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Im Fortsetzungsroman zu ›Die Entführung‹ wird David Balfour in noch mehr Abenteuer verwickelt. Zudem verliebt er sich in die Tochter des skrupellosen und korrupten alten Drummonds, Catriona. Missverständnisse und Intrigen stellen diese Liebe hart auf die Probe.
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Seitenzahl: 491
Robert Louis Stevenson
Catriona
Eine Fortsetzung zu ›Die Entführung‹
Roman
Aus dem Englischen von Marguerite Thesing
Diogenes
Mein lieber Charles Baxter,
Es ist das Los aller Fortsetzungen, daß sie denen, die ihrer harrten, eine Enttäuschung bringen; und mein David muß sich darauf gefaßt machen, nachdem er länger als ein Lustrum vor den Toren der British Linen Company die Daumen gedreht hat, sich bei seinem verspäteten Wiederauftreten in der Welt mit Pfiffen, wenn nicht gar Schlimmerem, begrüßt zu sehen. Und doch bin ich nicht ganz ohne Hoffnung, gedenke ich der Tage unserer gemeinsamen Streifzüge. Irgendwo in unserer Heimatstadt dürfte es noch Nachkommen der paar Auserwählten geben; irgendein langbeiniger, heißblütiger Jüngling wird jetzt die Träume träumen und die Wanderungen unternehmen, die wir vor so vielen Jahren geträumt und zurückgelegt; sein wird die Freude sein, die sonst unser gewesen wäre, zwischen Straßenschildern und numerierten Häusern David Balfour auf seinen ländlichen Spazier gangen nachzugehen; er wird Dean und Silvermills und Broughton und Hope Park und das gute, alte Lochend – falls es noch steht – und Figgate Whins – wenn noch was von ihm übriggeblieben ist – aufspüren; vielleicht wird er gar (bei längerer Ferienzeit) über Land bis Gillane und der Insel Baß vordringen. So kann es geschehen, daß seine Augen geöffnet werden und er die Kette der Generationen überschaut und staunend das schwerwiegende und doch so eitle Geschenk des Lebens, das ihm zuteil geworden, wägen lernt.
Du weilst immer noch – wie zur Zeit, da ich Dich zuerst sah, da ich zuletzt das Wort an Dich richtete – in jener ehrwürdigen Stadt, die ich stets als meine Heimat betrachten werde. Und ich bin weit umhergezogen, und die Statten und Gedanken meiner Jugend folgen mir nach; und traumbildgleich sehe ich die Jugend meines Vaters und die seines Vaters und den ganzen Strom des Lebens, der dort im fernen Norden fließt samt seinem Gelächter und seinen Tränen, den Strom, der mich an seiner Mündung, einem sprudelnden Rinnsal gleich, an diese entlegensten Inseln ausspie. Und ich neige bewundernd mein Haupt vor der Romantik des Geschicks.
R.L.S.
Vailima,
Upolu,
Samoa,
1892.
über die früheren Abenteuer des Helden, wie sie in der Erzählung »David Balfour von Shaw« dargestellt sind
DIE BRÜDER ALEXANDER UND EBENEZER BALfour aus dem Hause Shaw bei Crammond in dem Walde von Ettrick lieben die gleiche Dame und kommen miteinander überein, da sie den älteren Bruder, Alexander, vorzieht, daß Ebenezer als Entgelt für seine Enttäuschung das Gut Shaw erhalten soll. Alexander und seine Gattin ziehen nach Essendean, wo sie in der Abgeschiedenheit leben, Alexander in der Eigenschaft eines Dorfschulmeisters. Dort wird ihnen ein Sohn geboren, David Balfour, der Held dieser Erzählung. David, der in Unkenntnis der Familiengeschichte und seiner Ansprüche auf das Gut erzogen wird, verliert noch vor seinem achzehnten Lebensjahre beide Eltern und empfängt als einziges Erbe einen an seinen Oheim gerichteten, versiegelten Brief, der ihm von dem Pfarrer in Essendean, Mr. Campbell, ausgehändigt wird. Als David ihn abliefern will, entdeckt er, daß fein Oheim als kinderloser Geizhals zu Shaw haust; er wird von ihm unfreundlich aufgenommen und nach einem vergeblichen Anschlag auf sein Leben an Bord der nach den Karolinen bestimmten Brigg »Covenant«, Kapitän Hoseason, gelockt, um zur Zwangsarbeit auf die Plantagen verkauft zu werden. Allein, als die »Covenant« zu Beginn ihrer Reise die Meerenge von Minch durchfährt, überrennt sie ein offenes Boot und bringt es zum Kentern. Aus diesem Boot rettet sich und kommt an Bord ein hochländischer Gentleman, Alan Breck Stuart, der seit dem Jahre ’45 in der Verbannung lebt und jetzt unterwegs ist, um von seinen Clansleuten, den Appin-Stuarts, den Pachtzins für ihren Häuptling Ardshiel in dessen Exil nach Frankreich hinüberzuschmuggeln. Als Hoseason und seine Besatzung von dem Golde hören, das Alan mit sich trägt, verschwören sie sich, ihn auszurauben und zu ermorden; aber David, der in das Komplott eingeweiht wird, warnt Alan und verspricht, ihm beizustehen.
In der Enge der Kajüte gelingt es den beiden während des nun folgenden Handgemenges dank Alans Fechtkunst, ihrer Angreifer Herr zu werden, wobei sie über die Hälfte töten und verwunden. Dadurch sieht sich Kapitän Hoseason außerstande, seine Fahrt fortzusetzen, und einigt sich mit Alan dahin, ihn nach einem Teil der Küste zu bringen, von wo aus er sich am leichtesten nach seiner Heimat, der Landschaft Appin, durchschlagen kann. Aber bei diesem Versuche läuft die »Covenant« auf Grund und versinkt vor der Insel Mull. Die Schiffsinsassen retten sich, so gut sie können, und David wird von ihnen getrennt. Zuerst wird er auf die Insel Earraid verschlagen und zieht von dort aus quer durch Mull. Alan ist schon früher des gleichen Weges gezogen und hat David die Nachricht hinterlassen, daß er ihm folgen und in seiner Heimat, im Hause seines Verwandten James Stuart von der Schlucht, wieder zu ihm stoßen soll. David findet sich zu diesem Rendezvous am nämlichen Tage in Appin ein wie der Sachwalter des Königs, Colin Roy Campbell von Glenure, der mit einem Trupp Rotröcke dahergeritten kommt, um die Pächter von den beschlagnahmten Gütern Ardshiels zu vertreiben, und ist zugegen, als Glenure durch einen Schuß aus dem benachbarten Walde am Wegrande ermordet wird. Da gerade in dem Augenblick, als sich David an die Verfolgung des unbekannten Mörders macht, der Verdacht laut wird, daß er Mitschuldiger ist, entschließt er sich zur Flucht und stößt bald dabei auf Alan Breck, der ganz in der Nähe im Versteck liegt, obgleich er nicht den Schuß abgefeuert hat. Die beiden führen jetzt auf dem Moor das Leben von Flüchtlingen. Die Entrüstung über den Mord ist ungeheuer, und die Schuld wird öffentlich auf James Stuart von der Schlucht, den bereits geächteten Alan Breck und auf einen unbekannten jungen Burschen, der kein anderer als David Balfour ist, gewälzt. Für ihre Ergreifung wird ein Blutgeld ausgelobt und das Land von der Soldateska durchstöbert. Im Verlauf ihrer Irrfahrten besuchen David und Alan James Stuart in Aucharn, liegen verborgen in Cluny MacPhersons Käfig und sind gezwungen, im Hause von Duncan Dhu Maclaren in Balwhidder Obdach zu suchen, da David krank wird. Alan ficht einen Wettkampf auf dem Dudelsack mit Robin Oig, dem Sohne von Rob Roy, aus. Endlich, nach zahlreichen Gefahren und Leiden, gelangen sie bis zur Hochlandsgrenze und an den Forth. Aus Furcht vor Verhaftung wagen sie es aber nicht, den Forth zu überschreiten, bis es ihnen gelingt, eine Wirtstocher aus Limekilnes, Alison Hastie, zu bewegen, sie im Schutze der Nacht nach der Lothianküste überzusetzen. Alan verbirgt sich hier wieder, während David Mister Hope Rankeillor aufsucht, den Anwalt und früheren Verwalter der Shawschen Güter. Dieser nimmt sich sofort seiner Sache an und verwirklicht einen Plan, durch den mit Alans Hilfe Ebenezer Balfour gezwungen wird, seinen Neffen als berechtigten Erben der Güter anzuerkennen und ihm bis zu seinem, Ebenezers, Tode einen angemessenen Teil seines Einkommens zu überlassen.
Nachdem David Balfour auf diese Weise in seine Rechte eingesetzt ist, beschließt er, die Universität Leyden zu besuchen, um seine Erziehung zu vervollständigen. Erst jedoch muß er den Forderungen der Freundschaft und des Gewissens gerecht werden, indem er Alan hilft, aus Schottland zu fliehen und für die Unschuld James Stuarts von der Schlucht als Zeuge auftritt, der jetzt als Gefangener seiner Aburteilung wegen des Appiner Mordes entgegenbangt.
ES WAR UM DIE ZWEITE NACHMITTAGSSTUNDE des 25. August 1751, da verließ ich, David Balfour, gefolgt von einem Dienstmann, der einen Geldsack trug, die British Linen Company, bis zur Tür von einigen der Chefs dieses Handelshauses begleitet, die sich mit vielen Bücklingen von mir verabschiedeten. Zwei Tage vorher aber, ja noch am gestrigen Morgen, hatte ich in meinen Lumpen eher einem Bettler von der Landstraße geglichen: meine ganze Habe ein paar armselige Schillinge, mein einziger Begleiter ein vom Gericht verfolgter Hochverräter und ein Preis auf mein eigenes Haupt gesetzt ob eines Verbrechens, von dem weit und breit das Land widerhallte. Heute dagegen war ich der anerkannte Erbe der Lebensstellung, die mir von Geburt aus zufiel, ein Grundbesitzer, dem ein Bankbedienter das Gold nachtrug, mit Empfehlungen in der Tasche und (wie die Redensart lautet) mit der Welt zu meinen Füßen.
Zwei Umstände gab es, die meinem mit vollen Segeln fahrenden Lebensschiff als Ballast dienten. Die erste Gefahr drohte von der überaus schwierigen, ja tödlichen Angelegenheit, die es noch zu ordnen galt; die zweite von dem Ort, an dem ich mich befand. Die ragende, finstere Stadt, die Zahl, das Gewühl und der Lärm der Menschen bedeuteten für mich, der ich mich bisher nur zwischen Heidehügeln und Sanddünen und in stillen, ländlichen Gegenden aufgehalten hatte, eine neue Welt. Insbesondere verwirrte mich das Gedränge der Städter. Rankeillors Sohn war klein und von schmächtiger Gestalt; seine Kleider wollten mir gar nicht recht passen; mir stand es daher wahrlich schlecht an, vor einem Bankbedienten einherzustolzieren. Es war klar, falls ich es dennoch tat, mußte dies Verhalten die Leute zum Lachen reizen und (was in meinem Falle weit schlimmer war) zum Fragenstellen veranlassen. So lag es mir denn ob, mich nach eigener Kleidung umzusehen und in der Zwischenzeit neben dem Träger herzugehen und meinen Arm in den seinen zu legen, als wären wir zwei Freunde.
Bei einem Händler in den Luckenbooths staffierte ich mich aus; nicht allzu prächtig, denn ich hatte durchaus nicht die Absicht, als Bettler zu Pferde zu erscheinen, wohl aber zierlich und anständig, so daß Dienstboten mich respektieren würden. Von dort ging es zu einem Waffenhändler, bei dem ich einen einfachen Degen erstand, wie er meinem Range geziemte. Ich fühlte mich im Besitze dieser Waffe sicherer, obwohl sie für jemanden, der des Fechtens so unkundig war, nur eine weitere Gefahr bedeutete. Der Dienstmann, der natürlich ein Mann von einiger Erfahrung war, hielt die Wahl meiner Ausstattung für zweckmäßig.
»Nichts Auffallendes,« meinte er, »einfache, anständige Sachen. Und was das Rapier anbetrifft, so wird es ja gewißlich zu Eurem Range passen; aber ich an Eurer Stelle hätte meine Groschen für Besseres aufgespart.« Und sofort schlug er mir vor, von einem Weiblein in einer der Hintergassen von Cowgate, die seine leibhaftige Base wäre, Winterstrümpfe zu kaufen, da sie sie »ganz ungemein haltbar« verfertige. Doch ich hatte andere, dringendere Angelegenheiten zu erledigen. Da war ich nun in dieser alten, düsteren Stadt, die mit nichts auf der Welt solche Ähnlichkeit hatte wie mit einem Kaninchenbau, sowohl der Zahl ihrer Bewohner wegen wie auch dank des Labyrinths ihrer Gänge und Schlupflöcher. Wahrlich, es war ein Ort, an dem kein Fremder die Möglichkeit hatte, auch nur einen Freund, geschweige denn einen anderen Fremden aufzuspüren. Selbst wenn er zufällig in den richtigen Hof geriet, drängten sich die Menschen in diesen hohen Häusern doch so dicht zusammen, daß er einen ganzen Tag hätte suchen dürfen, um die richtige Tür zu finden. Das Nächstliegende wäre gewesen, sich einen Jungen, hier »Caddie« geheißen, zu mieten, der als Führer oder Pilot dient, und der den Fremden geleitet, wohin der Betreffende will, und ihn dann (nach erledigten Geschäften) in das Logis zurückführt. Allein die Caddies, die stets zu den gleichen Diensten verwendet werden, und zu deren Pflichten es gehört, über jedes Haus und jeden Einwohner gut unterrichtet zu sein, hatten allmählich eine Art Spionagegemeinschaft gebildet; und ich wußte aus den Erzählungen Mr. Campbells, daß sie alle Nachrichten auszutauschen pflegten, sich mit leidenschaftlicher Neugier für die Angelegenheiten ihrer Auftraggeber interessierten und so gleichsam die Augen und die Finger der Polizei darstellten.
In meiner Lage wäre es wohl kaum klug gewesen, mir einen dieser Spürhunde an die Fersen zu heften. Ich hatte drei verschiedene, aber gleich dringliche Besuche zu machen: einen bei meinem Verwandten, Mr. Balfour von Pilrig, einen bei Stuart, dem Advokaten, der Appins Sachwalter war, und einen bei William Grant, Herrn von Prestongrange, Lord Staatsanwalt von Schottland. Der Besuch bei Mr. Balfour war unbedenklich; außerdem getraute ich mich (da Pilrig auf dem Lande lag), den Weg dorthin allein mit Hilfe meiner zwei Beine und einer gut schottischen Zunge zu finden. Ganz anders stand es um die beiden anderen Besuche. Der bei dem Sachwalter Appins war jetzt inmitten des Aufruhrs anläßlich des Appiner Mordes nicht nur an sich gefährlich, sondern kaum vereinbar mit dem dritten Besuch. Auch bestenfalls würde ich dem Lord Staatsanwalt gegenüber einen schweren Stand haben; doch mich geradewegs von Appins Sachwalter zu ihm begeben, hieß meine Sache schwerlich bessern und konnte den glatten Ruin von Freund Alan bedeuten. Außerdem verlieh mir das Ganze den Anschein, als trüge ich den Mantel nach zwei Seiten, eine Sache, die mir wenig behagen wollte. Ich beschloß daher, unverzüglich mit Mr. Stuart und mit dem gesamten jakobitischen Teil meiner Angelegenheiten zu Rande zu kommen und mich zu diesem Zwecke der Ortskenntnis des Trägers an meiner Seite zu bedienen. Kaum jedoch hatte ich ihm die Adresse genannt, als ein leichter Regenschauer niederging – nicht arg, aber meinen neuen Kleidern nicht sonderlich zuträglich –, und wir flüchteten uns unter einen Torbogen am Eingang eines Hofes oder Gäßchens.
Da meine ganze Umgebung mir fremd war, trat ich etwas weiter zurück. Der schmale, gepflasterte Gang fiel steil ab. Unermeßlich hohe Häuser ragten zu beiden Seiten auf und sprangen, ein Stockwerk über dem anderen, im Aufsteigen immer weiter vor, so daß oben nur ein schmaler Streifen Himmel sichtbar war. Soweit ich aus dem, was die Fenster enthüllten, sowie aus dem ehrbaren Aussehen der Personen, die aus- und eingingen, zu ersehen vermochte, waren die Häuser von anständigen Leuten bewohnt, und der ganze Ort fesselte und interessierte mich wie eine Geschichte.
Ich starrte noch immer um mich, als hinter mir plötzlich das muntere Stampfen vieler Füße im Gleichtritt und das Geklirr von Waffen ertönten. Ich drehte mich rasch um und gewahrte einen Zug bewaffneter Soldaten, in ihrer Mitte einen hochgewachsenen Mann in schwerem Mantel. Der Mann schritt gebeugt, wie in höfischer Zuvorkommenheit und mit schmeichelndem Anstand; im Gehen gestikulierte er beredt, und sein Gesicht war schlau und schön. Ich glaubte zu bemerken, daß sein Blick auf mich fiel, vermochte indes nicht seinem Auge zu begegnen. Der Zug schritt an mir vorüber nach einer Tür in dem Hofe, die von einem Bedienten in prächtiger Livree geöffnet wurde, und zwei Soldaten geleiteten den Gefangenen hinein, während die anderen mit ihren Feuerschloßgewehren an der Türe herumlungerten.
Nichts vermag sich auf den Straßen einer Stadt zu ereignen, ohne eine Schar müßiger Erwachsener und Kinder anzuziehen. So auch jetzt. Doch die Mehrzahl der Zuschauer zerstreute sich auf der Stelle, bis nur drei übriggeblieben waren, darunter ein Mädchen. Sie war wie eine Dame gekleidet und trug ein Stückchen Band in den Drummondfarben im Haar; doch ihre Kameraden oder, sagen wir lieber, Gefolgsleute waren zerlumpte Burschen, wie ich sie zu Dutzenden auf meiner Reise durch das Hochland getroffen hatte. Alle drei sprachen eifrig in gälisch, das meinen Ohren um Alans willen lieblich klang, aufeinander ein; und obgleich der Regen nachgelassen hatte und mein Dienstmann mich am Ärmel zupfte, um mich zum Aufbruch zu gemahnen, näherte ich mich ihnen noch weiter, um zu lauschen. Die Dame schalt die anderen heftig aus, die sich entschuldigten und vor ihr krochen, und ich war nun überzeugt, daß sie einer Häuptlingsfamilie angehörte. Während dieser ganzen Zeit durchstöberten alle drei ihre Taschen, doch brachten sie, soweit ich sehen konnte, zusammen nicht mehr als einen halben Farthing auf, weshalb ich leise lächeln mußte; denn ich erkannte, daß die Hochländer, was schöne Manieren und eine leere Geldkatze betrifft, sich alle gleich sind.
Zufällig drehte sich das Mädchen plötzlich um, so daß ich zum erstenmal ihr Gesicht erblickte. Nun gibt es aber kein größeres Wunder als die Art, in der das Gesicht eines jungen Weibes von eines jungen Mannes Sinn Besitz ergreift und in ihm haften bleibt, ohne daß er euch den Grund zu sagen vermöchte! Es ist, als hätte er just das gefunden, wonach er sich gesehnt. Sie hatte wunderbare, helle Augen wie Sterne, und ich glaube wohl, die Augen hatten etwas damit zu tun; wessen ich mich jedoch am klarsten erinnere, ist die Art, wie ihre Lippen leicht geöffnet waren, als sie den Kopf wendete. Was immer auch der Grund gewesen sein mag, ich stand dort wie ein Narr. Sie ihrerseits starrte mich, da sie niemanden in solcher Nähe vermutet hatte, etwas länger und vielleicht mit größerer Überraschung an, als mit höflicher Sitte ganz vereinbar war.
Es schoß mir durch meinen Bauernschädel, daß sie vielleicht meinen neuen Anzug bewundere; darauf errötete ich bis an die Haarwurzeln, und bei dem Anblick meiner Verlegenheit muß sie wohl ihre eigenen Schlüsse gezogen haben, denn sie hieß ihre Leute weiter in den Hof hineingehen, und sie nahmen ihre Auseinandersetzung dort wieder auf, wo ich nichts mehr davon hören konnte.
Ich hatte schon manch ein Mädchen bewundert, wenn auch kaum je so plötzlich und so heftig, und meinem Charakter lag es näher, zurückhaltend als fürwitzig zu sein; denn ich fürchtete mich sehr, von dem Weibervolk verspottet zu werden. Man hätte daher meinen können, ich hätte jetzt allen Grund gehabt, meinen üblichen Gepflogenheiten zu folgen, zumal ich diese junge Dame auf der Gasse, anscheinend im Gefolge eines Gefangenen und von zwei äußerst zerlumpten, wenig ehrbaren Hochlandsrittern begleitet, angetroffen hatte. Allein hier spielte noch eine andere Sache mit: es war klar, das Mädchen glaubte, ich hätte ihren Geheimnissen nachspioniert; und das war angesichts der neuen Kleidung und des Degens, den ich trug, in meiner jetzigen Lage, fast auf dem Gipfel des Glücks, mehr als ich herunterschlucken konnte.
Ich ging ihr daher nach und lüftete vor ihr, so gut ich es verstand, meinen neuen Hut.
»Madame,« sagte ich, »ich meine, es ist nur gerecht gegen mich selbst, Euch wissen zu lassen, daß ich kein Gälisch verstehe. Es ist zwar wahr, daß ich lauschte, denn ich besitze jenseits der Grenze im Hochland selber Freunde, weshalb jene Sprache freundlich in meinen Ohren klingt. Doch was Eure Privatangelegenheiten anbelangt, so würde ich sie, hättet Ihr Griechisch geredet, eher erraten haben.«
Sie machte mir eine leichte, kühle Reverenz. »Es ist kein Schaden geschehen«, sagte sie mit einem hübschen Akzent, der in erster Linie dem Englischen glich (aber weit lieblicher klang). »Schaut doch die Katz’ den König an.«
»Ich will keinen Anstoß erregen«, antwortete ich.
»Ich bin ungeschult in Städterart; vor heute hat mein Fuß den Bezirk Edinburg nie betreten. Nehmt mich also hin als einen Burschen vom Lande – das bin ich auch; es ist mir lieber, ich sag’s Euch selbst, als daß Ihr’s von Euch aus entdecktet.«
»In der Tat, es dürfte höchst ungewöhnlich sein, daß Fremde sich also auf der Gasse unterhalten«, entgegnete sie. »Doch wenn Ihr vom Lande seid, so ist das eine andere Sache. Ich stamme selbst vom Land; ich bin vom Hochland, wie Ihr seht, und fühl mich um so ferner von der Heimat.«
»Es ist noch keine Woche her, daß ich die Grenze überschritt«, sagte ich. »Vor weniger als einer Woche weilte ich noch in den Hügeln von Balwhidder.«
»Balwhidder?« rief sie. »Kommt Ihr von Balwhidder? Allein der Name macht, daß mein ganzes Herz sich freut. Ihr könnt nicht lange dort gewesen sein, ohne einige unserer Freunde und Verwandten kennenzulernen!«
»Ich wohnte bei einem kreuzbraven, freundlichen Mann namens Duncan Dhu Maclaren,« lautete meine Antwort.
»Nun, ich kenne Duncan, und Ihr habt ihm das rechte Zeugnis ausgestellt;« erwiderte sie; »und ist er kreuzbrav, so ist’s seine Frau erst recht!«
»Ja,« sagte ich, »es sind prächtige Leute, und der Ort ist ein schöner Ort.«
»Wo auf der ganzen, weiten Welt gibt’s seinesgleichen?« rief sie. »Ich liebe den Geruch dieser Gegend, ja selbst die Wurzeln, die dort wachsen.«
Das Feuer, mit dem sie sprach, gefiel mir ganz ungemein. »Ich wünsche fast, ich hätte Euch ein Zweiglein Heidekraut mitgebracht«, sagte ich. »Und ob ich auch unrecht tat, Euch vorhin anzureden, mach’ ich es doch jetzt, da wir gemeinsame Bekannte haben, zu einer Bitte, daß Ihr mich nicht vergessen möget. David Balfour ist der Name, unter dem man mich kennt. Heute ist mein Glückstag, denn soeben habe ich mein Erbe angetreten, und es ist noch nicht sehr lange her, daß ich einer tödlichen Gefahr entrann. Ich wollte, Ihr behieltet meinen Namen Balwhidder zuliebe im Gedächtnis, so wie ich mich um meines Glückstags willen des Euren erinnern will.«
»Mein Name wird nicht ausgesprochen«, entgegnete sie mit großem Hochmut. »Es sind mehr als hundert Jahre her, daß er, außer zu Sekunden, den Leuten auf der Zunge war. Ich bin namenlos, wie das Stille Volk1. Catriona Drummond ist der Name, dessen ich mich bediene.«
Jetzt wußte ich in der Tat, woran ich war. Im ganzen großen Schottland gab es nur einen Namen, der proskribiert war: den der Macgregors. Jedoch weit davon entfernt, diese unerwünschte Bekanntschaft zu fliehen, stürzte ich mich nur noch tiefer hinein.
»Ich war mit jemandem zusammen, der sich in der gleichen Lage wie Ihr befand,« sagte ich, »und ich glaube, er wird einer Eurer Freunde sein. Er nannte sich Robin Oig.«
»Wahrhaftig?« rief sie. »Ihr kennt Rob?«
»Ich verbrachte eine ganze Nacht in seiner Gesellschaft,« erwiderte ich.
»Er ist ein Nachtvogel«, erklärte sie.
»Sackpfeifen waren auch bei der Hand«, fuhr ich fort. »Urteilt also, ob uns die Zeit verging.«
»Jedenfalls werdet Ihr kein Feind sein«, sagte sie.
»Der vorhin dort vorüberging, umgeben von Rotröcken, war sein Bruder. Er ist’s, den ich Vater nenne.«
»Wirklich?« rief ich. »Seid Ihr eine Tochter James Mores?«
»Seine einzige Tochter,« entgegnete sie, »die Tochter eines Gefangenen! Daß ich das auch nur eine Sekunde vergessen konnte, um mich mit einem Fremden zu unterhalten!«
Jetzt wandte sich einer der Kerle an sie, indem er die wenigen Brocken Englisch, die er kannte, zusammenkratzte, um sie zu fragen, was »sie« (womit er sich selbst meinte) wegen des »Tobaks« machen sollte. Ich musterte ihn und sah einen kleinen Mann mit großem Schädel, krummbeinig und rothaarig, den ich später zu meinem Schaden noch näher kennenlernen sollte.
»Heute wird es wohl keinen geben, Neil«, lautete die Antwort. »Wo willst du ‘Tobak’ hernehmen, wenn dir das Geld dazu fehlt? Ich werde dich das nächstemal lehren, achtsamer zu sein; und James More wird, glaub ich, mit Neil vom Tom auch nicht sonderlich zufrieden sein.«
»Miss Drummond,« sagte ich, »ich erzählte Euch doch, daß heute mein Glückstag ist. Hier steh ich und hinter mir ein Träger von der Bank. Und vergeßt nicht, daß ich die Gastfreundschaft Eurer Heimat Balwhidder genossen habe.«
»Es war keiner von meiner Sippe, der sie Euch gewährte«, entgegnete sie.
»Gut,« sagte ich, »zum mindesten aber bin ich Eures Onkels Schuldner für einige Lieder auf der Sackpfeife. Außerdem habe ich mich Euch als Freund an geboten, und Ihr waret so unvorsichtig, das nicht zur rechten Zeit abzulehnen.«
»Wäre es eine große Summe, Ihr würdet vielleicht Ehre damit einlegen«, erwiderte sie; »aber ich will Euch sagen, um was es sich handelt. James More liegt in Ketten im Gefängnis; diese ganze Zeit über bringen sie ihn täglich zum Staatsanwalt – –«
»Zum Staatsanwalt?« fragte ich. »Ist das – – –«
»Das hier ist das Haus des Lord Staatsanwalts Grant von Prestongrange«, sagte sie. »Dorthin schaffen sie von Zeit zu Zeit meinen Vater, zu welchem Zwecke, weiß ich nicht; aber es scheint, daß es seit kurzem wieder Hoffnung für ihn gibt. Trotzdem wollen sie nicht erlauben, daß ich ihn spreche, oder daß er mir schreibt; und so harren wir seiner hier auf des Königs Gassen, um ihn zu treffen, und manchmal, wenn er vorübergeht, geben wir ihm seinen Schnupftabak, und manchmal auch anderes. Und hier steht dieser Sohn des Mißgeschicks, Neil, der Sohn Duncans, und hat mein Vierpennystück, mit dem ich den Tabak kaufen wollte, verloren, und nun muß James More ohne Tabak fertig werden und wird denken, seine Tochter habe ihn vergessen.«
Ich nahm einen halben Shilling aus der Tasche, reichte ihn Neil und hieß ihn seinen Auftrag erledigen. Dann sagte ich, zu ihr gewandt: »Jener halbe Shilling wurde mir in Balwhidder gegeben.«
»Ah!« meinte sie, »Ihr seid ein Freund der Gregara!«
»Ich will Euch auch nichts vortäuschen«, entgegnete ich. »Ich weiß sehr wenig von den Gregara und weniger noch von James More und seinen Händeln; doch seit ich hier in diesem Gange stehe, scheine ich einiges von Euch zu wissen; und wenn Ihr statt dessen lieber ‘Ein Freund von Fräulein Catriona’ sagen wolltet, will ich dafür sorgen, daß Ihr um so weniger hintergangen werdet.«
»Das Eine ist unmöglich ohne das Andere«, sagte sie.
»Ich will es trotzdem versuchen«, erwiderte ich.
»Und was denkt Ihr von mir, daß ich so dem ersten besten Fremden meine Hand entgegenstrecke?« rief sie.
»Ich denke nichts weiter, als daß Ihr eine gute Tochter seid«, war meine Antwort.
»Ich darf nicht unterlassen, Euch das Geld zurückzuzahlen«, versetzte sie. »Wo wohnt Ihr?«
»Um die Wahrheit zu sagen, einstweilen nirgends,« entgegnete ich, »da ich noch keine drei Stunden in der Stadt bin; doch wenn Ihr mir Eure Adresse geben wollt, werde ich so kühn sein, mir meinen halben Shilling selbst zu holen.«
»Kann ich Euch so weit trauen?« fragte sie.
»Ihr habt wenig zu befürchten«, antwortete ich.
»James More würde anderes nicht dulden«, sagte sie.
»Ich wohne jenseits des Dorfes Dean, an der Nordseite des Flusses, bei Mrs. Drummond Ogilvy von Allardyce, die eine nahe Freundin von mir ist und sich freuen wird, Euch kennenzulernen.«
»Ihr werdet mich also wiedersehen, sobald meine Obliegenheiten es mir gestatten«, sagte ich; und damit diesen Worten die Erinnerung an Alan mich von neuem befiel, beeilte ich mich, ihr Lebewohl zu sagen. Noch im gleichen Augenblick und mir selbst zum Trotz mußte ich denken, daß wir in Anbetracht der Kürze unserer Bekanntschast doch recht weit miteinander gekommen wären, und daß eine wirklich vorsichtige junge Dame etwas mehr Zurückhaltung gezeigt hätte. Ich glaube, es war der Bankbediente, der mir diese ungalanten Gedanken vertrieb.
»Ich dachte, Ihr wäret ein Bursche von einiger Vernunft«, begann er und schob die Unterlippe vor. »Auf diese Art werdet Ihr’s wohl nicht weit bringen. Ein Narr und sein Geld sind bald geschieden. Ihr seid mir ein grüner Junge«, rief er, »und obendrein noch liederlich! So um die Menscher zu scharwenzeln!«
»Wenn Ihr es wagt, auch nur ein Wort gegen die junge Dame – –« hub ich an.
»Dame!« rief er. »Gott schütz und bewahr uns, welche Dame? Nennt Ihr die eine Dame? Die Stadt wimmelt ja von denen. Damen! Mann, man sieht, daß Ihr Euch in Edinburg nicht auskennt!«
Eine Zorneswelle packte mich.
»Hier«, sagte ich, »führt mich, wohin ich Euch geheißen, und haltet Euer dreckiges Maul!«
Er gehorchte mir nicht ganz, denn wenn er mich auch nicht direkt anredete, sang er mir doch im Gehen in einer überaus zweideutigen und unverschämten Weise und mit ungemein falscher und krächzender Stimme vor:
Als Molly unsern Weg gekreuzt, da flog im Wind ihr Band,
Da flog ihr Blick zu mir zurück und über ihr Bettelgewand.
Jetzt ziehen wir nach Ost und West, jetzt geht durch’s ganze Land
Nach West und Ost auf Freiersfuß die Fahrt um Mollys Hand.
MR. CHARLES STUART, DER ANWALT, WOHNTE am Ende der längsten Treppenflucht, die Maurer je gebaut; fünfzehn verschiedene Stiegen, nicht eine weniger; und als ich seine Tür erreichte, die ein Schreiber mir öffnete, um mir zu sagen, daß sein Herr zu Hause sei, besaß ich kaum noch Atem genug, meinen Dienstmann zum Teufel zu schicken.
»Fort mit Euch nach Ost und West!« sagte ich, nahm ihm den Geldsack ab und folgte dem Schreiber.
Der äußere Raum war ein Bureau mit einem Tisch voller Papiere, vor dem des Schreibers Stuhl stand. Im inneren Zimmer, das in das äußere mündete, saß ein energischer kleiner Mann brütend über einem Schriftsatz, von dem er bei meinem Eintritt kaum aufsah: ja, sein Finger blieb an der richtigen Stelle liegen, als habe der Mann die Absicht, mich sofort wieder hinauszuwerfen und zu seinen Studien zurückzukehren. Das behagte mir schon wenig genug; aber schlimmer noch war, daß der Schreiber, meiner Ansicht nach, alles, was zwischen uns vorging, deutlich hören konnte.
Ich fragte den kleinen Mann, ob er Mr. Charles Stuart, der Anwalt, sei.
»Der nämliche,« sagte er, »und wer seid Ihr, falls die Frage ebenso angebracht erscheint?«
»Ihr werdet weder meinen Namen kennen noch von mir selber gehört haben,« sagte ich, »aber ich bringe Euch einen Ausweis von einem Freunde, der Euch wohl bekannt ist. Der Euch wohl bekannt ist,« wiederholte ich und senkte die Stimme, »von dem zu hören Ihr aber gegenwärtig vielleicht nicht gerade erbaut sein werdet. Das kleine Geschäft, das ich Euch heute vorzuschlagen habe, ist mehr privater Natur. Kurz, mir wäre lieb, zu wissen, daß wir ganz unter uns sind.«
Er erhob sich ohne weitere Worte, warf seine Papiere mit der Miene eines Mannes hin, der sehr schlechter Laune ist, und schickte den Schreiber auf einen Botengang, indem er hinter ihm die Tür schloß.
»Jetzt, Sir,« sagte er zurückkehrend, »sprecht frei von der Leber weg und fürchtet nichts mehr«; und plötzlich fuhr er fort – »obwohl mir Schlimmes schwant, noch ehe Ihr angefangen habt! Ich erkläre Euch von vorneherein, Ihr seid entweder ein Stuart oder von einem Stuart geschickt. ’S ist ein guter Name und obendrein einer, den zu schmähen meines Vaters Sohn schlecht ansteht. Doch mich gruselt’s schon, wenn ich ihn nennen höre.«
»Mein Name ist Balfour,« sagte ich, »David Balfour von Shaw. Und was den, der mich sandte, betrifft, so will ich seinen Ausweis für mich reden lassen.« Und ich zeigte ihm den silbernen Knopf.
»Steckt ihn in die Tasche, Sir!« rief er. »Ihr braucht keinen Namen zu nennen. Der Satanskerl von einem Ouerkopf, ich kenne seinen Knopf! Der Teufel hol ihn! Wo steckt er jetzt?«
Ich sagte ihm, ich wüßte nicht, wo Alan sich aufhielte, aber er hätte irgendwo am Nordufer ein Versteck, in dem er sicher wäre (oder sicher zu sein glaube), und wo er bleiben wolle, bis man ihm ein Schiff ausfindig gemacht hätte. Und dann wiederholte ich seine Anweisungen, wo und wie man mit ihm sprechen könnte.
»Ich war immer schon überzeugt, daß ich für meine Familie einmal baumeln würde,« rief Mr. Stuart, »und bei Gott, ich glaube, jetzt sind wir so weit! Ihm ein Schiff ausfindig machen, sagt er? Und wer soll dafür bezahlen? Der Bursche ist; toll!«
»Das ist meine Sache, Mr. Stuart«, antwortete ich.
»Hier ist ein Beutel Geld, und wenn mehr gebraucht wird, ist dort, wo dieses herkommt, mehr zu haben.«
»Nach Eurer Partei brauche ich nicht erst zu fragen«, meinte er.
»Das braucht Ihr nicht,« sagte ich lächelnd, »denn ich bin ein so guter Whig, wie Ihr nur einen finden könnt.«
»Sachte, sachte«, versetzte Mr. Stuart. »Was soll das heißen? Ein Whig? Weshalb seid Ihr dann mit Alans Knopf zu mir gekommen? Und was für einen Teufelshandel treibt Ihr hier, Mr. Whig? Da ist ein landflüchtiger Rebell und angeklagter Mörder mit einem Preis von 200 Pfund auf seinen Kopf, und Ihr verlangt von mir, daß ich mich in seine Angelegenheiten mische, und erzählt mir dann, Ihr wäret ein Whig? Ich will nichts wissen von solchen Whigs, obwohl mir schon genug dergleichen über den Weg gelaufen sind.«
»Der Mann ist zwar ein landflüchtiger Rebell, – leider –,« sagte ich, »aber er ist mein Freund. Ich wünsche nur, daß er besser beraten wäre. Und auch des Mordes ist er zu seinem Unglück angeklagt; aber zu Unrecht angeklagt.«
»Ihr behauptet es wenigstens«, war Stuarts Entgegnung.
»Ihr werdet mich gleich noch mehr behaupten hören«, rief ich. »Alan Breck ist unschuldig und James gleichfalls.«
»Ah!« sagte er, »die beiden Fälle hängen zusammen. Steckt Alan drin, kann James nicht draußen sein.« Hierauf erzählte ich ihm in aller Kürze von meiner Bekanntschaft mit Alan und von dem unglücklichen Zufall, der mich zum Zeugen des Appiner Mordes machte, von den verschiedenen Stationen unserer Flucht durch die Heide und von der Rückgewinnung meines Vermögens. »Und nun, Sir, wißt Ihr die ganze Folge der Ereignisse«, schloß ich, »und könnt selber sehen, wie es kommt, daß ich so tief in Eurer Verwandten und Freunde Angelegenheiten verstrickt bin, von denen ich (zu unser aller Wohl) wünschte, sie wären einfacher und weniger blutig. Ihr seht selbst, daß ich gewisse Dinge zu erledigen habe, die ich kaum dem ersten besten Anwalt vorlegen konnte. Nun bleibt nur noch übrig, Euch zu fragen, ob Ihr Euch meiner Sache annehmen wollt?«
»Ich habe nicht sonderlich viel Lust dazu; da Ihr aber mit Alans Knopf zu mir kommt, bleibt mir wohl keine Wahl«, sagte er. »Welches sind Eure Instruktionen?« fügte er, nach der Feder greifend, hinzu. »Das Wichtigste ist, Alan aus dem Lande zu schmuggeln,« sagte ich, »aber das brauche ich wohl nicht zu wiederholen.«
»Ich werde es schwerlich vergessen«, meinte Stuart. »Das Nächste betrifft das bißchen Geld, das ich Cluny schulde«, fuhr ich fort. »Es würde mir schwerfallen, Mittel und Wege zu finden, es ihm zu übermitteln, doch Euch müßte es ein leichtes sein. Es waren zwei Pfund, fünf Shilling und anderthalb Pence Sterling.«
Er notierte sich die Summe.
»Dann«, sagte ich, »ist da ein Mr. Henderland, ein konzessionierter Prediger und Missionar in Ardgour, dem ich recht gerne ein wenig Schnupftabak zuwenden würde; und da ich vermute, daß Ihr mit Euren Freunden in Appin in Verbindung steht und Appin doch dicht dabei liegt, ist das ein Geschäft, das Ihr zweifellos mit dem anderen übernehmen könnt.«
»Wieviel Tabak soll es sein?« fragte er.
»So an die zwei Pfund, dachte ich.«
»Zwei«, wiederholte er.
»Dann ist da noch ein Mädel, Alison Hastie zu Limekilnes,« sagte ich, »dieselbe, die mir und Alan den Übergang über den Forth ermöglichte. Ich hatte gedacht, ihr ein gutes Sonntagsgewand zu kaufen, wie sie es in ihrem Stande in Ehren tragen könnte. Das würde mein Gewissen erleichtern, denn, um die Wahrheit zu sagen, schulden wir ihr unser Leben.«
»Ich freue mich, zu sehen, daß Ihr sparsam seid, Mr. Balfour«, sagte er, es sich notierend.
»Ich würde mich schämen, es am ersten Tage meines Wohlstandes nicht zu sein«, entgegnete ich. »Und wenn Ihr mir jetzt die Auslagen samt Euren eigenen Gebühren zusammenrechnen wolltet, würde ich mich freuen, zu erfahren, ob ich noch ein wenig Geld zum Leben zurückerhalte. Nicht daß ich ungern das Ganze dransetzen würde, um Alan frei zu bekommen, oder daß es mir etwa an mehr gebricht; aber nun ich an einem Tage so viel abgehoben habe, möchte es meines Erachtens einen recht mißlichen Eindruck machen, wenn ich mich am drauffolgenden gleich wieder meldete. Aber seht ja zu, daß es reicht,« setzte ich hinzu, »denn ich habe wenig Lust, Euch wiederzutreffen.«
»Nun, es freut mich, daß Ihr auch vorsichtig seid«, sagte der Anwalt. »Aber ich meine, es ist doch ein wenig riskant, mir eine so große Summe anzuvertrauen.«
Dies wurde mit verschleiertem Hohn gesagt. »Ich muß das Risiko tragen«, antwortete ich. »Ja, da ist doch noch ein weiterer Dienst, den ich von Euch erbitten möchte, und zwar, daß Ihr mir den Weg zu einem Logis weist, denn ich habe kein Dach über meinem Kopf. Aber es muß ein Logis sein, auf das ich auch zufällig gestoßen fein könnte; denn es geht ganz und gar nicht, daß der Lord Staatsanwalt von unserer Bekanntschaft erfährt.«
»Darüber könnt Ihr völlig beruhigt sein«, erklärte er. »Ich werde ihm Euren Namen niemals nennen, Sir; und meine Meinung ist, man kann dem Lord Staatsanwalt immerhin noch gratulieren, daß er von Eurer Existenz nichts weiß.«
Ich sah, ich hatte den Mann falsch angefaßt.
»Dann steht ihm noch ein guter Tag bevor,« sagte ich, »denn nicht später als morgen, wenn ich ihn besuchen werde, muß er davon erfahren, und wäre er taub.«
»Wenn Ihr ihn besucht!« wiederholte Mr. Stuart.
»Bin ich toll oder seid Ihr’s? Was wollt Ihr beim Staatsanwalt?«
»Oh, nichts Besonderes, nur mich ihm stellen«, lautete meine Antwort.
»Mr. Balfour,« rief er, »haltet Ihr mich zum Narren?«
»Nein, Sir,« erwiderte ich, »obwohl ich der Ansicht bin, daß Ihr Euch mir gegenüber einige Freiheiten erlaubt habt. Aber ich gebe Euch ein für allemal zu verstehen, daß ich nicht zum Scherzen aufgelegt bin.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Stuart. »Und ich gebe Euch zu verstehen (wenn es wirklich in diesem Tone weitergehen soll), daß mir Euer Benehmen immer weniger gefällt. Ihr kommt hierher mit den verschiedensten Ansinnen, die mich zu höchst zweifelhaften Handlungen veranlassen und mich auf lange Zeit hinaus mit einigen sehr wenig wünschenswerten Personen zusammenführen werden. Und dann erklärt Ihr mir, Ihr ginget von meinem Bureau aus schnurstracks zum Staatsanwalt, um mit ihm Euren Frieden zu machen. Alans Knopf hin und her, Alans Haxen und Hände werden mich nicht dazu bringen, mich weiter mit Euch einzulassen.«
»Ich würde an Eurer Stelle die Sache mit etwas mehr Gleichmut hinnehmen«, sagte ich; »vielleicht können wir das vermeiden, wogegen Ihr Euch sträubt, obwohl ich keinen anderen Ausweg sehe, als mich freiwillig zu stellen. Vielleicht wißt Ihr indes einen besseren. Wenn Ihr’s könntet, will ich gar nicht bestreiten, daß mir viel wohler zumute wäre. Denn ich vermute, mein Handel mit seiner Lordschaft dürfte meiner Gesundheit wenig zuträglich sein. Das eine ist klar: ich muß mein Zeugnis ablegen, denn ich hoffe, es wird Alans Ruf (wenigstens was davon übriggeblieben ist), und was wichtiger ist, James’ Hals retten.«
Er schwieg eine kleine Weile, dann: »Mein guter Bursche, man wird Euch niemals gestatten, derartiges auszusagen.«
»Das werden wir noch sehen«, entgegnete ich, »ich bin ziemlich steifnackig, wenn’s mir drauf ankommt.«
»Esel, Riesenesel!« rief Stuart. »’S ist doch der James, den sie wollen; James muß hängen – Alan auch, wenn sie ihn erwischen können – doch James unter allen Umständen. Kommt dem Staatsanwalt nur mit irgendwelchen derartigen Sachen, und Ihr werdet sehen, er findet einen Weg, Euch einen Maulkorb anzulegen.«
»Ich habe eine bessere Meinung von dem Staatsanwalt als Ihr«, antwortete ich.
»Zum Henker mit dem Staatsanwalt!« rief er. »Es sind die Campbells, Mann! Ihr werdet die ganze Meute auf den Fersen haben, und der Staatsanwalt auch, armer Teufel! Es ist erstaunlich, daß Ihr nicht begreift, wo Ihr steht! Finden sie keinen geraden Weg, Euch das Maul zu stopfen, so haben sie einen krummen bei der Hand. Sie können Euch auf die Anklagebank bringen, seht Ihr denn das nicht ein?« rief er und bohrte mir seinen Finger ins Bein.
»Freilich,« erwiderte ich, »das Gleiche wurde mir erst heute morgen von einem anderen Anwalt gesagt.«
»Und wer war das?« forschte Stuart. »Zum mindesten hat er vernünftig gesprochen.«
Ich sagte ihm, er müsse es mir schon erlassen, einen Namen zu nennen, denn es wäre ein angesehener, überzeugter, alter Whig, der wenig Lust hätte, in derartige Angelegenheiten hineingezerrt zu werden. »Ich glaube, die ganze Welt ist darin verwickelt!« rief Stuart. »Und was habt Ihr darauf erwidert?«
Ich erzählte ihm, was sich vor dem Hause Shaw zwischen Rankeillor und mir zugetragen hatte.
»Nun, dann werdet Ihr hängen«, meinte er. »Ihr werdet neben James Stuart hängen. Da habt Ihr Euer Schicksal vorausgesagt!«
»Ich hoffe immer noch, daß es besser abgehen wird,« entgegnete ich, »doch habe ich niemals bestritten, daß ein Risiko damit verknüpft ist.«
»Ein Risiko!« wiederholte er und saß dann wieder schweigend da. »Ich müßte Euch von Rechts wegen für Eure Treue gegen meine Freunde, denen gegenüber Ihr eine so feste Gesinnung zeigt, danken,« sagte er. »Wenn Ihr nur die Kraft habt, bei der Stange zu bleiben. Aber ich warne Euch, Ihr watet in tiefem Wasser. Ich (ein geborener Stuart) würde mich für alle Stuarts seit Noah nicht an Eure Stelle setzen. Risiko? Ich laufe deren mehr als genug: doch vor einem Gerichtshof, zusammengesetzt aus Campbell-Geschworenen und Campbell-Richtern und obendrein in einer Campbell-Gegend und in einem Campbell-Streit – denkt von mir, was Ihr wollt, Balfour, es geht über meine Kraft.«
»’S ist wohl ein Unterschied in der Denkungsart«, antwortete ich. »Ich wurde von klein auf in der meinigen von meinem Vater erzogen.«
»Ehre seiner Asche! Er hat seinen Namen einem braven Sohn hinterlassen«, erklärte er. »Und doch möchte ich nicht, daß Ihr allzu schlecht von mir denkt. Mein Fall ist verdammt verzwickt. Seht, Sir, Ihr sagt, Ihr seid ein Whig; ich frage mich, was ich eigentlich bin. Sicherlich kein Whig, das ist klar; justament ein Whig könnte ich nicht sein. Jedoch – lacht nur über mich – ich stehe vielleicht auch nicht ganz so scharf auf der anderen Seite.«
»Ist das wirklich wahr?« rief ich. »Genau das hätte ich bei einem Mann von Eurem Verstande angenommen.«
»Bah! Nichts von Euren Schmeicheleien!« rief er.
»Verstand ist auf beiden Seiten. Aber ich privatim trage kein sonderliches Verlangen, König Georg eins auszuwischen; und was König Jakob – Gott segne ihn! – betrifft, so finde ich ihn für meinen Teil jenseits des Kanals ganz gut aufgehoben. Seht Ihr, ich bin ein Anwalt und liebe meine Bücher und einen guten Tropfen, ein rechtschaffenes Plädoyer, einen säuberlich aufgesetzten Schriftsatz, einen gelegentlichen Strauß mit den Herren Kollegen im Parlamentshaus und dann und wann an Samstagabenden ein Spielchen Golf. Nun frag ich Euch: Wo ist da Platz für Eure Hochlandsplaids und Schwerter?«
»Ja,« entgegnete ich, »’s ist wirklich wahr, Ihr habt wenig von einem wilden Hochländer an Euch.«
»Wenig?« echote er. »Gar nichts, Mann! Und doch bin ich dort geboren, und wenn der Clan pfeift – was hilft’s – da muß ich tanzen. ’S ist, wie Ihr selber sagt: mein Vater hat’s mich so gelehrt, und ’ne nette Tätigkeit hat er mir zugeschanzt! Hochverrat und das Herein- und Herausschmuggeln von Hochverrätern; und die französischen Werbungen – hol sie der Henker! – Und das Durchschmuggeln der Rekruten; und erst die Prozesse! Der Teufel hole sie! Gerade hab ich wieder einen anhängig gemacht, für meinen Vetter, den jungen Ardshiel: Klage auf Rückgabe seiner Ländereien auf Grund eines Ehekontraktes – verpfändeter Ländereien! Ich sagte ihnen, es wäre ein Unsinn; was fragten sie schon danach! Und dann mußt ich mich hinter einen Gerichtsadvokaten stecken, dem die Sache genau so wenig gefiel wie mir, denn sie hat uns beide glatt ruiniert – gleich steht man auf der schwarzen Liste und bekommt einen Stempel ‘Mißvergnügt’ aufgebrannt, wie das liebe Vieh den Namen des Besitzers! Was soll ich dagegen tun? Ich bin ein Stuart, seht Ihr, und muß für meinen Clan und meine Familie einstehen! Erst gestern wurde wieder einer von unseren Burschen nach der Burg gebracht. Weswegen? Ich weiß es genau: Gesetz von 1736 – Rekrutierung für König Louis. Und Ihr werdet sehen – er wird nach mir pfeifen, damit ich seine Sache übernehme, und meine Reputation hat einen neuen schwarzen Fleck! Ich sag es Euch rundheraus: könnt ich den Kopf eines hebräischen Worts vom Schwanz unterscheiden, der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht die ganze Sache an den Nagel hinge, um Geistlicher zu werden!«
»Es ist wirklich eine ziemlich schwierige Lage«, bemerkte ich.
»Verdammt schwierig!« rief er. »Und gerade deshalb denk ich so hoch von Euch – der Ihr kein Stuart seid, – daß Ihr Euren Kopf so tief in eine Stuartfache steckt. Weshalb, weiß ich nicht: es sei denn, Ihr tätet’s aus Pflichtgefühl.«
»Ich hoffe, das ist der Grund«, sagte ich.
»Nun,« meinte er, »’s ist eine großartige Eigenschaft. Doch da kehrt mein Schreiber zurück, und wir wollen, mit Eurer Erlaubnis, alle drei einen Bissen essen gehen. Danach werde ich Euch die Adresse eines sehr ordentlichen Mannes geben, der Euch recht gern als Mieter aufnehmen wird. Und Eure Taschen werd ich Euch auch füllen, und zwar aus Eurem eigenen Beutel. Denn dies Geschäft hier wird lange nicht so kostspielig sein, als Ihr es Euch denkt – nicht einmal die Schiffsangelegenheit.«
Ich bedeutete ihm, daß der Schreiber in Hörweite wäre.
»Bah, Ihr braucht auf Robbie keine Rücksicht zu nehmen«, rief er. »Er ist auch ein Stuart, armer Teufel! und hat mehr französische Rekruten und rührige Papisten ’rübergeschmuggelt, als er Haare im Gesicht hat. Robin selbst ist derjenige, der diesen Teil meiner Geschäfte besorgt. Wen haben wir zur Zeit bei der Hand, Robbie, um jemanden überzusetzen?«
»Nun, da wäre An die Scougal auf der ‘Thristle’«, entgegnete Robin. »Hoseason sprach ich erst vor kurzem, aber er scheint noch immer kein Schiff zu haben. Dann ist da auch noch Tam Stobo; aber ich bin mir Tams nicht so ganz sicher. Ich hab gesehen, wie er sich mit einigen recht zweifelhaften Bekanntschaften anbiederte; und wenn sich’s um jemand von Bedeutung handelt, würde ich den Tam übergehen.«
»Der Kopf ist zweihundert Pfund wert, Robin«, sagte Stuart.
»Potz Donner, ’s ist doch nicht etwa Alan Breck?« rief der Schreiber.
»Niemand anders«, versetzte sein Herr.
»Liebe Zeit! Das ist ’n ernster Fall«, rief Robin. »Ich will’s dann mal mit Andie versuchen; Andie ist schon der Richtige.«
»Das scheint ja eine ganz schwierige Sache zu sein«, bemerkte ich.
»Überhaupt nicht abzusehen, Mr. Balfour«, sagte Stuart.
»Euer Schreiber nannte da vorhin einen Namen,« fuhr ich fort, »Hoseason, von der Brigg ‘Covenant’. Würdet Ihr dem vertrauen?«
»Er hat nicht gut gegen Euch und Alan gehandelt,« meinte Mr. Stuart, »aber ich bin über den Mann im allgemeinen anderer Ansicht. Hätte er Alan auf einen Vertrag hin an Bord genommen, er hätte sich meiner Meinung nach als zuverlässiger Kontrahent gezeigt. Was meinst du, Robbie?«
»Es gibt keinen Ehrlicheren im ganzen Schiffergewerbe«, erwiderte der Schreiber. »Ich würde auf Elis Wort schwören, und handelte es sich um den Chevalier2 und um Appin selbst«, fügte er hinzu.
»Er war’s doch auch, der den Doktor3 ’rüberbrachte?« fragte sein Herr.
»Der nämliche«, war des Schreibers Antwort.
»Und ich glaube, er brachte ihn auch wieder zurück?« forschte Stuart.
»Jawohl, und zwar mit vollen Taschen«, rief Robin.
»Und Eli wußte davon.«
»Nun, es scheint, daß man sich in den Leuten nur schwer auskennt«, sagte ich.
»Das gerade hatte ich vergessen, als Ihr bei mir eintratet, Mr. Balfour«, schloß der Anwalt.
KAUM WAR ICH AM NÄCHSTEN MORGEN IN MEINEM neuen Logis aufgewacht, als ich auch schon munter und in meinen Kleidern war; und kaum hatte ich mein Frühstück heruntergeschluckt, als ich auf weitere Abenteuer auszog. Für Alan, konnte ich hoffen, war jetzt gesorgt; James versprach ein heiklerer Fall zu werden, und ich mußte annehmen, daß dieses Unterfangen mich teuer zu stehen kommen würde, zumal jeder, dem ich meine Auffassung auseinandergesetzt hatte, mich desgleichen versicherte. Es schien, als hätte ich den Gipfel des Berges nur erklommen, um gleich wieder in die Tiefe zu stürzen; als hätte ich mich durch so schwere Mühsale zu Reichtum und Ehren, zu meiner städtischen Kleidung und dem Schwert an meiner Seite emporgearbeitet, lediglich um zum Schluß Selbstmord zu begehen, und zwar die schlimmste Art von Selbstmord: auf des Königs Kosten gehängt zu werden.
Weshalb tat ich es eigentlich? fragte ich mich selbst, als ich die High-Street hinunter und nordwärts über Leith Wynd zum Tore hinausschritt. An erster Stelle, sagte ich mir, um James Stuart zu retten; und wirklich spielte die Erinnerung an seine Verzweiflung, an die Wehklagen seiner Frau sowie an ein gelegentliches Wort von mir, das ich ihm gegenüber hatte fallen lassen, dabei eine große Rolle. Gleichzeitig aber überlegte ich mir, daß es meines Vaters Sohn doch eigentlich höchst gleichgültig sein könnte (oder müßte), ob James in seinem Bett oder auf dem Schafott stürbe. Zwar war er Alans Vetter; aber was Alan selbst betraf, so konnte ich nichts Besseres tun, als mich mucksmäuschenstill zu verhalten und den König, seine Liebden, den Herzog von Argyle, und die Krähen sich nach Herzenslust um die Knochen ihres Verwandten raufen lassen. Zudem konnte ich nicht vergessen, daß James, obwohl wir doch alle miteinander in der gleichen Klemme steckten, keine übertriebene Besorgnis um Alan und mich gezeigt hatte.
Dann kam mir der Gedanke, daß es um der Gerechtigkeit willen geschehe; das Wort gefiel mir ungemein, und ich setzte mir selbst des langen und breiten auseinander, daß uns vor allem daran gelegen sein müsse (da wir alle nun mal in die Politik verwickelt wären, einer dem anderen zum Schaden), der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen, und daß der Tod eines Unschuldigen dem ganzen Gemeinwesen eine Wunde schlüge. Dann wieder gab der Versucher mir eine Probe seiner Überredungskunst zu kosten; er flüsterte mir zu, ich solle mich schämen, daß ich mich in diese hohe Angelegenheit mische, ich sei ja nur ein eitles, prahlerisches Kind, das sich vor Rankeillor und Stuart gebrüstet hätte und sich nun durch seine Eitelkeit gebunden hielte, für seine großen Worte einzustehen. Ja, und er ließ mich auch das andere Ende des Knüppels spüren: er klagte mich der feigen Berechnung an, und daß ich auf Kosten eines kleinen Risikos mir größere Sicherheit erkaufen wolle. Sicher war, ich konnte jeden Tag Mungo Campbell oder den Beamten des Sheriffs von neuem über den Weg laufen, und dann würde man mich erkennen und mich Hals über Kopf in die Appin-Mordaffäre hineinziehen, wenn ich mich nicht zuvor gestellt und vom Verdacht gereinigt hätte. Und zweifellos würde ich, falls es mir gelang, meine Sache gut zu führen, von da an bis an mein Lebensende freier atmen. Doch wenn ich diesen Gründen voll ins Gesicht schaute, vermochte ich an ihnen nichts Unehrenhaftes zu entdecken. Und was das übrige betraf, so überlegte ich mir: hier steh ich am Kreuzweg; beide Wege führen zum gleichen Ziel. Es ist ungerecht, daß James gehenkt wird, wenn ich ihn retten kann; und ich würde mich lächerlich machen, wenn ich nach all meinem Gerede nicht auch handelte. James von der Schlucht kann von Glück sagen, daß ich mich von Anfang an so gebrüstet habe; und für mich selbst ist es auch kein Unglück, denn nun bin ich gebunden, das Rechte zu tun. Ich habe jetzt den Namen und die Mittel eines Gentleman; es wäre recht erbärmlich, entdecken zu müssen, daß mir das Wesentlichste dazu fehlt. Und dann fiel mir wieder ein, das sei ja eine unchristliche Gesinnung, und ich sprach rasch für mich ein Gebet, in dem ich um den Mut flehte, an dem es mir vielleicht gebrach, und bat, daß ich schnurstracks auf meine Pflicht losmarschieren möchte, wie ein Soldat in die Schlacht, um womöglich auch unbeschadet an Leib und Leben davonzukommen wie so viele andere.
Diese Gedankengänge festigten meinen Entschluß, trotzdem sie meine Augen durchaus nicht gegen die mich umdrohenden Gefahren und gegen die Tatsache verschlossen, daß ich auf meinem Wege (wenn ich ihn wirklich fortsetzte) wahrscheinlich über die Leiter zum Galgen stolpern würde. Es war ein klarer, schöner Morgen, obwohl der Wind von Osten blies. Seine kühle Frische sang sich mir ins Blut und gab mir ein Gefühl wie von Herbst und welken Blättern und von Toten, die in ihren Gräbern ruhen. Wahrhaftig, der Teufel mußte schon seine Hand im Spiele haben, wenn ich tatsächlich in der Hochflut meines Glücks um anderer Leute willen sterben sollte. Auf dem Gipfel von Calton Hill liefen einige Kinder lärmend hin und her und ließen ihre Drachen steigen, obwohl es für dieses Vergnügen noch nicht die richtige Jahreszeit war. Die papierenen Vögel zeichneten sich klar gegen den Himmel ab; ich sah, wie ein besenders schwerer vom Wind in große Höhen getrieben wurde und dann zwischen den Ginsterbüschen schwerfällig zur Erde fiel; und bei diesem Anblick dachte ich zu mir selbst: »Das war Davie.«
Mein Weg führte mich über Mouters Hill und zwischen Wiesen und an Hügeln vorbei durch den Zipfel eines Dorfes. Hier tönte das Gerassel von Webstühlen von Haus zu Haus; Bienen summten in den Gärten; die Nachbarn, die ich vor der Türe miteinander schwatzen sah, redeten eine fremde Sprache, und später hörte ich, daß es das Dorf Picardy gewesen sei, eine Niederlassung französischer Weber, die für die Linen Company arbeiteten. Bei ihnen erkundigte ich mich von neuem nach meinem Ziel, Pilrig und stieß nach einer Weile neben der Landstraße auf einen Galgen, an dem an Ketten zwei Männer hingen. Die Leichen waren, der Sitte gemäß, in Teer getaucht; der Wind wirbelte sie im Kreise herum, die Ketten klirrten, und die Vögel klammerten sich schreiend an die unheimlichen Hampelmänner. Das Schauspiel traf mich urplötzlich gleich einer Versinnbildlichung aller meiner Befürchtungen, und ich wurde nicht müde, es näher zu betrachten und mit allen Poren das Trostlose des Anblicks einzusaugen. Und was führt mir da der Zufall in den Weg, während ich immer wieder den Galgen umkreise? Ein gespenstiges altes Weiblein, das hinter dem einen Pfosten hockte und kopfschüttelnd und mit vielen Verbeugungen und Handbewegungen laut mit sich selbst redete.
»Wer sind diese beiden da, Mutter?« fragte ich, auf die zwei Leichname deutend.
»Gottes Segen über dein herziges Gesicht«, rief sie.
»Zwei alte Schätze von mir; nur zwei meiner alten Schätze, mein Junge.«
»Und weswegen hängen sie da?« erkundigte ich mich weiter.
»Oh, nur wegen der guten Sache«, erwiderte sie.
»Oft hab ich’s ihnen vorausgesagt, wie’s enden würde. Zwei Shilling schottisch, nicht einen Penny mehr; und zwei hübsche Jungen müssen dafür hängen: sie nahmen’s einem Balg aus Brouchton ab.«
»So, so«, sagte ich zu mir selbst und nicht zu der tollen alten Vettel, »und wegen einer so erbärmlichen Sache haben sie’s so weit gebracht. Das heiß ich wahrhaftig von Gott verlassen sein.«
»Laß mich deine Hand sehen, Herzensjunge,« fuhr sie fort, »ich will deine Zukunft voraussagen.«
»Nein, Mutter«, entgegnete ich, »ich sehe schon so klar genug, wohin der Weg mich führt. Es tut nicht gut, zuviel vorauszuwissen.«
»Ich lese auf deiner Stirne«, antwortete sie. »Da ist ein hübsches Mädel mit hellen Augen und ein kleiner Mann in einem schönen, gestickten Rock und ein großer Mann in einer gepuderten Perücke, und da ist noch der Schatten der Rabenwippe, hier quer über deinem Weg. Zeig deine Hand her, Herzensjunge, und laß dir von der alten Merren eine feine, gute Zukunft voraussagen.«
Die beiden Zufallstreffer, die auf Alan und die Tochter James Mores abzuzielen schienen, berührten mich tief, und ich floh vor dem grausigen Geschöpf, ihr einen Batzen hinwerfend, mit dem sie unter den tanzenden Schatten der Gehenkten weiter spielte.
Mein Weg auf der Leither Landstraße wäre ohne diese Begegnung um vieles angenehmer gewesen. Der alte Fahrdamm führte zwischen Feldern hindurch, derengleichen ich, was Geschicklichkeit in der Bebauung anbelangt, nie gesehen hatte; allein die Galgenketten rasselten weiter in meinem Kopf, und das Krächzen und Unken der alten Hexe sowie der Gedanke an die beiden Toten verfolgten mich wie ein Gespenst. Am Galgen zu endigen schien mir ein hartes Los, und ob nun ein Bursche wegen zwei Shilling schottisch oder (wie Mr. Stuart es prophezeite) wegen seines Pflichtgefühls dort baumelte, machte, sobald er erst mal geteert und gefesselt und aufgehängt war, im Grunde genommen wenig aus. Dort würde David Balfour vielleicht auch einmal hängen, und die anderen Burschen würden vorbeigehen und Schlechtes von ihm denken und sich von verrückten alten Weibern, die am Fußende kauerten, die Zukunft voraussagen lassen; und saubere, schlanke Mädchen würden vorübergehen und sich dabei die Nase zuhalten. Ich sah sie deutlich vor mir, und alle hatten sie graue Augen, und die Bänder, die sie im Haare trugen, leuchteten in den Drummond-Farben.
Ich war daher in gedrücktester Stimmung, wenn auch immer noch ziemlich fest entschlossen, als ich Pilrig vor mir auftauchen sah: ein hübsches Haus mit vielen Giebeln, das neben der Landstraße zwischen einigen prächtigen jungen Bäumen lag. Des Gutsherrn Pferd stand gesattelt vor der Türe, als ich mich dem Hause näherte, aber er selbst befand sich in seinem Studierzimmer, wo er mich, umgeben von gelehrten Büchern und Musikinstrumenten, empfing, denn er war nicht nur ein großer Philosoph, sondern auch ein eifriger Musiker. Anfänglich begrüßte er mich ziemlich freundlich und stellte sich mir dann, nachdem er Rankeillors Brief gelesen hatte, mit großer Zuvorkommenheit ganz zur Verfügung.
»Worum handelt es sich, Vetter David?« fragte er – »denn wir sind ja, wie es scheint, Vettern – was kann ich für Euch tun? Ein Wort an Prestongrange? Das ist zweifellos leicht geschrieben. Aber wie soll dieses Wort lauten?«
»Mr. Balfour,« entgegnete ich, »wollte ich Euch meine Geschichte erzählen, ich glaube tatsächlich, Ihr wäret wenig davon entzückt. Das ist meine Ansicht, und Mr. Rankeillors ebenfalls.«
»Es tut mir leid, derartiges von Euch zu hören, Vetter,« antwortete er.
»Das darf ich nicht auf mir sitzen lassen, Mr. Balfour,« entgegnete ich: »mich drückt nichts, das mich gereut oder das Ihr um meinetwillen zu bedauern braucht, ausgenommen gemeine menschliche Gebrechen, wie wir sie alle tragen: ‘die Schuld aus Adams erster Sünde, der Mangel ursprünglicher Gerechtigkeit und die Verderbtheit meiner ganzen Natur’: für die muß ich einstehen, und ich hoffe, man hat mich gelehrt, wohin ich mich um Hilfe wenden muß«, fügte ich hinzu; denn aus dem Aussehen des Mannes schloß ich, daß er um so besser von mir denken würde, je genauer ich meinen Katechismus kannte. »Doch was meine weltliche Ehre betrifft, so habe ich mir nichts vorzuwerfen, und die Schwierigkeiten, in die ich geraten bin, sind sehr gegen meinen Willen und (soweit ich es beurteilen kann) ohne mein Zutun über mich hereingebrochen. Das Schlimme ist, ich bin in politische Wirren verstrickt, von denen Ihr, wie man mir sagt, nichts wissen mögt.«
»Schön, schön, Mr. David,« lautete seine Antwort, »ich freue mich, daß Ihr all das haltet, was Mr. Rankeillor von Euch verspricht. Und was die politischen Wirren anbetrifft, so habt Ihr vollkommen recht. Es ist mein Bemühen, jeden Verdacht zu vermeiden, ja mit alledem nichts zu tun zu haben. Die Frage ist nur,« fuhr er fort, »wie kann ich Euch, ohne von der Sache irgend etwas zu erfahren, helfen?«
»Nun, Sir,« entgegnete ich, »ich schlage vor, daß Ihr an seine Lordschaft schreibt, ich sei ein junger Mann von leidlich guter Familie und ansehnlichem Vermögen; beides trifft, wie ich glaube, zu.«
»Rankeillors Wort bürgt dafür,« sagte Mr. Balfour, »und das genügt mir unter allen Umständen.«
»Dann könntet Ihr noch hinzufügen (falls Ihr mein Wort dafür nehmen wollt), ich sei ein guter Kirchgänger und treuer Untertan König Georgs und in dieser Anschauung erzogen worden.«
»Was Euch unter gar keinen Umständen schaden kann«, sagte Mr. Balfour.
»Und ferner«, schlug ich vor, »könntet Ihr seiner Lordschaft schreiben, ich käme in einer überaus wichtigen Angelegenheit zu ihm, die seiner Majestät Dienste und Rechtspflege beträfe.«
»Da ich von der Angelegenheit nichts erfahren soll,« erklärte der Gutsherr, »kann ich auch nicht für ihre Wichtigkeit einstehen. ‘Überaus’ wird daher gestrichen und ‘Wichtigkeit’ ebenfalls. Im übrigen kann ich mich ja so ausdrücken, wie Ihr es wünscht.«
»Und dann, Sir,« schloß ich, ein paarmal mit dem Daumen über mein Genick fahrend, »dann wäre es mir noch sehr lieb, wenn Ihr an irgendeiner Stelle ein Wort zu meinem Schutz einfügen wolltet.«
»Schutz?« echote er, »zu Eurem Schutz? Der Ausdruck wirkt ein wenig wie eine Dusche auf mich. Wenn die Angelegenheit gar so gefährlich ist, dann trage ich, offen gestanden, einige Bedenken, mich so mit einer Binde vor den Augen einzumischen.«
»Ich glaube, ich könnte Euch in zwei Worten sagen, wo der Hund begraben liegt«, erwiderte ich.
»Das wäre vielleicht das Beste.«
»Nun, es handelt sich um die Appin-Mordaffäre.«
Er hielt beide Hände hoch. »Gott im Himmel!« rief er. Nach dem Ausdruck seines Gesichtes und seiner Stimme zu urteilen, glaubte ich zunächst, ich hätte meinen Gönner verloren.
»Ich will Euch erklären – –«, hub ich an.
»Vielen Dank, ich will nichts mehr davon hören«, meinte er kategorisch. »Ich weigere mich in toto, noch etwas davon zu hören. Um Eures Namens und um Rankeillors willen und vielleicht auch ein wenig um Eurer selbst willen werde ich tun, was ich kann, um Euch zu helfen; aber ich will keine Einzelheiten wissen. Und es ist offenbar meine erste Pflicht, Euch zu warnen. Das hier sind kitzlige Angelegenheiten, Mr. David, und Ihr seid noch ein junger Mann. Hütet Euch und überlegt es Euch zweimal.«
»Man sollte meinen, ich hätte es mir öfter überlegt, Mr. Balfour,« erwiderte ich, »und ich möchte Euch auf Mr. Rankeillors Brief aufmerksam machen, darin er (wie ich hoffe und glaube) mein Vorhaben billigt.«
»Gut, gut,« sagte er und wiederholte nach einer Pause, »gut, gut! Ich werde tun, was ich kann.« Mit diesen Worten griff er zu Feder und Papier, dachte eine Weile nach und begann dann mit großer Bedachtsamkeit zu schreiben. »Wenn ich Euch recht verstehe, billigt Mr. Rankeillor Eure Absicht?« fragte er schließlich.
»Nach einigem Hin- und Herreden hieß er mich in Gottes Namen gehen«, antwortete ich.