Bossing - wenn der Chef mobbt - Andreas Huber - E-Book

Bossing - wenn der Chef mobbt E-Book

Andreas Huber

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Beschreibung

Mobbing: Wen es trifft, der ist existenziell bedroht, oft mit lebenslangen Folgen. 15 bis 25 Milliarden Euro kostet es Deutschland im Jahr, so der geschätzte volkswirtschaftliche Schaden. Mobbing ist in aller Regel keine "Angelegenheit unter Kollegen", sondern Bossing. Denn in mindestens jedem zweiten Fall agiert der Vorgesetzte als Mobber. Die beiden profilierten Autoren legen den Finger in die Wunde: Warum sind ausgerechnet die Verantwortlichen im Unternehmen die Hauptakteure im Psychokrieg? Die vielfältigen Fallbeispiele verdeutlichen, wie Bossing funktioniert. Krieger und Opfer erhalten praktische Hilfen an die Hand - zur Vorbeugung, um schädliche Handlungsroutinen zu durchbrechen und um Frieden und Fairness im Arbeitsalltag wieder herzustellen.

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Helmut Fuchs/Andreas Huber

Bossing –wenn der Chef mobbt

Strategien gegen den Psychokrieg

Kreuz

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2009 Verlag Kreuz GmbH

Postfach 80 06 69, 70506 Stuttgart

www.kreuzverlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: [rincón]2 medien GmbH

Umschlagbild: © Masterfile/Royaltyfree

Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-7831-8083-1

ISBN (Buch) 978-3-7831-3256-4

I. Vorwort: Bossing ist Mobbing – genauso, ähnlich oder anders?

Bossing ist von oben erklärter und geführter Psychokrieg: vom Boss, von Chefs und Führungskräften, die weisungsabhängige Mitarbeiter um jeden Preis mit allen Mitteln vernichten wollen.

Mobbing wurde lange Zeit unterschätzt oder ausgeblendet – viele Betroffene galten noch in den 1990er Jahren mehrheitlich als Mimosen, Neurotiker oder Psychotiker. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich gebessert: Mittlerweile wissen Betriebsräte, Mediziner und Psychologen besser Bescheid über die existenzielle Problematik, auch Politik und Rechtssprechung haben die bedrohlichen Vorgänge der Arbeitswelt erkannt.

Längst ist aber nicht alles im Reinen oder läuft mehrheitlich in die richtige Richtung. Weiterhin gibt es einen gravierenden blinden Fleck, fast schon eine tabuähnliche Wahrnehmungsstörung: Mobbing ist entgegen weitverbreiteter Vorurteile keine überwiegend »kollegiale Angelegenheit« – in aller Regel bedeutet Mobbing Bossing.

Gemobbt wird überall und in allen Branchen, in Krankenhäusern und bei der Polizei, in Kleinfirmen ebenso wie in Großunternehmen und in Staatseinrichtungen. Angestellte sind ebenso betroffen wie Beamte und Arbeiter. In mindestens jedem zweiten Fall agiert der Boss oder Vorgesetzte als Mobber: »Etwa 50 Prozent der Vorgesetzten sind aktive Mobberlnnen«, dokumentiert der Ver.di-Mobbingreport von 2006. Entsprechend des Reports verhalten sich 37,5 Prozent mobbingbegünstigend, nur 12,5 Prozent gingen verantwortlich mit ihrer Rolle um.

Diese Sicht der Dinge richtet sich nicht gegen das Kapital oder die Arbeitgeber. Sie entspricht den realen Verhältnissen. »Zugespitzt formuliert ist ein typischer Mobber«, bilanzieren die Autoren der staatlich beauftragten Repräsentativstudie Mobbing-Report 2002, »ein männlicher Vorgesetzter zwischen 35 und 54 Jahren, der bereits langjährig im Betrieb beschäftigt ist.«

Solche Erkenntnisse scheinen sich im Alltag zu verflüchtigen. Mobbing sehen viele Menschen nach wie vor als »Kollegen-Killing«. Auch Mobbingexperten räumen dem Bossing nur ausnahmsweise den entsprechenden Stellenwert ein. Unter den Arbeitspsychologen spricht unseres Wissens nach einzig der Frankfurter Mobbingforscher Dieter Zapf wiederholt davon, dass in 70 Prozent der Mobbingfälle die Chefs die Täter sind. Er fordert demgemäß eine eigenständige Bossingforschung. Bisher umsonst: Bis zum Herbst 2008 konnten wir keine deutschsprachigen Fachpublikationen, Diplomarbeiten oder Dissertationen über Bossing recherchieren. Neben einigen eigenen Erfahrungen oder Kollegenberichten sind wir daher auf fast detektivische Kleinarbeit angewiesen, auch wenn sich in manchen Arbeiten einige Erkenntnis-Mosaiksteinchen in der Ausgrabungssache Bossing finden lassen.

Vieles, was für Mobbing gilt, ist auch für Bossing nicht verkehrt. Doch es gibt einige bedeutende Unterschiede. Was wir aus heutiger Sicht wissen und belegen können, findet sich in diesem Buch.

Wir möchten in diesem Zusammenhang zwei mögliche Missverständnisse ausräumen und ihnen nachhaltig vorbeugen: Wir sind zum einen weder Mobbingforscher noch auf Mobbing- oder Bossingbehandlung spezialisierte Berater. Als Psychologen, Berater, Coaches, Teamentwickler und Moderatoren kennen wir jedoch die theoretischen Hintergründe ebenso wie die praktischen Strukturen und Zusammenhänge.

Zum anderen betreiben wir keinerlei Boss-Bashing. Wir haben die Führungskräfte nicht per se im Visier unserer Kritik. Wir wissen natürlich, dass Bossing zwar die Mobbingmehrheit darstellt, Führungskräfte sind jedoch nicht mehrheitlich Bosser, im Gegenteil.

Vor allem aber wissen wir aus eigener Erfahrung um die nachhaltige persönliche Hilfe, die unsere Anti-Bossing-Strategie Führungskräften geben kann. Darin geht es um die den Bossern eigenen Motive und ihre Umwertung. Das Wissen und der positiv gestaltete Umgang mit den zugrunde liegenden Motiven bedeuten ein unverzichtbares Know-how für Führungskräfte. Nichtwissen dagegen stellt einen gefährlichen Nährboden für demotivierendes wie unfaires Führungshandeln und Bossing dar.

Wir hoffen, dass dieser Ansatz hilfreiche Impulse für Betroffene und Kollegen liefern kann ebenso wie für eine weiterführende, arbeitspsychologische oder sozialwissenschaftliche Mobbing- und Bossingforschung. Eine umfassende Erforschung des Phänomens Bossing ist dringend notwendig. Die Gefahren, die von kommunikativ wenig kompetenten, fast zwangsläufig führungsschwachen Führungskräften ausgehen, die die verschiedenen Anteile ihrer Persönlichkeit nicht integriert haben, sind für Leib und Seele der Bossing-Betroffenen eine untragbare Zumutung.

Bossende Vorgesetzte haben aber auch eine betriebs- und volkswirtschaftlich desaströse Gesamtwirkung. Sie verbrennen immense Kapitalwerte ebenso wie Humankapital – eine, vielleicht sogar die wichtigste Zukunftsressource in diesem noch jungen 21. Jahrhundert.

II. Einleitung:Kapital undHumankapital

Bossing ist ein Phänomen unserer Arbeitswelt. Es wird zwar kaum als solches bezeichnet, tritt jedoch relativ häufig auf. Wie alles im Wirtschafts- und Sozialleben ist auch Bossing nur in Zusammenhang mit den Rahmenbedingungen zu verstehen.

Bossing bedeutet einen Umgang mit Menschen, der an die Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts erinnert: Das Kapital und seine industrielle Verwertung regierten, Karl Marx erkannte die entstandene Entfremdung der Arbeiter und Arbeiterinnen. Sie waren in doppelter Hinsicht entfremdet, von den Produkten ihrer Arbeit einerseits, der von ihnen produzierte Mehrwert nährte nur das Konto des Kapitalisten, und von ihren Arbeitsverhältnissen. Sie wurden kaum als Menschen wahrgenommen, sondern als entmenschlichte Anhängsel der Maschinen, die sie bedienten.

Im heutigen Mobbing und Bossing werden Menschen wie überalterte, nutzlos gewordene Maschinen behandelt, die man wegwirft, die nicht einmal mehr als Restmüll einen Wert haben. Die Härte dieser Aussage trifft die Wirklichkeit; in den folgenden Kapiteln wird dies näher ausgeführt werden.

Am Anfang des 21. Jahrhunderts hat sich die Wirtschaftswelt grundlegend gewandelt. Die Wissensgesellschaft ist viel stärker vom Humankapital bestimmt, Gegenwart und Zukunft werden dem Wissen und der Persönlichkeitsbildung gehören, dem modernen Dienst-Leisten. Im Mittelpunkt stehen nicht mehr die Maschinen und maschinelle Strukturen, sondern die Menschen mit ihren kommunikativen Prozessen. Die Marktdynamik moderner Dienstleistungen und ihre Wertschöpfungskette bestimmen Humanressourcen und Kompetenzen wie Beraten und Fördern, Informieren und Verkaufen, Entwickeln und Produzieren, Gestalten und Kreieren, Kommunizieren und Kooperieren.

Geld alleine schafft auch in der globalisierten Welt kein Geld – das geht nur über real produzierte Waren und geleistete menschliche Dienste. Dies gilt für alle Akteure – auch für den Mikrokosmos der Firmen und ihre Führungskräfte. In den Unternehmen ist Mobbing und besonders Bossing allerdings weiterhin eine Art betrieblicher Massensport: Jahr für Jahr wird in kleinen und großen Unternehmen gegen unzählige Menschen Psychokrieg geführt. In Deutschland sollen 1 Million Menschen betroffen sein, in Österreich 200 000 bis 300 000, in der Schweiz etwa 100 000. Die meisten Mobbingopfer, etwa drei Viertel, sind weiblich. Experten schätzen das volkswirtschaftliche Minus durch Fehlzeiten, Krankheit und Behandlungskosten, Produktionsausfälle und Frühpension in Deutschland auf mindestens 15 Milliarden Euro pro Jahr. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nennt 25 Milliarden, andere Analytiker 50 Milliarden. In Österreich geht man von einem Schaden in Höhe von 1,2 Milliarden Euro pro Jahr aus; in der Schweiz von 20 Milliarden Franken.

Warum ist das so?

Wie können Opfer und Täter aus ihren desaströsen Handlungsroutinen und Rollen ausbrechen?

Wie verfallen sie gar nicht erst in kriegerische Machtspiele?

Dieses Buch versucht eine Analyse und gibt einen Ausblick im Sinne einer speziellen Anti-Bossing-Strategie: Wir entwickeln unter dem Label Motivationale Umwertung einen Coaching-Ansatz für Frieden und Fairness, durch den beiden Parteien geholfen werden kann, von dem beide profitieren können. Als übergeordnete, gemeinsame Chefsache. Zur Stärkung und zum nachhaltigen Wachstum unseres wichtigsten Wirtschaftsgutes – des Humankapitals und unserer Human Resources. Zudem erhalten Bosser und Gebosste Anregungen zum Eigencoaching bzw. zu Schritten, die vorbeugend oder in akuten Fällen gegen das Bossing hilfreich sein können.

Noch ist weitgehend unklar, welche Dynamik die Entwicklung nehmen wird. Eines ist jedoch jetzt schon klar: Die Destruktivität von Mobbing und Bossing verweist auf nach wie vor wirksame Trägheitskräfte aus der Zeit der Maschinenindustrie. Wer sich aber der neuen Entwicklung verschließt, wird vom weiteren Berufsleben früher oder später abgemahnt. Wie viele Kultur-, Sozial- oder Wirtschaftswissenschaftler und Trendforscher wie Matthias Horx gehen wir davon aus, dass in der Wirtschaft der Zukunft die »kulturellen Industrien« vorherrschend sein werden. Dabei geht es nicht um Kultur im Sinne von großer Literatur oder Oper. Viel mehr haben wir es mit einem grundlegenden mentalen, ganzheitlich-psychologischen Wandel zu tun. Die Wertschöpfung verläuft entlang der Human Resources, betont unter anderem Horx. Dies geschieht in den Bereichen Gesundheit, Lebensqualität, Wissen, Bildung, Vernetzung, Empowerment. Und Führung natürlich.

So möchten wir allen Unternehmen, die Bossing in seinen vielen Schattierungen für akzeptabel halten, es strategisch einsetzen und operativ fördern, allen Führungskräften, die manifest oder latent bossen, folgende Analyse über die »Geschichte der Zukunft« von Eric Händeler mit auf den Weg geben:

»Im nächsten Strukturzyklus werden sich Aktien von Firmen rentieren, die in der Informationsgesellschaft am effizientesten mit Information umgehen, also weniger Ressourcen verlieren durch destruktive Streitereien, Statuskämpfe, Wichtigtuerei, fehlende soziale Kompetenz; Firmen, in denen ein belastbares gegenseitiges Vertrauen gewachsen ist durch Transparenz, Integrität und Verlässlichkeit; Firmen, die Jahre in ihre Mitarbeiter investieren, bis diese die Erfahrung haben, die Firma bahnbrechend weiterzubringen; Firmen, die in die umfassende Gesunderhaltung ihrer Leute investieren und deswegen auch produktivere Lösungen vorweisen.«

Diese Entwicklung betrifft nicht nur die soften Branchen, sondern den gesamten Kapitalismus. Der alte Industriekapitalismus ist auch in seiner neoliberalen Spielart längst zum Wettcasino geworden. Die aktuelle Krise hat schmerzlich klar gemacht, dass es allerhöchste Zeit ist, die Spielregeln zu verändern. Das neue Regelwerk wird dem amerikanischen Unternehmensberater Dov Seidman zufolge vor allem einen »Wettbewerb um Anstand, Ehrlichkeit und Fairness« fördern müssen. So beantwortete er im November 2008 in einem Spiegel Online-Interview die Frage, was in der Weltwirtschaft falsch laufe, folgendermaßen:

»Die Wirtschaft funktioniert nach dem Grundsatz: Bring Ergebnisse, egal wie. Welchen Charakter eine Firma hat, wie Menschen ihre Ergebnisse erzielen, spielt keine Rolle in dieser Welt. Das war aber mal anders. Denken Sie an Fußball! Guter Kapitalismus funktioniert so, dass man in eine Mannschaft investiert und viel dafür tut, dass sie gewinnt. Man ist der Mannschaft verbunden. Vielleicht wettet man sogar, aber nur auf den Sieg.«

Warum bedeuten Ehrlichkeit und Fairness letztlich Vorteile für Firmen? »Eine hypertransparente Welt bedeutet, dass wir alle überprüfbar sind wie noch nie«, sagt Seidman, »man muss so leben, dass diese Transparenz zum eigenen Vorteil wird. So erreichen Sie Loyalität Ihrer Kunden, menschliches Vertrauen wird zur Währung von Interaktion.«

Das Humankapital, die Menschen machen den Wert eines Unternehmens aus, sie sind wertschöpfender Wirtschaftsfaktor, an den Finanzmärkten ebenso wie in den kleinen und großen Märkten. Deswegen werden viele Führungskräfte auf allen Hierarchieebenen umdenken müssen: Die alte Zeit der Krieger und Haifische ist vorbei. Der neue Kapitalismus braucht integere Wirtschaftsführer, Manager und Vorgesetzte.

In diesem Sinne kann ein gesundes Anti-Bossing nur ein Ziel haben: Fairness als Grundkategorie konstruktiven Führens und Arbeitens zu verankern, und zwar auf allen Ebenen. Angesichts des weltweiten GAUs der Finanz- und Wirtschaftsmärkte wird dies ohnehin notwendig. Schon seit Jahren weiß man um die postmaterialistisch eingestellte Generation der Nachwuchsmanager: Sie wollen nicht mehr um jeden Preis Karriere machen, sie schätzen neben ihrer Individualität auch Kommunikation, Umwelt und Fairness. Ein interessanter Vorfall ereignete sich im Oktober 2008 an der Frankfurter Börse: Attac-Aktivisten waren als Besucher getarnt auf das Börsenparkett gesprungen und entrollten ein großes Plakat. Darauf stand: »Finanzmärkte entwaffnen! Mensch und Umwelt vor Shareholder-Value!« Die Reaktion vieler Börsianer überraschte – sie klatschten Beifall!

Als Psychologen und Coaches ist unser Handlungsfeld zunächst die individuelle Ebene. Der von uns propagierte Ansatz der »motivationalen Umwertung« setzt dort an, wo unsere kulturellen Quellen liegen: Erkenne dich selbst!, lautet eine Inschrift am Apollontempel in Delphi. Der mittlerweile 2500 Jahre alte Wegweiser zeigt weiter in die richtige Richtung – das Hinweisschild wird nur leider von manchen Zeitgenossen wie Führungskräften übersehen. Wir arbeiten in der Beratung und im Coaching schon länger mit einem sehr effizienten Tool in Sachen Selbsterkenntnis: der MotivStrukturAnalyse MSA.

Die MSA erfasst 18 sogenannte Grundmotive als Traits (von deutschen Psychologen der Vorkriegszeit auch als Wesensmerkmale oder »Charakterzüge« bezeichnet). Traits sind sehr stabil und überdauern lange. Alles spricht dafür, dass sie vererbt werden und ein Leben lang als emotionale Veranlagung neben unserem (Wohl-)Fühlen auch unsere Wahrnehmung, unser Denken, Sprechen und Handeln bestimmen. Zu den Grundmotiven zählen der Wunsch nach Anerkennung, Beziehung, Wissen, Macht, Status oder Wettkampf. Diese insgesamt 18 Grundmotive sind im Zuge der menschlichen Evolution entstanden und bei einzelnen Menschen höchst unterschiedlich ausgeprägt. Sie sind sozusagen unser »motivationaler Fingerabdruck« und bestimmen von der Wiege bis zur Bahre, was uns persönlich guttut. Sie beeinflussen, wonach wir streben, welche Ziele und Werte uns wichtig sind, was uns wirklich Freude bereitet.

Die Grundmotive sind immer als Gegensatzpaare vorhanden. Die gegenteiligen Antriebe ergänzen einander; Extrovertiertheit und Introvertiertheit bilden in ihren unterschiedlichen Ausprägungen beispielsweise das Ganze des Motivs Beziehung. Zum Motiv Macht zählen etwa die beiden Antriebsmuster Führen oder Dienen.

Wer die eigene Motivstruktur kennt und sie im beruflichen Umfeld entsprechend leben und gestalten kann, hat vielfältige Vorteile: Ein Handeln, befeuert aus den eigenen Impulsen macht zufrieden und öffnet das Potenzial für andauernde Leistungsbereitschaft und Top-Performance. Die letztlich einzige, auch für Bossing entscheidende Herausforderung ist: Wir können alle diese Gefühle und motivationalen Befriedigungen mit positiven und negativen Handlungen gleichermaßen erreichen – es ist an uns, zwischen beiden zu unterscheiden.

So kann ein im Umgang mit materiellen Dingen sparsamer Mensch entweder positiv im Sinne von wirtschaftlich, vorausschauend handeln – oder aber geizig und knausrig. Ein geiziger Mensch ist zwar in seinem persönlichen Erleben durch den »Sparer & Sammler«-Antrieb auch befriedigt, allerdings wird er auf der zwischenmenschlichen Ebene nicht mit der gleichen positiven Resonanz rechnen können.

Ähnlich kann der aggressionsfreudige Wettbewerber, der sich gerne mit anderen misst und sich durchsetzen möchte, der kämpft, gewinnt und die Nummer 1 sein will, diese Antriebe in einer positiven Weise ausleben und die erstrebten Glücksgefühle erreichen – oder aber sie negativ ausleben. Ein Beispiel: Der deutsche Fußballbundestrainer Jürgen Klinsmann trat zur WM 2006 mit dem Ziel an, zu gewinnen und die Nummer 1 der Welt zu werden. Sein Team wurde nicht Weltmeister, aber Klinsmann war dennoch am Ende der strahlende Sieger, weil er seine beherrschende Gewinn-Motivation im besten Sinne positiv umsetzte. Das gelang ihm, weil er gleichzeitig kooperativ und um Ausgleich bemüht agierte. Er war daher nie der Gefahr ausgesetzt, seine Gewinnermentalität kriegerisch und/oder unfair zu leben.

Solche und ähnliche Zusammenhänge spielen in jedem Konfliktverlauf eine große psychologische Rolle: Sie sind oft die erste Ursache von Mobbing und Bossing. Das wollen wir ändern – exemplarisch am Beispiel persönlich und sozial schwach entwickelter und inkompetenter Führungskräfte. Sie befriedigen ihre Wünsche nach Aggression, Macht, Status oder Anerkennung mit vorwiegend negativen Methoden. Sie agieren als Krieger, Despoten, (Abteilungs-)Kleinfürsten oder Prinzen. Dabei könnten sie im positiven Fall Gewinner, Leader, Elite, Vorbilder und Leistungsbringer sein. Im Führungsalltag laufen sie damit immer Gefahr, in einen Bossingprozess abzugleiten oder Kollegen-Mobbing direkt oder indirekt zu unterstützen.

Unsere Arbeit mit dem Motivprofil, das Fremd- und Selbstcoaching der motivationalen Umwertung ist keine klinische oder psychotherapeutische Praxis. Der Nutzen für neurotische Menschen ist beschränkt, emotionale Turbulenzen benötigen andere Therapien. Viele Mobbing- und Bossingfälle sind nicht mehr zu korrigieren oder gar zu heilen. Zu krank, zu (psycho-)pathologisch ist das Ganze, zu entfremdet und neurotisch die zugrunde liegende Persönlichkeitsdynamik mancher Bosser, mitunter auch der Opfer.

Aber es gibt eine große Grauzone von chefseitig provozierten Führungsfehlern und Konflikten, die alle in Bossing resultieren können – aber nicht müssen. Für diese nichtneurotische Mehrheit und ihre Opfer ist dieses Buch. Für alle, die anders führen wollen, nämlich fair, anständig und konstruktiv – im besten Sinne leistungsorientiert und leistungsmotivierend.

III. Mobbing:KollegialeKriegsverhältnisse

Mobbing ist nicht neu – schon die Bibel dokumentiert einige Fälle. Auch das uns besonders interessierende Bossing als Mobbing von oben ist alttestamentarisch überliefert:

»Nun bin ich ihr Spottlied worden und diene ihrem Gerede zur Kurzweil. Sie schonen nicht, vor meinem Angesicht zu speien, weil Gott meine Bogensehne abgespannt und mich niedergebeugt hat. Sie sind kommen, wie zur weiten Lücke herein, und sind ohne Ordnung dahergefallen. Ein Schreckensheer hat sich gegen mich gekehrt; wie vom Sturmwind wird meine Ehre weggerafft, und wie eine Wolke ist mein Glück vorübergezogen. Des Nachts wird mein Gebein durchbohret allenthalben, und die mich jagen, legen sich nicht schlafen. Man hat mich in den Kot getreten und gleich geachtet dem Staub und der Asche. Schreie ich zu dir, so antwortest du mir nicht; trete ich hervor, so achtest du nicht auf mich.« (Hiob 30, 9–20)

Die Opferklage des gemobbten Hiob ist auf heute übertragbar: Inhalte und Seelenqualen Betroffener gleichen seinem Erleben, wenn Kollegen von ihresgleichen oder dem Chef zum Abschuss freigegeben worden sind.

Da wir es bei Bossing mit einer Spezialform von Mobbing zu tun haben, fassen wir hier die wesentlichen, seit den 1990er Jahren gewonnenen Erkenntnisse zum Thema Mobbing zusammen.

Das Phänomen Psychokrieg am Arbeitsplatz wurde Anfang der 1990er Jahre international bekannt. Vorreiter war der in Schweden lebende deutsche Psychologe, Psychiater und Arbeitswissenschaftler Heinz Leymann. Er ging damals seinem »diffusen Unbehagen« angesichts gewisser Diagnosen und Fallgeschichten auf den Grund. Erste wissenschaftliche und populäre Publikationen Leymanns folgten.

Die heutigen Grundlagen der Mobbingforschung gelten auch für die meisten Bossingfälle; notwendige Differenzierungen und Vertiefungen für das Mobbing von oben erläutern wir in den anschließenden Kapiteln.

Das Phänomen: Unfassbare Zustände

Wie heute sattsam bekannt sein dürfte, leitet sich der Begriff Mobbing ursprünglich vom englischen Wort to mob ab, im Sinne von jemanden anpöbeln, über ihn herfallen; der Mob hat im Deutschen auch die Bedeutung Gesindel, Horde oder Pöbel.

In wissenschaftlichem Zusammenhang benutzte Verhaltensforscher Konrad Lorenz erstmals den Ausdruck Mobbing – er bezeichnete damit das in der Tierwelt zu beobachtende Phänomen, wenn unterlegene Tiere Gruppenangriffe inszenieren, um überlegene Gegner zu verjagen.

Wer sich mit Mobbing und Bossing beschäftigt, wird zunächst erstaunt sein, dass es keine einheitliche, international anerkannte Definition davon gibt. Einige Vorschläge lauten so:

Alltagssprachlich versteht man unter Mobbing Psychoterror am Arbeitsplatz durch Drangsalieren, Intrigieren, Schikanieren.

Die erste sozialwissenschaftliche Definition stammt von Heinz Leymann, dem Gründungsvater der Mobbingforschung: »Mobbing umfasst negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind (…), die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen.« Leymann legte dazu 45 genau beschriebene Mobbinghandlungen fest, die bis heute gern zur Definition herangezogen werden. (Welche Handlungen das im Detail sind, können Sie im Anhang auf Seite 158 lesen.) Mobbing liegt Leymanns Definition zufolge dann vor, wenn die Attacken über ein halbes Jahr oder länger mindestens einmal pro Woche vorkommen.

Einwände gegen Leymanns Eingrenzung betonen, dass Mobbing heute viel mehr ausmachen kann, und nicht nur kommunikative Verhaltensweisen betrifft.

Die erste

von Staatsseite

formulierte Definition stammt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA); in der bisher einzigen Repräsentativstudie von 2002 heißt es: »Unter Mobbing ist zu verstehen, dass jemand am Arbeitsplatz häufig über einen längeren Zeitraum schikaniert, drangsaliert oder benachteiligt und ausgegrenzt wird.«

Auf

EU-Ebene

gilt der Vorschlag der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz von 2002: »Unter Mobbing ist wiederholtes, unangemessenes Verhalten gegenüber einem Beschäftigten oder einer Gruppe von Beschäftigten zu verstehen, das Gesundheits- und Sicherheitsrisiken hervorruft.« Entsprechend dieser Definition umfasst Mobbing offene und versteckte Attacken: Dazu zählen neben kommunikativ-verbalen auch physisch-körperliche Angriffe sowie verdeckte Formen wie soziale Ausgrenzung und Diffamierung, Schlechtmachen und anonyme Sabotage von Arbeitsleistungen. Als »unangemessen« bestimmen die EU-Arbeitsmediziner und -rechtler alle Verhaltensweisen, die von Menschen als unterdrückend, demütigend oder bedrohend erlebt werden.

Gerichtsurteile sind von besonderem Interesse für das Thema Mobbing. Dabei kommt dem Urteil des

Landesarbeitsgerichts Thüringen

vom April 2001 eine überragende Bedeutung zu, der ersten gerichtlichen Mobbingdefinition. Das rechtlich präzise Grundsatzurteil gilt als wichtiger positiver Schritt in Richtung rechtliche Gegenwehr der vor Gericht lange hilflosen Mobbingopfer. Das Thüringer LAG bezog sich dabei übrigens auf einen Beschluss des

Bundesarbeitsgerichts

vom Januar 1997. Interessanterweise finden sich dort als Mobbingverursacher auch ausdrücklich

Führungskräfte

: »Mobbing ist das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte. Es wird durch Stress am Arbeitsplatz begünstigt, deren Ursachen unter anderem in einer Über-/Unterforderung einzelner Arbeitnehmer, in der Arbeitsorganisation oder im Verhalten von Vorgesetzten liegen können.« Auszüge aus den beiden bahnbrechenden Anti-Mobbing-Entscheidungen können Sie im Anhang ab Seite 159 nachlesen.

Auch der deutsche Arbeitspsychologe und Mobbingforscher Dieter Zapf bemerkt, dass Mobbing von Vorgesetzten ausgehen kann – und der oder die Betroffene eindeutig unterlegen ist. Interessanterweise erwähnt er auch das sogenannte Staffing: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen mit Mitteln des Mobbings gegen einen Vorgesetzten vor.

Zum Kern von Mobbing zählen immer eine systematische, intensive und andauernde Anfeindung mit dem Ziel, das unterlegene Opfer auszugrenzen und von der Arbeitsstelle wegzuekeln.

Wir halten uns daher im Folgenden an die kompakte Definition des repräsentativen Mobbing-Reports:

»Unter Mobbing ist zu verstehen, dass jemand am Arbeitsplatz häufig über einen längeren Zeitraum schikaniert, drangsaliert oder benachteiligt und ausgegrenzt wird.«

Eines gilt es jedoch zu beachten. Mobbing ist heute, ähnlich wie Stress, fast ein Modewort geworden: Meinungsverschiedenheiten, Streitereien, ein böses Wort, falsche Töne hier und da oder ein Klatsch in der Teeküche – schon wird man gemobbt. Aber nicht alles ist Mobbing, was sich nach Mobbing anhört. Um als Mobbing zu gelten, müssen die Gemeinheiten längere Zeit konsequent und mit Absicht durchgeführt werden. Wie die Mobber gern vorgehen, lesen Sie im folgenden Abschnitt.

Arsenale und Strategien: Waffen für den totalen Angriff