BRUTAL PLANET - Sean P. Murphy - E-Book

BRUTAL PLANET E-Book

Sean P. Murphy

5,0

Beschreibung

DIE WELT WIRD NICHT MIT EINEM WIMMERN ENDEN, SONDERN MIT EINEM BRÜLLEN ... "… besser als die Serie THE WALKING DEAD." - amazon.de Wir wussten, dass etwa alle zehn bis fünfzig Jahre immer wieder schwere Grippeepidemien auftraten. Deshalb waren unsere Experten vorbereitet auf eine erneute Krankheitswelle, die unzählige Leben kosten könnte. Millionen möglicher Szenarien hatten Sie auf tausenden ihrer Computer durchgespielt. Doch wer hätte damit rechnen können, dass der nächste biologische Angriff auf unsere Spezies nichts mit Schweinen, Hühnern oder Enten zu tun haben würde? Sondern mit wilden, unaufhaltsamen, blutgierigen Kreaturen – uns selbst? "Tun Sie sich selbst einen Gefallen und lesen Sie dieses Buch." - Leser auf amazon.com

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BRUTAL PLANET

Sean P. Murphy

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: BRUTAL PLANET. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2014. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: BRUTAL PLANET Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Tina Lohse

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-052-6

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

BRUTAL PLANET
Impressum
Die Insel
Im Trockenen
Auf dem Boot
Seuche
Zuflucht
Gäste
Raus aus Bangor
Shopping
Ein größeres Boot
Neue Freunde
Verlorene Seelen
Mord nach Zahlen
Blut und Öl
Lauf
In the Navy
Ein helles Licht
Die Schlacht um Long Island
Cassandra
Der Klang des Donners
Martha's Vineyard

Die Insel

Ein Dichter aus dem Show-Me-Staat Missouri verkündete einst, dass die Welt mit Gewimmer zugrunde gehen wird. Ich weiß nun, dass er falsch lag. Es wird mit einem Brüllen geschehen.

30. Mai

Die Providence ist ein zehn Meter langes Bénéteau First 35s5 Segelboot, wunderschön, geschmeidig, mit acht Schlafplätzen, und war früher einmal eine Art Statussymbol; jetzt war jedoch nicht mehr früher und wir waren dreizehn Mann an Bord.

Es war jetzt beinahe achtundvierzig Stunden her, seit wir es auf das Boot geschafft hatten. Zuerst war es erleichternd gewesen, endlich das Ziel zu erreichen, für das wir so viel geopfert hatten. Eine Chance, uns von den Schrecken der vergangenen Woche zu erholen, in der wir uns durch die Horden der Untoten gekämpft und zugeschaut hatten, wie Freund um Freund verstarb. Wir haben eine Auszeit verdient. Wir sind erschöpft, haben kein Essen und fast kein Wasser mehr und brauchen jeder verzweifelt etwas Platz und Zeit, um verarbeiten zu können, was zur Hölle eigentlich passiert war. Was passiert war, für uns Menschen zumindest, war die Schlussphase des Endes der Welt.

Es war heiß und feucht, fast ohne Brise. Die Insel zu finden, war also nicht weniger als ein Gottesgeschenk. Wir würden auf keinen Fall mehr in die Nähe vom Festland gehen, denn wir kannten unsere genaue Position nicht, da alle nautischen Karten auf Roberts altem Boot waren, aber Robert konnte gut schätzen. Handys funktionierten nur sporadisch, aber wen sollte man auch anrufen? Wir wussten alle, was geschehen war.

Es war eigentlich der Anfang der Touristensaison hier in Maine. Ich habe den Sommer einst geliebt und mich auf die Wärme gefreut. Nun bete ich für Winter.

Die Insel war im Grunde nur ein großer, flacher Fels, nicht mal einen Hektar groß und ungefähr zweihundert Meter vom Ufer entfernt, ein anständiger Sicherheitsabstand. Es gab einen kleinen Steg für ein einzelnes Boot, mit einer verwitterten Holztreppe, die zu einem massiven, zweistöckigen Haus führte. Ich vermutete, dass es Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erbaut wurde; graues Schindeldach, viele überdimensionierte Fenster mit großen Läden, um die Winterstürme draußen zu halten, und eine umlaufende Veranda. Das Gebäude triefte geradezu vor Neuengland-Stil.

Alle sammelten sich auf dem Deck, als wir nach Bewegungen Ausschau hielten und vielleicht, nur vielleicht, nach Zeichen menschlichen Lebens. Wir alle wollten eine Pause, und ich wollte verdammt noch mal weg von ein paar dieser Leute. Vorsichtig schifften wir in die Bucht ein und schauten durch unsere Ferngläser. Nachdem er etwas übers Kentern geknurrt hatte, betätigte Robert die Sirene, um mit einem lauten Whoop-Whoop zu sehen, ob er die Aufmerksamkeit von jemandem oder etwas auf sich ziehen konnte. Ich suchte die Insel und das Haus mit einem Fernglas mit einer Vergrößerung von sieben mal fünfzig ab, ohne eine Ahnung, was das bedeutete, aber ich konnte durch das Küchenfenster deutlich die Notizen auf einem Kalender lesen. Sah so aus, als hätte Neil diese Woche eine Ladung Lobster und Venusmuscheln liefern sollen. Falls das hier klappte, sollten wir unsere eigenen finden können. Die meisten Vorhänge waren aufgezogen und mit dem richtigen Lichteinfall hatte ich eine gute Sicht auf das Innere der ersten Etage des Hauses. Nichts bewegte sich. Vielleicht hatten wir doch endlich mal Glück.

Als das Boot die Stegseite der Insel erreichte, inspizierte ich das Ufer und sah eine Ansammlung von Häusern, vielleicht eine halbe Meile südlich von uns entlang des Strandes. Es spielte eigentlich keine Rolle. Ich konnte sie sehen und sie sahen auf jeden Fall uns. Sie rannten am Ufer entlang in unsere Richtung, nicht als eine geschlossene Gruppe, eher wie ein spastischer Mob. Robert manövrierte das Boot langsam näher an den Steg heran. Wir hatten keine Segel gesetzt, warum also hatten sie uns so verdammt schnell gesehen? Klar, Robert hatte die Sirene benutzt, aber diese Kerle bewältigten die Distanz wie ein geölter Blitz. Da waren vier vorne und drei dahinter, fast schon gleichauf mit der Insel. Verdammt sind die schnell, wir reden hier von olympischer Geschwindigkeit. Sie waren alle gut in Form und hatten auch noch alle ihre Gliedmaßen. Als ich sie und noch mehr Punkte, die aus dem Süden anrückten, immer näherkommen sah, dachte ich, könnten wir hier wirklich sicher sein? Wir glauben, dass sie nicht schwimmen können und … Ich nahm das Fernglas herunter und blickte hinter mich. Jeder war bewaffnet und starrte auf das obere Treppenende, sie waren bereit und warteten … auf mich.

Für den Fall eines schnellen Rückzugs legten wir nicht an, Robert blieb am Steuer und ließ den Motor laufen. Man konnte spüren, dass er nicht gerne zurückblieb, aber es war sein Boot. Er kannte es am besten und trug die Verantwortung für den Rest der Passagiere. Also bewaffnete ich mich. Die Mossberg fühlte sich gut an, aber ich checkte sie trotzdem instinktiv. Die Ruger war einsatzbereit. Ich übernahm die zweite Position und betrat den Steg. Wir waren zu fünft, unser eigener kleiner Sondertrupp. Ich habe keine Ahnung warum, aber seit dem Beginn unseres kleinen Unterfangens scheine ich immer nahe der Spitze zu landen. Ich war definitiv nicht mutig oder machomäßig; vielleicht nur etwas ungeduldig. Okay, ich kann manchmal eine Nervensäge sein und war inzwischen ein bisschen verrückt. Nein. Ich meine eigentlich richtig verrückt.

Wir waren ein Haufen ängstlicher Zivilisten, die ein ernstes und tödliches Spiel namens S.W.A.T. spielten. Genau wie diese alte Fernsehserie aus den Siebzigern mit der coolen Vorspannmusik, die ich als Kind immer gesehen hatte. Wir hatten nicht wirklich Ahnung, was wir da taten, aber wenigstens konnten wir es gut aussehen lassen.

Leise schlichen wir uns an, mit Handzeichen, abwechselnd links und rechts und mit einigen Schritten Abstand zwischen uns. Doc, ein langer, schlaksiger Typ mit einem komisch klingenden Südstaatenakzent ging mit seiner M-16A2 voraus. Ich hatte nie herausgefunden, woher er die hatte. Eines Tages hieß es einfach: ›Hey, Doc hat 'ne M-16‹. Ich wusste nicht, ob er damit umgehen konnte oder ob die Sicherung überhaupt drin war. Ich kam als Zweiter mit meiner Flinte, von der ich wusste, wie ich sie zu benutzen hatte, und die Sicherung war schon gelöst. Zack war Dritter mit seiner AK-47, dann folgten Mary und Matt. Falls wir auf dieser steilen Treppe angegriffen würden, in dieser Enge, würde man mir definitiv in den Arsch schießen. Das war zum Kotzen.

Ich bekam die Aufregung von unten mit und stellte fest, dass der Rest des Bootes unser Empfangskomitee am Strand bemerkt hatte. Ich schaute nicht hinüber. Mein Herz raste. Schweiß lief in Strömen an mir herab und verschmierte mir die Brille, aber ich blieb bei der Sache. Meine ganze Welt war das Ende der Treppe. Wir näherten uns Stück für Stück. Doc spähte schnell über die Kante, schaute zu mir und nickte. Ich nickte zurück, signalisierte ihm ›okay‹ mit dem Daumen und gab die Info weiter. Er hob seine rechte Hand und begann den Countdown, indem er die Finger einzeln absenkte und bei null kehrten wir unsere Aggressionen raus und stürmten los. Ich folgte ihm, bereit für den Krieg. Meine Augen waren überall. Er lief nach links, ich ging nach rechts und ließ gerade genug Platz für die anderen drei. Wir alle wussten aus eigener Erfahrung, wie schnell diese Dinger waren und dass Abstand und eine große Menge an Feuerkraft unsere beste Chance war, am Leben zu bleiben. Dann … passierte nichts! Keinerlei Bewegungen und keine rasenden Berserker, nur ein paar Möwen, die auf dem Verandageländer saßen und uns beiläufig anschauten.

Gut, es sah so aus, als wäre niemand draußen. Wir hatten noch nicht so viele Hausräumungen durchgeführt. Genau genommen hatten wir so etwas noch nie gemacht. Jemand dachte, es wäre eine gute Idee, das Gewehr nach vorne zu packen. Na danke! Die paar Leute, mit denen ich den Wildwesttango getanzt hatte und die ich jetzt gerade gerne an meiner Seite gehabt hätte, waren entweder tot oder nicht hier. Ich hatte die meiste Erfahrung, deshalb war es wohl irgendwie sinnvoll, aber ich hatte noch nie drinnen gespielt. Gerade als ich angefangen hatte, mich zu entspannen und zu denken, es wäre okay, alles zu vergessen, war ich wieder mitten in einem Zustand völligen Schreckens.

Wir blieben in der Gruppe und Matt und Mary gaben uns Rückendeckung. Matt war ein extrem ruhiger Typ mittleren Alters mit einer Glock und einer allgemeinen Anpackmentalität. Er wirkte wie eine nette Person, aber er war aus dem anderen Winnebago und in der Woche, in der wir zusammen gewesen waren, hatten wir niemals miteinander geredet. Mary war Anfang siebzig; hatte einen rasiermesserscharfen Verstand und war voller Energie. Hammer stellte sie mir als Pistolenmädchen vor, was lustig war, denn die Waffe ihrer Wahl war das größte Schießeisen, das ich je gesehen hatte. Eine Mischung aus Dirty Harry und der Großmutter der Beverly Hillbillies. Obwohl ich schon überzeugt gewesen war, dass mit Mary nicht zu spaßen war, ließ mich ihre Vorstellung vorhin am Dock zu einem wahren Gläubigen werden. Das hieß, sollte ich während dieses Unterfangens erschossen werden, dann mehr als wahrscheinlich von Zack oder Doc. Ich kannte Doc kaum, aber er war immer cool und gefasst, ungefähr in meinem Alter und einer der Gründer dieses ganzen Abenteuers. Zack war Anfang dreißig, smart, freundlich, fast eins-neunzig groß, und hatte rabenschwarzes Haar, mit einem zwei Wochen alten Ist-mir-doch-egal-Bart, ein kantiges Kinn und stechend blaue Augen. Zack hatte die Komplettausstattung, was das Aussehen betraf. Alle Männer wünschten sich insgeheim, er würde bei einem Brand sterben. In der Schlacht war er okay, aber seine Waffe war eine wahnwitzige AK-47 ohne Kolben oder wie auch immer man das nannte, wenn man von der Schulter aus zielte. Er würde buchstäblich aus der Hüfte schießen. Ich glaube nicht, dass ich ihn diese Waffe oder irgendwas anderes von der Hüfte habe schießen sehen. Verdammt, ich könnte erschossen werden. Wir waren Freunde geworden und steckten mitten in einem sehr knappen Spiel, also dachte ich, dass es okay wäre, aber auch als Schummeln gewertet werden könnte.

Wir durchforsteten das Haus, Tür für Tür, Raum für Raum und Wandschrank für Wandschrank. Das Erdgeschoss war sicher; große, offene Räume, auf die wir einen guten Blick vom Boot aus hatten, und eine kleine Wohnung für die Gastgeber. Der zweite Stock und das Dachgeschoss waren alles Gästezimmer. Der Keller war groß und wie das Erdgeschoss ein offener Raum, der einst eine Bowlingbahn beherbergt hatte. Die Aggressivität der Zombies würde sich hier als Vorteil erweisen, da sie blindlings losrannten, sobald sie uns hörten oder sahen. Ich habe noch keinen Zombie gesehen, der etwas anpeilte, das nicht voll und ganz seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Unsere Aktivitäten im Haus waren nicht gerade unauffällig. Als wir fertig waren, waren wir sicher, dass es leer stand, noch dazu war es ein sehr schönes Haus. Letzten Endes hatten auch wir mal Glück.

Es dauerte über eine Stunde, um das Haus zu sichern, und als das erledigt war, rannte ich zurück zur Treppe am Steg und gab ein Signal. Endlich Zeit, durchzuatmen. In diesem Moment schaute ich rüber zum Ufer. Das ursprüngliche halbe Dutzend war inzwischen auf mindestens drei Dutzend angewachsen. Die meisten von ihnen standen nur herum und starrten uns an, viele mit verschränkten Armen und leicht hin und her schwankend. Manche saßen und ein paar gingen auf und ab, aber keiner begab sich weiter als knietief ins Wasser. Da gab es Männer, Frauen und Kinder, aber keine Rangfolge oder offensichtliche Ordnung. Sie warteten einfach. Entweder würden wir zu ihnen kommen oder sie zu uns. Hätte ich mein Fernglas, dann könnte ich vielleicht ihre Wunden bestimmen, die sie, wie ich wusste, alle hatten. Jede ihrer Verletzungen erzählte mir die Geschichte, wie sie gestorben waren, wie sie ein Teil der Untoten geworden waren. Eine aufgerissene Kehle hier, ein verlorenes Glied dort oder großflächig blutverschmierte Kleidung, die sonst was verdeckte. Ich wusste, dass sich ein Kratzer an der Haut, bis auf wenige Ausnahmen, schnell in eine grauenhafte und tödliche Entzündung verwandeln konnte. Bisswunden … na ja … Bisswunden waren eine ganz andere Geschichte und immer tödlich.

Das Haus war eine Frühstückspension namens Molly's Rock und die kleine Gemeinde ein Sommerbadeort, South Kingston. Der Strand war eine dieser seltenen Ausnahmen an der Küste von Maine, es gab hier tatsächlich Sand anstelle von Steinen. Das Wasser war aber so kalt, dass ich mich fragte, ob wirklich jemand freiwillig reinging. Nach dem Gästebuch zu urteilen, lief hier alles prima, ausgebucht für den gesamten Sommer. Die gute Nachricht war, dass die Pension reichlich mit Lebensmitteln ausgestattet war, eine gut bestückte Bar, Wasser in Flaschen, ein Kühlraum und eine Menge Platz zum Ausbreiten bot. Die schlechte Nachricht war, dass dem Generator vor ein paar Tagen der Sprit ausgegangen war. Es gab ein Dutzend Schlafzimmer, alle dekoriert im reizenden, altmodischen und maritimen Neuengland-Stil. Ein Teil von mir dachte tatsächlich daran, Liz hierher zu bringen, wenn diese Scheiße vorbei war. Wir könnten den Strand rauf- und runterspazieren, Händchen halten und ich könnte erzählen, wie ich damals …

Wir aßen als Gruppe, verstreut in einem großen, sonnigen Salon, der mit Gemälden alter Boote und Schiffskapitänen geschmückt war und der von einem bildschönen Feldsteinkamin dominiert wurde. Obwohl es draußen über dreißig Grad waren, wollte ich ein Feuer. Ich wollte den Trost eines Feuers. Niemand sprach viel, es gab nur etwas Small Talk darüber, hier für ein paar Wochen unser Quartier aufzuschlagen, Vorräte zu sammeln, noch ein Boot zu besorgen und Richtung Süden zu fahren, bevor der Winter kam. Keine ernsthafte Planung, nur etwas, um uns zu beschäftigen und uns etwas Antrieb und ein Ziel zu geben. Die arme Madeline war gehörlos und keiner von uns beherrschte die Gebärdensprache, also rollte sie sich nur auf einer Couch in der Ecke zusammen. Bis vor zwei Tagen hieß es nur, die Boote erreichen und ab in den Süden. Trotz allem, was passiert war und was wir zurückgelassen hatten, konnten wir nun wirklich anfangen, uns über die Karibik Gedanken zu machen, denn wir hatten immer noch Hoffnung.

Nach dem Essen und noch mehr Plauderei verteilten sich die Leute in die Zimmer oder in eine Ecke des Hauses, manche zum Schlafen, manche nur, um allein zu sein. Robert und ich gingen zum zur Küstenseite gelegenen Verandateil, da eine kühle Meeresbrise aufgekommen war. Wir ließen uns in ein paar Gartenstühle fallen, ich hörte, wie jemand weiter oben weinte, und spürte einen gewissen Neid. Meine Zeit würde kommen. Wir beide sagten nichts. Wir starrten einfach auf die enorme Weite des unbezähmbaren Atlantischen Ozeans. Das Meer war wie leer gefegt. Keine Schiffe in Sicht. Die Grenzenlosigkeit war verstörend und tröstend zugleich. Vor mir lag Normalität. Der Atlantik war derselbe und würde es immer sein, aber am Ufer hinter mir hatte sich alles verändert. Seit wir es auf die Providence geschafft hatten, habe ich nicht viel Zeit damit verbracht, auf das Ufer zu schauen.

Robert und ich waren uns nähergekommen, seit diese ganze Sache angefangen hatte. Er war Teil von Roys ursprünglicher Gruppe und ich nur ein Außenseiter. Ich weiß nicht, warum wir uns gegenseitig anzogen, vielleicht weil wir beide an der Universität von Maine, in Orono, unterrichtet hatten. Diese Verbindung hatte das Eis zwischen uns gebrochen und bald schon wussten wir mehr und mehr voneinander und die Freundschaft nahm ihren Lauf. Er war Professor für Maschinenbau, im Ruhestand, und ich hatte Anthropologie unterrichtet. Er verstand die meisten meiner Witze und schien nichts gegen meinen eigentümlichen Humor zu haben. Wir redeten nicht viel, schienen aber einfach wie der andere zu denken. Immer wenn es einen Schlachtplan oder eine Krise während unseres Unterfangens, von Bangor an die Küste zu kommen, gegeben hatte, waren wir auf derselben Wellenlänge gewesen. Falls nicht, dann zog er mich schnell auf seine Seite. Es war nicht überraschend, dass wir nach zwei Stunden der Besinnung aufstanden, reingingen, uns jeder einen großen Krug Wasser schnappten und zum Steg runtergingen. Zack und Matt saßen in der Küche und rauchten, unterhielten sich leise und es sah so aus, als hätte Matt geweint. Ich sagte ihnen, wir wollten uns vergewissern, dass das Boot startklar war. Wir wollten an der Entsalzungsanlage arbeiten und vielleicht zu ein paar der Boote brausen, die in der Nähe von South Kingston vertäut waren, um Benzin abzuzapfen und ein paar Karten und was wir sonst noch brauchten zu besorgen.

»Wir melden uns über Funk, sollte es zu Schießereien kommen.«

Für ein paar Sekunden starrten sie mich nur an und dann sagte Zack: »John, warum zum Teufel sollte es uns interessieren, wenn du anfängst zu schießen? Ihr habt das Boot. Sollen wir vielleicht zu eurer Rettung schwimmen?«

Man merkte, dass wir beide körperlich und geistig im Eimer waren, aber das war eine berechtigte Frage. Ich war total kaputt, aber ich brauchte etwas zu tun, um in Bewegung zu bleiben. Wenn ich mich jetzt hinsetzte, dann könnte ich vielleicht nie wieder aufstehen und würde es vielleicht auch gar nicht wollen. Als ich sie so ansah, wurde mir bewusst, wie zerschlagen wir alle waren. Nach über einer Woche extremen Stresses und ohne Aussicht auf ein Bad, richtigen Schlaf oder Zeit für sich allein, nach beschissenem Essen und die ganze Zeit insgeheim auf die Sekunde wartend, in der man wusste, dass das Leben zu Ende ging. Ich war überrascht, dass es noch keiner auf sich genommen hatte, seinem Leiden ein Ende zu bereiten.

Nachdem das Boot aufgeräumt und das Wasser verstaut war, ging ich zurück nach oben, um mein Gewehr zu holen, während Robert eine Liste der notwendigen Dinge anfertigte. Ich hatte immer eine Pistole, aber das Gefühl, meine inzwischen treue Mossberg 500 in der Hand zu haben, gab mir ein Extra an Selbstvertrauen, und sie war unentbehrlich für die Bootsräumungen, die vor uns lagen. Die 500er war eine taktische Flinte, die häufig von der Polizei eingesetzt wurde und mir von Roy überreicht worden war, als wir an einer demolierten Straßensperre der Nationalgarde vorbeikamen, an dem Tag, an dem wir Bangor verließen. Jemand hatte sie frisiert, und obwohl sie für größere Entfernungen nicht so gut taugte, würde sie auf dreißig Metern alles wegfegen. Ich war inzwischen mehr als geübt in ihrem Umgang und kannte all ihre Schwächen.

Das Haus war ruhig und roch nach Sommer am Strand. Mensch, es wäre schön, sich für ein paar Stunden hinzulegen und die Kühle und den Komfort eines frisch gemachten Bettes und sauberer Laken zu genießen. Ich wusste, dass Robert auch fertig war, aber alles für ein schnelles Verschwinden bereit machen wollte. Zeit für ein Schläfchen würde es heute Nacht geben. Eine verdammte richtige und reale Sache, auf die man sich freuen konnte. Die Dinge schienen endlich besser zu laufen. Auf meinem Weg nach draußen sah ich Zack wieder. Als er die Treppe hinaufstieg, tat er nichts weiter, als mich anzusehen und zu stöhnen, als er sein kleines, schwarzes Buch rauszog und antippte. Ich nickte nur, ja Zack, ich weiß, dass du am Gewinnen bist, und stapfte runter zum Boot.

Als wir ablegten, schaute ich das Dock an und mein Verstand fragte: Was stimmt nicht mit diesem Bild? Wir waren bereit, loszuschippern, als Leslie vom oberen Ende der Treppe herunterrief und fragte, ob ich eine ihrer Kameras raufbringen könnte. Sie war eine niedliche aber nervige Zwanzigirgendwas, Studentin der Filmwissenschaften der Uni Maine, die exakt nichts zu unserem Überleben in den letzten Tagen beigetragen hatte. Sie hatte zwei raffinierte kleine Sony Camcorder mitgebracht, von der Art, die man benutzte, um das erste Fußballspiel der Kinder festzuhalten, oder Weihnachten oder Halloween oder irgendeines der tausend Ereignisse, die nie wieder vorkommen würden. Wir hatten uns alle abgewechselt, um unseren brutalen Trip zur Küste und die Nachwirkungen zu filmen. Ich glaubte, wir taten es, um uns selbst zu beweisen, dass es wirklich passierte. Wir nahmen unsere eigene Odyssee auf, aber dieses Mal brauchte man keinen Zyklopen oder Sirenen, um die Geschichte aufzupeppen. Ich glaubte nicht, dass irgendjemand die Kraft dazu hatte, unsere Aufnahmen durchzusehen, vielleicht eines Tages … ich jedenfalls konnte gut darauf verzichten.

Ich hatte gerade begonnen, ihre Reisetasche zu durchwühlen, als ich den ersten Schuss hörte. Zu der Zeit dachte ich noch, es wäre irgendein Idiot, der Zielübungen an den Zombies am Ufer veranstaltete und war sauer wegen der Munitionsverschwendung und der zusätzlichen Aufmerksamkeit, die das auf sich ziehen würde. Als ich wieder oben war, hörte ich sehr viel mehr Geschützfeuer, Rufe, das Geräusch von berstendem Glas und das inzwischen vertraute stumpfe und stöhnende Brüllen. Robert und ich schauten uns an, sein Gesicht spiegelte Fassungslosigkeit wider. Ich blickte nach oben. Leslie war verschwunden. Ich hielt meine Flinte bereit und war gerade dabei, das Boot zu verlassen, als ich sah, wie der Erste vom oberen Geländer aus auf uns runterstarrte.

Der Bootsmotor heulte auf und ich wandte mich Robert zu. Er hatte seine Pistole in der einen Hand und mit der anderen fuchtelte er wild an der Steuerung herum. Ungefähr zur gleichen Zeit hörte ich das Geräusch nackter Füße, die schnell die Treppe runterstiegen. Ich drehte mich um und sah den Zombie. Er war im Teenageralter oder Anfang zwanzig, dünn, blondes Haar, dreckige Jeans mit durchgescheuerten Knien und einem schmutzigen T-Shirt, auf dem UConn stand. Die rechte Seite seines Gesichts und das Ohr waren weg und man konnte tatsächlich Zähne an der Stelle sehen, an der seine Wange sein sollte. Der Zombie schaffte es ein Drittel des Weges nach unten, bis er ausrutschte und auf das Dock knallte. Er lag da für etwa eine Sekunde, bevor er aufsprang, um mir knurrend entgegenzutreten. Ich war immer noch in Schussposition, weniger als zwei Meter entfernt, und drückte den Abzug. Ich weiß nicht, ob es an mir lag oder am Schaukeln des Bootes, aber ich verfehlte den Kopf und traf ihn am Hals, kurz über dem Brustbein. Der Schuss hinterließ ein Loch in der Größe einer Grapefruit, sodass nur noch wenig Gewebe den Schädel mit dem Torso verband. Die Wucht des Aufpralls schleuderte den Körper derart zurück, dass die Kreatur auf ihre Brust fiel und mit dem Gesicht in den Himmel starrte. Seine Augen huschten hin und her und ich konnte seine Zähne klappern hören, als sich der Kiefer wie wild auf und ab bewegte. Es klang ein bisschen so, wie jemand, der hastig Geschirr stapelte. Nach ein paar Sekunden wurde es langsamer und hielt schließlich inne. Ich war fasziniert und versuchte mich an all die Hirnnerven zu erinnern … was hatte ich durchtrennt?

Irgendwo in der Ferne hörte ich Robert brüllen und fühlte, wie sich das Boot nach vorne schob. Mein Verstand schrie, dass noch mehr kamen, aber ich starrte weiter auf diesen Schädel. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich etwas bewegte, und ich drehte mich instinktiv um und drückte ab. Der Schuss traf den Zombie in die Schulter. Er drehte sich wie ein Kreisel, mit wild rudernden Armen, und sank am Ende der Treppe zusammen. Dies brachte den Zombie direkt hinter ihm ins Stolpern und ließ ihn mit dem Gesicht zuerst aufs Dock fallen. Als sich die nächstgelegene Gestalt aufrappelte, feuerte ich wieder und die Wucht schleuderte ihn buchstäblich ins Wasser, als ob ihn jemand mit einem um die Taille gewickelten Seil zurückzerren würde. Robert ließ den Motor aufheulen, und es dauerte nur ein paar Sekunden, bis wir Abstand gewannen.

Wir hörten noch weitere vereinzelte Schüsse. Mittlerweile tummelte sich mindestens ein halbes Dutzend auf dem Dock und der Treppe. Wir hatten angenommen, dass sie nicht schwimmen konnten, also wie zum Teufel waren sie auf die Insel gekommen? Vor meinem geistigen Auge blieb ich cool und gefasst und sprach mit Robert in einem vernünftigen und beherrschten Tonfall darüber, was jetzt zu tun war. Später erzählte er mir, dass ich nichts weiter von mir gab, als ›ein literarisches Füllhorn an nicht enden wollenden Schimpfwörtern in mindestens drei Sprachen‹. Ich habe nie gefragt, wollte aber immer wissen, was zum Teufel ein literarisches Füllhorn war.

Robert brachte die Providence etwa dreißig Meter weit weg von Molly's Rock und ankerte. Wir schnappten uns die Ferngläser und suchten das Wasser ab, in der Hoffnung, dass es jemand hineingeschafft hatte, aber ich kannte die Wahrheit. Es war einfach viel zu schnell passiert. Als ich das Haus absuchte, sah ich, wie sich etwas bewegte, nur kurze Momente, in denen etwas an den Fenstern vorbeihuschte. Inzwischen schien die Insel vor Untoten nur so zu wimmeln. Ich konnte sehen, wie sie in und um die Pension rannten, hektisch auf der Suche nach etwas, das man angreifen könnte. Irgendwann hörten die Schüsse auf und ich wusste, dass meine Freunde verloren waren.

An einem Fenster im Obergeschoss konnte ich Mary stehen sehen, die Arme nach oben gereckt, die Hände an der Scheibe. Das Licht ließ sie um Jahrzehnte jünger aussehen als ihre zweiundsiebzig Jahre. Sie schrie weder, noch weinte sie, sondern sie starrte mich einfach mit großen, schockierten Augen an. Ich drehte mich weg, um Robert etwas zuzurufen, und als ich zurücksah, war Mary verschwunden. Es gab etwas Aufruhr in dem Zimmer und es schien so, als hätte jemand das Fenster mit dunkler Farbe bespritzt. Es war vorbei!

Von unserem Ankerplatz aus hatte ich klare Sicht auf das Land, leewärts, seitlich der Insel. Wir hatten den Kanal alle gesehen und darüber gesprochen. Jeder hatte angenommen, er gäbe uns einen netten Sicherheitsabstand. Als ich ihn nun genauer betrachtete, konnte ich gerade so die Gischt von kleinen, stetigen Wellen erkennen, die sich an etwas brachen. Dies schien sich vom Strand bis zur Insel zu erstrecken und war noch nicht da gewesen, als wir den Ort inspizierten. Es dauerte vermutlich nur eine Sekunde, aber es kam mir länger vor, bis mein Verstand einsetzte und alle Teile zusammenfügte. Dann traf es mich wie ein schwerer Schlag. Oh mein Gott, eine Sandbank!

Wie hatten wir die übersehen können?

Wir waren geduldig … wir waren organisiert … wir hatten so viel durchgemacht, so viel Schmerz, so viel Furcht, so viele Opfer. Wie hatten wir das nicht bedenken können? Wir waren Überlebende. Wir waren gut, schnell, effizient und schlau. Verflucht, die Hälfte von uns war auf dem Wasser aufgewachsen! Wie hatten wir sie nur vergessen können? Die Ebbe …

Im Trockenen

Mein Name ist John Ross Patrick. Ich bin sechsundvierzig Jahre alt, eins-achtundsiebzig groß und wiege zweiundneunzig Kilo. Ich habe braunes Haar, einen kurzen Bart, bin durchschnittlich gebaut und unscheinbar in vielerlei Hinsicht. Ich schätze, dass einzig Bemerkenswerte an mir ist, dass ich noch lebe. Die Welt, die ich mal kannte, ist fort. Es gibt keine Tests mehr zu benoten, keine Rechnungen mehr zu zahlen, keine Abhandlungen mehr zu präsentieren und keine Träume mehr, die wahre Liebe zu finden.

Ich war in der Atacamawüste im Norden von Chile gewesen, als sich die Lage verschärfte, das heißt, ich war irgendwo im Nirgendwo. Bevor ich losfuhr, hatte ich gehört, dass sich etwas in Zentralasien abspielte, aber meine Aufmerksamkeit lag auf den drei Wochen gefüllt mit dem Wiedersehen alter Freunde, Ausgrabungen und Abenteuer am trockensten Ort der Welt, einem Ort, an dem ich über fünf Jahre lang mit Unterbrechungen gelebt hatte. Ich bekam nicht viele Zuschüsse, also war dies ein Solotrip, und schön billig, straßenhändlerbillig sozusagen. Als ich dort ankam, war der Kurzwellenempfänger verschwunden, den ich während meines letzten Aufenthalts im Museum zurückgelassen hatte, aber das war okay. Ich hatte eine Menge Bücher zu lesen, und etwas Zeit, von allem entfernt, schien eine gute Idee zu sein. Ich setzte mich kurz mit ein paar Freunden in der Stadt in Verbindung, verschickte Post und fuhr mit meinem gemieteten Jeep los, der exakt zweiundsechzig Prozent meines Reisebudgets ausmachte (inklusive Sprit).

Ich verbrachte die meiste Zeit allein und kartierte inkaische Straßendämme in der Cordillera Occidental, Heimat der höchstgelegenen, von Menschenhand geschaffenen Bauwerke der Welt. Ich machte ein paar Abstecher zu winzigen Bergdörfern, wenn ich Vorräte brauchte oder einfach nur neugierig war. Es war diese Art von Orten, bei denen man von Glück reden konnte, wenn dort Spanisch gesprochen wurde, in den meisten sprach man nur Quechua. Ich hatte eine schöne Zeit und verbrachte einen Großteil davon in einem Tagtraum, was ich denn sagen würde, wenn ich zu Liz zurückkehrte.

Als ich mich zurück wagte, fand ich es eigenartig, dass es keine Touristen in San Pedro de Atacama gab, dem Städtchen, von dem aus ich arbeitete und das so beliebt war bei den Rucksacktouristen, die Südamerika durchreisten. Ein traditioneller, ruhiger Pueblo mit großartigem Museum, Ruinen, heißen Quellen, Vulkanen, gutem Essen und Flamingos – ein idealer Abstecher. Gut, es war zwar Winteranfang, aber trotzdem sollte es Durchreisende geben. Ich beschäftigte mich nicht weiter damit, aber das Rätsel verweilte in meinem Hinterkopf, ungefähr … eine ganze Weile. Es hatte mich außerdem etwas gestört, dass das Museum geschlossen und das Personal fort war. Keine Gelegenheit, sich zu verabschieden. Der eine Museumsangestellte, den ich fand, Hector, ein Einheimischer, der schon seit seiner Kindheit dort arbeitete, erzählte mir, dass sie fortgerufen wurden. Ehrlich gesagt war ich erleichtert, weil ich nicht länger als nötig bleiben wollte, und ich hätte mit großer Wahrscheinlichkeit eine Zusammenfassung meiner Errungenschaften abgeben müssen, ganz zu schweigen von diversen Mahlzeiten, zu denen ich verpflichtet gewesen wäre. Alles, woran ich wirklich denken konnte, war Elizabeth und wo unsere Beziehung hinführen würde, sobald ich zurückkam. Also tat ich es einfach ab, vielleicht gab es irgendeinen Feiertag oder eine Versammlung in Santiago.

Ich war nur für zwei Tage in San Pedro und verbrachte diese in Abgeschiedenheit, sah meine Notizen durch, entschied, was ich einlagern wollte und welcher Ansatz mir zu mehr Zuschüssen verhelfen könnte, damit ich zurückkehren konnte. Als ich dann abreiste, war ich in Sorge, mein Flugzeug in Arica zu erwischen, denn eine achtstündige Busfahrt in Richtung Norden lag vor mir. Auf dem Weg aus San Pedro heraus passierte der Bus die einzige Kirche der Stadt, erbaut 1641. Sie war brechend voll. Was zum Teufel war da los? Es war halb zehn am Morgen und ein normaler Dienstag. Vielleicht ein Feiertag oder eine Beerdigung?

Und das waren auch schon so ziemlich alle Gedanken, die ich daran verschwendete.

Ich blieb allein auf der langen Busreise entlang der Küste und überarbeitete meine Notizen, solange ich noch alles frisch im Kopf hatte. Es war eine produktive Reise gewesen, aber nun war ich mehr als bereit, wieder nach Hause zu fahren. Es dauerte eine Weile, aber irgendwann bemerkte ich, dass etwas in der Luft lag. Die Gespräche mit gedämpften Stimmen, die Art, wie die Leute sich bewegten und heimliche Blicke aus dem Augenwinkel umherwarfen. Ich nahm an, dass es daran lag, dass ich der einzige Gringo im billigsten Bus nach Arica war. Heute weiß ich, dass es Furcht war. Wäre ich nicht so vertieft in meine Arbeit und die Vorstellung einer glücklichen Heimkehr gewesen, hätte ich vielleicht mehr aufgepasst, nicht dass es wirklich etwas genützt hätte.

Arica lag an der Pazifikküste und war als Stadt des ewigen Frühlings bekannt, da dort immer etwa zwanzig Grad herrschten und es niemals regnete. Es war eine nette Hafenstadt und nur etwa ein Dutzend Meilen von der peruanischen Grenze entfernt, also einer der billigsten Wege, Bolivien zu erreichen. Dort war immer etwas los. Ich hielt nur für einige Stunden auf meinem Weg nach Miami dort auf, aber trotzdem war irgendetwas eigenartig. Wenige Menschen auf der Straße, nichts von dem üblichen Treiben der Stadt … und wo zum Teufel waren all die Touristen? Das Taxi zum Flughafen hätte ein Weckruf für mich sein sollen. Ich stieg ein, der Fahrer schaute mich nicht an, hatte alle Scheiben unten und wartete einfach.

»Airport please.« Ich hätte dies auch ohne Probleme auf Spanisch sagen können, aber der Typ war irgendwie ein Arsch. Er sah mir nicht in die Augen und versuchte auch nicht, mir mit meinem Gepäck zu helfen. Sobald wir losfuhren, begann er leise, mit sich selbst zu sprechen. Ich konnte ihn im Rückspiegel sehen, aber er schaute nie zurück. Nach ein paar Minuten und einigen Ampeln konnte ich endlich verstehen, was er die ganze Zeit vor sich hinmurmelte.

»Áve María, grátia pléna, Dóminus técum. Benedícta …« Es war das Ave Maria in Latein! Nachdem er das Gebet beendet hatte, küsste er ein Goldmedaillon, das er an einer massiven Kette trug, und begann das Gebet wieder von vorne und ohne jemals zurückzublicken.

Ich kam gerade rechtzeitig für eine zweistündige Verspätung am Flughafen an, während der keiner etwas sagte, und ich meine wirklich niemand, gar nichts. Wir saßen einfach da, in unseren billigen Plastikstühlen, und starrten auf das schmutzige Linoleum. Es erinnerte mich an die Schultanzveranstaltungen im Keller der St.-Benedict-Schule, damals in Rhode Island. Niemand wollte dort sein, aber da war dieses eigenartige Etwas, das die unbequeme Situation irgendwie interessant machte.

Ich hatte immer noch nicht zwei und zwei zusammengezählt und war gänzlich gefangen in ›Johns Welt‹. Ich ging an Bord des Flugzeugs, fand meinen Platz, nahm zwei Diazepam und war im Begriff, ein Schläfchen zu halten, als mein Blick auf einen Typen mit einer Zeitung auf der anderen Seite des Ganges fiel. Mein Spanisch ist nicht so berauschend, trotz all der Zeit in Lateinamerika, aber ich konnte mit Leichtigkeit die fette, riesengroße Überschrift übersetzen, ›¡La Caminata Muerta!‹, Die lebenden Toten! Ich kicherte in mich hinein und dachte, dass dies wahrscheinlich irgendeine chilenische Version des National Enquirers sei, und nickte weg. Als wir in Miami landeten und aufstanden, um das Flugzeug zu verlassen, schaute ich wieder auf die auf dem Sitz liegen gelassene Zeitung und die Nackenhärchen stellten sich mir auf. Es war kein Latino-Schundblatt, sondern El Mercurio, Chiles Spitzenzeitung.

Auf dem Boot

30. Mai (Fortsetzung)

»Da ist etwas am Heck! Scheiße! Sorry, John, ich habe nicht auf das Radar geachtet.«

Dies brachte mich zurück in die Realität. Ich war auf der Providence mit Robert, und all meine anderen Freunde waren gerade von Zombies abgeschlachtet worden. Robert und ich hatten seit dem Vorfall auf Molly's Rock noch kein einziges Wort miteinander gesprochen. Ich dachte, wir beide übten uns in Verdrängung und standen definitiv unter Schock. Er kümmerte sich um das Segeln und ich sollte Ausschau halten. Ich blickte zurück.

»Lass mich das Fernglas holen und einen Blick darauf werfen.«

Der weiße Punkt war eindeutig ein Segelboot, ein großes.

»Okay, Robert, ähm, ich kann noch niemanden sehen, aber jemand muss diese Segel gesetzt haben.«

»Ich gehe auf Abfangkurs. Mach dich bereit.« Das war ein Befehl, kein Vorschlag.

Ich wusste, was Robert meinte und bewaffnete mich. Wir hatten gerade mordsmäßig Scheiße gebaut und der coole, pragmatische Robert war nun äußerst vorsichtig, obwohl ich keine Ahnung hatte, was er vorhatte, da das Boot viel zu groß und viel zu schnell war.

»Du übernimmst den Bug. Ich kümmere mich um Backbord und keine leichtfertigen Annahmen!«

Wir würden es nicht wieder versauen.

»Roger!« Ich nahm meine Position ein, stellte sicher, dass meine Flinte geladen war, und checkte wieder das Boot. Wir fuhren auf ihren Backbordbug zu, und als wir näherkamen, konnte ich mehr Details erkennen.

»Robert, ich hab da jemanden am Bug!« Ich konnte ein Individuum sehen, das seitlich zu mir stand und auf das offene Meer starrte.

»Lass mal sehen … sieht wie ein erwachsener Mann aus und …« Ich hielt inne, als sich die Figur in meine Richtung drehte. »Ach du Scheiße, es ist ein Zombie!«

Ich konnte nun erkennen, dass der linke Arm unterhalb des Ellbogens fehlte, die Haut hatte dieses typisch glänzende, graue Aussehen. Die Kleidung, Shorts und ein weißes, kurzärmeliges Hemd, waren mit etwas bedeckt, das mit ziemlicher Sicherheit getrocknetes Blut war.

Wir passierten das Schiff in etwa fünfundzwanzig Metern Entfernung, ein prachtvoller Schoner, zwei Masten unter vollen Segeln, ganz weiß und blendend in der Sommersonne. Es erinnerte mich an Der große Gatsby und an die lang vergessene goldene Zeit von fast schon unschuldiger Schwelgerei.

Der Zombie bewegte sich nicht. Ich erwartete fast, dass er ein Martini-Glas hielt, aber er stand einfach nur da und schaute uns schweigend an. Sein Ausdruck sprach gespenstisch von Kummer und Mitleid.

»Siehst du noch mehr?«, rief Robert.

»Nein.« Als das Schiff vorbeifuhr, konnte ich einen Blick auf den Namen erhaschen, Comfort, Trost.

Und so kreuzten wir weiter die Küste entlang.

Es war nun schon über eine Woche her, seit in dieser Gegend die Kacke am Dampfen war, und es begann, sich zu zeigen. Als wir weitersegelten, stießen wir auf immer mehr verlassene Segelboote. Manche enthielten Zombies, aber wir ließen sie in Ruhe. Sie würden letztendlich einfach im Sturm sinken oder an Land getrieben werden. Erst später fiel mir ein, dass das keine so gute Idee war. Da es eine Menge Inseln in der näheren Umgebung gab, die vielleicht Überlebende beherbergten, wäre dies eine ausgezeichnete Methode sie zu infizieren. Andererseits war es nicht mein verdammter Job, jeden Scheißzombie zu töten, der uns über den Weg lief. Einmal überholten wir ein Boot, auf dem sich jemand am Mast erhängt hatte. Er baumelte einfach in der Luft wie ein makabres Windspiel. Ich bemerkte dann noch etwas, dass ich für besonders eigenartig hielt. Hin und wieder kamen wir an einer Ansammlung von verlassenen Booten vorbei, die alle in eine Ecke des Ufers gedrängt waren. Als Nichtseemann konnte ich nur vermuten, dass es etwas mit der Strömung und den Gezeiten zu tun hatte. Es sah nur so surreal aus, als ob ein gigantisches Kind seine Spielzeuge hier zusammengetragen hätte und gleich zurückkäme. Jemand Lebendiges sahen wir nie, aber wir hätten sie sicherlich aufgesammelt. Vielleicht hätten wir uns mehr Mühe geben sollen; also, etwas Lärm machen und schauen, wer da so angerannt kam, aber wir taten es nicht.

Es gab eine Reihe von Bränden nahe dem Ufer und einmal sah ich eine riesige Explosion weiter landeinwärts. Ich habe keine Ahnung, was es war, vielleicht einer von diesen großen Ölvorratstanks oder so etwas. Ich hörte das Donnergrollen der Druckwelle vielleicht eine halbe Minute nach dem Aufblitzen.

Wir erforschten zwei Boote an diesem Nachmittag. Das Erste war ein Motorboot, das wie eine erwachsene Ausgabe von dem aus Gilligans Insel aussah, ein Sportangler, wie Robert es nannte. Es trieb einfach vor sich hin, ein paar Hundert Meter vom Ufer entfernt, und war von Möwen bedeckt. Wir gingen auf zwanzig Meter heran, machten eine Menge Lärm und warteten auf eine Antwort. Robert meinte: »Ich schätze so frühe Achtziger, zehn Schlafplätze, wir reden hier von Längskojen, ein paar Gästekabinen, Kapitänskajüte, Maschinenraum, Salon, Speisesaal … das wird nicht leicht. Bist du dabei?«

»Warum nicht?«

Etwas Ablenkung tat uns sicherlich gut. Ich hatte schon den ganzen Morgen Boote betrachtet und mich gefragt, welche kleinen Schätze sie wohl verbergen würden, und mir war jede Ausrede recht, um nicht an gestern denken zu müssen, oder vorgestern, oder letzte Woche.

Wie gewöhnlich hatte Robert recht. Es war kein Spaziergang. Die Vögel waren wegen zweier Leichen im hinteren Teil des Bootes da. Die Überreste eines Mannes und einer Frau. Ich schlussfolgerte das anhand der Kleidung, da die Körper ziemlich angeknabbert waren von den Möwen und lädiert von dem Wind und der Sonne. Der Mann steckte definitiv in einem schwarzen Smoking, aber ich hatte keinen Schimmer, was sie trug. Was es auch war, der Stoff musste sehr dünn gewesen sein. Es sah aus, als hätten sie vor dem Abtreten eine Party gefeiert. Mehrere Flaschen Stolichnaya Elite, verdorbenes Essen und Müll lagen verstreut herum und ein großer Spiegel (nun mit Möwendreck überzogen) lag auf dem Tisch in der Mitte. Auf Deck war der Schauplatz nicht so schlimm, abgesehen vom Möwendreck; diese Bootsraubgeschichte könnte funktionieren. Sobald wir aber drinnen waren, wurde alles etwas beengend. Die Korridore waren sehr schmal, die Türen hatten komische Größen und das Boot knarrte und schwankte. Auf meiner Spaßskala lag das hier ganz weit unten. Ich war schlicht und einfach nervös. Alles in allem war es irgendwie gruselig.

Sobald das Boot gesichert war, gingen wir herum und sammelten Zeug ein. Ganz gleich, wer dieses Boot besessen hatte, er war reich gewesen, hatte aber einen Scheiß über grundlegende Überlebensausrüstung gewusst. Aber hey, wir ergatterten eingemachte Austern.

Als Nächstes kam ein verlassenes Segelboot, auf dem wir weitere drei Stunden damit verbrachten, zu planen, zu messen, herumzugammeln und noch mehr zu planen, bei dem vergeblichen Versuch, Roberts Boot mit diesem Umkehr-Osmose-Wasserfilterungssystem nachzurüsten. Oh, und wir fanden mehrere Kästen Monadnock-Wasserflaschen und ein paar Seekarten.

Lustig, ich habe nie auf die Namen der zwei Boote geschaut.

In dieser Nacht ankerten wir in einer kleinen Bucht, schön weit vom Ufer entfernt. Wir hatten gutes Licht bis fast 22 Uhr und soweit keine Besucher. Als die Temperatur sank, hob sich unsere Stimmung ein ganz klein wenig. Wir redeten nicht viel und verbrachten einfach unsere Zeit damit, in die Ferne zu starren. Aus irgendeinem Grund fing ich an, länger und länger auf das Ufer zu starren. Selbst wenn ich hundert Jahre alt werden sollte, was sehr unwahrscheinlich klang, würde ich nie wirklich fähig sein, diese vergangene Woche zu verarbeiten.

Zum Abendessen gab es Campbells Cremige Muschelsuppe, Salzcracker und warme Dr. Pepper. Nicht das Beste, aber es würde ausreichen und ich hatte sowieso keinen Hunger.

Robert ist ein großer Kerl, eins-neunzig, vielleicht hundert Kilo schwer. Ein Mittsechziger, mit kurzem, grauen Haar, einem grauen Bart und in hervorragender Form. Das Tattoo auf seinem Arm verrät, dass er früher einmal ein Marine gewesen war. Etwas, worüber er nie sprach. Eine kurze Unterhaltung mit ihm, und man merkte schnell, dass er total gelassen war, belesen und ziemlich smart. Er wollte schon immer Pilot werden, aber es kam letztendlich so, dass er Maschinenbau unterrichtete. Er liebte das Segeln. Sein Ruhestand sollte aus diesem Boot und dem Rest der Welt bestehen. Außerdem hatte Robert eine weitere Leidenschaft: Sportschießen mit der Pistole. Ja, ich weiß. Wie groß sind die Chancen, während einer Zombieapokalypse Dirk Pitt als Partner abzubekommen? Einer der anderen hatte mir erzählt, dass er einen Meistertitel bei der International Defensive Pistol Association erlangt hatte, regelmäßig an Wettbewerben der National Rifle Association teilnahm und so etwas wie eine Legende beim Capital City Gun & Pistol Club war. Dies war offensichtlich, wenn man ihn in Aktion sah. Er blieb immer ruhig, fast schon Buddha-artig, und schien niemals danebenzuschießen. Während ich jeden Schuss zählte, da meine Flinte nur sieben Patronen aufnahm, wusste Robert immer genau, wie es mit seinem Ladestreifen aussah und wann nachzuladen war.

Ich saß am Tisch in der Kombüse, knabberte an einem Cracker und starrte auf meine nun kalte Muschelsuppe. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie er mich studierte.

»Du weißt, wir hatten uns alle gemeinsam entschieden. Es war einstimmig. Wir brauchten Nahrung und Wasser. Wir brauchten Erholung.«

»Ja, aber wir hätten wenigstens um den Felsen segeln sollen. Vielleicht hätten wir es dann gesehen. Ich hatte den Gezeitenwechsel bemerkt, als wir zum Boot runtergingen, es war nur, es kam mir nie in den Sinn, dass …«

»Zu müde! Zu durstig! Wir hatten gerade den Großteil einer Woche damit zugebracht, uns in den Arsch treten zu lassen. Verdammt, wir waren überstrapaziert und konnten uns gerade noch so zusammenreißen. Wir können das wieder und wieder durchkauen, John. Hätte ich meine Seekarten gehabt, hätten wir mehr Wasser gehabt, hätte mein verdammtes Tablet funktioniert und wäre diese ganze Scheiße nie passiert! Wir alle haben's versaut und du und ich haben einfach verdammtes Glück, jetzt noch am Leben zu sein. Ende der Geschichte.«

Ich hatte ihn nie laut werden hören und wollte nicht erleben, wenn er wirklich sauer war.

»Du hast recht, Robert, Ende der Geschichte«, sagte ich mit einer Stimme, die nach völliger Niederlage klang. Natürlich wusste ich, dass er recht hatte. Wir begingen vorher schon dumme Fehler, in der Scheune, auf dem Weg aus Bangor hinaus, als wir den Reifen wechselten … Scheiße, genau darüber wollte ich nicht nachdenken, noch nicht, und vielleicht nie wieder.

Robert murmelte etwas vor sich hin und ging achtern, um seine Flasche Dewars Scotch zu holen. Ich schnappte mir eine Decke und eine Isomatte und ging nach oben, um mich hinzulegen. Die Nacht war warm, das Wasser ruhig, der Himmel klar und der Anblick der Sterne umwerfend.

Die meisten Menschen in den Staaten haben nie die Chance, die Sterne wirklich zu sehen. Ohne Elektrizität war es, als wäre man in der tiefsten Provinz; der Nachthimmel war eine körperliche Präsenz und man konnte verstehen, warum ihn die alten Völker verehrten. Ich fand etwas Trost bei den Sternen. Sie waren für ewig. Abgesehen vom Offensichtlichen ärgerte mich in dem Moment am meisten, dass ich wusste, dass es wahrscheinlich nicht mehr viele Menschen gab, die die Sterne zu schätzen wussten oder über sie nachsannen, und unsere Zahl wurde mit jedem Tag kleiner.

Ich sah den Skorpion aufgehen, mein Geburtszeichen, und versuchte andere Konstellationen zu identifizieren. Da waren Orion und der Löwe, glaubte ich, ein Haufen Satelliten (als ob wir die noch bräuchten) und … oh Scheiße! Es machte einen Bogen von Ost nach West, erst dämmerig und unscharf, aber sehr schnell, und war dann für zwei Minuten das hellste Ding am Himmel. Wie konnte ich das vergessen? Es war die International Space Station.

Was zur Hölle sollten diese armen Schweine jetzt machen? Wie viele waren an Bord? Was sahen sie, wenn sie über die Nachtseite der Erde flogen? Könnten sie die Station verlassen? Wo würden sie landen? Ich habe einmal etwas von Kasachstan als Landestelle gehört. Wahrscheinlich, weil es groß und flach und schwer zu verfehlen war. Ich versuchte mir vorzustellen, was ich machen würde, und glaubte, letztendlich würde ich bleiben, wo ich war. Nun … was für eine Aussicht!

Ich schloss meine Augen und versuchte die immer gleichen Fragen zu ignorieren. Trotz all unserer Technologie und Wissenschaft waren wir wirklich so leicht zu schlagen gewesen? Wie lange wird das noch anhalten, wie hoch ist die Zersetzungsrate? Wie lange noch? Wie zum Teufel sollten wir das durchstehen? Mein Verstand wollte nicht stillstehen, trotzdem landete ich immer wieder bei den Zombies. Die Welt ging zu Ende wegen verfluchter Zombies! Man wird mir verzeihen, aber … verfickte Zombies?

Ich war nun schon eine Weile in einem Zustand, bei dem man sich fragte, welcher äußere Ring der Hölle das hier sei und wie man dort wieder herauskäme, und hatte mich durch all die verschiedenen Szenarien spekuliert. Aus welcher Richtung ich es auch betrachtete, die Menschheit saß leider ganz schön in der Patsche. Fantastisch, da erlebte ich höchstpersönlich das größte genetische Flaschenhals-Phänomen der Menschheitsgeschichte und hatte noch nicht mal einen Einsatz darin (soll heißen, ich habe keine Kinder). Es gab über hundert Milliarden Galaxien im bekannten Universum. Das bedeutete, da draußen müsste es eine verdammt große Menge an intelligentem Leben geben. Vielleicht war es einer dieser Geschichten, dass statistisch gesehen hin und wieder eine empfindsame Spezies von ihren eigenen Zombies ausgelöscht wurde.

Ich wusste, dass Robert richtig lag, und verstand verdammt gut, dass wir gerade noch mal aus der Hölle entkommen waren, aber alle unsere Freunde waren fort. Alle Mühen waren vergeblich gewesen. Alle Bemühungen um Menschlichkeit waren vorbei. Es schien einfach nicht richtig, so viel ertragen zu haben, nur um dann schließlich als einer von ihnen zu enden, langsam dahinrottend in ewigem Zorn. Ich hatte darüber nachgedacht, zurückzufahren und die Insel wieder einzunehmen, um sicherzugehen, dass wirklich alle tot waren, aber nur zu zweit war es einfach unmöglich. Ich erwähnte es Robert gegenüber auch nicht. In Zeiten wie diesen wünschte ich mir, ich würde rauchen. Wenigstens gäbe es mir etwas zu tun. Durch das sanfte Schaukeln des Bootes und die leisen Klänge der Wellen, die gegen den Rumpf plätscherten, beruhigte ich mich und glitt langsam in den Schlaf. Irgendwann träumte ich von besseren Zeiten … und von Elizabeth.

Elizabeth war Studentin in meinem Paleoanthropologiekurs, Die Evolution der vorzeitlichen Hominiden gewesen. Sie war ungefähr in meinem Alter, etwas größer, mit langem, braunen Haar und durchschnittlichen Zügen, aber von dieser Art, die einen zweimal hingucken lässt. Sie studierte wieder, um endlich ihren Bachelor of Arts zu bekommen, den sie lange Zeit zuvor aufgegeben hatte, um zu heiraten und Kinder großzuziehen. Nachdem die Kinder groß waren und sie geschieden, hatte sie die Freiheit, die Dinge zu tun, die sie glaubte, verpasst zu haben. Sie liebte es zu reisen und wollte das Leben endlich richtig leben. Sie erzählte mir einmal, mit all dieser Freiheit wäre es, als würde sie wieder zu atmen lernen. Ich blies zu der Zeit Trübsal, hatte lange keine Dates gehabt und war auch nicht auf der Suche. Ich hatte mich schon mit einem Junggesellenleben abgefunden, zu alt, um Kinder zu haben und alt genug, um es zu bedauern. Nach der vierten Stunde war sie länger geblieben, um ein paar Fragen zu den Gemeinsamkeiten von Afropithecus und Sivapithecus zu stellen und die Unterhaltung schweifte ab, denn wir verstanden uns auf Anhieb gut. Nach mehreren Gesprächen bei Kaffee im Store Ampersand fanden wir heraus, dass wir die gleichen Dinge mochten, wir lasen die gleichen Bücher, schauten die gleichen Filme und wollten mehr Abenteuer erleben.

Mit einem Studenten aus der eigenen Klasse auszugehen, war streng verboten, aber ihr Hauptfach war Biologie. Als das Semester zu Ende ging, sahen wir uns immer öfter. Im Dezember fuhr sie nach New York, um die Feiertage mit ihrer Mutter zu verbringen, und ich besuchte meine Familie in Rhode Island. Wir sprachen jeden Tag miteinander und machten Pläne für einen Campingausflug in Utah im nächsten Frühling. Ich wusste, ich war geliefert, sie war einfach zu nett, und nach allem, was ich durchgemacht hatte, bekam mein Leben endlich eine neue Wendung. Das Timing war einwandfrei.

Gleich nach Weihnachten verstarb ihre Mutter plötzlich. Ich wollte zu ihr fahren und ihr helfen, wo immer ich konnte, aber sie sagte Nein und nannte auch keinen richtigen Grund dafür. Später erzählte sie mir, dass ihr Ex da gewesen sei und sie wollte der unvermeidlichen unangenehmen Situation aus dem Weg gehen. Ich war verletzt und verwirrt, aber als sie sich mit Ich liebe dich verabschiedete, war ich im siebten Himmel.

Ich sollte nächstes Semester nicht unterrichten, nur an ein paar Abhandlungen arbeiten, und wollte im März nach Südamerika, in der Hoffnung, die Dinge würden sich nach meiner Rückkehr richtig gut entwickeln. Das Leben war schön.

Seuche

31. Mai

Die heißen Sonnenstrahlen holten mich in die Realität zurück. Ich würde nie über diese einzigartige Enttäuschung hinwegkommen, die einen überkam, wenn man aufwachte und wusste, dass alles nur ein Traum war. Laut meiner Uhr war es fünf Uhr einundvierzig. Der kristallklare Himmel versprach einen kochend heißen Tag, aber Mann, was für ein Sonnenaufgang. Ich drehte mich um und betrachtete das Ufer. Die kleine Bucht, in der wir ankerten, war dicht bewaldet mit Pinien und Laubbäumen, und der Küstenstreifen bestand aus glatten, schwarzgrauen Steinen. Es war ein ruhiges Plätzchen und würde absolut grandios aussehen, wenn das Herbstlaub herauskam. Ich war froh, dass dort niemand auf uns wartete. Unser Plan bestand darin, in Richtung Süden weiterzuziehen und vertäute Boote nach Nützlichem zu durchforsten. Das Letzte, was wir tun wollten, war das Festland zu betreten. Da es zu früh war, Robert zu wecken, schirmte ich meine Augen mit dem Arm vor dem Licht ab und döste vor mich hin.

Als ich aus Südamerika nach Bangor zurückkehrte, war mir klar, dass alles rapide außer Kontrolle geriet und ich Glück hatte, nicht in der Quarantänehölle in Florida gelandet zu sein. Was mir in Miami den Arsch gerettet hat, war: a) Südamerika hatte noch keine Infektion gemeldet, b) ich war ein angesehener US-Bürger, c) ich hatte einfach ziemlich Schwein gehabt. Am Flughafen wirkten alle wie benommen, so als ob sie gerade erst aufgewacht wären.

Ich fand schnell heraus, dass diese Krankheit oder was immer es war, erst seit ein paar Wochen umging, an kleinen, abgelegenen Orten, von denen niemand je gehört hatte. Nichts Großes in den Mainstreamnachrichten, nur ein paar merkwürdige Berichte hier und da. Wahrscheinlich waren wir alle desensibilisiert von all dem Trara um die Schweinegrippenpandemie und die Bedrohung durch Bioterrorismus. Dann sickerte ein Video eines UN-Ärzteteams vom Ukok-Plateau in der gottverdammten Einöde Russlands durch. Es war so schnell online, dass man meinen konnte, es live zu sehen. Als ob John Carpenter ein Remake eines Remakes von Das Ding aus einer anderen Welt gemacht hätte. Das Meiste von dem, was hochgeladen wurde, war sehr wackelig und oft leicht verschwommen. Schwer zu sagen, was da wirklich vor sich ging, aber eines war klar, etwas wirklich Schlimmes war passiert und passierte immer noch. Trotzdem war es okay, ich meine, das Ukok-Plateau? Nun mal halblang. Ein bis zwei Tage später und nach acht Millionen Aufrufen auf YouTube ging es richtig los. Die Presse verband den Ukok-Vorfall und die einzelnen Berichte miteinander und kam zu der offensichtlichen Schlussfolgerung: Wir werden alle einen fürchterlichen Seuchentod sterben! Schon seltsam, wenn man bedachte, dass diese Spekulation vollkommen richtig war.

Die Nachrichten wurden von Stunde zu Stunde schlimmer. Bald kamen Berichte aus relativ großen Städten in China wie Turpan, Qumul und Ürümqi, von eigenartigen Kundgebungen, dem Ausfall des Internets und der Telefone. CNN berichtete, dass das chinesische und russische Militär in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden war.

Als ich in meine Wohnung kam, war es, als würde ein Schalter umgelegt; ich war daheim, ich hatte es bequem und alles würde wieder gut werden. Der Typ neben mir auf dem Flug nach Boston war bestimmt nur ein Endzeit-Arschloch gewesen, so schlimm war es gar nicht. Ich zog die Vorhänge auf und öffnete die Fenster; frische Luft und Sonnenschein, ja, alles wird gut. Mir war nicht danach, den Computer oder die Glotze anzumachen, also hörte ich Radio. NPR berichtete, dass Ulaanbaatar, die Hauptstadt der Mongolei, infiziert sei, aber ich hätte schwören können, dass der britische Reporter erst verseucht sagte. Die USA reagierten auf die zunehmende Krise mit der Inkraftsetzung von etwas mit dem Namen Nationale Strategie zum Heimatschutz (sprich Ausnahmezustand), gekoppelt mit einer Flut von Reisebeschränkungen. Der Endzeit-Typ könnte anscheinend doch recht behalten. Ich war völlig benommen und schwenkte um auf volle Reizüberflutung: Fernsehen. Ich entschied, auf Vernunft zu verzichten und gleich auf Hysterie zuzusteuern, also schaltete ich Fox News ein. Man musste nur ein paar Minuten zuschauen, bis man anfing zu begreifen, dass die Menschen dieses Mal verlieren könnten. Die Wichtigtuer regten sich darüber auf, dass die Regierung unsere Rechte einschränkte und man kämpfen müsste, um Amerika wiederherzustellen. Das bisschen Zeit, das der Sender dem wahren Problem widmete, hatte eine eindeutig religiöse Färbung, als es um das verschwommene Warum und Weshalb ging. Ich sollte hier nicht auf einem einzelnen Sender herumhacken, da sie einfach nur ihrer Zeit voraus waren.

Zum vielleicht sechsten Mal in den letzten zwei Stunden versuchte ich Liz oder irgendjemanden aus meiner Familie zu erreichen, kam aber nicht durch. Am Briefkasten lief ich meinem Hausnachbarn über den Weg, ein waschechter, pensionierter Hummerfischer aus Maine. Danny war Witwer und liebte es zu tratschen. Er sagte, ich solle einfach alles ignorieren.

»Hör zu, Professor, das ist das Werk der liberalen Medien. Wir sind alle Schafe für die. Wir tanzen nur nach deren Pfeife, okay, ein paar Schlitzaugen kriegen die Grippe, Gott möge sie schützen, aber lass die sich doch damit beschäftigen. Wir haben genug eigene Probleme.« Er legte eine ziemlich faltige Hand auf meine Schulter. »Hör mal, Mongolei? Machst du Witze, Professor? Wir beide wissen, dass es die Mongolei seit Genghis Khan nich' mehr gibt. Was glauben diese Harvard-Arschnasen, mit wem sie's hier zu tun haben?«

Am nächsten Tag ging alles den Bach runter. Unser Militär, ach was, das Militär der ganzen Welt wurde in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Die UN berief eine Sondersitzung ein. Ich traf zufällig einen Feuerwehrmann, der ein paar Etagen unter mir wohnte. Er war auf dem Weg zur Arbeit, aber mit einem Rucksack und einer Sporttasche. Jeder, der irgendetwas mit Vollzugsdienst, Feuerbekämpfung, Notfallmedizin und dem ganzen Zeug zu tun hatte, wurde einberufen. Eine Wagenburg bauen, nannte er es. Ich kann es schlecht erklären, aber die Gesamtstimmung bestand aus gedämpfter Furcht.

»Planst du, länger zu bleiben?«, fragte ich beiläufig, als wir aus dem Fahrstuhl traten.

»Ja.« Er machte ein paar Schritte, blieb stehen, und ohne sich umzudrehen, fragte er: »Hast du mal was vom Nationalen Einsatznetzwerk gehört?«

»Nein.«

»Gut.«

Er ging einfach davon. Ich habe seinen Namen vergessen, aber Danny setzte mich unaufgefordert über all die wichtigen Dinge ins Bild: seine schwierige Scheidung, dass er nicht fernsah oder Sport verfolgte, dass er von der Feuerwehr für irgendwas ausgezeichnet worden war und dass er auf der nationalen Rangliste im Schach stand. Jetzt hatte ich offiziell eine Scheißangst.

In Zentralasien ging die Sache schnell voran. Ganz China war im Ausnahmezustand, riesige Gebiete waren ohne Strom und es gab nur selten Neuigkeiten aus Peking, Shanghai oder Hongkong. Das Wenige, das durchkam, war offensichtlich stark zensiert und die Übertragungen wurden immer surrealer. Alle Zeichen deuteten darauf hin, dass etwas Unglaubliches passierte. China war die bevölkerungsreichste Nation der Welt, Weltklassewissenschaftler und ein totalitäres Regime, das mit so einer Situation umgehen konnte. Aber China war am Arsch.

Bis zum Ende der Woche war China verloren und Taiwan so gut wie erledigt – nur noch ein paar Meldungen von Bloggern, die von Tod und Zerstörung berichteten, Hölle-auf-Erden-Zeug. Südkorea bezeugte Krankheitsausbrüche in jeder größeren Stadt und es gab Gerüchte, dass das US-Militär abgezogen wurde. Nordkorea versammelte seine Armeen an der Grenze, aber man wusste, dass sie es auch hatten. In Japan gab es Vorfälle. Die Regierung bestand einfach weiterhin darauf, dass die Krankheit unter Kontrolle wäre. Noch am selben Tag gab Indien eine erschreckend ähnliche Mitteilung raus.

Innerhalb der nächsten paar Tage wurde aus Nepal, Vietnam, Laos, Thailand, Indonesien, den Philippinen und Malaysia offiziell Krankheitsausbrüche verkündet und ein ganzer Haufen Gerüchte besagte, dass es schon im Westen von Russland war, in Teilen des Mittleren Ostens und in Afrika. Einige Reportagen deuteten an, es stamme aus Zentralafrika, wo die Menschen einst menschlich geworden waren, aber warum zum Teufel war China dann so schnell im Eimer? Nichts ergab einen Sinn. Wir erhielten einfach nicht genügend Informationen. Jeder war von den sich ständig selbst widersprechenden Berichten verwirrt. Eines war aber klar, nämlich, dass die Menschen dieselben Arschgeigen waren, die sie schon immer gewesen sind. Plündereien und Aufstände schienen das übliche Prozedere in jeder infizierten Stadt zu sein. Wenn die Zivilisation um einen herum zusammenfiel, warum zum Teufel wollte man dann einen Breitbild-HD-3D-Fernseher klauen? Alles, was das Chaos anrichtete, war die Zerstörung schneller voranzutreiben. Wir alle hielten die Luft an und beteten. Ich starrte stundenlang auf meinen Bildschirm, während mein Verstand schrie: Nein, das kann doch nicht wahr sein!

Jedes westliche Land – eigentlich jedes Land der Welt – hatte inzwischen irgendeine Form von Quarantäne verhängt, wobei Großbritannien am strengsten war. Es gab Videos der britischen Marine, auf denen sie auf Segelboote schossen, die den Ärmelkanal zu überqueren versuchten.

Sie würden alle scheitern, kläglich.

Die Presse nannte es einfach Die Seuche