Brausetablette - Ruben Dellers - E-Book

Brausetablette E-Book

Ruben Dellers

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Beschreibung

Emma begleitet ihren Mann auf eine Radtour in die Berge. Mitten auf der Zweihornstrecke sagt er, er habe sie noch nie gesehen. Sie schüttelt den Kopf, nennt ihn Idiot, schreit. Er bleibt bei seiner Behauptung. Sie spannt ihre Freundin ein, beschwört seinen Bruder und bittet sogar ihre Gegnerin aus der Schulzeit, eine Therapeutin, um Hilfe. Nichts. Nur Luft. Sie hat sich verrannt.

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Ruben Dellers, geboren 1958, sah als 10-jähriger eine Werbung für einen Fotoapparat für fünf Franken. Er kaufte ihn und entwarf damit Bild-Geschichten. Mit fünfzehn schrieb er sie auf, mit zwanzig verfilmte er sie. Dann wurde der Computer populär und er schrieb Programme und entfernte sich vom Literarischen. Doch 2014 entdeckte er im Internet den Berner Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein.

Dank an die Testleser und Testleserinnen, Recherchenunterstützer und Manuskriptbeurteiler

Inhaltsverzeichnis

Teil 1

Radtour

Aussprache bei Schokolade

Der Bruder

Aussprache bei Kaffee

Die Paartherapeutin

Therapiegespräch

Telefongespräch

Abschied bei Schokolade

Tatort

Teil 2

Hund

Die Verabredung

Im Hotelzimmer

Teil 3

Das Mädchenhaus

Genug

Dreharbeiten

Kim

Frau Lützle

Die neue Freundin

Nachtruhe

Teil 4

Im Turm

Max

Stöckelschuhe

Allein

Teil 5

An der Kreuzung

Lipsi

Untersuchung

Albert

Das Backsteinhaus

Abschied

Epilog

Teil 1

Stalken

Radtour

Albert schaute die Bergstrecke zurück, Vanessa war nicht zu sehen. Er stieg vom Rad und schob es an den Straßenrand. Fünfzig Meter weiter oben stand eine Bank. Aber die wollte er zusammen mit seiner Freundin erkämpfen, und nicht, dass sie ihn schon da sitzen sah.

Da! Vanessa! Nein, es war irgendeine Radfahrerin, die um die Kurve gestrampelt kam. Sie bewegte sich eckig, warf ab und zu einen Blick auf ihn und stöhnte hörbar. Die offene Fahrradjacke tanzte im Rhythmus der Beine. Sie trug die gleiche Jacke wie er, von M-Way, nur in Orange. Nach einiger Zeit erreichte sie ihn und stieg vom Rad. Sie war zierlich, ihre Lippen schmal, und sie hatte eine Stupsnase; ihre Rehaugen zuckten hin und her. Warum hatte sie so eine harte Tour gewählt? Er wollte sie nicht demotivieren. »Top Leistung«, sagte er. Sie keuchte und warf ihm einen Blick zu, der nicht gerade zum Frühlingstag passte. »Bist du zufällig einer Radfahrerin begegnet?«, fragte er. »Ungefähr in deinem Alter.«

»Wie alt bin ich denn?« Sie kniff die Augen zusammen. Was hatte diese Frau?

»Meine Freundin ist dreiundzwanzig«, sagte er.

»Oh toll! Und du? Achtundachtzig?« Sie umklammerte ihre Lenkstange.

»Ich wollte eigentlich nur wissen, ob du jemandem begegnet bist.«

»Klar, bin ich«, sagte sie und starrte auf die Lenkstange. Sie war mit gelben Tupfklebern verziert.

»Und? Wie weit hinter dir ist sie? Dauert es noch länger, bis sie kommt?«

»Bist du doof oder was? Ich stehe hier.«

»Ich verstehe nicht«, sagte er.

»Wie immer. Wann hast du mich je verstanden?«

Er schloss den Mund. Unten bei der Kurve regte sich nichts.

»Hör mal«, sagte er, »du verwechselst mich mit jemandem.«

»Mit wem sollte ich?« Sie drehte sich demonstrativ nach links und rechts. »Ich sehe nur dich.« Er wandte sich seinem Rad zu. Die Antriebskette war gut eingefettet. »Hallo! Ich bin hier!«, rief sie. Entgegen der Wettervorhersage zogen keine Wolken auf. »Na prima«, sagte sie im Hintergrund. »Partner hören oft einander nicht zu, hat Frau Lützle gesagt. Du bist ein grandioses Beispiel dafür.«

»Gut«, sagte er. »Wir haben uns nichts mehr zu sagen.« Sie wollte erneut den Mund aufmachen, doch er schwang sich auf sein Rad und fuhr zurück. Sie folgte ihm. Er bremste, rollte das Rad zur Seite und klappte den Ständer herunter. »Hör mal. Wie heißt du? Da liegt eine Verwechslung vor.«

»Wie heißt denn du?« Sollte er es ihr sagen? Besser nicht. Sie stand mitten auf der Straße und stützte sich auf die Lenkstange.

»Du hast ein Problem«, sagte er.

»Ja, dich.«

»Hast du jemanden, mit dem du reden kannst? Du hast eine Frau Lützle erwähnt.«

»Frau Lützle ist meine Bezugsperson und keine Psychologin!«

»Ich habe gar nichts gesagt.«

»Aber gedacht.«

Unten bei der Kurve bewegte sich nichts.

»Gut gut«, sagte er. »Vielleicht wäre es gut, wenn du das alles mit deiner Bezugsperson besprichst. Ich fahre jetzt los, und du hörst auf, mich zu verfolgen.«

Er raste den Berg hinunter. Sollte sie ihm doch hinterherfahren, bei seinem Tempo würde sie ihn nicht einholen.

Da, ein Forsythienstrauch. Er stellte sich mit seinem Rad dahinter und spähte durch die gelben Blüten, die Straße war leer. Nun hatte die Radfahrerin ihn schon dazu gebracht, sich zu verstecken. Vorsichtig ging er zurück zur Straße.

Wo blieb nur Vanessa? Er schob das Rad wieder hinter den Busch und rief sie an. Das Telefon klingelte und klingelte, endlich meldete sie sich. Ohne zu grüßen, fragte er: »Wo bist du? Ich warte!«

»Wo wartest du?«

»Na! Erst habe ich oben gewartet, bei der Bank. Jetzt stehe ich unten.« Er schlich auf die Straße. »Ich sehe dich nirgends. Wo steckst du?«

»Wo schon? Zu Hause.«

»Zu Hause?« Er betrachtete das Telefondisplay. »Warum bist du nach Hause gefahren?«

Jemand riss ihm von hinten das Handy aus der Hand. Er drehte sich um: die Radfahrerin.

»Spinnst du?«, rief er. Sie verbarg das Handy hinter ihrem Rücken, er griff danach, sie wand sich hin und her. »Her damit!«, schrie er sie an. Sie gab es ihm. »Verschwinde von hier.«

»Nein. Sonst rufst du sie wieder an.«

»Ja, das tue ich.«

»Hast du es immer noch nicht begriffen? Sie lässt dich hängen! Im Gegensatz zu mir.«

Aussprache bei Schokolade

Albert schüttete Schokoladenpulver in seine Milch und rührte um.

»Warum nimmst du jedes Mal heiße Schokolade?«, fragte die Radfahrerin.

»Lass das doch. Woher willst du das wissen? Ich sehe dich heute zum ersten Mal.« Sie verstummte. »Also«, fragte er, »was sollen wir deiner Meinung nach besprechen?«

»Idiot«, flüsterte sie.

»Wie bitte? Soll ich wieder gehen?«

»Nein, entschuldige, bitte bleib.« Sie schaute sich um, der Kellner stand an der Kasse und tippte etwas ein.

Albert wollte am Kakao nippen. Das ging nicht, er war zu heiß. »Du willst tatsächlich nichts trinken?«

»Sie haben ja keine Brausetabletten.«

Er schaute auf die Tafel über der Bar. »Es gibt bestimmt eine Brause. Orange, Zitrone. Soll ich fragen?«

»Ich nehme sie nur als Tablette. Ich liebe es zuzusehen, wie sie sich im Wasser auflöst.« Sie schloss die Augen und atmete tief ein. »Wir können nach Hause fahren.« Sie zeigte zum Ausgang. »Ich habe ein ganzes Röhrchen.« Sie wollte lächeln, aber es misslang. »Du weißt nicht, wo ich sie versteckt habe.«

Er lehnte sich zurück. »Was du machst, nennt sich Stalking.«

Sie schüttelte den Kopf. »Stalken heißt, dass dich jemand über Wochen oder Monate belästigt. Mich siehst du heute aber zum ersten Mal.«

»Dann ist das eben ein beginnendes Stalking. Und das will ich von Anfang an unterbinden.«

Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte das Kinn auf die gefalteten Hände. »Und wie willst du das machen?«

»Ich mache gar nichts. Wir trinken jetzt die Schokolade aus und dann geht jeder seiner Wege.«

»Du trinkst die Schokolade allein. Und ich erwarte, dass du deine Ablehnung aufgibst.« Der Kakao war immer noch heiß. Sie nahm die Arme vom Tisch und senkte den Blick. »Wie kann ich dich davon überzeugen, dass wir zusammengehören?«

»Gar nicht.« Er rührte zum x-ten Mal seinen Kakao um.

Ein Luftzug fuhr ihm ins Gesicht. Im Türrahmen, im Rücken der Radfahrerin, stand eine Frau mit weizenblonden Locken. Sie trat näher, blieb vor seinem Tisch stehen und fokussierte die Radfahrerin. »Hey, Emma! Wie geht’s?« Sie nickte Albert zu. »Ich bin Lipsi, Emmas beste Freundin.«

Albert schaute zu der Radfahrerin, die den Blick mit offenem Mund erwiderte. Er stellte sich vor und widmete sich wieder seinem Kakao.

Lipsi zog vom Nebentisch einen Stuhl heran. »Ihr erlaubt, dass ich mich zu euch setze?«

»Du bist ja schon dabei«, sagte die Radfahrerin.

Albert erhob sich. »Dann braucht es mich ja nicht mehr.«

Die Weizenblonde sah auf sein Glas. »Sorry, ich wollte dich nicht verscheuchen. Du hast noch nichts getrunken.« Sie schob sein Getränk samt Untertasse näher zu ihm. Er winkte ab und zog die Geldbörse hervor. Die Weizenblonde stand auf und stellte sich vor ihn hin. »Nein, du darfst nicht gehen, ich gehe. Ich will Emma nur schnell Hallo sagen, dann bin ich weg.«

Die Radfahrerin erhob sich ebenfalls. »Genau, so nicht. Du hast mir eine Aussprache versprochen.«

Sie setzten sich wieder. Die Radfahrerin schwieg. Auch ihre Freundin sagte nichts, zumindest nichts Verständliches, stattdessen sah sie zu der Radfahrerin und machte Gesten. Die Radfahrerin flüsterte kaum hörbar: »Wir sind am Streiten.«

Albert trank schlückchenweise und schaute zu, wie sich die beiden weiter stumm unterhielten.

Auf einmal wandte sich die Weizenblonde an ihn. »Wie kommt es eigentlich, dass wir uns noch nie gesehen haben?« Albert schwieg. »Wie lange seid ihr schon zusammen?«, fragte sie weiter.

»Ein Jahr«, sagte die Radfahrerin.

»Hättest du gern.« Er stellte das Glas ab, es klirrte auf der Untertasse.

»Warum?«, fragte die Weizenblonde. »Habt ihr euch schon früher kennengelernt?«

Die Radfahrerin nickte. »Aber seit einem Jahr ist es offiziell.« Er biss sich auf die Unterlippe.

»Du hast mir nie von Albert erzählt.«

»Sie stalkt mich.« Er wollte sich den Unsinn nicht länger anhören. »Sie denkt, ich bin ihr Freund.«

»Nicht Freund, du bist mein Mann«, sagte die Radfahrerin.

»Auch noch verheiratet? Das ist ja lächerlich.« Er setzte das Glas an und leerte es in einem Zug.

»Ihr habt geheiratet?« Der Weizenblonden stand der Mund offen. Die Radfahrerin presste die Lippen aufeinander, Albert griff in seine Tasche. »Albert.« Die Weizenblonde packte seinen Arm und hinderte ihn daran, die Geldbörse hervorzuholen. »Das ist so Emmas Redensart! Mit ›mein Mann‹ meint sie ›mein Freund‹.«

»Ich bin auch nicht ihr Freund. Wir sehen uns heute zum ersten Mal.«

Die Weizenblonde zog ihre Hand zurück und starrte auf Emma. Albert legte ein paar Geldstücke auf den Tisch, weg war er.

»Jetzt musst du mir ganz viel erklären«, sagte Lipsi und winkte dem Kellner. Sie bestellte einen Milchkaffee. Emma wollte nichts. »Du musst was bestellen. Die Restaurants müssen auch leben.«

Emma beugte sich zu ihrer Freundin und flüsterte: »Ich will eine Brausetablette.«

»Bringen Sie uns zwei Milchkaffee.« Der Kellner ging, Emma schaute zur Seite. »Krieg dich wieder ein.« Lipsi klang beschwichtigend. »Es ist doch kein Unglück, wenn du mal nicht deine Brausetablette bekommst.«

Emma schnaubte. »Mal? Nie bekomme ich, was ich will. Jetzt läuft mir auch noch der Mann davon.«

»Hey, das mit deinem Typen kriegen wir gebacken. Und wenn du mich wieder mal besuchst, kaufe ich dir ein ganzes Röhrchen. Jetzt erzähl.« Emma fuhr sich über den Mund. »Komm schon, ich bin mega gespannt.«

»Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen?«, fragte Emma.

»Das spielt jetzt keine Rolle. Erzähl, was ist passiert?«

Emma verkeilte die Finger ineinander. »Ich habe meine Ausbildung abgebrochen …«

»Welche Ausbildung? – Na, ist jetzt nicht wichtig. Erzähl von Albert.«

»Erzähl du doch aus deinem Leben.«

»Was willst du hören? Bei mir ist alles wie immer: Stress mit Hugi, Stress mit meinem Chef.« Lipsi hielt den Kopf schräg. »Jetzt du. Bei dir brennt das Haus nieder und wir reden über meinen Stress oder deine abgebrochene Ausbildung.«

Emma schaute zum Ausschank, die Kaffeemaschine zischte. »Aber du bist auf meiner Seite?«

»Natürlich«, antwortete Lipsi. »Ab jetzt bin ich ausschließlich für dich da, bis du deinen Typen wiederhast.« Emma schüttelte den Kopf. »Doch!«

»Seit wann kümmerst du dich um mich?«

»Hey! Ich bin deine Freundin!«

»Die Tag und Nacht Zeit für mich hat?« Emma verschränkte die Arme. »Warum spazierst du eigentlich an einem Montag hier rein? Hast du dich krankgemeldet?«

»Das könnte ich dich genauso fragen. Ich habe montags immer frei.«

»Und ich habe Urlaub!« Emma schrie beinahe.

Lipsi schnellte zurück. »Was ist los? Bist du wieder mal Tiefbauingenieurin?«

»Ich bin immer down, falls du das noch nicht bemerkt hast.« Sie wischte sich über die Augen und trocknete die Hand am Shirt ab. »So eine Beziehung schlaucht. Aber ich gebe nicht auf.«

»Warum so verbissen? Du kannst doch auch etwas lockerer mit ihm …«

»Komm mir doch nicht mit solchen Spinnereien. Ich will ihn richtig. Und ja, ich bin eifersüchtig. Das soll er kapieren!«

»Das hat er gecheckt«, sagte Lipsi.

»Meinst du?«

»Und ich lebe nicht in einer offenen Beziehung«, sagte Lipsi. »Hugi will das nicht, deshalb halte ich mich dran.«

»Siehst du: Wenn dein Typ was sagt, spurst du. Und umgekehrt? Hast du ihm mal von deinen Bedürfnissen erzählt?«

»Bin gerade dabei.« Lipsi schaute sich im Restaurant um, als könnte ihr Freund irgendwo sitzen und zuhören.

»Und die wären?« Emma klopfte mit den Fingern auf den Tisch.

»Dass er auch wieder mal was organisiert. Wenn ich nichts mache, läuft nichts.«

»Deine Sorgen möchte ich haben.« Emma ließ die Arme fallen. »Wenigstens sieht er dich. Albert sieht nur Luft, wenn er in meine Richtung schaut.«

»Vielleicht bist du auch Luft für ihn.«

»Danke, das habe ich jetzt gebraucht.«

»Sag mir doch mal: Warum willst du unbedingt ihn?«

»Hast du schon mal was von Seelenverwandtschaft gehört?«

»Das ist doch Quatsch.« Lipsi nahm Alberts Tasse in die Hand und schaute hinein.

»Als ich ihn das erste Mal gesehen habe … Bei einer Beratung war das. Er kam ins Besprechungszimmer und brachte meiner Mentorin die Lesebrille, die hatte sie zu Hause vergessen. Da wusste ich: Er ist es.«

»War die Mentorin zufällig seine Freundin?«

»Sie wohnten in einer WG zusammen, das war alles.« Lipsi warf einen Blick auf ihr Handy. »Musst du gehen?«, fragte Emma.

»Ein paar Minuten habe ich noch.«

Emma klatschte mit der Hand auf den Tisch. »Schwirr ab. Ich komme ohne dich zurecht.«

»Nein, kommst du nicht!«, sagte Lipsi. »Und sei endlich offen, wenigstens mir gegenüber.«

»Und was soll ich tun, wenn du mich auch noch verlässt?«

»Ich verschiebe mein Treffen.« Lipsi tippte eine Nachricht ins Handy. »So. Und jetzt erzähl endlich, du Nervensäge.«

Emma legte die Hände mit den Innenflächen nach oben auf den Tisch. »Die ersten Wochen ging es gut.« Sie drehte eine Hand um. »Doch dann fing er an, mir auszuweichen. Mehrere Tage ist er nicht nach Hause gekommen.«

»Hat er eine andere?«

Emma ließ die Schultern hängen. »Aber er kommt bei ihr nicht an. Ich verhindere die Verabredungen, wo ich kann.«

»Ach Emma, immer noch die Alte. Du bist keine Stalkerin, sondern ein Eifersuchtsbrocken.«

»Du würdest deinen Mann auch davon abhalten, dass er fremdgeht.«

»Ich würde ihn verlassen«, antwortete Lipsi. Emma schaute sie eindringlich an. »Was ist?«

»Verlassen?«, fragte sie. »Ich dachte, dir gefallen offene Beziehungen?«

Lipsi winkte ab. »Wie oft geht er zu ihr?«

»Selten. Eigentlich nie. Ich habe das von Anfang an verhindern können. Aber er tyrannisiert mich deswegen.«

Lipsi holte ein Taschentuch hervor und tupfte Emmas Wangen ab, obwohl da gar keine Tränen waren. »Und warum hast du mir nie von Albert erzählt?«

Emma stieß Lipsis Hand weg. »Du und ich, wir haben uns lange nicht gesehen, da gab es gar keine Gelegenheit.«

»Es gibt ja Telefon. Ich dachte, wir erzählen uns alles.« Emma schaute auf den Nebentisch. Der Kellner kam und brachte die zwei Kaffees. Lipsi schob ihr Getränk beiseite und lehnte sich über den Tisch. »Wie tyrannisiert er dich? Erklär mal.«

»Er tut ständig, als ob er mich nicht kennt. Dann macht er mit der anderen ein Date, aber die will ihn gar nicht.«

Lipsi langte nach ihrem Kaffee. »Vielleicht erträgt er nicht, dass du ›mein Mann‹ sagst. Er denkt dann, du fühlst dich verlobt, und das geht ihm zu schnell.«

»Meinst du?« Lipsi nahm einen Schluck. »Ich sage auch ›Freund‹ oder ›Liebling‹, aber das kommt auch nicht gut an.« Emma schob ihre Tasse Lipsi entgegen. »Er weicht jedem Gespräch aus. Seit zwei Monaten redet er überhaupt nicht mehr mit mir.«

Lipsi nickte.

»Und diese Woche begleite ich ihn jeden Tag auf sehr anstrengende Radtouren. Obwohl mich das anödet wie nur irgendwas. Und er – er behandelt mich wie Luft.«

»Vorhin hat er gesagt, dass er dich heute zum ersten Mal gesehen hat«, bemerkte Lipsi. »Denkst du, er ist ein Psychopath?«

Emma zuckte mit den Schultern. Lipsi zog Emmas Tasse ganz zu sich heran. »Wie kann ich erreichen, dass er mir zuhört?«, fragte Emma. »Nur zuhört. Dann kann er sagen, was er will.«

»Warte, mir kommt eine Idee.«

Der Bruder

Sie wechselten in eine Bar, Lipsi brauchte einen Scotch. Emma bestellte Kaffee, damit Lipsi nicht wieder herumdiskutierte.

»Du trinkst ja nicht mal Alkohol«, sagte Lipsi. »Hast du überhaupt ein Laster?«

»Natürlich. Ganz viele. Aber die behalte ich für mich.«

»So? Aber mir verrätst du ein paar von deinen Geheimnissen.«

Emmas Blick folgte den Schuhen eines vorbeigehenden Gastes. »Ich will über deine Idee reden.«

»Zuerst mal: Du bist peinlich, sorry, ich meine, zu direkt. Das kommt beim andern nicht gut an. Du willst ja auch nicht, dass er sagt: Deine Frisur erinnert mich an meine Großmutter. Oder: Du könntest mal lächeln, statt mit der Miene einer Bestattungsunternehmerin rumzulaufen, die nonstop Überstunden macht.«

Emma griff sich an den Mund, in die Haare. »Wie soll ich mich denn verhalten?«

Lipsi schüttelte den Kopf. »Erzähl mir von deinen Lastern. Ich muss wissen, wozu du fähig bist.«

»Und du kannst den Mund halten?«

»Klar, du kennst mich doch.«

Ja, sie kannten sich seit der Schulzeit. Was man Lipsi sagte, wusste bald der ganze Schulhof. Aber sie hatte immer hilfreiche Ideen. Und so eine brauchte Emma jetzt. »Ich habe heimlich geheiratet«, sagte sie. »Vor zwei Monaten.« Lipsi stellte das Glas ab. »Im Ausland, meinen Albert«, fügte Emma hinzu.

»Warum hast du mich nicht eingeladen? Ich wäre dir überallhin gefolgt.«

Emma schüttelte den Kopf. »Wir haben niemanden eingeladen. Und unsere Pässe, Führerscheine und all die Dokumente werden noch umgeschrieben.«

»Vor zwei Monaten? Ist das nicht genau seit Albert dich verleugnet?« Emma schloss die Augen, Lipsi hatte es erfasst. »Willst du ihn nicht einfach gehen lassen? Heute geht eine Scheidung ganz einfach über Internet.« Lipsi holte ihr Handy hervor.

»Lipsi«, hauchte Emma. »Hilf mir, ihn wiederzugewinnen.«

Lipsi legte das Telefon beiseite. »Hier meine Strategie.« Sie umfasste mit beiden Händen den Scotch. »Wir laden Albert zu einem Gespräch zu dritt ein.«

»Das hatten wir doch eben, es hat nichts gebracht.«

»Nein, der Dritte ist jemand aus seinem Kreis. Er soll das Gefühl haben, dass jemand dabei ist, der zu ihm hält.«

»Und wer hält zu mir? Du kommst mit. Ich brauche auch eine Stütze.«

»Okay. Aber ich kann nicht still bleiben. Und ich finde ihn einen Flachkopf.«

»Warum denn?«