Broken Soul - Christina H. W. - E-Book

Broken Soul E-Book

Christina H. W.

0,0

Beschreibung

»Hab keine Angst, ma chérie. Auch wenn alle der Meinung sind, dass die Dunkelheit unser Fluch ist, liegt es an uns, ob wir sie kontrollieren, oder sie uns.« Nichts ist, wie es einmal war. Emma ist gefangen in ihrer neuen Hölle namens Ryan Scott - zumindest dachte sie das. Denn als das einst so vertraute Verhältnis zu Tarik Stück für Stück bröckelt, und damit die Frage aufwirft, wer dieser Mann tatsächlich ist, gerät sie immer mehr ins Wanken. Alles, was Emma bleibt, ist weiter zu kämpfen, und das an der Seite ihrer wahren Natur. Auch wenn sie ihr Herz zu ihrem eigenen Schutz verschließen wollte, muss sie bald feststellen, dass nicht jedes Monster ihr Feind ist. Und manchmal entpuppte sich ausgerechnet die Dunkelheit als das größte Licht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 432

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.

Beliebtheit




»Für all diejenigen, die täglich kämpfen, nach der Hoffnung und der Kraft suchen, dem Täter keine Macht geben und aufrecht stehen. Für all diejenigen, die sich einsam und verloren fühlen.Ihr seid nicht allein, ihr seid die wahren Kämpfer.«

Meine Lieben,

der zweite Teil beginnt und ich reiße euch wieder in die magische Welt der Shades. Ihr dachtet, jetzt wird es besser, jetzt wird es sanfter, vielleicht sogar süß und aus den Monstern wurden Gentlemen und Schmusetiger? Dann muss ich euch leider enttäuschen.

Diese Welt ist nichts für schwache Nerven oder jemanden, der nach einer romantischen Liebesgeschichte sucht. Also solltet ihr das erwarten, legt das Buch lieber weg. Hier erwarten euch Monster, die sich der Dunkelheit hingeben, sich nach eurem Blut sehnen und euch schreien hören wollen, ob vor Schmerz oder Lust.

Sie nehmen euch mit, verderben eure Seelen, führen euch an Grenzen und zwingen euch, eure Moral über Bord zu werfen. Gut und Böse liegen manchmal näher zusammen als man denkt, und einiges könnte euch triggern. Sei es sexueller Missbrauch und körperliche Gewalt oder die seelische Manipulation und ihre Schmerzen. Physische und psychische Gewalt werden in meiner Geschichte nicht verschönert. Sollte euch das zu viel sein, dann nehmt das Buch nicht länger in die Hand, denn in dieser Welt gibt es keine Ritter in glänzender Rüstung, oder Prinzen, die euch retten kommen – sondern nur Monster. Doch sollte euch das alles nicht abschrecken und ihr wollt immer noch in diese Welt eintauchen, seid euch sicher, dass ich euch gewarnt habe. Denn die Bestien wetzen schon ihre Krallen und heißen euch willkommen in der dunklen Welt der Shades.

Eure Christina

Willkommen in meiner dunklen Welt. Nur keine Angst, ich beiße nicht!

Damit ihr nicht allzu verloren seid und erkennt, welches Übel euch bevorsteht, erkläre ich euch kurz die wichtigsten Begriff e.

Shades

Das sind unsterbliche Wesen, die wie Menschen aussehen, jedoch ab dem Erwachsenenalter sehr langsam altern und den Menschen weit überlegen sind.

Ihre Sinne sind verstärkt, und sie können sich verwandeln.

Das stärkste Merkmal eines verwandelten Shades ist die schuppenartige Haut, die der eines Drachens sehr ähnlich ist. Bei jedem Shade sieht sie anders aus, genauso wie die Augenfarbe. Je nach Rang und Abstammung besitzen sie spezielle Fähigkeiten und nur bestimmte Shades zeigen sich in ihrer wahren Form mit Flügeln. Dazu müssen sie sich mit der Dunkelheit und dem Licht im Einklang befinden. Trotz ihrer Unsterblichkeit können Shades getötet werden.

Wahre Natur

Durch die wahre Natur erlangt jeder Shade seine Fähigkeiten. Sie lebt im Körper ihres Shades, redet mit ihm, spürt seine Emotionen und steht ihm bei. Shades können auch ohne eine Verwandlung auf diese Fähigkeiten zugreifen, aber mit der Verwandlung sind sie um einiges stärker.

Aura

Jeder Shade besitzt eine Aura, die andere Shades spüren können. Sie ist eine Art Kraft, die einen Shade umgibt, und durch die jeweilige Herkunft und Stärke definiert wird. Bestimmte Shades können ihre Aura verbergen, sodass nur ein Teil ihrer tatsächlichen Macht zu spüren ist.

Krazor

Das sind große, tierähnliche Kreaturen, die von bestimmten Shades herbeigerufen oder beschworen werden können. Sie gehorchen blind und gehen für ihren Meister in den Tod. Jeder Krazor hat eine enge Verbindung zu seinem Shade.

Schattenrat

Das ist die höchste Macht, die existiert. Der Schattenrat wahrt das Gleichgewicht zwischen den Shades und richtet über sie. Jeder Shade kennt die Geschichten über den Schattenrat und fürchtet ihn. Er soll aus einer Gruppe von mächtigen Wesen bestehen, die keine Gnade kennen. Obwohl der Schattenrat noch nie von jemandem gesehen wurde, wird er seit Jahrtausenden gefürchtet.

Blaxro

Das ist eine bestimmte Art von Magie, die nur Shades aus einer königlichen Linie beherrschen können. Jedoch wurde die Blaxro-Magie vom Schattenrat verboten und sämtliche Bücher und Schriftrollen darüber vernichtet. Sollte dennoch jemand diese Art der Magie praktizieren, zieht er den Zorn des Schattenrates auf sich.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

EMMA

RYAN

Kapitel 2

EMMA

TARIK

EMMA

Kapitel 3

DARIO

RYAN

Kapitel 4

EMMA

Kapitel 5

DARIO

TARIK

RYAN

Kapitel 6

DARIO

EMMA

Kapitel 7

RYAN

EMMA

RYAN

Kapitel 8

DARIO

TARIK

Kapitel 9

VLAD

EMMA

Kapitel 10

RYAN

EMMA

Kapitel 11

RYAN

DARIO

Kapitel 12

EMMA

RYAN

Kapitel 13

TARIK

VLAD

Kapitel 14

RYAN

EMMA

Kapitel 15

DARIO

EMMA

Kapitel 16

RYAN

TARIK

Kapitel 17

EMMA

RYAN

Kapitel 18

TARIK

EMMA

Kapitel 19

TARIK

Kapitel 20

RYAN

EMMA

TARIK

Kapitel 21

VLAD

Kapitel 22

EMMA

RYAN

TARIK

Kapitel 23

EMMA

RYAN

Kapitel 24

DARIO

EMMA

Kapitel 25

RYAN

EMMA

Kapitel 26

DARIO

TARIK

Kapitel 27

VLAD

RYAN

Epilog

EMMA

Fortsetzung folgt …

Nachwort

Prolog

VLAD

Vor Jahrhunderten in Moskau

Mein Blick war starr auf die rot befleckte Klinge des Schwertes gerichtet, das auf dem Boden lag, als ich mit zitternden Fingern meine Wange berührte und mein eigenes Blut an meinen Fingerspitzen glänzte. Ich wusste, dass der Schnitt schon längst verheilt war und das Blut auf der Klinge und an meinen Fingern der einzige Beweis dafür war, was soeben geschehen war.

Ich versuchte, die Tränen zu verdrängen, denn auf keinen Fall wollte ich ihm diese Schwäche zeigen, und doch war es zu spät. Die erste Träne sammelte sich in meinem Augenwinkel, als etwas Kaltes unter mein Kinn gesetzt wurde und ich vor Angst erstarrte.

»Was habe ich nur falsch gemacht?«, knurrte mein Vater und hob mein Kinn mit seinem Schwert an.

Mein gesamter Körper stand unter Strom und jede meiner Bewegungen konnte seine Wut noch mehr entfachen. Ich blickte in seine Onyx-Augen und fühlte den Hass in meiner Magengegend, der sich immer mehr ausbreitete.

Ich hasste die Farbe seiner Augen, denn sie erinnerten mich jedes Mal an meine Herkunft und daran, dass es keinen Ausweg aus diesem Schloss gab. Ein Leben, das ich verabscheute und niemals wollte.

»Du bist zu schwach, deine Mutter hat dich verweichlicht. Aber keine Sorge, das wird sich jetzt ändern.«

Mein Mund wurde immer trockener und ich konnte fühlen, wie sich mein Puls beschleunigte, als sich Boris‘ Mundwinkel bösartig nach oben zogen und er ein Handzeichen gab.

Meine Mutter wurde von zwei Männern in den Saal gezerrt. Ihre Angst spiegelte sich in ihren Augen wider, als sich unsere Blicke kurz trafen, bevor sie achtlos vor die Füße meines Vaters geworfen wurde. Ich wollte zu ihr, ihre warme Umarmung spüren und hören, dass alles wieder gut werden würde, aber ihr leichtes Kopfschütteln ließ mich innehalten.

»Boris, mein König.« Die Stimme meiner Mutter zitterte vor Angst und doch reckte sie leicht ihren Kopf in die Höhe und strahlte etwas Starkes aus, was ich jedes Mal bewunderte.

»Natalia, du hast als Frau und als Königin versagt«, sagte er mit einer Eiseskälte, als er im nächsten Moment die Haare meiner Mutter grob packte und ihr heller Schrei an den Wänden widerhallte.

Bewege dich, beschütze sie!, befahl ich mir, aber es geschah nichts, denn ich war wie zu einer Salzsäule erstarrt und selbst meine wahre Natur hatte Angst vor den möglichen Konsequenzen.

»Wegen dir ist unser Sohn verweichlicht«, blaffte er.

»Vlad, mein kleiner Prinz. Ich liebe dich, vergiss das nie. Du bist besser als all das hier«, sagte meine Mutter und lächelte mir schwach entgegen.

Ich öffnete meinen Mund und wollte ihr sagen, wie sehr ich sie liebte und wie dankbar ich ihr war. Denn sie war mein einziger Halt in diesem Schloss, die einzige Person, die mir so etwas wie Liebe und Geborgenheit schenkte. Doch bevor auch nur eines dieser Worte über meine Lippen drang, holte mein Vater mit seinem Schwert aus und schlug den Kopf meiner Mutter ab.

Ihr Blut spritzte in alle Richtungen, und vereinzelte Tropfen landeten in meinem Gesicht und auf meiner Kleidung und ich fühlte, wie etwas in mir zerbrach. Ich wollte schreien, weinen und meinen Vater angreifen, aber nichts dergleichen geschah. Ich konnte mich einfach nicht bewegen und starrte auf die Leiche meiner Mutter, als Boris dunkel lachte und Schwung holte, ehe der Kopf meiner geliebten Mutter wie Müll vor meinen Füßen landete.

»Sieh es als Lektion, mein Sohn. Du bist mein Thronerbe und ich dulde keine Schwächlinge in meinem Schloss!«

Ich blinzelte mehrmals und versuchte, dass alles zu begreifen, doch es ging nicht. Der intensive Geruch nach Blut breitete sich immer mehr aus und selbst, als mein Vater aus dem Saal trat und mich mit dem Leichnam meiner Mutter allein zurückließ, blieb ich vor Schreck starr stehen. Eine Träne nach der anderen lief über meine Wangen und ich fühlte, wie sich eine erdrückende Dunkelheit in meiner Brust ausbreitete und mich immer mehr in Besitz nahm. Ich hielt dem Schmerz in meiner Brust nicht mehr Stand und die Schuld überwältigte mich. Niemals wollte ich das. Niemals wollte ich die Königin töten.

Mein Herz zog sich zusammen und ich versuchte, gegen die Finsternis in mir anzukämpfen. Doch ich scheiterte kläglich.

»Wir müssen uns abschotten«, flüsterte meine wahre Natur und ich konnte spüren, wie sich meine Augen immer schwärzer färbten.

»Vlad! Kämpfe, atme und dränge es weg.«

Es glich einem Flehen und ich horchte auf sie. Ich atmete tief ein und wieder aus, wiederholte das Ganze und schottete mich immer mehr ab, bis die letzte Träne versiegte und ich mit Onyx-Augen nach vorn blickte. Jegliche Trauer und Schuld waren verschwunden. Alles, was in meinem Herzen blieb, waren die Leere und die Dunkelheit.

»Wir werden das überstehen.«

Ich klammerte mich an ihre Worte, in der Hoffnung, dass ich irgendwann selbst daran glauben würde, aber jetzt war der Schmerz zu groß. Ich sackte auf meine Knie, nahm den Kopf meiner Mutter in die Hände und starrte auf ihre weit aufgerissenen, leeren Augen. Ich fühlte, wie das Blut an meinen Händen klebte und über meine Arme lief. Ich starrte weiter darauf, unfähig, ihn einfach loszulassen.

»Du kannst das, ich bin bei dir.« Meine Natur versuchte mir Mut zu machen und sie hatte recht. Ich würde das schaffen, aber nicht so. Denn mein Vater würde sich niemals ändern und egal, wie sehr ich es mir auch wünschte, am Ende würde er immer das Monster bleiben, das ich verabscheute.

»Wir müssen an uns denken. Wir müssen weiter machen, Vlad«, flüsterte sie.

Dann erhob ich mich langsam und blickte nach vorn. Ein dumpfes Geräusch erklang, als ich den Kopf aus meinen Händen fallen ließ und er auf dem Boden aufprallte.

Ich fühlte die Dunkelheit in mir und die unfassbare Macht, die sie ausstrahlte. Aber ich kämpfte nicht mehr dagegen an, sondern nahm das Schwert vom Boden, steckte es an meine Seite und marschierte mit entschlossenem Schritt in den Thronsaal. Ich blieb vor dem schwarzen Thron stehen, ging langsam in die Knie und hob meinen Kopf in die Richtung meines Vaters, der mich diabolisch grinsend ansah.

»Spürst du das, mein Sohn? Wie die reine Dunkelheit durch deine Adern fließt?«

»Ja, Vater.« Meine Stimme war messerscharf und mit jeder Minute fühlte ich weniger. Weniger von dem Schmerz, der mich von innen heraus zerriss. Weniger von der Schuld, die mich in die Knie zwang und weniger von der Liebe, die meine Mutter mir geschenkt hatte. Alles verblasste. Stück für Stück.

Mit schweren Schritten kam er auf mich zu und legte seine Hand auf meine Schulter. »Deine Mutter wollte warten, bis du mindestens fünfzehn wirst, aber ich hatte meine Dunkelheit in deinem Alter schon akzeptiert und die erste Leiche gesehen. Und du, mein Sohn, wirst jetzt endlich dein ganzes Potenzial entfalten können«, sagte er stolz und sah auf mich herab. »Dein Training fängt morgen an.« Er setzte sich wieder auf seinen schwarzen Thron und ich verbeugte mich ein letztes Mal, bevor ich hinauf in mein Zimmer ging.

Als ich dort ankam und das Bild meiner Mutter auf meinem Nachttisch sah, nahm ich es emotionslos in meine Hände, löste es aus dem Rahmen und trat damit auf den Balkon.

Kurz blitzten Erinnerungen daran auf, wie mir meine Mutter dieses Bild zu meinem zehnten Geburtstag geschenkt hatte. Es sollte mich immer daran erinnern, dass ich mehr sein konnte, als nur der Erbe meines Vaters und dass ich jemanden hatte, der mich liebte.

»Sie hat es uns lächelnd überreicht, als wir mit ihr auf dem Balkon unsere Geburtstagstorte gegessen haben.«

Vor ein paar Wochen war noch alles anders gewesen. Aber jetzt war ich den Kampf gegen die tiefe Dunkelheit in mir leid. Ich hatte keine Kraft mehr, keine Hoffnung, an die ich mich klammern konnte und ich musste an mich denken. Ich musste überleben.

»Und ich bin da, Vlad. Ich lasse dich nicht allein.«

Mit Onyx-Augen blickte ich hoch in den dunklen Himmel und hob das Bild in die Luft. Mehrere Blitze schlugen in den Himmel ein und meine Brust hob und senkte sich schwer, als mit einem Mal ein gezielter Blitz in das Bild einschlug und es Feuer fing.

Ich drehte meinen Kopf leicht schräg und beobachtete, wie die Flammen das Bild zerfraßen, bevor ich es losließ und der Wind die letzten Überreste meiner Mutter mitnahm. Als ich meine Hände senkte, verebbten die Blitze und der Himmel lichtete sich wieder.

»Wir sind mächtig«, sagte sie ehrfürchtig und ich konnte ihr nur zustimmen.

Denn egal, wie sehr ich mich dagegen gewehrt und es sogar verabscheut hatte, die Tatsache blieb die gleiche: Durch meine Venen floss das Koslow-Blut und ich würde niemals ändern können, wer ich war.

»Wir haben uns lange genug dagegen gewehrt.«

Und jetzt war es zu spät. Die Dunkelheit füllte mich immer mehr aus und mit einem wahnsinnigen Grinsen auf meinen Lippen öffnete ich meine Arme und hieß sie willkommen.

Kapitel 1

EMMA

Im Hier und Jetzt

Ich atmete tief durch, und strich über mein dunkelrotes Kleid und sah wieder mein Spiegelbild an. Seit dem Tag, an dem ich hier in San Francisco und auf dieses riesige Anwesen gekommen war, hatte sich kaum etwas verändert. Jeden Tag frühstückte ich mit Ryan, bevor er verschwand und ich ihn erst zum Abendessen wiedersah. Ich hatte angenommen, dass er mich genauso vergewaltigen und schlagen würde, wie Vlad es getan hatte, aber all die Bestrafungen blieben aus.

Das war verrückt.

»Wir sollten uns nicht beschweren.«

Meine Natur hatte recht. Ich wusste, wie schlimm es sein konnte, und doch gab es diesen Teil in mir, der nur darauf wartete, dass Ryan mir das Monster in ihm zeigte.

»Vielleicht hat er damals am Flugplatz einfach nur einen schlechten Tag gehabt?«

Beinahe hätte ich laut gelacht. Er hatte mich bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt, mich für sich beansprucht und gebissen … Und doch war da mehr. Ich konnte etwas Vertrautes in seinen Augen erkennen. Etwas, das mich jedes Mal schlucken ließ.

»Wir werden es herausfinden, sobald der Riss zwischen uns geschlossen ist.«

Wie lange versuchten wir das jetzt schon? Seit drei verdammten Monaten, und wie weit waren wir gekommen?

»Wir schaffen das!«, brummte meine Natur. »Du musst optimistischer sein.«

Das versuchte ich. Ich ignorierte Tarik, der noch immer in diesem massiven Käfig mitten im Wohnzimmer gefangen war. Er konnte sich dort lediglich hinstellen und ein paar Schritte bewegen, doch raus durfte er nicht. Warum der Käfig ausgerechnet dort stand? Wahrscheinlich wollte Ryan ihm so seine Macht demonstrieren und ihm zeigen, wo er in der Nahrungskette stand. Anstatt ihn einsam im Keller sterben zu lassen, konnte er Tarik auf diese Art besser kränken und reizen. Doch jedes Mal, wenn ich an dem Käfig vorbeilief, wollte er mit mir reden, was ich ignorierte.

Genauso, wie ich Dario keines Blickes würdigte, der dank Ryan auch noch meine persönliche Wache wurde, und mich kaum aus den Augen ließ. Selbst abends blieb er bis weit nach Mitternacht vor meiner Zimmertür stehen, damit ich nicht auf dumme Ideen kam, ehe er anschließend endlich verschwand. Und Ryan … Ihm ging ich so gut ich konnte aus dem Weg. Doch nach drei verdammten Monaten wurde es immer schwieriger. Ich sehnte mich nach Nähe und auch nach dem Gefühl, von Wert zu sein.

»Das ist okay, aber wir müssen achtsam sein. Wir können diesen Männern nicht vertrauen, und wir müssen an uns denken und unseren Riss schließen.«

Aber mussten wir deswegen allen aus dem Weg gehen? Ich fühlte mich einsam und spürte die Dunkelheit jeden Tag ein Stückchen mehr in meiner Seele.

»Emma, was hat uns das alles gebracht? Wohin hat uns dieses Vertrauen bis jetzt geführt? Ich verstehe dich und fühle es, aber wir können diesen Schmerz nicht noch einmal ertragen. Vor allem Tarik verheimlicht uns etwas und versucht, uns zu manipulieren.«

Ich konnte die Trauer in ihrer Stimme verstehen, denn seit wir hier waren, war Tarik nicht der Mann, den wir kannten. Am Anfang wollte er wissen, wie es mir ging und für einen Moment hatte ich gedacht, er wäre wieder der Mann von damals. Aber dann hatte er versucht, mir einzureden, dass ich ihn aus seinem Käfig befreien müsste. Dass nur er mich hier rausholen könnte und dass ich ihm etwas schuldig sei.

»Wir sind ihm überhaupt nichts schuldig.«

Dario war nicht besser. Er hatte uns getäuscht und zu Ryan gebracht. Und Ryan, der Alpha, verwirrte mich umso mehr. In einem Augenblick lächelte er mich an und streichelte sanft über meine Wange, und im nächsten Moment packte er mich am Hals und knurrte mich an. Aber bevor irgendetwas passieren konnte, flüchtete er und kam erst Stunden später wieder zurück.

»Der Alpha verhält sich komisch, aber er ist allemal besser als Vlad.«

War das so? Denn damals, als ich Vlad kennenlernte, hatte er sich noch nicht wie ein Monster verhalten.

Was, wenn es bei Ryan genauso war?

»Wir müssen unsere Erinnerungen zurückbekommen. Wir müssen herausfinden, warum Ryan und auch seine Männer uns kennen.«

Ich konnte mich an das Jahr erinnern, in dem es mir miserabel ging, doch warum das so war, wusste ich nicht. Im selben Jahr hatte ich auch Vlad getroffen.

Es war, als würden mir die essenziellen Erinnerungen meiner Kindheit bis hin zum Tod meines Großvaters fehlen. Ich wusste nur, dass meine Eltern tot waren und mein Großvater mich aufgezogen hatte, mehr nicht.

Das war seltsam, denn normalerweise konnte sich ein Shade an alles erinnern. Jedes verdammte Detail brannte sich in sein Gedächtnis, nur bei mir nicht.

Früher ging ich einfach davon aus, dass Großvaters Tod mich so aus der Bahn geworfen hatte, schließlich klang das plausibel. Doch jetzt fragte ich mich, ob da mehr dahinter steckte.

»Wir halten Abstand und sobald wir unseren Riss geschlossen haben, werden wir von hier fliehen«, holte mich meine wahre Natur zurück ins Hier und Jetzt.

»Ganz genau, und bis dahin halten wir uns weiterhin von diesen Männern fern«, stimmte ich ihr zu.

Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken und kurze Zeit später trat Dario herein. Mit einem spitzbübischen Grinsen schweifte sein Blick über meinen Körper.

Sofort stieg eine Wärme in meinen Wangen empor, während mein Blick auf seine tätowierten Arme fiel, die unterhalb der hochgekrempelten Ärmel seines dunkelblauen Hemds zu sehen waren.

»Du siehst wunderschön aus, Prinzessin«, sagte er und sein Grinsen verwandelte sich in ein sanftes Lächeln. Eine dunkelblonde Strähne fiel ihm ins Gesicht und mit einer Hand streifte er sein gesamtes Haare nach hinten. Augenblicklich fühlte ich wieder diesen Drang. Ich wollte zu ihm, mich seiner Nähe und der Wärme hingeben, nur für einen Moment. Stattdessen warf ich meine Haare zurück und hob meinen Kopf in die Höhe.

»Du hättest warten sollen, bis ich dich hereinbitte.«

»Hätte ich das?«, murmelte er, kam auf mich zu und blieb ein paar Zentimeter vor mir stehen. »Du kannst mir nicht ewig aus dem Weg gehen.«

Stimmt, das konnte ich nicht. Ich rang mit meiner Selbstbeherrschung und blickte in seine Saphir-Augen. Jene Augen, denen ich vertraut hatte und in denen ich meine Freiheit gesehen hatte, und doch war die Wahrheit eine andere. Diese tiefblauen Augen hatten mich in einen weiteren goldenen Käfig gelockt, dessen Schlüssel zur Freiheit weggeworfen worden war.

»Dario«, flüsterte ich und biss auf meine Unterlippe, als seine Hand über meine Wange strich und er eine lose Strähne hinter mein Ohr legte.

»Wie lange willst du mich noch ignorieren?«, wiederholte er seine Frage und noch immer lag seine Hand auf meiner Wange, als meine Natur mit einem Mal vor Wut kochte und ich ruckartig mehrere Schritte zurücktrat.

»Wir halten uns an unseren Plan, nur so kommen wir an unser Ziel!« Sie klang empört und doch konnte ich ihre Zweifel spüren. Sie sehnte sich genauso wie ich danach, endlich wieder das Gefühl von Wärme zu empfinden.

»Stimmt, das Gefühl fehlt mir. Aber ich will auch, dass wir endlich frei sind.«

»Ich auch«, gestand ich und atmete tief durch. Ich musste mich auf das Wesentliche konzentrieren und das würde nicht gehen, wenn sich einer der Männer in mein Herz schleichen würde.

»Emma …«

»Du bist sicher wegen dem Abendessen hier, oder?«, unterbrach ich ihn und er seufzte ergebend, strich sich noch einmal durch die dunkelblonden Haare und nickte anschließend.

»Ja, ich bin wegen dem Abendessen hier.«

»Dann lass uns gehen«, war alles, was ich sagte, ehe ich an ihm vorbeiging und durch den Flur zur Treppe steuerte. Mein Blick fiel auf die vielen Bildern, die sich an den Wänden entlang reihten.

Ryans Haus – oder besser gesagt seine Villa – war riesig und umfasste unzählige Räumlichkeiten, die ich bis jetzt noch nicht alle gesehen hatte. Ich musste mir eingestehen, dass er einen guten Geschmack hatte. Mein Zimmer war mit modernen Möbeln, einem großen Bett und einem eigenen Bad ausgestattet. Alles war hauptsächlich in schwarzen, weißen und goldenen Farbtönen gehalten.

Trotz des imposanten Luxus‘, der kaum zu übersehen war, gefiel es mir hier. Die vielen Bilder, auf denen Ryan und sein innerer Kreis abgebildet waren, hatte etwas Familiäres und brachten Wärme in dieses Haus.

Dario holte mich ein. »Emma, du weißt, dass das keine Lösung ist. Du kannst uns nicht alle weiter ignorieren.«

Konnte ich das nicht, oder wollten sie es nicht? Was es auch war, im Endeffekt war es mir egal. Ich musste an mich denken und konnte keinen weiteren Schmerz ertragen.

»Unser Herz wurde gebrochen«, flüsterte sie traurig.

So oft hatten wir unser Herz geöffnet, an das Gute geglaubt und waren in eine Dunkelheit gestoßen worden. Wir hatten in den letzten Jahren so viel verloren und so viel Schmerz erfahren, dass ich keinem einzigen mehr standhalten würde, ohne in eine tiefe, verzehrende Finsternis zu fallen. Und das, ohne jegliche Chance, jemals wieder herauszukommen.

»Wir werden das hier überleben.«

Sie hatte recht und ich würde weiterkämpfen. Tag für Tag.

Ich atmete tief durch, als wir im Essbereich ankamen, und sofort fiel mir auf, dass der Tisch nicht wie üblich mit dem Silberbesteck und den frischen Blumen gedeckt worden war. Genauso konnte ich keinen Kellner sehen, der in der Regel nur darauf wartete, bis wir uns hinsetzten und er uns duftenden Teller voller Köstlichkeiten servieren konnte.

»Mein Engel.« Lächelnd kam Ryan in seinem perfekt sitzenden, schwarzen Anzug auf mich zu und küsste meine Stirn. Ich konnte meinen Blick nicht von seiner markanten Narbe abwenden, die unterhalb seines rechten Auges, über seinen Hals führte und in seinem schwarzen Hemd verschwand.

Wie konnte sie immer noch so stark sichtbar sein? Wir Shades heilten normalerweise schnell und besaßen eine Magie, die unsere Heilung unterstützte, vor allem als Alpha, der Ryan eindeutig war.

Als ich sein tückisches Grinsen sah, schlug mein Bauchgefühl an, und augenblicklich fragte ich mich, was das alles zu bedeuten hatte.

»Ich übernehme ab hier, Dario«, sagte Ryan, und Dario nickte kurz, bevor er aus dem Raum verschwand und mich mit dem Alpha allein ließ.

Schritt für Schritt kam er näher, umkreiste mich wie ein Raubtier seine Beute. Dann blieb er hinter mir stehen. Er strich über meine Schultern, bis hinab zu meinem unteren Rücken, ehe er mich mit Schwung an sich zog und seine Hand um meine Taille schlang. Er legte meine Haare nach hinten und seine Bartstoppeln kitzelten meine Wange, als er mit seiner tiefen Stimme in mein Ohr flüsterte.

»Es wird Zeit, dass du dich erinnerst.«

Sofort fühlte ich diesen Drang, mich enger an ihn zu schmiegen, seinen betörenden Duft einzusaugen und mich ihm hinzugeben, und doch hielt ich mich zurück. Ich blieb starr und bewegte mich keinen Millimeter. »Ryan.«

Warum fühlte ich in seiner Nähe keine Angst? Ich konnte seine mächtige und vor Dominanz strotzende Alpha-Aura wahrnehmen und ich wusste doch, was er in Chicago getan hatte und wozu er fähig war.

»Du musst dich erinnern«, sagte er und drehte mich zu sich, legte seine Hand auf meine Wange und glitt hinab zu meinem Hals, strich mit seinem Daumen über meine leicht geöffneten Lippen und entlockte mir ein zartes Keuchen.

»Das ist nicht gut«, murmelte meine Natur und fühlte meine Zerrissenheit.

Doch anstatt einen Schritt zurückzugehen, reckte ich ihm meinen Kopf entgegen. »Ryan …«

Geh von mir, lass mich los. Hör auf, diese Gefühle in mir zu wecken!, schrie ich innerlich.

Aber mehr als seinen Namen, brachte ich nicht über meine Lippen.

»Wir beide machen heute einen Ausflug.«

»Jetzt?«, quietschte ich beinahe und wurde in die Realität zurückkatapultiert. Denn auch wenn er mich seit unserer Ankunft in San Francisco kein einziges Mal vergewaltigt oder angefallen hatte, blieb die Tatsache die gleiche: Ich war noch immer seine Gefangene.

Diese Erkenntnis ließ mich hart schlucken. So gesehen hatte sich nichts verändert, ich war wieder eine Gefangene eines Alphas. Doch es blieb die Frage, wer schlimmer war … Ryan oder Vlad? Beide nahmen sich, was sie wollten und während der eine seine Ziele ausschließlich mit Gewalt verfolgte, entschied sich der andere für Zuckerbrot und Peitsche. Es war verrückt und wieder einmal war ich die Marionette der Mächtigen.

»Wir werden ein Stück fahren müssen, also komm.«

Ich blinzelte mehrmals und nickte.

Als wir aus der massiven, zweiflügeligen Haustür traten, atmete ich die kühle Luft ein und sah mich um. Der Garten sah atemberaubend aus. Überall waren Bäume gepflanzt worden und um den Brunnen und den Pool waren einzigartige Verzierungen aus bunten Blumen gestaltet worden. Das Grundstück glich einem beeindruckenden Schlossgarten. Ryan zog mich an meiner Hand durch die duftenden Blumen zu der riesigen Garage, in der zahlreiche Autos und Motorräder standen. Wir steuerten einen schwarzen Maserati mit dunklem Interieur an. Ich musste unwillkürlich grinsen, denn das Auto passte irgendwie perfekt zu Ryan.

Wir stiegen ein und Ryan ließ den Motor aufjaulen.

»Wohin fahren wir?«, fragte ich, als Ryan durch das Tor fuhr und ich im Außenspiegel dabei zusah, wie sein Grundstück hinter uns immer kleiner wurde.

»Lass dich überraschen.«

»Überraschungen sind nie gut … Wir sollten uns auf alles vorbereiten.«

Sie hatte recht. Vlad hatte uns immer mal wieder überrascht und meist endete das mit noch mehr Schmerzen und Demütigungen.

War Ryan genauso?

RYAN

MEIN BLICK SCHWEIFTE IMMER WIEDER ZU EMMA, während sie hinaus aus dem Fenster blickte und die Umgebung beobachtete.

Ich hatte in der Versammlung mit Dario gesprochen und er war der Meinung, wenn ich Emmas Vertrauen zurückwollte, sollte ich sie nicht mehr so anfallen, wie ich es am Flugplatz und im Jet getan hatte. Und auch wenn ich es anfangs nicht einsehen wollte, gab ich ihm recht. Emma konnte sich nicht an unsere gemeinsame Zeit erinnern und auf keinen Fall wollte ich sie verlieren. Also hielt ich Abstand, auch wenn es mich meine gesamte Selbstbeherrschung kostete, nicht in ihr Zimmer zu schleichen oder mich nach ihrem Blut zu verzehren.

Stattdessen verbrachte ich viel Zeit in meiner Bibliothek und durchsuchte sie nach brauchbaren Informationen über Emmas verlorene Erinnerungen und möglichen Lösungen, wie sie sie zurückerlangen konnte.

»Das, was am Flugplatz passiert ist, darf nicht wieder vorkommen.«

Ich wusste, dass sie recht hatte, und doch fragte ich mich, wie sie so ruhig bleiben konnte.

»Wir müssen uns auf das Wesentliche fokussieren. Dario hat recht und er hat sie uns zurückgebracht, wir können ihm vertrauen.«

Dario war mein Beta und ich vertraute ihm blind, genauso wie den anderen Männern aus meinem inneren Kreis.

Wieder blickte ich zu ihr und konnte mein Lächeln nicht verkneifen. Ich hatte den perfekten Abend für uns beide geplant und danach würde sie sich wieder erinnern können.

»Kannst du mir nicht sagen, wohin wir fahren?« In ihren Augen flackerte etwas auf, was mich knurren ließ.

»Sie hat Angst!«, fauchte meine wahre Natur und ich hasste es. Zu gern würde ich wissen wollen, was Vlad ihr angetan hatte, doch ich wusste, dass Emma mir das nicht einfach sagen würde.

Ich schüttelte diese Gedanken weg und hielt auf einem privaten Parkplatz vor einem Restaurant, stieg aus und öffnete ihr die Tür.

Sie sah sich um und runzelte ihre Stirn.

Ich konnte mein Grinsen nicht verbergen, als ich ihre Hand nahm und losging, während ich meinen Blick umherschweifen ließ.

Mittlerweile war es abends geworden und die letzten rötlichen Streifen des Sonnenuntergangs waren am Himmel zu sehen, während vereinzelte Lichter in der Stadt angingen und einige Menschen in den Gassen umherliefen.

»Komm, es wird dir gefallen.«

»Wo sind wir?«

Ich antwortete nicht, sondern ging mit Emma an meiner Hand in das großes Glasgebäude vor uns. Wir gingen am Empfang, genauso wie an den edel gedeckten Tischen und den Kellern in vornehmen Anzügen vorbei, die den Gästen herrlich riechende Gerichte servierten und steuerten einen gold eingerahmten Aufzug an, der sich am anderen Ende des Nobelrestaurants befand.

Während die leise Musik im Aufzug unsere Stille durchbrach, fuhren wir gemeinsam nach oben. Als sich die Tür öffnete, wurden Emmas Augen größer und meine Mundwinkel zogen sich in die Höhe.

»Wir sind auf einem Dach?«

»Ja.« Und wie es aussah, hatten meine Angestellten alles umgesetzt, was ich geplant hatte. Mehrere Fackeln umrahmten das Dach, deren Flammen im Wind tanzten, und auf dem gedeckten Tisch befanden sich Rosenblüten. Der atemberaubende Blick über San Francisco war die perfekte Ergänzung dazu.

»Es sieht genauso aus wie damals.«

Das war mein Plan. Ich dachte, wenn ich ihr etwas Vertrautes zeigen würde, könnte ich ihre Erinnerungen wecken. Und dieses Bild, dass sich vor uns bot, glich unserem ersten Date, nur dass wir damals in Chicago waren und nicht in San Francisco. »Und?«

»Es sieht sehr schön aus, aber ich verstehe das alles nicht.«

Mit einem Lächeln drehte ich sie zu mir und legte meine Arme um ihre Taille. »Erinnerst du dich?«

Doch als sie ihren Kopf schüttelte, sackten meine Mundwinkel nach unten und die Dunkelheit in meinem Inneren fing an zu brodeln.

»An was sollte ich mich erinnern?«

»An das alles! Genau das hatten wir schon einmal.«

»Was meinst du?«, fragte sie verwirrt und mein Herz schmerzte.

»Unser erstes Date … Ein Essen über der Skyline mit Kerzenschein und Rosen. Wir hatten das alles, Emma.«

Ich hatte mir so sehr gewünscht, dass mein Plan funktionieren würde, dass sie sich wenigstens an irgendetwas erinnern würde. Aber dass sie rein gar nichts von dem wiedererkannte, machte mich unfassbar wütend und ich trat einen Schritt zurück.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten und stieß die angestaute Luft aus, fühlte, wie sich die Dunkelheit in mir immer mehr ausbreitete und meine wahre Natur tobte. Als Emma instinktiv zwei Schritte zurücktrat, brach ein ohrenbetäubendes Brüllen aus meiner Kehle, während ich sie mit leuchtenden Smaragd-Augen fixierte.

»Wir müssen ruhig bleiben«, sagte meine Natur. Aber was sollte ich gegen diese Wut tun? Sie kam und riss mich Stück für Stück in die Dunkelheit.

»Du erinnerst dich wirklich nicht?«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und ging auf sie zu, bis uns nur noch ein paar Zentimeter voneinander trennten.

»Es tut mir leid«, wisperte sie.

Ich griff nach vorn, umfasste ihren Hals mit meiner Hand und zog sie näher an mich heran. »Es tut dir leid?«, blaffte ich und drückte immer fester zu.

Doch anstatt sich zu wehren, hielt sie ihren Blick aufrecht und sah mir tief in die Augen, während ihre Hand auf meiner Brust landete. »Ryan.«

Ihre ruhige Stimme verwirrte mich. Warum schrie sie nicht? Warum kämpfte sie nicht gegen mich an und warum zur Hölle legte sie ihre Hand auf meine Brust?

Ein bedrohliches Geräusch kam über meine Lippen, ehe ich sie losließ, ihr den Rücken zudrehte und mir durch die Haare strich.

»Wir müssen uns zusammenreißen.«

Sie hatte leicht reden, denn die Dunkelheit zerfraß mich jeden Tag ein Stückchen mehr.

»Was denkst du, versuche ich?« Tief atmete ich durch und zischte die angestaute Luft aus, als mich sanft etwas am Oberarm berührte und mein Kopf sofort in dessen Richtung schnellte.

»Bitte, wende dich nicht ab.«

»Dreh dich zu ihr!«, befahl sie und mit einem Mal stand ich wieder vor meinem kleinen Engel, und ehe ich mich versah, lag meine Hand auf ihrer Wange und ich strich mit meinem Daumen darüber, bis ich ihre vollen Lippen erreicht hatte. »Mein kleiner Engel.«

»Sie ist wunderschön«, flüsterte meine wahre Natur. Und ja, Emma war die schönste Frau, die ich jemals gesehen hatte, und jetzt, als meine Hand auf ihrer Wange und mein Daumen auf ihren sagenhaft vollen Lippen ruhte, war ich wie hypnotisiert.

»Alpha«, hauchte sie und wir kamen uns immer näher, während unsere Blicke auf unseren Lippen hängen blieben.

»Spürst du das? Die Anziehung ist noch immer da.«

Das lag an unserm Gefährtenband. Man könnte uns Jahrhunderte voneinander trennen, doch sobald wir uns wieder sehen würden, würde das Band uns zeigen, dass wir zusammengehörten und eine Anziehung zwischen uns erzeugen. Dieses Band war unzerstörbar und jeder Shade besaß nur einen einzigen Gefährten, der von den Göttern selbst ausgesucht wurde. Wären da nur nicht Emmas verlorene Erinnerungen, die uns einen Strich durch die Rechnung machten.

Meine Mundwinkel zuckten nach oben, als kurz darauf unsere Lippen aufeinanderprallten. Unsere Zungen umkreisten und liebkosten sich, während alles um uns herum in den Hintergrund geriet. Meine Hände umfassten ihren Arsch und ich drückte Emma enger an mich, sodass kein Blatt mehr zwischen uns passte. Als ein zartes Stöhnen aus ihrem Mund drang, konnte ich nicht anders, als zu grinsen. Ich setzte vereinzelte Küsse auf ihren einen Mundwinkel, dann auf den anderen. Als sie ihren Kopf in den Nacken legte, glitt mein Mund wie von selbst nach unten und machte an ihrem Hals weiter. Ich legte ihre Haare beiseite und verspürte einen immer größeren Drang, dem ich nicht widerstehen konnte. Ich biss tief in ihr Fleisch hinein, doch sie schrie nicht auf, wehrte sich nicht. Alles, was ich vernahm, war ein leichtes Keuchen zwischen ihren Lippen.

Mit gestillter Gier leckte ich über den blutenden Biss, um ihn zu schließen, und anschließend über meine Lippen. Als sich unsere Augen trafen, sah sie mich geschockt und zugleich verwirrt an.

»Dass du meins bist, war nicht nur so dahingesagt.

Emma, du bist meine Gefährtin.«

Sie war mein kleiner Engel, mein Licht in dieser Dunkelheit. Sie war alles. Und meins.

Kapitel 2

EMMA

Du bist meine Gefährtin, hallten seine Worte in meinem Kopf wider. Das Schlimmste war, dass ich diese Worte schon so oft gehört hatte und doch war es das erste Mal, dass ich ihnen Glauben schenkte. Denn die Anziehung zwischen uns ließ meine Knie schwach werden und der Biss hatte nicht wehgetan.

»Das ist unmöglich.«

War es das wirklich?

»Er hat uns auch im Jet gebissen«, flüsterte sie und ich wusste, was sie meinte. Aber hatte ich da wirklich Schmerzen gehabt oder war es der Schock gewesen, der mich hatte aufschreien lassen? Ich konnte es nicht sagen und starrte noch immer in seine Smaragd-Augen.

»Vlad hatte uns auch als seine Gefährtin bezeichnet.«

Seine Bisse hatten wie die Hölle gebrannt, sie waren anders gewesen.

Aber dieser Kuss mit Ryan … Verdammt! Ich war sowas von erledigt. Ich wollte mich doch von den Männern fernhalten und was tat ich? Ich küsste Ryan und genoss jede seiner Berührungen und sogar den Biss.

»Das heißt noch gar nichts. Das war nur ein Moment der Schwäche, mehr nicht«, sagte sie eindringlich und ich versuchte, ihr zu glauben. Aber wir beide wussten, dass da mehr war als nur der Drang nach Nähe, und genau das verwirrte uns. Ich schüttelte diese Gedanken weg, biss auf meine Unterlippe und trat einen Schritt zurück.

»Emma«, sagte er und ich konnte die Sehnsucht in seiner Stimme deutlich vernehmen.

»Bitte nicht.« Ich konnte das in diesem Moment nicht, vielleicht würde ich dazu auch niemals mehr bereit sein.

»Wir müssen nachdenken.«

Sie hatte recht. Wir brauchten einen klaren Kopf, um unseren Riss zu schließen und unsere Flucht zu planen, und das würde nicht funktionieren, wenn ich mich von diesen Männern ablenken ließ.

»Genau, halten wir uns unseren Plan vor Augen.«

Wenn das doch nur so einfach wäre. Seufzend strich ich mir durch die Haare und als sich unsere Blicke erneut trafen, fragte ich mich, ob das alles stimmte. Konnte dieser Mann mein Gefährte sein? Hatten wir so ein Date wirklich schon einmal erlebt und wenn ja, was war geschehen, dass wir uns aus den Augen verloren hatten? Denn ich hatte gehört, dass das Gefährtenband über einzigartige Kräfte verfügte und dass sich die dadurch Verbundenen immer wieder finden würden, wenn ihre Liebe einmal entfacht wurde.

»Es gibt nur diesen einen Gefährten«, flüsterte sie.

Aber wenn er es schon immer war, wo war er gewesen, als wir in den Abgrund gestoßen wurden? Die Antwort konnte mir nur der Mann vor mir geben.

»Willst du lieber zurück nachhause oder hier etwas essen?«

»Bitte sei mir nicht böse, aber ich muss über das alles nachdenken.«

»Das kann ich verstehen, du hast deine Erinnerungen verloren und ich habe dir gerade offenbart, dass ich dein Gefährte bin.« Verständnisvoll nickte er und nahm meine Hand in die seine.

Ich brachte keinen einzigen Ton heraus und in meinem Kopf herrschte das reinste Chaos. Selbst, als wir in Ryans Maserati saßen und wieder auf seinem Grundstück ankamen, ging ich schweigend neben ihm ins Haus.

Ich erblickte Tarik, der mich besorgt aus seinem Käfig ansah, bevor ich oben in meinem Zimmer verschwand und mich auf mein Bett setzte. Ich wusste genau, was er mich das nächste Mal fragen würde, wenn ich an dem Käfig vorbeikommen würde.

»Mach dir darüber keine Gedanken, Tarik ist eingesperrt und vorerst unser geringstes Problem.«

Stimmt, aber wie sollte das alles nur weitergehen? Tarik war alles für mich gewesen und ich hatte das Gute in ihm gesehen. Jedes seiner Worte war wunderschön, und doch vergiftet gewesen.

»Vielleicht lag es daran, dass er gefangen war. Oder er war schon immer eine manipulative Person.«

Nein, das konnte ich nicht glauben. Dann hätte Dario recht und Tarik hätte mich damals in dem Fabrikgebäude die ganze Zeit über manipuliert.

»Warum muss das alles nur so kompliziert sein?«, flüsterte ich und ließ mich zurückfallen. Ich musste an den besorgten Blick von Tarik denken. Doch das, was er jetzt von mir verlangte, war falsch, und ich vertraute ihm nicht mehr. Er wusste sicher, was passieren würde, wenn ich ihn befreien würde, welche Konsequenzen auf mich warten würden, und doch versuchte er, mich zu überreden. Genauso wie er mir einredete, dass ich ihm etwas schuldig wäre.

Welcher Mann würde so etwas tun, wenn er ernsthaft lieben würde? War Tarik überhaupt noch der Mann, in den ich mich verliebt hatte und der mir Hoffnung geschenkt hatte? Oder war alles nur ein Spiel und ich die Figur auf seinem Schachbrett? Was, wenn ausgerechnet die Monster, bei denen ich hier gefangen war, die Guten waren und ich es nur nicht sehen konnte?

»Ryans Männer haben uns kein einziges Mal falsch angesehen und sie waren immer nett.«

Es schien beinahe so, als würden sie uns kennen – wie Freunde aus alten Zeiten. Scheiße! Ich brauchte meine Erinnerungen zurück, und zwar schnell, denn ohne sie konnte ich das alles nicht einschätzen. Weder Tarik, noch Dario und erst recht nicht Ryan.

TARIK

IN DEM MOMENT, ALS ICH EMMA AN MIR VORBEI gehen sah, erhob ich mich in meinem Käfig und umfasste die kühlen Gitterstäbe.

»Wir verlieren sie«, maulte meine wahre Natur aufgebracht und ich wusste ganz genau, was sie meinte. Denn mit jedem Wort, das ich ihr sagte, und mit jedem Blick, den ich ihr zuwarf, wich sie weiter von mir zurück.

»Wir dürfen sie nicht verlieren!« Aber was hatte ich bitte falsch gemacht? Ich war der Grund, warum sie all die Jahre an Vlads Seite überlebt hatte – genau das waren ihre Worte. Doch jetzt schien es so, als hätte sie mich völlig vergessen und das schürte meine Wut mit jedem Tag.

Als Ryan näherkam und mich mit einem wahnsinnigen Grinsen ansah, wich ich einen Schritt zurück und fuhr mir mit der Hand angespannt durch die Haare.

»Siehst du das, Tarik? Emma entgleitet dir jeden Tag ein bisschen mehr aus den Fingern, und du kannst rein gar nichts dagegen unternehmen.«

Die Genugtuung in seiner Stimme ließ mich knurren und meine Hände klammerten sich wieder um die Gitterstäbe.

Die Kälte des Metalls schoss durch meine Handflächen bis hinauf in meine Arme und meine Natur wurde unruhiger.

»Nicht! Denke an unsere Vereinbarung.«

»Was ist los? Willst du mich angreifen?« Ryan lachte spöttisch und seine Smaragd-Augen leuchteten auf.

»Du könntest mich rauslassen, dann sehen wir, wer stärker ist, falscher König!«

»Lass das. Wir müssen uns an unseren Plan halten und die Männer gegenseitig ausspielen und nicht selbst zum Opfer werden, Tarik, verdammt!«, schrie meine wahre Natur und ich konnte darüber nur lachen. Unser Plan ging schon seit Monaten nicht auf und es machte keinen Sinn mehr. Warum sollte ich mein Schicksal nicht einfach akzeptieren, anstatt ihnen zu zeigen, wozu ich fähig war? Wieso sollte ich mein Geheimnis weiter hüten, wenn ich dadurch alles verlor? Ich sah keinen Grund dafür und meine Geduld neigte sich dem Ende zu.

»Das ist es, was du willst? In einem Kampf gegen mich sterben?«, rissen mich Ryans Worte aus meinen Gedanken und ich blickte finster zu ihm.

»Hast du Angst, zu verlieren?«

Lachend schüttelte er seinen Kopf. »Auch wenn du mich besiegen würdest, was ich nicht glaube – denkst du wirklich, du würdest hier lebend rauskommen?«, sagte er, kam näher und strich sich durch seine dunklen Haare. »Meine Männer würden dich töten. Sie würden sich an dir rächen, auch wenn ich gefallen wäre. Und diese Rache wäre mein Vermächtnis.«

Seine Worte verpassten mir eine Gänsehaut und ich stolperte zurück, da ich genau wusste, dass er die Wahrheit sagte. Seine Männer waren anders als die von Vlad. Sie würden Ryan bis in den Tod verteidigen und seinen Namen auch darüber hinaus in Ehren halten. Diese Männer waren, so sehr ich es auch hasste, loyaler als alle anderen, denen ich jemals begegnet war. Sie waren sein innerer Kreis.

»Wir werden es hier rausschaffen und mit Emma fliehen. Aber bis dahin müssen wir die Füße stillhalten und verdammt noch mal unser Geheimnis hüten, hast du verstanden!«, brodelte meine Natur, und ich stimmte ihr stumm zu.

»Was? Hat es dir die Sprache verschlagen?«, versuchte Ryan mich zu provozieren und lachte dunkel.

»Du wirst schon sehen, früher oder später werde ich hier rauskommen«, war alles, was ich sagte, ehe ich mich an den hinteren Gitterstäben auf den Boden sacken ließ.

»Das glaube ich kaum. Sieh es ein, Tarik: Ich habe gewonnen. Ich habe Vlad in die Knie gezwungen. Emma ist wieder hier bei mir und du steckst wieder einmal in einem Käfig fest. Du, Tarik Valdor, bist nichts weiter als ein Bauernopfer.«

Ich wollte ruhig bleiben, seine Worte einfach ignorieren, aber es wurde immer schwieriger.

»Du bist ein Niemand, selbst Vlad bist du egal«, hetzte er weiter und in diesem Moment war es um mich geschehen. Ich hielt es nicht mehr aus, raste auf ihn zu und stach mit meinen Krallen durch die Gitterstäbe, aber er war schneller und wich mir aus, bevor er mich mit einem noch breiteren Grinsen angaffte.

»Du verdammter Idiot.«

»Sieh an, da ist deine Natur wieder.«

Fuck! Sofort trat ich zurück, ließ meine Krallen verschwinden und setzte mich wieder auf den Boden.

»Du lässt dich viel zu leicht provozieren«, meckerte meine Natur, was mir jetzt auch nicht weiterhalf.

»Irgendwann wirst du es nicht mehr kontrollieren können, Tarik.«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

Spöttisch lachte er auf. »Ich weiß, dass du etwas verheimlichst und auch wenn ich deine Natur spüren kann, fühle ich da noch etwas ganz anderes«, sagte er und kam näher. »Nur bestimmte Shades können ihre Aura verbergen.«

Das war nicht gut. Er kam meinem Geheimnis immer näher und das nur, weil ich mich nicht zusammenreißen konnte.

»Ich werde herausfinden, wer du tatsächlich bist. Das ist mein Versprechen an dich«, sagte er und trat aus dem Raum.

»So weit hätte es niemals kommen dürfen.«

In all den Jahren hatte ich meine Aura verdeckt, den Zauber dafür immer wieder aufgefrischt und die Kontrolle darüber niemals verloren. Doch jetzt drohte mir alles aus den Fingern zu gleiten und langsam bereute ich es, dass ich Dario und Emma damals zum Flugplatz gefolgt war, anstatt in eine andere Richtung gegangen zu sein.

»Ich habe dich gewarnt. Ich habe dir gesagt, dass wir nicht mit zu Ryan gehen sollten.«

Half es mir, jetzt über vergangene Entscheidungen nachzudenken? Ich konnte meine Lage nicht mehr ändern.

»Wir sollten unsere Priorität ändern«, sagte meine wahre Natur, aber ich konnte ihr nicht folgen.

»Was schlägst du vor?«

»Wir sollten unser Geheimnis schützen und alle auf eine falsche Fährte führen. Erst, wenn wir das geschafft haben, sollten wir uns wieder Gedanken um Emma machen.«

»Du willst Emma hintanstellen?«, fragte ich.

»Sie ignoriert und entgleitet uns immer mehr. Wir sollten uns jetzt auf unser Geheimnis fokussieren, denn sollten sie herausfinden, wer wir tatsächlich sind, wäre das unser sicherer Tod, und das weißt du.«

Sie hatte recht, und wenn wir tot wären, würden wir Emma auch nicht mehr helfen können. Doch wie genau sollten wir eine falsche Fährte legen? Wir steckten noch immer in diesem bescheuerten Käfig fest, und Ryan oder seine Männer kamen, wann immer sie wollten, in den Käfig und fügten uns neue Wunden zu, sodass wir nie komplett heilen konnten.

»Auch das werden wir schaffen, wir dürfen uns nur nicht provozieren lassen.«

Wenn das so einfach wäre. Ich wollte mich nicht provozieren lassen, aber diese Männer machten mich wahnsinnig und ich hatte alle Mühe, ihnen nicht meine verdammte Aura um die Ohren zu klatschen, und ihnen zu zeigen, wie mächtig ich in Wirklichkeit war.

Denn unsere Aura war etwas Besonderes und vor allem die Adeligen und Mächtigen in unserer Welt besaßen eine außergewöhnliche Art. So hatte ich Dario erkannt, als er mir seine Aura gezeigt hatte.

»Wir könnten uns etwas zur Beruhigung überlegen«, schlug meine Natur vor und ich lachte bitter auf. Aber sicher doch, am besten zählte ich langsam runter oder suchte meine innere Mitte, wenn ich das nächste Mal kurz vor einem Ausraster stehen würde. Ich schüttelte meinen Kopf und lehnte mich an die Gitterstäbe.

»Wir tun das Richtige, Tarik. Wir müssen nur durchhalten.«

Ich konnte nur hoffen, dass sie damit recht behalten würde.

EMMA

EINE ZEITLANG LAG ICH IN MEINEM BETT, STARRTE die Decke an und sprach mit meiner Natur. Als ich auch Stunden später keinen Schlaf gefunden hatte, stand ich auf und zog mir über mein dünnes Seidenkleidchen eine schwarze, lange Stoff jacke darüber.

Ich atmete tief durch und blickte mich in meinem Zimmer um. Tatsächlich mochte ich es sehr gern.

Das Bett war riesig und die dunkle Bettwäsche kuschelig weich. Der große, weiße Kleiderschrank und die graue Kommode waren voller extravaganter Kleidungstücke, die Ryan für mich hatte kaufen lassen. Selbst einen Schminktisch mit einem großen Spiegel hatte er arrangieren lassen und das kleine angrenzende Bad lud zum Wohlfühlen ein.

Ryans Villa glich einem verdammten Schloss aus der modernen Neuzeit.

Ich blickte zu der Uhr, die auf meiner Kommode stand, und stellte fest, dass es mittlerweile weit nach Mitternacht war.

»Der Kuss hat uns einfach aus der Bahn geworfen«, maulte meine Natur und ich musste ihr zustimmen.

Aber das war nicht das Einzige, was uns irritierte, denn auch der Biss war anders, als ich es bisher kannte. Er hatte nicht wehgetan, er hatte uns sogar gefallen, und das warf noch mehr Fragen auf.

»Bei Vlad war es eine Qual, wir haben es gehasst. Bei Ryan fühlte es sich beinahe schon zärtlich an.«

Das war doch nicht normal. Wie konnte das sein?

»Vielleicht stimmt es ja, und wir sind seine Gefährtin«, überlegte meine Natur angestrengt und ich stöhnte auf. Vlad hatte uns all die Jahre eingeredet, dass wir die Seine seien, und jetzt sagte Ryan das Gleiche. Wem sollte ich trauen und wer sagte die Wahrheit? Ich hatte keine Ahnung.

»Aber uns hat der Biss gefallen, er tat nicht weh.«

»Das weiß ich doch!«, zischte ich zurück, denn genau da war das Problem. Wir wollten uns darauf konzentrieren, unseren Riss zu schließen und von hier wegzukommen. Aber was geschah? Wir hatten nicht nur den Kuss genossen, sondern auch den Biss und die Nähe zu Ryan.

»Er ist so anders als auf dem Flugplatz«, wisperte meine Natur und ich seufzte.

Tief atmete ich durch, bevor ich die Tür öffnete und den Flur entlang ging. Vorsichtig nahm ich jede Stufe der Treppe und drehte mich immer wieder um, doch ich konnte niemanden sehen oder hören.

Als ich unten ankam und durch das Wohnzimmer in die Küche gehen wollte, spürte ich sofort, wie sich Tarik erhob und jeden meiner Schritte beobachtete. Eine Gänsehaut zog sich über meine Arme.

»Wir hätten durch die andere Tür gehen sollen.«

Ich hatte nicht darüber nachgedacht und angenommen, Tarik würde um diese Uhrzeit schlafen. Abgesehen davon war das der schnellste Weg.

»Emma«, brachte er flüsternd über seine Lippen und ich blieb vor seinem Käfig stehen. Schluckend blickte ich zu jenem Mann, dem ich vor ein paar Monaten noch mein Leben anvertraut hatte, für den ich alles getan hätte.

»Emma«, sagte er erneut.

Auch wenn er ab und an frische Kleidung in den Käfig geworfen bekam, konnte ich durch das hereinleuchtende Mondlicht deutlich das getrocknete Blut seiner Verletzungen darauf erkennen.

»Hör auf, mich zu ignorieren«, keifte er wütend und kam so schnell an die Gitterstäbe heran, dass ich reflexartig zurückstolperte.

»Warum hast du Angst vor mir?« Zornig umfasste er die Gitterstäbe und seine Augen leuchteten in ihren Bernsteinfarben auf.

Ich wollte so viel sagen, ihn anschreien, warum er sich so verändert hatte und doch blieb ich stumm.

»Emma!«, brüllte er und schlug mit seinen flachen Händen gegen die Stäbe, die uns trennten.

»Ich … Du bist anders«, brachte ich leise hervor und er lachte dunkel auf.

»Wie soll ich denn sein? Ich stecke in diesem Käfig und du bist dir zu fein, etwas dagegen zu unternehmen«, blaffte er mir entgegen. »Hast du vergessen, was ich alles für dich getan habe? Wer für dich da war, als du nicht mehr weiterwusstest?«

»Tarik …«, setzte ich an.

»Nein! Du bist mir etwas schuldig. Du solltest auf mich hören, denn ohne mich wärst du schon längst tot.«

Seine Worte verankerten sich immer tiefer in meiner Seele und die erste Träne drängten sich an die Oberfläche.

Wie konnte sich der Tarik, der immer für mich da gewesen war und mir in den dunkelsten Momenten meines Lebens das Licht gezeigt hatte, so verändern? War das wirklich meine Schuld? Hatte ich ihn zu diesem Mann gemacht?

Ehe ich etwas erwidern konnte, wurde ich von zwei starken Armen nach hinten gezogen und sofort drang ein bekannter Geruch in meine Nase.

»Wie kannst du nur so mit der Prinzessin reden!« Dario baute sich vor dem Käfig auf und sein gesamter Körper spannte sich an.

»Wie ich mit ihr rede, geht dich einen Scheißdreck an, Dario.«

»Ich hätte dich damals an dem Gift verrecken lassen sollen«, bruddelte Dario und schob mich immer weiter zurück, bevor er meinen Körper nach Verletzungen untersuchte. »Hat er dich irgendwo getroffen?« Besorgt drehte er meine Arme umher und suchte meine Taille ab.

»Nein, alles gut.« Wenn ich mein Herz nicht miteinrechnete, war mir nichts passiert.

»Tarik ist nicht länger unser Freund«, sagte meine Natur mit einer Eiseskälte, die mich zusammenzucken ließ.

»Emma.«

Mit Tränen in den Augen sah ich zu Dario, der mich aus dem luxuriösen Wohnzimmer und aus Tariks Blickfeld in die großräumige Küche brachte.