Bring Me Your Midnight - Rachel Griffin - E-Book

Bring Me Your Midnight E-Book

Rachel Griffin

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Beschreibung

Verbotene Liebe Das Schicksal von Tana Fairchild scheint vorgezeichnet: Eine arrangierte Hochzeit mit Landon, dem Sohn des Gouverneurs, um den Frieden zwischen den Inselhexen und den Festlandbewohnern zu sichern. Doch als Tana das Mitternachtsritual des Hexenzirkels verpasst, kann sie sich an niemanden um Hilfe wenden. In ihrer Not begegnet sie dem faszinierenden Magier Wolfe, einen Hexer mit dunklen Geheimnissen, der behauptet, ihr helfen zu können. Er zeigt Tana eine Welt, in der sie sich mächtiger und lebendiger fühlt als je zuvor. Zwischen der arrangierten Hochzeit mit Landon und der unwiderstehlichen Anziehungskraft von Wolfe steht Tana vor einer existentiellen Entscheidung: Sie muss sich zwischen Liebe und Pflicht, zwischen der Loyalität zu ihrem Volk und der Loyalität zu ihrem Herzen, entscheiden … Bring Me Your Midnight: Prickelnde Romantasy mit dem Trope Forbidden love - Herz oder Pflicht?: Eine fesselnde Liebesgeschichte mit einer starken Protagonistin für Romantasy-Fans ab 14 Jahren. - Voll angesagt: mit den Erfolgstropes Forbidden love und Enemies-to-Lovers. - Sehnsüchtig erwartet: Die neue, hexenhafte Romantasy von New York Times-Bestsellerautorin Rachel Griffin ("Wild is the Witch") - Atmosphärisch und prickelnd: Eine Welt voller Hexen, Magie und gefährlicher Allianzen und eine Heldin, die zwischen Tradition und Verlangen hin- und hergerissen ist.Endlich da: "Bring Me Your Midnight", die neue Romantasy von Bestsellerautorin Rachel Griffin, zieht Mädchen ab 14 Jahren voll in ihren Bann. Eine spannungsgeladene Geschichte zwischen Pflicht und Verlangen und einer starken Protagonistin!  

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Über dieses Buch

Keine Liebe geht so tief wie die, die verboten ist.

 

Das Schicksal von Tana Fairchild ist seit ihrer Geburt vorbestimmt: Sie soll den Sohn des Gouverneurs heiraten, um den Frieden zwischen den Inselhexen und den Festlandbewohnern zu wahren. Doch dann begegnet sie dem dunklen Magier Wolfe und der bringt alles ins Wanken, woran sie bisher glaubte. Er zeigt Tana eine Welt, die sie noch nicht kannte. Eine, in der sie sich mächtiger und lebendiger fühlt als je zuvor. Tana merkt, dass sie mehr vom Leben will als das, was ihr Schicksal für sie vorgesehen hat. Doch darf sie sich für die Freiheit und gegen ihre Pflichten entscheiden und so ihre Hexengemeinschaft in große Gefahr bringen?

 

 

 

Für Dad.

Danke, dass du mir beigebracht hast, dass es darauf ankommt, glücklich zu sein, und dass du mich daran erinnerst, wenn ich das vergesse.

Eins

Meine Mutter sagte mir einmal, ich könne von Glück reden, dass ich immer wisse, wohin ich gehöre. Ich wurde mit dem Nachnamen Fairchild auf einer kleinen Insel westlich des Festlandes geboren, und das bedeutete, dass ich meine Herkunft schon kannte, bevor ich je danach suchen musste. Sie hatte recht, wie so oft, trotzdem habe ich immer gespürt, dass ich meinen wahren Ursprung in den Tiefen des Meeres finden würde.

In der schneidenden Kälte und der dumpfen Stille des Salzwassers fühle ich mich heimischer als in dem verschnörkelten Haus mit seinen fünf Schlafzimmern, das nur zwei Häuserreihen vom Ufer entfernt steht. Jetzt heißt das Wasser mich willkommen, als ich hineinwate und untertauche. Die Geräusche der Insel verklingen, bis sie ganz verschluckt werden. Mein langes Haar wogt in alle Richtungen, ich stoße mich vom felsigen Grund ab und schwimme mit geöffneten Augen. Die Strömung wird stärker, und ich achte auf die Bewegung der Wellen und auf Anzeichen eines unruhigen Seegangs, aber das Meer ist ruhig.

Für den Moment.

Ich lasse mich auf dem Rücken treiben. Die Sonne erhebt sich über den Horizont und vertreibt die Morgendämmerung. Das diesige Grau des frühen Morgens wird von Strahlen goldenen Lichts verdrängt, die auf der Wasseroberfläche funkeln. Ich bin ganz allein hier draußen. Fast könnte ich mir einbilden, ich sei unbedeutend, nur ein winziger Fleck in einem unermesslich großen Universum. Auch wenn Letzteres sicherlich zutrifft, unbedeutend bin ich nicht. Dafür hat meine Mutter gesorgt.

Ich drehe mich um und tauche zum Meeresgrund hinab. Tiefer und immer tiefer, bis das Wasser kälter wird und das Sonnenlicht verblasst. Ich bin vollkommen unerreichbar. Kurz vor dem Grund halte ich inne und genieße, dass mich hier weder Erwartungen noch Pflichten einholen. Ich schwelge darin, dass sich mein Leben hier unten so selbstbestimmt anfühlt. Meine Brust sticht, und meine Lungen lechzen nach Luft. Schließlich gebe ich nach und stoße mich zurück an die Oberfläche. Das Meer schleudert mich hinaus, und ich schnappe nach Luft.

Es ist immer noch früh am Morgen, aber in einiger Entfernung erwacht die Hexeninsel zum Leben. Viele von uns stehen mit der Sonne auf, um jede Minute ihrer Magie zu nutzen. Mit dem Nahen des Winters werden auch die Tage kürzer, und die langen Nächte hier im Norden bedeuten, dass wir bald noch weniger Zeit für unsere Magie haben werden.

Sanfte Wellen umspülen meinen Körper, und ich hole noch einmal tief Luft. Ich habe schon viel zu viel Zeit hier draußen verbracht und habe mich gerade zum Ufer gewendet, als etwas meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es sieht aus wie eine Blume, hell und zart, die aus dem Meer der Sonne entgegen wächst. Ich schwimme auf sie zu, sie ist nur eine Armlänge von mir entfernt und schaukelt über der Wasseroberfläche, als wollte sie mich auffordern, die Hand auszustrecken und sie zu pflücken.

Ich blinzele und die Blume verschwindet. Ich schaue mich suchend nach ihr um, aber da ist nichts. Wahrscheinlich habe ich sie mir nur eingebildet. Mein Verstand ist von dem bevorstehenden Ball benebelt und hat mir an meinem Lieblingsort einen Streich gespielt. Doch die Friedlichkeit des Morgens ist damit vertrieben. Ich schwimme zurück, denn mir bleibt zu wenig Zeit, sie wiederzuerlangen.

Als meine Knie schon beinahe am Grund schürfen, stehe ich auf und stapfe den steinigen Strand hinauf. Dabei kämpfe ich gegen den Drang an, mich noch einmal nach der Blume umzusehen. Ich wringe meine Haare aus und hole das Handtuch aus meiner Tasche. Salz klebt an meiner Haut, so vertraut, dass ich mir nicht mehr die Mühe mache, es abzuwaschen. Ich schlüpfe in die Sandalen, zwirble meine Haare im Nacken zu einem Knoten zusammen, dann packe ich meine übrigen Sachen ein.

»Beeil dich, Tana«, ruft Mr Kline vom Gehweg herüber. »Deine Mutter ist schon unterwegs.«

»Schon? Sie ist eine halbe Stunde zu früh.«

»Du bist nicht die Einzige, die heute mit der Sonne aufgestanden ist.«

Ich winke ihm dankbar zu und eile zu unserer Parfümerie. Die Gedanken an den Ball und der Ärger über die Verspätung schlagen mir auf den Magen. Eigentlich sollte ich schon im Laden sein und mich auf den morgendlichen Touristenansturm vorbereiten, aber die erste Fähre legt erst in fünfundvierzig Minuten an, und ich habe dem Fahrplan noch nie so viel Beachtung geschenkt, wie meine Mutter das gerne hätte.

Ich biege in die Hauptstraße ein, wo Dutzende von kleinen Zauberläden die Kopfsteinpflasterstraße säumen. Schaufensterfronten in Babyrosa und Himmelblau, Zartgelb und Minzgrün erheben sich aus den Nebelschleiern, die wie so oft über der Hexeninsel liegen. Sie laden die Menschen zum Hereinkommen ein und versichern ihnen sanft, dass die Magie so süß und zart ist wie die Farben der Türen, durch die sie eintreten. In einer Stunde wird dieser Straßenzug von Touristen und Stammkunden vom Festland überlaufen sein, die unsere Insel besuchen, um Parfüms, Kerzen, Tee, Backwaren, Naturtextilien und das, was wir sonst alles mit Magie anreichern, zu kaufen.

An den Mauern wuchern üppige grüne Weinreben, und über den Hauseingängen ranken sich Glyzinien – jedes Detail soll vermitteln, dass dieser Ort besonders ist, aber nicht bedrohlich, eigenartig, aber nicht angsteinflößend, verwunschen, aber nicht gefährlich.

Eine Insel, die so schön ist, dass man vergessen könnte, dass sie einst ein Schlachtfeld war.

Die bronzenen Straßenlampen sind von großen Seidelbaststräuchern umrahmt, deren starker Blütenduft die Luft mit mehr Magie erfüllt, als wir es je könnten. Ich renne über das Kopfsteinpflaster, bis ich vorne an der Ecke die Parfümerie sehe. Dort wartet meine beste Freundin, in jeder Hand eine Tasse Tee.

Ich beuge mich nach vorne und stütze meine Hände auf die Knie, um zu Atem zu kommen. Sie betrachtet mich skeptisch.

»Hier«, sagt Ivy und hält mir die Tasse unter die Nase. »Unsere Muntermacher-Mischung.«

»Ich brauche deine Magie nicht.« Den Tee ignorierend stecke ich den Schlüssel ins Schloss, ducke mich unter einen lavendelfarbenen Glyzinienregen und öffne die Tür.

»Wirklich? Du siehst nämlich schrecklich aus.«

»Wie schrecklich?«

»Du hast Seetang im Haar und Salzkrusten in den Brauen.«

Ich greife nach dem Tee und nehme einen großen Schluck. Wohlig rinnt er meine Kehle hinab und beruhigt meinen Magen, seine Magie wirkt sofort. Meine Gedanken werden ganz wach, und Energie strömt durch meinen Körper. Ich eile ins Hinterzimmer, ziehe meine nasse Kleidung aus und schlüpfe in ein einfaches blaues Kleid.

»Setz dich«, fordert Ivy mich auf. Dankbar sehe ich sie an. Ihre dunkelbraunen Augen funkeln, als sie mit ihren Händen über mein Gesicht fährt, das Salz von meiner Haut entfernt und stattdessen ein leichtes Make-up auflegt. Ich habe für so etwas einfach kein Talent. Für den Geschmack meiner Mutter schminke ich mich meist zu dramatisch, aber bei Ivy wird es jedes Mal perfekt. Ich bändige währenddessen meine Haare, lasse sie sofort trocken werden und in sanften Wellen über meinen Rücken fallen. Ivy hält mir einen Spiegel hin.

Das Kleid hebt das Blau meiner Augen hervor, und meine kastanienbraunen Haare sehen mit den Wellen nicht ganz so langweilig aus. An meinem Äußeren verrät nichts, dass ich vor Kurzem im Wasser war. Das wird meiner Mutter gefallen. Ich dagegen mag es lieber, wenn ich von der Natur berührt aussehe – leicht zerzaust. Eben wie ein Mensch und kein Gemälde, das nicht ruiniert werden darf.

»Danke für dein Hilfe, Ivy.«

»Wie war das Schwimmen?«

»Zu kurz.«

In diesem Moment klingelt das Glöckchen an der Tür und meine Mutter eilt in den Laden.

»Guten Morgen, Mädchen«, sagt sie, als sie zu uns ins Hinterzimmer kommt. Ich setze mich unwillkürlich aufrechter hin.

»Guten Morgen, Mrs Fairchild«, sagt Ivy lächelnd.

Meine Mutter sieht wie immer sehr gepflegt aus. Sie hat ihr blondes Haar zu einem einfachen Knoten hochgesteckt, ihre sonnengebräunte Haut schimmert unter dem neuen Make-up, das sie in Mrs Rhodes’ Kosmetik-Shop erstanden hat. Sie trägt einen pinkfarbenen Lippenstift, und ihre blauen Augen strahlen hell und intensiv.

Sie ist immer adrett. Eine perfekte Hexe der neuen Zeit.

Meine Mutter betrachtet den nassen, vom Seetang verschmutzten Boden. »Ivy kann nicht immer hier sein, um deine Versäumnisse zu vertuschen, Tana. Mach das sauber«, sagt sie und geht zurück nach vorne in den Verkaufsraum.

Ich schnappe mir einen Wischmopp aus dem Schrank und wische den Schmutz auf, dabei versuche ich die tadelnden Worte meiner Mutter nicht an mich herankommen zu lassen. Ich werfe die Reste vom Seetang weg, die ich in den Laden geschleppt habe, und räume den Wischmopp erst wieder ein, als die Fliesen richtig trocken sind. Magie lässt sich nur an lebenden Dingen praktizieren, und das trifft auf den Fußboden leider nicht zu.

»Hätte fast geklappt«, flüstere ich. »Danke nochmal.«

»Gern geschehen«, erwidert Ivy und nippt an ihrem Tee. Auch sie ist immer sehr adrett gekleidet, immer pünktlich bei der Arbeit und nie zerzaust oder verschlafen, wenn sie in den Teeladen ihrer Eltern kommt. Ihre braune Haut leuchtet auch ohne Magie, und ihre dunklen Locken schwingen bei jeder Bewegung leicht über ihre Schultern.

Ich nehme ein Büschel getrockneten Lavendels aus einem Glasgefäß an der Wand und hole Mörser und Stößel aus dem Schrank unter der Arbeitsfläche. Mein Dad und ich haben sie aus einem großen Stück Treibholz angefertigt, das wir am Strand gefunden haben. Ich fahre mit der Hand über die glatte Holzmaserung.

Durch die vorderen Fenster des Ladens dringt die Morgensonne in den hinteren Raum und beleuchtet die verschiedenen Pflanzen- und Kräutersorten. Ivy schlürft ihren Tee, während ich den Grundstoff für ein Badeöl zubereite. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie es ist, einzuschlafen und die tiefe Ruhe und das sanfte Wegsinken zu spüren. Ich lasse dieses Empfinden in den Lavendel einfließen, bis die Blütenblätter davon durchtränkt sind. Die praktische Anwendung von Magie ist meine Lieblingstätigkeit, und obwohl ich ein Öl herstelle, das andere beruhigen soll, hat es auf mich die gleiche Wirkung. Dann bin ich richtig glücklich und fühle mich ganz bei mir.

Die Türglocke klingelt wieder und ich öffne widerstrebend meine Augen. Noch bevor ich aufblicke, erkenne ich die Stimme von Mrs Astor, einer Stammkundin vom Festland, die das Hexendorf vor allem aus zwei Gründen aufsucht: Magie und Klatsch.

»Guten Morgen, Ingrid«, zwitschert sie und ergreift die Hand meiner Mutter, eine Geste der Freundschaft, die, wie meine Mutter immer wieder betont, nur möglich ist, weil Generationen von Hexen vor uns Opfer gebracht haben.

»Wie geht es Ihnen, Sheila?«

»Das sollte ich Sie fragen«, erwidert Mrs Astor ernst. »Auf dem Festland kursieren Gerüchte, wie Sie sicher wissen.«

»Ach wirklich?« Meine Mutter rückt auf der Ladentheke ein paar Glasflaschen aneinander.

Ich drehe der Tür zum Vorderzimmer den Rücken zu und versuche, mich auf meine Lavendelzubereitung zu konzentrieren.

Ivy stupst mich am Arm an und nickt in Richtung der beiden Frauen. »Hör zu«, flüstert sie.

»Spielen Sie nicht die Unschuldige, meine Liebe. Irgendetwas mit Ihrer Tochter und dem Sohn des Gouverneurs?«

Ich halte die Luft an und bin gespannt, was meine Mutter antworten wird. Das Gerücht ist natürlich wahr, aber, wie meine Mutter immer betont, es kommt auf den richtigen Zeitpunkt an.

»Sie wissen genauso gut wie ich, dass ich nichts sagen möchte, bevor nichts fest vereinbart ist.«

»Und, können wir bald mit einer … Vereinbarung rechnen?«

Meine Mutter zögert. Dann: »Ja, ich denke schon.«

Mrs Astor stößt einen kleinen Schrei aus, dann gratuliert sie meiner Mutter und kauft im Überschwang zwei neue Parfüms.

Ich schließe leise die Tür zum Vorderzimmer, lehne mich dagegen und schließe die Augen.

»Neuigkeiten verbreiten sich schnell«, sagt Ivy.

»Neuigkeiten verbreiten sich so schnell, wie meine Mutter es will«, korrigiere ich sie.

Obwohl ich eben erst schwimmen war, würde ich am liebsten aus dem Laden hinausrennen und mich wieder in die Fluten stürzen, nur um Mrs Astor und meiner Mutter und den Erwartungen, die auf mir lasten, zu entfliehen.

Ivy trinkt ihren restlichen Tee und reicht mir meine Tasse. »Du solltest das austrinken.«

Ich leere sie in einem Zug.

»Bevor ich mich auf den Weg mache, wie kommst du mit all dem zurecht? Als deine Mutter entschieden hat, dass es nun an der Zeit sei, dich mit Landon zu verloben, war das eine Sache. Aber es ist eine andere Sache, jetzt, wo es wirklich so weit ist.«

»Das ist für uns enorm wichtig«, sage ich. »Es wäre die hochrangigste Heirat zwischen einer Hexe und einem Festlandbewohner, die es jemals gab. Sie würde den gesellschaftlichen Stellenwert unseres Hexenzirkels endgültig festigen.«

Ivy verdreht ihre Augen. »Ich habe dich nicht nach der Meinung deiner Mutter gefragt. Wie kommst du damit zurecht?«

Ich seufze und rücke näher zu ihr heran. »Hast du die Artikel über den Brand in den Docks gelesen?«

Ich habe so leise gesprochen, dass ich nicht einmal sicher bin, ob Ivy mich gehört hat, aber nach einer kurzen Pause schüttelt sie langsam den Kopf. »Nur das, was hier in der Zeitung stand.«

»Ich bin zum Festland hinüber und habe sämtliche Zeitungen gelesen, die ich bekommen konnte«, erzähle ich und behalte die Tür im Auge, falls meine Mutter hereinkommen sollte. »Und weißt du was? Es stand fast nichts drin.«

Ivy sieht mich verwirrt an. Das Feuer ereignete sich vor einem Monat: Ein Festlandbewohner, der der Magie und den Hexen misstraute, ruderte in einem hölzernen Boot zu unserer Insel und steckte unsere Docks in Brand, um die Fährverbindung zwischen dem Festland und der Hexeninsel zu zerstören. Er wollte uns abschotten. Sobald meine Mutter davon erfuhr, sagte sie, es sei an der Zeit, mich mit Landon zu verloben.

»Warum bist du dort hin?«, fragt Ivy.

»Ich weiß nicht. Ich wollte wahrscheinlich sehen, wie die Festlandbewohner darüber denken und ob sie es genauso sehr verurteilen wie wir. Ich hätte nie gedacht, dass ich nur drei kurze Artikel finden würde, in denen nicht einmal erwähnt wird, um was es eigentlich ging. Ich weiß, dass nur eine kleine Gruppe von Menschen so denkt, aber solche Dinge werden so lange passieren, bis das Festland eine klare Haltung zur Hexeninsel gefunden hat. Und wie lässt sich das besser erreichen als dadurch, dass der zukünftige Herrscher eine Hexe heiratet? Es ist die überzeugendste Botschaft, die sie senden können. Wäre die Brandstiftung auch passiert, wenn Landon und ich bereits verheiratet gewesen wären und das Festland den Schutz der Hexeninsel offiziell in ihr Gesetz geschrieben hätte? Wir wissen nicht einmal, wie hart der Täter bestraft werden wird, wenn er es überhaupt wird. Wir glauben, dass wir durch das Meer geschützt sind, aber das stimmt nicht.«

Ivy nickt. »Mom hat in jener Nacht unsere Türen abgeschlossen. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie das zuvor jemals getan hat.«

»Es ist an der Zeit, dass Landon und ich unsere Verlobung bekanntgeben. Ich bin bereit.«

Tatsache ist, dass der Brand nur den Zeitpunkt beeinflusst hat. Seit dem Tag meiner Geburt ist mein Leben vorbestimmt. Das ist meine Rolle – unseren Hexenzirkel zu sichern, indem ich unseren Platz unter den Festlandbewohnern stärke. Ich bin stolz darauf, diese Rolle zu übernehmen, auch wenn es nicht meine Entscheidung ist.

»Also dann«, sagt Ivy und legt ihren Arm um meine Schultern. »Wenigstens sieht er gut aus.«

»Das stimmt allerdings«, sage ich lachend.

Ivy nimmt meine Teetasse und geht zur Tür.

»Danke, dass du gefragt hast«, sage ich. Sie dreht sich um. »Es ist schön, wenn sich jemand für einen interessiert.«

»Ich bin froh, dass du das so siehst, denn ich werde es immer wieder ansprechen.« Lächelnd geht sie hinaus und verabschiedet sich von meiner Mutter.

Ich weiß von den Hochzeitsplänen meiner Eltern, seit ich ein kleines Mädchen war, und Landon ist ein netter Kerl. Er ist anständig und freundlich. Wir werden unsere Verlobung offiziell am Tag meiner Bündnisfeier bekannt geben, bei der ich mich für immer unserem Hexenzirkel verpflichten werde. Dieses Ritual muss jede Hexe durchlaufen, es ist eine Entscheidung, die niemals geändert, die niemals rückgängig gemacht werden kann. Ich muss mich zwischen meinem Hexenzirkel und der Außenwelt entscheiden, den Schwur mit Magie besiegeln und nie mehr zurückschauen. Ohne diese Entscheidung wird die Magie zu einer unberechenbaren und gefährlichen Kraft.

Auch die Magie braucht ein Zuhause.

In vielerlei Hinsicht bereite ich mich schon seit neunzehn Jahren auf den Ball vor. Es liegt nahe, ihn mit Landon zu feiern.

Meine Mutter hat nie mit mir über die Pläne gesprochen, die meine Großeltern in die Wege geleitet haben. Sie hat mich nie gefragt, ob ich damit einverstanden bin, die Hexeninsel zu verlassen und Teil der Herrscherfamilie des Festlandes zu werden. Ob ich meine Magie gegen Juwelen und das Schwimmen gegen gesellschaftliche Verpflichtungen eintauschen möchte.

Hin und wieder denke ich, dass es schön wäre, wenn sie mich fragen würde, und sei es nur, damit ich ihr in die Augen sehen und ihr mit voller Gewissheit sagen kann: Ja, ich stehe zu dem Weg, den wir eingeschlagen haben.

Ich liebe meine Eltern und meinen Hexenzirkel von ganzem Herzen. Ich liebe diese Insel von ganzem Herzen. Und ich werde alles dafür tun, um unseren Platz in dieser Welt zu sichern, auch wenn das bedeutet, einen Mann zu heiraten, den ich nicht liebe, um damit das zu schützen, was ich liebe.

Zwei

Ich nehme immer den langen Weg nach Hause. Ich atme gerne die salzige Luft und spüre die Steine unter meinen Füßen, höre, wie die Wellen wieder und wieder ans Ufer schlagen. Der östliche Rand der Hexeninsel endet in der Passage, dem Meeresarm zwischen Insel und Festland.

Am Horizont zeichnen sich unzählige Gebäude und belebte Straßen ab. Das Wahrzeichen der Stadt ist ein großer Uhrenturm, und obwohl wir die Glocken so weit draußen nicht hören können, ist seine Präsenz bis hierhin zu spüren. Es ist ein beeindruckender Anblick, und von den Ufern der Hexeninsel aus sieht er beinahe märchenhaft aus, wie aus einem Buch.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie mein Leben aussehen wird, wenn ich Landon heirate und auf dem Festland lebe. Die Hexeninsel, mit ihren felsigen Stränden und Kopfsteinpflastern, alten Steinhäusern und Pflanzen, die überall wuchern, ist mein Zuhause. Ich liebe es hier. Und obwohl das Festland nur eine Fährstunde entfernt ist, kommt es mir zu weit weg vor.

Ich werde natürlich immer noch hierherkommen. Ich werde meinen Eltern in der Parfümerie helfen, und ich werde in jeder Vollmondnacht zur Erupta hier sein, aber diese Momente, in denen ich nach Hause gehe, am Strand stehen bleibe und auf das ferne Festland schaue, werde ich vermissen.

Ich will nicht stattdessen vom Festland auf die ferne Hexeninsel schauen müssen.

Ich schüttle den Kopf. Es ist nicht so, dass ich es nicht will, rede ich mir ein. Es ist nur so, dass ich mich erst daran gewöhnen muss. Ich finde es tröstlich, dass die ersten Hexen auf dem Festland lebten, dass sie nur zur Bewahrung ihrer Magie von dort weggezogen sind. Wenn sie sich dort ein Leben aufbauen konnten, kann ich das auch.

In einer Stunde geht die Sonne unter, und einige Stunden später wird die letzte Fähre abgelegt haben. Dann wird die Insel zur Ruhe kommen und tief einatmen können, nach einem langen Tag voll hektischen Treibens, begieriger Touristen und sanfter Magie. Eine Magie, die das Leben eines Menschen nicht wesentlich beeinflussen kann und die auch keine grundlegenden Veränderungen bewirken kann. Eine Magie, die nur ein Schatten dessen ist, was meine Vorfahren praktizierten. Aber das ist der Preis dafür, dass wir in der Gesellschaft akzeptiert werden, dass man uns die Hände schüttelt, anstatt sie zu fesseln, dass man uns auf die Wangen küsst, anstatt uns zu ohrfeigen, dass man unsere Insel bejubelt, anstatt sie niederzubrennen.

Ich habe immer nur die sanfte Magie der Hexeninsel gekannt, aber ich habe Geschichten gehört, was unsere Vorfahren alles vermochten. Die Elemente beherrschen. Den Tod überlisten. Menschen manipulieren. Manchmal macht es mir Angst, wenn ich mir vorstelle, dass die gleiche Magie, die durch ihre Adern floss, auch durch meine fließt, dass es etwas in mir gibt, das viel mächtiger ist als die Parfüms in unserem Laden oder auch Ivys stärkster Tee.

Ich lasse mich am Ufer nieder. Es ist mir egal, dass mein blaues Kleid feucht und schmutzig wird und dass meine Mutter dann wie üblich mein Aussehen kommentieren wird, wenn ich nach Hause komme. Sie will, dass ich ordentlicher, gepflegter, vorzeigbarer aussehe.

Mehr wie sie.

Aber sie sieht nicht, was ich sehe: Die schönsten Dinge auf der Welt sind wild.

Ich stecke meine Finger zwischen Steine und Sand, ertaste die schroffen Kanten und rauen Körner. Unser Ufer ist schmaler geworden, die wilden Strömungen haben es zerfressen, zu anderen Teilen der Insel gespült oder ganz verschluckt.

Meine Mutter sagt, ich würde mir zu viele Gedanken machen und dass sie und die anderen Leiterinnen des Hexenzirkels alles unter Kontrolle haben. Aber die Strömungen werden immer stärker, und bald werden sie womöglich ein Boot von der Wasseroberfläche reißen und auf den Grund des Meeres ziehen.

Ob die Festlandbewohner uns immer noch akzeptieren werden, wenn unsere Strömungen einen von ihnen in den Tod reißen?

Aber wenn ich erst einmal mit Landon verheiratet bin, wird sein Vater den Schutz der Regierung auf uns ausdehnen, und zwar nicht nur in Form von Versprechungen, die bei noblen Feiern gemacht werden, sondern als schriftlich festgelegtes Gesetz. Dann kann uns der Schutz nicht mehr genommen werden, auch dann nicht, wenn ein Schiff in unseren Gewässern versinkt oder unsere Strömungen stärker werden.

Von einer solchen Sicherheit konnten meine Vorfahren nur träumen, denn nicht einmal der Wegzug vom Festland hatte ihnen sie gewährt. Denn kaum hatten sich die Hexen auf der Insel niedergelassen, wuchs die Angst unter den Festlandbewohnern. Das Einzige, was ihnen noch mehr Angst machte, als unsere Magie direkt auf ihren Straßen zu erleben, war, uns überhaupt nicht mehr zu sehen: Wer weiß, was wir alles auf der Insel anstellen würden …

Am Anfang war es eine aus purer Verzweiflung geborene Idee, die Magie als etwas darzustellen, an dem man sich erfreuen konnte, statt sie fürchten zu müssen. Aus einem finsteren Hexenversteck einen Ort zu machen, den die Festlandbewohner gerne aufsuchen würden. Aus schierer Willenskraft schufen meine Vorfahren eine völlig neue magische Ordnung, indem sie ihre Kräfte abschwächten und ihren Alltag auf der Insel so gestalteten, dass sie überleben konnten. Sie praktizierten die Magie nur noch bei Tageslicht und verbargen sie nicht mehr in der Dunkelheit. Sie gaben die beängstigenden Seiten der Magie auf und verstärkten die wundersamen Seiten. Sie waren freundlich zu den Festlandbewohnern, die die Insel bewachten, und lächelten, wenn sie sie eigentlich an den Grund des Meeres verfluchen wollten.

Und es zahlte sich aus.

Die Wellen rollen jetzt schneller an das Ufer und umspülen meine Beine. Ich schließe die Augen und lausche, der Rest der Hexeninsel verblasst, während ich mir vorstelle, unter Wasser zu sein. Stille ist meist unerträglich zerbrechlich, sie wird von einer einzelnen Stimme, einem zerbrochenen Glas oder einem gedämpften Schrei durchbrochen. Aber unter Wasser ist die Stille dicht, massiv und undurchdringlich.

Der Himmel färbt sich orange und rosa, als hätte Mrs Rhodes ihre grellsten Lidschatten über dem Horizont verschmiert. Wenn ich nicht rechtzeitig zum Abendessen zu Hause bin, werde ich für mehr als nur für mein Aussehen gescholten, also stehe ich auf und strecke mich.

Ich hole noch einmal tief Luft und atme die salzige Seeluft ein, doch dann halte ich inne, weil etwas im Wasser meine Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Eine Blüte, genau wie die, die ich am Morgen gesehen habe.

Es wird von Minute zu Minute dunkler, aber ich bin mir sicher, dass ich richtig gesehen habe. Ohne nachzudenken, stürze ich mich in die Wellen und tauche unter. Ich schwimme auf die Blüte zu, die mit den Wellen des Meeres auf und ab schwankt.

Als ich näherkomme, verharrt sie an Ort und Stelle, als wäre sie irgendwie auf dem Grund verankert. Die Wellen glätten sich, und die Blüte wird deutlicher sichtbar. Mein ganzer Körper spannt sich an, ich schnappe nach Luft und strauchle zurück.

Das kann nicht sein. Ich habe noch nie eine in echt gesehen. Mein Herz hämmert gegen meine Rippen, und Angst erfasst mich.

Die Blume schaukelt von einer Seite zur anderen und sie entfaltet sich erst mit dem Einbruch des Abends oder in Anwesenheit einer Hexe. Die trompetenförmige Blüte hat strahlend weiße, beinahe schimmernde Blütenblätter, die an den Vollmond erinnern.

Es ist die Mondblume, trügerisch schön und tödlich für Hexen.

Mit ihren eng zusammengerollten, langen weißen Blütenblättern sieht sie jedoch nicht bedrohlich aus. Sie sieht wunderschön aus.

Aber wahrscheinlich sind wir dazu bestimmt, zu denken, dass die gefährlichsten Dinge schön sind.

Vor meinen Augen entfalten sich langsam die Blütenblätter, während ich vor Angst zittere. Das Meer wird unruhig, und mir stockt der Atem, als die Blume von einer Strömung erfasst und im Wasser herumgewirbelt wird, immer schneller und schneller, bis sie schließlich unter die Wasseroberfläche gesogen wird. Ich strample mit den Beinen und werfe die Arme vor mich, versuche mit aller Kraft, etwas Abstand zwischen mich und die Strömung zu bringen. Ich schwimme, so schnell ich kann, und flehe das Ufer an, mir auf halbem Weg entgegenzukommen.

Das Land kommt immer näher, und ich strecke meine Arme aus, so weit es geht. Schließlich berühre ich den Boden und ziehe mich das letzte Stück den Strand hinauf, ohne auf die schroffen Steine zu achten, die meine Knie aufschürfen.

Die Mondblume ist verschwunden, aber ich bin mir sicher, dass sie da war. Sie hat mich so in den Bann gezogen, dass es mir schwerfällt, sie als das zu sehen, was sie ist: ein Warnsignal.

Bevor die Hexen hierherzogen, wurde die Insel ausschließlich zum Sammeln von Früchten und Kräutern betreten, und auch das nur selten. Die Ausflüge galten durch endlose Felder dieser giftigen Blumen als gefährlich. Doch als auf dem Festland der Gebrauch von Magie verboten wurde, zogen die Hexen es vor, auf die Insel zu ziehen, wo sie von den Gesetzen des Festlandes unbehelligt waren. Es dauerte Jahre, bis die Blumen beseitigt waren. Am liebsten würde ich in die Vergangenheit zurückreisen und den Hexen, die vor mir kamen, erzählen, dass die Festlandbewohner uns eines Tages helfen werden, die tödlichen Blüten zu vernichten. Dass sie uns helfen werden, hier eine neue Heimat aufzubauen, nachdem sie uns so viele Jahre zuvor verbannt hatten. Und dass sie ihre Sache so gut machen werden, dass die nachkommenden Generationen von Hexen ihr Leben lang keine einzige Mondblume zu Gesicht bekommen werden.

Bis heute.

Ein spitzes Kribbeln kriecht vom Nacken aus meine Wirbelsäule hinab. Ich kehre dem Wasser den Rücken zu und renne den ganzen Weg nach Hause. In dem zweistöckigen Haus sind sämtliche Lichter an, durch die hohen Glasfenster sehe ich meinen Vater beim Kochen und meine Mutter, die gerade ein Glas Rotwein einschenkt.

Sie setzt das Glas an ihre Lippen und schließt die Augen, schafft so ihre eigene Art von Stille.

Ich gehe zur Rückseite des Hauses und schlüpfe leise in den Waschraum. Dort ziehe ich mir sofort mein klatschnasses Kleid vom Leib, wickle mich in ein Handtuch und gehe leise die hintere Treppe hinauf.

»Tana«, sagt meine Mutter hinter mir. Ich zucke zusammen. »Wo bist du gewesen?«

Sie fragt, obwohl es offensichtlich ist, wo ich gewesen bin. »Ich dachte, ich hätte etwas im Wasser gesehen.« Aus meinem Kleid tropft Wasser auf die hölzernen Stufen, ich rolle es in mein Handtuch ein, damit es nicht weitertropft.

»Ich habe dir doch gesagt, du sollst sofort heimkommen und deinem Vater beim Abendessen helfen. Warum bist du überhaupt dort gewesen?«

Ich schweige, denn sie wäre mit keiner Antwort zufrieden.

Meine Mutter seufzt. »Geh dich waschen, und dann kannst du mir erzählen, was du gesehen hast.« Ihr Wein schwappt im Glas hin und her, als sie sich umdreht und weggeht.

Ich eile nach oben, um mich abzutrocknen, und erhasche mit Schaudern einen Blick auf das Meer. Das Meer ist mein sicherer Rückzugsort, meine Zuflucht, mein Hafen. Aber heute Abend war es gefährlich.

»Genau zur rechten Zeit«, sagt Dad, als ich die Küche betrete. Er hat ein Geschirrtuch über seine Schulter geworfen und hält einen Holzlöffel an den Mund, um den Eintopf zu probieren, der auf dem Herd köchelt.

»Es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen konnte.«

»Bestimmt hattest du einen guten Grund.« Dad zwinkert mir zu und deutet auf die Besteckschublade. »Du könntest den Tisch decken.«

Ich nehme alles Nötige heraus und decke den Tisch für drei Personen, wie meine Mutter es mir beigebracht hat. Heute Abend ist ein zwangloses Abendessen, aber ich kann einen Tisch auch für ein Zwölf-Gänge-Menü decken – das musste ich zwar noch nie, aber es ist, wie mir meine Mutter versichert, trotzdem wichtig, dass man es beherrscht.

Wir setzen uns zu Tisch, ich lege meine Serviette in den Schoß und nehme einen großen Schluck Wasser.

»Versuche, heute Nacht gut zu schlafen«, sagt Mom und schaut mich über ihr Glas hinweg an. »Du solltest für den Ball morgen richtig ausgeruht sein.«

Es ist eine Feier für Marshall Yates, Landons Vater, anlässlich seines zehnten Regierungsjahres, seitdem Marshall Yates senior den Anforderungen des Regierens nicht mehr gewachsen war und seine Rolle nur noch formell hatte ausüben können. Es wird ein großes, lautes Fest werden, und die Augen aller werden auf Landon und mir liegen.

»Das ist dein erster Auftritt, seit die Festlandbewohner gehört haben, dass möglicherweise eine Verbindung zwischen dir und Landon besteht.« Sie sagt gehört, als sei nicht sie es, die die Gerüchte in die Welt gesetzt hat. »Wir müssen damit vorsichtig umgehen.«

»Tana wird das schon machen«, sagt Dad und wendet sich mir zu. »Landon freut sich darauf, dich zu sehen – nur darauf kommt es an. Und du willst ihn wahrscheinlich auch unbedingt wiedersehen.«

Ich freue mich darauf, meinem zukünftigen Ehemann zu begegnen, aber noch mehr freue ich mich darauf, unseren Bund zu besiegeln und die Gesichter unserer Ältesten zu sehen, wenn sie die Nachricht erhalten. »Natürlich«, sage ich und nehme einen Löffel von meinem Eintopf.

Dad lächelt Mom an, doch diese scheint nicht überzeugt zu sein. Wir sitzen einige Minuten schweigend am Tisch, dann setzt Mom ihr Glas ab und sieht mich an.

»Eines Tages wirst du ihn lieben«, sagt sie und nickt dabei bekräftigend.

Ich möchte ihr glauben. Landon war so lange nur eine Fantasievorstellung, über die ich beim Einschlafen nachdachte – wie er sein, wie unser gemeinsames Leben aussehen wird. Aber jetzt ist er keine vage Idee mehr, kein ferner Punkt am Horizont, und ich möchte, dass die Realität zu dem Bild passt, das ich mir all die Jahre in meinem Kopf ausgemalt hatte.

Ironischerweise hätten meine Eltern, wäre die neue Ordnung nicht gegründet worden, einfach ein Parfüm zusammenbrauen können, das mich bis über beide Ohren in ihn verliebt macht. Aber diese Art von Magie gibt es nicht mehr.

Ich lächle meine Mutter an. »Ganz bestimmt.«

Sie nickt zustimmend. »Erzähle uns doch, was du im Wasser entdeckt hast«, wechselt sie das Thema.

Die Frage versetzt mich in Anspannung und meine Handflächen beginnen, zu schwitzen. Meine Angst von vorhin kehrt zurück und nagt an meinen Nerven, doch plötzlich bin ich mir meiner Wahrnehmung gar nicht mehr sicher. Vielleicht war es nur ein gemeiner Scherz. Es gibt immer noch viele Festlandbewohner, die die Hexen hassen, die unsere Insel insgesamt ablehnen. Vielleicht wollte sich einer von ihnen einen Spaß daraus machen, und den Hexen weismachen, dass die Mondblumen auf die Hexeninsel zurückgekehrt seien.

Meine Mutter ist die Anführerin der neuen Hexen, und wenn ich ihr erzähle, dass ich die Blume gesehen habe, ist sie verpflichtet, der Sache nachzugehen. Ich bin hin und her gerissen, was ich tun soll. Ich will nicht unnötig eine große Sache daraus machen, aber wenn doch etwas dran ist, muss sie es wissen. Ich gehe jeden Tag ans Meer. Wenn ich wieder eine sehe, werde ich es ihr sagen.

»Nichts«, sage ich und versuche, mein rasendes Herz zu beruhigen. »Nur eine Blume.«

Sie sieht mich prüfend an, dann nickt sie. »Geh morgen bitte nicht ins Wasser. Es wird ein wichtiger Abend für dich.«

»Wichtig für uns alle«, erwidere ich, was ihr ein Lächeln auf das Gesicht zaubert.

Ich löffele meinen Eintopf, während meine Gedanken abschweifen, doch sie kehren immer wieder zu der Blume zurück. Sie kann alles Mögliche sein, wieso sollte sie ausgerechnet eine Mondblume sein, die nach so vielen Jahren plötzlich auftaucht? Trotzdem kann ich mich des Grauens nicht erwehren, das in meinem Inneren aufkeimt, sich nach außen hin ausbreitet und alles andere überwuchert.

Drei

Früher waren die Strömungen nie ein Problem. Ich weiß noch, wie ich als kleines Mädchen einfach die Hand meines Vaters losließ und mich ohne Zögern ins Wasser stürzte. Er saß währenddessen am Ufer, las ein Buch, unterhielt sich mit unseren Nachbarn und döste sogar ein, wenn das Sonnenlicht ihn gerade günstig traf. Damals war die Meerespassage ruhig und das Wasser klar. Sanfte Wellen streichelten den Strand, als wären sie ein Liebespaar. Erst als ich älter wurde, stand mein Vater am Ufer, während ich schwamm. Nah genug, um bei Bedarf in das Wasser zu rennen, immer auf der Hut vor dem unruhigen Meer.

Und eines Tages war es dann wirklich nötig.

Ich war vierzehn Jahre alt und forderte die Geduld meines Vaters und meine eigene Dreistigkeit heraus, als ich weiter hinausschwamm, als ich eigentlich durfte. Mein Vater rief vom Ufer aus nach mir, aber ich tat so, als würde ich ihn nicht hören, und tauchte vollständig unter, anstatt an der Oberfläche zu bleiben und zurückzuschwimmen. Ich tauchte mit offenen Augen und bemerkte, dass der Sand auf dem Meeresboden in einer heftigen Spirale herumgewirbelt wurde, sodass ich nichts mehr sehen konnte. Als ich begriff, was los war, war es schon zu spät.

Die Strömung erfasste zuerst meinen Arm, und ich wurde mit einer solchen Kraft unter Wasser gezogen, dass die Luft aus meiner Lunge gepresst wurde. Danach erinnere ich mich an nicht mehr viel, außer an das verzweifelte Verlangen, zu atmen, und das schiere Entsetzen darüber, dass ich keine Luft bekam.

Dad zog mich aus dem Wasser, presste auf meine Brust und beatmete mich, bis ich das Salzwasser aus meinen Lungen spuckte. Ich dachte, er wäre wütend auf mich, wütend darüber, was er wegen mir durchgemacht hatte, aber das war er nicht. Abends, nachdem ich ins Bett gegangen war, hatten meine Eltern ihren bisher schlimmsten Streit. Mein Vater schreit nicht, wird nie laut oder aggressiv, aber an diesem Abend schrie er meine Mutter an.

Ich verstand zwar nicht jedes Wort, aber ich hörte genug, um zu begreifen, dass er ihr die Schuld an den Strömungen gab. Bis dahin hatte ich geglaubt, die Strömungen seien natürliche Vorgänge unserer komplexen Natur. Ich hatte nicht gewusst, dass wir daran schuld waren, dass sie eine Folge unserer Erupten waren, bei denen wir unsere überschüssige Magie ins Meer entluden. Ich konnte in dieser Nacht nicht schlafen und rätselte über das, was ich gehört hatte. Irgendwann knarrte meine Zimmertür, und meine Mutter trat leise an mein Bett. Ich hatte die Augen geschlossen, weil sie nicht wissen sollte, dass ich wach war. Sie setzte sich auf den Bettrand und strich mir sanft über das Haar, ihre Hand zitterte, und ihr Atem ging flach, als würde sie mit den Tränen kämpfen. Aber am nächsten Morgen war sie wieder ruhig und gefasst und schalt mich dafür, dass ich so weit hinausgeschwommen war.

Ich fragte meine Eltern, was das alles zu bedeuten hatte, wollte verstehen, wie mein Vater meiner Mutter so etwas vorwerfen konnte, aber ich bekam nie eine Antwort.

Ich habe es seitdem noch viele Male versucht – immer mit dem gleichen Ergebnis.

Es vergingen Monate, bis meine Eltern mich wieder zum Meer ließen, und das auch erst, als sie sahen, wie unglücklich ich ohne Wasser war. Sie waren schockiert, dass ich wieder schwimmen wollte, nachdem ich fast mein Leben verloren hatte, aber für mich war das kein Thema. Für mich war das Meer immer etwas Vollkommenes. Sie machten strenge Vorgaben, wann, wie lange und wo ich schwimmen darf. Ab und zu übertrete ich diese Grenzen, aber meistens halte ich sie ein.

Wenn ich an diesen Tag zurückdenke, denke ich nicht an die Strömung oder die Angst oder die schreckliche Enge in meiner Brust. Ich denke daran, wie mein Vater meine Mutter anbrüllte und ihr die Schuld für etwas gab, das unmöglich ihre Schuld sein konnte. Und ich denke an meine Mutter, die mit zitternden Händen gegen die Tränen ankämpfte, als sie mir über das Haar strich.

»Tana?« Die Stimme meiner Mutter holt mich in die Gegenwart zurück, und mir wird klar, dass ich das große Ölgemälde hinter der Theke der Parfümerie angestarrt habe, das die Meerespassage abbildet. »Mrs Mayweather hat dich etwas gefragt.«

»Entschuldigen Sie, ich war wohl gedanklich woanders«, sage ich und lächle die Frau vor mir an. Sie ist im Alter meiner Mutter und hat eine Tochter auf dem Festland, die dieselbe weiterführende Schule wie Landon besucht. In den letzten Wochen kam sie regelmäßig auf die Hexeninsel, was vermutlich an den Gerüchten liegt, die über mich kursieren.

»Wahrscheinlich denkt sie an den Ball heute Abend«, sagt sie mit einem wissenden Lächeln. »Wir können doch mit dir rechnen?«

Ich sehe meine Mutter an, und sie nickt nur.

»Ich denke, davon kann man ausgehen«, sage ich, den Tonfall nachahmend, den ich von meiner Mutter schon tausendmal gehört habe, wenn sie sich bescheiden geben will.

»Dann freue ich mich umso mehr darauf.« Mrs Mayweather nimmt ihre elfenbeinfarbene Tasche vom Ladentisch, verabschiedet sich und geht.

Ich schlüpfe in das Hinterzimmer, bevor mich eine andere Kundin aufhalten kann. Ich sehne mich nach meiner Magie, die meine Nerven entspannt und meinen Geist zur Ruhe bringt. In diesem Zimmer, umgeben von Blumen und Kräutern und leeren Glasgefäßen, scheint alles andere in den Hintergrund zu treten. Ich weiß, dass meine Vorfahren viel aufgegeben haben, um die neue Ordnung zu schaffen, aber ich kann mir nichts Schöneres vorstellen als die zarte Magie, die diesen Raum erfüllt. Dieses Leben ist kein Verlust, es ist ein Geschenk.

Ich nehme frische Rosenblüten und gebe sie in meinen Mörser. Ich bin vielleicht nicht so adrett wie meine Mutter und finde nicht immer die richtigen Worte, aber Magie ist eine Sache, die mir mühelos gelingt. Ich muss nicht mehrere Testmischungen herstellen, um alles richtig hinzukriegen, und ich muss auch nicht ständig meine Zaubersprüche überarbeiten, bis ich den gewünschten Effekt erziele. Magie ist für mich etwas Natürliches, so wie für meine Mutter Führungsstärke und für meinen Vater Aufrichtigkeit.

Ich möchte heute Abend ein besonderes Parfüm auftragen, es soll sich wie ein Funkeln anfühlen, wie dieser perfekte Moment, wenn man einen anderen Menschen sieht und das Innere zu vibrieren beginnt. Ich stelle es mir vor wie die letzte Note eines virtuosen Konzerts oder wie den ersten Rausch der Kälte, wenn man ins Meer eintaucht, überraschend und zart und beglückend.

Genau das hoffe ich heute Abend zu empfinden, wenn ich Landon auf dem Ball begegne.

Die Rosenblüten nehmen die Magie begierig auf, ich fülle sie in ein Glas um, gebe die Grundsubstanz hinzu und schwenke vorsichtig die Flasche.

»Ist das Tana dort hinten?«, fragt eine Kundin im Vorderzimmer, während sie durch den Türspalt lugt.

Seufzend decke ich mein Parfüm zu und setze ein Lächeln auf, dann gehe ich zurück nach vorne.

»Hallo, Mrs Alston.« Die Stammkundin vom Festland ist mit mehreren Tüten beladen, und ihre warme, beigefarbene Haut glänzt von einem frisch aufgetragenen Parfüm.

»Hallo, meine Liebe. Freust du dich auf den Ball heute Abend?« Das ist ihre Art, zu fragen, ob ich auch kommen werde, und nach einer kurzen Pause antworte ich.

»Ja.«

Ihre Augen werden größer, und sie lächelt mich breit an. »Dann bis später«, sagt sie, zahlt und entschwindet aus der Parfümerie.

Erst als die Tür ganz geschlossen ist, wendet sich Mom mir zu. »Geh doch nach Hause und mach dich für den Ball fertig.«

»Aber es ist noch nicht einmal Mittag«, entgegne ich. »Ich brauche doch nicht den ganzen Tag, um mich fertig zu machen.«

»Nein, Liebes, aber du musst auch nicht den ganzen Tag mit Fragen bombardiert werden. Geh nach Hause, und ich kümmere mich allein um den Laden.« Ihr Ton ist sanft, aber entschlossen.

»Also gut, wenn du meinst.«

»Gut.« Sie küsst mich auf die Stirn, und ich gehe gerade zur Tür hinaus, als eine neue Welle von Kundinnen in den Laden strömt. Bevor sich die Tür hinter mir schließt, höre ich noch die herzliche Begrüßung meiner Mutter, die die Gäste willkommen heißt, als seien sie allerbeste Freundinnen. Manchmal denke ich, wie anstrengend es sein muss, so hohe Ansprüche an sich selbst zu stellen, aber eigentlich bewundere ich sie.

Der Himmel ist bewölkt, und die Pflastersteine sind glitschig vom Regen. Ich schlinge meinen Schal über den Kopf und mache mich auf den Heimweg. Ich vermeide jeglichen Blickkontakt, damit ich mit niemandem reden muss. Bis jetzt kannten die meisten Leute nur meine Mutter, sodass ich mir keine Sorgen machen musste, außer von Stammgästen vom Festland, auf der Straße angesprochen zu werden. Aber ich vermute, das wird sich nach dem heutigen Abend ändern.

Ich komme an Ivys Teeladen, der Verzauberten Tasse, vorbei. Sie klopft von innen an die Schaufensterscheibe und winkt mich herein. Ich schaue zur Parfümerie hinüber und vergewissere mich, dass meine Mutter mich nicht beobachtet, dann verschwinde ich im Laden. Die Verzauberte Tasse gehört zu meinen Lieblingsläden auf der Hauptstraße und das nicht nur, weil sie Ivys Familie gehört. Die Wände sind in einem matten Rosa gehalten, die Sockelleisten sind in einem satten Goldton lackiert, und an der Decke befinden sich farblich abgestimmte Stuckleisten. Kerzenleuchter tauchen den Raum in ein sanftes Licht. Ivys Eltern haben sich selbst nach der Elektrifizierung der Insel für Kerzenlicht entschieden, weil der Laden seinen ursprünglichen Charme behalten sollte. Aber das eigentliche Herzstück des Ladens ist der große Kronleuchter in der Mitte des Raumes mit den an Goldketten befestigten zwölf Teetassen, in denen jeweils eine elfenbeinfarbene Kerze brennt. Die Stühle sind mit rosafarbenem Samt bezogen, und die Tische mit vergoldeten Teelöffeln und Spitzenservietten gedeckt.

»Wohin gehst du?«, fragt Ivy, räumt einen Tisch in der hinteren Ecke frei und bedeutet mir, mich zu setzen.

»Nach Hause. Heute Morgen haben mich die Kunden mit Fragen über Landon belagert, und ich glaube, ich habe sie nicht so gut gehandhabt, wie meine Mutter es sich gewünscht hätte.«

»Niemand kann so gut mit solchen Fragen umgehen wie deine Mutter.«

»Ich weiß. Die Messlatte liegt unfassbar hoch.«

»Ich wollte gerade Pause machen. Willst du dich eine Weile dazusetzen, bevor du nach Hause gehst?«

»Unbedingt. Meine Mom denkt anscheinend, ich würde den halben Tag brauchen, um mich für den Ball herzurichten.«

Ivy lacht. »Was erwartet sie? Dass du jede einzelne Haarsträhne in Locken legst?«

»Das würde ihr garantiert gefallen«, erwidere ich und lege meinen Schal über die Stuhllehne.

»Bin gleich wieder da. Hast du einen besonderen Wunsch?«

»Ich lasse mich überraschen.«

Ich mache es mir auf meinem Platz bequem, und ein paar Minuten später kommt Ivy mit zwei Teetassen zurück. Sie setzt sie auf dem Tisch ab, dann nimmt sie mir gegenüber Platz. Wie gewöhnlich verrät sie mir nicht, welchen Tee sie zubereitet hat – ich soll es erraten.

Ich nippe daran. Es ist ein schwarzer Tee mit einem Hauch von Zimt und Orange, der mich verwegen und kräftig durchströmt.

»Und?«

»Zuversicht?«

»Du bist nah dran, aber knapp daneben.«

Ich meine, aus dem Augenwinkel meine Mutter zu sehen, aber anstatt mich zu ducken, damit sie mich nicht entdeckt, setze ich mich aufrecht hin und beuge mich vor. Als die Frau sich umdreht, kann ich sie besser sehen, es ist nicht meine Mutter, aber ich glaube, ich weiß jetzt, welchen Tee Ivy mir eingeschenkt hat. Ich sehe sie an und lache.

»Mut?«

»Ja. Für heute Abend.«

»Wieso sollte ich heute mutig sein müssen?«

»Also erstens stehst du nicht gern im Mittelpunkt, und zweitens ist es das erste Mal, dass die Festlandbewohner dich in ihrer Welt sehen, also werden sie dich genau beobachten. Es ist außerdem euer Debüt, als Paar aufzutreten, und es wird erwartet, dass ihr tanzt. Vor allen Leuten. Das ist nicht gerade wenig.«

Ich nehme noch einen Schluck Tee, einen viel größeren als zuvor. »Weißt du, bis gerade eben war ich eigentlich gar nicht nervös, also danke dafür.«

»Gern geschehen.« Ivy lächelt und führt ihre Teetasse zum Mund.

»Was trinkst du eigentlich?«, frage ich, aber bevor Ivy antworten kann, hört man eine Tasse auf dem Boden zerschellen. Ich schaue auf und sehe eine ältere Frau, die an der Marmortheke steht und Mrs Eldon, Ivys Mutter, anschreit.

»Der ist zu stark«, keift sie und fuchtelt mit ihrem Zeigefinger vor Mrs Eldons Gesicht herum. »Ich merke doch, dass Sie mich verzaubern wollen! Niemand hier trinkt den Tee!«, ruft sie zu den anderen Besuchern des Ladens. Im Raum wird es ganz still, alles Reden und Plappern ist von dem Geschrei der Frau erstickt worden. Ivy steht auf und tritt an die Seite ihrer Mutter.

»Ich kann Ihnen versichern, dass alle Tees in diesem Geschäft sämtliche Normen der niedrigen Magie erfüllen«, sagt Mrs Eldon. »Wenn Ihnen diese spezielle Mischung nicht gefällt, tauschen wir sie gerne gegen etwas aus, das Ihnen besser schmeckt.«

»Ich bin kein Dummkopf«, sagt die Frau, deren langer grauer Pferdeschwanz hin und her schwingt. »Das Problem ist nicht der Tee, es ist die Magie. Hier gibt es schwarze Magie, ich spüre sie doch.« Sie spuckt diese Worte förmlich aus, und ein leises Murmeln geht durch den Raum. Ich bin schockiert über ihre Dreistigkeit. Schwarze Magie gibt es schon seit Jahren nicht mehr auf der Insel, sie wurde mit der neuen Ordnung so gut wie ausgerottet.

Mrs Eldon tritt einen Schritt näher an die Frau heran, ihr eben noch geduldiger Gesichtsausdruck wird hart. »Ich verbitte mir solche Worte in meinem Laden. Wenn Ihnen unsere Ware nicht zusagt, steht es Ihnen frei, zu gehen, aber ich werde Ihre Respektlosigkeit nicht länger dulden.«

»Ihr werdet alle einer Gehirnwäsche unterzogen. Jeder Einzelne von euch«, sagt die Frau und schaut sich im Laden um. »Ihr solltet gegen die Existenz dieser Insel protestieren, anstatt ihre Taschen auch noch mit Geld vollzustopfen!«

»Das reicht«, sagt Mrs Eldon. Sie geht zum Ladeneingang und hält die Tür auf. »Es ist Zeit, dass Sie gehen.«

»Dieser Ort ist eine Schande. Ihr solltet euch alle schämen.« Die Frau drängt sich an Ivys Mutter vorbei auf die Hauptstraße. Sie hinterlässt eine bedrückende Stille.

Mrs Eldon atmet tief durch und schließt die Tür, dann wendet sie sich an die anderen Kunden. »Es tut mir furchtbar leid«, sagt sie.

»Damit das klar ist: Ich hätte mir einen stärkeren Tee gewünscht«, sagt ein Mann am anderen Ende des Ladens, und das reicht aus, um das Unbehagen zu brechen, das sich im Raum breit gemacht hatte.

Die Leute lachen, irgendjemand sagt: »Hört, hört!«, und dann heben die anderen Kunden zustimmend ihre Teetassen und trinken darauf, mehr statt weniger Magie zu wollen.

Mrs Eldon lächelt und kehrt zum Ladentisch zurück, aber ich sehe, wie sehr die Auseinandersetzung sie mitgenommen hat, wie angespannt ihre Schultern sind und wie sorgenvoll ihr Blick ist. Ivy und ich haben nicht viele Zusammenstöße dieser Art erlebt – die Leute kommen auf die Hexeninsel, weil sie die Magie mögen. Aber unsere Eltern, und vor allem unsere Großeltern erinnern sich an schlimme Zeiten, als die Mehrheit der Festlandbewohner die Magie am liebsten völlig ausradieren wollte. Sie erzählen uns Geschichten davon und erinnern uns daran, wie viel Glück wir haben, aber das zu hören und es konkret zu erleben, sind unterschiedliche Dinge.

Ivy legt einen Arm um ihre Mutter und flüstert ihr etwas ins Ohr. Mrs Eldon nickt, dann entschuldigt sie sich und geht ins Hinterzimmer.

»Alles in Ordnung mit dir?«, frage ich und gehe zu Ivy, die hinter der Ladentheke steht. Ihre Augen sind feucht.

»Mir geht es gut«, sagt sie und wischt sich über die Augen. »Das sind Tränen der Wut. Zu sehen, wie jemand so mit meiner Mutter spricht …« Sie bricht ab, unfähig, ihren Satz zu beenden.

»Ich weiß«, sage ich und nehme ihre Hand. »Warum kommt jemand hierher, der die Magie hasst?«

Man könnte leicht dem Eindruck erliegen, dass die gesamte Bevölkerung des Festlandes so ist wie die Stammgäste der Hexeninsel, aber dem ist nicht so. Wie viele Menschen auf dem Festland schauen über die Passage zu unserer Insel hinüber und wollen, dass sie verschwindet? Wie viele Menschen wollen die Magie immer noch vollständig ausrotten? Es macht mir Angst, dass es dort, wo es auch nur einen solchen Menschen gibt, auch noch andere gibt. Und es wäre entsetzlich, wenn diese Leute beim Gouverneur auf offene Ohren treffen würden.

Ich glaube nicht, dass es viele Leute sind, die uns wirklich vom Festland abschneiden wollen und die bereit wären, unsere Docks im Schutze der Dunkelheit niederzubrennen. Aber offenbar gibt es ja Leute, die nicht in einer Welt leben wollen, in der Magie akzeptiert wird. Selbst die sanfte, milde Magie der neuen Ordnung ist für manche zu viel. Aber wenn man die Magie abschaffen will, muss man auch uns abschaffen.

Die Erinnerung an die Mondblume drängt sich mir wieder auf, und ich muss schwer schlucken.

»Woran denkst du gerade?«, fragt Ivy und holt tief Luft. Ihre Augen sind trocken, und ihre Wut ist wie weggeblasen.

Ich seufze und stürze den restlichen Tee in einem Zug herunter. »Dass ich heute Abend makellos aussehen muss.«

»Dann geh jetzt lieber«, sagt sie. »Du hast ziemlich viele Haare.«

Vier

Es ist eine klare Nacht. Die ganze Fährfahrt über habe ich nach Spuren einer Mondblume gesucht, konnte aber nichts entdecken. Mit wackeligen Beinen gehe ich das Festlandufer hinauf, und als ein Auto vorbeirauscht, zucke ich zusammen. Auf der Hexeninsel gibt es keine Autos. Ich atme tief durch, beim rhythmischen Plätschern der Wellen entspannt sich mein Herzschlag. Die Villa des Gouverneurs ragt vor mir auf, sie ist von unten bis oben erleuchtet, und die festlichen Klänge einer Musikkapelle wehen in die Nacht hinaus.

Mehrere Menschen lehnen an den Balkongeländern im zweiten und dritten Stock, in der Hand halten sie erlesene Drinks in Kristallgläsern, ihre Seidenkleider und lockeren Hochsteckfrisuren schwingen in der lauen Brise. Ich verschränke die Arme vor meiner Brust.

Mein blassrosa Kleid schnürt meine Rippen so sehr ein, als stelle es sicher, dass meine Lunge und mein Herz nicht aus der Brust springen. Das Oberteil geht in fließende Schichten aus durchsichtigem Stoff über, die bis auf die Spitzen meiner Satinschuhe fallen, kurze Flügelärmel bedecken meine Schultern. Ich wollte eigentlich lieber ein graues Kleid anziehen, das an den Morgennebel auf der Hexeninsel erinnert, aber meine Mutter war dagegen und bestand darauf, dass ein rosanes angemessener sei.

Mein Make-up ist dezent, und mein gelocktes, langes Haar fällt tief über meinen Rücken.

Jetzt steigen meine Eltern die große Steintreppe hinauf, ich gehe hinter ihnen her und zupfe an meinen weißen Abendhandschuhen.

»Du wirst das wunderbar machen«, sagt Ivy, die nun neben mir hergeht.

»Ich bin so froh, dass du hier bist. Danke, dass du mitgekommen bist.«

Landon hatte angeboten, dass ich eine Freundin mitbringen könnte, wenn ich mich dann wohler fühlte, und ich bin ihm dankbar für diese Geste. Ivy ist selbstbewusst und kommt mühelos mit jedem ins Gespräch, der in ihrer Nähe ist. Sie trägt ein narzissengelbes Kleid, das von ihren Schultern bis kurz über den Boden reicht. Ihre Lippen sind zartrosa geschminkt, und um ihren Hals liegen drei Perlenketten.

Ich wende mich um und atme noch einmal die kühle, salzige Luft ein, bevor wir hineingehen und die Hitze von Hunderten anderer Körper einatmen werden.

»Ich bin auch froh, dass ich hier bin«, sagt sie, »aber wenn du jetzt ins Wasser springst, schwöre ich …«

»Entspann dich, ich atme nur kurz durch.« Ich drehe mich wieder zu ihr um. »Sollen wir?«

Sie hakt sich bei mir unter. »Auf geht’s.«

Wir gehen durch die offenen Flügeltüren, und der Luftzug, den ich eben noch eingeatmet habe, entweicht meinen Lungen.

Eine große Marmortreppe führt von der Mitte des Raumes nach oben und gabelt sich am oberen Ende, wo jede Seite in einen anderen Flügel des Hauses mündet. Hoch über uns hängt ein Kristallleuchter, der das Licht auffängt und Regenbögen in den Saal wirft. Auf Cocktailtischen stehen bunte Blumen in üppigen Arrangements. Die Wände sind in einem sanften Mintgrün gestrichen, das so beschwingt wirkt wie die Musik.

Kunstvoll gewebte Teppiche in leuchtenden Farben und mit goldenen Quasten besetzt weisen uns den Weg in den Ballsaal, wo meine Eltern bereits in einem Meer von Menschen verschwunden sind. Auf einer Bühne spielt ein Streichquartett, das ich sofort wiedererkenne, weil es von der Hexeninsel kommt. Kein Wunder, dass sich alle so prächtig amüsieren – mit jeder Note, die die Musiker spielen, senden sie Wellen der Begeisterung und des Glücks in den Saal.

Es macht mich einen Moment lang traurig, dass die Festlandbewohner glauben, sie bräuchten Magie, um sich richtig zu vergnügen. Ich empfinde eine Verbitterung, die mich erschreckt. Hexen ist es verboten, nach Sonnenuntergang irgendeine Form von Magie auszuüben, aber der Gouverneur hat eine Ausnahme beantragt, der meine Mutter zugestimmt hat. Bei jemand anderem hätte sie das niemals genehmigt.

Aber ich finde es eine Verschwendung, für sowas eine Ausnahme zu machen.

Hinter der Bühne erstreckt sich die Gartenanlage, sehnsüchtig schaue ich aus dem Fenster.

»Denk nicht mal daran«, sagt Ivy. »Man hat dich nicht eingeladen, damit du dich stoisch in den Garten stellst.«

»Aber das kann ich so gut.«

»Da widerspreche ich dir nicht, aber dafür ist später noch genug Zeit. Ich hole uns ein paar Drinks, dann machen wir unsere Runde.«

Manchmal denke ich, dass alles viel besser wäre, wenn Ivy meinen Platz einnehmen könnte. Ich bin eine direkte Nachfahrin von Harper Fairchild, jener Hexe, die unseren Hexenzirkel gegründet und die Grundlagen der niedrigen Magie geschaffen hat. Das ist auch der Grund, warum meine Mutter das Oberhaupt unseres Hexenzirkels ist. Der Zusammenschluss zwischen der mächtigsten Hexenfamilie und den mächtigsten Festlandbewohnern ist die größte Absicherung, die wir erreichen können.

Aber Ivys Familie gehört zu den Ursprungsfamilien, und wenn ich sehe, wie sie durch den Raum schwebt und wie sie von Blicken verfolgt wird, wird mir klar, dass dieses Leben sehr gut zu ihr passen würde.

Ivy reicht mir einen Drink und stößt mit mir an. »Darauf, dass wir die Nacht überstehen.«

»Darauf kann ich trinken.«

Ich nehme einen kräftigen Schluck und sehe mich im Ballsaal um. An goldenen Stangen hängen große transparente Vorhänge, die sich an den offenen Fenstern mit der Brise bewegen, und an der Decke glitzern mehrere Kronleuchter. Im Saal riecht es nach Kerzenwachs und Salzwasser, und ringsum stehen Kristallständer mit Gestecken aus weißen Rosen. Es wirkt alles so großartig und imposant und hat nichts mit meinem Leben auf der Hexeninsel zu tun.

Meine Eltern unterhalten sich im vorderen Teil des Saals mit Marshall und Elizabeth Yates. Sie wirken entspannt und locker, als wäre es selbstverständlich, die gemeinsame Gesellschaft zu genießen.

Als ob wir uns das nicht verdienen müssten.

Und dann ist er plötzlich da.

Landon.

Er umrundet eine große Marmorsäule und schaut sich im Saal um. Er ist groß, und sein marineblauer Anzug spannt leicht über seiner breiten Brust. Seine Haut ist glatt und gebräunt, und sein dunkelbraunes Haar ist kurz geschnitten. Er steht da, als gehöre ihm der Saal, als gehöre ihm die ganze Welt.

Einen Atemzug lang starre ich ihn an, dann trifft sein Blick auf meinen. Ein Lächeln umspielt seine Lippen, es scheint aufrichtig zu sein, und es erhellt den Saal. Ein Lächeln, das so aussieht, als habe er tatsächlich die ganze Welt geschenkt bekommen.

Ich versteife mich neben Ivy und merke, dass ich keine Ahnung habe, wie ich meinen zukünftigen Ehemann begrüßen soll. »Tana, du solltest ihn vielleicht merken lassen, dass du dich freust, ihn zu sehen«, flüstert Ivy mir zu. »Du siehst nämlich gerade so aus, als wolltest du dich aus dem Fenster stürzen und den ganzen Weg nach Hause schwimmen.«

Ich muss lachen. »Danke für dein hilfreiches Feedback, Ivy.«

»Gern geschehen.«

Ich trinke noch einen Schluck, aber eigentlich könnte ich jetzt Ivys Mut-Mischung von heute Mittag gebrauchen. Ich schließe für einen Moment die Augen und stelle mir vor, wie es sich anfühlt, wenn ich sie trinke. Sie fühlt sich so an, wie Landon auftritt, als verdiente ich es, hier zu sein. Ich richte mich auf und recke mein Kinn in die Höhe. Ich straffe meine Schultern, und dann fällt mein Blick direkt auf Landon. Ich schenke ihm ein schüchternes Lächeln, neige meinen Kopf und winke ihn heran.

Er kann nicht hören, wie mein Herz unter meinem viel zu engen Kleid rast, wie meine Lungen nach Luft ringen. Mutig sein und sich mutig fühlen sind zwei ganz verschiedene Dinge.

»Tana«, sagt er, als er mich erreicht, nimmt meine Hand und küsst sie sanft. »Du siehst bezaubernd aus.«

»Danke«, erwidere ich.

»Ivy«, sagt Landon und richtet sich auf. »Es ist schön, dich wiederzusehen.« Er nimmt nicht ihre Hand. Der ganze Saal soll wissen, dass er heute Abend nur Augen für eine Person hat: mich.

»Ebenso«, sagt sie, während sie ihm ein freundliches Lächeln schenkt.

Die Musik verklingt und die Zuhörer klatschen begeistert. Die Musiker verbeugen sich leicht, dann setzen sie sich wieder und spielen weiter. Diesmal ist es ein langsameres Stück, ein Walzer, und Landon reicht mir seine Hand.

»Darf ich um diesen Tanz bitten?«

Ich halte kurz inne, denn ich weiß, dass ein Tanz alles verändern wird, dass ich dann nicht mehr unbemerkt bleiben werde. Ich atme tief ein, halte die Luft an und zähle bis drei, dann atme ich wieder aus. »Es wäre mir eine Freude.«