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Wenn aus den Flitterwochen ein Roadtrip wird - mit einem anderen Mann!
Zwei Tage. Länger hält Hazel das, was nach der abgesagten Hochzeit eigentlich ihre Flitterwochen sein sollten, nicht aus. Kurz entschlossen verlässt sie das Luxusresort in einem Skiort in Colorado und will nur noch zurück nach New York. Allerdings macht ihr ein Schneesturm einen Strich durch die Rechnung und sie kann weder einen Rückflug noch ein neues Hotelzimmer ergattern. Zum Glück meint das Schicksal es aber gut mit ihr, denn sie trifft auf Matteo, und gemeinsam können sie sich mithilfe einer kleinen Täuschung eine Unterkunft sichern. Doch was nur eine Nacht sein sollte, wird schnell zu einem aufregenden Roadtrip mit ungeahnten Folgen ...
"Dieser Roman ist absolute Perfektion! Vom ersten Moment an kann man nicht anders, als sich in Hazel und Matteo zu verlieben." MODERNBELLEBOOKS
Der neue Bestseller des Erfolgsduos Vi Keeland und Penelope Ward
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Seitenzahl: 432
Titel
Zu diesem Buch
Erster Teil
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
Zweiter Teil
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
Epilog
Danksagung
Die Autorinnen
Die Romane von Vi Keeland und Penelope Ward bei LYX
Impressum
Vi Keeland / Penelope Ward
CAN’T STOP THE FEELING
Roman
Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig
Zwei Tage. Länger hält Hazel das, was nach der abgesagten Hochzeit eigentlich ihre Flitterwochen sein sollten, nicht aus. Kurz entschlossen checkt sie aus dem Luxusresort in einem Skiort in Colorado aus und will nur noch zurück nach New York – doch ein Schneesturm macht ihr einen Strich durch die Rechnung. Ohne einen Rückflug oder eine Unterkunft hat sie Glück im Unglück, denn sie trifft auf einen attraktiven Fremden. Zusammen können sie sich mithilfe einer Täuschung ein reserviertes Zimmer ergaunern. Und als ihr Leidensgenosse erfährt, dass Hazel nicht ein einziges Mal auf der Skipiste war, nimmt Matteo sie, sobald es aufhört zu schneien, mit in die Berge. Es ist ein märchenhafter Ausflug, bei dem sich Hazel zum ersten Mal seit Langem wieder wie sie selbst fühlt. Schnell ist ihr klar: Dieses Abenteuer darf noch nicht enden. Deshalb willigt sie ein, Matteo auf einen Roadtrip zu begleiten. Einen Roadtrip voller erster Male, der ihr zu denken gibt, ob das beschauliche Leben, das sie bisher als Schulfotografin geführt hat, wirklich das ist, was sie erfüllt. Und ohne dass sie es weiß, lockt sie damit Matteo aus den Schatten seiner Vergangenheit, die sein Leben zum Stillstand gebracht haben. Doch irgendwann hat die Reise ein Ende und Hazel muss nach Hause zurückkehren. In New York wartet allerdings eine Überraschung auf sie, die Matteo zurück in ihr Leben bringt – nur leider nicht so, wie sie es sich wünschen würde …
»Four Seasons Resort in Vail, Colorado, guten Tag. Was kann ich für Sie tun?«
Ich holte tief Luft. »Hallo! Ich habe heute Morgen ausgecheckt. Ich hatte zehn Tage gebucht, bin aber nur zwei Nächte geblieben. Ist mein Zimmer vielleicht noch frei? Oder irgendein anderes Zimmer? Mein Flug wurde wegen des Schneesturms gestrichen.«
»Ich werde nachsehen. Wie lautet Ihr Nachname?«
»Appleton.« Ich schüttelte den Kopf. »Die Buchung lief allerdings auf Ellis, den Nachnamen meines Verlobten.« Meines Ex-Verlobten, besser gesagt. Unter den gegebenen Umständen durfte sie mich jedoch Mrs Ellis nennen, wenn ich nur eine Bleibe für die Nacht bekommen würde.
»Einen Moment bitte.«
»Vielen Dank.«
Ich suchte mir einen Platz in der Empfangshalle des Best Western und setzte mich. Dies war das dritte Hotel, das ich innerhalb der letzten zwei Stunden aufgesucht hatte. Am Morgen auszuchecken war ziemlich dumm von mir gewesen, aber immerhin konsequent: Nach der Fehlentscheidung, die lange geplante Hochzeitsreise allein anzutreten, hatte ich clevererweise beschlossen, nach nur zwei Tagen wieder auszuchecken – ohne mir den Wetterbericht für Vail anzusehen. Als ich am Flughafen eingetroffen war, hatte ich nicht gewusst, dass ein Schneesturm im Anzug war. Die Fluggesellschaft hatte mir jedoch versichert, dass mein Flug planmäßig starten würde. Bis fünf Minuten vor dem Boarding hatte auch alles danach ausgesehen, dann wurde allerdings eine zweistündige Verspätung angekündigt. Aus zwei Stunden wurden drei, aus dreien wurden fünf, und nachdem wir sechs Stunden lang vor dem Gate auf unbequemen Plastiksitzen ausgeharrt hatten, wurde der Flug schlussendlich gecancelt. Alle anderen Flüge waren vorher schon gestrichen worden, und nun schien infolgedessen jedes Hotel im Umkreis voll belegt zu sein.
Die Rezeptionistin meldete sich zurück.
»Mrs Ellis?«
»Ja?« Ich antwortete, obwohl ich beim Klang des Namens zusammenzuckte.
»Es tut mir leid. Nach Ihrer Abreise wurde Ihr Zimmer bereits wieder vergeben. Wegen des Sturms sind wir heute Nacht ausgebucht.«
Ich seufzte. War ja klar. »Okay, ich danke Ihnen.«
In letzter Zeit war ich einfach vom Pech verfolgt. Ich rief vier weitere Hotels an, und erst im letzten wurde mir gesagt, es könne eventuell ein paar freie Zimmer geben. Einige Gäste hatten offenbar bislang nicht eingecheckt, bei denen nun telefonisch nachgefragt wurde, ob sie noch eintreffen würden. Die Zimmer wurden nach der Devise »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst« vergeben, und so beschloss ich, es zu wagen und direkt hinzufahren. Es war bereits neunzehn Uhr, und es brachte nichts, länger hier herumzusitzen. Erstaunlicherweise ergatterte ich noch ein Uber, obwohl der Flughafen bereits vor Stunden dichtgemacht hatte.
Draußen schneite es heftig. Ein großer Geländewagen mit Schneeketten hielt vor dem Eingang. Weil ich weder das Kennzeichen des verschneiten Wagens lesen noch Automarke oder -modell erkennen konnte, ging ich darauf zu und bedeutete dem Fahrer, das Fenster herunterzulassen.
»Sind Sie Hazel?«, fragte die ältere Frau am Steuer.
Ich lächelte. »Ja.«
»Und Sie wollen zur Snow Eagle Lodge?«
»Ja, bitte.«
Obwohl das Hotel nur drei Kilometer entfernt war, dauerte die Fahrt eine gute Viertelstunde. Als wir ankamen, herrschte das totale Schneechaos: Kontraste und Konturen waren kaum noch zu erkennen, alles war weißgrau. Autofahren war unter diesen Bedingungen ziemlich riskant.
»Gott, es ist ja furchtbar da draußen«, sagte ich und zog mir die Kapuze meiner Jacke über den Kopf. »Passen Sie auf sich auf!«
»Oh, das werde ich, Schätzchen. Ich fahre jetzt schnurstracks nach Hause. Ich habe Sie nur aufgenommen, weil es auf dem Weg lag. Zum Glück haben Sie es noch zu Ihrem Hotel geschafft. Heute geht hier nämlich nichts mehr.«
Großartig. Ich konnte nur hoffen, dass es in der Lodge ein Zimmer für mich gab.
Wir standen mit dem Wagen zwar unter dem Vordach des Hotels, doch als ich ausstieg, wehte mir eine Ladung Schnee ins Gesicht. Durch den Wind kam ich mir vor wie in einer Schneekugel, die ganz fest geschüttelt worden war. In der Hotellobby wischte ich mir die Flocken von den Wimpern und sah mich um.
Oh nein.
Das sah nicht gut aus. Vor der Rezeption standen mindestens dreißig bis vierzig Leute Schlange. Ich seufzte und stellte mich mit meinem Rollkoffer hinten an. Mehr als eine halbe Stunde später kam ich endlich an die Reihe.
»Hallo. Ich habe vorhin angerufen, und mir wurde gesagt, es würden vielleicht ein paar Zimmer frei, weil einige Gäste noch nicht angekommen sind.«
Die Empfangsdame nickte mit gerunzelter Stirn. »Ja, ich kann Sie auf die Warteliste nehmen. Aber wir telefonieren noch, und die Aussichten sind ehrlich gesagt nicht besonders gut.«
Ich ließ frustriert die Schultern hängen. »Okay, dann setzen Sie mich bitte auf die Warteliste.«
Die Frau holte ein Klemmbrett hervor, schlug mehrere Seiten um, legte es mir hin und zeigte auf die nächste freie Zeile – die vorvorletzte auf dem Blatt. »Tragen Sie hier einfach Ihren Namen und Ihre Handynummer ein.«
Ich schrieb beides hin und klappte die umgeschlagenen Seiten wieder nach vorn. In dem Moment begriff ich erst, dass die Warteliste bereits aus sechs Seiten bestand. Es mussten an die hundert Namen und Telefonnummern sein.
»So lang ist die Liste schon?«
Die Empfangsdame nickte.
»Und wie viele Ihrer Gäste haben noch nicht eingecheckt?«
»Etwa ein Dutzend.«
Oh Gott, es war schlimmer, als ich gedacht hatte. Aber vielleicht hatten sich die Leute in die Liste eingetragen und waren wieder gegangen, wie in einem vollen Restaurant. Vielleicht hatten die meisten von denen, die vor mir auf der Liste waren, bereits eine andere Bleibe gefunden.
Doch als ich mich umdrehte, verlor ich alle Hoffnung. Sämtliche Sessel in der Empfangshalle waren besetzt. Zahlreiche Menschen saßen schon auf dem Boden, mit dem Rücken gegen ihr Gepäck gelehnt. Ich schlängelte mich zwischen ihnen hindurch und ergatterte einen freien Platz in dem mit Teppich ausgelegten Bereich, der nicht allzu weit von der Rezeption entfernt war. Obwohl ich wusste, dass es zwecklos war, nahm ich mein iPad aus der Tasche und setzte die Suche nach einem Hotel mit freien Kapazitäten fort. Aber selbst wenn ich eins fand, wie sollte ich bei diesem Wetter dorthin gelangen?
Nachdem ich ein paar Anrufe gemacht hatte, sah ich, wie eine Hotelangestellte mit einem Klemmbrett in der Hand zur Rezeption ging, um mit der Direktorin zu sprechen, die ich bereits kannte, weil ich eine halbe Stunde lang Schlange gestanden und die Leute hinter dem Tresen angestarrt hatte. Von meinem Platz aus konnte ich das Gespräch der beiden unweigerlich mithören.
»Diese sieben haben wir bislang nicht erreicht«, sagte die Hoteldirektorin und zeigte auf das Klemmbrett. »Alle anderen haben inzwischen eingecheckt, oder ihre Zimmer wurden an Leute von der Warteliste vergeben.«
Die Mitarbeiterin blätterte die Seiten durch und sah sich in dem überfüllten Empfangsbereich um. »Du lieber Gott, und der Sturm soll noch tagelang anhalten!«
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich einen Mann auf der anderen Seite der Rezeption. Er stand mit dem Rücken zu den Frauen. Dennoch sah ich, wie er leicht den Hals streckte, und mir kam der Verdacht, dass auch er das Gespräch der beiden Hotelangestellten verfolgte. Wahrscheinlich war ihm genauso langweilig wie mir, vermutete ich und widmete mich wieder meinem iPad – bis mir wenige Minuten später auffiel, dass er einen Stift zückte und sich etwas in die Hand schrieb.
Was zum Teufel tut er da?
Als er fertig war, spitzte er wieder die Ohren. Die Direktorin war inzwischen gegangen, und die Mitarbeiterin tätigte ihre Anrufe. Sie wählte eine Nummer nach der anderen.
»Hallo, hier ist Catherine von der Snow Eagle Lodge. Ich versuche, Milo oder Madeline Hooker zu erreichen.«
Kaum hatte sie die Namen gesagt, kritzelte sich der Typ wieder etwas in die Hand.
»Ich möchte nachfragen, ob Sie heute Abend noch bei uns eintreffen.« Offensichtlich sprach Catherine den Leuten auf die Mailbox. »Wir halten Ihnen Ihre reservierten Zimmer selbstverständlich frei, bis Sie kommen. Sollte Sie der Schneesturm allerdings zu einer Änderung Ihrer Reisepläne bewogen haben, warten hier eine Menge Leute, die Ihre beiden Zimmer gern übernehmen würden. Rufen Sie mich bitte schnellstmöglich zurück unter der Nummer 970–555–4000. Vielen Dank!«
Bei den nächsten zwei Anrufen geschah das Gleiche: Catherine hinterließ eine Nachricht, und der Lauscher machte sich Notizen. Ich hätte zu gern gewusst, was er im Sinn hatte, und behielt ihn im Auge. Als die Hotelangestellte mit ihren Anrufen fertig war, schnappte sich der Mann seinen Rucksack und schlenderte einen Flur hinunter, der von der Empfangshalle abging. Ich lehnte mich zur Seite, um ihm nachzuschauen, und beobachtete, wie er seine Kapuze aufsetzte und das Hotel durch einen Nebenausgang verließ.
Ich fand sein Verhalten zwar merkwürdig, dachte aber nicht weiter darüber nach.
Doch wenige Minuten später kam der Mann wieder zum Haupteingang herein. Ich erkannte ihn an seiner Skijacke, und als er seine Kapuze absetzte, bekam ich zum ersten Mal sein Gesicht zu sehen.
Er sah verdammt gut aus. Mittelbraune, leicht wellige Haare, die mal wieder einen Schnitt brauchten, volle Lippen, braune Augen und gebräunte Haut. Sein gesunder Teint fiel auf zwischen all den blassen Gesichtern der meisten Menschen in Colorado zu dieser Jahreszeit – einschließlich mir selbst. Zu schade, dass ich Männer derzeit hasste, denn er war ziemlich heiß! Er wischte sich den Schnee von den Schultern und ging zur Rezeption. Vor ihm warteten nur zwei Leute, weil sich keiner mehr traute, dem Sturm zu trotzen. Ich wusste nicht, was mich dazu trieb, beschloss aber, mich hinter ihm anzustellen. Möglicherweise bildete ich mir aus purer Langeweile Dinge ein, doch ich hatte das deutliche Gefühl, dass er etwas im Schilde führte.
Als er an der Reihe war, schloss ich so dicht zu ihm auf, wie es ging, um lauschen zu können, ohne aufdringlich zu erscheinen.
»Hallo, ich würde gern einchecken«, sagte er.
»Sehr schön. Wie lautet Ihr Nachname, Sir?«
Er räusperte sich. »Hooker. Milo Hooker.«
Ich kniff die Augen zusammen. Der Typ log wie gedruckt. Ich hab’s doch gewusst!
Die ahnungslose Rezeptionistin tippte auf ihrer Tastatur herum und lächelte. »Da haben wir Ihre Reservierung. Zwei Zimmer für zwei Nächte inklusive Frühstück, richtig?«
»Äh …« Der Typ nickte. »Ja, ich hatte zwei Zimmer gebucht. Aber jetzt brauche ich nur noch eins.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Wie es aussieht, wird es Ihnen nicht schwerfallen, das andere loszuwerden.«
Sie lächelte. »Nein, wirklich nicht. Ich brauche nur eine Kreditkarte und Ihren Personalausweis, Mr Hooker.«
Ich wartete. Der Moment der Wahrheit war gekommen. Wenn er nicht Milo Hooker war, musste er sich eine gute Ausrede einfallen lassen.
Er griff in seine Brusttasche, als wollte er seine Brieftasche herausnehmen. Einen Augenblick lang dachte ich schon, ich hätte mich geirrt, dann holte er jedoch ein Bündel Geldscheine hervor.
»Meine Brieftasche ist mir heute auf der Piste abhandengekommen. Zum Glück habe ich mir mit Western Union Bargeld transferieren lassen, bevor der Sturm losging. Kann ich einfach bar zahlen?«
Die junge Frau zögerte. »Sie haben keinerlei Ausweis dabei? Ohne eine Personalie mit Lichtbild darf ich niemanden einchecken.«
Der falsche Milo ließ seinen Charme spielen. Er beugte sich vor und ließ lächelnd seine tiefen Grübchen aufblitzen. »Wir könnten zusammen ein Selfie machen.«
Die Frau kicherte. Wie kann sie nur so albern kichern? »Ich frage kurz bei der Direktorin nach.«
Sie verschwand nach hinten und kehrte kurz darauf mit der Hoteldirektorin zurück.
Mir kam eine verrückte Idee. Sie hatten von zwei Zimmern gesprochen … Ich fasste einen spontanen Entschluss und trat vor.
»Da bist du ja, Milo!« Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Der Flug wurde gestrichen. Ich hoffe, die haben unsere Zimmer noch.«
Der falsche Milo drehte sich um und sah mich mit gerunzelter Stirn an.
Wenn ich jetzt nichts unternahm, vermasselte er es, und so wandte ich mich rasch den Frauen an der Rezeption zu. »Mein Bruder und ich haben zwei Übernachtungen gebucht, aber ich habe versucht, noch vor dem Sturm hier wegzukommen. Wie Sie sehen, hat es nicht geklappt. Ich habe den ganzen Tag am Flughafen verbracht. Bitte sagen Sie mir, dass mein Zimmer noch frei ist! Ich sehne mich nach einem heißen Bad.«
Milo schaute von mir zu den Frauen und wieder zu mir. Ich zog lächelnd eine Augenbraue hoch. Eine Sekunde lang tat er mir fast leid. Er war völlig konsterniert. Und da es ihm offensichtlich die Sprache verschlagen hatte, redete ich weiter.
»Wir waren schon am frühen Morgen auf der Piste, und uns wurden unsere Rucksäcke geklaut. Und als dann noch der Sturm anrückte, habe ich es als Mahnung verstanden, früher nach Hause zurückzukehren. Mutter Natur hatte allerdings andere Pläne. Hier müssten zwei Zimmer für uns reserviert sein – Milo und Madeline Hooker. Jemand hat mir gerade auf die Mailbox gesprochen und um Bestätigung unserer Reservierung gebeten. Catherine war ihr Name, glaube ich.«
Die Rezeptionistin nickte. »Das war ich. Durch das Unwetter sitzen hier viele Menschen ohne Zimmer fest, und wir haben alle Gäste mit Reservierung durchtelefoniert, die bis jetzt nicht eingetroffen sind.«
Die Direktorin schaute zwischen dem falschen Milo und mir hin und her. »Wir müssen Ihnen hundert Dollar Kaution pro Zimmer berechnen, wenn Sie keine Kreditkarte haben.«
Ich lächelte. »Natürlich.«
Sie nickte ihrer Mitarbeiterin zu. »In Ordnung, checken Sie die beiden ein.«
Dem Typ neben mir stand immer noch der Mund offen. Ich griff in die Tasche, kramte in meiner Geldbörse, ohne sie hervorzuholen, weil sie mir ja angeblich gestohlen worden war, und holte meine gesamte Barschaft heraus.
»Was kosten die Zimmer?«, fragte ich.
»Dreihundertzweiundvierzig Dollar für zwei Übernachtungen pro Zimmer plus jeweils hundert Dollar Kaution.«
Mist. So viel Bares hatte ich nicht. Ich zählte das Geld in meiner Hand und schob es dem falschen Milo hin. »Kannst du mir vierzig Dollar leihen? Du weißt, dass ich meine Schulden immer begleiche, Brüderchen.«
»Äh, ja. Natürlich.«
Nachdem wir bezahlt und die Zimmerschlüssel erhalten hatten, gingen wir schweigend zu den Aufzügen. Erst als wir allein waren und die Türen sich schlossen, wandte Milo sich mir zu. »Was zur Hölle ist da gerade passiert?«
Ich lachte. »Wir haben Zimmer bekommen, das ist passiert!«
Er schüttelte den Kopf. »Aber wer bist du?«
»Ich habe beobachtet, wie du die Rezeptionistin belauscht hast, als sie Gäste angerufen hat, die noch nicht eingetroffen sind.« Ich nahm seine Hand, öffnete sie und zeigte auf die verschmierten blauen Buchstaben. »Du hast dir ihre Namen notiert. Das kam mir komisch vor, und ich bin dir an die Rezeption gefolgt, um herauszufinden, was du vorhast. Als du dann die Geschichte von der verschwundenen Brieftasche erzählt hast, um zu erklären, warum du keinen Ausweis dabeihast, wusste ich sofort, dass du lügst.« Ich zuckte mit den Schultern. »Und weil von zwei reservierten Zimmern die Rede war, habe ich meine Chance gesehen und sie genutzt.«
»Woher wusstest du, dass ich mitspiele?«
»Das wusste ich nicht«, entgegnete ich lächelnd. »Aber das war der Spaß an der Sache!« Ich fasste mir an die Brust. »Mein Herz schlägt wie verrückt. Es ist lange her, seit ich zuletzt so etwas Abenteuerliches getan habe.«
Er studierte mein Gesicht. Trotz meiner Erklärung wusste er anscheinend nicht so recht, was er von mir halten sollte.
»Warum?«
Ich runzelte die Stirn. »Warum was?«
»Warum ist es lange her? Ganz offensichtlich hast du es doch genossen.«
Ich blinzelte verblüfft, weil ich nicht mit einer Frage gerechnet hatte, die mir derart zu denken gab, und mein Lächeln verblasste. »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich bin ich in den letzten Jahren ein anderer Mensch geworden.«
Nach der ganzen Aufregung wurde die Stimmung plötzlich merkwürdig ernst. Der falsche Milo sah mir in die Augen. Sein Blick wanderte zu meinem Mund und wieder nach oben. »Schade. Dein Lächeln ist umwerfend.«
Ich wurde von Wärme durchströmt und konnte nicht aufhören, ihn anzusehen – zumindest bis der Aufzug läutete und die Türen sich im dritten Stock öffneten.
»Da wären wir«, sagte er. »Zimmer 320 und 321.«
»Oh, ja. Okay.« Ich stieg aus und folgte der Beschilderung zu unseren Zimmern. Als angebliche Geschwister hatten wir natürlich zwei nebeneinanderliegende bekommen. Nur wenige Meter voneinander entfernt öffneten wir unsere Türen. Als ich die Klinke hinunterdrückte und in mein Zimmer gehen wollte, fiel mir noch etwas ein.
»Ach, hätte ich fast vergessen! Ich schulde dir noch vierzig Dollar!«
Er lächelte. »Mach dir keine Gedanken darüber.«
»Nein, nein, ich zahle sie dir zurück. Ich hatte nur nicht genug Bargeld und wollte der Frau nicht meine Kreditkarte geben, nachdem uns offiziell ja unsere Sachen gestohlen wurden. Ich stelle nur kurz mein Gepäck ab, dann gehe ich nach unten und suche einen Geldautomaten. Irgendwo werde ich schon einen finden.«
»Ich dachte, du wolltest ein heißes Bad nehmen, oder gehörte das zur Show?«
Ich lachte. »Nein, das nicht. Ich habe nicht gelogen, als ich gesagt habe, dass ich den ganzen Tag am Flughafen verbracht habe. Ein heißes Bad klingt jetzt wirklich verlockend. Trotzdem kann ich dir vorher dein Geld holen. Es dauert nicht lange.«
Der falsche Milo kratzte sich am Kinn. »Weißt du was? Steig ruhig erst mal in die Wanne. Ich springe kurz unter die Dusche, und danach gehe ich auf einen Drink an die Bar. Da findest du mich dann später, wenn du mir das Geld bringen willst.«
»Okay.«
Wir sahen uns einen Moment lang an.
»Also dann, viel Spaß beim Baden, Schwesterchen.«
Ich lächelte. »Danke, Milo. Bis später!«
»Hey!«
Nach meinem Bad fand ich Milo tatsächlich an der Bar, wie er gesagt hatte.
Er drehte sich auf seinem Hocker und warf mir ein Lächeln zu. »Wie geht’s, Hooker?«
»Wie bitte?«
Er schmunzelte. »Das ist unser Nachname, Madeline.«
Ich grinste. »Oh, richtig.«
Er trank sein Bier aus der Flasche. »Aber ich finde, du siehst nicht wie eine Madeline aus, sondern eher wie eine Maddie.«
Ich lachte. »Wie sieht denn eine Maddie aus?«
Milo wies mit einem Blick auf den freien Platz neben sich. »Trinkst du auch etwas?«
»Oh, nein. Ich, äh … ich bin nur gekommen, um dir das Geld zu geben.« Ich nahm die Scheine aus meinem Portemonnaie und hielt sie ihm hin.
Er winkte ab. »Bezahl damit lieber die nächste Runde!«
Ein Drink konnte wohl nicht schaden. Mein Nacken brachte mich um. Nach der Warterei am Flughafen war ich total verspannt – von der stressigen Zimmersuche ganz zu schweigen. Ein bisschen Alkohol würde mir vielleicht helfen, mich zu entspannen.
Ich nickte. »Okay, warum nicht?«
Milo winkte den Barkeeper herbei, während ich mich auf den Hocker neben ihm setzte.
»Ed, das ist meine Schwester Maddie. Maddie, das hier ist Ed.«
Der Barkeeper schüttelte mir die Hand. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Maddie.«
»Ganz meinerseits.«
»Was darf ich Ihnen bringen?«
»Ähm, ich nehme einen Wodka Cranberry mit einem Schuss Limette.«
Ed klopfte mit den Fingerknöcheln auf die Bar. »Kommt sofort!«, sagte er. »Möchten Sie noch ein Coors light, Milo?«
»Unbedingt! Danke, Ed.«
Ich lachte, als der Barkeeper sich entfernte. »Heißt du wirklich Milo, oder bleibst du einfach in deiner Rolle?«
Er zuckte mit den Schultern. »Irgendwie gefällt mir Milo. Ich habe schon daran gedacht, meinen Namen zu ändern. Deshalb probiere ich Milo jetzt aus.«
Ich konnte nicht einschätzen, ob er mich nur auf den Arm nehmen wollte. »Wie du meinst.«
»Also, Mads, dann erzähl mir doch mal, warum du für heute Nacht kein Zimmer hattest.«
Ich seufzte. »Das ist eine lange Geschichte.«
Er schaute auf seine Uhr. »Habe ich mir gedacht.«
»Wie bitte?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe genug Zeit für eine lange Geschichte.«
»Okay, damit du dich nicht zu Tode langweilst, bekommst du die Kurzfassung.« Ich überlegte, wie ich anfangen sollte, und beschloss, nichts zu beschönigen. »Eigentlich hätte ich hier in Vail heiraten und die Flitterwochen verbringen sollen, aber mein Ex-Verlobter hat die Hochzeit vor einiger Zeit abgesagt. Weil die Flugtickets und das Hotel nicht erstattungsfähig waren, habe ich mich entschieden, die Reise trotzdem zu machen und dem Alltag für ein paar Tage zu entfliehen. Vor Kurzem hat er wieder Kontakt zu mir aufgenommen und davon gesprochen, dass er mich vermisst. Ich dachte also, es wäre der perfekte Zeitpunkt, um ein bisschen in mich zu gehen. Nach zwei von zehn Tagen wurde mir aber bewusst, dass es eine schlechte Idee war, und ich wollte wieder nach Hause. Nur habe ich nicht auf den Wetterbericht geachtet, bevor ich heute Morgen das Hotel verlassen habe. Deshalb habe ich den ganzen Tag am Flughafen gehockt, und als mein Flug schließlich gestrichen wurde und mir aufging, dass alles in der Gegend ausgebucht ist, hatte das Hotel mein Zimmer schon an jemand anderen vergeben.«
Milo zog die Augenbrauen hoch. »Wow, das ist eine ziemlich beschissene Geschichte.«
»Danke!« Ich lachte. »Jetzt geht es mir schon viel besser.«
»Entschuldige«, entgegnete er schmunzelnd.
Der Barkeeper brachte mir meinen Drink. »Soll ich einen neuen Deckel für Sie machen?«
»Schreiben Sie es auf meinen, Ed.«
»Oh nein, nicht doch! Ich werde nur den einen hier trinken und selbst dafür bezahlen.«
»Ich bestehe darauf!« Er zwinkerte mir zu. »Mom würde es nicht gefallen, wenn ich meine kleine Schwester bezahlen lasse.«
Ich legte ihm die vierzig Dollar hin. »Danke. Dann nimm zumindest das Geld, das ich dir für das Zimmer schulde.«
Milo nickte. »Also, was ist passiert?«
»Was meinst du?« Warum verlor ich im Gespräch mit diesem Mann nur immer wieder den Faden?
»Du hast gesagt, dein Verlobter hat die Hochzeit abgeblasen. War er schon immer ein Arschloch, und du hast es jetzt erst gemerkt, oder steckt mehr dahinter?«
»Das ist eine ziemlich persönliche Frage, oder?«
»Ich bin dein Bruder«, entgegnete er achselzuckend. »Du kannst mir alles sagen. Außerdem müsste ich ihm eigentlich eine Abreibung verpassen, weil er dich verletzt hat. Du weißt schon, die Ehre meiner Schwester verteidigen und so weiter.«
Der falsche Milo gefiel mir. Er hatte einen trockenen Humor. Allerdings war die Frage nicht so leicht zu beantworten, was zu meiner geplatzten Verlobung geführt hatte. Doch der Mann neben mir wollte es allem Anschein nach wissen.
»Du brauchst ihn nicht zu verprügeln. Ich habe Mitschuld daran.«
Seine Augen weiteten sich. »Wie bitte? Du nimmst einen Teil der Schuld dafür auf dich, dass dieses Arschloch die Hochzeit abgesagt hat?«
»Nicht dafür, wie er es gemacht hat, sondern dafür, wie es dazu gekommen ist.«
»Es gibt keine Entschuldigung dafür, eine Hochzeit sausen zu lassen. Wenn man sich nicht sicher ist, macht man der Frau keinen Antrag.«
Wie soll ich das jetzt erklären …?
»Nun ja, als wir uns kennengelernt haben, war ich – im Vergleich zu ihm – abenteuerlustig und lebenshungrig. Aber Gegensätze ziehen sich an, nicht wahr? Er war ein braver, anständiger Kerl und fühlte sich von meiner wilden Persönlichkeit angezogen. Im Lauf der Jahre habe ich mich jedoch verändert. Ich wurde … mehr wie er. Und ich glaube, er ist trotz gegenseitigen Respekts eines Tages wachgeworden und hat erkannt, dass er einen Rückzieher machen muss, statt eine lebenslange Beziehung mit einer Frau einzugehen, die nicht mehr dieselbe war.«
»Wie lange wart ihr verlobt?«
»Ein Jahr.«
Milo runzelte die Stirn. »Das ist absoluter Schwachsinn! Das weißt du, oder? Es gibt keinen Grund, jemandem bis kurz vor der Hochzeit etwas vorzumachen.« Er trank einen Schluck Bier und knallte die Flasche auf die Bar. »Meinst du nicht, dass doch mehr dahintersteckt? Vielleicht hat er mit einer anderen gevögelt und sich schuldig gefühlt – auch wenn er nicht den geringsten Anlass dazu gehabt hätte, wo er dich zu Hause hatte!«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube nicht. Ich meine, es gab Zeiten, in denen ich mir wegen der einen oder anderen Kollegin von ihm Gedanken gemacht habe. Ein paar Leute aus seinem Büro gehen öfter nach der Arbeit zusammen aus, und sie trinken ein bisschen zu viel. Trotzdem denke ich, dass er höchstens mal mit einer geflirtet hat.«
Mich befiel eine leise Übelkeit. Es bekam mir nicht gut, die Geschichte mit Brady aufzuwärmen.
»Wie hat er dir erklärt … dass er dich nicht mehr heiraten will?«, fragte Milo.
»Er hat nur gesagt, er sei nicht mehr sicher, ob es die richtige Entscheidung ist. Näher erklärt hat er es eigentlich nicht. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet. Wahrscheinlich hätte ich es kommen sehen müssen, aber ich habe wirklich geglaubt, er liebt mich, auch wenn sich unsere Beziehung im Lauf der Zeit verändert hat. Wie gesagt, ich kann ihm seinen Sinneswandel nicht verübeln.«
»Dennoch solltest du ihm verübeln, wie er damit umgegangen ist. Es ist ganz schön mies, eine Hochzeit zu planen und dann so eine Scheiße abzuziehen.«
»Es schien ihm wirklich schwerzufallen, es tun zu müssen. Er hat sich die Entscheidung bestimmt nicht leicht gemacht. Wahrscheinlich hatte er es schon eine Weile mit sich herumgetragen und gezögert, es mir zu sagen. Er war ziemlich kleinlaut.«
»Dazu hatte er auch allen Grund, verdammt!«
Ich verdrehte die Augen. »Ja.«
»Aber weißt du was?«
»Was?«
»Er ist ein Idiot. Er wird es eines Tages bereuen.«
Meine Wangen fühlten sich plötzlich ganz heiß an, und unsere Blicke trafen sich.
»Lieb, dass du das sagst. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, du bist wirklich mein Bruder«, sagte ich leise. »Du bist sehr fürsorglich gegenüber jemandem, den du gar nicht kennst.«
Er wandte sich dem Barkeeper zu. »Ed, würden Sie meiner Schwester noch einen Drink bringen?«
Ich hob abwehrend die Hände. »Ich weiß nicht, ob ich noch einen vertrage.«
»Glaub mir, du wirst ihn brauchen.«
»Wieso?«
»Weil ich dir jetzt den Kopf zurechtrücken werde. Da brauchst du wahrscheinlich etwas zur Linderung.«
Ich kniff die Augen zusammen. »Im Ernst?«
»Ja.«
Ed stellte mir den zweiten Wodka Cranberry hin.
Milo grinste. »Trink aus.«
Ich nahm einen großen Schluck. Der Alkohol brannte mir in der Kehle. »Was ist denn so schwer zu verkraften, dass ich es nur in betrunkenem Zustand hören sollte?«
Milo beugte sich zu mir. »Dein Ex wird zurückkommen und dich anflehen, ihm noch eine Chance zu geben.«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es einfach, okay? Männer sind bescheuert, und er wird seinen Fehler erkennen und versuchen, dich zurückzugewinnen.«
Ich schloss aus seinem Ton, dass er wusste, wovon er redete.
»Sprichst du aus eigener Erfahrung?«, fragte ich.
»Allerdings. Bei meinem Bruder war es ähnlich. Nur hat er meine Schwägerin tatsächlich mit einer Kollegin betrogen. Sie hat ihm verziehen und ihn zurückgenommen, und er hat es ihr gedankt, indem er es noch einmal gemacht hat, mit einer anderen Kollegin. Mein Bruder ist ein Arsch, das war schon in unserer Kindheit so. Ich liebe ihn, aber er ist ein Arsch! Menschen verändern sich nicht, Maddie. Wenn sich der Kerl so leicht von dir trennen konnte, wird er es wieder vermasseln. Er hat dich nicht verdient.«
Ein Teil von mir wollte glauben, dass er falschlag. »Nun, momentan klammere ich mich noch an die Hoffnung, die letzten paar Jahre meines Lebens nicht vergeudet zu haben.«
Milo zuckte mit den Schultern. »Menschen treffen ständig schlechte Entscheidungen. Man verbucht es als Fehler und lässt es hinter sich. Man hält sich nicht mit einem toten Gaul auf, nur weil man ihn so lange geritten hat.« Er hielt inne. »Das ist nicht so schön ausgedrückt, aber trotzdem. Man steigt über den toten Gaul hinweg und zieht weiter. Weißt du, was passiert, wenn du versuchst, den toten Gaul aufzuwecken?«
»Was?«
»Er beißt dich in den Hintern.«
Ich lachte. »Okay, ich verstehe, was du meinst. Allerdings ist es leichter gesagt als getan, eine mehrjährige Beziehung hinter sich zu lassen, weißt du? Trotzdem danke für deinen Rat.«
»Dazu sind große Brüder da«, sagte er mit einem Augenzwinkern und trank von seinem Bier. »Aber erklär mir doch mal, warum du dich für so langweilig hältst.«
Ich starrte in mein Glas. »Ich erkenne mich selbst nicht wieder, Milo.«
»Wie meinst du das – abgesehen davon, dass du dich gerade als jemand anderes ausgibst?«
Ich musste lachen. »Du gibst dich auch als jemand anderes aus, nur um das klarzustellen. Und es ist eine lange Geschichte.«
Er deutete einen Blick auf seine Uhr an. »Wie gesagt, ich habe Zeit. Allem Anschein nach kommen wir nicht so bald von hier weg.«
»Wohl wahr.«
Er lächelte. »Also rede mit mir.«
Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. »Okay, um mich zu verstehen, musst du wissen, dass meine Eltern Hippies waren.«
Er verschränkte die Arme. »Peace and love – sehr schön.«
Ich nickte. »In meiner Kindheit sind wir ziemlich viel herumgereist. Ich fand es schrecklich, ständig die Schule zu wechseln und so weiter. Trotzdem habe ich mich im Lauf der Jahre an diese Lebensart gewöhnt. Nach dem College bin ich im Grunde wie meine Eltern geworden.«
»Du wurdest zum Hippie?«
»Nicht direkt, aber es hat mich nie lange an einem Ort gehalten. Ich bin Fotografin. Nach meinem Abschluss habe ich für ein Musikmagazin gearbeitet und bin durchs Land gereist, um verschiedene Bands zu fotografieren. Ich habe jede Menge Tourbusse von innen gesehen! Und damals habe ich wirklich gern mitgefeiert. Es hat unheimlich Spaß gemacht, bis …«
»Bis es keinen Spaß mehr gemacht hat«, beendete er meinen Satz.
»Ja, genau. Irgendwann ist mir klar geworden, wie sehr mein Leben dem meiner Eltern ähnelt. Mit Anfang zwanzig war das auch völlig in Ordnung, aber irgendwann hatte ich es satt.«
»Hast du den Job aufgegeben?«
»Nicht sofort. Ironischerweise habe ich meinen Ex auf einem Konzert kennengelernt.«
Milo nickte. »The Day the Music Died …«
Ich musste wieder lachen, was vielleicht auch am Alkohol lag.
»Er war das genaue Gegenteil von mir: durch und durch konservativ. Und da wurde zum ersten Mal der Wunsch in mir wach, ein solideres Leben zu führen. Ich denke, ich habe mich vor allem nach Sicherheit gesehnt.«
Er lehnte sich zurück und machte es sich auf seinem Barstuhl bequem. »Das kann ich verstehen.«
»Seine Eltern sind seit fünfunddreißig Jahren verheiratet, und er besucht sie immer noch jeden Sonntag zum Abendessen. Ich hatte kein richtiges Zuhause und beschloss, den Job sausenzulassen, um mit ihm zusammen zu sein.«
»Du hast aufgehört zu fotografieren?«
»Nein. Er hat mir dabei geholfen, ein eigenes Studio zu eröffnen, und vor allem das Geschäft mit Schulfotos hat sich hervorragend entwickelt. In meiner Heimatstadt bin ich sozusagen die Königin der Schulfotografie.«
»Wie aufregend. Gestaltest du den Hintergrund deiner Fotos auch mit diesen gefakten blauen und pinken Laserstrahlen?«
»Natürlich nicht! Das ist voll Achtziger. Ich glaube, meine Mutter hatte so ein Schulfoto.«
»Wahrscheinlich besitzt jede Mutter so eins. Natürlich mit dem obligatorischen Profilbild oben in der Ecke!« Er lachte.
»Ich kann mit Stolz sagen, dass meine Fotos wesentlich geschmackvoller sind.«
»Toll, dass du eine Möglichkeit gefunden hast, von deinem Talent leben zu können – ganz im Ernst.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Schulfotografie ist nicht gerade der Gipfel der Kreativität, aber ich kann damit meine Rechnungen bezahlen und den angenehmen Lebensstil finanzieren, an den ich mich inzwischen gewöhnt habe.«
Er schien mich auf Anhieb zu durchschauen. »Aber manchmal würdest du angenehm trotzdem gerne wieder gegen wild eintauschen, oder?«
Die Art und Weise, wie er »wild« sagte, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Aus seinem Mund klang es wie eine Verlockung.
Ich spürte, dass ich knallrot wurde. »Gott, wir reden die ganze Zeit nur über mich. Ich habe dich noch gar nicht gefragt, was du hier in Vail machst.«
»Ich komme von hier. Ich bin in Vail aufgewachsen.«
»Tatsächlich?« Ich war überrascht.
»Ja.«
»Und warum wohnst du dann in einem Hotel?«
»Ich lebe nicht mehr hier. Ich habe nur meine Eltern und ein paar Freunde besucht. Sie wohnen am Stadtrand, und ich wollte noch ein paar Tage im Zentrum verbringen.«
»Und wo lebst du jetzt?«
»In Seattle.«
»Was machst du beruflich?«
»Ich bin Musiklehrer an einer Highschool.«
Mir ging das Herz auf, denn ich hatte tolle Erinnerungen an meine Musiklehrer. Sie hatten mich in jungen Jahren dazu inspiriert, in die Musikfotografie einzusteigen.
»Echt? Das ist cool!«
»Tja, ich versuche, cool zu sein, aber meine Schüler durchschauen mich in der Regel.«
Verdammt. Ich konnte mir gut vorstellen, wie viele hormongesteuerte pubertierende Mädchen für ihn schwärmten. Und je länger ich ihn anstarrte, desto mehr fühlte ich mich wie eins dieser Mädchen. Er wirkte sexy auf eine ungewollte, lässige Art, und sein Strubbelkopf war einfach perfekt. Wenn er mich ansah, lag jedes Mal ein Funkeln in seinen Augen und ein Ausdruck, der ein bisschen forschend war und zugleich ungeheuer heiß. Ganz zu schweigen von seinen vollen Lippen, die mich ungeheuer faszinierten.
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte mich ganz gewiss nicht auf einen fremden Typen einlassen, den ich nach dem morgigen Tag niemals wiedersehen würde.
»Wow, okay.« Ich räusperte mich. »Dann haben wir also beide mit Musik zu tun – du allerdings auf wesentlich kompetentere Weise.«
»Nun, als du gesagt hast, dass du früher Musikfotografin warst, habe ich natürlich aufgehorcht. Allerdings habe ich Klassenausflüge im Schulbus begleitet, während du dich in Tourbussen amüsiert hast. Letzteres klingt viel aufregender.«
Ich seufzte. »Es war aufregend.«
»Du hast bestimmt auch einige Musiker gedatet, oder?«
»Nur einen. Herbie Allen, den Schlagzeuger von Snake. Kennst du ihn?«
»Ja, klar. Was ist daraus geworden?«
»Wir waren ein paar Monate zusammen. Dann bin ich zu der Entscheidung gelangt, dass eine Beziehung mit einem Musiker zwangsläufig zu einem gebrochenen Herzen führt. Ich hatte Angst, verletzt zu werden, und habe mich von ihm getrennt. Ganz schön ironisch, wenn man bedenkt, dass mein konservativer Verlobter mir letztendlich das Herz gebrochen hat. Wahrscheinlich wäre ich mit Herbie besser dran gewesen. Er war zumindest ehrlich.« Ich schüttelte den Gedanken ab. »Und jetzt erzähl mir doch mal, warum du Musiklehrer geworden bist.«
Er starrte mich ein paar Sekunden an. »Das erzähle ich dir ein andermal.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es gibt kein andermal. Morgen trennen sich unsere Wege wieder.«
Er zwinkerte mir zu. »Die Nacht ist noch jung, Schwesterherz.«
Wer ist dieser Mann? Und warum bin ich so verzaubert von ihm? Ich habe fast vergessen, dass wir in diesem verdammten Hotel eingeschneit sind! Warum erzähle ich ihm meine Lebensgeschichte?
Ich wollte noch viel mehr über »Milo« erfahren, doch er wechselte rasch das Thema, und wir sprachen wieder über mich.
»Also, wer bist du wirklich, Maddie?«
Ich schwenkte den Rest meines Drinks im Glas und gab eine ehrliche Antwort. »Das weiß ich nicht so genau, Milo. Zurzeit fühle ich mich ziemlich verloren und weiß nicht recht, in welche Richtung mein Leben gehen soll.« Ich sah zu ihm auf. »Aber jetzt gerade bin ich recht zufrieden damit, einfach Maddie zu sein und meine Probleme ein Weilchen zu vergessen.«
»Dann solltest du auch Maddie bleiben.« Er lächelte. »Was immer dich glücklich macht. Betrachte unsere Zeit hier einfach als kleines Abenteuer.«
»Das würde mir gefallen, Mr Hooker.«
»Sehr wohl, Ms Hooker.«
Ich seufzte. »Mein Abenteuersinn ist mir in den letzten paar Jahren abhandengekommen. Ich habe mich oft gefragt, ob der Rückzieher meines Verlobten ein Zeichen ist und ich die falsche Richtung eingeschlagen habe. Ein Tag glich dem anderen, und ich habe die Stabilität zwar geschätzt, weiß aber nicht, ob mir dieses Leben tatsächlich liegt.«
»So ist es recht! Nimm das, was geschehen ist, als Möglichkeit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Ich sehe doch die Abenteuerlust in deinen Augen.«
»Wie sieht denn jemand mit Abenteuerlust aus? Abgespannt und durchgedreht?«
Er lachte nur.
Wir saßen noch eine Weile an der Bar und unterhielten uns, bis es Zeit wurde, schlafen zu gehen. Milo gab Ed ein großzügiges Trinkgeld, bevor wir zusammen zu den Aufzügen gingen.
Als wir unsere Zimmer erreichten, blieben wir im Flur stehen.
Ich ergriff als Erste das Wort. »Also … es hat Spaß gemacht, mit dir zu reden. Danke für die Drinks.«
Obwohl ich mich damit eigentlich verabschiedet hatte, rührte sich keiner von uns vom Fleck.
Plötzlich schüttelte Milo den Kopf. »Nein.«
Ich war verwirrt. »Nein?«
»So kann es nicht enden – ich gehe in mein Zimmer und du in deins, und morgen trennen sich unsere Wege. Du hast Lust auf Abenteuer, hast du gesagt, nicht wahr?«
Mein Herz schlug schneller. »Was hast du vor, Mr Hooker?«
»Hast du deine Kamera dabei?«
»Selbstverständlich! Was wäre ich für eine Fotografin, wenn ich keine Kamera bei mir hätte?«
Er warf mir ein verschmitztes Grinsen zu. »Gut. Dann hol sie bitte. Wir treffen uns in zehn Minuten unten in der Empfangshalle. Vergiss deine Jacke nicht und zieh dich warm an.«
Wenn ihr der Sinn nach Abenteuer stand, dann sollte sie auch eins erleben.
Ich wollte sehen, ob ich ihr ein Lächeln ins Gesicht zaubern konnte. Dieser Frau – wer immer sie war – war übel mitgespielt worden. Warum sollten wir nicht das Beste aus der Situation machen? Es gab Schlimmeres, als in Vail festzusitzen. Und wenn jemand wusste, wie man sich in dieser Stadt vergnügte, dann ich. Ich wohnte zwar schon lange nicht mehr hier, aber ich hatte noch Zugang zu einer der besten Attraktionen der Stadt.
Das einzige Problem war, in diesem Schneesturm dorthin zu kommen.
Ich wartete schon in der Eingangshalle, als Maddie aus dem Aufzug kam. Verdammt, sie war wirklich hübsch. Lockiges rotes Haar und ein paar Sommersprossen auf der Nase. Passend zu ihrer dicken weißen Steppjacke trug sie eine weiße Strickmütze und sah wie ein lebendiger Schnee-Engel aus. Trotz der schmerzlichen Erfahrung, die sie gemacht hatte, leuchtete ihr Gesicht auf, wenn sie lächelte. Ja, man konnte durchaus in wesentlich schlimmeren Situationen feststecken. Ich für meinen Teil war recht zufrieden mit der Lage.
Meine abenteuerlustige Begleiterin hatte ihre Kamera in einer Ledertasche umgehängt. Wie mir schien, hatte sie etwas Lippenstift aufgetragen. Sie sah ohne Make-up fabelhaft aus, und ich fragte mich, ob sie es getan hatte, um Eindruck auf mich zu machen. Sie hatte mir nicht den kleinsten Wink gegeben, dass sie interessiert war. Es war ziemlich krank von mir, auch nur daran zu denken, nachdem ihr erst vor Kurzem das Herz gebrochen worden war. Eigentlich sollte sie jetzt in ihren Flitterwochen sein. Was für eine Scheiße! Seit sie mir erzählt hatte, was ihr Ex abgezogen hatte, brodelte ich vor Zorn – eine merkwürdige Reaktion, wenn man bedachte, dass ich sie kaum kannte.
Als sie vor mir stand, merkte ich außerdem, dass sie einen Hauch Parfüm aufgelegt hatte.
»Du siehst hübsch aus.«
»Danke.« Sie errötete. »Und was machen wir jetzt?«
»Das wirst du schon sehen. Wenn ich es dir sagen würde, wäre es kein Abenteuer.«
»Oje. Worauf habe ich mich nur eingelassen?«
»Keine Sorge, ich würde niemals zulassen, dass meiner Schwester etwas passiert«, entgegnete ich mit einem Augenzwinkern.
Als Erstes musste ich mir überlegen, wie wir von A nach B kamen.
»Warte mal kurz hier, ja? Ich will versuchen, uns ein Transportmittel zu besorgen.«
»Na, da wünsche ich dir viel Glück.«
»Hast du etwa Zweifel an meiner Fähigkeit, Wunder zu vollbringen? Du hast wohl vergessen, wie wir an unsere Zimmer gekommen sind!«
Sie lachte, als ich ein paar Schritte rückwärtsging, ihr ein übermütiges Grinsen zuwarf und mit den Augenbrauen wackelte. Blöderweise wäre ich dabei fast mit einem Gepäckwagen zusammengestoßen.
Ihre Skepsis machte mich nur noch entschlossener, meinen Plan zu verwirklichen.
Ich ging zum Schalter des Portiers, um mich zu erkundigen, ob er mir helfen konnte. »Ich würde das Hotel gerne verlassen und in ein paar Stunden wieder abgeholt werden. Haben Sie vielleicht einen Tipp für mich?«
Ohne von seinem Schalter aufzusehen, antwortete er: »Die Straßenverhältnisse sind ziemlich schlecht, Sir. Es ist nicht ratsam, durch die Gegend zu fahren, selbst wenn ich etwas arrangieren könnte.«
»Ich stelle die Frage noch einmal.« Ich zückte meine Brieftasche und schob ihm einen Fünfzig-Dollar-Schein hin. »Können Sie mir jemanden besorgen, der mich zum Parkside Resort fährt und in drei Stunden wieder zurück?«
Er steckte den Fünfziger ein. »Einen Moment bitte. Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Er begann zu telefonieren, und während ich wartete, schaute ich zu Maddie hinüber, die nervös von einem Bein aufs andere trat. Sie lächelte, als sie meinen Blick auffing, und dieses Lächeln war viel mehr wert als fünfzig Mäuse.
Der Portier legte auf. »Gute Nachrichten! Ich habe einen Fahrer mit einem Toyota 4Runner gefunden, der bereit ist, Sie zu fahren.«
»Super! Ich danke Ihnen.«
Wenige Minuten später fuhr der schwarze SUV vor dem Eingang vor. Wir verließen das Hotel durch die Drehtür und stiegen hinten ein. Ein korpulenter Mann saß am Steuer.
»Vielen Dank, dass Sie uns fahren«, sagte ich zu ihm und hauchte warme Luft in meine kalten Hände, bevor ich rasch meine Handschuhe hervorholte und sie anzog.
Der Typ drehte sich zu uns um. »Man nennt mich nicht umsonst Crazy Abe. Ich begreife nicht, warum Leute, die hier aufgewachsen sind, so dermaßen wegen dem Schnee ausflippen.«
»Ganz Ihrer Meinung!«
»Sie wollen zum Parkside Resort?«
»Ja.«
Maddie sah mich an. »Wir fahren in ein Skigebiet?«
»Kann schon sein.«
»Wow. Okay. Und ich dachte, ich würde Vail verlassen, ohne überhaupt Spaß im Schnee gehabt zu haben. Aber … sind die Pisten überhaupt offen?«
»Mach dir keine Gedanken, ich habe Beziehungen.«
Das Parkside Resort gehörte meiner Tante und meinem Onkel, und ich hatte einen Schlüssel für die Gondelbahn. Hoffentlich ging mein Plan auf!
Wie sich schon bald herausstellte, hatte sich Crazy Abe seinen Namen redlich verdient. In Anbetracht des Zustands der Straßen fuhr er viel zu schnell.
Es war also keine große Überraschung, als er in die Böschung am Straßenrand schlitterte.
»Ach du Scheiße!«, schrie Maddie.
»Alles okay?« Mir wurde erst nach ein paar Sekunden bewusst, dass ich schützend den Arm vor sie gelegt hatte und meine Hand auf ihrer Brust gelandet war. Selbst durch die dicke Jacke spürte ich, wie weich ihre Brüste waren.
»Ja.« Sie atmete erleichtert aus. »Mir geht’s gut.«
»Tut mir leid!«, rief Abe.
Die Reifen des SUV drehten durch, als er aufs Gaspedal trat. Der Wagen hatte sich festgefahren. Um Abe zu helfen, ihn freizubekommen, stieg ich sofort aus und begann von hinten zu schieben.
Es zeigte sich jedoch schnell, dass ich Unterstützung brauchte.
Ich ging nach vorn zum Fahrerfenster. »Würden Sie mir beim Schieben helfen? Sie kann sich währenddessen ans Steuer setzen und Gas geben.«
Er schüttelte den Kopf. »Geht nicht, sorry.«
»Was soll das heißen?«
»Ich habe einen schlimmen Rücken. Eine falsche Bewegung, und ich lande im Krankenhaus.«
Der Kerl würde aus einem ganz anderen Grund im Krankenhaus landen, wenn er nicht schleunigst seinen Arsch aus dem Auto schwang!
Aber er rührte sich nicht. Doch da war Maddie schon ausgestiegen, um mir beim Schieben zu helfen.
»Unfassbar, dieser Kerl!«, sagte sie.
»Danke, dass du rausgekommen bist«, sagte ich und kam mir vor wie der letzte Waschlappen, weil ich es nicht allein schaffte.
Obwohl wir uns nach Leibeskräften bemühten, bewegte sich der 4Runner keinen Zentimeter. Und wir waren beide von oben bis unten voll Schnee.
»Also, das ist jetzt nicht das Abenteuer, das ich im Sinn hatte.«
»Du kannst ja nichts dafür«, sagte sie lächelnd.
Dass sie in so einem beschissenen Moment lächeln konnte, sprach für sie. Sie war schwer in Ordnung, diese Maddie.
Nach einer kurzen Verschnaufpause begannen wir von Neuem zu schieben. Der rückwärtige Scheibenwischer arbeitete pausenlos, und wir konnten in den Wagen hineinschauen, während wir uns abplagten.
Es fiel uns beiden gleichzeitig auf.
Das kann nicht sein …
Ist das wirklich …
Er wird doch nicht …
Während Abe stumpfsinnig aufs Gaspedal trat, sah er sich etwas auf seinem Telefon an.
Und nicht irgendwas.
Maddie fiel die Kinnlade runter. »Zieht er sich da einen Porno rein?«
»Sieht ganz danach aus, angesichts des riesigen Hinterns auf dem Display.«
Sie riss die Augen auf. »Wir müssen so schnell wie möglich hier weg!«
Ich nickte zustimmend. »Komm, noch einmal ganz fest mit vereinten Kräften! Bereit?«
»Ja!«
Unser angestrengtes Stöhnen beim Anschieben konkurrierte mit ähnlichen Geräuschen im Inneren des Wagens. Letztlich siegte der Geist über die Materie, denn diesmal machte der SUV wie durch ein Wunder einen Satz nach vorn. Blieb nur zu hoffen, dass Abe seinen Schwanz so lange wegpackte, bis er uns an unser Ziel gebracht hatte.
»Wow, das ist wirklich wunderschön!« Maddie schaute aus dem Fenster der Gondel auf die verschneiten Berge. »So was habe ich noch nie erlebt.«
»Weil du noch nie hier warst, meinst du?«
»Nein, ich bin noch nie mit einer Gondelbahn gefahren.«
»Echt nicht? Warum?«
»Äh … weil ich nicht Ski fahre.«
Ich sah sie verdutzt an. »Wie meinst du das? Du fährst nicht Ski?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich habe es noch nie ausprobiert.«
»Aber die Flitterwochen wolltest du in Vail verbringen? Warum verreist man an DEN Skiort der Vereinigten Staaten, wenn man gar nicht Ski fährt?«
Sie runzelte die Stirn. »Mein Ex war der Skifahrer.«
»Und du hast gar nichts damit am Hut?«
Maddie steckte die Hände in ihre Jackentaschen. »Ich sagte ja, ich habe mich verloren.«
Der Anblick ihrer traurigen Miene versetzte mir einen Stich in die Brust. »Skifahren hat also nicht deiner Vorstellung von Flitterwochen entsprochen?«
»Mir hat die Vorstellung gefallen, an einem gemütlichen Kamin vor einem Panoramafenster zu sitzen und in die verschneite Landschaft zu schauen. Zählt das?«
Ich kratzte mich am Kinn. »Wie würden denn perfekte Flitterwochen für dich aussehen?«
Sie dachte darüber nach. Und weil sie sehr lange für ihre Antwort brauchte, war mir klar, dass ihr bescheuerter Ex sie nie danach gefragt hatte. Je mehr ich über ihre Beziehung erfuhr, desto sicherer war ich, dass die Absage der Hochzeit schließlich doch ein Segen war.
»Ich wollte schon immer mal auf die Südseeinsel Moorea und einen von diesen Overwater-Bungalows mieten.«
Ich lächelte. Obwohl ich in Vail aufgewachsen und Skifahren für mich so selbstverständlich war wie Laufen, hätte ich mich jederzeit für Maddie im Bikini statt im Schneeanzug entschieden. Ihr Ex war nicht nur ein Feigling – er war ein Vollidiot.
»Wenn der Richtige kommt, wird er die Flitterwochen mit dir auf dieser Insel verbringen.«
Maddie lächelte traurig. »Danke.«
Wir fuhren mit der Gondel bis nach oben auf den Gipfel des Berges. Ich hatte die Bahn auf einfache Fahrt eingestellt, sodass sie stehen blieb, als wir die Station erreichten.
»Halte deine Kamera bereit.«
Ich hatte ihr noch nicht gesagt, warum ich sie auf den Berg entführt hatte, und sie hatte nicht gefragt. Das bewies, dass sie wahrhaftig Abenteuersinn hatte. Maddie öffnete ihre Kameratasche und nahm zwei Objektive heraus.
»Brauche ich ein Tele oder ein Makro?«
»Eindeutig ein Tele!«
Sie schraubte das Standardobjektiv von ihrer Kamera ab und tauschte es gegen ein Telezoom aus. Dann putzte sie den Sucher und schloss die Tasche wieder. »Ich bin bereit. Oder soll ich mir noch die Hose in die Stiefel stecken? Wie tief ist der Schnee hier oben?«
Ich schmunzelte. »Spielt keine Rolle. Du wirst nicht aussteigen.«
»Und du?«, fragte sie stirnrunzelnd.
»Nur für ein paar Minuten.« Ich öffnete eins der Schiebefenster der Gondel, damit sie klare Sicht hatte. Dann schnallte ich mir ein Paar Schneeschuhe unter. »Du bleibst schön hier sitzen und schaust in diese Richtung.« Ich zeigte auf ein dunkles Waldgebiet in einiger Entfernung. »Die Gondel ist etwa sechzig Zentimeter über dem Boden, weil man normalerweise mit langen Skiern an den Füßen aussteigt. Ich springe jetzt da runter und schalte im Kontrollhäuschen das Flutlicht ein. Dann komme ich wieder zu dir.«
Sie strahlte vor Begeisterung. »Okay!«
Als ich zur Gondel zurückkehrte, hörte ich, wie Maddie nach Luft schnappte.
Ich lächelte und beeilte mich, wieder ins Warme zu kommen. Ich zog rasch die Tür hinter mir zu und wischte mir den Schnee von den Schultern. »Kannst du sie sehen? Ich war mir nicht sicher, ob es bei dem Schneefall möglich ist. Aber seit wir das Hotel verlassen haben, hat es sich merklich aufgehellt. Vermutlich sind wir jetzt im Auge des Sturms.«
Der Blendenverschluss ihrer Kamera klickte mehrmals in kurzer Folge, bevor Maddie etwas sagte. »Was sind das für Bären? Sie sind bezaubernd.«
»Das sind Schwarzbären.«
»Sind sie gefährlich?«
»Ich glaube, es gibt keinen ungefährlichen Bären, außer Yogi vielleicht. Auf den Bergen in diesem Skigebiet wimmelt es jedoch von Schwarzbären, die sich an das Zusammenleben mit den Menschen gewöhnt haben. Wenn man ihnen nicht in die Quere kommt, lassen sie einen ebenfalls in Ruhe.«
Maddie justierte ihr Objektiv und schoss weitere Fotos. »Ich dachte, Bären halten Winterschlaf.«
»Das stimmt auch. Das bedeutet aber nicht, dass sie von November bis Juni durchschlafen. In den Monaten, in denen sie keine Nahrung finden, schlafen sie nur sehr viel, um Energie zu sparen. Alle paar Tage stehen sie trotzdem auf.«
»Sind Bären denn nachtaktiv? Ich meine, weil sie jetzt munter sind.«
»Eigentlich nicht, aber in Skigebieten stellen sich viele von ihnen um. Sie versuchen, den Menschen aus dem Weg zu gehen.«
»Unglaublich! Woher wusstest du, dass sie hier sind?«
»Das Resort gehört meiner Tante und meinem Onkel. Ich habe sie neulich besucht, und mein Cousin hat mich hergebracht, um mir die Tiere zu zeigen. Sie mussten diese Piste schließen, wahrscheinlich für die komplette Saison, weil die Höhle der Bären so nah ist.«
Wir blieben auf dem Berggipfel, beobachteten die Bärenfamilie und schossen Fotos, bis Maddie mit den Zähnen klapperte. In der Gondel war es zwar wärmer und trockener als draußen, wegen des offenen Fensters war der Unterschied mittlerweile aber nicht mehr so groß. »Dir ist kalt! Wir sollten uns wieder auf den Rückweg machen.«
Sie nickte. »Okay.« Ihre Nase und ihre Wangen waren rot von der Kälte, und ich schloss das Fenster und schnallte mir wieder meine Schneeschuhe unter.
»Warte. Du gehst noch mal da raus?«
»Wenn wir wieder zurückwollen, muss ich das. Es gibt hier keine Fernsteuerung, mit der ich die Bahn in Gang setzen kann. Außerdem muss ich ja das Licht ausmachen.«
Maddie sah mich mit großen Augen an. »Aber da sind Bären!«
»Die waren auch schon da, als ich eben das Licht eingeschaltet habe.«
»Stimmt. Aber da habe ich noch nichts von ihnen gewusst!«
Ich richtete mich schmunzelnd wieder auf. »Entspann dich. Ich bin gleich zurück.« Ich öffnete die Tür, drehte mich jedoch noch einmal mit toternster Miene zu ihr um. »Falls ich zerfleischt werde – unter dem Sitzpolster ist ein Fach, in dem du eine Pfeife und Notfackeln findest.«
»Soll das ein Scherz sein?«, erwiderte sie mit Panik in der Stimme.
Ich lachte. »Ja. Hier gibt es keine Pfeife und keine Notfackeln. Du wirst vermutlich einfach erfrieren, wenn die Bären dich nicht holen, nachdem sie mich erledigt haben.« Ich sprang aus der Gondel und rannte los, um die Flutlichter auszuschalten.
Bei meiner Rückkehr stand Maddie in der Tür und versperrte mir den Weg. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah nicht gerade erfreut aus. Ich fand ihren Versuch, eine saure Miene zu machen, jedoch ziemlich sexy. Es gibt nichts Heißeres als einen feurigen Rotschopf. Sie war garantiert hinreißend, wenn sie richtig wütend war.
»Nach dem, was du gerade abgezogen hast, sollte ich dich eigentlich nicht reinlassen.«