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Eine Hausgesellschaft weilt auf dem sommerlichen Landgut Kadullen. Die jugendliche Tochter des Grafen Hamilkar von Wandl-Dux, Billy, verliebt sich in ihren Vetter Boris Dangellô. Der Graf lehnt es jedoch kategorisch ab, diesem die Hand seiner Tochter zu überlassen. Also stimmt Billy einer nächtlichen Flucht zu. Eine folgenschwere Entscheidung. Schon bald holt die raue Wirklichkeit das junge Paar ein. Charmante Unterhaltung vom Meister des Impressionismus, Eduard von Keyserling.
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Seitenzahl: 134
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LUNATA
Bunte Herzen
© 1909 Eduard von Keyserling
© Lunata Berlin 2020
Bunte Herzen
In Kadullen wurde im Sommer schon um vier Uhr gespeist, um den Abend für sommerliche Unternehmungen frei zu haben. Dann lag das Nachmittagslicht stetig auf der langen, weißen Gartenfront und den drei schweren Giebeln des Landhauses. In den geradlinigen Beeten glänzten die Levkojen wie krause hellfarbige Seide und der Buchsbaum duftete warm und bitter. Ein Diener stellte sich auf die Stufen der Gartenveranda und läutete mit einer großen Glocke, das Signal, daß es Zeit sei, sich für das Mittagessen anzukleiden.
Der Hausherr, der alte Graf Hamilkar von Wandl-Dux, kam schon fertig angekleidet mit seinem Gast, dem Professor von Pinitz, in den Garten hinaus. Graf Hamilkar, sehr lang und schmal in seinem schwarzen Gehrock, hielt sich ein wenig gebeugt. Den Panama zog er tief in die Stirn. Das glattrasierte Gesicht mit dem langen, lippenlosen Munde hatte etwas Asketisches, wie es jene Gesichter haben, auf denen alles, was das Leben hineingeschrieben hat, beruhigt, gleichsam widerrufen erscheint. Mit langen Schritten begann er den Gartenweg hinabzuschreiten. Der Professor vermochte kaum Schritt zu halten, denn er war kurz und dick, die weiße Weste saß sehr prall über dem runden Bauch und das Gesicht war rot und erhitzt unter dem kannelfarbigen Bartgestrüpp. Er erzählte dem Grafen einen merkwürdigen Traum, den er gehabt hatte, dafür interessierte er sich jetzt, denn er wollte eine Theorie des Traumes schreiben, und der Graf teilte ihm das Material mit, welches er einmal auch über dieses Thema gesammelt hatte. Graf Hamilkar hatte immer gesammeltes Material für die Bücher, welche die anderen schreiben wollten, er selbst hatte nie eins geschrieben, »ich wußte nie«, pflegte er zu sagen, »welches meiner Bücher ich schreiben sollte und so kam es denn zu keinem.«
»Also denken Sie sich«, berichtete der Professor, »ich war beim Kollegen Domnitz, im Traum nämlich. Nun Domnitz legt mir beide Hände auf die Schultern, macht ein ganz feierliches Gesicht und sagt mit einer ganz tiefen Stimme, die er sonst nie hat: ›Kollege, ich habe die Grundform, die Urform der Schönheit gefunden, einfach die Schönheit an sich.‹ Ich sage Ihnen, das fuhr mir so durch alle Glieder, so eine Art Schreck oder Freude oder Rührung, gewiß, das Weinen war mir so nahe. Das sind Empfindungen, wie wir sie nur im Traum haben können: ›Nein wirklich‹, sage ich. ›wo ist sie denn?‹ – ›Da‹, sagte er und ja – und zeigt sie mir.«
»Er zeigt sie Ihnen?« fragte der Graf und blieb stehen, »ja, wie sah sie denn aus?«
Der Professor kniff die Augenlider zusammen, als wollte er einen Gegenstand scharf betrachten. »Sie sah aus«, meinte er, »ja, sie sah eigentlich ganz einfach aus, wissen Sie. Eine schmale weiße Tafel ähnlich den Grabsteinen auf den jüdischen Friedhöfen, ein Meter hoch, denke ich, oben abgerundet und in der Rundung ein Gesicht, nur zwei Punkte die Augen; ein vertikaler Strich die Nase, ein horizontaler Strich der Mund – nichts weiter. Was sagen Sie dazu, was?«
»Eigentümlich«, sagte der Graf und schaute über den Professor hinweg in den Garten hinaus.
»Ja, aber was das Wunderbarste ist«, fuhr der Professor fort und seine Stimme wurde leiser, als spräche er von sehr geheimnisvollen Dingen, »ich sagte sofort ach ja, denn es leuchtete mir sogleich ein, ich wußte, das ist die Schönheit an sich; ja, mir war es, als hätte ich das eigentlich schon längst gewußt. Wie erklären Sie sich das?«
»Ja, das ist schwierig«, erwiderte der Graf ein wenig zerstreut und schaute noch immer in den Garten hinaus.
Drüben zwischen den Stockrosen und Malvenbeeten war es jetzt lebhafter geworden. Eine Schar junger Mädchen und junger Leute ging den Weg hinab dem Hause zu, helle Sommerkleider und Flanellanzüge und ein eifriges Stimmengewirr. Der Professor schwieg nun auch und wandte sich nach den Kommenden um. Da waren seine beiden Töchter, große Mädchen in grellrosa Batistkleidern und gelben Schäferhüten und sehr erhitzt. Beide lachten zu gleicher Zeit in einem hohen, ein wenig schrillen Diskant. Neben ihnen schritt der Leutnant von Rabitow vom Alexanderregiment, ein wenig steifbeinig in seinem weißen Tennisanzug. Die beiden Neffen des Hauses Egon und Moritz von Hohenlicht, beides Studenten, beide sehr blond, den Scheitel tief bis zum Nacken herabgezogen, waren mitten auf dem Wege stehen geblieben und fochten mit ihren Raketts. Fräulein Demme, die Gouvernante, trieb scheltend die vierzehnjährige Erika vor sich her und Erika setzte aus Opposition die dünnen Beine in den schwarzen Strümpfen nur lässig in Bewegung. Die beiden alten Herren ließen diese Welle jugendlichen Lebens wohlgefällig an sich vorüberrauschen. Beide lächelten ein wenig.
»Sehen Sie, Professor, das dort ist auch sofort einleuchtende Schönheit, eigentlich Schönheit an sich«, begann der Graf und wies zu einem Beet voll dicker dunkelroter Rosen »Sultan von Zausibar« hinüber, an dem seine siebzehnjährige Tochter Billy stand.
Es war sehr hübsch, wie das Mädchen im hellblauen Sommerkleide dort bei den Rosen stand, das runde Gesicht rosa und lächelnd, ohne Hut. Im grellen Sonnenschein hatte ihr Haar ein ganz warmes Braun wie alter Portwein und das Ganze war farbig wie ein Blumenbeet. Neben Billy stand Marion Bonnechose, die Tochter der französischen Gouvernante, die mit Billy zusammen erzogen worden war, klein und dunkel, im hageren, etwas gelblichen Gesichte zu große braune Augen, die Billy gespannt und wachsam anschauten.
»Gewiß«, sagte der Professor, »Komtesse Sibylle ist unzweifelhaft sehr schön, aber die Schönheit an sich in meinem Traum war einfach eine halbrunde weiße Tafel«.
Die jungen Leute waren im Hause verschwunden und auch Billy und Marion liefen dem Hause zu, die Hände voll roter Rosen. Der Garten wurde wieder still. Der Graf bog ein wenig den Kopf zurück und zog in seine lange weiße Nase die Düfte der Spätsommerblumen, reifer Pflaumen und Sommerbirnen ein mit dem Ausdruck eines Genießers, der einen kostbaren Wein trinkt. Vom Tennisplatz her kam noch ein Nachzügler, Boris Dangellô. Er ging langsam und nachdenklich, den Kopf gesenkt, nur als er an den beiden Herren vorüberkam, grüßte er, das feine bleiche Gesicht lächelte, aber die Augen behielten den sinnenden Ausdruck, als wollten sie ihre sentimentale Schönheit nicht stören.
»Auch Schönheit«, bemerkte der Professor, »Ihr Neffe, Herr von Dangellô, sieht ungewöhnlich gut aus«.
Aber da war etwas, das den Grafen verstimmte. »Für einen jungen Menschen«, sagte er streng, »ist es nicht vorteilhaft, so gut auszusehen, das zerstreut und zieht ab.«
»So, so«, murmelte der Professor, »ich weiß nicht, ich habe darüber keine Erfahrung.« Sie waren jetzt bis an das Ende des Gartenweges gekommen, blieben einen Augenblick stehen und schauten über das Gartengitter hinweg auf die Stoppelfelder und gemähten Wiesen. Dahinter legte der Wald einen blauschwarzen Rahmen um das Bild, das gelb von Sonnenschein war, dieser dichte Tannenwald, der sich ununterbrochen bis an die russische Grenze hinzog.
»Ich weiß nicht, ob ich mich täusche«, begann der Professor wieder, »aber es will mir scheinen, als sei in der heutigen Generation das gute Aussehen verbreiteter als in meiner Jugendzeit. Sie sehen jetzt alle gut aus.«
»Möglich«, erwiderte der Graf, »aber vielleicht liegt das auch an uns. Wir haben jetzt die richtige Distanz und Sie wissen, daß Bilder schöner werden, wenn wir den richtigen Abstand haben. Aber vor allem, Professor, wir haben das nötig. In unserem Alter wollen wir hübsche Jugend um uns haben, wir verlangen Schönheit von der Jugend. Das ist sehr egoistisch. Wir genießen das behaglich. Aber die arme Jugend. Glauben Sie ›schön sein‹ sei bequem? Schönheit kompliziert das Schicksal, legt Verantwortungen auf und vor allem es stört unsere Abgeschlossenheit. Denken Sie sich Professor, Sie wären sehr schön. Mit jedem Menschen, der Ihnen begegnet, bindet Ihr Gesicht an, wirkt auf ihn, drängt sich ihm auf, spricht zu ihm, ob Sie wollen oder nicht. Schönheit ist eine beständige Indiskretion. Wäre das angenehm?«
»Ich ... ich kann mich da wohl nicht recht hineindenken,« erwiderte der Professor.
Der Graf lächelte sein unterdrücktes etwas schiefes Lächeln. »Ach ja, uns beiden sind diese Schwierigkeiten erspart geblieben.«
Dann wandten sie sich um und schritten wieder dem Hause zu.
Auf der Veranda fanden sie schon Komtesse Betty, die Schwester des Grafen, die ihm, seitdem er Witwer war, den Haushalt führte und seine Kinder erzog. Sie war feierlich angezogen in ihrem langen Spitzenburnus. Das weiße Gesicht mit den rosa Bäckchen schien sehr klein unter der großen Spitzenhaube nach der Mode der sechziger Jahre. Tante Betty saß wie an einem Krankenbett neben dem Liegestuhl, auf den sich ihre älteste Nichte Lisa hingestreckt hatte. Lisa, die geschiedene Fürstin Katakasianopulos, lehnte ihren Kopf müde zurück und schloß halb die Augen. Die braunen Löckchen fielen ihr wirr in einer Art Opheliafrisur in das blase feine Gesicht. Sie trug ein schwarzes Spitzenkleid, denn seitdem ihre Ehe geschieden worden war, liebte sie es, sich in Schwarz zu kleiden. Sie hatte ihren Griechen in Biarritz kennen gelernt und eigensinnig darauf bestanden, ihn zu heiraten. Als nun aber der Fürst Katakasianopulos sich als unmöglicher Ehemann erwies, war die Familie froh, ihn wieder los zu sein.
Lisa jedoch behielt seitdem etwas Tragisches, das Tante Betty als Krankheit behandelte und mit der sorgsamsten Pflege umgab. Auch der Hauslehrer, ein stattlicher Hannoveraner, und Bob, der Jüngste der Familie, hatten sich eingefunden.
»Wie ist das Befinden, Frau Fürstin?« sagte der Professor.
Lisa lächelte matt. »Ich danke, ein wenig müde.«
»Ruhe haben wir nötig,« meinte Tante Betty.
Im Hintergrunde echote Bobs ungezogene Stimme ein: »Möde«.
Der Graf schaute seine Tochter unzufrieden an. »Gegen zu lyrische Nerven,« sagte er, »wäre etwas Beschäftigung vielleicht ratsam.« »Aber Hamilkar,« wehrte Tante Betty ab.
Lisa zog resigniert die Augenbrauen empor und wandte sich zum Hauslehrer, um eine liebenswürdige Unterhaltung zu beginnen: »Ist es in Ihrer Heimat jetzt auch so heiß, Herr Post?«
Oben in der Tür des Gartensaals erschien Billy im weißen Kleide, rote Rosen im Gürtel, und wie sie die Stufen zur Veranda herabstieg, schauten alle zu ihr auf und lächelten unwillkürlich. Sie lächelte auch, als brächte sie etwas Gutes. Bob gab der allgemeinen Stimmung Ausdruck, indem er rief: »Billy sieht heute wieder erster Güte aus!« Boris folgte ihr und nahm sie sofort in Beschlag, um halblaut mit ihr zu sprechen. Er sprach mit Damen immer halblaut, als sei das, was er sagte, Vertrauenssache.
Alle Hausgenossen waren nun versammelt, nur die Frau Professor fehlte. Die ließ stets auf sich warten.
»Ach ja, meine Frau,« meinte der Professor, »die beweist mir zur Genüge, daß die Zeit etwas Subjektives ist. Sie hat immer ihre eigene Zeit.«
Endlich kam sie, erhitzt und mit flatternden roten Haubenbändern. Man konnte zu Tisch gehen. Graf Hamilkar liebte diese Lebenslage, wenn er oben an der langen Tafel saß, die Reihe der jungen Gesichter entlangblickte und das Schwirren der gedämpften Stimmen hörte. Das erheiterte ihn. Er pflegte dann die Unterhaltung, wollte sie angenehm und harmonisch. Allein heute kam etwas wie ein Mißton hinein.
Man sprach von Politik. Der Professor war Patriot und nationalliberal. Er unterbrach sich im Essen seiner Erbsen, faßte mit Daumen und Zeigefinger ein Crouton, gestikulierte damit und sagte begeistert:
»Bitte, in der Wissenschaft als Gelehrter, da folge ich der Vernunft und Logik ganz unbedingt, wohin sie mich auch führen, aber in der Politik, da ist es anders, da kommt ein wichtiger Faktor hinzu, ein Affekt, die Liebe zum deutschen Vaterlande. Verstand und Logik müssen die Herrschaft mit der Liebe teilen, was sage ich, teilen – sie müssen sich der Liebe unterordnen; ja geradezu unterordnen. So bin ich auch ganz bereit, aus Liebe zum Vaterlande zuweilen unlogisch zu sein. Ja, mein lieber Graf, das bin ich.«
Er schaute sich triumphierend um und lachte. »Gewiß, gewiß,« meinte der Graf, »es wäre ja überhaupt schlimm, wenn wir nicht hin und wieder bereit wären unlogisch zu sein.«
Da beugte sich Boris vor und begann zu sprechen mit seinem ein wenig singenden slawischen Akzent und dem rollenden r: »Sie haben sehr recht, Herr Professor, aber es muß nicht immer nur die Liebe sein, es kann auch der Haß sein. Uns Polen ist auch der Haß heilig.«
Der Graf zog die Augenbrauen empor und beugte sich über seinen Teller. »Ich habe bemerkt,« versetzte er mit einer Schärfe, die alle überraschte, »daß Haß als Beschäftigung verdummt.«
Boris erbleichte. Er wollte auffahren. »Ich muß doch bitten, Onkel,« aber dann zuckte er die Achseln und lächelte ironisch. Billy und Marion, die ihm gegenübersaßen, erröteten beide und schauten ihn angstvoll an. Die beiden Kinder unten am Tisch kicherten. Es gab eine unangenehme Pause, bis der Professor wieder hastig zu sprechen begann. Boris schwieg, schaute gekränkt vor sich hin und lehnte alle Speisen ab. Auch Billy und Marion hatten jede Freude am Essen verloren und waren froh, als die Mahlzeit zu Ende ging. Die Sonne schien schon ganz schräg durch die Obstbäume, als auf der Gartenveranda der Kaffee genommen wurde. Graf Hamilkar rauchte eine Zigarette und schaute behaglich den Garten hinab, der jetzt wieder voller Leben war. Um diese Stunde wurden ihm stets die Augenlider ein wenig schwer. Drüben an der Buchsbaumhecke gingen Boris und Billy auf und ab. Boris sprach eifrig, machte mit seiner schmalen weißen Hand weite Bewegungen und ließ seine vielen Ringe in der Sonne blitzen. Darin lag etwas, was dem Grafen mißfiel, aber er wollte sich in dieser angenehmen Lebenslage nicht ärgern. Als er dann aufstand und in sein Zimmer hinüberging, um ein wenig zu ruhen, begegnete ihm seine Schwester. Er blieb stehn, legte einen Finger an die Nase und sagte: »Betty, was ich dir sagen wollte.«
»Was denn, Hamilkar,« sagte die alte Dame und bog ihren Kopf sehr weit zurück, um ihrem Bruder in die Augen zu sehen. Der Graf deutete durch das Fenster zur Buchsbaumhecke hinaus: »Die Beiden dort, du solltest ein wenig acht geben.«
»Ach Hamilkar,« meinte Betty, »laß doch die Jugend sich unterhalten. Wir waren doch auch einmal jung.« Der Graf lächelte wieder sein unterdrücktes schiefes Lächeln. »Gewiß, Betty, wir waren auch einmal jung und es wäre doch gut, wenn unsere Kinder von dieser unserer Erfahrung einigen Nutzen hätten. Die polnischen Liköraugen geben einen ungesunden Rausch; wir haben an dem griechischen Rausche gerade genug gehabt. Du solltest ein wenig acht geben.«
Damit ging er in sein Zimmer und streckte sich auf seinem Sofa aus. Er liebte diese halbe Stunde des Ruhens. Er schloß die Augen. Die Fenster standen weit offen. Vom Garten tönten die Stimmen herein, wie sie sich riefen, suchten, vereinigten und dazu immer das unermüdliche Wetzen der Feldgrillen. »Wie die eifrig bei der Arbeit sind,« dachte der Graf, »wie eilig die das haben, das klingt ja, als haspele ein jeder schnell einen Faden von einer Spule. Wie sie schnurren diese Spulen, wie die Unruhe in ihnen fiebert.« Er fühlte sich angenehm abseits von dieser Unruhe. Im Halbschlummer schienen die Stimmen sich zu entfernen, zu sänftigen. »Ja ja, so muß es sein, die unruhigen Stimmen entfernen sich, verhallen und dann – Stille. Ja, so wird es sein – vielleicht – man wird ja sehen.« Unten an der Buchsbaumhecke aber gingen Boris und Billy noch immer auf und ab. Boris sprach leidenschaftlich auf Billy ein. Er war ganz bleich von Beredsamkeit und verstand es, ein wunderbar unumwundenes Pathos in seine Worte zu legen.
»Ich weiß, dein Vater liebt mich nicht, er will mich demütigen. Natürlich man liebt uns hier bei Euch nicht. Wir sind die Unbequemen der Geschichte. Eigensinnige Idealisten liebt man nicht. Wer mit einem Schmerz geboren wird, wer für einen Schmerz erzogen wird, ist unsympathisch, ich weiß. Unglücklich sein ist hier bei Euch unmodern, es ist nicht comme il faut.«
»Ach, Boris, warum sprichst du so,« sagte Billy mit vor Erregung heiserer Stimme, »wir hier, wir alle, haben dich gern.«
Boris zuckte die Achseln. »Wir alle, ach Gott, das ist ja auch gleichgültig. Aber du, Billy, ich weiß, du bist gut, du bist für mich, aber nein, nicht so wie ich es verstehe. Sieh, wir Polen, die wir alle mit einer Wunde im Herzen umhergehen und deshalb einsam sind, wir verstehen die Liebe anders. Wir verlangen eine Liebe, die bedingungslos unsere Partei nimmt, ohne zu fragen, ohne sich umzuschauen, die ganz, ganz, ganz für uns ist. Aber,« und Boris machte eine Handbewegung, als werfe er eine Welt von sich, »aber, wo finden wir solch eine Liebe!«