Boston Tea Crimes – Der Rauchsalon - Charlotte MacLeod - E-Book
SONDERANGEBOT

Boston Tea Crimes – Der Rauchsalon E-Book

Charlotte MacLeod

0,0
9,99 €
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Illustre Gäste, ein verfluchter Salon und mysteriöse Todesfälle … Sarah Kelling braucht Geld – es ist immerhin nicht billig, eine Erbin zu sein, wenn man an besagtes Erbe nicht rankommt! Allein in dem altehrwürdigen Herrenhaus ihrer Familie beschließt sie daher, eine Pension zu eröffnen (für die sie heimlich selbst als Köchin fungiert). Dazu kommen Zimmermädchen Mariposa und deren Freund Charles – ein arbeitsloser Schauspieler, der in seiner Rolle als Butler voll aufgeht und das Bühnenbild für die illustren Gäste abrundet. Doch leider sterben diese Sarah einer nach dem anderen weg. Um dem angeblichen Fluch auf den Grund zu gehen, muss sich erneut mit Max Bittersohn zusammentun – seines Zeichens Detektiv, Kunstexperte und ausgerechnet auch noch einer der besagten Gäste … Cozy Crime für Fans von Agatha Christie – mit einer guten Prise dunklem Humor!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 364

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Sarah Kelling braucht Geld – es ist immerhin nicht billig, eine Erbin zu sein, wenn man an besagtes Erbe nicht rankommt! Allein in dem altehrwürdigen Herrenhaus ihrer Familie beschließt sie daher, eine Pension zu eröffnen (für die sie heimlich selbst als Köchin fungiert). Dazu kommen Zimmermädchen Mariposa und deren Freund Charles – ein arbeitsloser Schauspieler, der in seiner Rolle als Butler voll aufgeht und das Bühnenbild für die illustren Gäste abrundet. Doch leider sterben diese Sarah einer nach dem anderen weg. Um dem angeblichen Fluch auf den Grund zu gehen, muss sich erneut mit Max Bittersohn zusammentun – seines Zeichens Detektiv, Kunstexperte und ausgerechnet auch noch einer der besagten Gäste …

Über die Autorin:

Charlotte MacLeod (1922-2005) wurde in Kanada geboren und wuchs in Massachusetts auf. Sie besuchte das Boston Art Institute und arbeitete als Bibliothekarin und Werbetexterin. Ende der 1970er veröffentlichte sie ihre ersten Kriminalromane und zementierte ihren Ruf als Grande Dame des Genres. Für ihr Lebenswerk wurde sie unter anderem mit fünf American Mystery Awards und dem Malice Domestic Lifetime Achievement Award ausgezeichnet.

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre »Boston Tea Crimes«-Reihe, beginnend mit »Die Familiengruft«.

***

eBook-Neuausgabe November 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1981 unter dem Originaltitel »The Withdrawing Room« bei Avon Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1990 unter dem Titel »Der Rauchsalon« bei DuMont.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1980 by Charlotte MacLeod

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1990 by DuMont Buchverlag, Köln

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)

ISBN 978-3-98952-559-7

***

dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Charlotte MacLeod

Boston Tea Crimes – Der Rauchsalon

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Beate Felten

dotbooks.

Widmung

Für Josephine Webster

Alle in diesem Buch geschilderten Personen sind frei erfunden; jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist daher rein zufällig.

Kapitel 1

»Verdammt nochmal, Sarah, das kannst du doch nicht machen! Was wird die Familie dazu sagen?« Cousin Dolphs Gesicht verfärbte sich purpurrot, und seine Wangen begannen vor Wut zu zittern. Wenn Dolph wütend wurde, dann geriet er wirklich außer sich.

»Wen interessiert denn schon, was die Familie dazu sagt?« brüllte Onkel Jem zurück. Jeremy Kelling war lediglich fünf Jahre älter als sein Neffe Adolphus, was für die komplizierten Familienverhältnisse der Kellings durchaus nicht ungewöhnlich war. »Mein Lebtag habe ich auf keinen von denen gehört, und ich möchte verdammt nochmal wetten, daß ich ein verdammt angenehmeres Leben geführt habe als ihr alle zusammen.«

»Pah! Du redest und redest, aber was hast du je erreicht? Wenn ich fünf Cent bekäme für jede Frau, die du –« Dolph erinnerte sich rechtzeitig, daß Sarah anwesend war, die in seinen Augen noch ein unschuldiges Kind war, trotz der Tatsache, daß sie verheiratet gewesen und inzwischen bereits verwitwet war. »Jedenfalls wäre ich dann heute bestimmt keinen Pfifferling reicher, als ich es sowieso schon bin.«

»Zum Teufel mit dir! Wenn du so stinkreich bist, warum blechst du dann nicht für Sarahs Hypothek?«

Das Purpurrot auf Adolphus Kellings Zügen vertiefte sich. »Ausgerechnet du mußt große Töne spucken! Warum läßt du denn nicht selbst was springen?«

»Weil ich den Zaster vom alten Onkel Fred schließlich nicht geerbt habe, sondern du ihn kriegst. Ich habe mein ganzes Vermögen unter die Leute gebracht, so schnell ich konnte, verpraßt und verzecht, wie es jeder vernünftige Mann machen sollte. Ich habe selber Schulden am Hals, und du brauchst gar nicht so herumzubrüllen, weil es mir sowieso schnurzegal ist. Das heißt, es wäre mir schnurzegal, wenn es dabei nicht um diese Schweinerei mit den Hypotheken ginge. Sarah weiß, daß ich die Piepen auf der Stelle locker machen würde, wenn ich sie bloß hätte.«

Sarah Kelling, wenn auch um ein beträchtliches jünger und sehr viel kleiner als die beiden Kampfhähne, schaffte es, mit ihrer Stimme den Tumult zu übertönen. »Jetzt haltet endlich beide den Mund! Ich will von niemandem Geld haben. Es ist mein Problem, nicht eures. Ich – ich bin bloß dankbar, daß Alexander das alles hier nicht miterleben muß.«

So ganz entsprach das nicht der Wahrheit, und Sarahs Stimme klang auch nicht sehr überzeugend, als sie den Satz beendete. Alexander wäre bestimmt außer sich gewesen, wenn er erfahren hätte, daß seine junge Gattin, die er gut versorgt geglaubt hatte, nicht einmal mehr ein richtiges Dach über dem Kopf hatte. Daß sie ihn so plötzlich und auf so schreckliche Weise verloren hatte, war ein Schock, den sie noch immer nicht verwunden hatte und wahrscheinlich nie verwinden würde.

Eigentlich konnte Sarah selbst nicht verstehen, warum sie sich überhaupt die Mühe machte, Dolph und Onkel Jem in ihr Vorhaben einzuweihen. Es war im Grunde sehr viel einfacher, den ganzen Plan aufzugeben, die Hypotheken von den Banken für verfallen erklären zu lassen und sowohl das große Stadthaus in der Tulip Street als auch das viel zu große Sommerhaus in Ireson’s Landing, das 20 Meilen nördlich von Boston lag, zwangsversteigern zu lassen. Dann bliebe es ihr wenigstens erspart, jeden Morgen mutterseelenallein dort aufzuwachen.

Völlig mittellos würde sie jedenfalls nicht dastehen. Sarah verfügte immer noch über das spärliche Einkommen aus dem Vermögen, das ihr der Vater hinterlassen hatte. Aber bald war sie 27 Jahre alt und in der Lage, über die ganze Summe zu verfügen, die nach der Plünderung des Kelling-Vermögens übriggeblieben war, die ihren Vater das Leben gekostet hatte. So einfach kampflos die Segel zu streichen, erschien ihr zu sehr wie ein Vertrauensbruch gegenüber Alexander und dem langen, einsamen Kampf, den er geführt hatte, um einen Teil des Vermögens für sie zu retten.

Sie hatte daher die Angelegenheit gründlich überdacht, alle Vor- und Nachteile abgewogen, und war schließlich zu einer, wie sie glaubte, klaren, vernünftigen Lösung für ihr augenblickliches Problem gekommen. Eigentlich hätte sie wissen müssen, daß jeder Vorschlag von ihr heftige Proteste in der Familie zur Folge haben würde.

»Von Finanzen verstehst du genausowenig wie ein gottverdammter Straßenkater«, informierte Dolph gerade Jem. Keiner von beiden hatte Sarah auch nur beachtet. »Du solltest eigentlich wissen, daß ich von Onkel Freds Geld mindestens ein Jahr lang keinen Penny anrühren kann, und dann muß ich mich auch noch mit den ganzen Legaten an wohltätige Organisationen herumplagen. Wenn ich erst die Erbschaftssteuer bezahlt habe und die Spendengelder für 57 verschiedene Vereinigungen und weiß Gott was sonst noch alles lockergemacht habe, bin ich höchstwahrscheinlich verflucht viel ärmer, als ich es jetzt bin.«

Er erschrak über seine eigenen Worte. Der Gedanke daran, in die eigene Tasche greifen zu müssen, war für Dolph immer besonders schmerzhaft. »Heutzutage ist Geld sowieso verflucht wenig wert«, schloß er beleidigt.

»Eine Tatsache, die dich zur Vernunft bringen sollte, wenn du überhaupt vernünftig sein kannst, weil sie beweist, wie viel klüger ich doch war, meine Piepen rechtzeitig auszugeben, statt wie du auf dem Hintern zu hocken und ein faules Ei auszubrüten«, sagte Jeremy Kelling.

»Pah! Und was hat dir all deine Zecherei eingebracht? Bloß Leberzirrhose und eine Schwanzfeder von einem von Ann Carios Täubchen.«

»Und die fluoreszierende Quaste von Sally Keiths linker Pobacke«, fügte der Lebemann im Ruhestand sanft hinzu. »Ach, was waren das noch Zeiten, damals am Tresen im guten alten Crawford House, auf dem Sally sich wand und drehte! Da saßest du mit einer Schüssel Knabberzeug und einem Kaffee mit Cognac vor dir. Ich meine natürlich nicht dich, du vollgefressene Laus. Habe ich dir eigentlich schon von dieser Milly erzählt, die –«

»Hört endlich auf damit!« schrie seine entnervte Nichte. »Ich will nichts mehr hören von vergeudeten oder ungenutzten Jugendjahren, sondern ich möchte, daß ihr mir dabei helft, eine Fremdenpension einzurichten. Und hört gefälligst auf, mir ständig einzureden, daß ich das nicht kann, denn ich werde es trotzdem tun. Brauche ich etwa eine offizielle Genehmigung dazu oder so etwas? Dolph, du kennst doch jeden im Rathaus. Kannst du nicht deine Beziehungen spielen lassen?«

»Ja, Dolph, laß doch deine Beziehungen spielen«, sagte Jem. »Beziehungen kosten schließlich nichts. Bestechen kommt für dich ja sowieso nicht in Frage, weil du dazu verdammt zu geizig bist.«

Sein Neffe starrte ihn wütend an und beschloß, seinen Zorn hinter einer hochmütigen Miene zu verbergen. »Ich darf wohl behaupten, daß ich sehr wohl in der Lage bin, diese Formalitäten zu erledigen, wenn Sarah wirklich vorhat, diese hirnverbrannte Idee zu realisieren.«

»Es wäre wohl noch bedeutend hirnverbrannter, wenn ich der High-Street-Bank kampflos mein Geld überlassen würde, oder etwa nicht?« Immerhin war Sarah auch eine Kelling, und zwar sowohl eine gebürtige als auch eine angeheiratete, da sie einen Cousin fünften Grades geehelicht hatte. »Was soll denn so hirnverbrannt an einer Pension sein? Eine Menge ehrbarer Leute haben das gleiche getan. Zum Beispiel Mrs. Craigie.«

»Mhm. Mrs. Craigie hatte ich allerdings völlig vergessen. Das war doch die Dame aus Cambridge, nicht wahr? Und dieser Longfellow hat bei ihr gewohnt. Hat zwar bloß Gedichte verfaßt, aber seine Familie war in Ordnung, und er hat schließlich eine Appleton geheiratet. Nun ja, ich nehme an, wenn du darauf achtest, daß du die richtigen Leute –«

»Zur Hölle damit«, sagte Jeremy Kelling. »Pick dir am besten die Leute raus, die kein großes Trara um ihr Geld machen. Und dann nimm sie ordentlich aus, Sarah. Laß die Einfaltspinsel ruhig zahlen, bis sie pleite sind, für das Privileg, in einem richtigen vornehmen Herrenhaus in einer geschichtsträchtigen schönen Gegend wohnen zu dürfen und all den Mist. Trag ruhig dick auf. Ich komm’ dann vorbei und spiel’ den Aristokraten am Frühstückstisch.«

»Du wärst mir ein verdammt schöner Aristokrat«, höhnte Dolph. »Und was meinst du mit Frühstückstisch? Du wälzt deinen rumgetränkten Kadaver doch noch nicht einmal vor dem Mittagessen aus dem Bett. Degenerierter alter Saufsack!«

»Nie habe ich ein wahreres Wort gehört, und ich muß zugeben, daß es eine herzerfrischende Abwechslung ist, daß du mal endlich die Wahrheit sagst«, erwiderte sein Onkel mit der ausgesprochenen Höflichkeit, für die der Kelling-Clan berühmt war. »Um auf diese Pensionsgeschichte zurückzukommen, Sarah, hast du etwa tatsächlich vor, Mahlzeiten zu servieren?«

»Ich hatte eigentlich nur an Frühstück und Abendessen gedacht. Auf diese Weise kann ich bedeutend mehr Miete verlangen, und da ich sowieso daran gewöhnt bin, für eine Familie zu kochen, müßte ich es eigentlich ohne größere Schwierigkeiten schaffen.«

»Ich habe immer geglaubt, Edith hätte sich darum gekümmert«, sagte Dolph.

»Alles, was Edith jemals getan hat, war, herumzusitzen und ihre Hühneraugen zu begutachten oder sich zu beklagen, daß sie überlastet wäre.«

Die Tatsache, daß Sarah die ehemalige Hausangestellte ihrer Schwiegermutter gefeuert hatte, auch wenn es sie leider einen ganzen Monatslohn gekostet hatte, was sie sich eigentlich nicht leisten konnte, war bisher die einzige gute Seite ihrer Witwenschaft gewesen.

»Ich habe stattdessen Mariposa Fergus eingestellt. Ihr erinnert euch doch noch an diese bezaubernde junge Frau, die mir so eine Stütze und Hilfe bei der Beerdigung war? Sie und Charles werden unten in der alten Küche wohnen.«

»Und wer ist Charles?«

»Der Freund von Mariposa. Er sieht aus wie Leslie Howard und hört sich an wie eine Mischung aus Henry Higgins in Pygmalion und Sir Percy Blakeney in Das scharlachrote Siegel.«

»Woher zum Teufel willst du das wissen? Leslie Howard ist doch schon seit 1943 tot.«

»Ich habe mir immer im Brattle-Theater die alten Filme angesehen. Charles ist jedenfalls ziemlich quicklebendig, wenn man Mariposa glauben darf.«

»Mein Gott, Sarah, du kannst doch unmöglich ein Pärchen bei dir aufnehmen, daß dauernd auf der Hintertreppe Unzucht treibt! Kannst du nicht wenigstens dafür sorgen, daß sie vorher heiraten?«

»Daran würde ich nicht einmal im Traum denken. Mariposa sagt, daß sie es bereits mit dem Eheleben versucht hat und daß es unverheiratet viel mehr Spaß macht. Und Charles würde höchstens mit aristokratischem Hochmut eine Augenbraue hochziehen. Er hat die schönsten goldenen Locken, die man sich vorstellen kann, aber er wird sie sich anklatschen, wenn er als Butler auftritt. Er heißt übrigens Charles C. Charles.«

»Wobei das C. wahrscheinlich für Charles steht, nehme ich an.«

»Nein, ich glaube, es steht für Chelsea. Von dort kommt er nämlich. Er ist Schauspieler, aber er pausiert momentan.«

»Was soviel bedeutet wie arbeitslos, Dolph«, erklärte Jem. »Genau wie du.«

»Nein, nein«, sagte Sarah. »Tagsüber arbeitet Charles in einer Fabrik, und abends wird er hier für Kost und Logis als Butler auftreten. Seit Das Haus am Eaton Place hat er sich nichts sehnlicher gewünscht, als die Rolle von Mr. Hudson zu spielen, und er versucht gerade verzweifelt herauszufinden, ob man Rheinwein zu Perlhuhn reicht, obwohl wir das selbstverständlich hier niemals servieren werden. Aber ich kenne dafür immerhin mindestens 50 Versionen von Hühnchen und Gehacktem, und ich bin eine echte Pfennigfuchserin, wenn es um Geldsparen beim Einkauf von Lebensmitteln geht. Das mußte ich ja schließlich werden, wenn man bedenkt, was Alexander mir an Haushaltsgeld zur Verfügung stellte, auch wenn er immer nur das Beste wollte, mein armer Liebling.«

Dolph schüttelte seine Hängebacken. »Vergiß es, Sarah. Du brauchst mindestens ein Dutzend Pensionsgäste, damit es sich überhaupt rentiert, dabei gibt es bloß drei Schlafzimmer in diesem ganzen verdammten Haus.«

»Unsinn, Dolph. Da ist doch noch das andere Zimmer im Souterrain, in dem Edith ihr Schlafzimmer hatte. Ich habe mir gedacht, ich könnte es doch an einen Studenten vermieten oder so, denn er muß ja schließlich das Badezimmer mit Mariposa und Charles teilen.«

»Dafür kriegst du nie im Leben einen Pfennig Miete.«

Sarah ignorierte ihn. »Und den Rauchsalon werde ich in eine Art Privatsuite für jemanden umwandeln, der alt und reich ist und keine Treppen mehr steigen kann. Ich habe schon eine Türe zur Toilette im Flur einbauen lassen und wegen einer Duschzelle mit dem Klempner gesprochen. Den McIntire-Sekretär werde ich verkaufen, damit ich die Renovierung finanzieren kann. Der fällt doch nicht unter die Hypothek, oder?«

»Frag lieber nicht«, riet Onkel Jem.

»Und wo, wenn ich fragen darf, willst du stattdessen den Salon einrichten?« sagte Dolph spöttisch.

»Wofür zum Teufel braucht sie überhaupt einen Salon?« zischte Jeremy Kelling zurück. »Ist sowieso eine idiotische vorsintflutliche Einrichtung, damit sich die gnädigen Damen zurückziehen, auf ihren Turnüren hocken und Klatschgeschichten verbreiten konnten, während die Männer sitzen blieben und sich einen antüterten. Wenn ich anfange, alles doppelt zu sehen, sitz’ ich doch lieber einem gewagten Dekolleté gegenüber als einer Säufernase mit Walroßbart darunter. Habe ich dir übrigens schon erzählt von –«

»Ganz bestimmt hast du das«, unterbrach ihn Sarah. »Aber du hast völlig recht, ich brauche wirklich keinen Salon. Ich werde die Bibliothek benutzen, was ich jetzt auch schon mache.« Der Raum mit den hohen Wänden, in dem sie sich gerade aufhielten, mit seinen zahlreichen Bücherregalen, den abgenutzten roten Samtvorhängen, dem Porträt des Kellings, der den Grundstein für das Familienvermögen gelegt hatte, über dem Kaminsims und den dunklen alten Ledersofas und Sesseln, die um den offenen Kamin standen, war bei weitem der angenehmste Raum im ganzen Haus.

»Und Tante Carolines Zimmer im ersten Stock behalte ich für mich und baue ihr Boudoir in ein Atelier um. Ich habe immerhin die ganzen Illustrationen für Harry Lackridge gemacht und bin sicher, daß ich auch von anderen Verlagen Aufträge bekomme und mir so ein bißchen Taschengeld nebenbei verdienen kann. Und im zweiten Stock sind noch die alten Zimmer von Alexander und mir mit dem Badezimmer in der Mitte, und Mariposa hat einen ihrer Schwager – ob es ein ehemaliger oder ein zukünftiger ist, weiß ich auch nicht genau – überredet, mir zu helfen, die beiden Dachzimmer wiederherzurichten, in denen früher die Hausangestellten untergebracht waren, und dort ein weiteres Badezimmer zu installieren, so daß wir insgesamt sechs Personen unterbringen können.«

»Lächerlich!« brüllte Dolph. »Und wer soll die ganzen Stufen hochkraxeln?«

»Eine ganze Menge Leute hier auf dem Hill wohnen in dreistöckigen Häusern ohne Aufzug. Und wenn ich die Zimmer nicht vermieten kann, werde ich eben selbst nach oben ziehen und den ersten Stock vermieten.«

»Mach das lieber nicht, Sarah«, sagte Jem. »Nimm dir selbst das Beste, und mach auf vornehm. Behandle sie wie Dreck, und sie werden dir aus der Hand fressen. Wenn du freundlich zu ihnen bist, werden sie dich nämlich nur schikanieren.«

»Ich gebe es höchst ungern zu«, schnaubte Dolph, »aber hier hat der alte Ziegenbock ausnahmsweise mal recht. Da mußt du hart bleiben. Laß dich von keinem unterkriegen. Da fällt mir ein, wo gedenkst du dir eigentlich deine potentiellen Mieter herzuholen?«

»Ich werde wohl eine Annonce aufgeben.«

»In den Zeitungen? Um Gottes willen! Das ist doch das Allerletzte! Was würde Tante Bodie bloß –«

»Dolph!« brüllte sein Onkel. »Wenn du nicht bald aufhörst, die ganze verdammte Sippschaft hier mit hereinzuziehen, werde ich Egbert auftragen, dir anständig eine reinzuhauen.« Egbert war Jeremy Kellings Mann für alle Gelegenheiten und hatte bekannterweise schon bedeutend ausgefallenere Aufträge ausgeführt. »Boadicea soll bloß den Mund halten. Die würde doch sogar ihre eigenen Stiftzähne vermieten, wenn sie bloß jemand haben wollte.«

»Tante Bodie ist mir herzlich gleichgültig«, sagte Sarah. »Außerdem ist Tante Emma ganz auf meiner Seite. Wir haben die ganze Angelegenheit besprochen, als ich bei ihr zu Besuch war, nachdem – nachdem die ganze Sache damals passiert ist. Sie hatte übrigens auch die Idee, die alten Mädchenzimmer umzubauen. Ich hatte völlig vergessen, daß diese Dachzimmerchen jemals als Schlafzimmer genutzt worden sind. Sogar ein paar Decken und Bettwäsche hat sie mir mitgegeben.«

»Warum hast du das nicht gleich gesagt?« fauchte Dolph. »Tante Emma hat wenigstens Verstand im Kopf.« Das war sein höchstes Lob. »Mabel wird allerdings außer sich sein, von wegen Prinzipien, nehme ich stark an, aber wen kümmert schon, was Mabel zu sagen hat?«

»Ich habe auch schon Anora Protheroe eingeweiht«, fuhr Sarah fort. Anora war eine alte ehrbare Freundin vom Chestnut Hill. »Und sie ist äußerst erleichtert, daß ich dann hier nicht mehr allein zu leben brauche. Sie will versuchen, mir einen Mieter für den Salon zu besorgen. Ihr kennt ihn bereits, es ist Mr. Quiffen, ein alter Freund ihres Mannes, aus derselben Studentenverbindung oder so.«

»Quiffen? Muß ihn wohl irgendwann mal getroffen haben, nehme ich an. Aber ich kann mich nicht mehr an ihn erinnern. Wenn er allerdings ein dicker Freund von George ist, hat er bestimmt auch die Schlafkrankheit, also wird er dir wahrscheinlich kaum Unannehmlichkeiten machen«, säuselte Onkel Jem. »Siehst du, Sarah, so macht man das. Hier und da bei den richtigen Leuten eine kleine Bemerkung fallenlassen, und schon findest du genug Mieter. Ich werde den Clan persönlich informieren. Wie steht es übrigens mit Betten und Bettzeug? Soll ich dir so nebenbei ein bißchen was zusammenschnorren?«

»Nein, vielen Dank. Ich bin ziemlich sicher, daß ich alles Nötige aus dem Haus in Ireson’s holen kann. Mr. Lomax, unser Hausmeister dort, hat einen Freund, der mir seinen Lastwagen leihen will.«

»Den braucht er zweifellos sonst, um damit Fischköpfe in die Klebstoffabrik zu karren, und todsicher werden deine Matratzen zum Himmel stinken, wenn du sie hergebracht hast«, sagte Dolph mit seinem üblichen Optimismus. »Also dann, Sarah, da du es dir offenbar in den Kopf gesetzt hast, dich selbst unglücklich zu machen, werde ich mein Bestes tun, um dir die nötigen Genehmigungen dafür zu verschaffen.«

Kapitel 2

Nach dieser Diskussion im engsten Familienkreis, wenn man dieses Gespräch überhaupt als Diskussion bezeichnen konnte, wurde Sarah aktiv. Sie ließ Mariposa noch ein paar weitere Schwäger zusammentrommeln und verkaufte den McIntire-Sekretär. Sie wußte, daß sie ihn weit unter seinem eigentlichen Preis abgab, doch sie konnte es nicht ändern. Die Rechnungen für Handwerker und Material stapelten sich, und sie brauchte unbedingt Bargeld.

Vielleicht hätte sie sich über Wasser halten können, wenn sie nacheinander sämtliche Familienerbstücke verkauft hätte, aber sie wollte mehr als nur überleben. Menschen um sich zu haben und Arbeiten zu erledigen hielt sie wenigstens davon ab, zuviel über alles nachzudenken.

Sarah wurde immer noch von einer Armverletzung behindert, die noch nicht ganz verheilt war. Sie konnte daher weder anstreichen noch tapezieren, aber sie war in der Lage, kleinere Arbeiten zu erledigen und das 1950er Studebaker-Starlite-Coupé zu fahren, das für Tante Caroline gekauft worden war und das von Alexander immer liebevoll in Schuß gehalten worden war. Den Wagen würde sie wohl auch verkaufen müssen, wenn überhaupt jemand heute noch einen Studebaker kaufen wollte. Jetzt hatte sie niemanden mehr, der ihn reparieren konnte. Hier in Boston eine Garage zu mieten und ihn versichern zu lassen, würde ihr ohnehin schon schmales Budget über Gebühr strapazieren. Sie hatte bereits den traurigen Entschluß gefaßt, den alten Wagen Ende des Jahres aus dem Verkehr zu ziehen, doch momentan hatte sie ihn noch dringend nötig.

Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt war, ihre Arbeitstruppe zu Höchstleistungen anzuspornen, raste sie mit dem Wagen die schmalen, kurvenreichen Straßen am Beacon Hill hinab, die von langen geschlossenen Häuserreihen gesäumt wurden – elegante oder wenigstens ehemals elegante Stadthäuser aus Backstein und rotem Sandstein mit Bulfinch-Giebeln, schmiedeeisernen Gittern und im Sommer liebevoll gepflegten Blumenkästen, die jetzt festlich geschmückt waren mit Efeu und getrocknetem Scharlachsalbei – bis hinunter an die Nordküste zu der verlassenen, mit Schindeln bedeckten viktorianischen Arche in Ireson’s Landing. Dort, wo sie der Wind umtoste und das Meer in der Ferne gegen die Felsen schlug, durchstöberte sie gemeinsam mit Mr. Lomax, dem Hausmeister, ihren riesigen, leicht verwilderten Besitz und zeigte ihm die Bäume, die er fällen und verkaufen sollte. Da Brennholz momentan pro Klafter etwa 150 Dollar einbrachte, müßte der Ertrag genügen, um das Gehalt von Mr. Lomax zu bezahlen, und, so Gott wollte, blieb auch noch etwas übrig, um den anstehenden Steuerbescheid zu begleichen. Sarah und Alexander hatten schon früher erwogen, einen Teil des Landgutes zu verkaufen, aber dazu war sie momentan wegen der drohenden Prozesse nicht in der Lage. Was sie allerdings durfte und auch tat, war, das Haus zu plündern, um damit ihre leeren Schlafzimmer zu möblieren. Wenn es ihr gelingen sollte, das Landhaus im nächsten Sommer zu vermieten, mußte Mr. Lomax eben wieder den Laster ausleihen und die Betten und Frisierkommoden zurückbringen, aber bis dahin würde sie entweder genug Geld haben, um Ersatzmöbel zu finanzieren, oder ein derartiges Fiasko mit ihrer Pension hinter sich haben, daß sie hier mitten zwischen den Eichhörnchen ein Zelt aufschlagen und sich von Wurzeln und Beeren ernähren mußte.

Jede Nacht völlig erschöpft ins Bett zu sinken, hatte durchaus seine Vorteile. Sarah hatte keine Zeit, über Alexander nachzugrübeln, auch wenn sie ihn tagsüber die ganze Zeit vermißte. Ständig mußte sie die Arbeiter bei ihren weitaus wichtigeren Tätigkeiten unterbrechen und sich von ihnen dabei helfen lassen, kaputte Stühle und Kommoden instandzusetzen, Vorhänge aufzuhängen und all die kleinen Handreichungen zu verrichten, die Alexander sonst immer so perfekt und gerne erledigt hatte. Aber Charles und Mariposa bemühten sich wirklich nach Kräften, und das mußte eben jetzt genügen.

Nach dem Abendessen, wenn Sarah zu erschöpft war, um weiterzuarbeiten, zog sie sich ihre Pumps an, um ihre 160 Zentimeter etwas imposanter erscheinen zu lassen, und schlüpfte in ein schwarzes Crêpekleid ihrer Mutter, das so alt war, daß es bereits wieder modern wäre, wenn sich die feinen Ladies in Boston überhaupt um die Launen der Mode scherten, drehte ihr hellbraunes Haar zu einem Knoten, was sie ein paar Jahre älter aussehen ließ und ihrem kleinen, blassen, etwas eckigen Gesicht eine gewisse Würde verlieh, und gewährte prospektiven Mietern eine Audienz.

Jeremy Kelling hatte mit seinen Prophezeiungen völlig recht gehabt. Als die Nachricht sich erst einmal verbreitet hatte, daß eben die Sarah Kelling, die erst vor einem Monat Schlagzeilen gemacht hatte, jetzt ihr Heim zahlenden Gästen öffnen wollte, standen sich die Menschen vor ihrer Tür die Füße in den Bauch. Ihr Hauptproblem bestand darin, die Insolventen, die Unmöglichen und die Sensationslüsternen auszusortieren, die nicht die leiseste Absicht hegten, bei ihr einzuziehen, sondern sich lediglich auf keinen Fall die Gelegenheit entgehen lassen wollten, ihre Neugier zu befriedigen. Dabei verließ sie sich gänzlich auf die weltmännische Erfahrenheit ihrer Hausangestellten. Gut 80 Prozent der hoffnungsvollen Zimmeranwärter schafften es dann auch nur bis zur Vorhalle. Diejenigen, die sich weiter vorarbeiten konnten, wurden eingehend mit kühlen Blicken von einem Butler und einem Zimmermädchen gemustert. Ein gemurmeltes »Die kannst du vergessen, Schätzchen« von Mariposa vernichtete mit einem Schlag eine elegant gekleidete Dame, die eine aussichtsreiche Anwärterin auf Dolphs ererbte Gelder für wohltätige Zwecke war. Das geringste Wimpernzucken von Charles ließ verschiedene andere Bewerber ausscheiden, an deren Referenzen und Manieren es scheinbar nichts auszusetzen gab.

Sarahs Assistenten selbst traten tadellos und äußerst eindrucksvoll auf. Die beiden hatten darauf bestanden, sich selbst einzukleiden, und den Lohnscheck von Charles aus der Plastikfabrik in Kleidungsstücke umgesetzt, die ihrer Meinung nach ihrer jetzigen Stellung entsprachen. Mariposa hatte sich für ein leuchtendes Orange entschieden, um ihre hübsche Figur und lebhafte Gesichtsfarbe zu betonen, und trug dazu ein weißes Rüschenhäubchen mit langen orangefarbenen Samtbändern. Charles war das Ebenbild eines gepflegten Butlers im Haus am Eaton Place, bis hin zu seinen weißen Baumwollhandschuhen, auch wenn seine in Wirklichkeit aus pflegeleichtem Nylon waren, die ihm seiner Ansicht nach auch Mr. Hudson verziehen hätte, da Mariposa sich weigerte, sie für ihn zu waschen, und er dies selbst zu erledigen hatte. Seine Aufmachung stammte von einem Kostümverleiher und war ursprünglich mit gewissen Verzierungen versehen gewesen, doch Sarah hatte ihn überredet, das rote Band und die Orden zu entfernen und aufzuheben, bis er entweder zum Botschafter ernannt würde oder eine Nebenrolle in Die lustige Witwe erhielte.

Zweifellos trug die Dienstkleidung der beiden dazu bei, daß ihr Haushalt an Ansehen gewann. Der bloße Anblick von Charles in seiner prächtigen Livree genügte, um die meisten nicht in Frage kommenden Personen zu entmutigen. Diejenigen, die schließlich doch die Barrikaden erstürmten, von Charles mit allen Formalitäten angekündigt wurden und dann ein winziges Gläschen Sherry angeboten bekamen, das Mariposa mit wehenden Häubchenbändern auf einem Silbertablett servierte, waren weitaus weniger in Gefahr, bei den von Sarah genannten Preisen auch nur mit der Wimper zu zucken.

Die drei hatten gemeinsam beschlossen, daß es leichter und noch dazu, wie Charles sich ausdrückte, eine niveauvollere Vorstellung sein würde, wenn die Darsteller der zukünftigen Mieter alle an ein und demselben Tag vorsprachen, statt sie alle nacheinander einzeln antrudeln zu lassen. Da es aus finanziellen Gründen lebenswichtig war, diesen Zeitpunkt so früh wie möglich festzulegen, begann das Haus in der Tulip Street auszusehen wie der Schauplatz in einem Keystone-Cops-Film, in dem Menschen mit unglaublicher Geschwindigkeit überall herumschwirren.

Sarah entwickelte ungeahnte Fähigkeiten, Leute zur Arbeit anzutreiben. Sobald sie erschöpft war, wurde sie bereitwillig von Jeremy Kelling abgelöst. Wohl weil er sie so schikanierte oder weil sie es vielleicht einfach nicht mehr ertragen konnten, wie er in einer weiteren Erinnerung schwelgte, machten die diversen Klempner, Schreiner, Elektriker und Anstreicher nahezu übermenschliche Anstrengungen, damit sie ihre Termine auch tatsächlich einhalten konnten.

Cousin Dolph hatte ebenso prompt reagiert und sich zweifellos bei der Beschaffung der benötigten Lizenz noch weitaus unbeliebter gemacht, als er schon war. Dank der Masse der Wohnungsinteressenten hatte Sarah bereits alle Mieter ausgewählt, noch bevor der letzte Nagel eingeschlagen und der letzte Vorhang aufgehängt war.

Mrs. Theonia Sorpende würde Sarahs ehemaliges Zimmerchen beziehen. Mrs. Sorpende war eine stattliche, attraktive Dame mittleren Alters mit dunklem Teint, beinahe überwältigender Kultiviertheit und unbeschreiblicher Eleganz, die über einen erstaunlich ausgeprägten trockenen Humor verfügte. Sie sagte, die beiden Treppen würden sie nicht im Geringsten stören, und fügte dann mit einem bedauernd-amüsierten Blick auf ihre junonischen Formen hinzu, daß ihr ein wenig Bewegung ganz sicherlich nicht schaden würde. Sie war verwitwet und trug dementsprechend ein einfaches schwarzes Kleid und einen schwarzen Mantel, hatte allerdings ihre düstere Garderobe mit einem weinroten Samtturban und dazu passenden Handschuhen und passender Tasche aufgelockert. In Boston kannte sie anscheinend kaum jemanden und beabsichtigte, ein zurückgezogenes Leben zu führen. Als Referenz gab sie den Namen von Mrs. G. Thackford Bodkin an, die eine Freundin von Tante Marguerite in Newport war. Da Mariposa hinter dem Rücken der Dame zustimmend gestikulierte und auch Charles sich soweit vergaß, daß er seinem Mund ein nachdrückliches »Große Klasse!« entschlüpfen ließ, verzichtete Sarah darauf, bei Mrs. Bodkin nachzufragen, und akzeptierte Mrs. Sorpende auf der Stelle.

In Alexanders ehemaliges Zimmer sollte eine gewisse Miss LaValliere einziehen, die wahrscheinlich weniger zurückgezogen zu leben gedachte. Auch bei ihr erübrigten sich Nachforschungen, da ihre Großmutter nur einen Katzensprung entfernt lebte und gemeinsam mit Tante Caroline diversen Komitees vorgestanden hatte. Möglicherweise war sie ganz attraktiv, wenn man von ihrer krausen Haarpracht absah und sich die Gewänder wegdachte, die so geschmacklos waren, daß sie bestimmt hochmodisch waren. Sarah hoffte nur, daß die Mode sich möglichst bald ändern würde.

Miss LaValliere war vom Karrierevirus befallen und nahm an einem Wirtschaftskursus am Katy-Gibbs-Institut teil, einer berühmten Berufsschule für Töchter aus besserem Hause, was gleichzeitig eine gute Entschuldigung war, endlich von ihren strengen Eltern in Lincoln wegzukommen. Natürlich hätte sie am liebsten ein eigenes Apartment im Zentrum von Boston gehabt, und Mrs. Kellings Pension war nur ein Kompromiß, dem die Familie zugestimmt hatte, der aber den fortschrittlichen Vorstellungen einer Neunzehnjährigen kaum entsprechen konnte, doch das junge Mädchen nahm die Entscheidung gelassen hin. Im Großen und Ganzen schien sie ganz nett zu sein. Sarah konnte sich zwar nicht daran erinnern, daß sie sich selbst irgendwann in ihrem Leben einmal mit so beeindruckender Geschwindigkeit von einer Frau mit einem äußerst überlegenen Auftreten in ein Wesen mit heftigen Kicheranfällen verwandelt hätte, aber in Jennifers Alter war sie auch bereits eine verheiratete Frau mit zwei großen Häusern gewesen, um die sie sich kümmern mußte, und hatte sich mit einer blinden, tauben, tyrannischen Schwiegermutter herumschlagen müssen.

Auf der obersten Etage sollte Mr. Eugene Porter-Smith einziehen, ein gesetzter Herr von etwa 27 Jahren. Er erinnerte Sarah lebhaft an die Ballade von W. S. Gilbert über das altkluge Baby, obwohl er keineswegs ein flinker kleiner Schurke war wie das verrufene Kleinkind und sicherlich auch nicht die Gefahr bestand, daß er als entkräfteter alter Tattergreis weit vor seiner Zeit abtreten würde. Er arbeitete als Buchhalter für Percival, Sarahs Cousin dritten Grades. Percival verbürgte sich dafür, daß er ein Muster an Rechtschaffenheit war, und Percy war ein Spezialist, was Rechtschaffenheit betraf. Außerdem war Mr. Porter-Smiths Hobby, wie er sagte, das Bergsteigen, was er eindrucksvoll unter Beweis stellte, indem er in atemberaubendem Tempo alle drei Treppen hochstürmte, ohne auch nur ein einziges Mal zu verschnaufen.

Mr. Porter-Smith sah mit seinem gepflegten Dreiteiler und seinem sandfarbenen Haar, das er mit Brillantine aus seinem schmalen Gesicht nach hinten gekämmt hatte, durchaus annehmbar aus; sein Gesicht war weder besonders häßlich noch besonders attraktiv, es befand sich lediglich dort, wo es hingehörte. Ansonsten war er drahtig und eher hager, etwa 1,73 Meter oder 1,75 Meter groß und hatte scharfe, wachsame Augen. Mr. Porter- Smith war ganz offensichtlich ein Mann, der den Dingen gern auf den Grund ging; fragte man ihn etwas zu einem beliebigen Thema, gab er mühelos Informationen von großer Detailfülle von sich, so daß in Sarah der Verdacht erwachte, er könne möglicherweise in seiner Freizeit die Encyclopedia Britannica lesen, was wiederum ein Hobby war, gegen das man als Vermieterin nicht das Geringste einwenden konnte.

Das andere Dachzimmer wurde Professor Oscar Ormsby zur Verfügung gestellt, einem untersetzten, stark behaarten Herrn um die 50, der mit Vorliebe haarige Tweedanzüge und Rollkragenpullover trug und am Massachusetts Institute of Technology, das sich auf der anderen Flußseite befand, Aerodynamik unterrichtete. Als Sarah sich dafür entschuldigte, daß das Zimmer so hoch oben lag, knurrte er bloß: »Ist mir gar nicht aufgefallen.«

Damit erschöpften sich aber auch schon seine Mitteilungen, mit Ausnahme eines weiteren Knurrens, mit dem er das Ausschreiben seines Schecks für die erste Monatsmiete begleitete, denn die Miete war im Voraus zu entrichten, und Charles und Mariposa hatten Sarah eingebläut, auf jeden Fall auf dieser Zahlungsart zu bestehen. Dann erkundigte er sich, was passieren würde, wenn er sich einmal nicht zu den Mahlzeiten einfände.

Auf diese Frage hatten sich Sarah und Mariposa bereits vorbereitet. »Wenn Sie uns zeitig genug Bescheid sagen, daß Sie erst spät zurückkommen, können wir Ihnen etwas zu essen warmhalten. Falls Sie vorher nicht anrufen, können Sie nach Ihrer Rückkehr in die Küche an den Kühlschrank gehen und sich selbst einen kleinen Imbiß zubereiten. Falls Sie außerhalb essen, können wir Ihnen zwar das Geld nicht zurückerstatten, aber dafür dürfen Sie dann innerhalb der nächsten vier Wochen einmal kostenlos einen Gast zum Essen mitbringen, was Sie uns allerdings selbstverständlich vorher mitteilen werden. Falls Sie keine Mahlzeit ausgelassen haben und trotzdem einen Gast mitbringen möchten, müssen Sie zehn Dollar bezahlen. Im Voraus«, fügte sie hinzu, da Charles hinter dem Rücken des Professors verzweifelt gestikulierte.

Onkel Jem hatte Preise festgesetzt, die zwar nicht gerade niedrig lagen, aber bei weitem günstiger waren, als wenn man ein Apartment mietete oder im Hotel lebte und im Restaurant essen mußte. Von den Einnahmen mußten zwar Lebensmittel, Gehälter, Strom, Wasser und anfallende Reparaturen bezahlt werden, aber Sarah nahm an, daß sie es bei sorgfältiger Kalkulation und mit Hilfe ihres kleinen monatlichen Nebeneinkommens durchaus schaffen konnte, bis sie wußte, was die Bank vorhatte.

Das Zimmer im Kellergeschoß war das einzige, das noch nicht vermietet werden konnte. Sarah war sich nicht ganz darüber im Klaren, wem sie es geben sollte. Inzwischen hatte sie die Idee, es einem Studenten zu überlassen, wieder verworfen. Möglicherweise würde es ihm zwar nichts ausmachen, das winzige Bad mit dem Zimmermädchen und dem Butler zu teilen, und wahrscheinlich würde er auch nichts gegen deren zuweilen etwas ausgefalleneres Verhalten hinter der Bühne einzuwenden haben, da Charles ja schließlich nicht ununterbrochen Mr. Hudson mimen konnte. Nicht auszudenken allerdings, wenn der neue Mieter den eher unkonventionellen Ton noch verstärken würde. Ihre anderen Gäste bezahlten schließlich für ein erstklassiges Etablissement, und genau das wollte sie ihnen auch bieten. Sie mußte eben auf einen passenden Mieter warten, wer auch immer er sein mochte.

Wenn sie das nicht tat, würde Mr. Quiffen zweifellos für Ärger sorgen.

Barnwell Augustus Quiffen, der alte Studienkamerad von George, hatte sich im Salon eingenistet. Anora und George hatten ihn persönlich hergebracht, damit er sich das Haus ansehen konnte. Seit Jahren war es das erste Mal gewesen, daß sie zu Besuch gekommen waren, und Sarah konnte sich den Gedanken nicht verkneifen, daß sie fern vom ständig prasselnden heimischen Kaminfeuer wie zwei verirrte Zwergelefanten aussahen. Beide trugen weite graue Tweedkleidung, und aufgrund von Georges üppigen Fettpolstern und Anoras kurzem grauen Haar und ihren weißen Stoppeln um Kinn und Mund war für Außenstehende nur schwer feststellbar, wer von beiden nun der Mann und wer die Frau war.

Barnwell Quiffen sah aus wie Rumpelstilzchen und war genau wie dieser äußerst kampflustig. Er sah sich wütend in dem zauberhaft geschnittenen, geräumigen Zimmer um, rümpfte die Nase über Anoras bewundernde Ausrufe, mit denen sie Sarahs hervorragende Renovierungskünste lobte, und schnaubte: »Noch nicht mal ein Schreibtisch! Ich wußte ja gleich, daß es reine Zeitverschwendung sein würde herzukommen. Das geht natürlich nicht! Ohne Schreibtisch kann ich hier unmöglich leben!«

»Besorg ihm doch einen Schreibtisch, Sarah«, sagte George schläfrig.

»Stell dich nur nicht so an, Barney«, sagte Anora. »Sarah, Barney braucht einen Schreibtisch, um seine giftigen Briefe aufzusetzen. Du hast doch einen in der Bibliothek, wenn ich mich nicht irre? Dort brauchst du ihn doch eigentlich gar nicht, oder?«

»Nein«, stammelte Sarah. »Ich habe mir schon überlegt, wo ich ihn –«

»Hervorragend. Dann nimmst du den kleinen Tisch hier heraus und stellst stattdessen den Schreibtisch ins Zimmer. Mach schon, Barney, Tantchen Anora hat einen schönen, großen, wunderbaren Schreibtisch für dich, an dem du dir wichtig vorkommen kannst. Zeig ihm das Ding, Sarah.«

Gemeinsam marschierten sie durch den Flur in die Bibliothek und inspizierten höchst ernsthaft den hübschen stabilen Schreibtisch aus Walnußholz, hinter dem früher Alexanders Vater und vor ihm dessen Vater gesessen hatte. Der Gedanke, ihn jetzt diesem wichtigtuerischen kleinen Mann zu überlassen, behagte Sarah zwar überhaupt nicht, aber offenbar hatte sie in dieser Angelegenheit wenig zu sagen. Andererseits mußte sie ihn sowieso hier herausnehmen, sonst hatten ihre Mieter keinen Platz zum Sitzen.

Quiffen gab knurrend zu, daß der Schreibtisch brauchbar sei, fragte jedoch nach dem dazu passenden Aktenschrank. Für seine wichtige Korrespondenz brauche er unbedingt einen Aktenschrank.

»Besorg ihm schon einen Aktenschrank«, brummte George.

»Hier ist ja schon einer«, sagte Anora. »Was ist denn da drin, Sarah? Wahrscheinlich der ganze alte Komiteekram von Caroline. Schmeiß das Zeug doch einfach weg.«

Auf diese Weise kam Mr. Quiffen an den Aktenschrank für seine wichtige Korrespondenz, die, wie Sarah sich vage erinnerte, hauptsächlich aus Leserbriefen bestand und sich vor allem damit beschäftigte, was irgendjemand falsch gemacht hatte und was in Boston und um Boston herum alles nicht stimmte. Wenn auf dem Cleveland-Circle-Bahnsteig eine Glühbirne flackerte, wenn es eine rote Tulpe wagte, sich im Park an einer Stelle zu zeigen, an der nur gelbe Tulpen vorgesehen waren, wenn (was höchst unwahrscheinlich war) ein Posaunist im Boston Symphony Orchestra ein B blies, das einen Halbton zu hoch war, war Barnwell Augustus Quiffen sofort zur Stelle, griff nach dem Füllhalter und bedauerte, darauf aufmerksam machen zu müssen.

Als Mariposa schließlich den Tee servierte – Charles war zu diesem Zeitpunkt noch in der Fabrik –, taute Mr. Quiffen genügend auf, um aus seinem Familienstammbaum zu zitieren, woraufhin Anora brüllte: »Sie will dich doch nicht als Zuchthengst einstellen, Barney. Trink deinen Tee, und laß das arme Mädchen in Ruhe. Sie wird noch genug auszuhalten haben, wenn du erst mal eingezogen bist.«

Sarah vermutete, daß dies wohl mehr als wahrscheinlich war. Der alte Barnwell Augustus ging ihr bereits stark auf die Nerven. Allerdings führte seine Bereitschaft, auf der Stelle den Scheck für die vereinbarte Vorauszahlung der Monatsmiete auszufüllen, die dank der arithmetischen Künste von Onkel Jem ziemlich hoch ausfiel, bei ihr zu dem Entschluß, den alten Herrn vielleicht doch ganz akzeptabel zu finden. Da die Protheroes es immerhin geschafft hatten, all die Jahre lang mit ihm befreundet zu sein, mußte er wohl auch seine angenehmen Seiten haben. Für den Fall, daß sie diese Seiten nicht entdeckte, konnte sie sich zumindest darauf verlassen, daß Anora ihn zurechtstauchte, wenn er zu sehr über die Stränge schlug.

Kapitel 3

Allen guten Absichten der Beteiligten zum Trotz dauerten die Renovierungsarbeiten doch länger als erwartet. Die Arbeiten, mit denen sie Ende November angefangen hatten, waren noch lange nicht beendet, als sie feststellte, daß die Feiertage, vor denen sie sich so gefürchtet hatte, vor der Tür standen. Umso besser. Was auch immer ihre zahlreichen Verwandten von ihrem Vorhaben halten mochten, wobei Dolphs Reaktion noch zu den höflichsten gehört hatte, man konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen, daß sie die vielen sicherlich wohlgemeinten Einladungen ihrer Pflichten wegen ausgeschlagen hatte. Keiner konnte von einer Frau, die gerade erst Witwe geworden war, fröhliche Karten oder Geschenke erwarten. Sie aß ein schwer verdauliches Weihnachtsessen mit Tante Appie und Onkel Samuel in Cambridge und verbrachte ein erstaunlich ausgelassenes Silvesterfest in der Pinckney Street zusammen mit Onkel Jem, Egbert und Dolph, der vom Champagner einen Schwips bekam und alles aus Kiplings Gunga Din zitierte, an was er sich noch erinnern konnte – es war glücklicherweise nicht besonders viel.

Am Sonntag, den zweiten Januar, kehrte Mariposa die letzten Konfettireste weg. Am Montag, dem dritten Tag des neuen Jahres, das wohl kaum schlimmer werden konnte als das verflossene, fand sich Sarah am Kopfende ihres Eßzimmertisches wieder, wo sie das schieferblaue Abendkleid und Granny Kays Brosche mit dem Eisvogel trug und als offizielle Hausherrin ein Essen serviert bekam, das sie selbst in ihrer privaten Köchinnenrolle zubereitet hatte. Bedient wurde sie von Charles, der sich selbst übertraf in seiner Rolle als perfekter schottischer Butler in einem noblen englischen Herrenhaus.

Sarah selbst kam die ganze Inszenierung vollkommen unecht vor, doch ihre Gäste schien die Szene zu überzeugen. Alle, mit Ausnahme von Professor Ormsby allerdings, der weiterhin mit seinem haarigen Tweedanzug und dem braunen Rollkragenpullover bekleidet war, hatten sich zur Feier des Tages in Schale geworfen. Mr. Quiffen erschien formvollendet im Smoking. Seine Kleidung war vermutlich noch älter als Sarahs Gewand, da er offenbar zu dem Menschenschlag gehörte, der es strikt ablehnte, irgendetwas wegzuwerfen, das sich noch tragen ließ, lediglich weil es ein paar Jahrzehnte aus der Mode war.

Mr. Porter-Smith dagegen hatte sich in einen weinroten Smoking geworfen, dessen Satinrevers breit und glänzend genug waren, um darauf eislaufen zu können. Die Krönung bildeten eine passende Fliege, die in Größe und Farbgebung stark an einen Amazonasschmetterling erinnerte, und ein rosa Rüschenhemd.

Doch selbst er verblaßte im Vergleich zu Mrs. Sorpende. Sie war wie gewöhnlich ganz in Schwarz und trug ein langärmeliges, langes Gewand aus mattem Crêpe, das hauteng auf ihre zwar üppigen, aber keineswegs unattraktiven Formen zugeschnitten war. Darüber hatte sie kunstvoll einen smaragdgrünen Chiffonschal drapiert, der ihren tiefen Ausschnitt zwar verschleierte, jedoch immer noch durchschimmern ließ. In ihrem sorgfältig frisierten Haar trug sie eine Aigrette aus grünen Straußenfedern und ein Arrangement aus Juwelen, die, wenn sie echt gewesen wären, Sarah allen Anlaß gegeben hätten, sich vor Einbrechern zu fürchten.

Charles bemühte sich zwar, die korrekte Haltung zu bewahren, aber Sarah konnte spüren, wie er es innerlich genoß, einer Dame von solcher Weltklasse die Cracker zu reichen. Professor Ormsby blickte zufällig von seiner Suppe hoch und konnte die Augen nicht mehr abwenden. Zweifellos bedeutete Mrs. Sorpendes verführerisch drapiertes Mieder eine willkommene Abwechslung von seinen Windkanälen.

Die arme Miss LaValliere, die eigentlich ein ganz hübsches Kind war, trotz der Tatsache, daß sie ihr Kraushaar zu einer Art Frisur gebändigt hatte, wie sie die frühen Andrew Sisters getragen hatten, wurde völlig in den Schatten gestellt. Sie trug ein recht einfallsloses, aber indiskretes schlauchartiges Etwas aus irgendeinem enganliegenden Material, doch nicht einmal Charles machte sich die Mühe, in ihr freiliegendes Dekolleté zu spähen, da es offenbar der Mühe nicht wert war. Vielleicht versuchte sie, dagegen zu protestieren, daß Frauen als reine Sexualobjekte betrachtet wurden, dachte Sarah. In diesem Fall hätte sie kaum zu einem wirksameren Mittel greifen können.

Wie dem auch war, Jennifer LaValliere trug immerhin dazu bei, daß sich die zuschußbedürftige Kasse des Kelling-Haushaltes wieder füllte, und es war Sarahs Pflicht, das Mädchen bei Laune zu halten. Sie begann daher ein freundliches Gespräch mit ihr, an dem sich auch Mrs. Sorpende und Mr. Porter-Smith beteiligten. Daß Miss LaValliere plötzlich im Mittelpunkt des Interesses stand, verärgerte allerdings Mr. Quiffen, der anfing, sich wie ein äußerst verwöhntes großes Kind zu gebärden. Ihre Rolle als Pensionswirtin war offenbar wesentlich vielschichtiger, als Sarah es sich vorgestellt hatte.