Catharsis - Schatten und Wahn - Jonas Eideloth - E-Book

Catharsis - Schatten und Wahn E-Book

Jonas Eideloth

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Beschreibung

Catharsis reißt den Leser vom ersten Augenblick in eine Welt voller dunkler Abgründe. Zwischen Kneipen des niedrigsten Abschaums und aufgeheizten Clubanlagen entfaltet sich die düstere Odyssee eines gnadenlosen Killers der droht, dem Wahnsinn zu verfallen. **** Im Jahr 2023 leben unter einer Großstadt im Verborgenen die Ausgeburten der menschlichen Mythologie. Um zu verhindern, dass deren Existenz ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, eliminieren sogenannte Jäger diejenigen, die versuchen, diese parahumanoide Bevölkerung zu enttarnen. Einer jener Jäger ist Remus Dracon, der bei einem seiner Aufträge eine geheimnisvolle Schattenanomalie beobachtet. Auf der Suche nach deren Ursprung begibt er sich in die tiefsten Abgründe der mythischen Gesellschaft während sein Verstand im Wahnsinn seiner grausamen Vergangenheit versinkt. *** Der spannende und actiongeladene Roman entführt den anspruchsvollen Leser in bildgewaltige Welten. Gefühlvoll und detailliert geschrieben lädt er dazu ein, in die verkommene Gesellschaft phantastischer Wesen und den inneren Wahnsinn des Protagonisten einzutauchen. Die Geschichte fesselt mit monumentalen Kämpfen und psychischen Qualen, die unter die Haut gehen und noch lange im Gedächtnis bleiben.

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Seitenzahl: 333

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Titelseite1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. KapitelNachwortAutorImpressum

CATHARSIS

Schatten und Wahn

-Dark Fantasy-

Katharsis ist die Befreiungvon seelischem Übel,mit Hilfe emotionalen Erlebens.Doch wie weit würdest du gehen,um deine Seele zu befreien?

1. Kapitel

"Ich verstehe. Danke.“ Mit zitternden Händen legte Blake auf, verpasste dabei knapp den Tisch und ließ den Hörer einfach zu Boden fallen. Er merkte es nicht einmal, wie das billige Plastikgehäuse zu seinen Füßen zerbrach und nur noch kleine Einzelteile zurückließ. Der Mann stand noch immer unter Schock und starrte in die Finsternis seines nächtlichen Wohnzimmers, bis ihm klar wurde, was diese verhängnisvolle Nachricht für ihn bedeutete. Man hatte den grauen Jäger auf ihn angesetzt und es gab keine einzige Kreatur auf dieser Welt, die seiner Jagd jemals entkommen war. Jedenfalls nicht lange. „George?“  George Blake erwachte aus seiner Schockstarre und sah seine Frau im Durchgang zur Küche stehen. Sie trug ein geblümtes Nachthemd, es war ein Geschenk von ihm gewesen, aber mittlerweile spannte es sich schon um ihren immer dicker werdenden Bauch. Er hatte sich sehr auf den neuesten Familienzuwachs gefreut, doch im Augenblick zweifelte er daran, sein letztes Kind jemals kennen zu lernen. „Komm wieder ins Bett, Schatz. Es ist erst halb fünf.“ George sah auf die Standuhr, es war vier Uhr sechsundzwanzig. Mit etwas Glück erleben wir noch die Fünf, dachte er. Er trat auf seine Frau zu und zog ihren, mit warmen Fell bedeckten Körper an sich: 

„Elisabeth, hör jetzt ganz genau zu, was ich dir sage. Zieh dich an, schmeiß alles, was du für wichtig hältst in einen Koffer und mach dich bereit, abzufahren. Ich wecke die Kinder.“

Elisabeth sah ihn verdutzt an und in ihrem schläfrigen Gesicht machte sich Sorge breit.

„Was ist los? Wenn das ein Scherz sein soll, ist es dafür verdammt früh.“

-“Das ist kein Scherz, bitte mach einfach, was ich dir sage.“ Wenigstens seine Familie wollte er retten. Blake hatte einen Freund, in dessen Besitz sich eine kleine Waldhütte befand. Seine Frau und die Kinder wären dort sicher, so lange, bis die Sache ausgestanden war. 

„George Horatio Blake!“, wetterte Elisabeth. „Du erklärst mir SOFORT, was hier los ist!“

Mit einem raschen Blick auf die Uhr küsste er seine Frau kurz auf die Stirn und rief „Ich erklärs dir im Auto“, während er sich auf den Weg treppauf in die Kinderzimmer machte.  Er riss eine weiße Holztür auf, auf der mehrere Tieraufkleber sowie ein krakelig geschriebener Name stand. „James“. Er ist gerade einmal acht Jahre alt und würde schon bald seinen Vater verlieren, schoss es George durch den Kopf, aber er versuchte, den Gedanken rasch wieder zu verdrängen.

„James?“ Er schaltete das Licht ein und trat leise an das Bett heran. Es war leer.

„James!“ George hastete voller Furcht aus dem Zimmer, sein Herz begann schneller zu schlagen. War der graue Jäger etwa bereits hier? „Scheiße, James, wo bist du?“ brüllte er durch das ganze Haus, als ihn plötzlich etwas am Bein packte. Erschrocken fuhr Blake herum und sah den kleinen, blonden Jungen im Schlafanzug mit seinem Kuschelhund im Arm neben ihm stehen.

 „Daddy, man darf doch nicht fluchen.“

Noch nie in seinem Leben war er so erleichtert gewesen.  „Stimmt, mein Großer, tut mir leid. Was machst du denn mitten in der Nacht auf dem Flur?“

-“Ich hatte Durst und wollte im Bad was trinken, weil Mami und du unten wart.“ James wirkte beschämt.  „Schon gut, zieh dir was Richtiges an und pack deinen Hund in den Rucksack, wir fahren in den Urlaub. Ich wecke nur noch kurz deine Schwester, in Ordnung?“ Ein freudiges Glitzern machte sich in den Kinderaugen breit und der Junge hüpfte in sein Zimmer. „Ja! Urlaub, Urlaub, keine Schule!“

Hinter sich hörte George eine genervte Stimme. „Nicht nötig, mich zu wecken, Dad, du hast mit deinem Geschrei die ganze Nachbarschaft in Panik versetzt.“ Cathrin war fünf Jahre älter als der kleine James und kam ganz nach ihrer Mutter. Sie hatte leuchtend grüne Augen und ein elegant schmales Gesicht, bedeckt mit schneeweißem Fell.

„Cathrin, du hast es ja gehört, pack schnell deine Sachen.“ Sie verdrehte genervt die Augen. „Hey, ich bin kein kleines Kind mehr. James glaubt dir vielleicht, dass wir in den Urlaub fahren, aber ich bin nicht so blöd wie die kleine Rotznase.“  „Bitte, tu mir einmal den Gefallen und diskutiere nicht rum, okay? Pack einfach deine Tasche.“

Mit einem entnervten Stöhnen ging Cathrin zurück in ihr Zimmer und schlug unter lautem Krachen die Tür zu.  George wollte sich gerade daran machen, sich umzuziehen, als Elisabeth aus dem Schlafzimmer nach ihm rief.  Er betrat den Raum und sah seine Frau inmitten fein säuberlich aufgereihter Blusen, Hemden und Hosen stehen. Sie hielt mit einer Hand prüfend ein rotes Kleid vor den Spiegel, mit der anderen stellte sie verschiedene Paar Schuhe davor.

„Hmmm die Farbe... Ah, George, da bist du ja. Soll ich dir lieber das grün karierte oder das graue Hemd einpacken? Ich weiß ja, dass grau gut zu deinem Hautton passt, aber das Grüne-“

„Verdammt!“ fuhr er sie an. „Hast du es denn nicht kapiert? Wenn wir nicht schleunigst verschwinden, dann werdet ihr den Sonnenaufgang nicht mehr erleben!“ Hastig warf er einen Blick auf den Wecker, es war zwei Minuten vor fünf. Elisabeth begann zu schluchzen. „Ich wollte doch nur-“

„Ja, ich weiß, Liebling. Es tut mir leid. Geh schon mal runter zum Auto, okay?“

Blake schmiss alle Kleidungsstücke in den Koffer, verschloss ihn und verließ damit das Schlafzimmer, jedoch ohne sich umgezogen zu haben. Echte Helden können ihre Familie auch im Schlafanzug retten, dachte er und musste grinsen.  Auf dem Weg nach unten sah er Cathrin mit einer gigantischen Reisetasche und Kopfhörern in den Ohren. Der kleine James war auch noch im Schlafanzug und band sich gerade im Schneckentempo die Turnschuhe zu.  Vielleicht war ihm das Glück ja doch hold und der graue Jäger verspätete sich. Blake begann wieder etwas Mut zu fassen, während er seiner Frau und den Kindern ins Auto half, bevor er sich selbst hinters Steuer klemmte. Sein rötlicher Blick richtete sich auf die Uhr am Armaturenbrett. Es war zwanzig nach fünf und sie lebten immer noch. Blake hoffte inständig, dass es so blieb und fuhr hinaus in den frühen Morgen.

***

Zehn Minuten.

Die dunkle Gestalt des Jägers lag verborgen zwischen Antennenmasten, Stromleitungen und Schornsteinen, die ihren dichten Qualm in die morgendliche Luft spuckten, auf dem Dach eines mehrstöckigen Gebäudes.

Der stechende Blick des Mannes fixierte eine Straßenkreuzung direkt unterhalb seiner Position.

Die Herausforderung, seiner Arbeit an einem öffentlichen Ort nachzugehen, beflügelte ihn und er erlaubte sich, leichte Euphorie zu empfinden, während er auf sein Opfer wartete.

Akribische Planung und kompromisslose Ausführung, darauf konnten sich seine Auftraggeber stets verlassen.

Die Regierung der unterirdischen Stadt hatte ihr Geld gut bei ihm angelegt und in exakt neun Minuten ein wesentliches Problem weniger.

Ein kühler Wind strich über ihn hinweg und ließ seine halblangen braunen Haare leicht wehen. Der Herbst war unerbittlich auf dem Vormarsch. Er freute sich bereits, nach dem Ausführen des Auftrags, den Tag gemütlich bei einem Glas Whiskey zuhause vor dem Kamin zu verbringen.

Womöglich schaute er am späteren Abend noch im Schattenviertel vorbei.

Er griff zur Seite und öffnete einen länglichen Koffer. Mit einer schnellen Bewegung rollte er sich auf den Rücken und baute sein modifiziertes Scharfschützengewehr zusammen. Mattschwarz, extrem hohe Durchschlagskraft und unglaublich präzise.

Die von dieser Waffe verschossenen Kugeln waren fein ziselierte Einzelanfertigungen.Barocke Elemente wanden sich um die mattbronzen schimmernde Ummantelung.

Sinnierend drehte er eine der Patronen zwischen seinen Fingern.

Das Gewehr lud er nur zur Sicherheit, brauchen würde er es wohl nicht, sein Plan sah Anderes vor.

Er blickte wieder hinab zur Kreuzung. Sicherlich wären nach Beendigung des Auftrages auch zwei Gläser Whiskey zusammen mit guter Musik angebracht. Hoffentlich war die neue Scheibe der Crosscoix heute angekommen. Er brauchte neue Inspiration.

Ein knapper Blick auf seine absolut präzise arbeitende Uhr sagte ihm, dass Mr. Blake die letzten Minuten seines Lebens bevorstanden.

Er mochte die Uhr, sie war ebenfalls eine Spezialanfertigung und unheimlich teuer gewesen. Das offene Uhrwerk erlaubte ihm einen Blick auf die sich beständig drehenden Zahnräder, versehen mit edlen Steinintarsien.

Nach seiner letzten Information hatte Mr. Blake seine Familie mit im Wagen sitzen, um seinem unerfreulichen Schicksal zu entfliehen. Es würde folglich ein sauberer Schnitt im Familienstammbaum werden.

Der Jäger atmete zweimal tief durch und blickte durch den Sucher seines Gewehres die lange Straßenschlucht hinab. Autos krochen unter ihm entlang wie müde Käfer und ein paar Passanten hasteten dick eingepackt durch die Kühle des frühen Morgens.

Zwei Minuten noch.

Mr. Blake hatte noch in der Nacht gepackt, als die Warnung vor dem grauen Jäger bei ihm eingegangen war. Durch die kleine Kamera, die er bereits vor Blakes Haus angebracht hatte, konnte der Jäger beobachten wie der Mann seine Kinder noch im Schlafanzug in den Wagen verfrachtet hatte, doch der Auftrag zur Eliminierung war da bereits zwei Stunden alt.

Mr. Blake hatte die zweithöchste Gefahrenstufe erhalten und niemand hatte ein Interesse daran, dass die Parahumanoide Gesellschaft ins Licht der menschlichen Öffentlichkeit gezerrt würde.

Eine Minute.

Mit einem kurzen Blick überprüfte der Jäger auf seinem Smartphone den sich rasch bewegenden Punkt von Blakes Wagen auf der eingeblendeten Stadtkarte.

Ein metallisches Quietschen erklang und über dem Jäger schwenkte ein Baukran langsam herum. An einer dicken Kette hingen mehrere langsam hin und her pendelnde Stahlträger. Direkt über der Kreuzung beendete der Kran seine Schwenkbewegung.

Dreißig Sekunden.

Die behandschuhte Hand des Jägers rief auf seinem Smartphone eine App auf. Ein einzelner roter Knopf vor schwarzem Hintergrund wurde eingeblendet.

Mit einem Seitenblick registrierte er Blakes Wagen, der soeben vor der roten Ampel an der Kreuzung zum Stehen gekommen war. Die rote Lampe spiegelte sich in der Frontscheibe, die Insassen waren nur schemenhaft zu erkennen.

Zehn Sekunden.

Die rote Spiegelung auf dem Wagen wechselte zu Grün und sein Finger senkte sich auf den roten Knopf.

Der Jäger vernahm einen leisen Knall, der vom Wind davongeweht wurde, gleichzeitig übertönt von einem metallischen Kreischen, als die Stahlträger plötzlich in Schräglage gerieten.

Blakes Wagen fuhr an.

Mit einem Knall barst die haltende Kette und erste aufgeregte Schreie von aufmerksamen Passanten hallten durch die Straße.

Die Stahlträger fielen als gnadenloser Regen in Richtung Erdboden und mit donnerndem Klirren wurde das Auto begraben.

Metallstreben des Wagens knickten unter der Wucht ein. Blut besprühte die von Rissen blind gewordene Frontscheibe und lief in breiten Schlieren im Inneren herab. Reifen platzten, Rauch stieg aus dem vollkommen zerstörten Motorraum auf.

Ein bestialisches Brüllen marterte das Gehör des Jägers und die blutbesudelte Frontscheibe wurde mit Wucht aus ihrer Verankerung geschlagen.

„Mr. Blake, leben Sie denn noch?“, flüsterte der Jäger leise und richtete konzentriert das Fadenkreuz seines Gewehres auf das Dunkel im Wagen.

Er sah ein gelbliches Augenpaar hasserfüllt aufleuchten.

Der Finger des Jägers krümmte sich langsam um den Abzug, doch gerade als er abdrücken wollte, wurde der Wagen von einem grell leuchtenden Feuerball zerrissen.

Selbst die Stahlträger wurden von der Explosion ein Stück weit davongeschleudert. Die heiße Woge der Flammen brandete bis zur Dachkante hinauf und versetzte die Haare des Jägers in Bewegung.

Kurz darauf zog sich das Feuer in den Wagen zurück und vollbrachte prasselnd sein endgültiges Vernichtungswerk. Dichte, schwarze Rauchschwaden brachten den Geruch von verschmortem Gummi und Horn in die Straßen.

Auftrag erledigt.

Der Jäger legte das Gewehr zur Seite und schob sich von der Gebäudekante zurück. Vorsichtig richtete er sich auf, doch bei einem letzten Blick zurück auf den brennenden Wagen stutzte er.

Die zuckenden Schatten, die von den Flammen geworfen wurden, konzentrierten sich immer wieder zu tiefer Schwärze und schienen sich zitternd zu strecken.

Selbst der Schatten einer älteren Dame verschärfte plötzlich seine dunklen Konturen und kroch, sich selbstständig machend, mit zitternden Gliedern über den grauen Asphalt der Straße auf den brennenden Wagen zu, ohne sich über Licht- und Schattenverhältnisse Gedanken zu machen.

Er wischte sich über die Augen und sah noch einmal hinab.

Ein letzter Schattenfetzen zog sich gerade in die Flammen hinein, dann war nichts mehr zu sehen.

Einen kurzen Moment blieb der Jäger noch überlegend stehen, dann verstaute er ordentlich sein Gewehr und schritt in Richtung Treppenhaus. Der Kies auf dem großen Flachdach knirschte unter seinen Stiefeln.

Über seine Beobachtung sollten sich seine Auftraggeber Gedanken machen, es war nicht seine Sache.

2. Kapitel

Ein quadratisches, flaches Paket lehnte vor der zerschrammten Türe zu Appartement 23 am Ende des langen Flures. Die Bodendielen des barocken Altbaus knarrten unter den schweren Schritten des Jägers.

Ah, meine neue Platte, dachte er und hob voller Vorfreude den Karton auf. Mit der anderen Hand entriegelte er die Wohnungstüre und der Geruch von erloschenem Holzfeuer empfing ihn.

Den länglichen Waffenkoffer platzierte er im Inneren, direkt neben dem Eingang, um mit routinierten Handgriffen den Zugang wieder zu verriegeln.

Er war stolz auf die unscheinbare Holztür, die in ihrem Inneren einen Kern aus massivem Stahl verbarg. Der umlaufende Rahmen war durch lange Armierungen fest mit der Wand, Boden und Decke verbunden, denn die Sicherheit seiner Unterkunft war ihm äußerst wichtig.

Leise summend schritt er ins Innere seiner edel eingerichteten, hohen Altbauwohnung.

Antike Möbel säumten die Wände und moderne Elemente waren geschmackvoll dezent eingefügt worden. Eine Soundanlage, vereinzelte Werke zeitgenössischer Künstler und Laptop waren Zeugen der neueren Zeit.

Die holzvertäfelten Wände und die dunkle Tapete wurden von ein paar reich verzierten Wandleuchtern mit grünem Schirm erhellt. 

Der Jäger trat an eine breite Kommode mit schwarzer Marmorplatte heran, auf der ein alter Plattenspieler stand.

„Dann wollen wir mal sehen“, murmelte er und öffnete das Paket, um die Schallplatte hervorzuholen.

Die neue Scheibe seiner Lieblingsband war schon lange angekündigt gewesen, sehr lange.

Doch er hatte geduldig gewartet, Crosscoix hatten ihn mit ihrer Musik noch nie enttäuscht.

Vorsichtig setzte er die Nadel auf das satt leuchtende Schwarz der sich drehenden Platte und erste zarte Streicherklänge fluteten aus der Anlage, gefolgt von dezenten Bassschlägen, welche sein Inneres vibrieren ließen.

Genussvoll schloss er die Augen.

Feierabend.

Er schlenderte zu seinem großen Sessel aus dunklem und durch die Jahre abgewetzten Leder. Von einem kleinen Beistelltisch nahm er die bereitstehende, teure Flasche Whiskey und schenkte sich etwas in eines seiner Kristallgläser ein.

Leise knarzte der Sessel, als er sich müde niederließ. Es war ein gutes Gefühl, wieder zu Hause zu sein.

Der Auftrag zur Eliminierung Blakes hatte ihn gegen Mitternacht erreicht und ihm eine durchwachte Nacht beschert. Der Mann hatte sich an ein Pharmaunternehmen verkaufen wollen, um der Menschheit Einblick in die Andersartigkeit und die Möglichkeiten der Parahumanoiden Gesellschaft zu geben, von der diese nichts ahnten. Doch seit dem letzten Krieg vor über achtzig Jahren, achteten die Wächter und Verschleierer des Ministeriums penibel darauf,die Gesellschaft der Parawesen in Mythen und Legenden verschwinden zu lassen.

Wer sich an Uneingeweihte der Humanoiden wandte, wurde gnadenlos gejagt und vernichtet.

DassBlake gewarnt worden war und er sich samt Familie hatte absetzen wollen, rettete ihn nicht mehr.

Nicht vor dem grauen Jäger.

Seine Aufträge waren ihm heilig, genau wie seine Bezahlung und dem Ruf der absoluten Zuverlässigkeit, den er sich über die Jahre hinweg aufgebaut hatte.

Das morgendliche Licht brach sich in den Gravuren des mit Whiskey gefüllten Kristallglases und warf sternförmige Muster in den Raum.

Rauchig, unterlegt mit einer torfigen Note, füllte der erste Schluck seine Kehle.

Perfekt.

Er zog sein Smartphone aus der Manteltasche und tippte auf eine Kurzwahltaste.

„Amt für Außeneinsätze, Valen Gahl, was kann ich für Sie tun?“

„Ich habe eine Eliminierung zu melden.“

„Ihr Name und den Auftrag bitte.“

„Remus Dracon, Auftrag 8493, Eliminierung Blake“, sagte Remus. „Blake samt näheren Angehörigen“, fügte er noch hinzu.

„Bitte?“

„Ehefrau Elisabeth Blake mit dem Nachwuchs Cathrin und James Blake. Überweisen sie bitte meinen Lohn auf das übliche Konto. Vielen Dank“, erklärte er dem Beamten und wollte schon auflegen, als ihm noch ein Detail einfiel. „Ach ja. Notieren Sie noch eine Beobachtung für das Ministerium.“

„Ähm, einen Moment Herr Dracon“, kam es geschäftig vom anderen Ende der Leitung. „Für all das muss ich erst noch das passende Formular heraussuchen.“

Remus nahm noch einen Schluck von seinem Whiskey und wartete.

Im Hintergrund spielte die Band Crosscoix gerade zu einem fulminanten Finale auf, welches durch plötzlich einsetzende Fahrstuhlmusik aus dem Hörer zerstört wurde.

Angewidert erstickte er das Handy mit einem Kissen.

Als ob einfache Ruhe zum Warten zuviel verlangt wäre. Remus schloss tief ausatmend seine Augen, um sich ganz der Musik und dem Geschmack des Alkohols hinzugeben.

Er konnte Beamte nicht ausstehen. Einfach alles an ihnen war so schwach, inkompetent und hilflos und es nervte ihn, dass er trotzdem regelmäßig mit ihnen zu tun haben musste. Zum Glück meist nur am Telefon.

Wenn die oberen Stellen nicht so gut und zuverlässig zahlen würden, hätte er diesen Aufträgen schon längst den Rücken gekehrt.

„…llooo?“, tönte es kaum hörbar unter dem Kissen hervor.

Remus stürzte den letzten Schluck herunter und nahm sein Smartphone wieder auf.

„Ja?“, fragte er mit vom Whiskey angerauter Stimme.

„Ich hätte jetzt das passende Formular da und habe Ihre Angaben eingetragen. Sie wollten noch eine Beobachtung schildern?“

„Nach der Eliminierung gab es ungewöhnliche Schattenbildungen um den Exekutionsort“, fasste Remus die Ereignisse kurz zusammen.

Im Nachhinein schien es ihm nicht mehr sonderlich wichtig zu sein.

„Ungewöhnlich?“, fragte der Beamte nach.

Remus strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und schielte zu der Whiskeyflasche, in welcher die goldbraune Flüssigkeit verheißungsvoll glänzte.

„Schatten verdunkelten sich und strömten zu den Opfern. Möglicherweise auch eine optische Täuschung“, fügte er gedankenverloren hinzu.

Kurz blieb es am anderen Ende der Leitung still.

„Hm, na gut. Ich reiche das dann mal so weiter, Herr Dracon. Wir erwarten Ihren ausführlichen Bericht im Laufe der nächsten Woche. Einen schönen Tag noch.“

Das Freizeichen ertönte und fügte sich passend in die Hintergrundmusik ein.

„Geschafft“, murmelte Remus und lehnte sich entspannt zurück.

Moment. Er richtete sich noch einmal auf, griff zur Flasche und füllte sein Glas zur Hälfte auf. Danach nahm er zwei Eiswürfel aus dem kleinen Gefrierschrank unter dem Beistelltisch.

Mit der anderen Hand regelte er die Musik lauter.

Remus schloss seine Augen und ließ sich in das knarrende Leder sinken, als plötzlich die Türklingel losschrillte.

***

„Idiot!“, dachte der Beamte des Amtes für Außeneinsätze und legte, ohne auf eine Verabschiedung des Gegenübers zu warten, auf.

Er konnte Jäger nicht leiden. Sie waren allesamt arrogante, egozerfressene Idioten mit zu viel Spaß am Töten und absolut überbezahlt auch noch. Im Gegensatz zu ihm, der als guter Beamter dafür sorgte, dass das Zusammenleben mit den Menschen reibungslos verlief. Aber wer fragte schon danach?

„Herr Gahl?“, tönte es aus dem Hintergrund. „Wir bräuchten Sie einen Moment.“

Natürlich, dachte er sarkastisch, als ob es nicht noch genug zu tun gäbe.

Sein alter Schreibtisch aus dunkler Eiche war zwar ordentlich aufgeräumt, doch am rechten Ende lag ein ganzer Stapel zu bearbeitender Formulare. Diesen wollte er noch bis Feierabend abgearbeitet haben.

Ein großer Röhrenbildschirm zeigte die Meldung, dass die Eliminierungsbenachrichtigung, welche er gerade getippt hatte, erfolgreich abgeschickt worden war.

„Bin gleich da“, rief er zurück.

Valen Gahl erhob sich aus seinem durchgesessenen Bürostuhl und trank seine Tasse Pfefferminztee aus. Sein Blick ruhte dabei auf einem alten Sepiafoto.

Darauf war eine Gruppe verkleideter Personen zu sehen, die auf einer breiten Treppe stand und winkte.

Er lächelte leicht und freute sich bereits auf das nächste Treffen mit der Theatergruppe, der er seit ein paar Jahren angehörte. Sie hatte ihm damals sehr geholfen, über seine Trennung hinwegzukommen.

Valen stellte die Tasse zurück und schritt durch einen Mittelgang auf den Bürobereich seiner Vorgesetzten zu.

Staubiges Licht fiel durch die hohen Fenster des Ministeriums in den langen Raum, in dem Schreibtische ordentlich hintereinander aufgereiht standen. Alle waren bestückt mit alten Röhrenbildschirmen, Telefonen und Papierbergen. Vereinzelt sah man private Gegenstände wie Familienphotos oder Plüschtiere verloren zwischen all den Formularen und Stempelkissen hervorlugen.

Viele Beamte tippten fleißig Texte in ihre Rechner oder lasen Dokumente, der ein oder andere nippte dabei an einer Tasse.

Valen liebte den warmen Geruch von Staub, Papier, Kaffee und Tee, der stets in der Arbeitsstube schwebte.

Vor einer mit Milchglas versehenen Tür, auf welcher in nahezu antiken Lettern ´Büro´ stand, empfing ihn eine überdurchschnittlich hoch gewachsene Person. Ein zu kurz geschnittener Anzug hing schlaff an dem hageren Leib.

„Was gibt es denn?“, fragte Valen.

„Es geht um Ihr zuletzt geschicktes Formular“, sagte der Hagere mit krächzender Stimme. „Wir müssten uns da kurz mit Ihnen unterhalten. Folgen Sie mir bitte.“

Der hoch Gewachsene, der eine wirklich ungesund blass wirkende Hautfarbe aufwies, öffnete die Türe und führte Valen in einen kurzen Gang. Mehrere Türen, an deren Seiten goldene Namensschilder prangten, reihten sich aneinander.

Valen war nicht oft hier, im Allerheiligsten seiner Vorgesetzten und blickte leicht neidisch auf die kleinen privaten Büroräume. So eines hätte er auch gerne.

Fast am Ende des Ganges angelangt, blieben sie vor einer Türe stehen, neben der ´Graf Contier´ stand. ´Leiter für Außeneinsätze´ stand in kleineren Lettern unter dem Namen.

„Bitte“, sagte der hoch Gewachsene und öffnete einladend die Türe.

„Dankeschön“, murmelte der Beamte und trat ein.

Ein kleines Büro empfing ihn. Aktenschränke rechts und links, vor dem Fenster ein großer Schreibtisch mit zwei Besucherstühlen davor.

Valens Blick wurde derweil unweigerlich von einem in einer Ecke unpassend platziertem Ölgemälde mit schwerem Goldrahmen angezogen, das einen siegreichen Heerführer in heroischer Pose zeigte.

Auf dem gewaltigen Sessel hinter dem Schreibtisch thronte Graf Contier.

„Setzen Sie sich, Herr Gahl“, sagte dieser mit tiefer, ruhiger Stimme. Sein Gesicht war schmal und kantig. Tief liegende blaue Augen unter dichten Augenbrauen fixierten Valen.

Der Beamte ließ sich nieder und betrachtete die filigranen Schnitzereien am Schreibtisch.

„Es geht um die letzte Beobachtung des Jägers Dracon. Das Formular, das Sie vor Kurzem abgeschickt haben.“

„Ja, Herr Contier?“, fragte Valen beunruhigt. Hatte er etwa einen gravierenden Fehler beim Ausfüllen begangen?

„In aller Kürze“, redete sein Vorgesetzter geschäftig weiter, „in der oberen Etage wollen einige Leute mehr über diese ´Schattensichtung´ wissen.“ Der Tonfall Contiers machte deutlich, dass er nicht viel davon hielt. „Nachdem dieser Jäger nicht gerade für seine Kommunikativität bekannt ist, werden Sie beauftragt, sich in der oberen Stadt mit ihm zu treffen und diesen Fragebogen durchzuarbeiten.“ Graf Contier schob ihm eine Mappe über den Schreibtisch zu.

„Achten Sie bitte darauf, dass er alles ordentlich ausfüllt.“

Zunehmend schlecht gelaunt nahm Valen die Mappe entgegen, sie war dick und schwer.

„Bis wann brauchen Sie die Antworten?“, fragte er.

„Montag, Herr Gahl. Sie sollten sich jetzt gleich auf den Weg machen und das restliche Wochenende in der Oberen Stadt verbringen. Sie haben dort doch auch eine kleine Wohnung?“, sagte Graf Contier, bemüht um einen freundlichen Tonfall und brach dabei einen eingehenden Anruf ab, der sein Wählscheibentelefon zu einem durchdringenden Schrillen brachte.

Valen unterdrückte seine aufsteigende Enttäuschung. Es war Samstag und am Abend wäre eine Theaterprobe angestanden, die er jetzt absagen musste. Doch sein Job als Beamter ging für ihn vor.

„Ich benötige noch die Adresse von dem Herren Dracon“, meinte Valen deprimiert.

„Er meinte zu uns, dass Sie ihn heute Abend in einer Bar Namens ´Anders´ finden können. Im Schattenviertel.“

Valen konnte den Auftrag jetzt schon nicht leiden. Er hasste Außeneinsätze, vor allem wenn er dadurch in Gegenden wie das Schattenviertel kam. Das Viertel war nicht gerade bekannt dafür, ein gastfreundlicher Ort zu sein. Trotz oder gerade weil es ausschließlich von Parahumanoiden bevölkert wurde. Besonders von Jenen, die in der Unteren Stadt nicht gerne gesehen wurden.

„Dann werde ich mich wohl gleich auf den Weg machen, Herr Contier. Auf Wiedersehen“, verabschiedete er sich.

„Auf Wiedersehen, Herr Gahl. Wir erwarten Ihren Bericht am Montag“, sagte der Graf und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

Valen nahm die Mappe und verließ das Büro.

Zurück an seinem Schreibtisch, schaltete er den Rechner aus und warf einen letzten Blick auf die wartende Arbeit. Er würde sich in der nächsten Woche darum kümmern.

Valen nahm seine lederne Aktentasche, schob den Bürostuhl ordentlich zurecht und verließ die Arbeitsstube in Richtung Treppenhaus. Unterwegs grüßte er noch zwei Kollegen, während in seinem Inneren die Enttäuschung über das verlorene Wochenende wütete.

In der großen, mit Marmor ausgekleideten Eingangshalle des Ministeriums, traf er auf Mytha, eine Harpyie mit wunderbar weißen Flügeln. Ihre Fußkrallen klapperten leise über den kalten Stein, als sie, in ein ordentliches Businessdress gekleidet, hinter dem Empfangsschalter hervorkam.

„Hallo Valen“, sagte sie mit ihrer hohen Stimme, von der er immer wieder leicht an den Ruf eines Greifvogels erinnert wurde. „Kannst du zur Probe heute Abend die Hutrequisiten mitbringen?“

„Leider nicht“, antwortete er und musste sich eingestehen, dass die Nähe der Frau seinen Herzschlag mal wieder beschleunigte. „Ich werde wegen einer Befragung in die Obere Stadt geschickt. Tut mir leid.“

„Wie schade“, meinte Mytha enttäuscht. „Dann sehen wir uns wohl erst wieder nächste Woche bei der Probe.“

Valen nickte. „Grüß die Anderen von mir“, verabschiedete er sich.

„Gerne“, rief sie ihm nach und verschwand hinter dem Empfangsschalter.

Valen versuchte schnell aus ihrer Nähe zu entkommen. Er mochte sie wirklich.

Harpyien faszinierten ihn schon lange und Mytha sah einfach unglaublich gut aus. Der Moment, wenn sie ihre Flügel ausbreitete, jagte ihm jedes Mal Schauer der Ehrfurcht über den Rücken.

Er hatte sie schon dutzende Male in ein entzückendes kleines Café gegenüber des Ministeriums einladen wollen, doch getraut hatte er sich nie.

Irgendwann würde er sie fragen, aber jetzt war es Zeit, zuerst diesen unleidigen Auftrag hinter sich zu bringen.

Er schob eine der meterhohen Türen auf, deren kühle Bronzegriffe ihn jeden Tag willkommen hießen und wieder verabschiedeten und trat vor das riesige Regierungsgebäude.

Große Säulen trugen den vorspringenden Giebel und eine breite Treppe führte auf den gepflasterten Hauptplatz der Unteren Stadt `Arthrago` hinab, die in einer gewaltigen Höhle, versteckt unter einer Menschenmetropole lag.

In der Mitte des Platzes lag der Siegesbrunnen, ein organisches Steingebilde, aus dem sich an verschiedenen Stellen die unterschiedlichsten ´mythischen Kreaturen´ schälten. Der Brunnen sollte an den letzten großen Krieg, genauer gesagt, an die Schlacht der dreizehn Heerscharen erinnern. Ein Krieg, welcher über drei Jahrzehnte mal offen, mal versteckt vor der Menschheit geführt worden war und schließlich den Frieden hervorgebracht hatte, der jetzt zwischen den Völkern herrschte.

Die immer brennenden Laternen tauchten den ganzen Platz in warmes Licht und verwandelten die Untere Stadt in einen leuchtenden Stern umgeben von der ewigen Dunkelheit der schützenden Kaverne.

Die Höhle war so groß, dass sie nicht nur die dreißigtausend Einwohner starke Stadt beherbergen, sondern ihre Bevölkerung auch ernähren konnte.

Hunderte Felder waren um die Stadt herum angelegt und aus den äußeren Industriegebieten stieg Rauch zur weit entfernten Höhlendecke auf, wo er von riesigen Ventilatoren abgesaugt wurde.

In der Ferne konnte Valen vereinzelte Scheinwerferlichter von LKWs erkennen, welche auf schmalen Serpentinenstraßen in Richtung Oberfläche krochen. Der Handel mit einzigartigen Produkten bescherte der Unteren Stadt einen bescheidenen Wohlstand.

Er mochte den Blick über den Hauptplatz, der verschiedenste Baustile erkennen ließ. Barocke Prachtbauten standen neben zarten Jugendstilgebäuden und Industriestil vermischte sich mit praktischen Baulösungen.

Kabel und Antennen wucherten überall hervor und suchten sich ihren Weg nach oben, wo ein Zeppelin gerade durch die Luft glitt, bevor er im Rauch von hunderten Schornsteinen verschwand.

Valen schritt die Treppe hinab.

Am unteren Ende stand ein Mann, dessen breiter Hals in einen silbrig geschuppten Fischkopf überging. Mit geschlossenen Augen spielte er auf einer Geige eine fröhliche Melodie.

Valen warf ihm eine kleine Münze in den bereitstehenden Hut. Auch kleine Kultur sollte man unterstützen. Er dachte an seine Theatergruppe und seufzte tief.

Auf dem Platz angekommen, winkte er ein Taxi heran. Ein geschmackvoller Wagen, ähnlich der Marke ´Phantom´ aus den zwanziger Jahren hielt vor ihm.

Valen öffnete die hintere Tür und ließ sich in das kühle Leder der Sitzbank sinken.

„Fahrstuhl Obere Stadt Ost, bitte“, sagte er zu dem Fahrer, der den Wagen mithilfe mehrerer Tentakeln bediente.

Der sich ihm zuwendende Kopf wies große Ähnlichkeiten mit einem Kraken auf.

„Kein Problem, Sir“, sprach er mit leicht glucksender Stimme.

Seit sich in den Seereichen politische Spannungen entwickelt hatten, kamen immer mehr Wasserwesen in die Stadt. Zumindest jene, die auch ohne Wasser zurecht kamen.

Der Wagen fuhr zügig an, holperte über das Kopfsteinpflaster und bog in eine dunkle Gasse ein.

„Was haben Sie denn vor in der Oberen Stadt?“, fragte der Fahrer während er den Taxameter einstellte. „Ich selbst bin ja schon lange nicht mehr dort gewesen. Die Leute dort oben gefallen mir nicht sonderlich.“

„Ich muss beruflich nach oben“, antwortete Valen, während der Wagen mehrmals scharf abbog und einen der unzähligen Wasserläufe mithilfe einer kleinen Brücke überquerte.

Das Wasser glänzte kurz golden auf und Valen erkannte ein einzeln vertäutes Boot, dann tauchten sie schon wieder in die nächste Straßenschlucht ein, in der unzählige Wäscheleinen kreuz und quer über ihnen gespannt worden waren. Eine Gruppe Zylinder tragender Ghule stand am Wegesrand und war in eine Diskussion vertieft.

„Ah, beruflich. Ich war vor längerer Zeit einmal mit einem Kunden oben. Keine Ahnung warum der wollte, dass ich ihn bis ganz hoch fahre und dann auch noch dort durch die Stadt kutschiere. Bei meinem Äußeren kein leichtes Unterfangen, das sage ich Ihnen“, lachte der Fahrer.

„Mhm“, meinte Valen und dachte kurz darüber nach, den Fahrer auf mehrere Paragraphen aufmerksam zu machen, die eine solche Fahrt eindeutig als Straftat festlegten, ließ es aber bleiben.

„Es war auch ein recht seltsamer Kunde. Er besuchte unglaublich viele Menschengeschäfte, auf der Suche nach einem Ring für seine Angebetete. Als ob wir hier unten nicht die weit besseren Handwerker hätten“, setzte der Taxifahrer seinen Monolog fort.

Sie fuhren an Arkadengängen entlang, wo Geschäfte alles zum täglichen Leben und weit mehr anboten. Valens Blick wurde dabei von einem kleinen Teegeschäft angezogen, das er öfters besuchte.

Gedankenverloren beobachtete er die verschiedensten am Fahrzeugfenster vorbeieilenden Kreaturen.

Schließlich ließen sie das Viertel hinter sich und fuhren an einem der Industriegebiete vorbei. Hohe Schornsteine reckten sich in Richtung der dunklen Höhlendecke und lange, backsteinerne Gebäude säumten den Weg.

Das Taxi fuhr inzwischen über rissigen, von Schlaglöchern gezierten Asphalt, so dass Valen immer wieder unsanft durchgeschüttelt wurde, als der Fahrer auf der langen Geraden beschleunigte.

Mitten im Industriegebiet erhob sich eine der großen Felssäulen, die vom Grund der Höhle bis zur weit entfernten Decke reichten und diese stützten. Helle Strahler waren an ihr angebracht und warfen ein allgemeines Licht auf die Industrieanlagen.

„Und was machen Sie so beruflich, wenn ich fragen darf?“, erkundigte sich der Taxifahrer und warf Valen einen kurzen Blick durch den Rückspiegel zu.

„Schreibtischjob“, antwortete er.

„Nicht so unternehmungslustig, oder? Sie sehen mir auch eher etwas ruhiger aus. Nichts für ungut, ich finde das sehr vernünftig“, meinte der Fahrer mit seiner glucksenden Stimme.

„Ich bin froh, wenn ich in Ruhe meine Sachen erledigen kann“, sagte Valen, leicht genervt von dem unablässigen Geplapper. Er blickte auf die Uhr neben dem leuchtenden Taxameter und hoffte, diese ganze Sache bald hinter sich gebracht zu haben. Zumindest hätte er dann den späten Abend und den morgigen Sonntag über seine Ruhe.

Ruhe genug, um ein neues Buch seines Lieblingskrimiautors zu lesen, das geduldig in seiner Aktentasche wartete.

Die letzten Gebäude des Industriegebietes verschwanden hinter ihnen und eine lange gerade Straße zog sich in die Dunkelheit. Gelegentlich tauchten rechts und links einzelne Laternen auf, die zerbrechlich wirkende Lichtinseln gegen die Schwärze der Höhle verteidigten.

Der Taxifahrer beschleunigte weiter.

„Soo, bald hätten wir es geschafft. Fahrstuhl Obere Stadt Ost.“

Vor ihnen schälte sich wieder eine der großen Säulen aus der Dunkelheit. Nachdem sie näher gekommen waren, konnte Valen am Fuße ein Gebäude ausmachen, woraus sich gläserne Röhren bis hinauf zur Decke zogen. In ihnen bewegten sich Plattformen rasch nach oben und unten.

Schließlich fuhr das Taxi auf einen größeren Vorplatz der Fahrstuhlstation und hielt in einer der letzten freien Parkbuchten.

„Das macht dann achtzehn, fünfzig und viel Erfolg bei Ihren Geschäften“, sagte der Taxifahrer und hielt ihm einen schmierigen Tentakel entgegen.

Valen reichte ihm einen Zwanziger und stieg aus.

„Passt so und einen schönen Tag noch“, verabschiedete er sich und war froh, das Taxi hinter sich gelassen zu haben.

Zügig schritt er auf das an der Front komplett verglaste Gebäude zu. Organische, fein ausgearbeitete Ranken aus bronziertem Stahl fassten das Glas ein.

Valen sah sein Spiegelbild in der Vordertüre und richtete reflexartig mit einem kurzen Griff den Kragen seines Anzuges unter dem karierten Trenchcoat. Danach erst öffnete er die Türe und betrat die Station.

Auf nach oben.

Immerhin konnte er nach dem Gespräch mit dem Jäger das Wochenende unter normalen Menschen verbringen, was ihm meist sogar lieber war, als unter den anderen Parakreaturen zu verweilen.

Wobei der Gedanke daran, gleich ins Schattenviertel zu gelangen, seine Laune doch wieder stark verdarb.

3. Kapitel

Remus Dracon schritt durch das Schattenviertel.

Dass ein solcher Ort, voller fabelhafter und mythologischer Wesen, der niemals entdeckt werden durfte, mitten in einer Menschenstadt lag, war natürlich ein Risiko. Doch mehrere Maßnahmen sicherten den Ort gegen das ungewollte Entdecken ab.

Wachtruppen im Außenbereich und die Lage im übelsten Teil der Menschenmetropole waren natürlich von Vorteil, doch selbst wenn ein Mensch das Viertel betreten und seine absonderlichen Bewohner gesehen hätte, wäre er danach direkt in eine psychiatrische Anstalt überwiesen worden. Das waren jedoch nur einige wenige Gründe, weshalb das Viertel seit Jahrzehnten unentdeckt geblieben war.

Jetzt in den Abendstunden waren die Gassen gefüllt mit Leben und Remus musste sich immer wieder durch eifrig palavernde Gruppen hindurchschieben.

Gestalten in langen Kapuzenumhängen kamen wie er hauptsächlich aus Richtung der Viertelaußengrenzen.

Offen schlenderten Minotauren, Harpyien und ein Faun in teils unauffälliger, teils ausgefallener Kleidung umher. Eine Gruppe bleicher Gestalten stand im Schatten eines Vordaches vor dem Abgang in eine Kellerkneipe. ´Blutschänke´ stand in roten Lettern über dem Eingang.

Wie kitschig, dachte Remus und richtete seinen schwarzen Mantel. Eine schwere Vollautomatik, welche er immer mit sich führte, zog die Jacke auf der rechten Seite leicht nach unten.

Er schritt unter einer niedrigen Brücke hindurch, an der mehrere Laternen baumelten, die von kleinen Wesen umflattert wurden. Eine dickliche Frau mit gelben Reißzähnen spickte gerade lachend eines der kleine Wesen mit einer langen Klaue auf und steckte das schreiende Ding in ihren breiten Mund. Sie schmatzte genüsslich und spülte mit einem langen Schluck aus einer stark nach billigem Alkohol aussehenden Flasche nach.

Schimpfend flatterten die übrigen kleinen Wesen davon.

Remus hatte am Nachmittag doch weniger Ruhe bekommen, als eigentlich geplant.

Durch das Schrillen der Türglocke kündigte sich unerwartet früh ein Paket aus Frankreich an.

Ein besonderer, langer Dolch vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Die Klinge war versilbert und fein ziselierte Ornamente umrankten die Schneide.

Die Waffe des guten alten Jack.

Remus hatte schon zuhause bleiben wollen, um den Dolch einigen Untersuchungen zu unterziehen, doch der Anruf des Ministeriums hatte aus seinem freiwilligen Abendausflug ins Schattenviertel eine lästige Pflicht gemacht.

Zuhause wollte er sicherlich keinen Beamten empfangen.

Er sollte einen Herren Gahl treffen und wenn ihn nicht alles täuschte, war dies die unfähige Person, mit der er des Öfteren am Telefon zu tun hatte.

Remus hatte keine Lust, auch nur ein einziges Wort mit diesem Beamten zu wechseln und hoffte, dass der Blödsinn nicht allzu lange dauern würde.

Eine Gruppe grölender Zentauren galoppierte an ihm vorbei, als er in eine dreckige Gasse einbog.

Rechts und links von ihm erhoben sich Stahlbetonwände bis weit nach oben in den dunkler werdenden Himmel. Nur noch ein letzter, leicht rötlicher Streifen der sterbenden Sonne war am Ende der schmalen Straßenschlucht zu sehen.

Remus ließ seine Finger über das Ende einer stählernen, stark verrosteten Feuertreppe gleiten, auf der niemand mehr würde fliehen können, ohne sich das Genick zu brechen.

Ein Blick nach oben zeigten ihm lose Kabel, die an einigen Stellen aus der Wand hingen und ein paar wenige Fenster, aus denen schmutzig gelbes Licht hervorschien.

Remus hörte einen fauchenden Streit schräg über sich.

Die Justiz der Unteren Stadt hatte hier oben wenig Macht und so blühte auch der Handel mit Bewusstseinsverändernden Substanzen, was nicht unbedingt zur Friedlichkeit des Viertels beitrug.

Remus selbst mochte solche Verhältnisse und auch die Freiheit, die darin lag.

Rechts von ihm, mit seinem Glatzkopf nahezu direkt unter der Glühbirne einer kleinen Lampe, stand Gork. Dass er fast das komplette Licht der kleinen Funzel verdeckte, schien ihn nicht zu interessieren und auch nicht, dass die paar Haare welche ihm wuchsen, so immer wieder weggeschmort wurden.

„Guten Abend Herr Remus Dracon“, donnerte er.

Remus kannte Gork, seit der Troll angefangen hatte als Türsteher und Rausschmeißer im ´Anders´ zu arbeiten und das war schon einige Jahre her.

„Guten Abend, Gork“, grüßte Remus. „Ich hoffe, mein Stammplatz ist noch frei?“

„Aber natürlich! Wenn nich sag Bescheid“, lachte der Troll dröhnend und gab die schmale Treppe nach unten frei. Eine einfache Stahltüre lag an ihrem Ende, die geziert wurde von mehreren Dellen, Kratzern und vereinzelten Einschusslöchern. Zeugen weniger friedlicher Momente.

„Ich schmeiß deine Platzbesetzer schon raus, falls welche da sind“, setzte Gork nochmal unnötigerweise mit einem breiten Grinsen nach. Dabei entblößte er mehrere, teils abgebrochene Hauer und verströmte einen unerbittlichen Mundgeruch.

„Danke Gork“, sagte Remus. Der Troll war nicht der Hellste, aber trotzdem überdurchschnittlich gut für seinen Job geeignet.

Nachdem er die wenigen Betonstufen hinabgeschritten war, öffnete Remus die schwere Stahltür zum ´Anders´.

Entgegen der Erwartung, welche Außenstehende vielleicht von der Bar aufgrund der Umgebung gehabt hätten, eröffnete sich ein vollkommen anderes Bild.

Klassische Musik strömte dem Besucher entgegen, immer wieder untermalt von dezenten elektronischen und rocklastigen Elementen.

Das Ambiente erinnerte an eine Mischung aus Irish Pub und Wiener Kaffeehaus. Ein langer, holzverkleideter Tresen mit schweren Schnitzereien erstreckte sich geschwungen durch den halben Raum. Dahinter standen aufgereiht eine Vielzahl erlesener alkoholischer Getränke.

Auf den Barhockern davor saßen einige Gäste und ließen sich von der aufreizend gutaussehenden Barkeeperin Jade die Gläser füllen.

Jade war eine reinblütige Harpyie. Ihre mit Ketten behangenen schwarzen Flügel flatterten immer wieder leicht, was ein sanftes Klirren erzeugte. Auch in ihrem Gesicht zeigte sich feiner Goldschmuck.

Ihr Oberkörper war von einem knappen Ledermieder bedeckt, unter dem Rokokotätowierungen hervorrankten und sich um ihren Leib zu schmiegen schienen.

Jade schenkte Remus ein bezauberndes Lächeln, während sie am Zapfhahn einen Krug füllte.

Er nickte ihr zu und wandte sich nach links, tiefer in die Bar hinein. Vorbei an ledernen Sessel- und Couchgruppen, welche vor kleinen Tischen standen, gelangte er nach ganz hinten. Die Sitzgruppen waren durch Holzwände mit Glaseinlagen voneinander getrennt und kleine Lampen verbreiteten gedimmtes Licht.

Sein Stammplatz im dunklen Schatten der hintersten Ecke bestand aus einer kleinen Eckcouch mit zwei Sesseln, sowie einem kleinen Tisch, dessen Umgebung von einer Öllampe schwach erhellt wurde.

Remus mochte den Platz. Aus dem Dunkel heraus konnte er das Treiben in der Bar in Ruhe betrachten und dabei gute Musik, zusammen mit den wahrhaft besten Getränken des Viertels genießen.

Die Bar offerierte darüber hinaus auch Zigarren und Pfeifen mit ganz besonderen Kräutermischungen.

Remus ließ sich entspannt in der Ecke nieder und genoss den Geruch von Leder, mit einer Ölnote, den die kleine Lampe vor ihm verströmte. Dazu mischten sich verschiedene Kräutergerüche des gerauchten Tabaks.

„Was kann ich dir bringen, Remus?“, fragte Jade, die mittlerweile an seinen Tisch getreten war.

„Dasselbe wie immer und eine Zigarre des Hauses bitte.“

„Bekommst du gleich“, sagte sie und verschwand mit wiegenden Hüften zurück zur Theke.

Remus bemerkte wieder einmal, dass bei Jade die Krallenfüße ungemein elegant in ihre schneeweißen, leicht befiederten Unterschenkel übergingen, bis sein Blick von einem knielangen schwarzen Rock aufgehalten wurde.

Kurz darauf stand eine kleine dampfende Tasse Kaffee, ein Kristallglas Whiskey mit mehreren Eiswürfeln und ein Tablett mit Zigarre plus Zubehör vor ihm auf dem Tisch.

Remus nahm den Kaffee und blickte durch die hellen Dampfschwaden, von denen ein intensiv herber Geruch mit einer dezenten Gewürznote verbreitet wurde.

Genussvoll schloss er die Augen und nahm einen ersten Schluck.

Jetzt hieß es auf diesen Herren Gahl zu warten, der hoffentlich bald kam und auch schnell wieder ging. Das momentane Ausharren störte seine innere Ruhe und die Entspannung. Das waren schließlich die Gründe, aus denen er das „Anders“ üblicherweise aufsuchte.

Sein zweiter Whiskey stand inzwischen auf dem Tisch, als er sehen konnte wie eine schmale Person in kariertem Trenchcoat zögerlich von der Tür zur Bar ging. Nach einem kurzen Gespräch mit der Kellnerin, wies diese in seine Ecke.

Remus nahm einen langen Zug von der Zigarre und hüllte sich in eine Rauchschwade. Zeit, es hinter sich zu bringen.

„Herr Dracon, Remus?“, fragte der Mann vor seinem Tisch.

„Ja.“

„Ich bin Herr Valen Gahl, vom Amt für Außeneinsätze, Ministerium. Darf ich mich setzen?“

Remus nickte und der Beamte ließ sich ihm gegenüber nieder. Unter dem Trenchcoat saß ein ordentlicher Anzug. Der Blick des Herren Gahl war etwas nervös, wie Remus bemerkte. Genauso wie die Bewegungen mit der er seine lederne Aktentasche öffnete.

„Ich soll mit Ihnen folgende Unterlagen durchsprechen“, sagte Herr Gahl und legte eine Mappe vor ihm ab.

Wenig interessiert schaute Remus auf das Deckblatt.

Unterlagen für außergewöhnliche Sichtungen, Formular A bis F stand dort.

Das konnte ja heiter werden.

„Meine Vorgesetzten scheinen sich für Ihre sogenannte Schattensichtung sehr zu interessieren. Ich will direkt zur Sache kommen: Im ersten Formular benötige ich allgemeine Daten wie Name, Wohnsitz und so weiter. Dieses können Sie gerne selbst ausfüllen.“ Er reichte ihm das erste Formular und einen silbernen Kugelschreiber, in dem ´Valen´ eingraviert war.

Remus drehte die Öllampe etwas heller und legte das Dokument mit einem kritischen Blick vor sich ab. Wie sehr er so etwas hasste.

„Meine Herren, was darf ich Ihnen noch bringen?“, fragte Jade, die an ihren Tisch getreten war.

„Ich denke, ich benötige noch einen Whiskey“, knurrte Remus und beobachtete, wie Herrn Gahls Blick über Jade wanderte. Er schien sichtlich von ihrem Äußeren angetan zu sein.

„Einen Tee, bitte. Mit etwas Zucker und Milch.“

„Sollt Ihr bekommen“, sagte sie lächelnd und verschwand wieder.

Remus füllte inzwischen das erste Formular aus. Fragen wie Körpergröße, Augenfarbe und Gattung der Eltern reihten sich in einer schier endlosen Schlange der Belanglosigkeiten aneinander.

Er hielt immer wieder inne, um Fragen zu überspringen. Als ob das irgendein Amt etwas anginge.

Nach einer Weile schob er das dürftig ausgefüllte erste Formular wieder in die Mappe.

„Haben Sie alles beantwortet?“, fragte der Beamte.

„Natürlich“, antwortete Remus und ließ sich mit seiner Zigarre wieder zurück in die Couch sinken.

Nach einem tiefen Zug hüllte er sein Gesicht in Rauchschwaden, was der Beamte mit einem Naserümpfen quittierte.

„Ihr Tee, Mister“, sagte Jade in dem Moment und stellte ein leise klapperndes Gedeck ab. Herr Gahl zuckte zusammen.

„Vielen Dank“, sagte er leicht verspätet.

„Und Ihr Whiskey, Remus.“

Der Jäger nahm ihr das Glas aus der Hand und bedankte sich mit einem kurzen Nicken.

„Nun denn, machen wir weiter“, meinte der Beamte.

„Standen Sie bei der Beobachtung jener Schatten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss?“, fing er an.

Remus runzelte die Stirn und beugte sich ungehalten nach vorn. „Herr Gahl, ich führe meinen Beruf schon seit sehr langer Zeit aus. Ich lege höchste Priorität auf einen sauberen und exakten Ablauf oder glauben Sie, Ihre Regierung würde ihr Vertrauen in einen Amateur setzen?“

„Also nein?“, fragte der Beamte mit einer hochgezogenen Augenbraue nach.

„Ich werde Ihnen noch einmal mein Erlebnis in allen Einzelheiten schildern, schreiben Sie es nieder oder lassen Sie es bleiben.“

„Meine Vorgesetzten bestehen auf die Formulare“, meinte der Beamte und versuchte dabei autoritär zu klingen.

„Dann füllen Sie sie selber aus.“

„Ich werde Meldung über Sie erstatten müssen, Herr Dracon, sollten Sie sich nicht kooperativ zeigen. Sind Sie sich dessen bewusst?“

„Tun Sie sich keinen Zwang an“, sagte Remus und nahm genussvoll einen weiteren Schluck Whiskey. Er war sich sicher, diesen Beamten bald los zu sein und endlich seine verdiente Ruhe haben.