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Carola Pütz – 'Kaltes Paradies' ist ein packender Thriller, der unter die Haut geht. Carola Pütz und Reto Winterhalter verbringen eine gemeinsame Zeit in Carolas Haus auf Mallorca. Sie unterstützt ihren Partner bei den Recherchen zu seinem Artikel, den er über die Situation der Obdachlosen auf der Insel schreibt. Parallel zu diesen Ereignissen passiert auf der Insel einiges: Eine junge Prostituierte stirbt in El Arenal. Jana Hardenberg, eine junge deutsche Touristin, wird ermordet aufgefunden. Nelo Cruz, ein junger Beamter der Policía Local, belauscht drei Männer, von denen einer mit einem Mord prahlt. Einer der Obdachlosen, die Reto interviewt hat, verschwindet spurlos. In den Bergen finden Wanderer eine skelettierte Leiche. Schon geht auf der Insel das Gerücht von einem Serienmörder um. Zwei unerfahrene Ermittler der Mordkommission der Guardia Civil finden sich plötzlich in einem Strudel unvorhersehbarer Ereignisse wieder. Auch Carola Pütz trifft eine schicksalhafte Entscheidung und macht einen Mörder auf sich aufmerksam. 'Kaltes Paradies' ist der Anfang einer Trilogie, die auf der Insel Mallorca spielt.
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Seitenzahl: 575
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Michael Wagner
Carola Pütz zweiter Fall - Kaltes Paradies
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort
Montag, 30.09.2013
Dienstag, 01.10.2013
Mittwoch, 2.10.2013
Donnerstag, 3.10.2013
Freitag, 4.10.2013
Samstag, 5.10.13
Sonntag, 6.10.2013
Impressum neobooks
Dieses Buch ist all denen gewidmet, die ihre Träume leben.
„Jeder Mensch ist dazu bestimmt, ein Erfolg zu sein, und die Welt ist dazu bestimmt, diesen Erfolg zu ermöglichen.“
UNESCO Bericht 1972
Irgendwo zwischen Hamburg und Mallorca
Jana Hardenberg erwachte, holte tief Luft. Sie sah nach oben auf das Info-Display, das die augenblickliche Position des Flugzeuges anzeigte. Das große rote Flugzeug-Symbol überflog gerade die französische Mittelmeerküste. Sie wusste nicht, wie lange sie schon gedöst hatte, fand es auch nicht wichtig. Viel wichtiger war, dass es nicht mehr weit bis zum Zielflughafen Palma de Mallorca war. Schläfrig sah sie aus dem Kabinenfenster und erkannte nur ein metallisches Blau. Sie ließ die Augen wieder zufallen. Bald würde der Flugkapitän den Hinweis zum Anlegen der Sicherheitsgurte geben. Bis dahin konnte sie noch ein wenig schlafen. Sie würde all ihre Kraft benötigen. Die kommenden Tage stellten eine Herausforderung dar. Eigentlich mutete sie sich zu viel zu. Das wusste sie. Genau das wollte sie austesten, wollte ihre Grenzen ausloten. Jana Hardenberg war kein geübter Trekking-Experte, sie war ohne Zweifel eine durchtrainierte Sportlerin. Doch an fünf Tagen fünf lange Touren durch den mallorquinischen Norden zu machen und einige sehr anspruchsvolle Wandertouren in der Serra de Tramuntana zu absolvieren, war selbst für geübte Mallorca-Wanderer keine leichte Sache. Doch, jetzt hieß es, Zähne zu zeigen. Sie hatte es sich vorgenommen, also gab es kein Kneifen.
Cala Lombards
Reto Winterhalter legte das Handy vor sich auf den Tisch und blies die Luft aus. Carola Pütz streckte die Arme aus, spitzte die Lippen und sah ihn erwartungsvoll an. „Und?“
„Mmh, er will sich morgen mit mir treffen“, sagte er, nachdem er ihre Spannung noch ein wenig ausgekostet hatte.
„Na, hervorragend!“, rief Carola und klatschte leicht in die Hände. Dann richtete sie ihren Blick auf das Meer vor der Cala Llombards. Die kleine Dachterrasse auf ihrem Ferienhaus war der schönste Ort der Welt. Jedenfalls in diesem Moment. Und nicht nur jetzt. Wenn sie und Reto dort abends mit einem Glas Rotwein auf den Sonnenuntergang warteten, schien die restliche Welt nicht mehr zu existieren. Mallorca tat ihr gut. Ihre ‚Zählmacke‘, wie sie es beinahe zärtlich nannte, hielt sich in Grenzen. Seitdem sie unter der Arithmomanie litt, hatte sie richtige Schübe gehabt, wo sie am liebsten nur daheim in den eigenen vier Wänden geblieben wäre. Doch hier auf der Insel konnte sie alle Reize um sich herum dosieren.
Das Einzige, was momentan störte, war der Lärm, den Luca, der Bauarbeiter unten im Garten machte. Der liebenswürdige Spanier hatte noch genug Arbeit, denn er beherrschte ein fast ausgestorbenes Handwerk: Er konnte Trockenmauern aufschichten. Das Geräusch der großen und kleinen Steine drang an ihr Ohr. Er legte sich jeweils einige Steine parat, die er als nächstes verbauen wollte. Dabei suchte er diese nach Größe, Form und Oberflächenbeschaffenheit aus. Schließlich musste die Mauer ohne Mörtel halten. Bei seiner Arbeit wurde er die ganze Zeit über von Marie bewacht, die dann und wann ihren Kopf hob und schläfrig zu ihm hinüberblinzelte. Wenn sie genug gesehen hatte, schmatzte sie genüsslich und ihre Augen fielen wieder zu.
Die Staffordshire-Terrier-Mischlingshündin hatte sich trefflich eingelebt, manchmal machten ihr die Temperaturen zu schaffen, dann verkroch sie sich in die kühlen Räume im Norden des Hauses. Es hatte Carola einige Mühe gekostet, für Marie die passenden Papiere zu besorgen. Offiziell war sie jetzt ein Labrador-Podenco-Mischling. Als reinrassiger Staffordshire-Terrier wäre es schwer gewesen, sie auf die spanische Insel zu holen. Doch alles hatte sich zum Guten gewendet. Carolas Nachbarn hatten sich ebenfalls an die junge verspielte Hündin gewöhnt, liebten ihr sanftes Wesen und die feuchten Schlabber-Attacken auf die Ohren all derjenigen, die Marie kraulten.
Reto stand auf, streckte sich und trat an die gemauerte Brüstung heran. „Wenn ich mit einem von ihnen gesprochen habe, ist das vielleicht der Schlüssel“, sagte er.
„Hoffen wir es“, sagte Carola und setzte sich neben ihn auf die Brüstung.
Es war leichter, einen Schweizer Bankier zu interviewen als einen der gestrandeten deutschen Auswanderer und Aussteiger. Viele kamen in der Hoffnung, begleitet von der Sonne der Urlaubsinsel einen Neuanfang zu schaffen. Etliche schafften es nicht, lebten jetzt auf der Straße. Einer von ihnen, der Deutsche Karl Uwe K., war im Mai des Jahres unter sehr dramatischen Umständen ums Leben gekommen. Als Reto davon erfuhr, kam er auf die Idee zu diesem Artikel. Wollte über die Schattenseiten der Trauminsel und der Tourismusindustrie zu berichten. Die wirtschaftliche Situation Spaniens, die sich auch auf der Insel auswirkt, ließ die Zahl der Wohnungslosen rapide ansteigen. Seit Anfang 2013 waren schon 10 Deutsche auf der Insel gestorben und in einem Armenbegräbnis beigesetzt worden. Auch darüber wollte er schreiben, die Menschen reagierten befangen und abweisend.
Doch schließlich hatte Reto mit einem Trick Erfolg gehabt. Einen der Männer zog es morgens immer auf den Platz vor der Kirche in Sóller. Gegen ein üppiges Trinkgeld hatte sich eine Kellnerin aus einem der Cafés dort bereiterklärt, den Mann mit einem Gratis-Kaffee anzulocken. Sie hatte dann, dem Auftrag gemäß, Reto sofort kontaktiert und den Mann ans Telefon geholt. Mit diesem Deutschen hatte er morgen ein Treffen vereinbart. Ihm war dies auch nur gelungen, weil er Schweizer war. Ein Interview in einer deutschen Zeitung hätte der Mann strikt abgelehnt. Zu groß war die Scham. Zu groß die Angst, in der alten Heimat erkannt zu werden. Durch ihn versprach sich Reto ebenfalls etwas über das Leben von Karl Uwe K. und seinen Hund ‚Señor Roberto‘ zu erfahren. Natürlich interessierte ihn auch die Situation der anderen Gestrandeten auf der Insel.
Marie kam mit heraushängender Zunge die Treppe hinauf, ließ sich auf eine der vielen Hundedecken fallen und streckte alle Viere von sich. ‚Kraul mich‘, forderten ihre braunen Augen. Carola kam der Aufforderung ihres Hundes sofort und gerne nach und kraulte Maries Bauch.
Carola empfand tiefes Mitleid. Obwohl sie durch und durch ein Kopfmensch war, konnte sie verstehen, dass jemand, um seine Träume zu verwirklichen, schon mal ein Wagnis einging. Viele Dinge auf der Welt wären nicht geschehen, wenn einer nicht ein wenig zu weit gegangen wäre, mehr getan hätte als notwendig oder sich gegen bestehendes Elend gewehrt hätte. Es hätte keinen Martin Luther King gegeben, keinen Gandhi. Manchmal musste man im Leben etwas wagen, um zu gewinnen. Auch sie hatte einen Neuanfang gewagt. Zwangsweise. Im Moment war sie so etwas wie die Privatsekretärin von Reto Winterhalter, bezahlt von seiner Redaktion. Von der gefeierten plastischen Forensikerin, die ein Buch nach dem anderen veröffentlichte, und von einem Vortrag zum nächsten hechtete, war zurzeit nicht viel übrig, sie jetzt einfach nur eine Tippse. Aber nicht weniger glücklich. Ihr Herz hatte sie eingebremst, ihr die Grenzen aufgezeigt. Manchmal kam alles so, wie es sein sollte. Manche ähnliche Hoffnungen waren auf der Lieblingsinsel der Deutschen schon zerplatzt. Dort zu leben und zu arbeiten, war für viele immer noch ein Traum. Doch die Insel hatte auch ihre Schattenseiten. Zum jetzigen Zeitpunkt kannte sie deren Vielfalt noch nicht. Sie sah in Retos nachdenkliches Gesicht und fragte ihn leise: „Darf ich dich morgen begleiten?“
Er stieß sich von der Brüstung ab und ging neben ihr in die Hocke, streichelte Maries Kopf. Der Hund genoss die doppelte Aufmerksamkeit und gab ein wohliges Brummen von sich.
„Ich weiß nicht, wie er darauf reagiert“, sagte Reto zweifelnd.
„Ich könnte mitkommen und mich in einem anderen Café aufhalten. Was denkst du?“
Seine Worte waren voller Gefühl, als er sagte: „Du hast mal wieder die besten Ideen.“
Mit einem feinen Lächeln quittierte sie das Lob ihres Partners.
*
Sóller
Manuel, genannt ‚Nelo‘ Cruz, schlenderte mit weit ausladenden Armbewegungen durch das kleine Präsidium von Sóller. Das tat er immer dann, wenn er eigentlich etwas tun wollte, es aber nicht durfte. Wie so oft krankte es an dem Kompetenzgerangel inner- oder unterhalb der spanischen Polizeiorganisationen. Nelo musste sich abreagieren. Er war Beamter der Policía Local, die sich in Spanien nur um die Belange der einfachen Polizeiarbeit kümmerten. Doch hier ging es um ein Delikt, dass der Policía National unterstand: Drogenhandel.
Nachdem es vielen Händlern im Süden der Insel zu heiß geworden war, zog es sie in den bisher von den Razzien verschont gebliebenen Norden der Insel. Bisher waren hier keine derartigen Delikte aufgefallen. Bis jetzt. Gestern hatte er es - eher privat und zufällig - miterlebt, wie sich abends ein paar zwielichtige Gestalten auf der Placa Sa Constitució getroffen hatten. Quasi direkt vor der Polizeistation im Rathaus. Es waren zwei Frauen und drei Männer gewesen, wobei die Frauen bei den scheinbar anstehenden Verhandlungen nichts zu sagen hatten. Sie standen an dem Brunnen, direkt vor der Kirche Sant Bartomeu. Cruz hatte den Eindruck, es seien Nutten. Billig aufgetakelt und Kaugummi kauend hatten sie dort gelangweilt gestanden. So lange, bis die Männer ihre teilweise hitzige Diskussion beendet hatten.
Heute Morgen hatte er sich in das Netzwerk der Polizei eingeloggt und dort sehr schnell die beiden Männer gefunden. Es handelte sich bei beiden um bekannte Drogenhändler aus Palma und S’Arenal. Er hatte den zuständigen Beamten eine Mail geschrieben. Die einzige Reaktion kam in Form eines einzigen Wortes: „Heraushalten!“
Beim letzten Mal, als er sich über einen solchen Hinweis hinweggesetzt hatte, war Folgendes passiert: Sein Chef hatte ihm eine Abmahnung erteilt.
„Was ist los, Nelo? Du tigerst hier herum als wüsstest du nicht, wohin du dein Ei legen sollst!“, fragte ihn sein Kollege Tonio Nadal. Er stützte sein Doppelkinn auf seiner Hand ab und betrachte neugierig seinen Kollegen. Cruz sah ihn an und traf blitzschnell die Entscheidung, ihm seine Gedanken zu verschweigen. Stattdessen schüttelte er nur den Kopf. Er wollte ihm nicht erzählen, was ihm Kopfzerbrechen bereitete, sonst hätte er sich nur wieder eine Standpauke oder Weisung, wie Nadal es nannte, anhören müssen. Danach stand ihm nicht der Kopf. „Nein, alles ist gut“, fügte er noch an. Er legte die Hand auf die Türklinke und drehte sich noch einmal um. So wie jeden Tag.
„Soll ich dir etwas mitbringen, Tonio?“
Nadal schob sich mit zwei Fingern die Brille hoch, schien nachdenken zu müssen. Schließlich nannte er Nelo seinen Wunsch, der sich nicht von dem von gestern unterschied. Nelo hätte es auch gewundert. Grußlos verließ er das Büro, öffnete er eine halbe Minute später die Tür und die Sonnenstrahlen empfingen ihn.
*
Deià
Die festen männlichen Züge bekamen fast einen weichen Ausdruck als er Juan auf sich zukommen sah. Schwarze in die Stirn fallende Locken umrahmten das jugendlich strahlende Gesicht des jungen Mannes. Die graugrünen Augen funkelten ihm entgegen und Lothar Mensing hatte plötzlich Angst, jemand in der Hotel-Lobby könne auf sie aufmerksam werden. Unsicher sah er sich in der Lobby um, doch außer zwei geschäftig aussehenden Hotelportiers war niemand zu sehen. Die meisten Gäste versammelten sich um diese Zeit im Speiseraum des Hotels zum Mittagessen. Juan trat nahe an Lothar Mensing heran und berührte ihn sanft an der Schulter.
„Hallo, ich freue mich, dich zu sehen“, sagte er auf Spanisch.
„Bitte nicht in aller Öffentlichkeit“, zischte Mensing und in die Augen des jungen Mannes trat eine beinahe kindliche Traurigkeit.
„Lo siento, ich vergaß“, sagte er schnell, ging einen Schritt zurück und blickte zu Boden. Mensings raue Stimme hatte ihn verunsichert. „Kommt nicht wieder vor“, sagte Juan und wagte schon wieder zu blinzeln. Über Mensings Gesicht flog ein Lächeln. Ein wenig irritiert blickte er in die Augen hinter den Haarfransen.
„Ich bin … entschuldige … ich bin es einfach nicht gewöhnt“, stammelte er dann und kam sich in diesem Moment albern vor. Zum Ersten, weil er so heftig reagiert hatte und zum Zweiten, weil es für ihn immer noch ungewohnt war, einen Mann als Liebhaber zu haben. Lothar Mensing galt unter seinen Kollegen und Geschäftsfreunden als experimentierfreudig, was das Ausleben seiner Libido anging. Doch Juan war sein erster Mann. Er fragte sich, ob er sich bei einer Frau ebenso schroff verhalten hätte. Sicher nicht.
Juan zog die Augenbrauen hoch und lächelte. „Machen wir einen Spaziergang?“, fragte er und Mensing nickte.
*
Deià
Schritt für Schritt war Jana Hardenberg wieder vor dem Hotel angelangt. Sie war müde, der Tag war anstrengend gewesen und sie freute sich auf eine erfrischende Dusche. Aus dem Speisesaal drangen Stimmen und Geschirrgeklapper nach draußen. Jana hatte Hunger, großen Hunger sogar, doch zuerst dürstete jede Pore ihres Körpers nach einer Abkühlung.
Der Aufzug brachte sie und ihre müden Knochen in die zweite Etage des Hotels – normal hätte sie nicht den Aufzug genommen – sie bog um die Ecke und öffnete ihre Hotelzimmertür. Eine angenehme Kühle und ein dämmriges Licht empfingen sie. Erschöpft ließ sie den Rucksack auf das Bett gleiten und löste die Schnürsenkel ihrer festen Wanderschuhe. Als sie die Schuhe von den Füßen streifte, fühlte sie sich von einer Zentnerlast befreit. Mit einem Kopf voller Eindrücke und einer guten Fotoausbeute für den ersten Tag ließ sie ihre Kleidungsstücke fallen, wo sie stand und stieg in die Dusche. Das lauwarme Wasser lief über ihren Körper und sie blieb regungslos stehen. Bilder und Eindrücke traten erneut vor ihr inneres Auge. Die Serra Tramuntana war atemberaubend schön, viel schöner als sie es sich vorgestellt hatte. Nach dem Abendessen würde sie den Computer einschalten und sich die Fotos ansehen, die sie gemacht hatte. Auf dem kleinen Display der Spiegelreflexkamera konnte man die Schärfe nicht genau kontrollieren. Vielleicht würde sie auch einen Eintrag auf ihrem Urlaubs-Blog machen.
Vielleicht, aber nur dann, wenn sie wirklich Lust darauf verspürte, nicht zu müde war und auch sonst nichts Besseres mehr zu tun hätte, würde sie Pierre anrufen. Um seine Stimme zu hören und weil sie neugierig war, zu erfragen, wie es ihm ohne sie ging. Ganz ohne sie. Oder sie würde es genau deswegen lassen, um ihn nicht zu quälen. Kein Salz in die frische Wunde streuen. Immerhin kam ihre Entscheidung, sich noch vor dem Urlaub von ihm zu trennen, für ihn aus heiterem Himmel. Was in ihrem Kopf und Herzen schon lange vor sich hin gereift war, traf ihren Freund wie ein Hammer. Er hatte sie feige genannt – neben all den anderen Dingen, die er ihr an den Kopf geworfen hatte – und sie konnte ihn so gerade noch davon abbringen, einen Flug zu buchen und ihr hinterher zu reisen.
Nein, sie würde ihn nicht anrufen, das könnte er am ersten Tag sicher als Schwäche auslegen, ihr wieder die Ohren vollheulen. Darauf hatte sie keinen Bock. Stattdessen würde sie mit ihrer Freundin Babsi skypen. Beflügelt von dieser Idee, sprang sie aus der Dusche, rubbelte sich das Haar trocken und schlüpfte in ein bequemes Baumwollkleid. Sie drehte sich vor dem Spiegel, begutachtete ihre Figur und fand, dass sie eine verdammt hübsche Frau war. Wenn Pierre es ihr doch auch dann und wann einmal gesagt hätte. Wer weiß, vielleicht …
Aber Pierre war eben Pierre und die Gewohnheit der Tod einer jeden Beziehung. Fröhlich pfiff sie vor sich hin, überlegt, wo sie ihr Portemonnaie hingelegt hatte und tänzelte um das Bett herum, als plötzlich das Telefon auf dem Nachttischchen klingelte. Jana Hardenberg zuckte zusammen. Niemand kannte diese Nummer. Sie starrte auf das Telefon und der Schreck löste sich allmählich wieder. Sie lachte auf und schüttelte den Kopf.
„Sicher ist es die Rezeption“, murmelte sie vor sich hin und griff nach dem Hörer.
„Jana Hardenberg“, sagte sie mit einem neugierigen Ton in der Stimme und lauschte. Als sie die ersten Worte des Anrufers hörte, fuhr ihr der Schreck in alle Glieder.
„Hallo, hier ist Pierre. Gehen wir zusammen essen?“
Sie brachte keinen Ton heraus, ließ sich fassungslos auf das Bett sinken. Sie schluckte, bevor sie die ersten Worte fand. „Nein, das ist jetzt nicht wahr! Sag bitte nicht, dass du auf Mallorca bist, Pierre!“, zischte sie mehr, als dass sie sprach.
Sie fuhr sich mit der Hand über das nasse Haar und wollte schon voller Zorn los schreien, doch sie bremste sich noch.
„Doch, ich bin unten in der Lobby. Wie war dein Tag?“
Ihre Wut fegte den Ansatz von Erholung weg, den sie bis gerade eben gespürt hatte. Sie atmete tief ein.
„Mit wem du auch immer heute essen gehen wirst, ich werde es definitiv nicht sein!“, schleuderte sie ihm entgegen und knallte den altmodischen Telefonhörer auf die Gabel. Ein aufgewühltes Gefühl bemächtigte sich ihrer. Wie konnte er so dreist sein, ihr hinterher zu reisen? Sich über die Trennung hinwegzusetzen und so zu tun, als sei alles in bester Ordnung. Doch sie wunderte sich eigentlich nicht. So war Pierre. Dinge, die ihm nicht passten, ignorierte er. Ignorierte er so lange, bis er sie einsehen musste.
Eine böse Vorahnung keimte in ihr auf. Wenn sie Pech hatte, wohnte er im gleichen Hotel und sie würde ihn die ganze Zeit an der Backe haben. Sein Gejammer und seine Liebesschwüre inklusive. Aufgeregt kaute sie auf ihren Lippen und dachte nach. Dann hatte sie einen Plan gefasst. Sie griff nach der Umhängetasche, schlüpfte in die Sommerlatschen und schlich sich durch das Treppenhaus nach unten in die Lobby.
*
Cala Llombards
Marie sprang aus Carola Pütz altem Renault-Kangoo heraus und tapste erst einmal zum nächsten Busch, um dort das Bein zu heben. Marie konnte sittsam in der Hocke ihr kleines Geschäft verrichten, meistens aber hob sie ein Bein. Je nachdem, wonach ihr der Kopf stand. Carola schlug die Heckklappe zu und sah zu Reto herüber. „Nimmst du sie bitte an die Leine?“, sagte sie und Reto hielt als Antwort die Hundeleine hoch. Spanien hatte aus Marie einen leisen Hund gemacht. Sie bellte selten und wenn, dann aus gutem Grund. Entweder näherte sich jemand dem Grundstück oder dem Fahrzeug, in dem Marie gerade saß. Ansonsten war sie der entspannteste Hund, den Carola je gesehen hatte. Auch an den wenigen Wildtieren, die auf der Insel lebten, zeigte sie sich mittlerweile völlig desinteressiert. Der Jagdinstinkt gehörte nicht zu ihren herausragenden Eigenschaften. Aber das war Carola eher recht, als dass es sie störte. So konnte sie den Hund überall ableinen. In diesem Moment fing es von rechts irgendwo an heftig zu bellen. Marie spitzte die Ohren und als hätte sie es bislang noch nicht bemerkt, wo sie sich befanden, konnte Carola in diesem Moment vom Blick ihrer Hündin ableiten: Sie hatte es begriffen.
Der, der lautstark bellte, war ihr Lieblingsfeind – eigentlich war es ihr einziger. Wenn man einen fußballgroßen und trotzdem größenwahnsinnigen Shi-Tzu-Rüden überhaupt ernst nehmen und als Feind bezeichnen konnte. Der Hund gehört einem Ladenbesitzer in Cala Llombards, dort erledigte Carola ihre Einkäufe. Normalerweise nahm sie dafür nicht das Auto, sondern das Fahrrad. Aber heute wollten sie danach noch an den Strand. Nicht lange, nur für ein paar Minuten. Von ihrem Haus aus konnte man drei der schönsten Buchten der Insel mit dem Fahrrad erreichen. Die Cala Llombards und weiter im Süden die Caló des Moro oder auf der anderen Seite der Landzunge die verwunschene Cala S’Almunia. Das hatte sie nicht gewusst, als sie das Haus kaufte – sicher wusste es der Makler auch nicht – doch jetzt hatte sie es lieben gelernt. Eine Viertelstunde später rollte der Kangoo den steilen Carrer d’es Garrover hinab an den Strand. Der Parkplatz, der eigentlich nur aus verdichtetem Sand bestand, war für die Jahreszeit gut gefüllt. Dennoch konnte sie bis ganz nach vorne fahren und das Auto neben einem Wohnmobil mit deutscher Zulassung parken. Dort, wo bis weit in den September die Vermieter der Liegen und Sonnenschirme ein gutes Geschäft machten, waren jetzt nur wenige belegt. Die meisten Besucher lagen direkt am Meeressaum. Selbst die Strandbar hatte geschlossen, die Rollläden aus Bast waren heruntergelassen. Ein weißes Schild mit schwarzen Buchstaben vertröstete die Badegäste auf den kommenden Tag. Carola zog sich ihr Sommerkleid aus, unter dem sie schon den Bikini trug. Mit einem Freudenschrei stürmte sie ins Wasser und tauchte in die nächste Welle. Reto begnügte sich damit, am Rand stehen zu bleiben und zusammen mit Marie dem Frauchen zuzuschauen. Vor seinen Augen tauchte sie wieder auf, schüttelte sich und begann mit eleganten Kraulzügen auf das Meer hinauszuschwimmen. Marie hatte sie genau im Blick, und als sie nur noch als kleiner Punkt zu sehen war, begann der Hund leise zu fiepen. Reto beugte sich zu ihr hinab und kraulte sie im Nacken. Marie sah ihn kurz an, dann richtete sie wieder den Fokus auf den kleinen Punkt im Wasser. Wieder das leise Fiepen.
„Ist alles gut, meine Kleine. Caro kommt gleich zurück. Sie weiß schon, was sie tut!“, sagte er mit beruhigender Stimme. Dessen war er sich zwar selbst nicht so sicher, aber die Worte kamen sehr überzeugend aus seinem Mund. Das Fiepen wurde leiser.
Als Carola fünf Minuten später wieder aus dem Wasser kam und sich schüttelte, tat Marie es ihr gleich. Die Anspannung fiel von ihr ab und sie zog wie wild an der Leine.
„Oft darfst du das deinem Hund nicht antun“, sagte Reto tadelnd. Marie wedelte mit dem ganzen Körper, wartete darauf, dass Carola sie kraulte.
„Hast du mich vermisst?“
Als Antwort kam jetzt nur ein lautes Bellen.
*
Deià
Lothar Mensing stand am Fuß der Treppe, die zur Hotel-Lobby hinaufführte und horchte in sich hinein. Eigentlich hatte er mit Vielem gerechnet, mit einem schlechten Gewissen, bohrendem Skrupel oder aufgeregter Vorfreude. Doch tatsächlich fühlte er in diesem Moment gar nichts. Nur eine unendliche Leere. Noch konnte er zu Juan gehen und ihm gestehen, dass alles ein großer Fehler sei und er umkehren wolle. Umkehren, als hätte er nie vorgehabt, sich einen Mann ins Bett zu holen. Juan würde ihn hassen. Das stand fest. Aber sollte er deshalb die unerträgliche Leere in seinem Kopf weiter zulassen? Er wusste darauf keine Antwort. Er strich sich zum wiederholten Mal die Haare aus der Stirn.
Was sollte er tun?
*
Cala Llombards
Sie saßen im Wohnzimmer von Carola Pütz Haus. Sie weigerte sich, das kleine Anwesen als Finca zu bezeichnen, weil es einfach vom Terrain her zu klein war. Ihre Frankfurter Freunde hatten sie schon als Finca-Besitzerin hochgelobt, doch sie hatte sie eingebremst. Das Haus war ein Haus mit Grundstück – mehr nicht. Wunderbar geschnitten, kühl im Sommer, dank der kleinen Fenster und grünen Schlagläden und warm im Winter – es gab einen wohlige Wärme ausstrahlenden Kaminofen. Ein kleiner weißer Kubus am Meer, mit einer genialen und unverbaubaren Aussicht obendrein.
An den weißen Wänden hingen grellbunte Bilder, die sie von einer befreundeten Frankfurter Galeristin erstanden hatte. Auf dem Boden aus original mallorquinischen Fliesen lagen ein paar Teppiche mit einfachen Mustern, die es nicht mit der Gewagtheit der Farbvielfalt der Malerei aufnehmen konnten und auch nicht sollten. Ruhe für die Augen, hatte Carola gesagt, als sie sie zusammen ausgesucht hatten. Reto hatte sofort verstanden, dass sie so nicht in die Gefahr geriet, irgendetwas zählen zu müssen – Karos, Punkte oder was auch immer. Die Möbel waren aus Pinienholz und er hatte gar nicht erst nach dem Preis gefragt. Sicher waren sie sündhaft teuer gewesen. Geld spielte bei Carola keine Rolle.
Marie lag lang ausgestreckt an ihrer Lieblingsstelle in der Tür zum Garten, die Vorderbeine auf dem Fliesen der Terrasse, der Hundekörper lag im kühlen Haus. So hatte sie alles im Blick oder in der Nase. Je nachdem, welchen Sinn man gerade ansprach.
Reto stand auf und nahm das Weinglas in die Hand. „Ich setze mich noch ein wenig nach draußen, kommst du auch mit hoch“, forderte er Carola auf, die in eine forensische Fachzeitschrift vertieft war. Sie leistete sich noch immer den Luxus auf dem Laufenden zu bleiben. Forensik. Schließlich war es bis vor nicht allzu langer Zeit ihr Leben gewesen. Bis zu dem Herzinfarkt. Bis zu der heftigen Attacke ihrer Zwangsstörung, als sie in einem Bonner Hotelzimmer zusammengebrochen war.
Carola sah ihn erstaunt an, so, als hätte er etwas von einem Alien erzählt.
„Was?“, fragte sie und runzelte die Stirn.
Reto lächelte. „Weinglas! Dachterrasse! Du auch?“, sagte er und spitzte verschmitzt die Lippen. Er kannte Carola bereits ziemlich gut, man konnte neben ihr ein Haus abbrechen, wenn sie in etwas vertieft war, bekam sie es nicht mit.
„Oh ja, sicher. Geh schon vor, ich komme gleich nach und bringe eine weitere Flasche Wein mit“, sagte sie mit Blick auf die schon gut geleerte Flasche Rioja. Reto schob die Unterlippe hoch und stieg, gefolgt von Marie, die Außentreppe hinauf. Nachdem er sich auf einen der bequemen Kunst-Rattan-Sessel niedergelassen und wieder einmal die Schönheit der Aussicht bewundert hatte, hing er seinen Gedanken hinterher. Er hatte noch nie ein Interview mit einem Aussteiger geführt. Es war sinnlos zu spekulieren, wie sich das Gespräch mit dem Obdachlosen entwickeln würde. Marie legte ihren Kopf auf sein Bein und er begann sie zu kraulen. Reto seufzte schwer und schloss die Augen. Als Carola eine Viertelstunde später auf die Dachterrasse trat, fand sie ihre beiden Helden schlafend vor. Marie hatte sich auf Retos Schoß geringelt und schaute sie verschlafen an. Carola lächelte mild, drehte sich auf dem Absatz herum und kehrte zu ihrer Fachzeitschrift zurück.
*
El Arenal
Aus der Nachbarschaft dröhnte der Basslautsprecher der Diskothek bis hierher in die kleine Nebenstraße. Frauen kreischten, doch hatten sie eigentlich keinen Grund dafür. Abebi Ayodele hätte einen Grund gehabt, doch sie war wie gelähmt vor Angst. Die Tür der Diskothek wurde geschlossen, der Bass wummerte nur noch gedämpft in die Nacht. Das Schreien der Frauen war in der Dunkelheit verklungen.
Der Mann sah das Weiße in den Augen der jungen Frau, die sich mit angstverzerrtem Gesicht an die Mauer drückte. Dunkle Augen in einem ebenmäßig schönen Gesicht, das jetzt vom Schrecken entstellt war. Sie spiegelten die grenzenlose Furcht wieder.
Die Waffe blitzte auf im fahlen gelben Licht der Straßenlaternen.
Scharf gezogene Augenbrauen zuckten. Die zu rot geschminkten Lippen bebten. Todesangst. Sie murmelte etwas in ihrer Muttersprache. Ihre letzten Worte. Grob fasste ihr der Mann an den Hals, dann stach er mit schnellen geübten Bewegungen mehrmals zu.
Abebi Ayodele riss die Augen auf. Ein erstickter Schrei. Ein letztes Aufbäumen. Die Frau taumelte, fiel langsam nach vorne auf die Knie. Ihr Mörder trat einen Schritt zur Seite, betrachtete sie ohne eine Regung. Sie war nur noch Schmerz, hörte ein entferntes Rauschen, das sich schnell näherte. Spürte noch, wie ihre Zähne splitterten als sie mit dem Kopf auf den Boden schlug. Dann war sie tot. Der Mann trat einen Schritt auf sie zu, wischte schnell das Messer an ihrem zu kurzen T-Shirt ab und ging.
*
Sóller
Frank Turowski hatte eine Höllennacht hinter sich. Die wenigen Touristen, die sich um diese Jahreszeit abends in Sóller aufhielten, schienen sich alle in der Nähe seines Lieblingsschlafplatzes versammelt zu haben. Das alleine war nicht verwerflich, doch sie hatten grölend und johlend irgendetwas zu feiern. So eine Lautstärke kannte er sonst nur von der Playa de Palma. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und drückte mit Daumen und Zeigefinger fest auf die Augenlider. Die nächste Nacht werde ich woanders verbringen, vielleicht bin ich dann nicht so müde, sagte er sich. Solange die Nächte noch so mild waren, gab es überall einen Schlafplatz unter Gottes Himmel. Als er die Augen wieder öffnete, tanzten kleine glänzende Pünktchen in der Luft. Mist! Wieder Kreislauf, dachte er. Das Leben auf der Straße hatte seine unübersehbaren Schattenseiten. Er wurde kränklicher und litt unter einer Vielzahl von Gebrechen und Wehwehchen. Seine Arthrose ließ die Gelenke unbeweglich werden. Gerade morgens brauchte er immer länger, um in die Gänge zu kommen. Seine Augen wurden schlechter und die Brille, die er trug, konnte seine Fehlsichtigkeit nur noch mangelhaft korrigieren. Manchmal verfluchte er seinen Körper und sein Alter, dann wieder war es ihm tagelang egal. Doch nach der letzten Nacht fühlte er sich wie ein Greis. Er streckte sich ausgiebig, machte ein paar Rumpfbeugen, kniete sich erneut hin, um seinen verschlissenen Schlafsack und die Luftmatratze, die schon lange keine Luft mehr hielt, zusammenzurollen. Er sah sich um. Die Sonne stand noch nicht hoch genug. Also hatte er auch noch Zeit, bis er sich mit dem Schweizer Journalisten traf. Hoffentlich sprang für ihn wenigstens ein Frühstück heraus. Mit dem Gedanken an einen frisch aufgebrühten Kaffee machte er sich auf den Weg zur Placa de Constitució.
*
Cala Llombards
Reto war mitten in der Nacht erwacht, als Marie von seinem Schoß sprang. Es war kühl geworden und ihn fröstelte. Sein Nacken war steif und dieser tat ihm auch noch weh als er mit Carola am Frühstückstisch saß.
„Du hättest mich ruhig wecken können“, brummte er und massierte sich mit der linken Hand den Nacken, verzog dabei das Gesicht.
„Ihr zwei saht so vertraut aus, da wollte ich nicht stören“, antwortete sie und lächelte ihn mitfühlend an.
„Ja ja, verarsch mich auch noch“, brummte Reto weiter vor sich hin. Carola stieß belustigt die Luft aus und musterte ihn weiter mit einem schelmischen Gesichtsausdruck.
„Bis zu deinem Date in Sóller wird es sicher wieder besser sein“, sagte sie gutmütig kichernd. Er zog mit der linken Hand die Straßenkarte der Insel heran und fuhr die Straßen mit dem Finger nach. Reto kannte sich auf Mallorca nicht so gut aus wie Carola.
„Wir müssen uns bald aufmachen, wer weiß, wie viel Verkehr uns erwartet“, sagte er und sah über den Rand seiner Brille zu Carola hinüber.
„Stimmt, aber wir haben etwas Zeit“, sagte Carola, schon in Gedanken bei der Parkplatzsuche. Sóller war ein berühmter Touristenort, nicht zuletzt, weil zwischen Sóller und Palma die alte Bahn verkehrte, die selbst im Herbst viele Touristen in den Ort brachte. Auch etliche Busse entluden für ein paar Stunden ihre kulturinteressierten Fahrgäste.
Reto betrachtete die Fotos des Ortes in einem Reiseführer, fand darin eine Straßenkarte. „Was, so klein ist Sóller? Ich dachte immer, es sei ein viel größerer Ort. Dann haben wir ja sicher keine Probleme, diesen Kirchplatz zu finden“, rief er erstaunt aus. Carola nickte und lächelte mild.
„Nein, alle Wege führen dorthin.“
Sóller
Nach einer entspannten Fahrt nach Sóller und einer schnell beendeten Parkplatzsuche trennten sich auf der Placa vor der Kirche ihre Wege. Jeder suchte sich einen Platz in einem der vielen Straßencafés. Sie achteten aber darauf, dass sie noch Blickkontakt halten konnten, aus welchem Grund auch immer das nötig sein sollte. Reto ließ sich in einem der bequemen Korbstühle nieder, bestellte sich einen Café solo und wartete auf Frank Turowski. Dann und wann sah er zu Carola hinüber, die sich einige Fachzeitschriften zum Lesen mitgenommen hatte.
Kurze Zeit später stellte ein stattlicher Mann seinen Rucksack neben dem Brunnen ab und sah sich auffällig um. Reto war sicher, dass es sich bei dem Mann um Turowski handelte. Er stand auf und ging mit schnellen Schritten auf ihn zu.
„Hallo, mein Name ist Reto Winterhalter. Sind Sie Frank Turowski?“, fragte er und zögerte einen Moment lang, ihm die Hand zu reichen. Der Angesprochene schien überrascht, argwöhnisch blickte er ihm entgegen. Auch Reto zögerte. Hatte er den falschen Menschen angesprochen? Doch als Reto mehr und mehr das Misstrauen aus dem Gesicht des Mannes schwinden sah, streckte er die Hand aus.
„Ja, sehr erfreut, mein Name ist Frank Turowski“, sagte er. Seine blauen Augen blickten jetzt freundlich drein. Reto wunderte sich insgeheim über die feste Stimme und die Begrüßung des Mannes. Hatte er einen verwahrlosten Penner erwartet? Ohne Manieren? Jemanden, der ihn an die Obdachlosen in der Schweiz erinnerte? An abgerissene, vom Elend gezeichnete Gestalten? Er konnte es nicht beantworten. Jedenfalls passte Turowski nicht ins Bild. Reto zeigte auf den Tisch mit der leeren Kaffeetasse und der Mann nahm seinen Rucksack wieder auf. Verwundert betrachtete Reto, was dort alles festgeschnürt war, Tassen aus Blech, eine Wasserflasche aus Plastik, zuoberst zwei Rollen, die sich bei genauerem Hinsehen als Schlafsack und Luftmatratze entpuppten. Der Mann ließ sich mit einem Seufzen in den Sessel Reto gegenüber fallen und dieser gab der Kellnerin einen Wink. Turowski schob die Ärmel seines etwas ausgeleierten Sweatshirts nach oben.
„Ich möchte Sie gerne zu einem Frühstück einladen, als kleine Entschädigung für Ihre Zeit und Ihre Mühe“, sagte Reto und der Mann lächelte.
„Zeit habe ich heutzutage echt genug, aber vielen Dank, gerne.“
Sein rundes Gesicht hatte einen zufriedenen Gesichtsausdruck angenommen. Die Kellnerin kam und zückte ihren Block. Obwohl Reto es ihr ansah, dass sie den Mann am Tisch als Obdachlosen erkannte, verzog sie keine Miene. Reto bestellte ein üppiges Frühstück, sie notierte alles, und als sie wortlos im Café verschwunden war, beugte sich Turowski zu ihm herüber. „Am liebsten hätte sie mich weggeschickt. Das tut sie sonst auch immer. Hier bekomme ich sonst nie etwas, eher dort drüben“, raunte er Reto zu und deutete mit dem Daumen über seine Schulter in Richtung des Cafés, in dem Carola saß.
„Na dann“, sagte Reto, der nicht so recht wusste, was er darauf antworten sollte. Er kannte es nicht, irgendwo nicht bedient zu werden oder gar weggeschickt zu werden. Das war nicht seine Welt.
Doch dann beschloss er, genau dieses als Aufhänger für den Text zu nehmen, von dessen Inhalt er noch keine Ahnung hatte. Journalismus bedeutete, sich immer wieder auf neue Gegebenheiten einzustellen, fremde und oft unangenehme Personen eingeschlossen. Das machte ihm sonst nie Probleme, doch hier und jetzt verspürte er so etwas wie Beklemmung. Er sah Turowski an und sein Gesprächspartner schien es zu bemerken.
„Wissen Sie, dass Sie der erste Schweizer sind, mit dem ich mich auf der Insel unterhalte?“, fragte er. Reto verzog erleichtert sein Gesicht zu einem Lächeln.
„Und Sie sind mein erster Aussteiger. Darf ich Sie so nennen?“, fragte Reto und legte fast schon entspannt die Unterarme auf den Tisch. Sein Gegenüber antwortete mit einem Lächeln. „Sie sind der Profi. Sie dürfen mich auch als Investment-Banker außer Dienst bezeichnen. Das trifft des Pudels Kern.“
Reto konnte seine Verwunderung gerade noch verbergen. Er zog nur die Augenbraue hoch und nahm die leere Tasse in die Hand. „Sie kommen aus der Bank-Szene? Gibt es denn hier für Sie keine Arbeit?“, fragte er und deutete mit dem Kaffeelöffel auf das Gebäude der Banco Sóller, das genau neben der Kirche Sant Bartomeu stand und von Joan Rubió i Bellver im Modernisme-Stil errichtet worden war. Turowski verzog sein Gesicht. „Denken Sie, hier gibt jemand einem deutschen Penner eine Anstellung als Banker? Das passiert hier genauso wenig wie in meinem oder Ihrem Land, Herr Winterhalter.“
„Haben Sie es versucht?“, konterte Reto.
„Ich habe vieles versucht. Aber man kannte mich. Als ich hier auf die Insel kam, ging es mir gut. Ich war mehr als nur finanziell abgesichert, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will. Doch dann kam das Jahr 2008 und alles ging den Bach hinunter.“ Er stieß einen gewaltigen Seufzer aus und ließ sich in seinem Sessel zurückfallen. Er sah dabei Reto an, der ihn wiederum mit einem forschenden Gesichtsausdruck betrachtete. Sagte der Mann die Wahrheit? Oder hatte er hier einen Aufschneider vor sich sitzen? Wenn nicht, schien die Geschichte des Mannes facettenreicher zu sein als erwartet. Turowski strich sich über den Dreitagebart, dass es knirschte. Er genoss die Spannung, die zwischen ihm und dem Journalisten aufkeimte. Dann nahm er eine entspannte Haltung an, atmete tief durch.
„Ihnen als Journalist ist die Geschichte der Lehmann-Brothers doch sicher kein Geheimnis?“
Reto zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Sie haben für die Lehmann-Brothers gearbeitet?“
Turowski nickte. „Ja, in Frankfurt!“
Entschlossen atmete er erneut tief durch und straffte die Schultern. „Wenn das Frühstück gekommen ist, erzähle ich Ihnen die Geschichte eines gefallenen Stars am Frankfurter Investment-Banker-Himmel!“
Reto blies die Backen auf, stieß die Luft aus und nickte. Wie aufs Stichwort näherte sich die Kellnerin und stellte das Tablett vor Turowski ab. Der Mann schloss die Augen, sog den Geruch der frischen Brötchen ein und griff sofort nach der Tasse Kaffee. Gierig trank er einen großen Schluck. Die Kellnerin quittierte das mit einem missmutigen Gesichtsausdruck. Als warte sie darauf, dass der Gast auch die Teller mit Käse und Aufschnitt vom Tablett nahm, verharrte sie in einer Art Starre, bis Reto sie ansprach: „Wenn Sie serviert haben, bringen Sie mir bitte noch einen Kaffee, nein, einen Cappuccino bitte.“
Erst auf diese Aufforderung hin wurde sie aktiv und platzierte die Teller und den Brotkorb vor Turowski.
„Muchas gracias, Señora“, sagte er und die Kellnerin verzog nur kurz das Gesicht zu einem falschen Lächeln. Er zwinkerte Reto zu und griff sofort nach dem Messer, um das erste Brötchen aufzuschneiden. „Haben Sie auch Hunger? Das ist viel zu reichlich für eine Person, selbst für eine Person wie mich“, sagte Turowski. Reto schüttelte den Kopf und hielt die Hand abwehrend vor sich. „Wenn Sie gefrühstückt haben, lausche ich gerne Ihrer Geschichte.“
Turowski nickte und belegte ein Brötchen mit reichlich Camembert. Reto warf einen verstohlenen Blick zu Carola hinüber, doch die war soeben mit ihrem Handy beschäftigt.
Turowski aß schnell seine zwei Brötchen auf, zerteilte eine Schnitte Graubrot in mundgerechte Bissen. Während er kaute, begann er Reto seine Lebensgeschichte zu erzählen, jedenfalls den Teil, der auf der Insel spielte und mit der Pleite der Lehmann-Brothers ihren Anfang hatte. Während er sprach, begann er geistesabwesend an einem Fleck zu pulen, den er auf seiner Hose entdeckt hatte. Reto machte sich Notizen.
*
Der äußere Kranz der Rosette der Kirche Sant Bartomeu war unterteilt in vierundzwanzig Segmente, der innere in zwölf. Carola hatte sofort die Assoziation: Vierundzwanzig Stunden hat der Tag und zwölf Monate das Jahr. Das gehörte zu den interessanten Dingen, die sie wie üblich gezählt hatte, dazu kamen noch die weniger aufregenden: Siebenundzwanzig Sonnenschirme verteilt auf sieben Straßencafés, unter denen sich achtzig Tische und dreihundertzwanzig Stühle drängelten. Diese Zahlen hatte sie schnell wieder vergessen, es regte sie auch keinesfalls auf, ihrem Zählzwang auf diese Art und Weise nachzugehen. Im Gegenteil, sie war sehr entspannt und dass nicht erst seit sie hier in Sóller war, sondern seitdem sie auf Mallorca weilte. Die Kellnerin strich mit ihrem Tablett voll leerer Tassen und Gläser zwischen den Stühlen entlang und Carola fing ihren Blick mit einem Lächeln ein.
„Sagen Sie bitte, wo ist denn der Mann, der mit seinem Hund immer dort am Rathaus saß?“, fragte sie auf Spanisch, „Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen. Ein Freund sagte mir, er würde so nette kleine Bilder verkaufen.“
Das Lächeln verwandelte sich sofort in einem mitleidvollen Blick. „Wenn Sie Karl und seinen Hund Señor Roberto meinen, die sind nicht mehr hier“, antwortete sie und blieb neben Carola stehen.
„Ja, so heißt er wohl. Wo ist er denn jetzt?“
Sie stellte das Tablett auf Carolas Tisch ab und seufzte. „Karl ist gestorben und sein Hund ist im Tierheim. Der arme kleine Kerl …“, seufzte sie.
„Oh, das tut mir aber leid. Wann ist das denn passiert?“
Carola machte es nichts aus, die Ahnungslose zu geben, wenn sie einen Plan verfolgte.
„Anfang des Jahres, ich denke, es wird im März gewesen sein“, sagte sie nach einem kurzen Überlegen und sortierte die Tassen auf dem Tablett neu. Sie schien zu überlegen, ob sie Carola die Geschichte des Mannes erzählen konnte, ohne dass ihre Kollegin sie dafür schelten würde, solange bei einem Gast zu verweilen.
„Ich bin sofort wieder da“, sagte sie kurz entschlossen und nahm das Tablett wieder auf.
Sieben Tassen, ebenso viele Untertassen und vier Gläser. Carola setzte die Sonnenbrille wieder auf und nahm den Reiseführer in die Hand.
*
„Sie sprechen Italienisch?“, fragte Reto, und als Turowski verneinend mit dem Kopf schüttelte, meinte er bedauernd: „Ich kenne einen einflussreichen Banker in Palermo. Den hätte ich fragen können, ob er einen Job für Sie aus dem Ärmel schütteln kann.“
Turowski nickte und schaute ihn anerkennend an. „Allein für diese Idee müsste ich Ihnen schon dankbar sein, Herr Winterhalter.“
Reto schüttelte den Kopf. „Nicht dafür.“
„Wie sieht es mit Ihrem Spanisch aus?“, fragte Turowski im Gegenzug. Reto lachte kurz auf. „Fragen Sie das bitte mal die Mallorquiner. Ich spreche im Grunde kein Spanisch. Einen Kurs an der Volkshochschule habe ich belegt, so heißt das in Deutschland wohl, habe ich recht? Solange mein spanisches Gegenüber von Essen spricht, ist es kein Problem, sonst ... Mallorquin verstehe ich überhaupt nicht“, gestand er.
„Wer versteht die schon“, entgegnete der ehemalige Banker und zwinkerte Reto zu. Der war bereits einen Gedanken weiter. „Sagen Sie, gibt es auch spanische Obdachlose auf der Insel?“
Turowski spitzte den Mund. „Natürlich. Auch Festlandsspanier kommen mit Flausen im Kopf auf die Insel. Auch sie scheitern. Die meisten von ihnen gehen einfach desillusioniert zurück, aber es gibt auch ein paar, die hier auf der Straße leben. Sie wollen zu ihnen Kontakt aufnehmen?“
Reto fühlte sich ertappt. Tatsächlich war dies sein Plan gewesen. Er zuckte mit den Schultern. „Ich müsste mir sonst einen Dolmetscher nehmen“, scherzte er und Turowski lachte herzlich.
Reto bestellte für beide einen weiteren Kaffee und nach einer Weile fragte er: „Haben Sie diesen Karl-Uwe und seinen Hund gut gekannt?“
Turowskis Gesichtsausdruck verschleierte sich.
„Ja“, war seine knappe Antwort und er richtete sein Augenmerk für einige Sekunden auf die Kirche. Dann runzelte er die Stirn, er schluckte hart und sein Blick heftete sich auf Retos Gesicht. „Ich hätte besser auf ihn achtgeben müssen. Die Einheimischen hatten mich schon auf seinen Gesundheitszustand angesprochen, aber …“ Er brach ab und Reto sah Tränen in seine Augen treten.
„Die Einheimischen?“, fragte er, nachdem sich Turowski die Nase geschnäuzt hatte. Er zog noch einmal die Nase hoch, wischte sich über die Augen und kniff die Lippen zusammen. Das Thema schien ihm arg zuzusetzen. Dann neigte er den Kopf in Richtung des Brunnens.
„Er saß oft hier am Brunnen oder dort am Rathaus und versuchte seine selbstgemalten Bilder an Touristen zu verkaufen. Mit großem Erfolg. Señor Roberto war sein Türöffner, wissen Sie?“, sagte er mit einem Strahlen in den Augen, das die Tränen vertrieb. „Der Kleine hat sich dann auf den Rücken geworfen und hat seine Kunststückchen vorgeführt. Die Touristen haben dem Hund die Bildchen seines Herrchens abgekauft, verstehen Sie? Der Karl war hier in Sóller so etwas wie eine Institution.“
Reto nickte und glaubte jedenfalls, es zu verstehen. Turowski fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, sah wieder zur Kirche hinauf und schien sich sammeln zu müssen. Dann atmete er schwer. „Wäre er nicht so dickköpfig gewesen, dann hätte man ihm helfen können!“
Erneut lief eine Träne über seine Wange und er ließ es zu. Reto hob seine leere Kaffeetasse an und sah hinein. „Soll ich uns etwas Stärkeres bestellen?“
Turowski blinzelte unter den Tränen, dann griff er sich mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel und begann sie zu massieren. „Eigentlich ist es dafür zu früh, doch sollten wir es als Gedenkschluck für Karl ansehen, dann bin ich gerne dabei.“
Reto winkte nach der Kellnerin. „So machen wir es. Ein Gedenkschluck für Karl und Señor Roberto!“
„Denken Sie bitte nicht, ich sei ein Weichei, aber wenn es um den Karl geht … und den Hund, dann werde ich immer ganz sentimental.“
Reto verzog den Mund und sah der Kellnerin hinterher. „Was ist denn dabei, wenn man Anteilnahme am Tod eines nahen Bekannten oder Freundes zeigt? Das macht Sie mir nur noch sympathischer“, antwortete Reto und erntete dafür einen anerkennenden Blick. Die nächste Viertelstunde lang sprachen die Männer nicht viel, nippten an ihrem spanischen Brandy und hingen ihren Gedanken nach. Die immer wieder vorbeieilenden Touristengruppen, die ihren Führern hinterherhechelten, hielten sie sicher für alte Freunde.
*
Sóller war eigentlich ein beschauliches Dorf, obwohl es von der Anzahl der Einwohner her eine Stadt darstellte. Das Gemeindegebiet lag in der Serra de Tramuntana im Nordwesten der Insel. Zum Stadtgebiet zählte auch der Hafen Port de Sóller, der bis zum Einrichten der Eisenbahnstrecke nach Palma das Nadelöhr des Ortes und den Hauptumschlagsplatz für die Waren darstellte. Bis zum Jahr 1860 war Sóller der führende Ort für den Olivenhandel auf der Insel gewesen. Die Ortschaft kam zu Reichtum und Ansehen. Doch dann wendete sich das Schicksal. Ein Schädling befiel die Plantagen und der Ort und seine Bewohner stürzten in eine tiefe Krise. Relativ schnell war eine andere Einnahmequelle gefunden: Orangen und Zitronen. Deren Transport jedoch war genauso beschwerlich wie der der Oliven zuvor. Hier kam der technische Fortschritt zu Hilfe. Die Firma Siemens lieferte einen Zug, der alles veränderte. Der ‚Orangenexpress‘, wie der ‚Rote Blitz‘ auch genannt wurde, brachte die Südfrüchte jetzt viel schneller nach Palma und von dort gelangten sie auf die Märkte der Insel. Die 1912 errichtete Eisenbahnverbindung verhalf dem Ort zu neuem Glanz und auch heute ist sie ein touristischer Anziehungspunkt, da sie die Strecke noch immer mit den historischen Wagen befährt.
Die ‚Tranvia‘, eine ebenso alte historische Straßenbahn, die vom alten Empfangsgebäude der Eisenbahn hinunter in den Hafen fährt, nimmt seit je her ihren Weg über die Placa de Constitució und ist sicher eines der meistfotografierten Motive der Insel. Genau in diesem Moment rumpelte die alte Straßenbahn mit Getöse an dem Café vorbei, in dem Carola ihren Kaffee trank. Der Fahrer hatte sich lautstark bemerkbar gemacht, um die Touristen mit ihren Spiegelreflexkameras von den Gleisen zu vertreiben. Carola kannte die Geschichte des Ortes, dennoch hatte sie sich aus lauter Langeweile den Reiseführer zur Hand genommen und ein paar Seiten darin gelesen. Reto und dieser Frank Turowski saßen noch immer in diesem Café oberhalb des Brunnes und plauderten. Mittlerweile hatte sie sich für die Idee verflucht, mitzufahren. Warum redeten sie nur so lange? Carola hatte nur ein paar Minuten gebraucht, um alles in Erfahrung zu bringen, was es um diesen Karl-Uwe und seinen Hund zu wissen gab. Die nette Kellnerin hatte ihr sogar verstohlen ein Foto auf ihrem Handy gezeigt, auf dem sie mit dem Obdachlosen zu sehen war. „Wir haben den beiden immer etwas zugesteckt. Nicht so, wie die da oben“, hatte sie gesagt und dabei mit einer Kopfbewegung verächtlich auf das Café hinter dem Brunnen gedeutet. Dann zeigte sie Carola ein Foto von Señor Roberto. „Einmal am Tag kam der kleine Kerl vorbei, dann hat er etwas zu fressen bekommen – sein Herrchen ging natürlich auch nicht leer aus. Wir haben auch die Touristen ermuntert, bei ihm eines seiner Bilder zu kaufen“, sagte sie mit einem traurigen Lächeln.
„Trotzdem hat er es nicht geschafft“, sagte Carola mit Absicht und der Gesichtsausdruck der Kellnerin versteinerte sich. Sie beugte sich zu Carola hinab und raunte ihr zu: „Sehen Sie den Mann dort oben in dem Café hinter dem Brunnen, neben ihm sitzt ein attraktiver Kerl mit einem Bärtchen?“
Carola stutzte. Dann warfen die beiden Frauen einander einen Blick zu, der jedes weitere Wort überflüssig machte. Carola blickte zu Reto hinüber, um sich nicht verdächtig zu machen. „Ja, ich sehe sie. Was ist mit diesem Mann?“
„Der hatte einmal ein hübsches Bankkonto, jetzt lebt er auf der Straße. Er war sehr gut mit dem Karl befreundet und man erzählt sich, dass er am Tod von Karl nicht ganz unschuldig war“, sagte sie mit einem bedeutsamen Augenaufschlag. Carola spitzte die Ohren und die Kellnerin strich sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht. Carolas Blick forderte sie auf, weiterzuerzählen. „Es ging um eine Frau. Dieser Frank dort, war wohl scharf auf sie. Aber sie hatte wohl etwas für den Karl übrig.“ Sie hob wieder bedeutsam die Augenbrauen und verharrte in der Hocke neben Carola.
„Ist diese Frau auch eine Obdachlose?“, fragte Carola interessiert. Die Kellnerin schüttelte den Kopf. „Nein, sie hat einen kleinen Laden in einer der Nebenstraßen dort“, sagte sie und deutete in die Richtung der bekannten Ladenstraße, die vom Platz aus nach links führte. Mit einem Augenaufschlag entschuldigte sie sich bei Carola, denn ein Kunde hatte schon zum dritten Man den Wunsch geäußert zu zahlen, zuletzt schon sehr mürrisch.
So erreichte dieses Gerücht genau die passende Adressatin.
*
Während Frank mit der linken Hand das Muster der Tischdecke nachfuhr, Reto wurde dabei bewusst, dass Carola wohl schon die Anzahl der rot-weißen Karos berechnet hätte, hielt er mit der anderen Hand das Cognacglas umklammert.
„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich den Tod meines Freunds bedaure“, stieß Turowski hervor. „Vor allem die Umstände. Schrecklich.“
Die Finger umfassten das Glas erneut und Reto hatte Angst, dass er zu viel Druck ausübte, es zerdrücken würde.
Schrecklich. Er ließ das Wort in seinem Inneren nachhallen. Sicher, so zu Tode zu kommen, war mehr als schrecklich.
„Wo waren Sie denn zu der Zeit?“, wollte Reto wissen. Das erste Mal tauchte im Blick seines Gegenübers dieser Argwohn auf. Schnell wandte er den Blick ab und fuhr mit dem Finger wieder über die Karos der Tischdecke.
„Der Karl und ich, wir hatten zu der Zeit etwas Probleme. Ich war nicht in Sóller, daher konnte ich nicht auf ihn achtgeben“, erzählte er mit einem nachdenklichen Ton.
„Probleme? Welcher Art?“
„Weswegen haben Männer Schwierigkeiten miteinander? Ich kenne da nur eine Handvoll Gründe.“
„Eine Frau?“, riet Reto.
„Bingo. Eine Frau.“
„Aha.“
„Was heißt ‚aha‘? Denken Sie, dass Männer wie Karl und ich keine Frauengeschichten haben? Weil wir auf der Straße leben?“
Reto verzog den Mund. „So meine ich das nicht“, sagte er und musste sich eingestehen, dass er es doch so gemeint hatte, „Ist die Dame auch eine Obdachlose?“
„Nein, sie ist eine Sesshafte.“
Reto bemerkte, wie schmallippig und einsilbig Turowski plötzlich wurde. Das Frauen-Thema schien ihm keine Freude zu bereiten.
„Eine ortsansässige Sesshafte?“
„Ja“, antwortete er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Die Gesprächsführung entglitt ihm. Da ist sein wunder Punkt, dachte er. Sein Gespür verriet ihm, dass er jetzt vorsichtig sein musste, sonst würde Turowski ganz zu machen und er würde seinen besten Kontakt zur Obdachlosen-Szene verlieren. Das konnte und wollte er nicht riskieren.
„Lassen wir das Thema“, sagte er diplomatisch, „Frauen sind ein zu ernstes Thema, um es an einem Ort wie diesem zu erörtern.“
„Frauen sind allezeit ein Thema“, entgegnete Turowski, immer noch mit einer gewissen Härte in seiner Stimme.
„Ich meine, wir könnten uns heute Abend oder morgen früh treffen. Auf ein Bier oder einen Kaffee und ein Frühstück. Was Ihnen lieber ist“, sagte Reto und sah auf seine Armbanduhr. Dann zog er erschrocken die Augenbrauen hoch, zog die Luft durch die Zähne. „Mensch, ist das schon spät!“, sagte er hektisch und machte eine fahrige Handbewegung, um die Kellnerin herbeizurufen. Ob Turowski ihm die plötzliche Hektik abkaufen würde?
„Ich habe einen Termin um halb eins“, sagte er und kramte hektisch nach seinem Portemonnaie. „Es ist doch erst halb zwölf“, sagte Turowski.
„Ja, aber ich muss noch nach Palma, dort einen Parkplatz finden, Sie kennen ja sicher die Parkplatzsituation dort.“
„Ja, die kenne ich noch. Sehr gut sogar“, pflichtete ihm Turowski bei und zog die rechte Augenbraue hoch. Er kauft dir den Bluff ab, dachte Reto.
„Also, was ist jetzt? Bier oder Frühstück?“, fragte er und reichte der Kellnerin einen passenden Schein hin, „Stimmt so.“ Die junge Frau bedankte sich überschwänglich für das üppige Trinkgeld. Dennoch würdigte sie den Obdachlosen weiterhin keines Blickes. Reto stand auf und trat neben den Mann, der ihn jetzt wieder unvoreingenommen ansah.
„Vielen Dank für das Frühstück, das können wir gerne morgen wiederholen. Selbe Zeit?“
„Selbe Zeit“, bestätigte Reto und hielt ihm die Hand hin.
*
Deià
Sie standen auf der Terrasse des Hotels, von der aus man einen wunderbaren Blick auf die Stadt Deià und das Tramuntana-Gebirge hatte. Viele nannten diesen kleinen Garten mit den gepflegten Rosenstöcken und den kleinen Tischchen romantisch und verträumt. Es gab sicher viele andere Adjektive und diese trafen sicher ebenfalls alle zu. Jana Hardenberg stand im Moment nicht der Sinn nach Romantik. Ganz im Gegenteil, sie wünschte sich weg von diesem Ort, egal wohin. Vor ihr, an das Geländer gelehnt, stand Pierre und betrachtete sie auf seine spezielle Art. Ein wenig unterwürfig, aber gleichzeitig auch frech und herausfordernd. Jetzt mischte sich auch noch Traurigkeit mit hinein, doch das konnte Jana heute nicht beeindrucken. Sie konnte gar nicht zählen, wie oft er sie mit seinem Dackelblick und seiner Gitarre schon rumgekriegt hatte. Meistens hasste sie sich für ihre Schwäche, nicht für seine Versuche. Pierre spielte in einer Band, war dort der Leadsänger und galt in ihrem Ort als Mädchenschwarm. Nun war Jana mit ihren fünfundzwanzig Jahren kein Mädchen mehr, trotzdem hatte sie im Ort genügend Neiderinnen gehabt. Pierre hätte viele Frauen haben können, er hatte sich für Jana entschieden.
„Du kannst nicht alles so wegwerfen, was wir haben, Jana.“
Jana Hardenberg fuhr ihn zum zweiten Mal heftig an, die Leute, die noch an ihrem Frühstückstisch saßen, warfen dem deutschen Paar schon missbilligende Blicke zu.
„Ich werfe nichts weg, ich beende nur unsere Beziehung. Hör bitte auf, dein Leben nach deinen Liedtexten zu leben. Das reale Leben hat nichts mit deinen Schmusesongs zu tun.“
Ihre blauen Augen blitzten gefährlich.
„Ich lebe mein Leben mit dir und ich möchte es noch eine lange Zeit weiterleben. Mit dir“, sagte er und machte eine zaghafte Bewegung in Richtung von Janas Schulter, die sie aber energisch abwehrte.
„Lass das!“
Augenfunkeln.
„Wieso kannst du plötzlich so abweisend sein? Wohin ist denn mein liebevolles zärtliches Mädchen verschwunden?“ Er strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und breitete theatralisch die Arme aus. So stand er auch oft auf der Bühne, wenn er einen seiner deutschen Texte sang. Früher hatte seine Band englische Texte gesungen, doch seitdem es ‚in‘ war, Deutsch zu singen, komponierte Pierre ausschließlich in seiner Muttersprache. Der Erfolg gab ihm recht. Erst vor kurzem hatte die Band einen lukrativen Plattenvertrag unterzeichnet.
Jana stieß wütend die Luft aus. „Pierre, bitte lass den Schmus sein. Du kapierst es einfach nicht. Ich lebe mein Leben und bin keines der Mädchen aus deinen Texten!“
„Aber Kleines, für uns fängt jetzt eine neue Zeitrechnung an …“, begann er und trat einen Schritt auf Jana zu, die unterbrach ihn mit einer heftigen Handbewegung. „Für dich fängt eine neue Zeitrechnung an, da hast du recht. Aber diese Zeit verbringst du ohne mich. Genauso, wie ich die Zeit ab jetzt ohne dich verbringe. Es ist aus, ich habe keine Gefühle mehr für dich und ich möchte jetzt auch nicht einmal sagen, dass es mir leidtut. Die Tatsache, dass du jetzt hier bist, zeigt mir, dass du meine Entscheidung einfach nicht respektierst.“
„Ich liebe dich und ich werde um dich kämpfen, Jana-Schatz“, hauchte er und Jana fuhr jetzt erst richtig aus der Haut.
„Sag mal, welchen Teil von ‚ich habe keine Gefühle mehr für dich‘ hast du nicht verstanden?“, fauchte sie ihn an. Pierre zog gespielt genervt die rechte Augenbraue hoch und schüttelte langsam den Kopf. Diese Überheblichkeit hasste sie an ihm. Er atmete einmal tief durch und setzte wieder diesen schon so oft geübten Bühnenblick auf.
„Jana, das meinst du doch alles gar nicht so. Du bist wütend, weil ich deinen kleinen Ego-Trip störe. Uns steht eine strahlende Zukunft bevor. Wir werden zusammen auf Tour gehen, du und ich und die Jungs. Es wird traumhaft“, schwärmte er.
Jetzt verlor sie vollends die Fassung, stürzte sich auf ihn und trommelte mit ihren Fäusten auf seine Brust. „Ego-Trip? Das nennst du Ego-Trip? Du nimmst mir die Luft zum Atmen, das ist alles andere als ein Ego-Trip! Du verschwindest aus meinem Leben, hast du gehört? Ich werde keinen Schritt mehr mit dir zusammen tun, weder mit dir noch mit deinen Jungs!“
Pierre packte sie und hielt ihre Arme fest. Seine Stimme kippte, und er klang beinahe wie einer dieser Psychopathen aus einem billigen B-Movie, als er sagte: „Du gehörst mir, und wenn ich es will, dann gehst du mit mir zusammen auf Tour, hast du das verstanden?“
Jana entwand sich seinem Griff und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Damit und mit ihrer Schnelligkeit hatte er nicht gerechnet, betroffen hielt er sich die linke Wange und seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Was? Kannst du dich hören? Bist du noch normal oder steigt dir die Band jetzt zu Kopf? Spielst du jetzt ‚Falco‘? Denkst du, ich sei deine Jeanny?“, schrie sie. „Hau jetzt ab, sonst lasse ich die Polizei holen. Du hast sie ja nicht mehr alle, Pierre“, schleuderte sie ihrem Ex-Freund entgegen und wollte an ihm vorbeigehen. Pierre ergriff grob ihren linken Arm. „Du bleibst solange, bis ich mit dir fertig bin“, zischte er und Jana sah das erste Mal so etwas wie Raserei in seinen Augen.
„Da irrst du dich. Ich bin fertig mit dir, Pierre, fahr zur Hölle!“
Sie riss sich los und alle, die auf der sonst so romantischen Terrasse Zeuge dieses Streites geworden waren, sahen seinen hasserfüllten Blick, den er ihr hinterherwarf.
*
Sóller
Getrennt hatten sie die Placa de Constitució verlassen, zusammen schlenderten sie danach noch durch die Altstadt. Sie kamen am Café Scholl vorbei, wo Carola einen Blick in den Innenraum des alt eingesessenen Cafés warf.
„Hier müssen wir auch mal einen Kaffee trinken“, sagte sie. Reto senkte den Kopf und hob abwehrend die Arme. „Mein Kaffeespiegel ist für die nächsten drei Tage gesättigt!“
Sie nahm ihn in den Arm. „Nicht heute, irgendwann“, sagte sie und zog ihn mit sich weiter.
„Was ist denn dein Fazit?“
„Fazit? Neben einem übersättigten Kaffeespiegel?“, scherzte Reto.
„Mmh.“
„Der Mann war Investment-Banker und hat durch den Wall-Street-Crash 2008 im Nachhinein alles verloren, er war Angestellter der Lehman-Brothers in Frankfurt.“
„Wow! In Frankfurt? Ehrlich? Vielleicht bin ich ihm dort sogar schon mal begegnet.“
„Wieso?“
„Mein Ex war doch auch … so ein Bank-Fuzzi.“
Reto fand, dass dieses Wort aus Carolas Mund sehr seltsam klang.
„Ein Fuzzi?“, fragte er schelmisch, „Es gibt in Frankfurt ganze Horden davon.“
Carola lächelte. „Richtig, viele reduzieren die Stadt eben genau auf diese Banken-Szene, dabei gibt es dort viel Schönes zu sehen.“
„Die Skyline mit den Bankgebäuden zum Beispiel“, frotzelte er und erhielt dafür einen Stüber in die Rippen. Reto brachte sich daraufhin in Sicherheit, ging jetzt zwei Schritte neben ihr.
„So viel Schönes wie hier etwa?“
„Natürlich nicht. Spanien ist Spanien und Deutschland ist Deutschland. Du kommst doch auch nicht auf die Idee, Bern oder Luzern mit hier zu vergleichen.“
„Nein, tue ich das nicht?“
„Oooh, du nimmst mich nicht ernst, Reto.“
„Ich nehme dich immer ernst“, sagte er jetzt abgelenkt, von dem was er grade entdeckt hatte. Er lehnte sich neben einer Schreinerei an ein Brückengeländer, sah hinunter auf den kleinen Fluss.
„Hier unten hat dieser Karl dann und wann seine Nächte verbracht“, erklärte er und deutete hinunter.
„Tatsächlich? Hat dir das dieser Frank erzählt?“ Carolas Blick folgte dem Flusslauf und sie stellte sich vor, eine Nacht dort unten verbringen zu müssen. Ihr schauderte bei dem Gedanken, neben Enten, und vor allem, neben Ratten zu nächtigen.
„Ja, neben vielen anderen unschönen Details über das Leben auf der Straße.“
„Ich könnte so nicht leben. Du?“
„Nein, trotz all dieser Freiheits-Romantik. Nein, ich könnte das nicht. Ich könnte ohne Probleme mit dem Rucksack eine Trekking-Tour durch den Himalaya machen, aber auf der Straße leben ohne die Aussicht, irgendwann wieder heimzukehren? Nein, das wäre nicht meins.“
„Freiheits-Romantik? Nennt er dieses Leben romantisch?“
„Nicht direkt, eher schimmert es durch bei dem, was er erzählt.“
„Hat er dir auch erzählt, dass er und dieser Karl ein Auge auf dieselbe Frau geworfen hatten?“
Reto stieß sich vom Geländer ab und sah Carola fragend an. „Woher weißt du das denn?“
„Berufsgeheimnis“, sagte sie lachend, und als er sie weiter mit seinem bohrenden Blick ansah, fügte sie noch hinzu: „Die Kellnerinnen sind hier sehr mitteilsam, wenn man die richtigen Knöpfe drückt.“
Sie holte ihr Handy aus der Tasche und zeigte Reto das Foto, das die Kellnerin und Karl-Uwe zusammen mit Hund Señor Roberto zeigte. Diese hatte es ihr per App geschickt.
„Und jetzt liegt dieser Karl auf dem Armenfriedhof und der Hund ist im Tierheim“, seufzte Reto.
„Vielleicht sollten wir mal dorthin fahren und nach ihm sehen“, sagte Carola spontan. Er wich ihrem Blick aus
„Marie wird dich für diese Idee auf einen Sockel stellen“, sagte Reto resignierend, denn er ahnte, dass Carola nicht ohne diesen Hund das Tierheim verlassen würde.
„Nur mal hinfahren und sehen, wie es ihm geht.“
„Weißt du denn welches Tierheim?“, seufzte Reto und man konnte die deutliche Resignation in seiner Stimme nicht überhören.
„Sicher weiß ich das“, antwortete Carola augenzwinkernd und forderte ihn mit einem Kopfnicken auf ihr zu folgen.
*
Deià
Juan lag auf einer der weißen Liegen, die vor dem Hotelpool standen, in der Hand einen Margarita-Cocktail und beobachtete Lothar Mensing, der im kleinen Pool des Hotels versuchte ein paar Bahnen zu schwimmen. Die Sonne stand noch recht tief und erreichte bisher nur seine Füße und Waden, der Rest der Stelle lag im Schatten. Juan betrachtete seine Zehen, es fröstelte ihn. Kurz überlegte er, ob er auf eine andere Korbliege wechseln sollte, die schon in der Sonne stand. Doch war er zu faul, um aufzustehen. Er stellte das Cocktailglas neben sich auf den Tisch, fischte nach seinem T-Shirt, das auf dem Kopfteil der Liege lag, und zog es an.