Cattolini erbt - Peter J. Kraus - E-Book

Cattolini erbt E-Book

Peter J. Kraus

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Conte Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Die verrottete Downtown von L.A., Arbeitsplatz von Vic Cattolini. Edelanwalt Maclintock schiebt dem chronisch blanken Gelegenheitsschnüffler 17000 Dollar über den Tisch. War das die Anzahlung für einen Auftrag? Denn der verstorbene Penner Porky hatte mehr zu vererben, als das Pfand einiger Bierdosen. Er verfügte über ein Zig-Millionen-Vermögen aus einer Bostoner Munitionsfabrikantendynastie. Das Geld liegt in einer dubiosen Stiftung, in deren Beirat Mafia-Capofamiglia Alberto Surfalone sitzt. Kaum beginnt Cattolini zu suchen, fallen reihenweise Zeugen tot um. Als es auch Maclintocks Anwaltskollegen trifft, erhält Cattolini die Unterstützung des Bostoner Polizisten Lanini. Die Zange um Surfalone scheint sich zu schließne … Kraus mischt Hardboiled-Elemente mit ironischem, oft witzigem Sound.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 311

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
Cover
Peter J. Kraus - Cattolini erbt
1 Vic Cattolini erbt
2 Geschenkter Gaul
3 Alte Bekannte
4 Porky gibt Rätsel auf
5 Arnie Shonbergs Partnerprobleme
6 Sergeant Sanchez hält die Hand auf
7 Sam Gittleman ist den Ärger los
8 Ich verschwinde und Maclintock taucht auf
9 Sergeant Sanchez kuscht
10 Sie sterben wie die Fliegen
11 Mamie flucht und Lanini schnüffelt
12 Die durstige Witwe
13 Abwarten und Tee trinken
14 Sogar Notare beichten
15 Laninis Goldgrube
16 Kohle kann jeder brauchen
17 Macs große Pläne
18 Harry der Fixer
19 Der Stellvertreter
20 Surfer Al lädt ein und Harry steigt aus
21 Teufel trifft Beelzebub
22 Nur noch Armani
Impressum
Lesetipps

1 Vic Cattolini erbt

Die verdammte Sonne knallte auf die beiden dreckverkrusteten Kneipenfenster und tauchte alles in einen stinkenden Schleier hellbraunen Smogs. Vom Bürgersteig aus waren die paar Vormittagssäufer auf ihren verchromten Barhockern kaum auszumachen. Ich stieß die schwarz glänzende Stahltür auf und trat ein. Reine Routine.

Eine Bullenhitze da draußen. Schatten gab’s in der heruntergekommenen Downtown von Los Angeles kaum. Erst spätnachmittags, aber um diese Zeit war ich meist schon ziemlich dicht. Scheißkaff.

»Kein Anruf?«

Johnny Wanaya schaute nicht mal auf. Mit einem altersschwachen Tuch polierte er lustlos ein Martiniglas und schüttelte nur die Billardkugel zwischen seinen Boxerschultern. Ich zweifelte, aber was soll man machen? Seitdem das Pennerhotel, in dem ich schon viel zu lange vorübergehend lebte, das öffentliche Rohr im Foyer wegen angeblich überhandnehmendem Drogenbusiness abgeschafft hatte, war ich auf Johnnys Telefon angewiesen.

Ich nuckelte an meiner selbst getunten Cola und überlegte zum x-ten Mal, warum seit Wochen Funkstille war. Irgendwann braucht doch jeder einen Schnüffler, und ich bin einer der besten. Aber tote Hose. Am Rand der Pleite zu schweben ist seit Jahren Normalzustand, doch jetzt ging’s mir mit aller Macht an den Kragen.

Der Kerl, der so flott hereinspazierte, passte überhaupt nicht in die Gegend. Gute Figur, teurer dunkler Anzug, spitze italienische Schuhe mit dazu passender Aktentasche, schicker Kurzhaarfrisur, glatt rasiert und stank bis hierher nach importiertem Nuttendiesel. Johnny kannte seine Kundschaft: Er schaute den Neuen kurz an und deutete mit seinem Stierschädel auf mich. Der Typ kam zielstrebig auf meine Sitznische zu.

»Darf ich?« Höflich war er auch. Ich lehnte mich ins dunkelrote Kunststoffpolster zurück und grunzte etwas Zuvorkommendes. Vielleicht war die lange Dürre endlich zu Ende.

»Victor Cattolini?«

»Der Echte. Vic Cattolini. Schnüffler par excellence.«

Der mehrteilige Namenszug einer bekannten Anwaltssozietät marschierte im Stechschritt über das obere Drittel seiner Visitenkarte. Darunter war zu lesen, dass er Maclintock hieß, von Beruf Anwalt und im Westküsten-Hauptquartier der bundesweiten Riesenkanzlei zu erreichen sei. Zwar kein Teilhaber, dazu war er zu jung, aber er vertrat trotzdem Power und Prestige der Nobelfirma. Ich nahm die Karte mit spitzen Fingern auf und nickte beeindruckt, als ich sie in meine Hemdtasche schob.

Meine Auftraggeber entstammten normalerweise einer erheblich preisgünstigeren Anwaltskaste. Scheidungstypen, die sich zu dritt oder zu viert ein paar Büroräume und eine Sekretärin teilten, Strafspezialisten mit glänzenden Anzügen und ausgefransten Hemdkragen; Selbststarter, die irgendeinen halbseidenen Dreh gefunden hatte von dem sie leben konnten. Keine Armstrong, Jameson, Richards, Armstrong & Armstrongtypen wie dieser. »Was kann ich für Sie tun, Counselor?« Das seltene Exemplar schaute mich recht fröhlich an.

»Im Gegenteil, Mister Cattolini – ich tue etwas für Sie, und ich muss sagen, dass ich diese Art Aufträge ganz besonders schätze. Ich habe nämlich Geld für Sie.« Er lehnte sich in seine Hälfte der halbrunden Sitzbank zurück und strahlte. Ein Bürschchen. Dreißig, vielleicht. Aber nett. Klar, wenn einer Geld bringt.

»Wie viel?«

»Siebzehntausend.«

»Dollar?« Mich traf fast der Schlag. Er nickte und schaute mich unentwegt mit diesem netten Jungenlächeln an. Ein süßes Kerlchen.

Johnnys rechtes Ohr war in den letzten paar Sekunden ums Doppelte gewachsen. Er rubbelte schneller quietschend am gleichen Glas herum und tat betont blasiert.

Ich schluckte den Rest meiner Cola.

»Bringst du mir noch eine? Nicht zu viel Eis. Und schütte was rein.« Musste ich wenigstens nicht meinen Flachmann unterm Tisch aufschrauben und die Brühe erst trinkbar machen. Wäre auch peinlich, wenn der Glücksbote das spitzkriegen würde. Ich schaute Maclintock fragend an. Er schüttelte den Kopf.

»Klar, Vic, sofort.« Freundlichkeit und Geschwindigkeit sind zwei unerlässliche Barkeeper-Eigenschaften. Die hatte Kneipier John Wanaya plötzlich im Übermaß.

»Siebzehn Mille, was?« Ich lehnte mich ins Polster zurück und ließ die Nachricht erst mal einsickern. Meine gesamte Barschaft bewegte sich bei knapp drei Dollar, die paar Forderungen aus meiner Schnüffelarbeit waren längst eingetrieben und versoffen, ernsthafte Aussicht auf permanente Besserung gab’s nur nachts im Traum. Logisch, dass irgendwo ein Haken war.

Ich schaute ihn also aus zusammengekniffenen Augen an und meinte freundlichst: »Bullshit.«

»Kein Bullshit. Absolut echt«, sagte Anwalt Maclintock, griff in seine noble Ledertasche und legte ein Scheckheft auf den Tisch.

»Und wie komm’ ausgerechnet ich zu der Kohle?«

»Eine Schenkung, so eine Art Erbschaft. James Earl Madison der Dritte hat Sie im Rahmen seiner Testamentserstellung bedacht. Der starb vor einiger Zeit, und ich muss sagen, es war nicht einfach, Sie zu finden. Aber nun hat’s ja geklappt. Soll ich Ihnen gleich einen Scheck ausstellen, oder kommen Sie lieber in die Kanzlei und regeln die Sache dort?«

»Machen wir hier, machen wir sofort.« Nur nicht auf die lange Bank schieben. »Scheck geht in Ordnung. Nehm’ ich gern. James Earl Madison der Dritte, was? Kenn’ ich den?« War mir echt kein Begriff, und es hätte mir auch scheißegal sein können, aber ich war wirklich neugierig. Hab noch nie einen im Bekanntenkreis gehabt, der so übertrieben hieß. Ein paar Juniors, einen gewissen Grafen Stolli von Stollenberg hab ich mal verhaftet, ein lustiger Kerl, der sich als Heiratsschwindler ein kleines Vermögen verdient hatte und eigentlich Jakobus van Sollenberg hieß; aber keinen Dritten. Die sind normalerweise an der Ostküste zu finden – Old Money, dritte Generation Rockefeller und so. Nicht meine übliche Kragenweite.

Der Jurist ließ sich erst mal meine Identität bestätigen. Schaute meinen Führerschein an und murmelte »aber, aber« über das auf der Rückseite angebrachte Fahrverbot, das noch fast sechs Monate galt, drehte meinen Veteranenausweis hin und her und schob beide Plastikkarten wieder über den Tisch. Dann griff er das Scheckheft und begann, richtig gute Zahlen zu schreiben.

»Klar kannten Sie den – der hieß hier bei seinen Freunden wohl Porky.«

Er grinste mich unverschämt an. Also doch verarscht!

»Was soll der Scheiß?« Am liebsten hätte ich ihn über den Tisch gezogen. »Porky, der Penner ist ein armes Schwein – bescheuert, ständig besoffen und hat sich ewig nicht mehr gewaschen. Porky hat nicht mal einen eigenen Pott zum Reinpissen.«

»Stimmt nicht ganz. Porky war ein steinreiches Schwein – und ich war sein hiesiger Rechtsbeistand. Nicht immer eine ungetrübte Freude zwar, das gebe ich zu. Aber jeder fängt mal klein an.«

Johnny hatte längst aufgehört, in Gläsern herumzureiben und lehnte seine ganze Fülle auf die Theke. Er schüttelte den Kopf, staunend, ungläubig.

»Anwalt von Porky?«, knarzte sein Bass. »So was gibt’s? Ich kann mir nicht mal einen leisten, wenn der Hurenbock von Hausverwalter die Miete wieder erhöht, und die Obersau Porky hat einen Anwalt?« Er war völlig fertig mit den Nerven.

Maclintock drehte sich zu ihm.

»Der liebe Verstorbene wuchs in Boston auf, meldete sich freiwillig nach Vietnam und kam etwas angeknackst zurück. Seit über dreißig Jahren lebte er auf der Straße, hielt sich wohl die meiste Zeit hier in Los Angeles auf und hatte an der Ostküste ein Vermögen auf der Bank liegen. Sein dortiger Vormund verwaltete es, und ich kann Ihnen sagen, dass ein hübsches Sümmchen übrig geblieben ist.«

Der Anwalt öffnete den Jackenknopf und lehnte sich ins Polster, die Arme von sich gestreckt, das Bild des Erfolgreichen, der die paar Minuten Ruhe im hektischen Tagesablauf sichtlich genoss.

»So helle war Mister Madison der Dritte noch, dass er mir eines Tages vor der Kanzlei auflauerte – ich wollte mich an ihm vorbeidrücken, weil er grausig stank und mit seinem bodenlangen Wollmantel über den vielen Hemden und Pullovern etwas wirr aussah, aber er griff meinen Arm und hielt mir schweigend einen Kontoauszug unter die Nase«, erinnerte sich der Anzugträger. Dann straffte er sich, rieb die Hände und bemerkte: »Well, man ist ja nicht umsonst Jurist.«

»Wann iss’ er denn gestorben?«, wollte der Wirt wissen. »Der war schon lange nicht mehr hier, aber ich hab nicht gewusst, dass er hops ist.«

»Letzten Herbst. Wurde im furztrockenen Flussbett des Los Angeles River erschossen, mitten am helllichten Tag. Kroch aus seiner Pappkartonhöhle unter der First Street Brücke und war im Nu mausetot. Und ich darf seither seine Erben suchen«, berichtete der Jüngling wieder zu mir gewandt. »Sie sind einer der letzten auf meiner Liste. Noch einen Herrn und den Job hätten wir auch erledigt.«

Sachen gibt’s.

Er reichte eine Schenkungs- und Abfindungserklärung sowie den Scheck über den Tisch. Ich unterschrieb und schob ihm seine Ausfertigung zu. Den Scheck schaute ich sorgfältig von beiden Seiten an, faltete ihn in der Mitte und verankerte ihn mit einer Sicherheitsnadel in der Innentasche meines schon etwas abgewetzten Tweedjacketts.

Der feine Maxe stand auf, schnipste nichtvorhandenen Staub vom Revers und griff die Aktentasche. »Gentlemen!«, grüßte er, drehte sich um und marschierte zur Tür.

»He«, fiel mir ein, »warum ich? Wie kommt Porky dazu, mir …«

»Steht alles in Ihrer Abfindungserklärung. Behalten Sie ruhig meine Visitenkarte. Bis dann.« Spöttisch fand ich das Grinsen, nicht jugendfrischsympathisch. Irgendwie gemein. Ich winkte ab und trank einen langen Zug.

»Haut hin, Junge. Hast ordentlich was reingekippt.«

Johnny One Eye glotzte mich an und murmelte etwas von vielleicht jetzt mal Schulden zahlen und eine Zeitlang nicht auf Deckel saufen.

2 Geschenkter Gaul

Die frische Kohle in meinem Leben wirkte wie ein Magnet. Plötzlich klingelte Johnnys Telefon für mich, und auf einmal kamen wieder Aufträge ins Haus. Glaubt man meiner Großmutter, die sich mit dem Leben auskannte, scheißt der Teufel am liebsten auf große Haufen.

Jake Waterman war verzweifelt, als er mich anrief. Wie immer. Jakes Zweimann-Firma Aladdin Bail Bonds stellt Kautionswechsel aus, bürgt bei Gericht für Geier, die nicht bis zur Verhandlung in U-Haft sitzen wollen. Normalerweise lief das Geschäft wie geschmiert, weil sich Jake die von ihm gestellte Kautionszusage möglichst durch Immobilienbesitz des Geiers, der Geierfreunde oder der Geierverwandtschaft absicherte. Aber gelegentlich konnte der Kunde außer Jakes zehnprozentigem Bürgschaftshonorar nichts auftreiben, und manchmal haute auch einer ab, und dann musste Jake bluten.

»Das Schwein heißt Lefty Figowitz, war wegen versuchter Erpressung drin und ist der verdammte Vetter meiner dämlichen Alten«, fauchte er. »Logisch, dass der Penner keine Sicherheit für die verfluchte Kaution hatte. Und natürlich hat die Schnalle genörgelt, bis ich nachgegeben hab.«

»Verwandtschaft, Jake. Sollte man nie Geld leihen.«

»Leck du mich am Arsch. Vor Montagabend musst du ihn greifen und im Zentralgefängnis abliefern. Montagabend um sechs. Sonst bin ich vierzig Riesen los.«

»Wird gemacht. Die üblichen fünf Prozent Erfolgshonorar für mich, nehme ich an?«

Jake grunzte nur.

Nun war schon Donnerstag, vom verschwundenen Vetter Lefty war bisher weder Haut noch Haar zu sehen, und Jake wurde immer nervöser. Ich hatte mir endlich wieder ein Auto gekauft, einen dunkelbraunen Chevy Caprice, obwohl er schon ziemlich betagt war und der dazugehörige Führerschein noch ein ganzes Weilchen nur als Wandschmuck taugte.

Mit dem Chevy hatte ich drei oder vier von Leftys Stammlokalen ergebnislos abgeklappert, hatte mich mit Tagedieben und Nutten unterhalten, hier und dort ein Gläschen springen lassen, aber keiner wollte wissen, wo er steckte. Bis mir endlich einer seiner Saufkumpane drüben in Burbank irgendwas von einem Dreh erzählte, der Lefty reich machen sollte. Eine Art Heiratsvermittlung per Internet. »FuckbuddyDotCom soll die heißen«, meinte der Informant grinsend. Von wegen Ehevermittlung. Ich tippte eher auf Zuhälterei – viel deutlicher konnte man kaum werben. Wer etwas verkaufen will, hinterlässt zwangsläufig seine Anschrift oder Telefonnummer, sonst kommt kein Kontakt zustande. Also auf ins Internet.

Ich bedankte mich mit ein paar Bieren und einem halb vollen Taschenfläschchen Whiskey bei dem Herrn und fuhr zum Los Angeles Herald. Dessen Archiv erstreckt sich über ein ganzes Kellerstockwerk, und sie boten dort kostenlosen Internetzugang an. Mich kannten sie da bereits.

Das Herald-Building hätte sich in Stalins Moskau oder im tausendjährigen Berlin zu Hause gefühlt. Muskulöse Werktätige an den hohen geweißelten Wänden, Ährenschnitterinnen mit weizenblonden Zöpfen vor abendrotem Himmel. In Marmor gemeißelte Blitze, Adler, Zahnräder. Nach oben hin dunkel, viel Holz, riesige Deckenbalken, Staub tanzt vor den schmalen Lichtschlitzen. Hatte mir schon als Knabe imponiert. Ich wuchs in West Hollywood auf, fuhr oft nach der Schule mit dem Santa Monica Boulevard Bus in die Innenstadt von Los Angeles und durchquerte das riesige Herald-Gebäude, um unauffällig zu den Schmuddelkinos und Stripschuppen des Broadway zu gelangen. In verschmierten Glaskästen neben den Eingangstüren hingen grelle Nacktfotos der Künstlerinnen, auf die ich scharf war. Auf die Fotos, nicht die Glaskästen.

Lefty hatte klug gewählt. Bei FuckbuddyDotCom redete man nicht lange um den heißen Brei herum. Die zweite Seite des Webangebotes zierte gleich eine arg nuttig aussehende Braut, die außer Hundehalsband und Leine nichts trug. Auf jeder Seite stand die gleiche Telefonnummer. Eine dieser Achthunderternummern, die man zwar umsonst anrufen kann, die aber überall auf der Welt beheimatet sein können. Ich druckte die Seite aus, faltete das Blatt sorgfältig und steckte es in meine Jackentasche.

Seit Wochen hatte ich gegrübelt, warum Porky ausgerechnet mir Geld hinterlässt. Wenn man mal Bulle war, lässt einen so was nicht in Ruhe. Kohle ist der große Motivator, so ziemlich jedes Verbrechen führt auf Bares zurück, und hier schenkt mir einer einen für mich fast unfassbaren Betrag. Ohne erkennbare Absicht.

Also dachte ich, wenn du schon hier sitzt, kannst du dich über Porky schlau machen.

Ausgerechnet das Wall Street Journal brachte eine Kurzmeldung über Porkys Dahinscheiden. Alleinerbe des Rüstungsunternehmers und renommierten Kunstsammlers James Earl Madison Jr., in Los Angeles erschossen. James Earl III, las ich da, soll an einer nicht näher bezeichneten Nervenkrankheit gelitten haben, was ihn allerdings nicht davon abhielt, uns allen jahrelang total auf den Wecker zu gehen. Und dann blieb mir fast der Kaugummi im Hals stecken – den überwiegenden Teil seines auf sechzig Millionen Dollar geschätzten Vermögens hatte er der gemeinnützigen Madison Stiftung zur Erforschung außerirdischen Lebens vermacht. Stiftungsvorsitzender Maclintock bedauerte das Ableben des Mäzens zutiefst und gelobte die Fortführung der begonnenen Arbeit im Sinne des Verstorbenen.

Schau einer an, der Anwalt! In der Magengrube spürte ich ein bekanntes Kneifen, seit meinen Jahren als Cop ein Indiz dafür, dass irgendwas zum Himmel stank. Ich schob mich vom Lesetisch weg, schaltete den Computer auf Leerlauf und stieg Gedanken versunken die Treppe zum Eingangsgeschoss hoch.

Ich setzte mich in den Park gegenüber. Einen Mordsdurst hatte ich im staubigen Keller entwickelt. Zum Glück war mein Flachmann voll. Wir, Flasche und ich, tauschten im Laufe der nächsten Stunde den Zustand.

Die Erforschung außerirdischen Lebens passte zu Porky. Als ich lange nach Empfang meines unverhofften Glücks dazu kam, die Abfindungserklärung durchzulesen, musste ich über Porkys Ermahnung lachen. Auf Seite zwei unter »Sonstiges« hatte der mit Porkys Vormundschaft beauftragte Notar eine Erklärung beigefügt: »Die folgenden Zeilen, beginnend mit ich und endend mit der Unterschrift meines Mandanten, wurden auf dessen ausdrückliches Verlangen Bestandteil dieser Abfindungserklärung.«

Danach stand: »Ich, James Earl Madison III, im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte, verpflichte den/die unten stehend aufgeführte(n) Beschenkte(n), mein plötzliches Verschwinden oder meinen ›Tod‹ (sic: d. Notar) als natürliches Ereignis zu akzeptieren und meine Freude darüber zu teilen, nun eine höhere Bewusstseinsstufe erreicht zu haben. Nachforschungen über mein Verschwinden oder ›Tod‹ (sic: d. Notar) bitte ich daher zu unterlassen. Sie haben den Verzicht auf etwaige Leistungen meinerseits oder seitens meines Erbes zur Folge. Datum, Ort, James Earl Madison III.«

Schwachsinn. Vollbesitz seiner geistigen Kräfte? Dass James Earl III, vulgo Porky, einen Jesus mäßigen Schuss weghatte, wurde von niemandem bezweifelt, am allerwenigsten von ihm selbst. Dass er schwebte, dass er mit Unsichtbaren sprach, dass er sogar vor neonbunt leuchtenden Bargeldautomaten Haltung annahm und den darin angeblich Lebenden zackig salutierte, war immer ein Quell der Touristenfreude unten an der East Third Street, wo er den größten Teil seiner Tage verbracht hatte. Er war nun zwar tot, aber dass er einen derart gewaltigen Haufen Geld von einem Anwalt verwalten ließ, mit dem er kaum Kontakt hatte, wollte mir nicht einleuchten. Vom Forschungsinstitut einer anerkannten Uni vielleicht, oder einem Wissenschaftler, der sich mit Außerirdischen beschäftigte. Gibt’s doch genügend. Aber doch nicht von einem Maclintock.

Ich verstand Porky nicht. Bescheuert in Ehren, aber er war doch nicht bekloppt.

Die Polizeiausbildung ist zäher als man annimmt. Immer und überall sehe ich Beschiss, Lug, Trug. Das hat mir schon die Ehe kaputtgemacht. Früher war ich ein richtig netter Mensch, aber als mich die Armee im Mai ‘91 aus dem Irak übers gerade von uns wieder befreite Kuwait heimholte und mit einem frischen Danke-Schön-Orden an der Brust ins Zivilleben entließ, schleppte ich schon eine leichte Paranoia mit mir herum. Feinde überall, niemandem war zu trauen. Monate danach meldete ich mich beim Los Angeles Police Department, weil ich außer marschieren, schießen und gehorchen nichts gelernt hatte. Jeder darauf folgende Arbeitstag in der verkommenen City of Angels hatte mir klargemacht, dass Paranoia auch begründet sein kann.

Na ja. Jedenfalls saß ich da im verdammten Sonnenschein, nuckelte am Flachmann, hatte vorerst Jake Waterman und seinen angeheirateten Vetter Lefty Figowitz in eine hintere Schublade gesteckt und wusste, dass Porkys Anwalt Dreck am Stecken hatte. Was mich eigentlich nichts anging. Der hatte mein Leben erheblich vereinfacht. Wozu überlegen, wie er wohl Porky aufs Kreuz gelegt hatte? Weshalb alles wieder verkomplizieren? Warum sich immer einmischen?

Ich wachte frierend auf. Die Sonne war verschwunden und ein kühler Nachtwind blies. Im Gebüsch hinter der Parkbank stritt sich ein besoffenes Pärchen; sie nörgelte die Tonleiter hinauf und hinunter, er grummelte rhythmisch. Böse Grundstimmung bei denen. Die Übelkeit stieg mir in die Kehle. Mir wurde von billigem Whiskey immer schlecht. Ich stand auf, schlenderte zum ausladenden Rhododendronstrauch, in dessen Schutz sich die beiden kabbelten, und kotzte rein. Dann ging ich zum Hotel zurück und legte mich auf die fleckige Matratze.

Ich konnte nicht einschlafen. Vorm Fenster flackerte ein Neonschriftzug in Kaugummirosa, nebenan wurde grunzend gevögelt, an der Ecke Fünfte und Spring Street trötete ein Mariachi-Trompeter.

Porky ließ mir keine Ruhe. Warum schenkte der mir Geld? Die anderen Beschenkten kannte ich nicht. Vielleicht waren das alte Armykumpane oder so was, weiß der Kuckuck. Ich hatte ihm ein paar Mal aus der Patsche geholfen, schleppte ihn eines Nachts mal ins City of Angels Krankenhaus, nachdem ihn jemand furchtbar vertrimmt hatte, weil er seine Rotweinflasche nicht teilen wollte, aber sonst hatten wir wenig miteinander zu tun gehabt. Was veranlasste ihn, einem gelegentlichen Saufkumpan solch eine Menge Kohle zu vermachen?

Ich grübelte noch, als der Krach nebenan in Schnarchen überging und die Reklame draußen abgeschaltet wurde. Nur der Trompeter blies weiter.

3 Alte Bekannte

Ich wählte Lefty Figowitz’ Web-Achthunderter-Nummer und machte ein Treffen mit einer Brittany für den Freitagabend klar. Der Termintante am Telefon gab ich die Kreditkartennummer, mit der Jakes Sekretärin normalerweise Bürozeugs bezahlte.

Die Brittany von der Internet-Ehevermittlung war pünktlich, wollte von Hochzeit aber nichts wissen. Einen Quickie bot sie für fünfzig Dollar an, eine ausgedehnte Körperpflegeaktion für zweihundert und die ganze Nacht für einen runden Tausender. Ich entschied mich für den Quickie. Jake zahlte zwar Spesen, aber höchst ungern.

Wir verließen die Absteige am stadtnahen, mieseren Teil des Sunset Boulevard zusammen, gingen Arm in Arm zur Tiefgarage nebenan und trennten uns im ersten Untergeschoss. Sie hatte zwei Stockwerke tiefer geparkt, ich hatte einen Platz am Ausgang belegt.

Ein paar Minuten später fuhr sie an mir vorbei. Ich ließ zwei Autos passieren, reihte mich in den spärlichen Abendverkehr ein und folgte Brittany bis nach North Hollywood. Sie stellte ihr Auto neben einem der baufälligen, im spanischen Missionsstil errichteten zweistöckigen Wohnblocks ab, an dem die meisten Türschilder osteuropäisch klingende Namen trugen. Sie schellte, und oben links wurde das Flurlicht eingeschaltet.

Ich ließ einige Minuten verstreichen, nahm die Handschellen aus dem Handschuhfach, steckte sie in meine Hosentasche und schlenderte von der Straße zur Haustür hoch. Die Wohnung oben links war an eine Firma NetBud vermietet. Ich klingelte unten rechts.

»Sorry«, entschuldigte ich mich bei der Uralten, die mich durch den Türschlitz finster musterte, »falsche Klingel.« Aber da hatte sie die Wohnungstür schon wieder zugeknallt.

Bei NetBud öffnete auf mein Klopfen eine hübsche Rothaarige. Ich grinste sie an, sie freute sich ungemein, mich zu sehen. Offenbar war ich der Mann, auf den sie seit Jahren gewartet hatte. Zur Begrüßung stöhnte sie leicht und rieb sich zwischen den Schenkeln.

»Ist Lefty da?«

Ihr Lächeln wurde ausgeknipst, sie drehte ab und deutete mit der Reibehand ins Irgendwo. »Zweite rechts.«

Ich trat ein. »Mensch, Lefty!«

»Junge!«, sagte ein verdutzter Lefty und streckte mir höflich die Pfote entgegen.

Klack!

Lefty zog die gefesselte Linke weg, als habe er sich verbrannt. Ich griff seine Rechte, zog ihn aus dem Sessel, rammte ihm das Knie in die Eier und klackte die zweite Fessel zu.

Der Mai wurde zum Juni, der Juli zum August, und ich machte mir einen schönen Sommer nach Jakes beiden Tausendern. Wie seine Augen leuchteten, als er seinen ungeliebten Verwandten im Knast wusste. Nicht nur wegen Erpressung, sondern auch noch Zuhälterei und vermutlich Steuerhinterziehung. Danach versiegte das Auftragsrinnsal wieder, aber mir war’s egal. Ich schluckte Qualitätsware, hatte mich frisch eingekleidet und den ehemaligen Meinigen impulsiv ein paar Dollar zukommen lassen. Darüber muss meine Geschiedene derart gestaunt haben, dass sie mich im Büro anrief.

»Telefon, Vic!«, schrie Johnny, damit es auch jeder hörte. Während ich zur Theke sauste, fühlten sich die Damen und Herren Säufer bemüßigt, unpassende Witze über meine Arbeitskraft zu reißen.

Dass es die Ex-Alte war, erstaunte. Dass sie mich zu einem späten Abendessen einlud, verblüffte. Die ist noch immer Cop, und sie schämt sich seit Jahren mächtig, dass sie mal mit so einem wie mir verheiratet war. Also freute ich mich über die völlig unerwartete Einladung, verschlief den angebrochenen Nachmittag in meiner Bude, stellte mich gegen halb neun unter die Gemeinschaftsdusche auf dem Flur des ehemaligen Vertreterhotels und zog die feinen neuen Secondhand-Klamotten an. Dann stieg ich in den Chevy, fuhr durch die Waschanlage und stellte ihn vors Restaurante Poco.

Sah gar nicht so übel aus, die Mühle, besonders unter der Straßenlaterne. Der kackbraune Lack glänzte hier und dort, die paar Beulen fielen bei der schwachen Beleuchtung überhaupt nicht ins Gewicht. Gesellschaftlicher Aufstieg nennt sich so was.

Das Lokal war zu dieser späten Stunde ziemlich leer. Sie saß an einem Zweiertisch in der hinteren Ecke und knabberte an einem Salatblatt. Eine gelbliche Wandfunzel verbreitete eine Art Notbeleuchtung, und meine Verflossene war im schwachen Licht hübsch wie an unserem ersten Tag. Sie alterte kaum, jedenfalls nicht äußerlich. Verkniffen war sie, verbissen, nachtragend und schadenfroh, aber trotzdem verdammt sexy. Im Hinunterbeugen wusste ich schon, dass sie den Kopf wegziehen und ich in den Saal hinein küssen würde.

»Gut siehst du aus.« Logisch. Ausgeschlafen, recht nüchtern und einigermaßen flott gekleidet, kann ich mich sehen lassen.

»Du auch.«

Tat doch weh, das Kopfwegdrehen. Ich beschäftigte mich lustlos mit der Speisekarte.

Sie wollte wissen, was ich denn so mache.

»Hab hier und da einen Auftrag. Bin fast jeden Tag in Santa Monica am Strand, laufe und turne am alten Muscle Beach herum. Ist billig und soll gesund sein. Wie bumsen.« Ihr hübscher Flitzebogenmund wurde dünn und schnurgerade. Sollte auf ihre Stirnfalten achten, nicht dass die sich dort vertikal hineinfraßen. Dann ist’s Essig mit dem Pseudo-Nuttenjob.

Ich weiß auch nicht, was mich ritt. Ich musste einfach fragen. »Und du? Stehst du noch immer an der Ecke und streckst den Arsch raus?«

Ich meine, die Frage war berechtigt. Wer lungert schon aufgetakelt an der Straßenecke herum und lässt sich von Freiern anmachen? Und sobald einer im gleichen Atemzug Geld und Vögeln ins versteckte Mikrofon grunzt, sprinten die Kollegen um die Ecke und verhaften den armen Sack. Scheißjob. Seit acht Jahren war sie bei der Sitte, was mir damals grausig stank. Sie verstand nicht, warum ich Himmel und Hölle in Bewegung setzte, damit sie endlich aus dieser verdammten Heuchlerabteilung herauskam, um richtige Polizeiarbeit zu leisten. Vergeblich, wie sich zeigte.

»Falls du meine Undercovertätigkeit meinst – nein.«

Na, endlich.

»Ich hab inzwischen zwei Streifen am Ärmel und den Schreibtischjob dazu. Liaison Desk – ich knüpfe und pflege Verbindungen zu anderen Dienststellen, mache nebenher Öffentlichkeitsarbeit. Ist interessant und man hat Kontakt zu allen möglichen Leuten. Schick anziehen dürfen sich nun andere.«

Ihr Grinsen gefiel mir nicht. Sie wusste, dass ich seitdem Superminis nicht ausstehen konnte. Ihr Job hatte mich fast die Libido gekostet.

»Also verdienst Du jetzt richtig gut. Wie viel? Fünfzigtausend im Jahr? Sechzig?« Waren vermutlich eher um die neunzig, was sie aber nie zugeben würde.

Sie lehnte sich zurück. Aus dem Nichts materialisierte sich ein fast durchsichtiger Kellner neben mir und klimperte mich an. Ich legte dem Feengleichen die Hand auf den Unterarm und bestellte einen Teller Nachos. Sie schüttelte nur den Kopf und deutete mit der Gabel auf ihren Salatteller. Er wackelte davon und hinterließ Lavendelduft.

Meine Ex schaute mich prüfend und Salat stochernd an, als wollte sie fragen, ob ich jetzt zu allem anderen auch noch schwul sei. »Etwas über sechzig Mille«, antwortete sie tastend, »was nicht übel ist. Aber ich war doch von den Socken, dass du Vincent Junior aus heiterem Himmel tausend Dollar geschickt hast. Warum eigentlich? Ich hatte deine Unterhaltsverpflichtung längst in den Mond geschrieben. Dass du dich auf deine alten Tage noch zu einem halbwegs wertvollen Mitglied der Gesellschaft entwickeln willst, das spricht für dich.«

Ich sagte ja, dass sie bösartig war. Schnalle, verdammte. Ich grinste sie an und tat, als habe sie mir gerade ein nettes Kompliment gemacht. »Hab gut verdient, hab gedacht, dass du den Hals nicht voll genug kriegen kannst und deshalb eine Kleinigkeit geschickt. Aber wenn du darauf verzichten willst …«

»Quatsch, war nicht so gemeint. Schön von dir, dass du an uns denkst. Und mein Sohn wächst ja so schnell.«

Mein Sohn, sagt sie. Nicht unser Sohn oder Vincent Junior oder Little Vince. Mein Sohn, weil sie mit ihrer Tittenschwenkerei und dem Kleinmädchengehabe den Richter dazu gebracht hatte, mir das Besuchsrecht zu entziehen. Wegen meines »amoralischen Lebenswandels«, der mich »als Erzieher ungeeignet und als Vorbild untauglich« mache. Typisch geschiedene, Van fahrende Vorstadthyäne. Sie hat damals Klein-Vincent einen Haufen Mist über meine Sauferei und Hurerei erzählt und ihn mit zum Anwalt geschleppt, als er reflexartig böser Papa sagte, sobald die Rede auf mich kam. Zusammen mit der Aussage des verstörten Knaben hat sie mich vor Gericht schließlich kastriert. Den Scheidungsanwalt heiratete sie ein halbes Jahr darauf, aber der war clever genug, Klein-Vincent nicht zu adoptieren, womit der Kindesunterhalt an mir hängen blieb – so jedenfalls die Theorie. Einem nackten Mann kann niemand in die Tasche greifen.

»Ich komme gar nicht nach, ihn einzukleiden, und dann Schule, Musikunterricht, Sport, nächstes Jahr den Führerschein – na, du weißt schon.«

Nee, wusste ich nicht, aber ich wollte das Thema möglichst schnell abhaken. »Prima, dann ist ja alles in Butter. Und was verschafft mir die Ehre? Als wir uns zuletzt verabschiedeten, hast du mir nachgeschrieen, dass wir uns ohne Richter oder zuschnappende Handschellen nie wiedersehen. Und nun das? In der Bullenkneipe?« Das Poco war früher mein Stammlokal gewesen; um die Ecke stand das Parker Center in der North Los Angeles Street, wo ich gearbeitet hatte. So wie sie jetzt, im Polizeihauptquartier der City of Angels. City of Fallen Angels.

»Nur so. Ich dachte, dass es doch nett wäre, wieder mal mit dir zu plaudern. Wir haben uns ja wirklich ewig nicht mehr gesehen – wie lange ist es her? Drei Jahre?« Sie wusste garantiert noch Tag und Stunde, aber wenn sie was brauchte, spielte sie immer kleines Frauchen.

Ich fragte sie, was sie wolle.

»Ich? Wieso denn? So was! Du bist immer noch so misstrauisch. Was könnte ich von dir schon wollen?« Sie zog das dir in die Länge.

»Verarsch mich nicht. Ich kenn dich zu gut.«

»Also, wenn du’s unbedingt wissen willst, wäre da tatsächlich etwas.« Sie beugte sich über den Tisch. Ihre Brust war noch immer tipptopp. »Du erinnerst dich doch an Sergeant Sanchez? So’n Dicker, mit Oberlippenbart und Kochtopffrisur?«

»Klar – San the Man. Werd ich ja kaum vergessen; der Fettsack hat mich damals reingeritten. Was ist mit dem?«

»Ich hab kürzlich versehentlich einen Brief aufgemacht, der an ihn adressiert war. Reine Unachtsamkeit. Und darin steckte ein Kontoauszug – kein Anschreiben, nichts, nur ein Kontoauszug von irgend so einer Kleinstadtbank in Arizona. Da waren fast zweihunderttausend Dollar drauf. Statt mit der Frankiermaschine mit einer Briefmarke versehen, kein Absender, und an Sanchez im Präsidium adressiert; und ich Kuh mach das Ding auf.«

Die log wie gedruckt. Natürlich hatte sie den Brief absichtlich geöffnet, vermutlich sogar aus der Postverteilungsstelle geklaut. »Und? Hast du ihn wieder zugeklebt und zurückgesteckt?«

»Bin ich wahnsinnig? Natürlich nicht. Zuerst wollte ich ja, aber dann hab ich doch Muffe gekriegt. Ich hab ihn nach Hause mitgenommen und den Grill damit angezündet.« Sie schaute mich mit ihren großen grauen Augen an. Wie ein Neugeborenes. So eine abgefeimte Lügnerin.

»Aber vorher hast du eine Kopie gemacht. Zeig her.« Ich streckte die Hand aus, und sie fummelte in ihrer Handtasche herum. Sie zog einen Zettel aus der Tasche und gab ihn mir.

Keine Anschrift, kein Kontoinhaber. Nur das Datum vom 20. Juli, die Bank – First National of Flagstaff, AZ – die Nummer eines Scheckkontos und der Betrag. Einhundertsechsundneunzigtausend und ein paar Zerquetschte. Dollar, nicht etwa Pesos. Greenbacks. Ein Haufen Geld, ein sagenhafter Haufen Geld. Ich pfiff leise.

Sie nickte. »Massig Kohle für einen Bullen, oder?«

»Du weißt ja nicht, ob das Konto ihm gehört.«

»Klar weiß ich das. Ich hab angerufen und behauptet, mein Mann Jaime Sanchez hätte mich gebeten, Scheckformulare für sein Konto zu besorgen. Natürlich wollte sie wissen, ob ich echt bin, also hat sie nach seiner Sozialversicherungsnummer gefragt. Zufällig hatte ich die in Jaimes Personalakte gefunden und aufgeschrieben. Sie tippte am Computer und bedauerte dann: Herr Sanchez hätte ausdrücklich darauf bestanden, dass nur mit ihm verhandelt würde. Also wechselten wir ein paar Worte über die Dämlichkeit der Männer und das war’s. Logisch, dass unserem Sanchez das Konto gehört.«

Sie grinste mich an.

Hut ab, meine Liebste! »Du hast dazugelernt – früher warst du nur rotzfrech, aber heute bist du kaltschnäuzig!« Ich war wirklich baff. Die Alte war zum richtigen Cop geworden. Sachen gibt’s. »Ich nehme an, du willst dich ein bisschen an Sanchez’ Unverhofftem beteiligen. So eine Art Schweigeprovision?«

Sie sprang mir fast mit dem nackten Arsch ins Gesicht. Stocksauer war sie auf einmal – die Stirnfalte war mir in bester Erinnerung, und ich kannte diesen Tonfall. »Das wäre so dein Stil«, fauchte sie. »Du warst und bleibst ein Taschendieb. Und ich Trottel will dich um Rat fragen. Solltest dich schämen. Jetzt fällt mir auch wieder ein, warum ich so glücklich war, als ich deine Koffer zur Haustür hinausgeworfen hab.« Sie knallte einen Zwanziger auf den Tisch und schob den Stuhl nach hinten. Ich sprang auf, aber sie winkte wütend ab, streckte den Kopf über den Tisch und zischte, ich solle mir ja nicht einfallen lassen, ihr nachzulaufen. Sie habe wieder mal von mir die Schnauze gestrichen voll. Stampfte auf ihren hohen Absätzen zur Drehtür hinaus auf die South Spring Street.

Irgendwas hatte sie mit mir vor, ihr Auftritt war bis ins Kleinste geplant gewesen. Solche Fluchten waren schon früher ihre Spezialität. Sie schaffte es jedes Mal, dass ich mich schuldig fühlte, dass ich für Ruhe und Frieden alles tat, alles mit mir machen ließ. Sie brauchte mich für irgendeine schmutzige Sache, und sie hatte mich genauso an der Nase herumgeführt wie früher. Damals wäre ich ihr nachgerannt. Heute war’s mir scheißegal. Das war ihr wohl neu.

Der weißhaarige Oberkellner Geronimo, der uns schon als Ehepaar zum Kotzen gefunden hatte, lächelte breit und kniff das linke Auge zu, als ich zu ihm hinüberblickte. Er lehnte locker an der Wand und machte mit gestrecktem Zeigefinger eine fickende Bewegung in seine Faust hinein. Was sich Kellner alles erlauben.

Ich warf einen Fünfer zu ihrem Schein und ging auch. Geronimo wollte mir noch schnell ein Bein stellen, aber ich war drauf gefasst und trat gegen sein Schienbein. Das schliff der Beleidigung die Kante ab. Als der dürre alte Sack grunzend auf einem Bein herumhüpfte, war mir plötzlich viel wohler.

Mein Chevy sprang sofort an. Bis zu meiner Nobelherberge waren es nur ein paar Straßen, aber ich hatte nicht zu Fuß herkommen wollen. Sollte ruhig sehen, dass es mir gut ging, die Alte.

Umsonst.

Eigentlich hatte ich ja im Stillen auf eine kleine Nachtpartie gehofft, einen schönen Ausdruck der Wiedersehensfreude, aber Scheiße war’s damit. Fantasie war was Schlimmes, besonders wenn man wie ich langsam aufs Altenteil zusteuerte und sich mit dem gelegentlichen Quickie im Vorbeihuschen begnügen musste.

Ich kurvte durch die aussterbende Innenstadt. An ein paar Ecken wurde noch Kommerz getrieben. Grellbunt gekleidete Damen lateinamerikanischer Provenienz stellten unter altmodischen Straßenlaternen ihre Ware aus. Herren in cripsblauen Turnanzügen und tief ins Gesicht reichenden Kapuzen lehnten an Hauswänden und blickten gelassen auf den spärlichen Abendverkehr, während Kinder im Grundschulalter gelegentlich zu anhaltenden Autos flitzten und in Windeseile winzige Päckchen gegen Scheine tauschten. Dann rannten sie zu den Kapuzenträgern zurück, schoben denen die Scheine in die Hosentaschen und verschwanden in Hauseingängen.

Die Drogenboten hatten ihren einträglichen Job natürlich nur, weil sie selbst unter den strengen kalifornischen Gesetzen strafunmündig waren. Sobald sie die Dreizehn überschritten hatten, mussten sie jüngeren Platz machen. Dann fehlte das oft einzige Familieneinkommen – tausend Dollar pro Schicht konnte ein wieselflinker Bote verdienen, und das manchmal monatelang –, also wurde der wegen fortgeschrittenen Alters entlassene Knabe selber Dealer oder Pusher. Die Verbindungen hatte er ja, die Kundschaft kannte er, er musste sich nur gegen die ehemaligen Arbeitgeber und jetzigen Konkurrenten absichern. Das geschah, indem man einer der Banden beitrat, den blau gekleideten Crips oder den rot tragenden Bloods, sich seinen eigenen Werkschutz aufbaute, Freunde und Familienmitglieder mit Glock- oder Uzi-Automatikwaffen ausstaffierte und das private mobile Einsatzkommando zur Geschäftseröffnung mitnahm, und nie wieder ohne Muscle war; nicht zu Hause, nicht im Auto, nicht auf der Straße und ganz besonders nicht in der Schule, falls man doch noch gelegentlich am Unterricht teilnahm.

Ich fuhr die zwanzig Freeway-Minuten zum Strand. Null Bock aufs Pennerhotel, und seltsamerweise null Bock auf irgendeine meiner Kneipen. Also hielt ich in Santa Monica, kaufte eine mittelgroße Flasche Johnnie Red und setzte mich unter das Santa Monica Pier. Der Rummel über mir war am Abklingen, die Vergnügungsbetriebe auf dem weit ins Meer hinausragenden Steg machten gegen Mitternacht dicht, und nachdem die letzten Autos die Holzbohlen des Piers bollernd überquert hatten, war nur noch der eine oder andere Besoffene zu hören. Mich ließen sie in Ruhe. Ich saß mit dem Rücken an einen baumstarken, geteerten Pfeiler gelehnt, lauschte auf die Brandung vor mir, hatte die Flasche bis zum Hals in den feuchten, kühlen Sand gesteckt und setzte sie an, sobald die neblige Nachtkälte in mir hochkroch.

Der abgebrochene Abend mit meiner Ex hatte Erinnerungen geweckt, die ich seit vielen Jahren bewusst zugeschüttet hatte. Was sollte die Seelenforscherei, was brachten Bedauern, Selbstvorwürfe, Selbstmitleid, Wut, Scham, Trauer über Vergangenes, nicht Wiedergutzumachendes? Reine Selbstbefriedigung, reine Zeitverschwendung.

Ich hatte viel Energie darauf verwendet, Beschissenes aus den letzten zehn Jahren zu verdrängen. Beispielsweise die Rolle, die der dicke Sanchez in meiner versauten Bullenkarriere gespielt hat. Damals wusste wohl außer mir jeder, dass mich der mexikanische Machiavelli bei meinen Vorgesetzten in die Pfanne gehauen hatte. Aus heiterem Himmel wurde mir unwiderlegbar klar gemacht, dass ich einer der korruptesten Cops der ohnehin bestechungsanfälligen Los Angeles Polizei war; eine Ehre, von der ich bis dahin nicht das Geringste geahnt hatte. Sie behaupteten, dass ich seit Jahren auf Alberto Surfalones Gehaltsliste stand, des Capos der Westküstenmafia.

The Surfer Don oder Surfer Al ließ er sich nennen, trug knallbunte Hawaiihemden über dem Schmerbauch und hatte eine unnatürliche Vorliebe für rosa gefärbte Zwergpudel. Obwohl ich mich als Detektiv im Dezernat organisiertes Verbrechen für Typen wie Alberto Surfalone zu interessieren hatte, kannte ich Surfer Al nur aus der Zeitung und seiner Polizeiakte, hatte ihn nie gesehen, nie mit ihm gesprochen. Als er aufflog, traf er mit dem Staatsanwalt ein Abkommen, packte aus und zog mich ohne mit der Wimper zu zucken mit in die Scheiße. Mich und zehn andere Bullen, aber die kratzten mich nicht.

Dass der nichtssagende Sanchez, dieses Mauerblümchen, plötzlich der Vertraute des einsitzenden Mafiabosses war, dass nur Sanchez den Gangster vernehmen und zu seinen Gerichtsterminen begleiten durfte, das fiel nicht nur mir auf; aber es traute sich niemand, zu mir zu stehen. Ich hatte mich schon ein paar Mal unbeliebt gemacht, stand im Ruf, mein großes Maul und meine Fäuste nicht im Zaum halten zu können, also glaubten sie lieber alles, was ihnen erzählt wurde. Und waren heilfroh, dass es mich und nicht sie selbst erwischt hatte.

Der Deal mit dem Staatsanwalt sah vor, dass Don Alberto vier Jährchen bei Wein und Restaurantverpflegung im Schmarotzertrakt des gefürchteten Hochsicherheits-Bundesknastes im mittelkalifornischen Lompoc für sein im Dienste der ehrenwerten Gesellschaft verbrachtes Mörderleben brummen durfte. Ich dagegen flog hochkant. Ohne Rentenanspruch und mit der Abschiedsdrohung, jederzeit doch noch vor den Richter gezerrt zu werden, »wenn du das große Maul zu weit aufreißt«.

Dass Don Alberto das Blaue vom Himmel herunter gelogen hatte, das wusste jeder und störte niemanden. Dass er keinen seiner Vereinsbrüder in die Pfanne hauen würde, war klar; wer will schon riskieren, auf dem Zuchthaushof ein Messer zwischen die Rippen zu kriegen. Da warf man lieber angeblich bestochene Bullen und Richter in die Verhandlung, verschönte dadurch die Haft und erlaubte gleichzeitig der Gegenseite, unliebsame Kollegen loszuwerden. Jeder kannte den Dreh, keiner änderte was daran.

Das war vor etwas über sieben Jahren. Am 13. Mai. Am 14. begann meine Angetraute, sich woanders umzutun.