kein Mensch schlafen. Auch kein Tscheche. Alarmiert beugte sich Struller ins Fahrzeug und erkannte zwei Dinge gleichzeitig. Die Person schlief nicht. Und die Person war nicht Karel Skupa.

»Scheiße«, flüsterte Struller und schnappte nach Luft.

Kein Karel Skupa, kein Mann, sondern eine Frau. Eine junge Frau im hellblauen Strickpullover, mit kurzen, blonden Haaren und einer kleinen, kreisrunden Einschusswunde an der Schläfe.

Struller legte mehrere Finger an den nackten Hals der jungen Frau und wunderte sich nicht, dass seine Fingerspitzen keinen Puls zu fühlen bekamen.

Warm! Die Haut am Hals der jungen Frau war warm.

Blitzschnell ging Struller in die Knie und duckte sich so gut es ging, das Fahrzeug als Deckung nutzend. Gleichzeitig riss er seine Dienstwaffe aus dem Schulterholster. Mit zusammengekniffenen Augen sahen er und seine Pistole sich hektisch um.

Wie in einem bunten Comic ploppten gleichzeitig mehrere Fragen über seinem Kopf auf. Hatte ihn jemand hierherbestellt, damit er die Tote findet? Etwa Karel? Warum? Wer war die Frau? Wenn das Ganze eine Falle war, dann stand er selbst womöglich bereits mitten im Fadenkreuz eines Mörders, der diesen Tatort vor nicht allzu langer Zeit verlassen hatte. Und vielleicht aus dem Hinterhalt der weiblichen eine männliche Leiche hinzufügen wollte …

Mit zusammengekniffenen Augen suchte Struller im Nebel so gut es ging die Umgebung ab. Den Park&Ride-Parkplatz hatte man in ein grünes Feld hineingeschottert. Von ein paar leichten Erhebungen abgesehen, war das hier flach bis nach Mettmann. Lediglich der rostige Camper neben ihm konnte einem Heckenschützen als Versteck dienlich sein. Maximal fünfzig Meter weiter verschluckte der Nebel jedes Ziel.

Aber es fiel kein Schuss.

Langsam und ohne seine Deckung aufzugeben, friemelte Struller sein Handy aus der Jackentasche und wählte 110. Er hatte nicht Skupa, aber eine Leiche gefunden.

Struller spürte in jeder Faser seines Körpers, dass eine ganz, ganz üble Sache auf ihn zurollte. Krake hatte vorhin recht gehabt: Er hätte so spät abends niemals ans verkackte Handy gehen sollen.

Wenige Minuten später trafen die ersten Streifenwagen ein. Durch den Nebel gedimmtes Blaulicht flackerte durch die Nacht. Der Kollege der Einsatzleitstelle, den Struller informiert hatte, schickte offensichtlich jeden Polizisten, der nicht niet- und nagelfest gewesen war.

Struller wunderte sich allerdings, dass er keinen der uniformierten Kolleginnen und Kollegen kannte, und wendete sich deshalb an den jungen Polizisten, der ihm am nächsten stand. »Tag, ich hab angerufen. Ich bin aus’m KK 11. Wieso kenne ich hier keinen?«

»KK 11? Düsseldorf?«

»Klar.«

Der Kollege mit den strohblonden Haaren schüttelte seinen Kopf. »Hier ist nicht Düsseldorf.«

»Wo ich bin, ist Düsseldorf«, widersprach Struller.

Der Polizist blinzelte. »Äh, nein. Der Hoppenhofweg ist schon Mettmanner Gebiet. Deshalb landete dein Notruf auf der Leitstelle in Mettmann. Und deshalb sind hier nur Streifen aus Mettmann.«

»Ach?«, zeigte sich Struller erstaunt.

Der Mann nickte die Fahrbahn entlang in den Nebel. »Da hinten ist irgendwo die Grenze.«

Struller richtete den Kragen seiner Jacke. Mettmann. Aha, alles klar, deshalb fröstelte ihn. Für Struller endete die zivilisierte Welt an den Grenzen seiner geliebten Landeshauptstadt. Jenseits davon gab es nur Wildnis.

In diesem Moment bog ein Streifenwagen derart zügig auf den Parkplatz, dass es Schottersteinchen durch die Luft wirbelte. Flott stieg ein Beamter an der Beifahrerseite aus. Zackig reckte er sich die Wirbelsäule gerade. Vier Sterne lagen als silbern glänzende Kompetenz auf seinen breiten Schultern. Mit bärig-tiefer Stimme herrschte er seinen Kollegen auf dem Fahrersitz an: »Tatortbereich absperren! Flatterband!« Mit weiten Schritten trat er anschließend direkt auf Struller zu. »Polizeihauptkommissar Pfenner, ich bin der zuständige Dienstgruppenleiter.«

»Struhlmann, ich bin …«

»Sie sind der Melder.«

»Auch«, sagte Struller. »Ich habe …«

»Wir brauchen Licht!«, brüllte der Dienstgruppenleiter plötzlich, dass es Struller die Frisur verwehte. »Order mal ein paar Scheinwerfer bei der Feuerwehr. Das muss hier alles ausgeleuchtet werden. Und sag denen, die sollen sich beeilen.«

Struller blinzelte.

Der Polizist drehte sich wieder ihm zu. »Dann erzählen Sie mal.«

»Täte ich ja machen, wenn du mir nicht immer dazwischen quatschen oder mich anbrüllen würdest«, kodderte Struller, der es nicht leiden konnte, wenn man ihm in den Wortbeitrag grätschte.

Des Hauptkommissars Gesichtsfarbe wechselte schlagartig ins leuchtend Rötliche. Er schien sich bebend zu fragen, was dem kleinen, hutzligen Männlein in seinem zerknautschten, mattschwarzen Sommerblouson vor ihm einfiel, hier so rumzumackern. Seine Nase zuckte. »Haben Sie getrunken?«

»Nicht mehr als sonst«, blieb Struller gelassen und ehrlich und zog gleichzeitig seine Dienstmarke vorne aus der Hosentasche. »Ich bin ein Kollege.«

»Ach?«, entspannte sich der Polizist, nach einem Blick auf die verkratzte Metallplakette.

»Pit Struhlmann, ich kann den Fall übernehmen, KK 11, PP Düsseldorf.«

»Sachte, sachte«, hob der Polizist seine Hände. »Hier ist Mettmann zuständig.«

»Ja, aber wo ich ja jetzt schon mal hier bin …«

»Die örtlich hier in Mettmann zuständigen Kollegen sind bereits unterrichtet und schon auf dem Weg hierher«, ließ der breite Cop da nicht mit sich reden. »Die treffen sicher ebenfalls jeden Moment hier ein.«

Wie aufs Stichwort bog in diesem Moment ein Zivilfahrzeug auf den Parkplatz und stoppte. Ein Mann, ganz klassisch im beigefarbenen Trenchcoat, stieg aus. Das war eindeutig Niemeyer, Horst Niemeyer. Struller kannte den Chef des Mettmanner KK11 von mehreren gemeinsamen Ermittlungen. Noch vor ein paar Wochen hatten sie beide ein Seminar in Münster besucht. Die Langaxt – ein beliebtes Mordinstrument.

Da spalten sich nicht nur die Geister!

»Horst!«, grüßte Struller den Amtskollegen.

»Struller, du Kettenhund. Was treibst du dich denn in meinem Revier rum?«

»Ich finde Leichen.«

»Wieso machst du das? Such in Düsseldorf! Du baust nur Scheiße, Kollege.«

Die Männer tauschten einen kräftigen Händedruck.

Struller klopfte sich eine Ernte aus der Schachtel. »Sollen wir uns den Tatort mal anschauen?«

»Meinen Tatort, Struller. Es ist mein Tatort. Du hast die Leiche gefunden, du bist ein Zeuge. Wieso überhaupt? Ich meine, was hast du hier zu suchen gehabt? Freiwillig und ohne Anlass schleicht man doch hier nicht durch die Botanik?«

»Ich habe einen Anruf bekommen. Aufs Handy. Ein Kollege aus Tschechien, mit dem ich mal zu tun gehabt habe, hat mich gebeten, genau hierhinzukommen, um ihn zu treffen.«

Niemeyer zuckte unbestimmt mit den Schultern. »Er ist aber nicht da.«

»Nein. Ich sehe dann hier den Wagen mit tschechischem Kennzeichen und denke, das ist mein Karel Skupa. Ich trete ans Fahrzeug, dann sitzt da die Frau am Steuer.«

Beide hatten inzwischen den Wagen erreicht, der Dienstgruppenleiter war ihnen gefolgt. Gleichzeitig beugten die drei sich nun in den Fahrerbereich.

»Und die Frau ist tot«, brummte Niemeyer und verzog sein Gesicht.

»Ja, aber noch nicht lange. Die Leiche ist noch warm.«

»Fahndung nach Skupa läuft«, meldete sich der Dienstgruppenleiter.

Abgesehen von dieser furchtbar lauten Stimme schien der Mann ein brauchbarer Polizist zu sein, freute sich Struller.

»Ich sehe keine Austrittswunde. Sieht so aus, als ob das Projektil noch im Kopf steckt«, murmelte Niemeyer. »Das ist gut. Das werden wir untersuchen. Vielleicht kommen wir übers Projektil an die Waffe, an dessen Besitzer und an den Schützen. Kennst du die Frau?«

Struller schüttelte den Kopf. »Nie gesehen.«

Eine Kollegin trat hinzu. »Es ist ein Pressevertreter eingetroffen, aufdringlicher Typ mit Kamera.«

»Presseanlaufstelle einrichten!«, krachte Pfenner.

Was für ein Organ! Struller ging sicherheitshalber ein paar Schritte zur Seite. Noch zwei oder drei gebellte Befehle und er würde sich einen gemeinen Tinnitus einfangen.

Struller warf einen Blick in den Fußraum des Fahrzeugs und auf die Rückbank, aber da lag nichts. Typisch Leihwagen.

Der Dienstgruppenleiter räusperte sich. »Wir haben eine Fahrzeughalterfeststellung gemacht. Der Wagen ist auf eine Autovermietung in Prag zugelassen.«

Niemeyer tippte Struller mit dem Zeigefinger in die Ermittlerbrust. »Zum Kollegen aus Prag noch mal, der dich angerufen hat. Wo steckt der jetzt?«

»Keine Ahnung.«

»Zeig mal dein Handy, ich lass den Anschluss checken.«

Struller zog sein Handy aus der Jacke und reichte es dem Kollegen aus Mettmann. Der gab es sofort an den Dienstgruppenleiter weiter, der mitgehört hatte und seinerseits sofort eine junge Kollegin einspannte.

»Sonst hast du hier bei der Anfahrt zum Parkplatz niemanden gesehen? Kein Auto?«

»Niemanden. Kein Fahrzeug. Nichts ist mir entgegengekommen.«

Die Kollegin räusperte sich. »Das ist ein Prepaid-Handy. Da lässt sich kein Teilnehmer zurückverfolgen.«

Niemeyer sah Struller fragend an. »Wieso benutzt dein Kollege ein Prepaid-Handy? Hat der kein Dienstliches?«

»Hey, was macht ihr da?«, brüllte plötzlich der Dienstgruppenleiter.

Ein Pärchen hatte sich unters rot-weiße Flatterband durchgeduckt und sich dem Fahrzeug mit der Toten genähert. Die Pistolen in den Holstern an ihren Gürteln ließen bei genauerem Hinsehen allerdings den Rückschluss zu, dass es sich um Polizisten handelte. Die blondhaarige Frau trug eine rote Lederjacke, der breite Mann eine abgewetzte Jeansjacke und eine teure Uhr am Handgelenk, die so kostspielig aussah, dass man wahrscheinlich kaum die Zeit ablesen konnte.

Der Dienstgruppenleiter schritt ihnen entgegen.

Niemeyer räusperte sich. »Diesen Skupa müssen wir sprechen.«

Struller nickte. »Verstehe. Du glaubst, er hat mich hierhingeführt, damit ich die Leiche finde? Ich glaube, Skupa ist in Ordnung.«

»Geführt oder gelockt, ich weiß es nicht«, schnaufte Niemeyer. »Hier ist allerdings überhaupt nichts in Ordnung. Ich hab ein ganz ungutes Gefühl, mein Freund.«

Struller sah, wie die beiden Zivilpolizisten mit dem Dienstgruppenleiter tuschelten.

Dann näherte sich von der Bergischen Landstraße kommend eine Frau dem Tatort. Oha. Äußerlich mochte sie die Schwester des bärigen Dienstgruppenleiters sein. Nur insgesamt ein wenig kräftiger gebaut und deutlich behaarter. Sie trug einen matrosenblauen Overall, schleppte einen schweren, schwarzen Koffer und war offensichtlich das weibliche Pendant zu Düsseldorfs Faserspuren-Harald.

»Kerl, Kerl, was eine Kacke. Eine Einmündung weiter und es wäre Düsseldorfer Gebiet«, fluchte die Frau und verdrehte genervt ihre Augen. »Heute ist echt ein Scheißtag.«

Struller nickte Richtung Wagen und Leiche. »Das findet die Frau sicher auch.«

»Was bist du denn für einer?«, knurrte die Frau.

Niemeyer ging dazwischen, bevor Struller hätte verbal kontern können, und grüßte fröhlich. »Tag Rosi, Rehlein!«

Struller runzelte die Stirn. Also, wenn irgendjemand nicht wie Rosi Rehlein aussah, dann diese Wuchtbrumme.

»Das ist ein Kollege aus Düsseldorf, Mordkommission«, stellte Niemeyer ihr Struller vor.

»Düsseldorf? Beileid, man kann es sich halt nicht immer aussuchen.«

»Er hat die Leiche gefunden.«

»Gefunden? Zufällig? Ist klar. Leichen findet man nicht zufällig. Niemals, nie. Ich an deiner Stelle würd’ den Kerl direkt einsperren. Macht jetzt mal Platz hier, ihr macht mir die Spuren kaputt«, rammte sich die Spurenfrau zwischen den beiden Polizisten hindurch Richtung Tatort.

»Brauchst du mich noch?«, fragte Struller, der sich nur so als Zeuge und ohne Aufgabe überflüssig vorkam.

»Erst mal nicht«, antwortete Niemeyer.

Struller streckte die Hand aus. »Krieg ich dann jetzt mein Handy wieder?«

»Ist beschlagnahmt. Beweismittel.«

Struller sah seinen Kollegen an.

Der hielt seinem Blick stand. »Struller, das ist eine Mordermittlung. Jemand hat dich hierhingeschickt, du findest die Leiche. Du bist ein Zeuge, ein wichtiger Zeuge. Ich muss genau checken, wann du angerufen wurdest. Welche Telefonnummer? Welcher Teilnehmer? Ich muss dir nicht erklären, wie ich meinen Job zu machen habe.«

Struller nickte und schlug seinem Kollegen freundschaftlich auf die Schulter. »Ist klar.«

Grübelnd bog Struller kurz darauf mit seinem Dienstwagen nach rechts auf die Bergische Landstraße. Beim Einsteigen in seinen Passat Kombi hatte er die Augenpaare der beiden Zivilen und des Dienstgruppenleiters bemerkt, die ihm misstrauisch hinterhergeschaut hatten. Die lauernden Blicke hatten sich nicht gut angefühlt. Möglicherweise stellten die drei sich gerade die gleiche Frage, die er sich die ganze Zeit stellte: Weshalb hatte ausgerechnet er die Leiche gefunden? War das Zufall? Ein Versehen? Oder Absicht?

Der tschechische Karel hatte ihn hierhin beordert. Die tote Frau saß in einem Fahrzeug mit tschechischem Kennzeichen, das war ganz sicher kein Zufall. So viel Zufall gab es nicht!

»Niemals.«

Struller brütete sich durch noch ein paar weitere Fragen und konzentrierte sich erst kurz vorm Staufenplatz auf den Fahrzeugverkehr. Der war um diese Uhrzeit übersichtlich. Vor ihm fuhr niemand und hinter ihm nur ein dunkler Mittelklassewagen, der ordentlich Abstand hielt.

»Hm.«

Wo ihm das Fahrzeug jetzt aufgefallen war … Wie lange fuhr es schon hinter ihm her? Schon seit dem Hoppendingensweg? Wurde er verfolgt? Struller strich sich übers Haar. Dieser unseligen Nacht war jede Unannehmlichkeit zuzutrauen.

»Mal sehen«, murmelte Struller und ordnete sich am Staufenplatz rechts in Richtung Heinrichstraße ein. Das Fahrzeug folgte ihm.

Die Ampel zeigte Rotlicht. Gelb! Struller gab Gas. Genau genommen trat er das Pedal mit Schmackes bis in die Bodenwanne seines Passats. Mit quietschenden Reifen zog er die Kiste nach links und wechselte auf den Fahrstreifen, der als Grafenberger Allee Richtung Innenstadt führte. Der dunkle Mittelklassewagen blieb auf dem Fahrstreifen rechts. Struller ging hart in die Eisen, verlangsamte und hörte, wie der Fahrer des anderen Fahrzeugs ihm eine Beleidigung ans Auto hupte und dann in Richtung Heinrichstraße weiterfuhr. Okay. Hatte alles seine Richtigkeit. Kein Verfolger.

Struller entspannte sich.

Horst war in Ordnung. Ein guter Ermittler. Während des letzten Fortbildungsseminars in Stukenbrock hatte Horst sich bei einer Observationsübung zwar tollpatschiger angestellt als Jerry Lewis in einem seiner Filme, aber sein Mettmanner Pendant verfügte über ein gutes Auge, raffiniertes Timing und einen messerscharfen Verstand. Die Ermittlungen befanden sich sicherlich in guten Händen, aber eine Frage hatte Horst ihm nicht gestellt, sodass er seinen Kollegen nicht hatte anlügen müssen. Im Büro hatte Struller nämlich Karel Skupas eigentliche Handynummer, die, soweit Struller wusste, nicht zu einem Prepaid-Handy gehörte. Seinem zerknautschten, tschechischen Amtsbruder würde er ein paar krachende Fragen in den Telefonhörer nuscheln.

Struller heizte durch die dunkle Nacht, ignorierte mehrere rote Ampeln, weil er es eilig hatte, und fand gleich vorm Polizeipräsidium einen fast ordnungsgemäßen Parkplatz.

Rechts des Haupteingangs wurde immer noch gebaut, alles sah ziemlich zugebrettert aus. Eilig stieg er die alten, ausgetretenen Steinstufen zum Pförtnerhäuschen hoch. Nachts war der Glaskasten unbesetzt und das Präsidium selbst fast menschenleer. Linksrum, Tür-Code, rechtsrum, Tür-Code – und schon durchquerte er das runde Foyer des altehrwürdigen Gebäudes. Hier hing der bleierne Hauch schweren After Shaves in der Luft.

»Mighty Moschus!«

Außer der Notbeleuchtung brannte nur im Flur geradeaus noch Licht. Dort war das Büro von Faserspuren-Harald. Struller wusste, dass der Chef der Spurensicherung manchmal nächtelang in alten Fällen und deren Spuren wühlte. Und sich ergraute Folgen von Medical Detectives in Dauerschleife reinzog.

Schnell sprang Struller die Stufen hoch und erreichte in der dritten Etage sein Büro, Zimmer 1321. Er schloss die Tür auf. Hier roch es muffig.

»Oh.«

Er hatte vergessen, die Rinderknochen zu entsorgen, die bei seinem letzten Fall übriggeblieben waren. Das fast vollständige Tier-Skelett hatte ein besorgter Oberkassler Bürger beim morgendlichen Spaziergang am westlichen Rheinufer fälschlich als Menschenknochen erkannt. Da Menschen aber üblicherweise keine vier Beine hatten, war das relativ zügig dann doch nichts für die Düsseldorfer Mordkommission gewesen. Die ollen Knochen hätten längst in den Müll entsorgt werden können. Und die Fliegen, die Struller auf diese Weise produzierte, waren Vogelfutter. Wer hatte was gegen Vögel?

»Es ist alles ein Kreislauf«, murmelte Struller, öffnete das Fenster und fuhr den Rechner hoch.

Unter Brauchbare Polizisten hatte er Karel Skupa abgespeichert. Die Liste war sehr kurz.

Eingetippt ins Telefon. Freizeichen. Dann …

»Keine Verbindung«, stellte Struller fest, das Mobile war ausgeschaltet.

Er legte den Hörer zurück ins Plastikbettchen. Dann hatte Skupa vielleicht tatsächlich ein neues Handy. Mit neuer Telefonnummer? Bei Krake im Aquarium hatte er lediglich erkennen können, dass es eine ausländische Telefonnummer war. Auf die genaue Zahlenfolge hatte er nicht geachtet, schließlich hatte er Durst gehabt. Hatte Karel ihn tatsächlich mit einem Prepaid angerufen? Oder gab es doch einen irgendwie gearteten dienstlichen Grund, nicht das eigene Mobiltelefon zu nutzen?

Struller schniefte. Oder hatte Skupa ihn tatsächlich an den Fundort der Leiche gelockt und ihn reingelegt?

Nachdenklich ließ Struller einen Kugelschreiber durch seine Finger wirbeln. Das konnte alles bedeuten. Der Kugelschreiber fiel ihm aus den Fingern. Struller verdrehte die Augen. Es war sein einziger Kuli, also auf die Knie. Natürlich, wie immer, der Schreiber war bis in die hinterste Ecke seines Schreibtischs gerollt.

»Wenn schon, denn schon.«

Gestoppt worden war der grüne Gewerkschafts-Kugelschreiber durch eine rote Sporttasche. Struller stutzte. Was war das denn für eine Tasche? Seine war es jedenfalls nicht. Struller besaß keine Sporttasche. Neugierig zupfte er die rote Tasche an einem Tragehenkel näher an sich ran. Das Teil war schwer. Lagen da Hanteln drin? Wer hatte das Ding da abgestellt?

Sein Ex-Praktikant Jensen fiel ihm ein. Der hatte immer irgendwelche Sporttaschen dabeigehabt. Und Trinkflaschen. Und Rucksäcke. Und so was. Aber der arbeitete zurzeit beim Objektschutz. Hatte der überhaupt einen Schlüssel zum Büro?