21,99 €
Leben wir schon in der Hölle? Oder kommt die erst noch?
In einer nicht allzu fernen Zukunft ist alles kostenlos ... aber nicht umsonst. Künstliche Intelligenz treibt uns in den Wahnsinn, und man kann sie noch nicht einmal richtig anschreien. Das neue große Ding sind Tattooentfernungen. Der Pflegenotstand wurde durch Roboter behoben, aber irgendwie hatten sich das alle anders vorgestellt. Und Attila Hildmann würde gern wieder nach Deutschland zurück, aber Alice Weidel ist in ihrer Regierungs-AfD in Ungnade gefallen ...
Timur Vermes präsentiert Briefe und andere Dokumente aus der Zukunft, die unserer Gegenwart den Spiegel vorhalten. Ein schwarzhumoriges Vexierspiel, bei dem einem mitunter das Lachen im Halse steckenbleibt. Unnachahmlich bissig und böse!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 165
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Über das Buch
Weitere Titel des Autors
Triggerwarnung
Der Autor
Titel
Impressum
Brief
Stellungnahme Schadensfall Pflegeroboter
Neue Härtte in Nahost
Gerechte Beurteilung für Meghan Schnitzer-Geräumt
Willkommen
Herzlichen Glückwunsch zum Erwerb Ihrer I-Witness®-Linsen!
Offener Brief an die Zeitung und das Internet
Lernmaterialien der Astrid-von-Roëll-Akademie für Qualitätsjournalismus
Chat
Keine Mails, keine Konferenzen, keine Anrufe
Alle Vorteile des TODES
Protokoll-Nr. 08/15
An: Ewald.Radoswil@@radoswilundpartner.com
AFD-Fraktion im deutschen Bundestag
TAGESSCHAU – Faktenfinder
Gott bei Taylor Swift
Zu sein oder nicht zu sein
Was ich in diesem Sommer getan habe
Hier der finale Entwurf (Version 4!)
Herzlichen Glückwunsch
Weil Verzeihen Fehler braucht
Telefonatsmitschrift
An den Volksverfassungsschutz
Bürgermeisteramt
Liebe Isabella
Herzlichen Glückwunsch
Lesen Sie hier das Videotranskript
Vertraulich!
Hoffentlich … ist es Beton
Es reicht! Was genug ist, ist genug.
Sprengsatz aus der Glotze
Geld sah nie besser aus
SPIEGEL online
Strahlenschätze
Das Erste
Bildnachweise
Endnoten
In unnachahmlich schwarzhumoriger Manier kehrt Timur Vermes zurück zu seinen Wurzeln und packt das allgegenwärtige Grauen beim Schopf. In einer nicht allzu fernen Zukunft ist alles kostenlos … aber nicht umsonst. Künstliche Intelligenz nervt einfach nur noch, und man kann sie noch nicht einmal richtig anschreien. Das neue große Ding sind Tattooentfernungen. Der Pflegenotstand wurde durch Roboter behoben, aber irgendwie hatten sich das alle anders vorgestellt. Und Attila Hildmann würde gern wieder nach Deutschland zurück, aber Alice Weidel, Bundesministerin a.D., legt ihr Veto ein.
Er ist wieder da
Die Hungrigen und die Satten
Ein großer Teil der folgenden Texte befasst sich mit der Zukunft.
Diese ist in weiten Teilen unbekannt. Es kann sein, dass dieses Unbekannte bei sensiblen Personen Unbehagen auslöst. Weiterhin ist denkbar, dass manche Personen sich diese Zukunft anders vorstellen bzw. vorziehen, nicht unnötig von der Existenz davon abweichender Vorstellungen der Zukunft zu erfahren.
Bitte entscheiden Sie selbst, ob Sie diese Texte gerade lesen können oder mögen. Wenn Sie die Texte nicht lesen mögen, legen Sie sie bitte weg und lesen Sie sie nicht. Wenn Sie eine andere Person sehen, die diese Texte liest, halten Sie sich die Ohren zu und sagen sie laut »Nananana«. Bleiben Sie dabei unbedingt in einem sicheren Bereich stehen. Überqueren Sie so keinesfalls dicht befahrene Straßen, Start- und/oder Landebahnen.
Bewahren Sie in jedem Fall Ruhe. Bedenken Sie:Die Zukunft ist niemals jetzt, sondern immer erst nachher.
Timur Vermes wurde 1967 in Nürnberg als Sohn einer Deutschen und eines Ungarn geboren. Er studierte in Erlangen Geschichte und Politik und arbeitete anschließend als Journalist und Ghostwriter. Er schrieb bis 2001 für die Abendzeitung und den Kölner Express und später für mehrere Magazine.Sein 2012 erschienener Roman ER IST WIEDER DA ist eines der erfolgreichsten deutschen Debüts der letzten Jahrzehnte. Es verkaufte sich mehrere Millionen Mal, wurde fürs Kino verfilmt und in Dutzende Sprachen übersetzt. Timur Vermes’ zweiter Roman DIE HUNGRIGEN UND DIE SATTEN stieg 2018 auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste ein. Beide Romane wurden von Christoph Maria Herbst als Hörbuch eingelesen..
TIMUR VERMES
BRIEFEVON MORGEN,DIE WIRGERN GESTERNSCHON GELESENHÄTTEN
Eichborn Verlag
Originalausgabe
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Gaeb & Eggers
Copyright © 2025 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln
Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an: [email protected]
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten
Textredaktion: Bärbel Brands, Berlin
Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign, München
Umschlagmotiv: © Illustration Johannes Wiebel
Satz: two-up, Düsseldorf
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-7545-8
Sie finden uns im Internet unter eichborn.de
Timur Vermes
Bralleinstraße 87
80330 München
2.2.2024
Sehr geehrter Herr Merz,
keine Angst, diesen Brief müssen Sie jetzt nicht lesen. Sie können ihn weglegen, zur Wiedervorlage. Wann? Etwa zwei oder drei Jahre, nachdem Ihre Union (ob mit oder ohne Ihren Segen) der AfD den Weg in die Regierung gebahnt hat. Natürlich: Sie sagen mir heute (da ich diesen Brief schreibe), dass das nie geschehen wird. Schön!
Aber weil Sie ja jetzt diesen Brief lesen, sehen wir, dass es offenbar doch anders gekommen ist. Seltsam, nicht wahr? Ich nehme also mal an, Sie öffnen diesen Brief zu Hause. Das ist etwas, was Sie vermutlich nur deshalb noch können, weil Sie nicht in der SPD sind oder bei den Grünen oder so. Sahra Wagenknecht könnte es hingegen auch, jetzt, in Moskau. Aber sie müsste es nicht mehr, weil Briefe dort ja bereits geöffnet ankommen.
In jedem Fall war’s doch gut, dass ich Ihnen diesen Brief in der Vergangenheit geschickt habe, also haben Sie ihn schon. Und Zeit haben Sie auch, denn politisch tätig sind Sie inzwischen ja nicht mehr. Wie auch Ihre Kollegen von der Union, denen man nahegelegt hat, zu Hause zu bleiben und den Mund zu halten. Das hat natürlich einige überrascht, die gemeint hatten, die AfD wäre ihnen dankbar. Wie es sich zeigte, ist die AfD niemandem dankbar, und sie wird auch sehr ungern daran erinnert, dass sie mal nicht an der Macht war oder auf Hilfe angewiesen, aber das erwähnt ja auch besser niemand mehr. Ein paar aus dem christlichen Flügel Ihrer Partei haben das gemacht, wissen Sie noch? Diese Christen sind ja oft so verbohrt. Wo sind die heute eigentlich?
Schön, dass man das noch weiß.
Wenigstens von den meisten.
Sie haben völlig recht, Herr Merz, geplant war das ganz anders. Sie oder Ihre Parteifreunde wollten die AfD einhegen und absichern, und wenn sie irgendwie unkontrollierbar würde, dann würde man die Reißleine ziehen. Ein wasserdichter Plan, selbstverständlich. Bis auf die Sache mit der Unkontrollierbarkeit: Wer hätte gedacht, dass sie bedeutet, dass man etwas nicht mehr kontrollieren kann? Oder dass diese Leute Gerichtsurteile nicht anerkennen? Wenn man überhaupt brauchbare Urteile bekommen hat, weil diese Leute erstaunlicherweise in den Gerichten und Staatsanwaltschaften auch schon ihre Sympathisanten sitzen hatten. Oder bei der Polizei. Und jeden Verwaltungsakt und jede Entscheidung haben sie so lange hinausgezögert, bis niemand mehr da war, der sie hätte anzweifeln können. Unglaublich raffiniert, nicht wahr? Konnte man nicht ahnen.
Und diese Sache mit der Gewalt schon gar nicht.
Überall diese Gewalt. Diese Einschüchterung. Und man wusste nie genau, wo sie herkommt, weil die AfD ja immer sagte, dass sie diese Leute nicht kennt oder, dass es wütende Bürger waren oder übereifrige Polizisten oder spielende Kinder oder, oder. Sie selbst hatten auch ein, zwei beunruhigende Begegnungen, Herr Merz, nicht wahr? War sicher unangenehm. Möchte man nicht haben. Ist man lieber ruhig. Man will ja nicht, dass es einem geht wie …
Na, wir wissen beide, von wem wir reden.
Zugegeben, jetzt (wo ich’s schreibe) noch nicht, aber jetzt (wo Sie’s lesen) schon. Der und der und die und die. Ist inzwischen eine ganz schöne Liste. Ganz abgesehen von den Deportierten, den Eingesperrten, den Entrechteten. Was ich nicht genau weiß: Müssen inzwischen schon wieder irgendwelche Gruppen der Bevölkerung die Fußgängerzonen auf Knien schrubben? Ich würde es gerne vorhersagen, diese braune Szene greift ja oft zu historischen Vorbildern, es kann aber sein, dass die Fußgängerzonen inzwischen nicht mehr so gerne thematisiert werden.
All die leerstehenden Läden. Die Wirtschaft läuft in Deutschland nicht mehr so gut ohne Fachkräfte oder geile Internetfirmen oder weil die ganzen Biodeutschen bei Lieferando nur bestellen wollen, aber eben nicht ausliefern. Das ist das Blöde mit Nazis: Wenn’s mies läuft, lösen sie keine Probleme, sondern suchen Schuldige. Konnte ja auch wieder keiner ahnen, dass Sie und Ihre Union dazugehören würden. Weil Sie nicht richtig mitgezogen haben, weil Sie nicht überzeugt waren, weil Sie vielleicht Zweifel hatten, weil Ihnen der fanatische Wille fehlte …
Nein, „fanatischer Wille“ hat er es nicht genannt, der … wissen Sie noch, wie er hieß? Ja, heute (wo ich’s schreibe) wissen wir’s beide, aber heute (wo Sie’s lesen): Wer hätte gedacht, dass man Höcke mal als gemäßigten Kopf vermissen würde? Und es stimmt ja: All die gemütlichen Nazis, die abends in der Kneipe sitzen und ihr Bier trinken und Fußball schauen (gerade jetzt, wo die Nationalelf so blütenweiß ist), die hätten doch genauso gut nach oben kommen können. Aber irgendwie steigen in Vereinen wie der AfD dann doch immer wieder die Heydrichs auf.
Haben wir Pech?
Wie oft muss man dieses Pech haben, bevor man sagen kann: das ist systemimmanent?
Ach, Herr Merz, wir könnten über all das vielleicht besser plaudern. Theoretisch, praktisch wissen Sie natürlich, dass es heute nicht gern gesehen wird, wenn sich politisch Unzuverlässige unterhalten. Oder: konspirieren. Ihre ehemaligen Regierungskollegen von der AfD sind ja überzeugt, dass die Unzuverlässigen der Grund sind, weshalb es diesem Land so viel schlechter geht als in den EU-Zeiten. Die Unzuverlässigen und die anderen Länder voller Ausländer um uns herum. Die sich an keine Absprache halten, wenn sie überhaupt eine treffen. Die nur noch schauen, was sie anderen wegnehmen können. Die nicht begreifen, dass sie nicht zuerst kommen können, wenn wir zuerst kommen. Deswegen hat ja auch unsere Bundeswehr jetzt einen Etat, von dem sie unter Scholz nur träumen konnte. Weil man rüpelhaftes Benehmen auch robust absichern muss. Und mit Atomwaffen.
Erstaunlich, wie rasch die da waren. So schnell hat man gar nicht schauen können. Aber das ist doch verständlich: Diese Russen können ja vor Kraft kaum gehen, seit man ihnen die Ukraine geschenkt hat. Und natürlich kann man sich auf die Engländer, die Franzosen, die Amerikaner, auf all diese Länder nicht mehr verlassen, denen man mit diesem „Deutschland zuerst“ seit Jahren die Schienbeine wundtritt. Da sind Atomwaffen eine kostensparende Absicherung. Und wer weiß, vielleicht kann man damit auch mal zurückschießen, so gegen 5:45 Uhr.
Sie haben völlig recht, Herr Merz: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Drum sage ich ja: Öffnen Sie den Brief erst, wenn’s passiert ist, dann sind wir beide gleich schlau. Dann können wir auf Augenhöhe reden. Ich gebe es gerne zu, ich konnte es selbst ja auch nicht wissen, ich hab nur geraten beziehungsweise einfach hingehört, was die braunen Mordbuben so ankündigen. Konnte man nicht wissen, dass die es so meinen, nur weil das Putin, Trump, Orban und all die anderen genauso gemacht haben. Oder weil sie mit Ihren Freunden von der Werteunion bereits wieder Wannseekonferenzen abhielten. Gut, diesmal am Lehnitzsee, aber auch dort ging’s wie 1942 um Transportprobleme oder wer Deutscher ist und wer nicht, und auch dort fiel wie 1942 das Wort „Konzentrationslager“ kein einziges Mal. Konnte man also schon wieder nicht wissen.
Muss denn jeder Winter kälter sein als der Sommer, nur weil’s bisher so war?
Eben.
Es tut mir übrigens leid, dass ich nur Ihnen und Ihrer Partei diesen Brief schreiben konnte oder musste. Aber das ist nachvollziehbar, oder? Zur Machtergreifung konnte die AfD wohl kaum SPD und Grüne nehmen. Oder die FDP – Spaß muss sein, heute (wo Sie’s lesen) mehr denn je. Und heute (wo ich’s schreibe) taugt nun mal der Herr Aiwanger nur mental jederzeit zum Steigbügelhalter, aber prozentual eben nicht.
Lieber Herr Merz, ich wünsche Ihnen alles Gute. Es kommen vielleicht wieder bessere Zeiten. Der Herr von Papen hat beispielsweise damals nach seiner zwölfjährigen Überwinterung als Botschafter in Österreich und der Türkei (würden Sie nie tun, ich weiß) noch das ganze Wirtschaftswunder mitgenommen. Und außerdem: Sie können vielleicht gar nicht so viel für das, was seither passiert ist. Es waren ja vor allem Ihre Parteifreunde, die keine Lust hatten, sich mit den anderen Demokraten zu verbünden. Dabei, man mag es immer wieder kaum glauben, hätte das vor ein paar Jahren genauso gereicht wie 1933.
Aber da ist doch die eine Frage, die Sie mir vielleicht beantworten können. Nicht heute (wo ich’s schreibe), aber heute (wo Sie’s lesen): Was hätte ich damals zu Ihnen und Ihrer Partei sagen sollen? Damals, als man noch alles hätte verhindern können? Als der Gedanke so verführerisch war, man könnte die AfD benutzen und weglegen wie einen Schraubenschlüssel. Wie hätte ich zu Ihnen und Ihren Parteifreunden und -freundinnen durchdringen können? Oder lag es einfach daran, dass Ihre Partei in diesem Moment niemanden vom Kaliber eines Wolfgang Schäuble hatte? Dass ein Heiner Geißler, eine Rita Süssmuth nötig gewesen wären, um die Kollegen zu überzeugen, wofür man sich zu entscheiden hat, wenn man wählen kann zwischen Macht und Demokratie?
Ich wünsche Ihnen alles Gute, so von politisch Unzuverlässigem zu politisch Unzuverlässigem.
Bleiben Sie gesund.
Bleiben Sie in Deckung.
Timur Vermes
An die
Securitate Haftpflicht
Postfach 3245
57570 Bonn
Gunda Weber
Hellmerichstraße 7
90402 Nürnberg
Stellungnahme Schadensfall Pflegeroboter
Sehr geehrte Damen und Herren,
zunächst einmal: Ich bin eigentlich nicht so. Das ist überhaupt nicht meine Art, da können Sie fragen, wen Sie wollen. Ich bin sogar ein eher herzensguter Mensch und sonst sehr geduldig. Ich stricke sogar manchmal. Aber daran können Sie auch ersehen, dass das alles gar nicht meine Schuld sein kann. Vielleicht ist es die vom Heim, vielleicht die von dieser blöden Regierung, aber meine ist es mit Sicherheit nicht. Oder höchstens zum Teil.
Meine Mutter ist seit jetzt 12 Jahren im Alfred-Schweringer-Heim. Es ist bei ihr irgend so eine Demenz, also sie ist manchmal schon geistig da, aber meistens eher nicht. Ich besuche sie praktisch jede Woche oder fast alle drei Wochen, sie bekommt es ja ohnehin oft nicht mit, und richtig reden kann man mit ihr ja auch meistens nicht. Aber zehn- oder fünfzehnmal im Jahr bin ich sicher da, grad an Weihnachten oft, schon damit man mal schaut, ob alles in Ordnung ist. Und meistens ist auch alles in Ordnung. Ich bin auch keine Gegnerin von Pflegerobotern. Das können alle bezeugen: Weil ja die Leute oft sagen, das wäre unmenschlich und alles, und ich habe da immer gesagt: Man muss sich halt an die gewöhnen, die sind gar nicht so schlecht.
Und sie werden besser. Anfangs gab es da ja nur einen oder zwei im ganzen Heim, und die sind ja manchmal noch am Dialekt gescheitert. Meine Mutter, wenn die überhaupt spricht, dann spricht die halt Fränkisch. Wenn die noch einen Kloß will, dann kann so ein ungeschulter Roboter schon mal einen Knieverband anlegen, weil das bei uns halt „Gniedla“ heißt, also praktisch „Knödelchen“. Aber die Roboter lernen ja dazu, Fehler machen die meistens nur einmal, und das kann man von Menschen ja gar nicht so oft sagen.
Deswegen verstehe ich auch, dass die dauernd Updates brauchen. Weil Roboter künstliche Intelligenz haben, aber alte Leute haben halt natürliche Demenz. Die machen manchmal Sachen, die hält man im Kopf nicht aus, immer und immer wieder, und wenn man irgendwas lange genug tut, dann macht so ein Roboter halt manchmal plötzlich Sachen, die er vorher nicht gemacht hat. Ein normaler Mensch fragt einen Roboter vielleicht dreimal, ob er doch noch ein viertes Stück Kuchen kriegt. Und dann lässt er’s. Aber Leute mit Demenz nicht, die fragen halt 47 Mal. Und beim 48. Mal bringt der Roboter plötzlich doch einen Kuchen. Trotz schwerer Diabetes. Das spricht sich rum. Braucht man wieder ein Update.
All das wäre mir egal, wenn es funktionieren täte. Aber es funktioniert nicht. Ich habe selber gesehen, wie es nicht funktioniert. Ich war an dem Tag bei meiner Mutter. Ich war eine Dreiviertelstunde bei ihr gesessen, und sie hat kein Wort von dem verstanden, was ich ihr erzählt habe. Und ich habe kein Wort verstanden von dem, was sie erzählte. Und wie ich grade gehen will, sagt sie plötzlich ganz deutlich: „Ich muss jetzt aber schon sehr dringend.“
Da ist mir erst aufgefallen, dass in der ganzen Dreiviertelstunde kein einziger Roboter da war.
Ich hab dann auf diesen Rufknopf gedrückt. Dann haben wir gewartet. Dann habe ich noch einmal gedrückt. Und noch mal. Aber da ist niemand gekommen. Kein Roboter, und natürlich auch kein Mensch. Es gibt schon noch welche, aber das Pflegepersonal ist jetzt ja zu 95 Prozent Technikpersonal. Die können alle nur noch Roboter reparieren, aber die wissen von Pflege überhaupt nichts. Das wäre ja auch nicht schlimm, wenn ihre Roboter kommen würden.
Bin ich also aus dem Zimmer, hab nach einem Roboter gesucht. Ist auch einer da gewesen, ich sag ihm: „Meine Mutter muss aufs Klo!“ Der Roboter hat nichts gesagt, der ist einfach weiter. Und ich denk mir: Wahrscheinlich hat wer einen Herzinfarkt oder was, nimmst halt den nächsten. Aber der nächste genauso. Und der danach auch. Und dann ist eine ganze Zeit überhaupt keiner mehr gekommen.
Ich wieder rein zu meiner Mutter: „Geht’s noch?“
Und meine Mutter sagt: „Ich muss jetzt aber schon SEHR dringend.“
Ich hab ihr aber nicht helfen können. Meine Mutter ist eine Dame, und die hat noch nie gewollt, dass ihre Tochter ihr bei so Intimitäten hilft. Dass sie das überhaupt schon erwähnt, ist eigentlich ein extremes Alarmsignal. Ich hätte ihr auch gar nicht helfen können, ich bekomme die nicht aus dem Rollstuhl. Also stehe ich in diesem Zimmer und drücke den blöden Rufknopf. Und es passiert nichts.
Ich habe also zu meiner Mutter gesagt, dass ich noch mal eine Hilfe suchen gehe. Ich also wieder raus – und sehe sofort: Die ganze Station ist leer. Aber es gibt ja genug andere Stationen, alle sind miteinander verbunden, weil mit Robotern ist es schließlich egal, welcher wo arbeitet. Ich in die nächste Station, schnappe mir den nächsten Roboter, ich sage ihm, dass meine Mutter aufs Klo muss, von dem ist dann wenigstens diese Standardantwort gekommen: „Vielen Dank für Ihre Geduld, derzeit sind alle Pflegeroboter besetzt. Der nächste freie Roboter ist für Sie bestimmt!“ Und ich habe ihm klar gesagt, okay, aber das muss dann wirklich der allernächste sein, weil, so wie ich meine Mutter kenne, haben wir echt nicht so viel Zeit, dass es also wirklich dringend ist. Aber der ist schon wieder ins nächste Zimmer gerollt. Dann bin ich dem Herrn Kraus vom Staff begegnet.
Ich zum Herrn Kraus: „Meine Mutter muss aufs Klo. Dringend.“
Und der Herr Kraus hat mir gesagt, dass er mir gerade nicht helfen kann. Ich so: „Sind Sie nicht Pflege?“ Und er: „Schon, aber für die Roboter.“ Und dass er überhaupt nichts von Pflege weiß. Die Roboter hätten gerade wieder ein neues Update bekommen, das sei jetzt das dritte in der Woche, und er müsse jetzt erst mal zusehen, dass die Netzwerke wieder funktionieren. Aber ich solle mir keinen Kopf machen, eigentlich müsste da mindestens alle halbe Stunde einer vorbeischauen, und sicher sei in der Zwischenzeit schon einer bei meiner Mutter gewesen.
Ich denk mir, dass es der Herr Kraus ja wissen muss, bin also zurück, aber da seh ich dann schon, dass die Katastrophe passiert ist. Da sitzt meine Mutter und weint, weil ihr das alles so peinlich ist, und mir ist das doch auch peinlich. Aber ich kann meine Mutter doch nicht so sitzen lassen, also such ich nach frischen Sachen, ich drück auf den Scheißknopf, ich such nach irgendeinem Lappen, ich drück auf den Scheißknopf, ich versuche meine Mutter irgendwie zu beruhigen, ich drück auf den Scheißknopf, dann fällt mir ein, dass ich ihre Einlagen für untenrum nicht habe und dass ich ja noch immer nicht weiß, wie ich meine Mutter aus dem Rollstuhl kriege, also renn ich wieder raus, und dann hab ich gebrüllt: „Kann mir vielleicht irgendeiner mal helfen, verdammte Scheiße!“
Und dann hab ich endlich einen Roboter gesehen, am Ende vom Flur.
Ich hab diesen Roboter angesehen wie ein Christkind, der ist auch auf mich zugefahren, der hat geblinkt, ich hab, glaube ich, sogar gewinkt, völlig überflüssig, die wissen doch, wo die Zimmer sind. Der Roboter fährt auf mich zu, ich hab gemeint, das ist ein Elektroengel. Und wie er direkt vor unserem Zimmer ist, blinkt er noch zweimal. Dann bleibt er stehen.
Und dann dreht er um.
Und ich höre, wie im Zimmer drin meine Mutter weint. Richtig herzzerreißend weint. Das ist nicht schön, wenn die eigene Mutter weint, verstehen Sie? Ich hab bloß noch gewusst, dass meine Mutter jetzt diesen Roboter braucht.