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Was passiert, wenn deutsche Dramatik auf kanadisches Theater trifft? Eine Menge. Weil Maria Milisavljević ihre preisgekrönten Theaterstücke für nordamerikanische Bühnen völlig neu überschreibt. Aus einem entstehen zwei. In Bruchstücke sind diese beeindruckenden Variationen erstmals zweisprachig abgedruckt: Brandung / Abyss, Beben / Noise, geteilt / about a woman. Ein einzigartiger dramatischer Einblick in zwei völlig unterschiedliche Theaterlandschaften. »Grenzausreizung der Sprache von Milisavljevic besteht darin, dass sie sich traut, wuchtige, poetische Worte neben Alltagssprache zu stellen, weder Kitsch, Pathos, Rätsel noch deren Brechung scheut.« nachtkritik.de Abgedruckt in Bruchstücke sind: Brandung / Abyss Beben / Noise geteilt / about a woman.
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Seitenzahl: 416
Maria Milisavljević
Bruchstücke
bruised. not broken
Herausgegeben von Friederike Emmerling und Stefanie von Lieven
FISCHER E-Books
Mit einem Nachwort von Andrea Vilter, an Afterword by Richard Rose und fünf Fragen an die Autorin
Maria Milisavljević im Gespräch mit Friederike Emmerling
Liebe Maria, du schreibst viele deiner Theaterstücke auf Deutsch und überträgst sie dann ins Englische. Sie unterscheiden sich aber nicht nur in der Sprache, sondern auch in der Form. Warum?
Das stimmt. Sie unterscheiden sich auch im Bezug auf den kulturellen Kontext, Referenzen und in der Gestaltung der Figuren. Manchmal, wie im Fall von geteilt/about a woman, auch sehr stark in der Form. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber immer darauf gerichtet, dass der Text im jeweiligen Theaterkontext mit seiner Aussage die größtmögliche Wirkung erzielt. Vlado, als Beispiel, redet in Brandung eher wenig, zitiert ein oder zweimal ein Gedicht. In Abyss erklärt er sich viel mehr, das Gedicht wird zu einem wiederkehrenden Thema, das seinen Gefühlszustand spiegelt. Das liegt zum einen daran, dass im kanadischen sozialen Kontext − in dem Abyss zwei Jahre entwickelt wurde − zu viel Schweigen unhöflich und komisch wirkt. Die Schauspieler*innen brauchten mehr Text, um die gleiche Figur, mit den gleichen Gefühlen, Gedanken und Intentionen, spielen und durchdringen zu können. Bei Beben/Noise sind es die Popkultur und politischen Referenzen, die, dem Verständnis und der Komik halber, lokal angepasst werden mussten. Bei geteilt/about a woman waren es das kanadische Workshoppen (mit Schauspieler*innen) und das deutsche Lektorat des Urtextes, welche zu zwei formal sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt haben. about a woman löst die Konflikte über Dialoge, geteilt verhandelt sie vielmehr in der Form, was wiederum in einem kanadischen Theaterkontext, wo das Publikum viel mehr in naturalistischen Formaten zuhause ist, ich weiß nicht, verwirrend oder ungewohnt und daher nicht so gut durchlebbar wäre.
Du hast einige Jahre in Kanada am Tarragon Theatre in Toronto gearbeitet und warst da auch Playwright in Residence. Wie hast du die Auseinandersetzung mit Neuer Dramatik in Kanada empfunden? Gibt es Unterschiede zu Deutschland?
Es gibt tatsächlich sehr große Unterschiede. Kanadisches Theater steht in anglophoner Tradition. Daher ist die Rolle der Dramatiker*in sehr wichtig, und der Text, wie eine Regisseurin mal zu mir sagte, »die wichtigste Person im Raum«. Neue Dramatik wird sehr hochgehalten und macht − außer in Stratford beim Shakespeare Festival und in Niagara-On-The-Lake beim Shaw Festival − gut und gerne 70 bis 90 Prozent der Spielpläne aus. Die meisten Theater und Companies begreifen sich als Autor*innentheater. Sie greifen neue Stoffe auf, diese werden in Workshops entwickelt, von Anfang an mit Autor*innen, Regie und Spieler*innen. So wächst der Text im Team, ohne dabei die Rolle und das Können der Autor*in in Frage zu stellen, sondern viel mehr als Unterstützung. Ich wurde im Laufe von Stückentwicklungen oft gefragt, ob ich noch einen Workshop brauche, wann und mit wem. Habe also auch immer mit gecastet.
So entstehen Spielzeiten mit relativ wenig Klassikern, einigen Wiederaufnahmen und Nachspielen, und sehr vielen, neuen Stoffen. Diese sind auch nicht immer heutig, können auch historisch angelegt sein. Neue Dramatik darf sehr viel in Kanada − außer postdramatisch oder Textfläche sein (Lacht).
In Deutschland kann von so einer Quote bei weitem nicht die Rede sein. Woher kommt die breitflächige Akzeptanz neuer Dramatik in Kanada? Was könnte Deutschland konkret von Kanada lernen?
Der Fokus auf Autor*innen und damit die Akzeptanz neuer Texte ist historisch begründet, wenn auch oft auf unterschiedlichste Weise erklärt: Mit Shakespeare als dem Urvater der Englischen Dramatik, Shaws Stücken zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit der Orientierung des englischen Theaters Richtung Frankreich in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und um Theatermacher wie Michel Saint-Denis und George Devine am Old Vic und später am Royal Court oder dem Workshop Joan Littlewoods in den 1950ern.
Egal, was nun stimmt, was man in der anglophonen Tradition eben immer noch spürt, ist die klare Abwesenheit eines regiegetriebenen Theaters. Es steht immer der Text an erster Stelle. Ich sage hier auch bewusst der Text, denn Produktionsrealitäten decken sich nicht zwingend mit dem gern hochgehaltenen Anspruch, dass die Autor*innen immer das letzte Wort haben. Denn auch in England, Kanada und den U.S. A. ist klar, die Produktion muss gut werden. Und Egos, auch Dramatiker*innenegos, können da im Weg stehen. Auch wenn es rechtlich möglich wäre, eine Produktion über eine gestrichene Zeile zu kippen, macht niemand das. Warum auch?
Genau das ist mir auch wichtig, wenn es darum geht, was Deutschland von Kanada lernen kann. Es geht ja nicht darum, einfach nur die Personen innerhalb von Macht- und Hierarchiestrukturen zu vertauschen. Es geht darum, eine produktive Zusammenarbeit zu entwickeln, in der jede Stimme Gehör hat. Das ist es, was ich mir aus Dramatiker*innensicht wünsche: Theaterautor*innen als Teil der Regieteams und/oder Ensembles, als Teil des Theaterbetriebs. Ich wünsche mir aber eben auch starke Regiehandschriften. Die sind in der anglophonen Tradition leider eher rar.
Du setzt dich stark für die Belange deutscher Dramatiker*innen ein. 2020 hast du mit anderen zusammen das theaterautor*innennetzwerk gegründet. Was willst du verändern?
In den letzten Jahren haben viele von uns festgestellt, dass eine erhebliche Anzahl von Theatermacher*innen gar nicht so recht weiß, was wir als Autor*innen so machen, wie wir das machen, was wir können, was wir leisten und beitragen wollen. Das hat nichts mit Desinteresse zu tun, sondern mit nicht etablierten Kommunikationsstrukturen. Regisseur*innen oder Dramaturg*innen und auch Spieler*innen, die sich neuen Stoffen widmen oder Ideen und Konzepte schmieden, kommen oft nicht auf die Idee, dass Autor*innen an Bord durchaus Sinn ergeben, und wenn sie es tun, dann wissen sie oft nicht, wen wie ansprechen.
Das hört sich fast zu einfach an, ist aber das, was wir in Gesprächen mit anderen Gewerken gemeinsam festgestellt haben. Es zeigte sich: Dramaturgien haben Lust auf neue Texte, aber oft nicht die Zeit zu suchen. Regieteams haben das Bedürfnis danach, dass jemand schreibt »der*die es kann«, aber nicht die Zeit und Ressourcen, diese Position von Anfang an mitzudenken.
Wir als theaterautor*innen-netzwerk haben es uns als höchste Priorität gesetzt, den Austausch und das Vernetzen zwischen den Gewerken zu fördern. Gemeinsam mit dem Verband (VTheA) arbeiten wir an Sichtbarkeit, Solidarität und Fairness. Da zählen dann Aspekte wie Transparenz, Arbeitsbedingungen und Strukturveränderungen mit rein − im Bezug auf den Betrieb, aber auch auf Preisgelder- und Stipendienvergaben. Wir vom netzwerk sind jedoch an der Stelle radikaler, dass wir Autor*innen in Regieteams und an den Häusern als feste Positionen sehen. Wir sehen uns als Theatermacher*innen. Nicht nur am Schreibtisch.
Wenn du irgendwann einmal ein eigenes Theater gründen würdest, wie müsste es heißen?
Das Eleonore Kalkowska Theater mit Christa Winsloe Salon, Ilse Langner Lounge, usw.
Liebe Maria, vielen Dank für das Gespräch.
Um meine Geschichte zu erzählen, muß ich weit
vorn anfangen. Ich müßte, wäre es mir möglich,
noch viel weiter zurückgehen, bis in die allerersten
Jahre meiner Kindheit und noch über sie hinaus in die
Ferne meiner Herkunft.
(Hermann Hesse – Demian)
ICH
ER
SIE
nicht älter als 35 Jahre
ER
What’s so funny?
ICH
Nothing.
ER
What’s so funny?
ICH
Absolut gar nichts.
Vlados Augenringe, Halbmonde unter den blauen Augen, sind seit gestern, vorgestern
ER
seit zwei Tagen
ICH
tiefe Furchen, grau-lila schimmernd. Also keine Farbe, weil weder grau noch lila Farben. Violett wäre ein Veilchen, aber das wäre falsch. Die Wucht der Schlaflosigkeit nicht fremder Fäuste ist schuld an der Färbung.
Ich lächle.
ER
What’s so funny?
ICH
Nichts.
Ich hatte mal ein Kaninchen, das nannte ich Grey. Grey war farblos. Seine Augen schimmerten.
An einem Samstag um 10.00 war ich in der Schule, und Grey wurde geschlachtet.
SIE
So ist das mit Deutschen Riesen.
ICH
Ich kam aus der Schule.
SIE
Ich hab dir den Schwanz verwahrt.
ICH
Spannend jetzt, was bleibt vom Deutschen Riesen
SIE
der Schwanz
ICH
war oben schwarz und unten weiß … aufgespaltene Farblosigkeit.
Martina hat ihn an ein Lederband gebunden. Nett von ihr.
Danke.
SIE
Bitte.
ICH
Und Vlado, der ist über Nacht geschrumpft. Das macht er seit gestern, vorgestern
ER
seit zwei Tagen.
ICH
Vielleicht hat er ein Ziel.
Du wirkst irgendwie kleiner.
ER
Red keinen Scheiß.
ICH
Ich denke an Karla.
SIE
Zum Selbermachen Teil I
Man braucht:
1 Schlüsselbund
Vorhängeschloss aufschließen, Riegel zur Seite, dicken Schlüsselbund hängen lassen am Schloss, Schloss mit Schlüsseln dran an den eigens dafür angebrachten Haken oberhalb des Türchens hängen, Tür öffnen, ins Dunkel greifen, Fell fühlen, Ohren ertasten, die Ohren fest greifen, am langen Arm festhalten, wegen der Krallen und dem Zappeln, herausnehmen, auf den Boden drücken.
ICH
Vlado erträgt keine Musik mehr, seit gestern, vorgestern
ER
seit zwei Tagen.
ICH
Wortlos geht er zum Radio, CD-Player,
ER
whatever
ICH
und switched den Scheiß aus.
Ich weiß, dass er denkt:
ER
Ich switch the shit aus.
ICH
Er denkt, redet zweisprachig. Deutsch
ER
Englisch.
ICH
Vlado, warum nicht Kroatisch?
Martina hatte auch ein Kaninchen. Das nannte sie Blacky. Die macht keine halben Sachen, die Martina:
SIE
Blackys Schwanz war ganz schwarz.
ICH
Nicht so gespalten, unentschieden.
Den Samstag hielt ich beide in der Hand, ganz weich und hielt mir beide an die Wangen, links und rechts, fast wie kuscheln.
SIE
Tolles Spielzeug!
ICH
Die Kinder in der Stadt würden töten für so ein weiches kuscheliges Spielzeug.
SIE
Wir auch.
ICH
Ich stehe auf, Vlado zuckt nicht, ist geschrumpft, seit gestern, vorgestern
ER
seit drei Tagen
ICH
gehe in mein Zimmer. Martinas Nummer ist auf der drei, gleich hinter Vlado (Mitbewohner, Bestfreund, alte Seele, Karlas Liebster
ER
und so.)
ICH
und vor Karla.
Es tutete einmal, als Martina abnimmt.
Sie ist nervös seit gestern, vorgestern.
SIE
Hallo.
ICH
Hast du zufällig schon die Zeitung von heute gelesen?
SIE
Nein. Du?
ICH
Nein.
SIE
Wie geht’s Vlado?
ER
Gar nicht.
ICH
Martina kommt gleich vorbei.
Schritt über die Schwelle in die Küche.
Vlado. Immer noch hinter der Zeitungswand.
Martina kommt gleich vorbei.
Schritt über die Schwelle in die Küche.
Vlado ist fort, einzelne Zeitungsseiten, flatternd im Raum, riesige Vögel, druckschwarz, der Boden ein Lügenmorast, ich rutsche aus über Glibber, Gallert. Wie zertretene Augen.
SIE
An einem Samstag um 10.00:
ICH
Martina hält mir ihre zue Hand hin. Quietscht ein:
SIE
Hallo!
ICH
Öffnet dazu die Hand, darin ein Auge. Ein kleines Auge. Es guckt mich an.
ER
Kaninchenauge sei wachsam.
SIE
Ich zeig das Papa.
ICH
Und sie rennt weiter.
Es ist Zeit, die Heute-Zeitung von unten zu holen, doch ich fühle keinen Boden unter den Füßen.
ER
Vlado: Blaue Augen, schwarze Locken, schulterlang, Drei-Tage-Bart, braune Lederstiefel (zwei Paar: eins neu, eins alt)
SIE
Martina: mal braune, mal grüne Augen, braune Wuschelhaare, knallroter Nagellack, Wanderschuhe (Klasse C).
Hab ich die hier stehen lassen?
ICH
Ich: graue Augen, aschblondes Langhaar, rote Wangen (Was das soll?) –
SIE
Karla: grüne Augen, rote Mähne, Sommersprossen (Klischee), pinke Pantoffeln –
ICH
Die räum ich besser mal in den Schrank.
SIE
– momentan in roten Gummistiefeln.
ICH
Und ein Paar Socken von Jo, liegen seit neuestem da.
ER
Jo: braune Augen, Pony ins Gesicht, Grübchen in den Wangen, draußen nicht auf Socken, sondern in gelben Chucks.
ICH
… hat seit drei Tagen nicht angerufen.
Vorbei an den Schuhen, rein ins Treppenhaus. Fünf Stufen zum Briefkasten. Fünf Stufen: oben, die oberste Stufe für Goran, Goran das ist Vlados Papa, drunter Birgit (drunter! Aber das findet Vlado nicht lustig).
ER
Ist auch nicht lustig.
ICH
Dann Milena und Dejan, die Zwillinge und die letzte, Martina. Ich soll auch wen haben, sagt Vlado. Und er hat den Steinstufen Namen gegeben, damit er an seine Familie denkt – seinen Papa, dessen neue Frau und die Kinder.
Goran
Birgit
Milena
Dejan
Martina
Der Briefkasten.
Die Zeitung.
Karla?
SIE
Zum Selbermachen Teil II
Man braucht:
1 Holzknüppel (Durchmesser mindestens 2 cm)
Fest auf den Boden drücken, Knie auflegen, dass die Beine nicht auskommen, dann schnell Handwechsel, den schon bereitgelegten Knüppel fassen, weit ausholen, heftig an den oberen Nackenwirbeln aufprallen lassen, den Schlag ggf. wiederholen.
ICH
Karla: grüne Augen, rote Mähne, Sommersprossen (Klischee), aber nicht zu finden … in der Zeitung.
Das Klingelläuten hallt aus der Wohnung ins Treppenhaus. Ich strecke den Arm aus und öffne Martina die Tür.
Nichts. Sie sieht mich an: braune Augen, rote Ränder.
Nichts. Kein Wort.
SIE
Ich weiß.
ICH
Wie kann das sein?
SIE
Weiß nicht, vielleicht morgen.
SIE
VERMISST. Karla Zuckowski, 24.
Zuletzt gesehen vor der Edekafiliale in der … am … gestern, vorgestern, vor vier Tagen. Karla trug eine blaue Jeans, einen dunkelgrünen Parka mit Kapuze und rote Gummistiefel, als sie verschwand. Bei sich hatte sie eine gelbe Einkaufstasche mit der Aufschrift:
ER
Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen überall hin.
ICH
Bevor Vlado versuchen kann zu weinen – was sich bei ihm anhört wie Hustensaft verschlucken und zu viel Brause in die Nase bekommen haben.
In der Zeitung stand wieder nichts.
SIE
Scheiße.
ICH
Vielleicht morgen.
SIE
Glaub ich nicht. Is auch egal. Müssen wir’s halt selber machen. Hier ist der Plan.
ICH
Keine halben Sachen.
SIE
Du hast weiter versucht, sie zu erreichen?
ER
Nichts.
ICH
Der gewünschte… antwortet nicht.
SIE
Also, ich hab jetzt ihre gesamten Freunde im Netz durch, und hier sind erst mal 500 Kopien, überall in der Stadt verteilen.
ICH
Vlado kriegt Kopfweh, das sieht man daran, dass er so gerade dasitzt. Martina, denkt, »allzeit bereit«, der.
ER
Aber nur Kopfweh.
SIE
Du rufst Jo an. Er soll ’ne Homepage machen. Meinste, das macht er? Ich schick dir die Bilder und –
ICH
Ich bekomme Kopfweh, muss grade sitzen.
SIE
Hast du Kopfweh?
ICH
Martina kennt mich. Und Vlado wäre jetzt lieber am Meer.
ER
Rauschen im Kopf.
ICH
Kopfweh, Gedanken.
SIE
Du rufst Jo an.
ICH
Ich nicke und sitze neben Vlado am Meer.
ER
Beautiful, isn’t it?
ICH
Vlado, warum nicht Kroatisch?
ER
Does it matter?
ICH
Wir sitzen auf Stein, hinter uns die Böschung, drüber das Haus von Vlados Großeltern, vor uns die Wellen, weit draußen die sinkende Sonne. Der rote Schimmer. Es riecht nach Fisch in gebratenem Knoblauch. »Ja, wunderschön«, sagt Karla, und der Wind spielt in ihren Haaren. Der rote Schimmer. Vlado hält ihre Hand.
Ich sehe es rot in Vlados Augen aufblitzen. Hinter uns der Berg dreckiges Geschirr und der Geruch von angebrannten Fischstäbchen.
SIE
– es geht um Leben und Tod.
ICH
Und Vlado wird die Stadt absuchen: all die Straßen, all die Gassen, runter zum Fluss.
ER
Wir werden sie finden.
ICH
Ich drücke ihn an mich, zu viel Brause in der Nase.
SIE
Das war mal etwas Gutes.
ICH
Als Martina und ich noch klein waren. Gestern, vorgestern
ER
vor vier Tagen.
ICH
Ich drücke ihn an mich. Vlados Herz schlägt den Rhythmus des meinen. Im Moment etwas lauter.
SIE
Zum Selbermachen Teil III
Man braucht:
1 Strick
Sobald es ruhig ist, nimmt man den Strick.
ICH
Nein, noch nicht. Ich ruf erst Jo an.
SIE
Leben und Tod.
ICH
Wir werden sie finden.
ER
Jo.
ICH
Jo?
ER
Ja.
ICH
Hey.
ER
Hi.
ICH
Hier ist –
ER
Ich weiß.
ICH
Er grinst. An Jos Stimme hört man, wenn er grinst, und mich freut das.
Jo, ich brauche deine Hilfe.
ER
Dann komm doch vorbei –
ICH
Sind ja nur zwei Straßen.
ER
– wenn du magst.
ICH
Mhm… ja.
Ich mag.
Bis gleich.
Ich hab das Gefühl, Jo tut gut. Jetzt, morgen, übermorgen, vielleicht in fünf Tagen.
SIE
Wer weiß.
ICH
Vlado ist einen Kopf größer als ich. Immer wenn ich von ihm erzähle, glauben alle, er sei so groß wie ich. Nein, Vlado ist einen Kopf größer als ich, und seine Zähne sind strahlend weiß. Hat mal jemand, ein Mädchen mit glänzendem Lipgloss, gesagt:
SIE
Vlado. Der Name sagt alles.
ICH
Was?
SIE
Zum Beispiel unschöne Zähne.
ICH
Vlado ist Deutscher.
ER
Sind wir das nicht alle?
ICH
Wir alle.
SIE
Neuerdings.
ICH
Ich ziehe mich heute schwarz an. Ich mache das so, weil sich das richtig anfühlt, nicht von wegen Symbol. Habe das schon vor sechs Tagen gemacht.
SIE
Farbe?
ICH
Ich hab die roten Wangen.
SIE
Was das soll?
ICH
Martina sah als Kind aus wie ein wunderschöner Junge, dann wuchsen ihr Schillerlocken, und sie wurde an Fasching Prinzessin. Ich Clown, rote Herzen auf den roten Wangen: Rote Wangenherzen.
SIE
Herzwangen.
ICH
Ich hatte bei der Geburt ganz lange Haare.
SIE
Am ganzen Körper.
ICH
Schön weich, kuschelig, reiben an den Wangen.
SIE
(Die Kinder in der Stadt …)
ICH
Und Opa freut sich. Der Arzt hat gesagt: »Der Papa Spanier.« »Nein, der Opa Jugoslawe.« Damals Jugoslawe, später wird Opa sagen
ER
Serbe
ICH
das macht ihn stolzer, trauriger.
Martina ist 1 cm größer als ich, aber ich war zuerst da.
ER
Goran
Birgit
Milena
Dejan
Martina
ICH
Die Absätze von Vlados Stiefeln knallen auf dem Asphalt. Ich gehe auf die Straße und höre sie in der Ferne; in den Straßen
ER
in den Gassen
SIE
unten am Fluss.
ICH
Etwas lauter als meine.
Neun Ecken zu Jo und ich muss ihm sagen, dass eine Freundin vermisst wird, vor ihm verbergen, wie sehr unsere Herzen flattern, zerrissen, Fetzen im luftleeren Raum, die von oben herabblicken wollen, die Luft anhalten, um keine Minute zu verlieren, in den Straßen, den Gassen, unten am Fluss. Den Strich durch die Rechnung machen die Grübchen. Jo ist neu, er ist noch echt. Er lächelt. Ich könnte heulen und mache es einfach mal.
Jo, erwartete Reaktion:
ER
Oh.
ICH
Suchender Blick, die Tränen umgehend.
ER
Was ist denn los? Ähh, ähh. Zögerndes »Komm rein«. Peinliches Schweigen.
ICH
Jo, tatsächliche Reaktion:
ER
(Reaktionsphase 1 Sek.)
ICH
Feste Umarmung. Kuss auf die Haare (Jo ist größer als ich) und er wartet, bis ich sage
Es geht wieder
ER
streicht mir mit den Fingerrücken über die Wange, Wangenherzen und nimmt meine Hand.
ICH
Wir gehen in die Wohnung. Schweigend.
ER
Ich mach dir ’nen Tee.
ICH
Tee ist gut.
SIE
Vlado trinkt nur Kaffee, schwarz, russisch, das heißt Rest in der Tasse oder spucken.
ICH
Und Jo, der hat »Seele«-Tee.
ER
Das is ’n ayurvedischer Tee. Schmeckt aber ganz gut.
ICH
Entschuldigt sich.
SIE
Was das soll?
ICH
»Seele«-Tee! Hätt ich den mal gehabt, gestern, vorgestern, vor fünf Tagen
… ist Karla verschwunden. Schnell nur zum Edeka, weil wir nicht genug Käse für die Pizza.
Allwöchentliche Kochsession und kein Käse.
ER
Draußen der strömende Regen.
ICH
Und Karla sagt:
Ich liebe den Regen.
Malt ein Kugelschreiberherz auf ihre neuen roten Gummistiefel, Kuss für Vlado und Zwinkern, schnappt die Tasche, halbe Umdrehung, Anflug einer Pirouette. Auf in die Fluten. Und Vlado denkt: Tauchen, und sagt:
ER
Blöde Tasche. Dummer Spruch. Not funny.
ICH
Aber er lächelt, und wir haben noch 20 Minuten Zeit, denken wir, dann kommt Karla mit Käse.
ER
Tauchen.
ICH
Wir schweben im blauen Nichts. Ich höre meinen Atem. Vlado macht eine Handbewegung, und ich folge ihm, nach unten. Eine Wand Goldschimmerfische durchbrochen, runter ins Riff. Es ist ganz still, vor mir Vlado, dahinter die Weite. Rein ins Riff.
ER
Hinsetzen.
ICH
Die Sonnenstrahlen fallen durch blaues Glitzern. Wir sitzen in der Stille, im Licht. Und hier ist Vlado bei sich, in seinem Element, wortlos im blauen Licht, und ich mit ihm. Und danach schwimmen wir noch bis zur Kante, starren runter ins Schwarze, unter uns der Abgrund und steigen dann auf, lassen uns noch eine Weile treiben, auf den Wellen und atmen wieder dieselbe Luft.
In einer einfachen Geschichte würde Vlado rauchen, überhaupt rauchen. Aber das tut er nicht, dazu ist er zu klar, manchmal durchscheinend gar, der Vlado. Martina sagt
SIE
-sichtig
ICH
Durch-
SIE
-sichtig
ICH
wie unsichtbar, nichtig, gar nicht da
und merkt gar nicht, dass er doch scheint.
Zurück in der Küche. Jo sieht mich ernst an. Er hat allen Grund dazu.
ER
Und sie ist einfach nicht wiedergekommen?
ICH
Nach 40 Minuten das erste Mal auf ihrem Handy angerufen.
Vlado und ich vergessen manchmal die Zeit
und wundern uns dann.
Diesmal, weil Martina klingelte und sagte
SIE
Entschuldigung
ICH
Und Karla:
SIE
Der gewünschte …
ICH
antwortet nicht. Beginn der Suche: Gestern, vorgestern, vor fünf Tagen.
Jo versteht:
ER
Und keine Spur.
SIE
Zum Selbermachen Teil III (2. Versuch)
Man braucht:
1 Strick
Wenn es ruhig ist, nimmt man den Strick. Man bindet ihn fest an den Hinterläufen, dann an einen Ast. Kopf nach unten. Beine gespreizt.
ICH
Jo schaut ernst, tippt Striche, Klammern und Zeichen und schickt Hilflosigkeit in die Welt. Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter und trinke Tee.
ICH
Die Absätze von Vlados Stiefel knallen auf dem Asphalt, höre sie in der Ferne
ER
in den Straßen
ICH
den Gassen
ER
unten am Fluss.
ICH
Martinas Hände kleben Zettel, knallrotlackierte Nägel. Der Lack bröckelt. 500 in die Scheiben der Stadt, an die Laternen der Nacht, an die Bäume
SIE
unten am Fluss.
ICH
Und dank Jo gibt’s jetzt auch das Forum, und so können wir schlafen, dank Jo im Sitzen.
Mein Herz, das schlägt ruhiger. Ich trete auf die Straße. Jo sagt, er kommt morgen vorbei. Er sagt, er ist da. Mein Herz, das schlägt ruhiger. Vlado überholt. Ich packe ihn am Arm, sage
Warte!
und
Siehst du nicht deine Freunde?
Er zuckt zusammen.
Und ich folge ihm heim.
ER
Martina
Dejan
Milena
Birgit
Goran
SIE
Schlafen im Sitzen und essen im Stehen.
ER
Über Nacht kommt das Eis.
ER
Vlados Augenringe. Halbmonde unter blauen Augen sind seit gestern, vorgestern, vorvorgestern, seit sieben Tagen tiefe Furchen, wenn man will
ICH
schimmernd, scheinend
SIE
durchscheinend.
ICH
Er löst sich auf.
SIE
Was das soll?
ICH
Ich packe ihn am Arm.
Mein Großer.
ER
Brauche jetzt mehr.
ICH
Ich mache uns Kaffee, russisch, Rest in der Tasse. Klingeln an der Tür.
Das ist Jo.
Vlados Blick, Kribbeln im Nacken.
SIE
Was das jetzt soll?
ER
Wird das jetzt ernst? The two of you.
ICH
Ich zucke zusammen, Schultern. Dieser Blick.
Was das soll?
ER
Ich hab was gefragt.
ICH
Ich weiß.
ER
Warum so laut?
ICH
Jo tut gut.
ER
Zum Selbermachen Teil IV
Man braucht:
1 Messer
ICH
Ich war schon wütend auf Vlado, da kannte ich ihn noch nicht. Genauso, wie ich schon wütend auf mich selbst war, bevor ich das erste Mal in einen Spiegel sah.
Vor der Tür grinst Jo Grübchen, sagt aber nichts und ich mache den Schritt nach vorn. Kurzer Kuss auf den Mund. Kalte Lippen. Über Nacht kam das Eis.
Mit Jo an der Hand. In die Küche.
ER
Vlados Blick.
ICH
Lass das!
ER
Vlado nimmt die Zeitung.
SIE
Wir haben zu tun.
ICH
Vlado liest Zeitung.
ER
Es steht wieder nichts drin.
SIE
Martina liest die Nachrichten im Forum
ICH
und ich mache Jo einen Tee. Er sieht den Rest in Vlados Tasse, weiß nicht, dass sich unter dem Kaffee in meiner das gleiche Häufchen verbirgt und würde sich gern mit mir darüber austauschen. Ich sehe es in seinem Blick. Er weiß nicht, dass wir im gleichen Glashaus sitzen, Vlado und ich, immer schon. Blaues Glitzern von oben. Das muss er bald lernen.
Martina jetzt mit ’ner Liste.
SIE
48 Nachrichten. Das ist nicht schlecht.
ICH
Das ist sehr viel.
SIE
Wir haben Leute in München, Göttingen, Berlin, Köln, Frankfurt, Leipzig und Erfurt und Dresden, die Zettel aushängen. Ich hab die gepostet. Aber vielleicht, Jo, kannst du ’ne Download-Datei auf die Homepage setzen.
ICH
Jo nickt ergebenst und legt unauffällig seine Hand auf mein Bein.
SIE
Alle sagen, sie halten die Augen auf und leiten das Foto weiter.
ICH
Martina zittert, und wer bis hierhin gedacht hat, dramatischer Aufbau, Exposition, steigende Handlung, Klimax, der weiß jetzt: pure Angst vor der Katastrophe. Martina
SIE
auch Martina
ICH
hat Angst, nicht nur vor Karlas leerem Zimmer in ihrer Wohnung, sondern vor Leere, die bleibt.
Stille. Im luftleeren Raum, kein Atem, nur Zeit zu verlieren.
Und Martina geht in die Knie.
ER
Zum Selbermachen Teil IV (2. Versuch)
Man braucht:
1 Messer
Ansetzen, drücken.
ICH
Jo hebt Martina auf, und ich starre.
SIE
Babykaninchenherzen rasen, wenn man das Tier auf den Arm nimmt, nur zum Kuscheln, aber das weiß es ja nicht. Und das Herzchen rast, man denkt, es platzt, und will die Angst wegstreicheln, aber die wächst, kann die Hand doch an den Ohren packen, Tierchen auf den Boden drücken, Handwechsel …
ICH
Und so dauert es, bis das Tierchen vertraut, sich vorwagt aus der Tiefe des Ställchens, vor ans Gitter mit strahlenden Augen und dann der große Tag. Treue, vertrauende Blicke des Tiers, das mittlerweile liebt, dann der Griff an die Ohren …
SIE
Zum Selbermachen Teil IV a.
ICH
Ich habe Angst.
SIE
Tiere müssen vertrauen lernen, der Mensch wird vertrauend geboren. Er lernt das Verlieren.
ICH
Und Martinas Telefon klingelt, und Karlas Mama sagt:
SIE
Martina?
ICH
Nein, die Schwester, hallo.
ER
Gestern, vorgestern, schon sieben Tage.
ICH
Ab heute nehmen sie dich ernst. Denkst du. Und Karlas Mama sagt, dass sie und ihr Mann heut auf der Polizei, wegen der Anzeige »Vermisst«. Weil ja sieben Tage um, und die Polizei sagt:
ER
Junges Mädchen, erst mal warten, die machen so Sachen.
SIE
Karla macht nicht so Sachen, oder?
ICH
Fragt sie mich?
Nein.
Was sollen sie machen?
SIE
Was sollen wir machen?
ICH
Sie schluchzt.
Haben ein Hotel
SIE
in der Innenstadt
ICH
sie und ihr Mann.
SIE
Wo ist denn Martina?
ICH
Ich sage nicht »Zusammenbruch«.
Sie schläft.
Ob sie uns treffen könnten, und damit meint sie wohl Martina und Vlado.
SIE
Ihre Freunde.
ICH
Sie meint auch mich.
Ich werde mit beiden reden, wenn Martina aufwacht und Vlado ganz da – und sie zögert kurz.
SIE
Vlado?
ICH
Karlas Freund.
SIE
Ja, schön.
ICH
Gar nicht schön. Gar nicht.
Jo sieht mich an.
Das war ihre Mutter.
ER
Die armen Eltern.
ICH
Jo ist nett. Aber Jo, hör zu, Mann, keiner ist arm, hier ist keiner arm. Klar? Noch nicht, okay? Ich mein und gar nicht. Alles wird gut, krieg das in dein ponybedecktes Hirn rein. Oder ist das so schwer zu kapieren? Jo hat das nicht verdient, dass ich das laut ausspreche.
ER
Martina ist wach.
ICH
Ich weiß doch, hör das an ihrem Atem. Ach Jo, so viel zu lernen. Ich setze mich zu Martina ans Bett und sehe sie weinen. Martina dreht sich von mir weg. Was soll sie auch sagen. Würd da auch nichts sagen.
ICH
Vlado löst sich jetzt auf, zwischen den Häusern, lauscht. Das Eis. Vlado hört, wie es kracht, von ganz tief unten, zu ihm herauf. Urgewalt, die Vlado hört. Hört sie in der Stille. Taucht in sie ein, schaut dann suchend nach oben? Nein. Das Eis lässt ihn nicht.
Und ich traf ihn, da stieg er grade hinab. Ich sah ihn von weitem, durch die Menge kommend, mir entgegen. Die Stimmung war dunkel, aber der Tag noch jung, und als die Regenwolken ziehen, fällt Licht in die Menge, auf ihn. Neben mir meine Mutter, da war sie noch da, auf dem Weg nach Hause. Und die Menge wird farbig, und die Gesichter leuchten, und eines scheint durch, und er kommt auf mich zu, sieht mir kurz in die Augen, geht an mir vorbei, steigt die Stufen hinunter, underground. Ich geh noch um die Ecke, sag dann: Mama, nimm schon den Bus. Und: Ich komme dann nach. Und gehe zurück, zurück an die Stufen, doch er ist schon verschwunden, doch ich weiß, ich muss warten, und ich zähle bis acht. Die hinter mir schubsen, als es scheint am Fuße der Stufen und er zurückgelaufen kommt, schaut dann suchend nach oben. Treffen uns in der Mitte, und er sagt:
ER
Hallo, old friend.
ICH
Vlado
ER
in den Straßen
ICH
in den Gassen
ER
unten am Fluss.
ICH
Und Martina soll jetzt schlafen. Zum ersten Mal seit gestern
SIE
vorgestern.
ICH
Ich nehme den Platz am Computer. Jo den neben mir, und wir lesen gemeinsam die Zeichen.
Die Polizei nimmt’s nicht ernst:
SIE
Junge Mädchen, erst mal warten. Die machen so Sachen.
ER
Macht Karla so Sachen?
SIE
Nein.
ICH
Bin ich deine Freundin?
Jo, sag schon, was meinst du? Jo grinst.
ER
O ja: O ja! Das bist du.
ICH
So einfach war’s noch nie, und er liest leise Zeichen, streichelt mir manchmal den Rücken und küsst mir das Haar.
SIE
Zum Selbermachen IV (letzter Versuch)
Man braucht:
1 Messer
1 Eimer
Das Messer an die Kehle. Fest drücken, rüberziehen. Das Blut läuft in den Eimer. Ausbluten lassen. Denn das Blut verwest zuerst.
ICH
Davor der Moment:
SIE
Mit der Zange das Schwänzchen.
ICH
Martina!
SIE
Warte noch, das Schwänzchen!
ICH
Martina wecke ich, als die Nudeln schon fertig, Vlado aus der Kälte heimgekehrt, Tomatensoße blubbert, und das kann nicht so weitergehen, das Leben.
Wir schlafen im Sitzen und essen im Stehen. Vlado in braunen Lederstiefeln, Jo auf Socken.
SIE
Karla wollte nicht weg.
ICH
Martina fletscht die Zähne. Angst oder müdes Gesicht. Reibt sich die Wangen, struwwelt die Haare. Ich kratze den Rest der Soße und lecke am Löffel. Vlado streckt seine Hand aus, Spucke am Daumen und wischt mir Rot aus dem Mundwinkel. Ich Clown, rote Herzchenwangen. Vlado lächelt. Jo ist verblüfft.
ER
What’s so funny?
ICH
Gar nichts, rein gar nichts.
Jo muss das noch lernen.
Das Vlado-Ding.
ER
Hallo, old friend.
ICH
Und Vlado denkt tauchen und ich, ich komm mit.
SIE
Wach sein!
Siehst du nicht? Deine Freunde?
ICH
Ich zucke zusammen.
SIE
Wach sein! Der Ablauf ist so: Karlas Mama und Papa im Café gleich um drei.
ICH
Vlado, ich und Martina
SIE
und Jo bleibt am Rechner.
ICH
Es bleiben uns noch dreißig Minuten, bis wir Karlas Eltern sehen, denken wir und vergessen die Zeit.
Ich will nur kurz ruhen, und Vlado legt sich neben mich, drückt sich seitlich an mich und verwächst. Seine Gedanken kreisen, platschen in den Fluss, triefen unter Laternen und jaulen in Gassen. Ich blicke zur Seite, in Vlados Augen, blaues Glitzern
ER
tief unten ein Schrei
ICH
und nehme seine Hand in meine.
ER
Schließe die Augen.
ICH
Es bleiben uns nur noch dreißig Minuten, bis wir Karlas Eltern sehen, denken wir
ER
und vergessen die Zeit.
SIE
Wach sein!
ICH
Jo schaut verblüfft. Ich öffne die Augen und lächle beide nieder.
SIE
Trampel!
ICH
Aber ich kann das nicht ändern. Soll mich
SIE
bei Jo entschuldigen.
ICH
Der steht da und schaut, und Vlado bleibt liegen, mit zuen Augen.
ER
So what.
Ich war zuerst da.
ICH
So ist es, ich kann das nicht ändern.
Karlas Eltern sitzen an der hintersten Wand des Cafés. Ich habe kein Mitleid mit denen, die hinten an der Wand kleben. Habe Mitleid mit den Mutigen, die vertrauen lernen, vorne am Gitter.
SIE
Tiere lernen vertrauen, Menschen lernen verlieren.
ICH
Vlado sieht mich an, und ich weiß, er hat die Eltern noch nie gesehen. In all den Jahren. Was das soll?
Die Mutter flüstert
SIE
Vlado,
nehme ich an.
ER
Ja, hallo, freut mich.
ICH
Glockenreines Deutsch in den Ohren der Mutter. Sie ist nicht erstaunt, oder? Bitte, sag, dass sie nicht erstaunt ist. Vlado lächelt, und der Vater drückt uns fest die Hand. Er hat Karlas offenes Lächeln. Er ähnelt Karla, ich bin froh, dass Karla ihrer Mutter nicht ähnelt. Aber in der Generation vor ihr niemand so ganz wie sie.
ER
Überhaupt niemand wie sie.
ICH
Vlado wusste das schon eine Weile. Ich hatte wohl nie darüber nachgedacht.
Die Eltern suchen Wissen. Martina sagt:
SIE
All die Aktionen
ICH
Vlado sitzt grade. Sie könnten denken:
SIE
Die Manieren.
ER
Aber Rauschen im Kopf.
ICH
Tauch jetzt nicht unter. Wir atmen dieselbe Luft, und in dieser hängt Angst.
ER
Gibt’s irgendwas Neues?
ICH
Nein nichts.
Jo drückt mich an sich, mit ganz schöner Wucht.
ER
Wo sind denn die anderen?
ICH
Hat er mich vermisst?
Zur Polizei.
Er küsst mir die Stirn.
Hat er mich etwa vermisst?
Was ist bloß geschehen? Und warum grade jetzt?
SIE
Unangebracht
ICH
findet das Vlado. Ich weiß, dass er’s denkt.
ER
Unangebracht.
ICH
Der Feind des verklärten Grinsens. Vielleicht daher: böse Blicke. Denn Vlado verliert jetzt, und ich bin am Gewinnen. So fühlt es sich an, und es fühlt sich so falsch an. Stimmt nicht. Bedarf keiner Stimme.
Gelbe Chucks und Grübchen. Jo. Ich hab mich verliebt. Und Jo beginnt leis zu summen.
SIE
Zum Selbermachen Teil V
Man braucht:
1 Messer
1 Wanne
1 Schaufel
Warten. Ausbluten lassen, abhängen. Erst um die Hinterläufe, von da zum Geschlecht, mit dem Messer. Nicht ins Fleisch schneiden. Das Fell abziehen, wo nötig mit dem Messer nachhelfen, manchmal an der Rose, besonders an den Vorderläufen und am Kopf. Das Fell abziehen. Schnitt in den Bauch und die Gedärme purzeln. Man kann das Fell bearbeiten. Besser: Ein kleines Loch graben für Fell und Gedärme. Das Loch muss auch nicht gleich sein. Gefahr: Vögel holen die Augen, hängen sie an die Äste der Bäume, wo sie schimmern, so schön, von hinten Perlmutter. Wie Weihnachten
ICH
oder Martina:
SIE
Kaninchenauge, mal wachsam.
Siehst du nicht?
ER
Deine Freunde.
ICH
Mein Herz zuckt zusammen.
SIE
Siehst du nicht?
ICH
Wo immer du bist.
Jo geht, bevor Vlado kommt, und ich fühle mich einsam. Als Mama noch da war, hab ich mich nie einsam gefühlt. Ich denke an früher. Martina und mich. Und Opa sagt
ER
Sante ma unsere Mädchen
ICH
Das war so ’ne Sache. Opas Deutsch. Und Oma verdreht die Augen, und Opa lacht, erzählt: Er hat noch den König gesehen, lacht, denn er hat wirklich den König gesehen.
ER
Hatte ma alle die Hand gegeben.
ICH
Oma sagt:
SIE
Königstreu und sonst nichts.
SIE
Ich könnt mich so aufregen. Echt.
ICH
Die Polizei, wie immer, keine Zeit, weil dein Freund und Helfer immer viel zu viel zu tun. Karlas Eltern hatten einen Namen auf einem Zettel, aber auch der eigentlich grad nicht zu sprechen. Und Karlas Mutter hat wohl angefangen zu weinen, und der Vater hat versucht, sie zu beruhigen, aber letztendlich geschrien. Für sein Kind.
SIE Sie wollen noch warten.
ICH
Warum nicht suchen?
SIE
Machen mal Meldung.
Das macht mich so wütend.
Ich könnt da so schrein.
ICH
Vlado kennt Geschichten. Bunte Geschichten
ER
alte Geschichten
SIE
manchmal wahre Geschichten.
ER
Ein Schrei durch die Brandung!
Und brennt der Himmel, so sieht man’s gut:
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut!
Gleich holt sich’s der Abgrund.
Nis Randers lugt – und ohne Hast
Spricht er: »Da hängt noch ein Mann im Mast!
Wir müssen ihn holen.«
Da fasst ihn die Mutter: »Du steigst mir nicht ein!
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
Ich will’s, deine Mutter!
Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
Drei Jahre verschollen ist Uwe schon.
Mein Uwe, mein Uwe!«
Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
»Und seine Mutter?«
Nun springt er ins Boot
ICH
Und ich sehe es glitzern. In Vlados Augen. Sehe es brennen. Wie Feuer.
ER
Wir werden sie finden.
ICH
Ich hab das Gefühl, Vlado weiß. Etwas. Was? Er wird es nicht sagen.
ER
Boot oben. Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muss es zerschmettern! – Nein: Es blieb ganz! –
Wie lange? wie lange?
ICH
Vlado, tauch jetzt nicht unter. Atme. Warte.
ER
Und brennt der Himmel, so sieht man’s gut:
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut!
Gleich holt sich’s der Abgrund.
ICH
Und Vlado hört sie wieder
ER
die Schreie.
ICH
Was ist mit der Zeitung?
SIE
Ich hab’s nicht mehr geschafft. Es irgendwie auch nicht
gewollt.
ER
Wer weiß, was die schreiben. Was die draus machen.
ICH
Vielleicht sollten wir das klären, indem wir anrufen.
SIE
Wir oder ich?
ICH
Du.
SIE
Und ich will jetzt schlafen.
Hier auf dem Sofa.
ICH
Da sitz ich drauf.
Leg dich in mein Bett, da schläfst du besser.
SIE
Ja.
ICH
Ich weiß, sie ist sauer, fühlt, sie macht alles alleine, sagt nur nichts wegen Vlado, weil sie weiß, wie er rennt und sich reißt. Und sie geht in mein Zimmer und schließt laut die Tür. Ich hoffe auf einen Blick von Vlado, der sich jetzt an den Tisch setzt, sagt, er kann da nichts machen, dass er
ER
so richtig enttäuscht
ICH
ist; und ich seh ihn still an. Martina reißt an Beinen
ER
rüttelt an Leuten
ICH
und er rennt ohne Pausen.
ER
– Prioritäten, die muss man halt setzen.
ICH
Und er setzt seine auch
ER
hätte mir gewünscht, dass du –
ICH
hat sich
ER
halt getäuscht.
ICH
Ganz einfach in mir.
Mein Herz schlägt wie seines, das hör ich bis hier.
Siehst du nicht deine Freunde?
Und er zuckt nur die Schultern.
ER
Du hängst dauernd mit Jo rum. Dich scheint das gar nicht zu kümmern.
ICH
Ich am Gewinnen. Er am Verlieren. So darf ich nicht denken.
Das ist jetzt nicht fair.
ER
Frag mal deine Schwester, wie die das sieht. Die sagt das
Gleiche.
ICH
Als ob ich das nicht wüsste. Und Vlado ist wütend, irgendwas stimmt nicht. Irgendetwas ist neu.
ER
Vögelst hier rum, und wir haben die Scheiße am Hals.
SIE
Ein Schrei durch die Brandung!
ICH
Vlado finden manchmal diese Worte. Solche Worte. Vielleicht findet er sie. Einer, der findet.
Und Vlado denkt tauchen, doch ich komme nicht mit.
Ich weine.
Wenn ich als Kind mal geweint hab, dann immer nur draußen: Ich bin gelaufen, auf die Wiesen und weit an den Bach, um zu sitzen und zu schauen, wie sich Tränen mischen in das Wasser, um fortgetragen zu werden ins Meer. Ich habe mir gewünscht, da säß einer im Wasser und würd’s wissen, würd sie sehen, die Tränen, oder sie würden zu Regen, um bei einem zu fallen, der auch weint, wie ich. Einer wie ich. Ganz weit draußen.
Und ich denke an Vlado, wie er sitzt, da am Meer, und kann ihm nicht glauben.
Und ich denke an Vlado, wie er rennt im Regen.
Ich versteh jetzt nichts mehr. Er hat recht, ja, ich war glücklich die Tage, trotz Karla, ich versteh seinen Ärger. Prioritäten setzt man anders. Ich meine wie Vlado. Das mach ich. Würd gern reden… nur mit Karla. Die Wände sind rot, hinter dem Schleier aus Tränen, die in den Abfluss rinnen, und ich hab das verdient, dass es sticht in den Augen.
SIE
Du denkst nur an dich.
ICH
Ich schau in den Spiegel und reiß mich zusammen. Martina an Leuten, ich nur an mir. Für heut muss das reichen. Morgen werd ich wie sie, und die Welt wird mich lieben, die Welt, vielleicht auch nur meine. Hauptsache Vlado. Sollte denken: Hauptsache Karla. Halbherzig, unentschieden, nicht wissen, wohin. So war das schon immer. Ich möchte gern wissen, ich möchte gern finden, im Spiegel, nur ich, mich.
SIE
Siehst sie nicht, die anderen.
ICH
Ich zucke zusammen, denn ich hör es leis schluchzen, denn ich soll ihn nicht hören. Und ich weiß, sie brennen wieder. Die Feuer. Keine neuen, die alten, altbekannt. Vlado hört sie wieder
ER
die Schreie.
ER
What do you want?
ICH
Für dich da sein.
ER
Ich will dich nicht hier haben. Du riechst nach dem anderen.
ICH
Rück rüber! Ich halt dich, erzähl leis Geschichten, und wir warten.
ER
Auf den Morgen.
ICH
Und das, wo die Nächte doch so lang sind
ER
wenn Nächte doch so kalt sind.
ICH
Vlado ist älter als ich. Zwei Jahre, drei Monate, sieben Tage und ein paar Atemzüge. Manchmal fühlt es sich an, als wäre er jünger, dann wieder Jahrhunderte weiter.
ER
Old friends
ICH
alte Herzen
SIE
lernen verlieren.
ER
Nein.
ICH
Und Vlado riecht nach Heimat, und Vlado ist warm.
ER
Danke.
ICH
Und wir schlafen dann ein.
ER
Das Rauschen der Wellen.
ICH
Alles schimmert golden, bevor die Sonne ins Meer sinkt. Und Karla sagt: »Ich liebe Vlado.« Und ich sage: »Ich auch.« Und deswegen liebe ich Karla und auch, weil sie versteht und sich freut, dass ich da bin.
ER
Meine Frauen.
ICH
Karla nimmt meine Hand, malt dann drei Herzen auf ihre Flipflops.
SIE
Zum Selbermachen Teil VI
Man braucht:
1 Zange
1 Wanne
Die Pfötchen abzwicken, dadurch das Tier abnehmen. In die Wanne legen, ruhen lassen, eventuell zerteilen. Kühlen.
SIE
Verlogener Lokalzeitungs-Morast!!!
ICH
Vlados Augen öffnen sich langsam, und er sieht in meine.
ER
Du
ICH
Du
SIE
Wo ist meine Schwester?
Vlado, wo ist meine Schwester?
ER
Im Bett.
ICH
Noch in den Klamotten von gestern.
SIE
Ihr habt echt ’nen Rad ab.
ICH
Und knallt Vlados Tür, auf den Küchentisch die Zeitung und kocht fluchend Kaffee. Wir folgen ihr leise.
SIE
Da. Schaut euch das an.
ICH
Karlas Gesicht macht den Titel.
ER
Was geschah mit der schönen Karla?
SIE
Studentin verschwindet auf Weg zu Party.
ICH
Auf Weg zu Party.
SIE
Studentin verläuft sich, weil eh immer am Feiern und gern mal bekifft und besoffen im Dunkel
Scheiß Bullen.
ICH
Ich denke »Klischee«, und meine Mundwinkel zucken.
ER
What’s so funny?
ICH
Gar nichts. Scheiße. Gar nichts.
SIE
Die machen nichts.
ER
Junge Mädchen, die machen so Sachen.
SIE
Karla nicht!
ICH
Mama sagte: »Ich mach Urlaub. Ich fahr zwei Wochen weg.« Und das kann sie gern machen. Martina fragt: »Wohin?«, und Mama sagt: »Nach Schweden.« »Warum nicht in den Süden?« »Ich will mal was Neues.« Kocht frischen Pfefferminztee aus dem Garten
SIE
und summt ein Lied von Peter Alexander.
ICH
Vlado geht wortlos zum Rechner.
SIE
Jetzt hängt alles an uns.
ICH
Zwei Wochen später packt Mama ihre Koffer. Zwei große Koffer. Sagt noch Worte wie »stolz auf euch«, »sehr«, »immer wissen«, »lieb«. Ruft an, wenn sie da ist. Lässt zur Sicherheit noch eine Telefonnummer da. Und sagt zu Papa nichts, und der sagt auch nichts und geht dann raus.
SIE
Mama steigt in das Taxi, und Papa setzt sich auf sein Fahrrad und fährt raus in den Garten
ICH
fährt in den Garten und schlachtet ein Kaninchen, und das soll heißen: »Schrubbt den Spieß. Heut wird gefeiert.«
SIE
Mama ruft nicht an am Abend, und wir hätten’s auch nicht gehört. Sitzen ums Feuer und schauen aufs Fleisch, wie es sich dreht, und auf Papa, der im Stillen jubiliert.
ICH
Komm bitte wieder!
ER
Gesehn in München.
ICH
Gesehn in Brüssel.
ER
Auf ’ner Party in Berlin.
ICH
Getäuscht. Sorry.
Plötzlich steht Vlado.
ER
Listen.
Wegen der Tasche. Gelb und der Spruch. Seit ’ner Weile läuft ’n Penner damit rum. Gesehen im Russenviertel. Sammelt Pfandgut darin.
SIE
Bei den Flachbauten.
ICH
Der Mann mit der Tasche, zwischen den Häusern. Wir überlegen uns seine Geschichte.
SIE
Zum Mitmachen Teil I
Kaninchen essen. Kaninchen am Spieß
Man braucht:
1 Spieß samt Aufhängung und Drehvorrichtung (im Idealfall mit Elektroantrieb)
15 Kilo Kohlen
ICH
Diese Arbeit geht nur zu zweit!
SIE
Eine der am Spieß befestigten Fixierungen (Stacheln, die das Tier von hinten und von vorn in Position halten) lösen und abziehen. Den Spieß zwischen den Hinterbeinen durch die Geschlechtsöffnungen durch die Bauchhöhle vor bis durch den Mund. Fixieren: Die Vorder- und Hinterläufe zusammenbinden, die Stacheln der Fixierung je in die Vorder- und Hinterbacken rammen. Vorn tief in den Kopf. Hinten tief in den Hintern. Fixierungen gut verschrauben. Spieß in die Vorrichtung einhängen. Gleichmäßig (wichtig!) drehen. Garzeit ca. 2 Std. Vorsicht: nur über der Glut, nie über offenem Feuer.
ICH
Im Garten der Geruch von gebratenem Knoblauch
SIE
und Mama wird auch morgen nicht anrufen.
ICH
Draußen die bittere Kälte. Der Wind pfeift durch die Straßen und beißt an unseren Ohren. Das Russenviertel, die Plattenbauten.
SIE
Wir sollten überlegen, wie wir vorgehen.
ICH
Martina spitzt den Mund an, wie die Lehrerin, die nicht sagt:
SIE
Bitte, ich will was hören. Aber mal ’ne richtig gute Antwort.
ICH
Und Vlado hat einen Plan, nickt »warten«, greift kurz in die Tasche, nimmt das Handy, Kurzwahl 4, ruft seinen Vater an, Goran, und fragt den Papa nach einer Nummer und bekommt zwei Namen: einen Mann und eine Straße.
ER
Got it. Ivan hat mal mit Goran zusammengearbeitet, ist jetzt in Rente. Arbeitet zumindest nicht mehr. Schon daheim war seine Oma das Gedächtnis des Dorfes.
ICH
Manche Dinge bleiben in der Familie.
ER
Ivan jetzt das Gedächtnis des Viertels.
ICH
Nichts, das Ivan nicht weiß.
SIE
Ist der umgänglich?
ICH
Typische Martina-Frage.
ER
Wenn er gesoffen hat.
SIE
Meinst du, er hat gesoffen? Ist ja noch früh.
ER
Wenn er nicht noch schläft.
ICH
Opa hat nie getrunken und wenn, dann nur Schnaps aus Tassen. Papa trinkt Bier und das nur aus Flaschen. Und die leeren Flaschen stellt er in die Spülmaschine. Spült sie, denn er kann den Geruch nicht leiden, von schalem Bier. Sagt, im Leben hat ihm schon genug gestunken. Das letzte Mal geredet mit Papa hab ich vor zwei Jahren, kurz nach dem Brief von Mama.
SIE
Gott, ist das trostlos hier.
ER
Ein bisschen wie zu Hause.
ICH
Aber Vlado ist Deutscher.
SIE
Sind wir doch alle …
ICH
Die Kälte ist unerträglich, alles grau, in dem Wind. Wenn Karlas Tasche hier wandert … Kann Karla hier sein? In Hinterzimmern oder Katakomben. Die Gesichter hier ernst, nicht verkniffen. Die Kälte ist doch kein Feind hier, pfeift fröhlich »Heimat«.
ER
This is it.
ICH
Drückt auf »Abramowitsch«. Und der Mann ist schon wach und hat auch schon gesoffen.
SIE
Gut.
ICH
Ich hatte heimlich gehofft, Ivan sähe aus wie Opa, aber er ist klein und dick mit verquollener Nase und freut sich, stellt drei Tassen auf den Tisch – Schnaps nur aus Tassen – und erzählt von gutem und schlechtem Wodka. Ich dachte, Russen haben Besseres zu tun, nur 14-jährige reden so: guter und schlechter Wodka.
Ivan trinkt Fusel, ohne Etikett, aus dem Hinterzimmer oder den Katakomben und stellt viele Fragen.
SIE
Goran? Und das Leben?