Can Cihan II - Das Mercedessterben - Bruno Manyas - E-Book

Can Cihan II - Das Mercedessterben E-Book

Bruno Manyas

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Beschreibung

DIE WELT AB 2023
 
Durch UFOKs manipulierte Mercedesfahrzeuge erliegen ungewohnten Defekten, manche Autos spielen regelrecht verrückt. Eine sich immer größer aufbauende Unfallwelle rollt über den ganzen europäischen Kontinent. Außer Kontrolle geratene Autos werden zu einer ernsten Bedrohung für die Menschen. Rasches Handeln ist gefragt. Die hohe Politik nimmt das Heft in die Hand. Erste Analysen ergeben, dass sich die Autos mit einem Virus gegenseitig anstecken. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Nur Can scheint es mit den Drahtziehern aufnehmen zu können.

"Das Mercedessterben" ist eine Episode im Leben des Can Cihan, der sich im Laufe seiner Abenteuer vom Menschen zum Superhelden entwickelt. Die Geschichte der Erde driftet in eine fiktive Geschichte ab, in der die UFOKs  die Regie übernehmen.

Es ist ein brillant umgesetzter Science-Fiction-Plot, der vorrangig auf der Erde spielt und den Leser voller überraschender Wendungen in seinen Bann zieht. Nicht nur für SciFi-Fans!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Bruno Manyas

Can Cihan II - Das Mercedessterben

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

1 - DIE UNFALLWELLE

Juli 2023

Desiree und Jean sind in einem rotbraunen 240er Mercedes vom Baujahr 1980 auf der Pariser Stadtautobahn von Westen in Richtung Porte D`Italie unterwegs. Das Auto ist alt und rostet. Das Soundsystem ist nagelneu und blitzt und blinkt. Das Display zeigt einen Livemitschnitt des ACDC-Konzerts von 1996 in Madrid. Die Boxen vibrieren. Jean und Desiree fühlen sich, als wären sie live dabei. Der Titel »Highway to hell« wird eingeblendet.

Jean: »Highway to hell«, das ist fantastisch.

Desiree öffnet ihre Bluse und zwei Dosen Bier. Eine gibt sie Jean. Sie prosten sich zu und jubeln zur Musik. Jean dreht sich eine Zigarette. Das Fahren geht ihm locker von der Hand. Er wechselt blind zwischen den fünf Fahrspuren. Andere Verkehrsteilnehmer fliegen rechts und links an den beiden vorbei. Jean will den Sound noch lauter aufdrehen, doch der Lautstärkeregler ist bereits am Anschlag. Desiree steht brutal auf Jean. Sie schmiegt sich an ihn, küsst ihn und fummelt an ihm rum. Jean hat Desiree im Arm, die Bierdose in der Hand und im Mund die frisch gedrehte Zigarette. Desiree nimmt ihm zärtlich die Zigarette aus dem Mund, dann zündet sie sie mit einem Feuerzeug, das eine Flamme wie ein Bunsenbrenner wirft, an und steckt sie ihm wieder in den Mund. Ihre Hand geht an seine Hose. Jeans Augenmerk gilt mehr und mehr Desiree. Sie hat ein wunderschönes ebenmäßiges Gesicht. Ihre Brüste stehen aufrecht und ihr Lächeln ist bezaubernd. Jean stellt das Bier in den Getränkehalter und geht mit seiner Hand zwischen ihre Beine. Jean ist ein langhaariger Freak. Auf dem Rücksitz liegt eine Palette Dosenbier. Daneben liegen Kondome.

Desiree: Wollen wir auf die Kondome verzichten?

Jean: Was?

Desiree: Jean, ich liebe Dich! Wozu brauchen wir Kondome?

Jean: Desiree, Du bist geil!

Desiree: Jean, ich liebe Dich!

Sie küssen sich eine halbe Minute lang. Jean fährt einen unvermindert heißen Reifen. Teilweise kontrolliert er das Geschehen auf der Stadtautobahn, auf der sie dahinsausen, mit einem Auge. Der Sound ist weiterhin am Anschlag. Jean bedient die Soundanlage und wählt den Titel »Thunderstruck«.

Jean: »Thunderstruck«, das ist galaktisch. ACDC ist Gott.

Desiree: »Thunderstruck«, jippie! Das ist fantastisch!

Sie prosten sich zu und trinken mit großen Schlücken ihre Bierdosen leer. Desiree schnappt sich zwei neue Biere vom Rücksitz. Sie öffnet die Dosen und gibt Jean eine. Zum Lied »Thunderstruck« gehen sie völlig ab. Jean lässt das Steuer frei, um Luftgitarre zu spielen. Desiree bewundert und küsst ihn. Sie strecken ihre Arme in die Höhe und jubeln zur Musik. Nach einigen weiteren atemberaubenden Fahrmanövern schießen sie durch eine Nadelöhrlücke zwischen einem Schwerlasttransporter und einem LKW, begleitet von einem unfassbar lauten Knall. Jeans Mercedes dreht sich um seine eigene Achse und fährt plötzlich rückwärts vor dem Schwerlasttransporter vorneweg. Jean lenkt bravourös um Haaresbreite an dem Schwerlasttransporter vorbei, fährt quer und wieder geradeaus. Das Auto schlittert, dreht und kommt rechts außen wenige Zentimeter neben der Leitplanke zum Stehen. Das Lied »Tunderstruck« endet. Jean fährt die Lautstärke runter.

Jean: Was war das? Ich glaube das nicht! Es gibt ein Problem mit dem Auto!

Desiree: Oh la la. Das war knapp, mein Schatz.

Jean: Ich verstehe das nicht. Möchte uns irgendjemand töten?

Desiree: Oh nein, mein Schatz, das lasse ich nicht zu. Ich liebe Dich so sehr!

Sie küsst ihn auf die Wange.

 

Auf dem Autobahnrastplatz St. Ghislaine unweit von Brüssel in Belgien bereitet ein Trucker seine Nachtruhe vor. Im Unterhemd steht er in der abgewrackten Autobahntoilette vor dem Spiegel und putzt sich die Zähne. Er prüft in seinem Spiegelbild seine lichten Haarstellen und streicht ein paar vorhandene Haarbüschel zur Seite. Dann packt er sein Waschbündel zusammen, zieht sich die Hose höher und humpelt zu seinem Truck. Er setzt sich ans Steuer, schenkt sich abgestandenen Kaffee in einen Plastikbecher ein und trinkt. Er schaut verträumt über das Parkareal. Eine knackige Blondine in einem engen roten Stretchkleid streift seinen Blick. Sie verschwindet im Dunkel. Ein heran rauschender Sportwagen strahlt sie wieder an und hält auf ihrer Höhe. Die Blondine steigt ein. Der Sportwagen startet durch. Bandit kratzt sich unterm Arm und gähnt eine ganze Weile. Er dreht sein Gesäß zur Seite und lässt einen lang andauernden Furz fahren. Dann zieht er den Vorhang um sein Führerhaus zu und legt sich in seine Koje. Seine Augen glänzen im Dunkel. Der Lärm der Autobahn brummt. An der Windschutzscheibe prangt sein Namenskennzeichenschild. Darauf steht »BANDIT«. In der Mitte der Konsole steht eine Kaffeemaschine neben einem Plastikpudel. Bandits Augen gehen zu. Die Nacht wird tiefschwarz. Bandit schnarcht so laut, dass das Führerhaus vibriert. Plötzlich ertönt ein ohrenbetäubender Knall. Die Kanne der Kaffeemaschine klirrt und der Plastikpudel wird heruntergerissen. Bandit springt völlig benommen aus seinem Truck und rennt desorientiert über den Autohof.

 

Sandy arbeitet im Callcenter der Notrufzentrale des ADAC-Pannenservices in Frankreich. Ihr Kopf steckt in einem Headset. Sie telefoniert mit Desiree, die auf der Pariser Stadtautobahn liegen geblieben ist.

Sandy: Ihre Mitgliedsnummer? Ihr Fahrzeug? Welche Marke? Aha. Mercedes. Baujahr? Aha. 1980.

Wo sind Sie stehen geblieben? Paris, Stadtautobahn, Porte D´Italie? Aha.

Was ist passiert? Gemütliches Tempo auf der rechten Spur, Aha. Klackern mit Knall, Aha. Und, Auto streikt? Aha. Haben Sie versucht noch einmal zu starten? Starker Ölverlust, Aha. Motorblock zerfetzt, oh lala.

Sind Sie ADAC-Mitglied? Aha. Ich schicke Ihnen einen Wagen. Warten Sie hinter der Leitplanke. Wir melden uns bei Ihnen kurz bevor das Pannenfahrzeug bei Ihnen eintrifft.

 

Desiree beendet das Gespräch mit dem ADAC. Jean beugt sich unter seinen Mercedes. Unter dem Wagen hat sich eine riesige Öllache ausgebreitet. Der Verkehr der Stadtautobahn rauscht an dem Pannenfahrzeug vorbei.

Desiree: Sie schicken Hilfe. Es kann nur maximal eine Stunde dauern.

Jean: Eine Stunde? In einer Stunde ist mein Auto tot. Dann können sie mein Auto gleich zum Autofriedhof bringen.

Desiree: Jean, es ist nur ein Auto. Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.

Jean: Ich habe das Auto von meinem Vater geerbt, der es von meinem Großvater geerbt hat. Es kann nicht sein, dass es ein Problem gibt. Mein Großvater hat gesagt, dass ich das Auto noch an meine Enkel weitervererben kann. Es hat den Reihenvierzylinder-Vollgußmotor, das ist der beste Motor, der je gebaut wurde.

Desiree: Jean, es tut mir Leid. Eventuell müssen wir, wenn wir Kinder bekommen, ohnehin ein anderes Auto kaufen. Vielleicht einen Peugeot, oder einen Renault. Ja, einen Twingo, oder Kangoo, mit zwei Schiebetüren, ist doch sowieso so praktisch, Liebling.

 

Bandit genießt indessen die Gesellschaft von einem Mercedesservice-Truckmechaniker. Sein Name ist Hugo. Hugo analysiert den Schaden. Das Führerhaus des Trucks ist nach vorne weggeklappt. Mit einer Handlampe leuchtet Hugo das Fahrwerk ab.

Hugo: Ich kann nicht erkennen, wo das Problem ist. Werde ich heutzutage wegen jedem Scheiß gerufen? Demnächst bekomme ich einen Alarm, wenn bei einem Trucker die Kaffeemaschine ausgefallen ist. Wieso starten Sie nicht einfach Ihren Truck und erledigen Ihren Auftrag, so wie das all die anderen Trucker auch machen?

Bandit: Was? Ich habe einen sehr lauten Knall gehört. Kommen Sie und sehen Sie hier.

Hugo krabbelt noch unter dem Fahrwerk herum.

Hugo: Was? Warten Sie! Nein, ich kann hier nichts finden. Alles in Ordnung.

Hugo krabbelt unter dem Fahrwerk hervor.

Hugo: Alles in Ordnung. Gute Fahrt!

Bandit: Nein, warten Sie. Schauen Sie bitte mal in meine Schlafkabine.

Hugo: Was soll das denn werden?

Bandit: Nein, bitte, ich möchte Ihnen etwas zeigen.

Bandit zieht Hugo an seinem Ärmel.

Hugo: Loslassen. Ich komme, wenn Sie loslassen. Nicht anfassen! Fassen Sie mich nicht an!

Bandit klappt das Führerhaus wieder in den Normalzustand zurück. Er zündet sich eine Zigarette an und springt hoch in die Fahrerkabine.

Bandit: Na los, kommen Sie.

Hugo schaut hoch und zögert.

Bandit: Das müssen Sie sich anschauen. Hier in meiner Matratze ist ein Loch.

Hugo: Sonst noch was, Bandit? Sie sind wohl ein Timebandit und wollen anderer Menschen Zeit stehlen?

Hugo lacht laut über seinen Witz. Bandit zeigt nach oben. Er röchelt, hustet und wirft die frisch angezündete Zigarette herunter. Hugo kann ihr gerade so ausweichen.

Bandit: Sehen Sie, in der Kabinendecke ist auch ein Loch.

Hugo wird neugierig.

Hugo: Im Bett ein Loch und im Dach ein Loch. Wie schaut es in Ihrem Kopf aus?

Hugo bekommt einen länger anhaltenden Lachanfall und klettert dabei in aller Ruhe auf das Dach der Fahrerkabine hinauf. Oben angekommen tastet er das Loch im Dach ab. Hugo brummelt vor sich hin und wird dann lauter.

Hugo: Sauber ausgefräst. Geben Sie mir meinen Halogenstrahler und nehmen Sie die Matratze aus Ihrer Schlafkabine heraus.

Bandit folgt bereitwillig den Anweisungen. Hugo strahlt mit der Halogenlampe auf dem Dach hockend durch das Loch im Dach und sieht durch die Löcher in der Fahrerkabine bis auf den Asphalt hinunter.

Hugo: Da ist ein sichtbarer Schaden. Wir haben es mit einem glatten Durchschuss zu tun.

Hugo fischt eine Nylonschnur aus seinem Overall. Er knotet einen Schraubenschlüssel an die Schnur und lässt diesen durch das Loch ab, bis dieser auf der Straße liegt. Dann springt er in zwei Sätzen auf den Boden. Wieder leuchtet er mit der Handlampe das Fahrwerk ab. Erst die rechte Seite und dann die linke Seite, auf der der heruntergelassene Schraubenschlüssel liegt.

Hugo: Auf dieser Seite, auf der Lochseite, fehlt der Stoßdämpfer.

Er zeigt mit seiner Handlampe auf die Stelle. Bandit beugt sich unter das Fahrwerk. Hugo tritt gegen die Halterung für den Stoßdämpfer. Das Fahrwerk des Lastwagens sackt mit einem Ruck ab. Hugo geht in Deckung. Bandit springt zu Seite.

 

Sandy sitzt noch immer an ihrem Arbeitsplatz. Ihr Monitor zeigt auf einer Karte die aktuell liegen gebliebenen Fahrzeuge in Paris an. Neben ihr arbeitet Claudette. Claudette hat denselben Zuständigkeitsbereich. Claudette nimmt eine Meldung nach der anderen auf, während Sandy mit einem Verehrer telefoniert und dabei ihre Fingernägel manikürt.

Sandy: Philippe, ich würde auch gern. Morgen, übermorgen, ich habe die ganze Woche Zeit. Nach der Arbeit, versteht sich. Aber heute bin ich mit Martine verabredet. Es geht einfach nicht, versteh das doch bitte. Sei so lieb…

...Nein, ich kann nicht zu dir kommen. Wenn ich mit Martine verabredet bin, kann es spät werden. Dann werde ich sehr müde sein. Ich brauche meinen Schlaf. Es ist zurzeit wirklich stressig auf der Arbeit. Es gibt viel mehr kaputte Autos…

…Wenn du es nicht glaubst, dann frag doch Claudette. Unsere Bildschirme sind voll mit blinkenden Autos…

…Philippe, bis morgen, tschüß.

Sandy schaut zu Claudette rüber. Claudette kommt kaum zur Ruhe. Sie nimmt einen Anruf nach dem anderen entgegen.

Sandy: Claudette, Philippe ist wirklich eine Nervensäge. Was soll ich nur machen?

Claudette schiebt eine Seite ihres Headsets vom Ohr.

Claudette: Einen Moment bitte. Wie bitte?

Sandy: Philippe ist eine Nervensäge.

Claudette: Philippe ist ein Idiot. Er war ein Idiot, er ist ein Idiot, und er wird immer ein Idiot sein.

Michel Garin, der Chef der Pannenhilfeabteilung, streift vorbei. Claudette zieht sich das Headset wieder komplett über ihre Ohren.

Claudette: Ihr Fahrzeug, welche Marke ist Ihr Fahrzeug und wie ist das Kennzeichen?

 

Einen Tag später haben Sandy und Claudette wieder ihre Schicht. Claudette arbeitet einen Anrufer nach dem anderen ab. Sandy mampft gerade einen Hotdog und parliert mit Philippe.

Sandy: Philippe, ich kann gerade nicht gut sprechen. Ich esse einen Hotdog, mein Mittagessen. Es ist so stressig auf der Arbeit. Herr Garin sagt, unsere Mittagspause ist gestrichen. Wir sollen Überstunden machen. Mein Monitor glüht wie ein Weihnachtsbaum, überall kaputte Autos…

…Philippe, ich muss Schluss machen, der Chef schaut ganz grimmig, ich rufe dich an…

…Heute sieht es schlecht aus, tut mir Leid.

Garin ist zackig unterwegs. Er nimmt in einem erhöhten Glaskasten Platz. Vor ihm sind 20 Screens, die alle Einsatzgebiete Frankreichs anzeigen und auch seine 12 Telefonistinnen hat er im Blick. Neben ihm sitzt seine Sekretärin, Julie.

Julie: Herr Garin, der ADAC München ist für Sie in der Leitung. Sie hatten Herrn Bretter um Rückruf gebeten.

Garin: Danke, Julie. Stellen Sie durch…

…Herr Bretter, danke für Ihren Anruf. Wie geht es Ihnen?

Bretter: Sie wissen ja wie das ist. Es muss halt.

Garin: Was muss, das muss.

Bretter: Wo drückt denn der Schuh?

Garin: Ich möchte Sie fragen, wie die Pannenstatistiken bei Ihnen in den letzten Tagen ausgefallen sind.

Bretter: Hier in München ist alles im grünen Bereich. Wegen Anbruch der Ferienzeit in einigen deutschen Bundesländern gibt es die üblichen saisonbedingten Zuwächse. Und wir haben etwas mehr Mercedes als üblich. Das Leben geht weiter, wir bringen die ganzen Urlauber schon ans Ziel.

Garin: Mercedes, Sie sagen Mercedes? Das ist hier das Problem. Unsere Pannenkarte von Frankreich ist voll mit Mercedes. Im Herzen von Frankreich, in Paris, kann ich sogar von einem Mercedes-Infarkt sprechen. Ich mache den Job schon seit 20 Jahren, aber so etwas, so eine Häufung in absoluten Zahlen, das ist mir noch nicht untergekommen. Das spricht gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit.

Bretter: Ach so?

Garin: Stellen Sie sich vor, während der letzen Minute, wir telefonieren ja vielleicht erst eine Minute, habe ich zwanzig neue Anrufer in der Leitung, und ich gehe jede Wette ein, es sind neunzehn, nein zwanzig Mercedes. Es ist verrückt!

Bretter: Herr Garin, ich stimme Ihnen zu, das ist merkwürdig. Eine derartige Häufung, das gibt es nicht. Das müssen wir kritisch beobachten. Es passieren manchmal seltsame Dinge, und kurze Zeit später können wir sie einfach erklären. Sie sollten den Ball erst einmal flach halten.

Garin: Vierzig neue Anrufer in der Leitung. Wir schaffen es ganz einfach nicht mehr. Ich könnte dreimal mehr Telefonistinnen einstellen, und wir wären immer noch überfordert. Von den Einsatzfahrzeugen nicht zu sprechen, mittlerweile sind alle im Dauereinsatz. Die Pannenopfer haben bereits Wartezeiten von vierzehn Stunden und mehr.

Bretter: Da ist was faul. Wenn die vierzig Anrufer alle Mercedes fahren, dann stinkt die Sache. Herr Garin, ich werde mich umgehend mit Mercedes in Verbindung setzen, dann werden wir sehen, was zu tun ist.

Garin: Hoffentlich hört der Spuk bald auf. Meine Telefonistinnen gehen schon auf dem Zahnfleisch.

 

Der Mercedes-Hauptsitz in Stuttgart ist längst in Sorge. Die exorbitante Pannenhäufung konnte der werkseigene Pannenservice bereits verzeichnen. Man hat sich entschlossen, Bandits Truck aufgrund seiner besonders fragwürdigen Pannenursache per Hubschrauber ins Hauptquartier einfliegen zu lassen. Der Vorstand wie auch einige der Chefmechaniker beobachten den Landeanflug vor der Werkshalle-23. Der Vorstandsvorsitzende Volker Krautsch dirigiert den Helikopterpiloten wild gestikulierend.

Krautsch: Hier rüber, vor die Halle.

Marketingchef Heinz Kentucky ist genauso anwesend wie Laura Greenstein von der Konzernforschung und die Chefmechaniker Mauricio Ramos und Ali Mansun. Die Analyse dieses seltsam verunglückten Trucks wurde zur Chefsache erklärt.

Kaum wurde der Lastwagen sicher abgelassen, gibt Volker Krautsch das Kommando.

Krautsch: Nun sind wir mal ganz vorsichtig. Ich habe das Teil mit dem Hubschrauber kommen lassen, damit ich sicher sein konnte, dass sich der Truck vom Unfallort aus auch nicht in der geringsten Weise selbst bewegt. Noch nicht einmal auf einen Abschleppwagen sollte er gezogen werden. Wir müssen bis ins kleinste Detail analysieren, was passiert ist. Das ist ein Sattelschlepper und keine Schießbude, in die man nachts einsteigt und Gefahr läuft, durchlöchert zu werden. Wenn so etwas an die Öffentlichkeit kommt, können wir den Laden hier dicht machen. Dann können wir bei Lada oder meinetwegen gleich in China für einen Job anfragen. Sicherheit hat bei uns immer noch die höchste Priorität.

Ali: Ist doch klar Chef. Wie sollen wir also vorgehen? Wenn der Prophet nicht zum Berg geht, müssen wir eben den Berg zum Propheten bringen. Bauen wir eine Werkstatt um den Truck. Der Truck darf nicht bewegt werden, hört ihr.

Krautsch: Quatsch. Mauricio, besorgen sie einen Kran mit Kranfahrer, dann hieven wir das Ding in die Werkstatt rein.

Ali: Herr Krautsch, das Dach muss dann weg.

Krautsch: Dann machen wir erst mal das Dach weg, und nachher machen wir es wieder hin. Nein, wir installieren ein Schiebedach. Auf und zu, auf und zu, verstanden? Ich habe es im Urin, dass da noch mehr auf uns zukommt. Also ein neues bewegliches Dach für die Werkshalle-23. Greenstein, kümmern Sie sich bitte um die Details.

 

Neun Tage später nimmt wieder ein Helikopter, an dem diesmal ein kleiner Sportflitzer baumelt, Kurs auf die Halle-23. Die Halle steht voll mit Autos und LKWs in unterschiedlichen Zuständen. Einige sehen unbeschädigt aus, andere sind zerfetzt oder ausgebrannt. An den Hallendeckenstreben sind bewegliche Kräne, an denen ein paar Fahrzeuge aufgehängt sind, montiert. Zwei Fahrzeuge liegen komplett in ihre Einzelteile zerlegt am Boden.

Mauricio, der Chefmechaniker, Laura Greenstein und Eva Wagner stehen an einem voll computerisierten Empfangstresen für neu ankommende Fahrzeuge. Laura Greenstein ist Physikerin und im Vorstand des Konzerns für die Forschung tätig, Eva Wagners Spezialgebiet ist das Krisenmanagement. Beide sind spindeldürre, gut aussehende, aber stocksteif und sehr bieder anmutende junge Damen. Auf einem Computerscreen erhalten sie Informationen zu dem aktuellen Neuzugang, dem Mercedes-SLK. Mauricio erklärt den Damen, wie man das Programm bedient.

Mauricio: Es ist ganz einfach: Hier haben wir den Wagen mit seiner Identifikationsnummer. Wenn wir hier reingehen, erfahren wir etwas über den Unfallhergang.

Sie sehen in einer Computeranimation veranschaulicht, wie sich bei dem SLK während voller Fahrt die Lenksäule ablöst. Der Kopf der Fahrerin wird rundum mit dem Fett des Lenkgetriebes eingeölt, bevor er im sich öffnenden Airbag verschwindet. Dann schlittert der Wagen von der Fahrbahn und landet in einem See. Der Mercedes beginnt sich mit Wasser zu füllen und zu sinken.

Mauricio: Ich denke, wir müssen hier nicht unbedingt weiter zusehen.

Die beiden Damen wenden sich angewidert ab.

Eva: Was denken Sie denn? Es ist ja grauenvoll.

Das Hallendach öffnet sich. Der Hubschrauber schwebt mit dem SLK am Seil in die Halle ein. Alle sind genervt von dem ohrenbetäubenden Lärm und dem Wind, den der Hubschrauber mit sich bringt. Mauricio hat Funkkontakt zum Piloten.

Mauricio: Nicht so weit. Lassen Sie den Wagen einfach hier ab.

Der Sportwagen kommt unmittelbar neben dem Empfangstresen zu Boden. Mauricio löst die Seile. Der Hubschrauber entschwindet in die Lüfte.

Nun gilt ihr Augenmerk dem SLK. Man sieht dem Wagen an, dass er einige Zeit auf dem Seegrund verbracht hat. Das Cabrioverdeck ist offen. Der Wagen ist bis zur Türkante mit Wasser gefüllt, auf dem Beifahrersitz liegt die Lenksäule und auf der Rückbank ein toter Chihuahua.

 

James Öztürk ist 30 Jahre alt. Seine Statur gleicht der eines Basketballprofis. Er ist zwei Meter groß und hat dicke muskulöse Oberarme. Sein Gesicht ist durch eine markante eckige Nase gekennzeichnet. Seine schwarzen, dichten, langen Haare sind mit Gel zurückgekämmt. Er trägt einen Armanianzug und dazu eine Krawatte, die gelockert ist.

James Öztürk ist der Geschäftsführer des gleichnamigen Mercedes-Autohauses in Berlin-Kreuzberg. Er thront in seinem Büro oberhalb des Autosalons, in dem zahlreiche aktuelle Mercedesmodelle und ein Oldtimer ausgestellt sind.

Gerade hat James einen Kunden am Telefon.

James: 3000, ist doch billig! Das ist Mercedes, normal. Kommst du vorbei, Bruder. Ich zeige dir, was muss gemacht werden, Auto ist noch auf Hebebühne. Also, Baba, machst du dir keine Sorgen, wir machen das schon. Ja, machen wir so, Baba. Hadi Tschüss.

Ein Fax surrt aus dem Faxgerät. James schnappt sich das Fax. Während er sein Büro verlässt und sich die Treppe hinunter zum Autosalon schwingt, überfliegt er dessen Inhalt. Er verzieht sein Gesicht, bleibt auf der Treppe stehen und hält sich an dem Treppengeländer fest. Ungläubig hält er das Papier dichter an seine Augen, die er verdreht und sich reibt. Von der Botschaft gebannt, achtet er nicht mehr auf den Weg, den er weiter geht. Er stolpert gegen den Verkaufstresen hinter dem Chantal, seine Verkaufschefin, steht. Aufgeschreckt blickt er zu ihr und grüßt mit dem Fax in der Hand wedelnd. Er hält eine Weile inne und blickt sinnentleert in die Ferne.

Chantal: James, alles OK mit Ihnen?

James zuckt zusammen, als ob man ihn gekniffen hätte. Dann beginnt er zu stottern.

James: OOOOO… K.

Er läuft eine Runde in seinem Autosalon und streift liebevoll die in Reichweite ausgestellten Autos mit seiner ausgestreckten Hand. Er wirkt besorgt. Dann schreitet er zügig entschlossen zur hausinternen Werkstatt. In der Reparaturannahme geht er auf Zerkan Bastürk, den Meister, zu und drückt ihm das Fax in die Hand. Dann blickt James durch eine Tür in die Werkstatthalle und ruft hinein.

James: Hallo, bitte alle in die Reparaturannahme. Bitte kommen Sie alle in die Reparaturannahmestelle. Habt ihr nicht gehört? Legt eure Schrauber nieder!

James scheint ein Sprachtalent zu sein. Er spricht gepflegtes Hochdeutsch ebenso wie kernanatolisches Türkisch, genauso gut wie erlesenes Türkendeutsch. Er brüllt lautstark in die Halle.

James: Amigos, Landsleute, Brüder, auf geht’s, Pause!

Er schreitet gezielt zu einem Truckmechaniker, der gerade über einem ausgebauten Motor hängt, und reißt ihm einen großen Schraubenschlüssel aus der Hand.

James: So, das reicht, genug gearbeitet! Pause, Leute. Alle in die Reparaturannahmestelle kommen, bitte.

Allmählich lassen an die zehn Mechaniker aus aller Herren Länder ihre Arbeit liegen und trotten zur Blitzversammlung. James geht auf Zerkan Ömer zu.

James: Zerkan, liest du Fax. Lies vor, was steht geschrieben. Bitte, mein Lieber.

James haut Zerkan auf sein Schulterblatt. Zerkan, der das Fax bereits mit beiden Händen dicht vor sein Gesicht hält, macht einen Satz nach vorne.

Zerkan: Also, fange ich mal an: Da steht… FAX… FAX-Nummer… von Daimler, Mercedes Hauptniederlassung Stuttgart, Vorstand, bla bla. Dann hier weiter: An die Mercedes-Niederlassung James Öztürk, Prinzessinnenstraße 21- 24, 10969 Berlin-Kreuzberg, bla… Dann: Sehr geehrter Herr James Öztürk, mit diesem Schreiben möchten wir eine allgemeine Warnung aussprechen. Alle Mercedes-Benz-Niederlassungen in Deutschland werden darüber in Kenntnis gesetzt, dass das Aufkommen von Pannen bei Mercedesfahrzeugen in den letzten 9 Tagen drastisch angestiegen ist. Leider konnten wir nur bei wenigen Fahrzeugen die Kausalität von Ursache und Wirkung bis hin zum Defekt herstellen. Die Aufklärungsquote zur Herleitung von Unfallursachen liegt im statistischen Mittel bei runden 99,9%. Betrachten wir die Fälle der jüngsten Vergangenheit, erhalten wir eine Quote von nur 4%. In 96% aller Fälle wissen wir nicht, wie der Schaden am Fahrzeug entstehen konnte. Eine Spezialeinheit von ausgewählten Mechanikern, Wissenschaftlern und Krisenmanagern arbeitet mit Hochdruck an einer Aufklärung. Wir möchten Sie inständig bitten, diese Informationen mit der nötigen Sensibilität und Diskretion zu behandeln. Das Vertrauen der Kunden in unsere Fahrzeuge darf durch nichts beschädigt werden.

Mustafa, ein Autoverkäufer des Hauses, stürmt durch die Tür.

Mustafa: Chef, Chef. Komm mal, mit deinem Oldie-Benz stimmt was nicht.

Im Eingangsbereich des Autosalons hat James Öztürk seinen Lieblingsoldtimer, einen 190er Mercedes von 1959, ausgestellt.

James: Was ist mit meinem Baby?

James bahnt sich den Weg durch seine Mechaniker, die in einer Traube vor ihm stehen. Alle folgen ihm zu dem Oldtimer.

Sie stehen vor dem Auto und es tut sich nichts. James blickt verwirrt in die Runde.

James: Was guckst du? Ist nichts! Siehst du versteckte Kamera? Nein? Na dann, alles klar! Los an die Arbeit. Jemand will uns was vom Pferd erzählen, ist doch klar wie Dönersoße! Pause vorbei, Männer. Los wieder an die Arbeit. Wie wollt ihr euer Geld verdienen, wenn ihr hier nur rum steht?

Seine Männer drehen brummelnd ab. Nur Meister Zerkan erhebt das Wort.

Zerkan: Ja Chef, klar wie Milchreis, aber diese Auto von Mehmet…

In diesem Moment macht der Oldtimer ein schnaubendes Geräusch.

James: Was war das?

Rauch zischt aus der Kühlerhaube des Wagens. Die sich von Geisterhand öffnende Kühlerhaube beginnt zu vibrieren. Wie ein Pferd bäumt sich das Auto auf und stellt sich auf die Hinterräder, rattert, zurrt und klackert. Das Gefährt senkt sich wieder, die Kühlerhaube geht mal auf, mal geht sie wieder zu. Wieder hebt sich die Front bis der Wagen fast senkrecht in der Luft steht. Dann schlägt er in Sekundenbruchteilen mit voller Wucht auf den Boden. Die Räder fliegen weg, die Motorhaube fliegt weg, und überhaupt wird das Auto durch die Wucht des Aufpralls in seine Einzelteile zerlegt. James und seine Schrauber gehen in Deckung. Dennoch wird James von einem Rad, das durch die Luft fliegt, am Kopf getroffen und umgehauen. Er bleibt regungslos liegen. Aus einer dicken Platzwunde am Kopf strömt Blut auf den Marmorboden im Eingangsbereich.

Brian, einer der Mechaniker, hat den Vorfall mit seinem Handy gefilmt.

 

Ahu Cihan, Anfang 20, spielt mit ihrem zweijährigen Sohn Sel an ihrem Privatstrand an der türkischen Ägäisküste südlich von Troja. Ihr Benehmen und ihr Äußeres gleichen dem einer Prinzessin. Sie hat langes schwarzes lockiges Haar, lange schlanke Beine, glatte seidene sonnengebräunte Haut, und strahlend weiße kleine Zähne, die vernetzt sind mit einem mal bezaubernden, mal liebenswürdigen Lächeln. Sie trägt ein weißes Bikinioberteil und ein helles seidenes Tuch um die Hüfte. Ahu ist im achten Monat schwanger. Sie erwartet Zwillinge. Ihr Sohn Sel ist hyperaktiv. Er läuft und springt am Strand entlang. Er zeigt seiner Mutter Steine, die er findet.

Das Polymedium genannte Grundstück der Cihans geht vom Strand bis in die Berge hinauf. Obst- und Olivenbäume, Pinien, Pappeln und Palmen gedeihen auf dem prächtigen Landgut. Ein Flusslauf schlängelt sich unweit der Meeresmündung an ihrem futuristisch anmutenden Glaspalast vorbei. Aufgrund seiner durchgängigen Glasfassade, die ohne eine einzige Nahtstelle auskommt, fügt sich der Bau, der auf einer Anhöhe auf dem Grundriss eines Fußballfeldes errichtet ist, wunderbar in die Landschaft ein.

Draußen auf dem Meer, das vom Starkwind angetrieben kräftige Wellen schlägt, rast ein Windsurfer auf den Strand zu. Can Cihan rauscht auf seinem Surfbrett das Wellental hoch und runter und segelt nach Sprüngen durch die Luft. Rechts vor ihm springt ein fliegender Fisch aus dem Wasser. Er glitzert frech und schlägt seine transparenten Flügel auf. Eine halbe Minute, lang wie eine Ewigkeit, segelt er vorneweg. Mit atemberaubendem Tempo rast Can, seine Familie im Visier, weiter auf den Strand zu. Er bremst kurz vor dem Land aus und fällt vom Surfbrett hintenüber ins Wasser. Sein kleiner Sohn Sel bekommt einen Lachanfall. Dann wirft er mit Steinen und schüttelt dabei seinen Kopf.

Ahu schlägt ein riesiges weißes, flauschiges Frotteehandtuch auf, mit dem sie Can empfängt. Can trägt mit der einen Hand das Surfbrett an einer Fußschlaufe und mit der anderen Hand das Segel am Gabelbaum aus dem Wasser und legt sein Sportgerät auf dem feinen goldfarbenen Sand ab. Can ist 23 Jahre alt und bei einer Körpergröße von 1,90 Meter voll athletisch. Sein sonnengebräuntes Gesicht hat sowohl mongolische als auch afrikanische Züge. Auf seiner Frisur könnte im Prinzip ein Miniaturhubschrauber landen, da seine dichten Locken steil nach oben abstehen und waagerecht abgeschnitten sind. Er trägt schwarze knielange Surfershorts, die das Can-Cihan-Logo tragen. Das Logo besteht aus dem Buchstaben C, der gespiegelt in ein zweites C hineingreift. Diese beiden ineinander gestellten Zeichen sind von einer Kreislinie umschlossen.

Um seine Hüfte herum fallen auf seiner Haut, die einen rotbraunen Teint aufweist, zehn kreisrunde Flecken auf. Diese geometrisch runden Hautflecken liegen alle auf Höhe seines Bauchnabels und haben einen gleichmäßigen Abstand zueinander. Die vorderen beiden Kreise, die seinen Bauchnabel flankieren, sind mit tattooähnlichen Zeichnungen ausgemalt. Eine in ein Rechteck eingeschlossene sich in Punkten auflösende Figur ist in dem einen Kreis zu erkennen. Der andere Kreis beinhaltet ein Gitter aus Schlangenlinien, in die in regelmäßigen Abständen Pfeilspitzen eingefügt sind. Die benachbarten acht Kreise sind einfarbig rosa.

Can geht auf Ahu zu. Sie umarmt ihren Mann mit dem Handtuch und wickelt ihn ein. Sie lachen und küssen sich, dann legen sie sich in den feinen weichen Sand. Can dreht sich auf den Rücken und schaut in den geröteten Abendhimmel. Er sieht die Mondsichel und daneben den Venusstern am Firmament.

Ahu: Can, dein Handy hat geklingelt.

Can: Was?

Ahu: James hat eine Videobotschaft gesendet.

Can: Ein Video?

Ahu spielt Can das Video mit dem Titel »Cok Yasa« vor. Es ist der Film, den James’ Mechaniker von dem Oldtimer, der in seine Einzelteile zerspringt, aufgenommen hat.

Can: Lustig, lass uns James auch etwas schicken.

Can nimmt Ahu das Handy aus der Hand und beginnt zu filmen. Er richtet das Handy auf Sel.

Can: Sel, wirf einen Stein. Zeig Onkel James, was du alles kannst.

Sel kommt angewackelt und schlägt im Stile eines Boxers gegen das Handy.

Can: Ja, sehr gut. Hau das Handy. Haha, das ist lustig.

Sel versucht immer wieder gegen das Handy zu schlagen. Gelingt es ihm nicht, weil Can das Handy zurückzieht, bekommt Sel einen Lachanfall. Nach einer Weile beendet Can die Aufnahme.

Can: Super, das schicken wir Onkel James. So, hier ist die Nummer von James, und ab die Post …

Wenig später surrt Cans Handy.

Can: Eine Nachricht, bestimmt von James.

Auf dem Display steht: SCHALTE MAL GLOTZE EIN, ALTER! PS: HABE SCHÄDEL-HIRN-TRAUMA UND LIEGE AUF INTENSIVSTATION!

Can hat mit seiner Familie im groß angelegten Wohnraum vor einer gigantischen Leinwand, auf die ein Fernsehbild projiziert wird, Platz genommen. Sie lümmeln auf einem riesigen Polsterrondell und trinken Eistee. Zur anderen Seite sieht man durch die massive Glasfassade auf das Meer hinunter.

Can schaltet mit der Fernbedienung durch die Sender. Ahu trocknet mit einem Handtuch zärtlich seine Haare, die vom Meerwasser noch feucht sind. Der kleine Sel hat sich unter eine Decke gekuschelt und ist eingeschlafen. Beim weiteren Durchschalten zeigt der Nachrichtensender ABCQ den Film »Cok Yasa«. Can stellt die Lautstärke höher und konzentriert sich auf den Beitrag.

In einer Sondersendung berichtet ABCQ zum Thema Mercedes. Der Film »Cok Yasa« wird durch verschiedene Balken und Infotafeln gerahmt. Oben im Bild steht auf einem Balken »Breaking News«. Darunter steht »The Mercedes Crash«. Rechts daneben ist der Tageschart der Daimler Aktie eingeblendet. Die Kurve geht steil nach unten, minus 99%. Die Aktie ist nur noch einen Euro wert.

Nachdem der Film »Cok Yasa« endet, erscheint die Sprecherin Maria Bonito im Bild.

Maria: Meine Damen und Herren, was muss in dem Besitzer eines Mercedesautohauses vorgehen, wenn er von einem seiner parkenden Autos angegriffen wird? Wir versuchen dieser Frage nachzugehen und schalten in das Urban-Krankenhaus in Berlin-Kreuzberg zu unserem Reporter Björn Saracuse.

Das Fernsehbild wird geteilt. Im Bild rechts neben Maria Bonito wird James Öztürk im Krankenbett liegend eingeblendet. Sein Kopf ist in einen dicken Turbanverband eingehüllt. Ein Arzt, Björn Saracuse und ein Kameramann stehen an seiner Seite. Björn hält dem Arzt ein Mikrofon hin.

Björn: Können wir Herrn Öztürk ein paar Fragen stellen?

Arzt: Nun, ich weiß nicht?

Der Arzt blickt zur Krankenschwester, die gerade das Zimmer betritt und dann die Infusionslösung auswechselt.

Arzt: Gut, eine Minute. Schwester, sie kontrollieren das.

Die Krankenschwester postiert sich hinter der Kopfseite des Krankenbettes. Der Arzt entschwindet. James Öztürk ist jetzt groß im Bild. Sein Kopfverband ist großflächig mit Blut getränkt, nur die Ränder des Turbans haben noch die ursprünglich weiße Farbe. Seine Augenlider wirken schwer. James steht unter Schmerzmittel. Björn und sein Kameramann rücken James dicht auf den Leib. Der Kameramann kniet mit seinem linken Knie auf dem Krankenbett und hält seine Kamera an James’ Kinn. Björn kommt von der anderen Seite und hält James das Mikrofon vor die Nase.

Björn: Herr Öztürk, wir haben nur eine Minute. Schildern Sie bitte zügig: Was hat Sie hierher befördert?

James: Ja, Mann, halb so wild. Keine Ahnung. Alles normal. Berlin-Kreuzberg Mann. Wir hier einiges gewöhnt. Viele, viele Jahre immer Autos reparieren, Tee trinken, Autos verkaufen, Autos kaufen. Verstehst du? Willst du Auto kaufen? Willst du Auto verkaufen? Ich kaufe alle. Baujahr, Zustand, Farbe, Rost, Tüv, egal.

Mit einer Handbewegung stößt James den Kameramann zurück. Verängstigt nimmt auch der Reporter mehr Abstand.

Reporter: Herr Öztürk, gestern, was passiert, warum Krankenhaus? Warum Kopf kaputt?

James: Ach so, warum du mich nicht gleich fragen? Gestern nix gutes Tag, Alter. Mama Mia. Auto kaputt, Alter! Peng, Peng, Puff, Kladeradatsch, Zschong… Oh lala, Wuuuuhaahhhh, Spotz, Schpliff, Kawutsch, Karapupeng, Klong, Klong, Karatschatterschpleeeeeeeeeeeeeng. Aua, Aua, Aua.

Ahu und Can sitzen auf der Kante ihres Sofarondells und verfolgen ungläubig die Nachrichten. Sie sehen James auf ihrer großen Fernsehleinwand. James ist Cans bester Freund. Zu gemeinsamen Berliner Zeiten haben sie tagein tagaus die Stadt unsicher gemacht. James nun als Aufhänger in den Nachrichten zu sehen, ist für sie befremdlich. Sie richten sich auf, als ob sie mit ihm sprechen wollten. Ahu blickt äußerst besorgt. Can legt seinen Arm um Ahus Schulter und versucht sie zu beruhigen.

Can: Das ist James, typisch James. Er macht sich mal wieder einen Riesenspaß.

Ahu: Ich weiß nicht. Schau dir seinen Kopfverband an. James liegt im Krankenhaus. Sein Kopf blutet. Sein Auto hat ihn attackiert. Das ist kein Spaß.

Die Live-Schaltung in das Urban-Krankenhaus endet, und die Sprecherin Maria erscheint wieder auf der Leinwand. Ahu macht eine Handbewegung, als ob sie James im Bild behalten wollte.

Ahu: James, James.

Maria: Was für ein Schicksal. Ob dieser junge Mann wird jemals wieder einen klaren Gedanken fassen können? Wohl kaum.

Das Fernsehbild teilt sich wieder. Auf der rechten Seite des Bildes steht Reporter Stephan mit einem Mikrofon vor dem Truck, dessen Führerkabine vor zehn Tagen in Belgien von einem Stoßdämpfer durchlöchert wurde. Mercedes-Chefmechaniker Mauricio steht bereit zum Interview.

Maria: Wir hoffen, dass diesmal die Leitung steht. Stephan, Sie befinden sich in der Mercedes-Werkshalle Nummer 23 in Stuttgart. Können Sie mich hören? Geben Sie unseren Zuschauern bitte einen Einblick. Was genau ist das Besondere an der Halle-23?

Stephan: Ja, ich kann Sie hören. Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, ich bitte zu entschuldigen, dass die Leitung vorhin unterbrochen wurde, aber unsere Übertragungswagen hatten Probleme mit der Elektrik, die nun hoffentlich behoben sind.

Maria: Gibt es unter den Übertragungswagen Mercedesmodelle?

Stephan: All unsere Technik steckt in Mercedestransportern, leider, muss man wohl sagen. Egal, wir können senden. Das Problem wurde behoben, wir sind hier schließlich bei Daimler in Stuttgart. Nirgendwo auf der Welt laufen mehr fähige Automechaniker herum als hier. Neben mir steht so einer. Mauricio ist der Mercedes-Chef-Meistermechaniker. Mauricio, kann man davon ausgehen, dass Sie so ziemlich jede Schraube, die jemals in einem Mercedes verbaut wurde, gesehen haben? Kann man das so sagen, Mauricio?

Mauricio: Ja, das kann man so sagen.

Stephan: Wie lange arbeiten Sie schon bei Mercedes?

Mauricio: Meine Mutter und mein Vater arbeiten bei Mercedes. Ein Onkel und zwei Tanten arbeiten bei Mercedes. Meine Großeltern haben bei Mercedes gearbeitet.

Stephan dreht sich und zeigt mit seinem Mikrofon auf Bandits Truck. Der Sattelschlepper hängt in der Luft. Roboterarme haben ihn an den Radnaben aufgespießt und soweit hochgefahren, dass man das Fahrwerk von unten besichtigen kann. Um den LKW herum ist Panzerglas in den Boden eingelassen.

Stephan: Diesem Truck ist vor etwas mehr als einer Woche eine seltsame Sache widerfahren. Liebe Zuschauer es ist einfach nicht zu glauben. Mauricio, können Sie unseren Zuschauern erklären, was mit diesem Lastwagen passiert ist?

Mauricio: Ja.

Mauricio und der Kameramann krabbeln durch eine Grube in den Innenbereich der Sicherheitsverglasung, dann bücken sie sich unter das Fahrwerk der Zugmaschine. Mauricio zeigt mit seinem Zeigefinger auf die Stelle, an der sich normalerweise ein Stoßdämpfer befindet. Der Kameramann fokussiert auf diesen Punkt.

Mauricio: Hier sind die Stoßdämpfer werksseitig an zwei Punkten fest mit dem Fahrwerk verschraubt.

Stephan: Und nun das Unfassbare:

Mauricio: Anstelle des Stoßdämpfers sehen wir einen völlig glatten Abriss der Befestigungsschrauben, deren Durchmesser immerhin fünf Zentimeter betragen, an allen Befestigungspunkten gleichermaßen. Der Stoßdämpfer muss einem Torpedo gleich senkrecht in die Luft katapultiert worden sein. Dabei ist er durch Teile des Fahrwerks, durch den Kabinenboden und durch das Dach der Zugmaschine geschossen. So wie wir den Fall analysiert haben, muss sich der Stoßdämpfer durch einen eigenen Antrieb innerhalb eines Bruchteiles einer Sekunde von Null auf über Schallgeschwindigkeit beschleunigt haben.

Der Kameramann kniet unter dem Truck und filmt nun genau durch diesen Kanal der Durchschusslöcher.

Stephan: Der Stoßdämpfer wurde also einem Torpedo gleich in die Luft geschossen. Das muss man sich einmal vorstellen. Aus dem Nichts. Einfach so. Der Truck fuhr dabei nicht einmal. Er stand auf einem Parkplatz in Belgien. Kann das nun mit jedem Mercedesstoßdämpfer passieren? Ist dieser Fall ein Einzelfall, oder wurden weitere Fälle dieser Art gemeldet? Wie viele Stoßdämpfer wurden in den letzten Tagen abgeschossen? Gibt es schon erste Abschuss-Hochrechnungen? Welche weiteren Mercedesteile wurden bereits abgefeuert? Verehrte Zuschauer, nein, das ist kein Hollywoodstreifen. Wir senden hier live aus Stuttgart und wir haben es mit… womit haben wir es zu tun? Wir wissen es nicht.

Maria: Ja, wir wissen es nicht. Das ist der Punkt.

Ahu hat sich an Can geschmiegt. Ihre Augen sehen müde aus. Can zieht am Strohhalm seines Eistees.

Ahu: Ich mache mir Sorgen. James ist in Gefahr. James braucht uns.

Can streichelt Ahu über den Kopf und küsst zärtlich ihre Wange.

Can: James wird im Krankenhaus bestens versorgt. Seine TV-Performance war nur Show. Er wusste, dass wir einschalten, und das war mal wieder typisch James.

Ahu: Woher willst du das wissen? Er hat völlig zusammenhangsloses Zeug gestammelt. Sein blutroter Turban…

Can: Seine Textnachricht, die er uns geschickt hat, die war völlig normal.

Ahu: Völlig normal?

Can greift zu seinem Handy und zeigt Ahu die Kurznachricht noch einmal.

Auf dem Display steht: SCHALTE MAL GLOTZE EIN, ALTER! PS: HABE SCHÄDEL-HIRN-TRAUMA UND LIEGE AUF INTENSIVSTATION!

Ahu: Normal?

Can: Normal.

Ahu und Can schlürfen durch ihre Strohhalme die Reste ihrer Eistees aus, dann stellen sie die leeren Gläser beiseite. Sie kuscheln sich auf dem Sofa liegend in flauschige Decken und Kissen ein. Ihre Augen gehen zu. Sie schlafen.

 

Juli 2023

Im Mercedes-Hauptquartier in Stuttgart tagt der Vorstand. In der Sitzungshalle sind zehn Chromschwingsessel mit schwarzem Lederbezug um einen lang gezogenen ovalen weiß glänzenden Tisch angeordnet. An der Stirnseite rückt der Vorstandsvorsitzende Volker Krautsch seinen Sessel zurecht. Seine Markenzeichen sind seine Glatze und sein ausschweifender Oberlippenbart. Außerdem nehmen die Vorstandsmitglieder für Finanzen, Personal und Konzernentwicklung, sowie Laura Greenstein von der Forschung ihre Plätze ein. Marketingchef Heinz Kentucky und EvaWagner vom Krisenmanagement betreten soeben den Raum und beziehen ebenfalls ihre Plätze. Hinter dem Sessel des Konzernchefs Krautsch hängt an der hohen Hallendecke ein riesiger Flachbildschirm auf dem der Mercedes-Stern eingeblendet ist.

Die Anwesenden sind um das Tischoval verteilt. Es herrscht eisige Stille. Die Teilnehmer sitzen mit versteinerten Mienen da. Nach einer Minute des Verharrens bricht Konzernlenker Krautsch das Schweigen. Er räuspert sich und beginnt seine Rede langsam und schnodderig.