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Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Film und Fernsehen, Note: 1,0, Philipps-Universität Marburg (Medienwissenschaften), Sprache: Deutsch, Abstract: Carlos Saura zählt seit den 50er Jahren zu den bedeutendsten Repräsentanten des spanischen Films. Seine Filmografie kennzeichnet über Jahrzehnte hinweg eine außergewöhnliche Kontinuität und Beständigkeit3, die die politische Zensur in der Zeit nach dem spanischen Bürgerkrieg überdauert4 und sich bis heute, Carlos Saura ist 73 Jahre alt, fortsetzt. Bis zu seinem wohl größten Welterfolg Carmen von 1983 realisiert der spanische Regisseur 18 Filme. Nach Carmen folgen weitere 17. Die meisten seiner Werke finden über die eigenen Landesgrenzen hinaus breite Beachtung, sind besonders in Cineastenkreisen anerkannt und bewundert und erhielten Auszeichnungen auf den internationalen Filmfestspielen (vor allem in Berlin und Cannes).5 Carlos Saura ist der spanische Regisseur, der mit Luis Buñuel und Pedro Almodóvar den größten Weltruf genießt. Er ist neben diesen eine der kohärentesten Persönlichkeiten, die der spanische Film hervorgebracht hat. Sein Interesse gilt vor allem dem menschlichen Individuum, dessen Innenwelt er in seiner ganzen Dichte filmisch zu vermitteln vermag. Insbesondere kristallisiert sich die Darstellung von Frauenfiguren in Bezug zu deren männlichen Lebenspartnern als ein Thema heraus, das sich als roter Faden durch das Gesamtwerk Sauras hindurchzieht. Bereits in seinem Frühwerk stehen der zwischenmenschliche Austausch und die partnerschaftlichen Verhältnisse im Vordergrund der Filme, auch wenn sich hinter den Beziehungsstudien, in Anbetracht des faschistischen Systems, zu dem Saura in klarer Opposition stand, stets auch politische und sozialkritische Hinweise verbergen.
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Einleitung
Carlos Saura zählt seit den 50er Jahren zu den bedeutendsten Repräsentanten des spanischen Films. Seine Filmografie kennzeichnet über Jahrzehnte hinweg eine außergewöhnliche Kontinuität und Beständigkeit3, die die politische Zensur in der Zeit nach dem spanischen Bürgerkrieg überdauert4und sich bis heute, Carlos Saura ist 73 Jahre alt, fortsetzt. Bis zu seinem wohl größten WelterfolgCarmenvon 1983 realisiert der spanische Regisseur 18 Filme. NachCarmenfolgen weitere 17. Die meisten seiner Werke finden über die eigenen Landesgrenzen hinaus breite Beachtung, sind besonders in Cineastenkreisen anerkannt und bewundert und erhielten Auszeichnungen auf den internationalen Filmfestspielen (vor allem in Berlin und Cannes).5Carlos Saura ist der spanische Regisseur, der mit Luis Buñuel und Pedro Almodóvar den größten Weltruf genießt. Er ist neben diesen eine der kohärentesten Persönlichkeiten, die der spanische Film hervorgebracht hat. Sein Interesse gilt vor allem dem menschlichen Individuum, dessen Innenwelt er in seiner ganzen Dichte filmisch zu vermitteln vermag. Insbesondere kristallisiert sich die Darstellung von Frauenfiguren in Bezug zu deren männlichen Lebenspartnern als ein Thema heraus, das sich als roter Faden durch das Gesamtwerk Sauras hindurchzieht. Bereits in seinem Frühwerk stehen der zwischenmenschliche Austausch und die partnerschaftlichen Verhältnisse im Vordergrund der Filme, auch wenn sich hinter den Beziehungsstudien, in Anbetracht des faschistischen Systems, zu dem Saura in klarer Opposition stand, stets auch politische und sozialkritische Hinweise verbergen. In den 80er Jahren erlebt Saura einen Höhepunkt der internationalen Resonanz auf sein Werk. Die Kritik schenkt insbesondere seinem FilmCarmenhöchste Aufmerksamkeit. Dieser, wie die anderen Filme jener Schaffensphase des Spaniers, beschäftigen sich ebenfalls mit dem Thema Frau und Mann als sich liebende genauso wie sich hassende, als sich anziehende genauso wie sich abstoßende Wesen. Sauras diesbezügliche Reflexionen ziehen sich durch sein Werk bis hin zu den historischen Darstellungen seiner jüngsten Filme.Carmen,dieser viel gerühmte und hitzig diskutierte Film, so wird sich herausstellen, ist der Dreh, - und Angelpunkt der Filmografie Carlos Sauras. Als hervorstechend und bahnbrechend soll der Film im Kontext von Sauras Gesamtwerk zunächst im Rahmen der Filmtrilogie, deren Teil er ist6, entstehungsgeschichtlich
3Carlos Saura drehte in der Zeit von 1959 bis heute alle ein bis zwei Jahre einen Film.
4Unter Franco behauptet sich Saura mit seinen, im Zeichen linksliberaler, intellektueller Opposition stehenden Filme.
5Für seine Musik/Tanz-Filme erhielt Saura insgesamt 5 Preise in Cannes und 2 Oskarnominierungen. Erst kürzlich wurde er von der Europäischen Filmakademie für sein Gesamtwerk ausgezeichnet: Er habe mit seinem künstlerischen, vor allem seinem filmischen Schaffen die Kultur sowohl Spaniens als auch Europas stark beeinflusst. Saura nahm den Preis während der Verleihung des Europäischen Filmpreises am 11. Dezember 2004 in Barcelona entgegen.
6Die Trilogie bilden die FilmeBodas de sangre (Bluthochzeit)von 1981Carmenvon 1983 undEl amor brujo (Liebeszauber)von 1985.
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eingeordnet werden, um ihn dann im dritten Kapitel einer ausführlichen Analyse zu unterziehen. In der Verbindung der Carmen-Version von Carlos Saura mit dessen filmischem Oeuvre soll überprüft werden, ob es der „Carmen-Boom“7der 80er Jahre war, der dem Mythos die Renaissance und Saura seine Stoffidee brachte, oder ob der Regisseur den Carmen-Stoff nicht vielmehr aus einer logischen und konsequenten Entwicklung seines Werks heraus gewissermaßen ergreifen „musste“. Vor diesem Hintergrund wird im ersten Kapitel die Entwicklungslinie des Filmemachers und seines Werks im Kontext des spanischen Filmschaffens und den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu rekonstruieren und zu analysieren sein. Dabei werden Sauras Konzentration auf bestimmte Themenkomplexe herausgearbeitet und seine filmsprachlichen Mittel analysiert. Es werden Sauras Selbstverständnis, seine Sujets und Narrationsprinzipien dargestellt und vor allem auf seine Frauenfiguren hingewiesen, die, wie sich zeigen wird, tatsächlich bereits Teile der zentralen Figur mit dem assoziativen Namen in sich tragen. Insgesamt wird zu zeigen sein, wie alles vorherige Schaffen aufCarmenhinausläuft, und wie alle nachfolgenden Werke von dem profitieren und das weiterführen, was Saura dort verwirklicht hat.
Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bildet der Fokus des dritten Kapitels auf Carlos Sauras Version des Carmen-Stoffes in seiner spezifisch spanischen Darstellung: der Etablierung der Carmen-Geschichte über die Ausdrucksform des Flamencos in einem zeitgenössischen Kontext.8Vor der ausführlichen Einzeluntersuchung von Sauras FilmCarmensoll zunächst in einem zweiten Kapitel die Entstehungsgeschichte des Carmen-Stoffes und dessen Vielfältigkeit der Bearbeitung aufgezeigt werden, wobei besonders auf die Ursprungsquellen, die Novelle Prosper Mérimées und die Geschichte der Oper George Bizets eingegangen wird, um am Ende der Arbeit festzustellen, an welchen Stellen seines Films sich Saura auf die Vorlagen von Mérimée und an welchen auf die von Bizet bezieht, sowie durch welche ganz neuen Merkmale sich seine Version auszeichnet. Dabei wird SaurasCarmenals Teil der Bewegung angesehen, durch die die Frauenfigur zu dem Mythos geworden ist, den sie heute verkörpert.
Da der Carmen-Stoff eine Verselbstständigung erfuhr, ging oftmals die Funktion einer kritischen Analyse verloren, d ie mit dem Blick auf Sauras Arbeit wieder belebt werden soll. Die zahlreichen Ausprägungen und Facetten der Geschlechterpolarität und die konkreten Frauen-und Männerrollen des Stoffes lassen Platz für vielfältige Projektionen.9Diese in ihrer Vielzahl und ihren tendenziellen Ausprägungen aufzudecken und darzustellen, wird in dieser Arbeit angestrebt.
7Außer der Verfilmung Sauras entstehen 1983 auch die von Peter Brook, Francesco Rosi und Jean-Luc Godard.
8Die Vermittlung der Inhalte durch die Darstellungsform des Flamenco-Tanzes spielt eine bedeutende Rolle bezüglich der Transformation und Aktualisierung des Carmen-Stoffes im Rahmen eines sich modernisierenden, zeitgenössischen Spaniens.
9Nebhuth: Interpretation von Opern. 1990. S.17f.
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Sehr bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang der spanische Stierkampf, der mit dem Flamenco mehr als den Ursprung in der Romantik des 19.Jh. gemeinsam hat, und der zudem die Geschlechterproblematik symbolhaft in Szene setzt.10
Warum ist Sauras Carmenverfilmung eine Aktualisierung der Thematik rund um den Mythos? Was ist das für ein Spanienbild, welches dem Betrachter vermittelt wird? Warum muss Carmen am Ende sterben? Stirbt sie überhaupt? Sauras Werk wirft allein deshalb schon viele Fragen auf, weil der Regisseur die Geschichte nicht linear erzählt, sondern sie einflicht in eine übergeordnete Erzählebene und damit den Filmbetrachter ununterbrochen dazu anregt, zu reflektieren und die Vorgänge zu hinterfragen. In der Analyse des Films soll sowohl auf das figurative und inhaltsspezifische als auch auf das formale Konzept mit seinen erzähltechnischen Besonderheiten eingegangen werden. Außer der Analyse der Handlungsdarbietung sollen Methode und stilistische Mittel der komplexen und mehrdimensionalen Erzählweise und die dramaturgische Konzeption Sauras unter Berücksichtigung der Zuschauerwirkung herausgearbeitet werden.
Im Schlusswort und Fazit werden die Beobachtungen und Ergebnisse, die sich aus den verschiedenen zu untersuchenden Aspekten ergeben, zusammenfassend dargestellt. Die ausgewählte Literatur bezieht sich vorwiegend auf deutsch-, spanisch-, und englischsprachige Texte. Die spanischsprachigen Zitate, die Eingang in die Arbeit finden, sind von mir ins Deutsche übersetzt worden, wobei das Original in der jeweiligen Fußnote nachgelesen werden kann. Das zu Grunde liegende Filmmaterial ist im Anhang einzusehen. Außer den Filmen Carlos Sauras wurden weitere Filme von anderen Regisseuren hinzugezogen. Hierbei handelt es sich um die wichtigsten Carmen-Verfilmungen sowie Filme, die das Thema des Flamencos oder des Stierkampfes behandeln. (Auch die Filme der Regisseure Luis Buñuel und Pedro Almodóvar sind von außerordentlicher Bedeutung und stets im Blick zu behalten.) Die in den Text eingefügten Screenshots sind direkt den Filmen entnommen.11Nach dem Prinzip der deduktiv-analytischen Methode versteht sich die vorliegende Arbeit als Versuch, sich der Komplexität des Carmen-Stoffes zu nähern, zum einen über die filmische Entwicklung Carlos Sauras hin zu seiner persönlichen Carmen-Version und deren Analyse, sowie zum anderen über das Nachvollziehen der Entstehung des Mythos innerhalb der internationalen Kulturgeschichte und dessen künstlerischer Bearbeitung.
10Dies wird filmisch eindrucksvoll von Pedro Almodóvar umgesetzt, worauf noch zurückzukommen wäre.
11Abbildungen Sauras sind ebenfalls aus den Special features und Making of-Teilen der DVDs entnommen.
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Carlos Saura Atarés, geboren am 4. Januar 1932 in Huesca als Sohn politisch liberaler Eltern, kommt über die Fotografie, der er sich im Anschluss an sein Abitur (1949) leidenschaftlich widmet, zum Film, der neben vereinzelten Opern- und Theaterinszenierungen bis heute sein künstlerischer Lebensinhalt ist.12
„Den Einstieg in das Kino [...] in die Welt des Bildes habe ich über die Fotografie realisiert. Ich bin immer ein Mensch gewesen, der die Welt des Bildes kultiviert hat, die mich immer faszinierte und weiterhin fasziniert.“13
Die Kindheit des als zweites von vier Kindern geborenen Aragonesen, ist geprägt von den Schrecken des spanischen Bürgerkriegs14, denn auch wenn Carlos Saura gerade erst vier Jahre alt ist, als der Krieg ausbricht, sind es doch drei lange Jahre, in denen in Spanien der Ausnahmezustand herrscht. Nach dem Sieg des faschistischen Diktators Francisco Franco 1939 lebt Saura in seiner Geburtsstadt Huesca bei profrankistisch eingestellten Verwandten seiner Mutter, wo er vier Jahre lang einer konservativen, puritanischen Erziehung seitens Mutter, Tanten und Großmutter ausgesetzt ist, bevor er nach Madrid zurückkehrt.15Sauras verfilmte Familiengeschichten geben einen Einruck davon, was jene Zeit für ihn bedeutet haben muss.16Seine Kindheit, von starken, dominanten Frauen geprägt, lässt auf eine frühe Sensibilisierung für die ambivalente Rolle der Frau in Gesellschaft und Familie schließen. Explizit autobiografisch werden die persönlichen Erfahrungen sowie das kollektive Trauma des Bürgerkriegs nie von ihm bearbeitet.17Die Erinnerungen jedoch tauchen in seinen Filmen immer wieder auf.18
12Hönig: Saura. 1987. S.158f.
13Gompper: Carlos Saura, die „totale Realität“. 1994. S.24. (“La entrada en el cine (...) al mundo de la imagen, yo la realicé a través de la fotografía. Yo he sido una persona que ha cultivado el mundo de la image que siempre me ha fascinado y me sigue fascinando.”) Und Eichenlaub: Saura. 1984. S.169: “(…) das erste Material, das mir in den Sinn kommt, [ist] immer fotografischer Art (…).”
14Nachdem Spanien von 1931 an eine Demokratische Republik war, organisierte eine Gruppe von Generälen um Franco schließlich den erwarteten Militärputsch, der 1936 den Bürgerkrieg auslöste. Als dessen Sieger ging 1939 das faschistische Regime unter General Franco hervor. Von den politischen Diskontinuitäten, die auch nach Francos Tod 1975 noch fortdauerten, wurde auch das spanische Kino bis Ende der 70er Jahre geprägt. (Vgl. Gubern: Cine español. 2000. )
15Saura erklärt, die Zeit seiner Kindheit sei keine „idyllisch glückliche gewesen, sondern eine, die ihn Elend, Trauer und Hass lehrte“. (Müller: Saura. 1989. S.67.)
16Insbesondere inLa prima Angélica (Die Cousine Angelica),wohl Sauras bestem Film der 70er Jahre, spiegelt er die Zeit des Bürgerkriegs über die Kindheit des Helden Luis. (Hönig: Saura. 1987. S.178) „Angelica is a triumph because Saura finally brought together all of his youthful memories into a surging, artful work which reveals as much about himself as his preoccupations with his memories of the Spanish Civil War. (…) Cousin Angelica is his most controlled, unified, fluid and best conceived film work of the Seventies, in which autobiography is merged with filmic art.” (Schwartz: Spanish film directors. 1986. S.182.)
17Müller: Saura. 1989. S.77. Und Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.IX.
18Mit¡Ay, Carmela!(Ay,Carmela - Lied der Freiheit)begibt sich Saura 1990 noch einmal in die Vergangenheit Spaniens. Der Film spielt im spanischen Bürgerkrieg und erzählt am Beispiel der tragisch-komischen Geschichte einer durchs Land ziehenden Varieté-Truppe von den Schrecken und Qualen dieser Zeit, gerade für Künstler. (Sauras einziger Roman, ¡Esa luz! von 2000, begibt sich mit seiner Fabel ebenfalls in die Zeit des spanischen
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Insgesamt sind Sauras Filme alle persönlich geprägt: „Ich habe mich selbst über meine eigenen Filme kennen gelernt.“19“I cant’t separate cinema from my life. The two things are interrelated and enrich or impoverish each other.”20„Mein Werk ist ein Teil meines Lebens.“21
Das Kino ist schon immer Sauras Leidenschaft.22Doch zunächst ist es die Fotografie, der er sich aktiv widmet, und die er professionell einsetzt. Das fotografische Bild wird bei all seinen filmischen Produktionen immer wieder eine Rolle spielen, sei es als Inspirationsquelle23, als bloßes Dokumentationswerkzeug seiner Arbeit beim Dreh oder als Mittel der Darstellung im Film selbst.24
„Ich war immer vom Bild begeistert und bin es heute noch. Das Bild bedeutete mir mehr als das Wort.“ So äußert sich der Regisseur in einem Interview bei Eichenlaub25. „I`m an investigator of images.”, so bestätigt er bei Willem, wo es auch heißt: „Saura is known as a visual filmmaker.“26
Bereits mit 18 Jahren nimmt Saura als anerkannter Fotograf an verschiedenen Ausstellungen teil und dokumentiert die Musik- und Tanzfestivals von Granada und Santander.27Durch seine Spezialisierung auf die Festivals entwickelt Saura eine Vorliebe und ein tiefer gehendes Interesse für die Welt hinter der Bühne, was dazu führt, dass er seine Fotografien nicht etwa während der Aufführungen, sondern während der Proben macht.28
“(…) what I like is the mounting of a theatrical work, the mounting of a film: the rehearsals, the preparations, the whole structuring process, that is what interests me the most. The performance itself is less interesting.”29
Bürgerkrieges zurück. Das Leid von Sauras Roman-Familie steht stellvertretend für unzählige ähnliche Schicksale aus jener Zeit und spiegelt damit ein Stück spanische Geschichte wider.)
19Vidal: Retrato de Carlos Saura. 1994. S.3.
20Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.97.
21Saura: De Saura. 1993. S. 94. Und Vidal: El cine de Carlos Saura. 1988. S.7.
22Ebenda. S.111.
23Vidal: Retrato de Carlos Saura. 1994. S.60. (Oft wird Saura allein durch eine Fotografie, durch ein einzelnes Bild zu einem ganzen Film inspiriert.)
24In zahlreichen von Sauras Filmen trifft man auf das fotografische Bild im Filmbild: Fotos und Zeitschriftenausschnitte inPeppermint frappé;Gruppenfotografien zu Anfang, Mitte und Ende vonBodas de Sangre,in Form von Diaprojektionen inTangoetc.
25Eichenlaub: Saura. 1984. S.65.
26Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.99 und S.XIII.
27Saura: Carmen. 1985. S.50.
28Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.69. (Hinter der Bühne werden die Anstrengungen der Tänzer deutlich, die ihre Unnahbarkeit verlieren, so dass man den Menschen aus Fleisch und Blut hinter dem Körper des perfekten Virtuosen erkennen kann.)
29Ebenda. S.161.
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Auf diese, für den Zuschauer sonst unsichtbare Welt des making of, kommt Saura in seinen späteren Filmen immer wieder zurück. Insgesamt wird das künstlerische Schaffen des Spaniers getragen von der Leidenschaft für Details. Hierbei verbindet er das persönliche Einzelschicksal und die individuell- menschliche Ebene stets mit den politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen seiner Zeit.
Nach einem abgebrochenen dreijährigen Ingenieurstudium schreibt sich Saura 1953 in das Fach Regie an der 1947 nach italienischem, russischem und französischem Vorbild gegründeten Filmhochschule in Madrid ein, dem Instituto de Investigaciones y Experiencias Cinematográficas (IIEC).30Im IIEC lernt Saura die Werke von Eisenstein und Pudowkin, die expressionistischen deutschen Filme und den italienischen Neorealismus kennen31und beginnt seine ersten kurzen Filme zu drehen.32Saura spürt, dass der Film seine Berufung ist, und „dass ich Filmregisseur sein wollte.“33Das Studium stellt für Saura auch einen geistigen Treffpunkt mit Gleichgesinnten dar: „Zu jenem Zeitpunkt befanden wir uns am Anfang dessen, was später die neue spanische Filmkunst, el Nuevo Cine Español (NCE), genannt werden sollte.“34Die jungen Filmemacher
„(...) strebten eine Erneuerung des spanischen Kinos im Sinne eines authentischen nationalen Films an, der im Gegensatz zu den heroisch-patriotischen oder historisch-imperialistischen und seichten Komödien stand, die alle politische und moralische Grundsätze im Sinne des Regimes vertraten.“35
25-jährig schließt Saura sein Studium ab, verbleibt aber noch weitere sechs Jahre, bis 1964, als Dozent für Drehbuch und Regie am IIEC, bis er sich im Anschluss vollständig der Produktion von Filmen zuwendet.36Seinen endgültigen Durchbruch als junger Filmemacher der neuen, neorealistisch beeinflussten europäischen Filmkunst37bringt Saura 1965 der FilmLa Caza(die
30Hönig: Saura. 1987. S.159.
31Müller: Saura. 1989. S.68.
32Flamencovon 1955 undEl pequeño rio Manzanares(Derkleine Fluss Manzanares)von 1955.La tarde del domingo(Sonntagnachmittag) von 1956/57 undCuencavon 1958.
33Saura zitiert in: Hönig: Saura. 1987. S.159.
34Borau: Diccionario del Cine español. 1998. S.634f: Die Geburt der theoretischen Strömung des NCE zu Beginn der 60er Jahre sieht die Notwendigkeit eine kinematographische Alternative zu schaffen, die mit der festgefahrenen offiziellen Produktion brechen, und den Blick auf die Situation des Landes wenden soll, um den Zuschauern die gesellschaftliche Realität zu verdeutlichen. (Das NCE kann jedoch nicht als geschlossene Schule bezeichnet werden und war, im Gegensatz zu anderen jungen europäischen Filmströmungen wie der Nouvelle Vague, letztlich nicht in der Lage, entscheidende Schritte hin zu einer neuen Ästhetik zu vollziehen.) Carlos Saura gilt als Teil der neuen, nonkonformistischen Generation junger Regisseure und prominentester Vertreter des NCE.
35Gompper: Carlos Saura, die „totale Realität“. 1994. S.24.
36In der Süddeutschen Zeitung vom 05.02.1972 heißt es im Artikel „Schlechte Zeiten für Spaniens Filmemacher“, dass Saura wegen seiner, in den Augen des Regimes, zweifelhaften politischen Ansichten von der Filmhochschule entlassen wurde. (Eine Annahme, die ausschließlich in dieser einen Quelle gefunden wurde.)
37Borau: Diccionario del Cine.1998. S.634f: Die realistische Filmästhetik des NCE zeichnet in erster Linie die frühen Arbeiten Sauras aus. Deren dokumentarisch-realistische Filmästhetik ist auf Einflüsse des italienischen Neorealismus zurückzuführen, der den jungen Saura bereits während des Studiums prägte.
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Jagd)38, eine filmische Allegorie der Männlichkeitsrituale und der Unmoral des spanischen Bürgertums unter dem faschistischen Regime.La cazaist das wichtigste Werk der spanischen Filmkunst jener Jahre.39Statt offener filmischer Kommentare zur Politik legt Saura den Bewusstseinszustand des gehobenen spanischen Bürgertums mit symbolischen Mitteln bloß.40Was von da ab der Grundton in Sauras Filmen sein wird, ist schon hier vorhanden: eine Handlung, die sich spaltet und auf zweifacher, symbolischer Ebene weiterentwickelt.41MitLa cazabeginnt Saura mit der Welt der Symbole, Metaphern und Allegorien zu experimentieren. Der Film ist in seiner Darstellung der ritualisierten Gewalt eine eindrückliche Parabel auf den Bürgerkrieg.42Schwartz kommentiert: „Saura worked very well within the constraints of Franco`s censorship policies (...)“.43
Unter dem faschistischen Regime Francos unterliegt die gesamte spanische Filmindustrie der Kontrolle und dem Zensurapparat der Regierung.44Die meisten Regisseure, die dem Regime kritisch gegenüberstehen, verlassen entweder das Land oder ihren Beruf.45Carlos Saura bleibt. Doch auch er bekommt schnell zu spüren46, was es bedeutet, unter Zensurbedingungen Filme zu machen.47Auch im Zuge der Präsentation vonLa cazabekommt er nicht nur Beifall, sondern auch harte Reaktionen zu spüren, anonyme, persönliche Angriffe und Bedrohungen bleiben nicht aus.48Bis zu seinem nächstem Film vergehen zwei Jahre, da alle Projekte von der Zensur des Regimes abgelehnt werden. Und auch danach muss Saura für jeden einzelnen Film kämpfen.49. Um seine Haltung und Einstellung den Verhältnissen gegenüber weder verstecken noch verraten zu müssen, versucht er die Zensoren auszutricksen, entwickelt eine verschlüsselte Filmsprache und behandelt brisante Themen wie die erstarrte geldscheffelnde Bourgeoisie, die scheinheilige
38Walder: Sauras Kino der Erinnerungen.1977. S.26f: Mit seinem dritten SpielfilmLa cazagelingt Saura der internationale Durchbruch.La cazabegründet sein Renommee im Ausland und damit auch sein Prestige in Spanien. Es ist der erste einer Reihe von Filmen, die Saura in Zusammenarbeit mit dem als antikonformistisch geltenden Produzenten Elías Querejeta macht, der Saura stark unterstützt und fördert. Saura wird auf der Berlinale 1965 mitLa cazafür die beste Regie mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet.
39Haubrich: Francos Erben. 1976. S.549f.
40Zimmer: Der Tod und das Mädchen. Die Zeit, 03.12.1976. S.41.
41Miret Jorba: Carlos Saura. 1976. S.7.
42Gregor: Geschichte des Films ab 1960. 1978. S.247.
43Schwartz: Spanish film directors. 1986. S.182.
44Saura: Por una mayor libertad de la cámara. 1966. S.32.
45Gubern: Cine español. 2000. S.189ff. (Zu den Wegen die Zensur zu umgehen zählte die Flucht ins Exil, die innere Emigration, die Anpassung oder auch die offene Kritik, die in vielen Fällen zu lebenslanger Haft führte.)
46BereitsLos golfos(DieStraßenjungen)von 1959 wird vier mal hintereinander von der Zensur verboten.
47Müller: Saura. 1989. S.68.
48Was es für einen Künstler heißt, sich angesichts der gesellschafts-politischen Bedingungen zurückzuhalten und gleichzeitig die eigene Meinung nicht zu verleugnen und weiter zu arbeiten, das verarbeitet Saura in¡Ay, Carmela!.
49Miret Jorba: Carlos Saura. 1976. S.3. (Dabei ist es eine ausgefuchste Taktik des Franco-Regimes, genau die Filme, denen in Spanien in Realisation und Distribution härteste Hindernisse in den Weg gestellt werden, als aller erste zu den internationalen Wettbewerben zu schicken, um im Ausland ein freiheitlich-liberales Spanienbild vorzuführen.)
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katholische Kirche mit ihrer prüden Sexualmoral sowie die Brutalität des Militärs.Ana y los lobos(Anaund die Wölfe)von 1972 undLa prima Angelica(DieCousine Angelika)von 1973 sind wohl die beiden Filme, in denen Saura die direkteste und offenste Sprache benutzt, um der frankistischen Gesellschaft entgegenzutreten.50Im Fall vonLa prima Angélicareagiert die Zensur heftig auf die Anspielungen Sauras; faschistische Kommandos versuchen noch im Moment der Uraufführung mit allen denkbaren Mitteln die Projektion zu verhindern.51In Madrid verboten, wird der Film 1974 sehr erfolgreich in Cannes gezeigt.52Aus dem Zwang und der Not, unter der frankistischen Diktatur mit offenen politischen und gesellschaftskritischen Kommentaren vorsichtig zu sein, findet Saura zu einer vielschichtigen filmischen Ausdrucksform, die seine große Leidenschaft wird. Es entspricht seinem künstlerischen Empfinden, eine intellektuell komplexe Welt auf mehreren Ebenen darzustellen. Diese Art der filmischen Äußerung scheint ihm als derart reich, dass er bis in die Gegenwart hinein keine ganz linearen Geschichten mehr erzählt.
„Es gibt viele, die denken, dass meine Art zu erzählen ein Produkt der frankistischen Zensur sei. Davon bin ich nicht ganz überzeugt. Die Unmöglichkeit, die Themen, die mich beschäftigen, direkt anzusprechen, verpflichtet mich, eine indirekte narrative Form zu finden, einen Umweg zu gehen, Metaphern zu verwenden. Aber tatsächlich ist es genau diese Erzählform, die mich immer interessiert hat und die am besten zu mir passt.“53
Saura kommentiert, dass er von Film zu Film weniger an einer Reflexion über eine „objektive Realität“ interessiert ist. Er bevorzugt das Intime, das Persönliche und Individuelle.54„In „La caza“ war es mein Bestreben, das Feld des “Realismus” auszuweiten. Es ist vielleicht sinnvoll klarzustellen, dass damals „Realismus“ ein Synonym war für die Behandlung sozialer und politischer Probleme der Zeit. Ich aber war davon überzeugt, dass die Wirklichkeit sehr viel komplexer ist, und, vielleicht weil mich die Individuen mehr interessierten als die Gesellschaft, dachte ich, dass die Träume, die Halluzinationen und die Bilder der Gedanken genauso viel Kraft und vollkommen gleiche Gewichtigkeit haben wie konkrete Tatsachen.“55
Die Wirklichkeit besteht für Saura nicht nur aus Fakten, sondern auch aus Erinnerungen, Träumen und Visionen, die auf das Leben zurückwirken. “Fantasy presented as fact and fact as fiction“.56Saura findet auf diese Weise nach und nach zu einem „erweiterten Realitätsbegriff“,
50Hönig: Saura. 1987. S.177.
51Ebenda. S.179.
52„(...) die Spanier strömten zuhauf in die Kinos, um sich den Bürgerkrieg aus der Sicht der Unterlegenen anzusehen.“ (Boom: Kunst und Politik. FAZ, 24.03.1980.)
53Vidal: Retrato de Carlos Saura. 1994. S.76. („Hay muchos que piensan que mi forma de narrar es producto de la censura franquista. No estoy tan seguro de ello. La imposibilidad de tratar directamente los temas que me preocupaban me obligaba a buscar una forma narrativa indirecta, dar una vuelta, utilizat metáforas, pero resulta que es ésa la forma de narrar que siempre me ha interesado y la que corresponde mejor a mi personalidad.”)
54Hönig: Saura. 1987. S.163.
55Vidal: El cine de Carlos Saura. 1988. S.74. (“En “La caza” traté de ampliar el campo del “realismo”. Quizá convenga aclarar aqui que enonces “realismo” era sinomino del tratamiento de los problemas sociales y politicos del momento. Yo estaba convencido de que la realidad era más compleja y quiza porque me interesaban más los individuos que la sociedad, creía que los sueños, las alucinaciones y las imagenes de los pensamientos tenian tanta fuerza e identica entidad que hechos mas concretos.”)
56Müller: Saura. 1989. S.77. Und Schwartz: Spanish film directors. 1986. S.177.
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der die reale, politische Welt nicht etwa ausschließt, doch aber das Individuum in den Vordergrund rückt.
„(…) Saura is fascinated by the inner lives of his characters and by the complex processes that make them what they are. But these processes are linked to, and exacerbated by, the society in which the characters live and are therefore a comment on Francoism itself.”57
„In einem bestimmten Moment in meinem Leben - tatsächlich wäre ich nicht in der Lage zu sagen wann genau - entschied ich, dass kein Unterschied zwischen der Realität und der Imagination existiert.“58