Celebration Inc. - Die besten Momente in unserem Leben (9-teilige Serie) - Nancy Robards Thompson - E-Book
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Celebration Inc. - Die besten Momente in unserem Leben (9-teilige Serie) E-Book

NANCY ROBARDS THOMPSON

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Beschreibung

Zusammen gründen einige Freunde ein texanisches Catering-Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, für die besten Momente im Leben eines Menschen eine Feier zu organisieren. Dabei schaffen sie einige dieser Momente für sich selbst... MITTEN HINEIN INS HERZ Herzklopfen und heißes Begehren: Sergeant Shane Harrison weckt längst vergessene Gefühle in der hübschen AJ. Doch nach dem Tod ihres Ex' hat sie sich geschworen: Nie mehr verliebt sie sich in jemanden, der täglich sein Leben riskiert! Was nun? Ist eine Affäre etwa die Lösung? CHAMPAGNERNÄCHTE MIT DREW Endlich hat ihre Schwester Ja gesagt! Die schöne Konditorin Caroline war im Stress. Nur einen Lichtblick gab es: den sexy Trauzeugen Drew Montgomery. Wenn sie sich einen Traummann backen könnte, dann wäre das süße Ergebnis genau wie Drew. Aber noch ist die Hochzeitsfeier nicht vorbei … EIN ÖLBARON UND HERZENSBRECHER Über Nacht von der reichen Tochter zur Arbeitslosen - doch Pepper gibt nicht auf! Sie nimmt einen Job bei Ölbaron Robert Macintyre an, fest entschlossen, in die Upper Class zurückzukehren. Doch der attraktive Robert und sein süßer Sohn machen ihr einen Strich durch die Rechnung … AUSGERECHNET DER BOSS? Groß, breitschultrig, dunkelhaarig: Miles Mercer ist genau Sydneys Typ. Allerdings ist der berühmte Regisseur momentan ihr Boss und Liebe im Job für sie tabu. Aber was spricht gegen eine unverbindliche Affäre auf Zeit? Schließlich wandert sie sowieso bald nach Übersee aus, oder? ZUM ERSTEN, ZUM ZWEITEN ... ZUM VERLIEBEN! Er soll als Junggeselle versteigert werden?! Nur, um damit Spenden für die Kinderklinik zu sammeln, sagt Dr. Liam Thayer schließlich zu. Eine neue Liebe ist schließlich das Letzte, was der junge Witwer will. Aber warum sprühen dann die Funken bei seinem Date mit der schönen Kate? KÜSS NIEMALS DEINEN BESTEN FREUND Wir sind verlobt!" Bias bester Freund Aiden gibt sich spontan als ihr Zukünftiger aus.Angeblich nur, um sie nach einer katastrophalen Kurzaffäre mit einem Prominenten vor den Paparazzi zu schützen. Aber warum fällt sein gespielter Kuss dann so unglaublich leidenschaftlich aus?" EINE FAMILIENPACKUNG GLÜCK Nanny Lily hat vier Wünsche für Weihnachten: 1. Dr. Dunlevys verwaisten Patenkindern ein Lächeln entlocken, 2. sie am Brauen von Zaubertränken" hindern, 3. gemeinsam Plätzchen backen - wie eine echte Familie. 4. Den Mistelzweig so hängen, dass Dr. Dunlevy ihn auch wirklich sieht …" DAS FÜNFTE RENDEZVOUS "Fünf Dates, dann habe ich die perfekte Frau für dich." Anna ist es leid, dass ihr bester Freund Jake immer auf denselben Frauentyp reinfällt - und jedes Mal enttäuscht wird. Er soll endlich glücklich werden! Aber Anna übersieht, dass nur eine die Wahre für ihn ist: sie selbst … SÜßE NACHT MIT EINEM FREMDEN Becca ist verzweifelt: Sie gibt sich die Schuld an dem tödlichen Unfall ihres Neffen. Zwischen all den Tränen erlaubt sie sich eine zärtliche Ablenkung in den Armen eines attraktiven Fremden. Schließlich wird sie ihn nie wiedersehen! Doch da täuscht sie sich gründlich …

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Seitenzahl: 1622

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Nancy Robards Thompson

Celebration Inc. - Die besten Momente in unserem Leben (9-teilige Serie)

IMPRESSUM

Mitten hinein ins Herz erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2012 by Nancy Robards Thompson Originaltitel: „Texas Wedding“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRABand 47 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Anna-Pia Kerber

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733738709

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Als der hochgewachsene Mann Mayas Schokoladengeschäft betrat – begleitet von einem warmen Wind, der die zarten Glöckchen über der Tür zum Klingen und die Schleifchen der Geschenkkörbe zum Flattern brachte –, kam es Maya so vor, als habe er etwas mitgebracht.

Einen Vorboten? Auf jeden Fall die Ahnung von etwas Größerem, auch wenn Maya zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu sagen vermochte, was es genau war.

Sie spitzte die Ohren und lauschte dem leisen Klingeln.

Hmm. Die Tür fiel mit einem leisen Klicken ins Schloss. Daraufhin sank die Stille auf den Laden wie ein leichtes Federkleid. Nur die Schritte der Stiefel waren noch zu hören, als sich der Fremde ihr behutsam näherte.

Was auch immer seine Ankunft bedeuten mochte – für Maya klang es nach dem Wind der Liebe.

Kein Zweifel, irgendetwas würde geschehen, und zwar bald.

Maya war nicht nur bekannt dafür, eine Chocolatiere zu sein – und das bereits in dritter Generation –, sondern auch für ihre speziellen Fähigkeiten, was die Liebe anging. Wenn sich irgendwo große Gefühle anbahnten, konnte sie das stets spüren. Mit anderen Worten: Sie war eine sehr geschickte Kupplerin.

In den Augen ihrer Freunde und Bekannten war das allerdings nicht nur eine harmlose Nebenbeschäftigung, sondern nahezu eine Obsession.

Aber was konnte sie denn dafür, wenn sie jede zarte zwischenmenschliche Schwingung sofort wie ein Schwamm aufsog? Das konnte sie doch nicht einfach ignorieren. Und wenn der Wind der Liebe so deutlich zu spüren war wie jetzt gerade, würde sie nicht eher Ruhe geben, bis die „Auserwählten“ zusammengeführt waren.

„Bonjour!“ Maya begrüßte den gut aussehenden Mann mit warmer Herzlichkeit, die er großzügig erwiderte. Er schenkte ihr mit seinen strahlend weißen Zähnen ein Grinsen. Durch seine breitschultrige Statur, das sandfarbene Haar und das offene Lächeln wirkte er wie ein Amerikaner. Vielleicht war er auch Skandinavier, doch Maya vermutete Ersteres.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie nun freundlich.

„Ich sehe mich nur um, danke.“

Oui. Américain.

Und ein überaus attraktiver Bursche noch dazu. Leider war er nicht wegen Maya gekommen, aber ihre Intuition verriet ihr, dass er auch nicht ohne Grund in ihren Laden gelangt war.

Es war nichts als eine Ahnung. Ein subtiles Gefühl, das sich wie eine unsichtbare Hand in ihren Nacken legte und dort die feinen Härchen aufrichtete. Aber eines hatte Maya aus der Vergangenheit gelernt: Dieses Gefühl kündigte stets eine Veränderung an. Und zwar im Leben dieses schmucken Amerikaners.

Ihr Blick folgte seinen Bewegungen, als er sich im Laden umsah. Er hatte die Haltung eines Soldaten, obwohl er keine Uniform trug. Seine breiten Schultern, die straffe Pose und die sonnengebräunte Haut verrieten ihr, dass er regelmäßig ein hartes Training absolvierte und viel Zeit im Freien verbrachte. Und dazu noch eine gewisse Härte, die man sich nur im Kampf aneignen konnte.

Hmm … Maya kniff die Augen zusammen. Aber womöglich war der Kampf, den dieser Mann ausfocht, eher emotionaler Natur. Als ob er mit seinen inneren Dämonen zu kämpfen hatte …

Ein Grund mehr, warum sie ihm einen Schubs geben und ihn in die richtige Richtung lenken musste.

„Ich habe gerade frische Trüffel hergestellt“, erklärte sie ihm mit einem strahlenden Lächeln. „Möchten Sie welche probieren?“

Sergeant Shane Harrison betrachtete noch einmal die Fotografie in seiner Hand. Sie zeigte eine blonde Frau mit einem sympathischen Lächeln.

Sein Blick glitt von dem Foto durch die Windschutzscheibe seines Wagens zu der gegenüberliegenden Ladenfront. Auf dem Schaufenster befanden sich weiße Lettern mit dem Namen des Geschäfts: Celebrations Inc., Catering Service.

Demnach war dies also die richtige Adresse.

Er blickte noch einmal auf das Foto. Das Lächeln der Frau war wirklich verlockend, und sie hatte ein ziemlich hübsches Gesicht. Er hatte schon immer eine Schwäche für hübsche Gesichter gehabt. Auch wenn ihn das Schicksal eher unfreiwillig in die kleine Stadt Celebration geführt hatte, hielt es für ihn nun wenigstens eine angenehme erste Begegnung bereit.

Das Foto war letzten Endes auch der Auslöser gewesen, warum er sich dazu hatte breitschlagen lassen, für eine Zivilperson den Dienstboten zu spielen. Pralinen und Erinnerungsfotos an eine Unbekannte zustellen? Eine echte Premiere in seinem Leben.

Trotzdem hatte er zugesagt. Warum auch nicht? Er war gerade aus dem Mittleren Osten zurückgekehrt, und auf dem Rückweg nach Amerika war er durch den kleinen Ort St. Michel gekommen. Maya, die Besitzerin des Schokoladengeschäfts, hatte sich vor Aufregung beinahe überschlagen, als sie gehört hatte, dass sein nächstes Ziel Celebration war.

Dort lebte nämlich eine gute Freundin von ihr, die gerade erst einen Catering-Service eröffnet hatte. Maya bestand deshalb darauf, dieser Freundin einen süßen Überraschungsgruß zukommen zu lassen. Und das obendrein auch noch von einem süßen Boten. So oder so ähnlich hatten ihre Worte gelautet, und Shane wären sie äußerst peinlich gewesen, wenn er in seinem Leben nicht schon sehr viel Schlimmeres erlebt hätte.

Maya hatte ihn daraufhin zahllose Köstlichkeiten probieren lassen und schließlich mit einer gut gefüllten Pralinenschachtel für den kleinen Gefallen entschädigt.

Der Name ihrer Freundin war A J Sherwood-Antonelli – für seinen Geschmack ein ziemlich klangvoller Name, den er sich aus diesem Grund auch sofort hatte einprägen können.

Auf dem Foto blickte die Frau direkt in die Kamera. In ihrem Blick lag etwas Anziehendes – etwas, das ihn wünschen ließ, sie näher kennenzulernen oder sie zumindest einmal persönlich zu treffen. Schließlich war er gerade nicht auf der Suche nach einer festen Bindung. Er suchte überhaupt keine Bindung. Basta.

Für die kommenden sechs Wochen war er in Fort Hood stationiert. Man hatte ihn hierher abkommandiert, um die Gegend ins Auge zu fassen und ein geeignetes Gelände zu finden, auf dem später ein militärisches Trainingsareal errichtet werden könnte.

Es war eine lästige, allgemein unbeliebte Aufgabe, die er sich gerne erspart hätte. Immerhin war er kein Makler, sondern ein Anti-Terror-Spezialist. In den nächsten sechs Wochen würde so viel Schreibtischarbeit auf ihn zukommen, dass ihn schon alleine der Gedanke daran in Unruhe versetzte. Er war schon immer ein Mann der Tat gewesen, und er konnte nicht lange an einen Schreibtischstuhl gefesselt bleiben.

Er spannte seinen Körper an. Sechs Wochen, versuchte er sich zu beruhigen. Irgendwie würde er diese Zeit schon herumkriegen. Und danach wartete schließlich ein erstklassiger Einsatz in Europa auf ihn, auf den er bereits seit achtzehn Jahren hingearbeitet hatte.

Sechs Wochen Schreibtischarbeit fielen da doch kaum ins Gewicht.

Sechs Wochen, in denen er die langweilige Kleinstadtidylle ertragen musste. Celebration. Warum um Himmels willen hatte man diesen Ort nur so genannt? Ihm war jedenfalls ganz und gar nicht nach Feiern zumute.

Seufzend nahm er die Pralinenschachtel und die Fotos und stieg aus dem Wagen. Vielleicht würde eine Frauenbekanntschaft seine Stimmung ja heben. Und vielleicht würde sie die Zeit auch schneller verfliegen lassen.

Die Glocke über der Eingangstür kündigte Besuch an und riss A J abrupt aus ihren Gedanken. Sie befand sich gerade im rückwärtigen Teil des Geschäfts in der Küche, wo sie Probe-Appetithäppchen für das kommende Straßenfest vorbereitete.

Das Fest wurde von der Handelskammer gesponsert und war immer ein großes Ereignis in Celebration. Daher war es für A J besonders wichtig, mit ihrem Catering-Service dort zu glänzen.

Diesen betrieb sie zwar schon seit anderthalb Jahren im kleinen Rahmen, doch das Celebration-Food-Festival war das erste große öffentliche Fest, bei dem sie ihr Können präsentieren konnte.

Es war September – also noch Monate hin bis zu den Ferien und allen wichtigen Feiertagen –, doch für Werbung war es keinesfalls zu früh. Immerhin sahen sich potenzielle Kunden schon sehr zeitig nach guten Caterern um, die sie für Thanksgiving, Weihnachten oder Silvester buchen könnten.

Und genau diese Festlichkeiten waren es, die A J nutzen musste. Außerdem würde es ihr bestimmt großen Spaß machen, spezielle Weihnachts-Dinners auszutüfteln, Gewürze und Soßen auszuprobieren und ihre Kunden mit raffinierten Rezepten zu überraschen.

Im Geiste schwebten ihr schon Gerichte mit Zimt und Kardamom vor, Soßen mit Cranberrys und Lebkuchen und dazu die entsprechenden Desserts.

Doch noch war es nicht so weit.

Zuerst einmal arbeitete sie an dem perfekten Burger, und bei dem Food-Festival durfte A J erstmals in der Öffentlichkeit zeigen, was wirklich in ihr steckte. Hoffentlich würde sie damit viele neue Aufträge gewinnen.

Sie wischte sich die Hände an ihrer Küchenschürze ab und ging in den Empfangsbereich. Wenn sie wie jetzt alleine im Laden war, hielt sie die Eingangstür immer verschlossen. Aber nicht, weil sie Angst hatte; in einer reizenden Stadt wie Celebration wurde bestimmt kein Geschäft überfallen.

Aber die Vergangenheit hatte sie gelehrt, stets vorsichtig zu sein. Davon einmal abgesehen, ließ sie sich nicht gerne von unangekündigtem Besuch bei der Arbeit überraschen.

Erstaunt war sie aber dennoch, als sie plötzlich den großen, gut aussehenden Fremden vor der Tür erblickte. Überrascht … und ein bisschen argwöhnisch.

Für eine Frau war sie nicht besonders klein, doch zu dem Mann musste sie buchstäblich aufblicken. Er trug das sandfarbene Haar kurz geschnitten, und sein Körper wirkte durchtrainiert und kraftvoll. Eigentlich ein ganz hübscher Anblick.

Aber was hatte er mit dem Kästchen vor, das er da bei sich trug?

Es sah aus wie eine Pralinenschachtel.

Jetzt zog er ein Foto hervor, das er in Augenhöhe vor die Glasscheibe hielt, damit sie es sehen konnte.

A J betrachtete es genauer. Es war ein Foto von … ihr. Von ihr und ihrer Freundin Maya LeBlanc.

Das Bild war letzten Herbst gemacht worden, als sie nach St. Michel gereist war. Sie und Maya hatten Margeaux Broussard besucht, eine alte Freundin aus Internatszeiten, die sich mit ihrem todkranken Vater hatte aussöhnen wollen und um die Unterstützung ihrer Freundinnen gebeten hatte.

Rasch wischte A J sich noch einmal die Hände an der Schürze ab. In der Hoffnung, dass ihr kein Mehl mehr im Gesicht klebte, öffnete sie die Tür einen Spaltbreit. „Kann ich Ihnen helfen?“

„A J Sherwood-Antonelli?“

„Ja? Ich bin A J …“

„Eine Speziallieferung für Sie. Kommt direkt aus St. Michel.“ Er schob das Foto durch den Türspalt.

A J nahm es entgegen. „Von wem haben Sie das?“

„Von Maya. Und die hier sind auch für Sie.“ Mit diesen Worten reichte er ihr das Kästchen. Es war mit schwarzen und pinkfarbenen Schleifchen dekoriert – Mayas Markenzeichen.

Allein der Gedanke an die Köstlichkeiten, die sich darin befinden mussten, machte A J sofort Appetit.

„Ich soll Ihnen herzliche Glückwünsche wegen Ihres neuen Geschäfts ausrichten“, erklärte der Fremde mit angenehmer Stimme.

Endlich ließ A J die Tür vollständig aufschwingen. „Möchten Sie nicht hereinkommen?“

Er trat ein und ließ den Blick durch das Empfangszimmer gleiten. Die Renovierungsarbeiten waren noch lange nicht abgeschlossen – ein Umstand, der A J jetzt plötzlich wieder siedend heiß bewusst wurde.

Die Wände bestanden lediglich aus rohem Verputz, und A J war noch immer nicht dazu gekommen, Sitzgelegenheiten zu organisieren. Es gab nicht einmal einen Schreibtisch. Keine Dekorationen, keine Blumen – und nur eine einzige Deckenlampe, die schon bessere Tage gesehen hatte. A J hatte bisher nicht einmal daran gedacht, Visitenkarten auszulegen.

Vor drei Monaten hatte sie ihr Geschäft von der heimischen Küche in dieses Gebäude verlegt. Im Prinzip war Celebrations Inc. eine Ein-Mann-Show – oder besser gesagt eine Eine-Frau – Show. Die Firma gründete auf nichts als A Js Arbeit, ihren Ersparnissen und der unermüdlichen Hilfe ihrer Freundinnen Caroline, Pepper und Sydney. Die drei waren unverzichtbare Helfer in der Küche, beim Marketing und auch beim Einkauf.

A J selbst war in den vergangenen Wochen so sehr damit beschäftigt gewesen, neue Rezepte auszuprobieren, dass sie Peppers Ermahnungen über den Empfangsbereich vollkommen übergangen hatte.

Ein schwerer Fehler, wie sie sich jetzt eingestehen musste, denn der beklagenswerte Zustand des Raumes war A J mehr als peinlich. Vor allem vor …

„Und Ihr Name ist?“, hakte sie nun nach.

„Shane Harrison.“ Er streckte ihr die Hand entgegen.

A J drückte sie kurz. „Freut mich, Shane. Ich darf doch Du sagen, oder? Da wir ja eine gemeinsame Freundin haben … Woher kennst du Maya überhaupt?“

„Gerne.“ Er schenkte ihr daraufhin ein Lächeln, das ihr augenblicklich die Hitze in die Wangen trieb. „Aber ich kenne Maya eigentlich gar nicht. Ich kam nur zufällig vergangene Woche in ihren Laden, und als sie hörte, dass ich anschließend nach Celebration reisen wollte, hat sie mich mit Pralinen bestochen, damit ich dieses Carepaket überbringe.“

Seine Worte riefen A J ins Gedächtnis, dass Maya auch noch für etwas anderes als Schokolade schwärmte. Sie hielt sich nämlich zufälligerweise auch für eine ausgezeichnete Kupplerin.

Aber das hat bestimmt nichts mit der Speziallieferung zu tun, sagte sie sich.

Sie musterte Shane von den Schuhspitzen bis zu seinen kurz geschnittenen Haaren, bevor sie ihren Blick an die harmlose Pralinenschachtel heftete.

Er sah wirklich gut aus. Groß, gebräunt und extrem breitschultrig.

Eigentlich überhaupt nicht mein Typ. Trotzdem ließ der Gedanke sie erröten. Die Hitze breitete sich nun auch auf ihrem Dekolleté aus, flammte über den Hals und rötete schließlich ihre Wangen.

Das war doch lächerlich.

Nein, noch nicht einmal lächerlich, das war geradezu absurd. Wann um alles in der Welt war sie zum letzten Mal wegen ein paar breiten Schultern errötet? In der Highschool?

Jedenfalls war es verdammt lange her.

Und sie hasste das Gefühl, keine Kontrolle über sich zu haben.

Mit betont gleichgültiger Miene studierte sie die Fotos von sich und Maya und sah nicht eher auf, bis sie die Hitze langsam aus ihren Wangen verschwinden spürte. „Nun, Shane …“, begann sie, doch die passenden Worte wollten ihr einfach nicht einfallen.

„Eigentlich bin ich Sergeant“, half er ihr weiter. „Ich bin für die kommenden sechs Wochen drüben in Fort Hood stationiert. Aber für die Dauer des Aufenthaltes habe ich mir eine Bleibe in der Stadt gesucht.“

Er ist beim Militär.

Das hätte sie sich denken können. Selbst ohne Uniform strahlte der Mann Haltung und Stärke aus. Und sie konnte nicht leugnen, wie attraktiv ihn diese Stärke machte. Aber dann rief sie sich sofort zur Ordnung. Haltung und Stärke bedeuteten auch etwas anderes. Sie bedeuteten, dass dieser Mann ohne zu zögern sein Leben geben würde, um es einer vermeintlich größeren Sache zu opfern.

Das hatte sie schon einmal erlebt.

Einst hatte sie einen Mann geliebt, der sich ihrem Land verschrieben und geschworen hatte, die Menschen darin zu beschützen. Und jetzt war er tot!

Die Erinnerung daran war so schmerzhaft, dass sie sämtliche Traumblasen sofort zum Platzen brachte.

Selbst Mayas süßer Gruß wirkte jetzt nicht mehr ganz so süß.

„Vielen Dank für den Besuch, Sergeant Harrison“, sagte sie förmlich. „Leider muss ich jetzt wieder weiterarbeiten. Ich muss dringend nach dem Essen im Ofen sehen.“

Für den Bruchteil einer Sekunde zog sie in Erwägung, ihn zu einem Testessen einzuladen, doch dann entschied sie sich dagegen. Sie streckte den Arm aus und schüttelte flüchtig seine Hand. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt in Celebration“, sagte sie höflich und hielt ihm anschließend die Tür auf. „Es ist eine wirklich reizende Stadt.“

Er schenkte ihr daraufhin ein knappes Nicken und verließ den Laden.

Mit klopfendem Herzen blickte sie ihm hinterher. Aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihm schon bald wieder begegnen würde.

Und ganz gegen ihren Willen gefiel ihr dieser Gedanke.

2. KAPITEL

Jedes Mal, wenn Shane an einen anderen Einsatzort beordert wurde, nutzte er den ersten freien Tag dort, um sich mit der neuen Gegend vertraut zu machen. Selbst wenn es sich dabei nur um ein verschlafenes kleines Städtchen wie Celebration handelte.

Nicht, dass er auf Kleinstadtidylle Lust gehabt hätte, denn diese rief nur schmerzhafte Erinnerungen an die Vergangenheit in ihm wach.

Aber wenn sich ihm die Gelegenheit bot, die lokale Küche bei einem Straßenfest kennenzulernen, sagte er nicht Nein.

Bereits am ersten Tag hatte er die Poster gesehen, die für das Food-Festival warben. Der Erlös würde dem örtlichen Kinderkrankenhaus zugutekommen. Und was sprach schon gegen einen selbst gemachten Burger und ein Bier?

Und wenn er dabei zufälligerweise noch A J Sherwood-Antonelli über den Weg lief, umso besser.

Shane parkte den Wagen etwa eine Viertelmeile vom Zentrum entfernt in einer stillen Nebenstraße. Der glänzend schwarze Truck war ein Ford F-150 und sein ganzer Stolz. Da seine täglichen Ausgaben recht überschaubar waren und er sein Leben ohnehin komplett der U.S. Army verschrieben hatte, war das Auto der einzige, lieb gewonnene Luxus, den er sich erlaubte. Während seines Aufenthaltes im Mittleren Osten hatte die Army den Wagen für ihn verwahrt. Es fühlte sich großartig an, jetzt wieder hinter dem Steuer zu sitzen.

Nachdem er seine beachtlichen ein Meter fünfundneunzig aus dem Auto gehievt hatte, zerriss auf einmal ein schriller Pfiff die Stille. „Hey, coole Karre.“

Shane drehte sich um. Die Worte hatten weniger nach einem Kompliment als vielmehr nach einer spöttischen Herausforderung geklungen.

Vier junge Männer lungerten an der gegenüberliegenden Straßenecke und starrten ihn herausfordernd an. Beim genaueren Hinsehen stellte Shane fest, dass es sich um Teenager handelte. „Danke“, rief er knapp.

Etwas an der Art, wie sie sich bewegten und einander Blicke zuwarfen, ließ Shane allerdings zögern. Er stellte noch einmal sicher, dass er keine Wertgegenstände im Auto vergessen hatte, und schloss die Tür ab.

Dann sah er die Gang noch einmal eindringlich an. Falls sie irgendetwas im Schilde führten, sollten sie zumindest wissen, dass Shane sich ihr Aussehen gründlich eingeprägt hatte.

Die Jungs waren etwa sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Weiß, von durchschnittlicher Größe und Statur, nur einer der vier war etwas größer und breitschultriger als die anderen.

Dieser hatte schulterlanges, dunkles Haar und trug eine so tief sitzende Jeans, dass seine Boxershorts zu sehen waren. Die Hose eines der anderen Jungen war unterhalb der Knie abgeschnitten, sodass das Tattoo an seiner Wade sichtbar war: eine Art Schlange, die sich sein Bein hinaufwand, oder vielleicht auch ein Drache.

Auch wenn sie nicht in das typische Kleinstadtbild passten, waren sie vermutlich harmlos. Immerhin war das hier Celebration.

Punks, dachte Shane. Vielleicht waren sie ja bloß wegen des Food-Festivals in die Stadt gekommen.

So oder so wollte er den Jungs nichts unterstellen, nur weil sie seinen Wagen angestarrt hatten. Er wandte sich ab und ging jetzt in Richtung Zentrum.

Im Geiste ließ er die Woche noch einmal Revue passieren. Er hatte bereits einiges in die Wege geleitet, sich mit Bauleitern und Ingenieuren getroffen und Pläne für das Trainingsgelände geschmiedet.

Es war zwar keine besonders anspruchsvolle Aufgabe, aber Shane war trotzdem erschöpft. Sein neuer Job glich vielmehr Babysitten als einer ernsthaften Herausforderung.

Die gesamte Woche über hatte er nicht gut schlafen können. Für gewöhnlich blieb er immer in Bewegung und gab sich selbst nie die Gelegenheit, ins Grübeln zu kommen, aber hier war das anders. Die Schreibtischarbeit machte ihn unruhig und rastlos.

Allein die Tatsache, dass er sich neuerdings schon von Teenagern aus der Ruhe bringen ließ, zeugte davon, dass er in Celebration viel zu viel Zeit zum Nachdenken hatte.

Dennoch drehte er sich noch einmal um – doch die Kids waren verschwunden.

Das Leben und das gnadenlose Training eines Anti-Terror-Kämpfers hatten ihn gelehrt, niemals Angst zu haben. Selbst in lebensbedrohlichen Situationen konnte er einen kühlen Kopf bewahren. Doch diese Tatenlosigkeit war Gift für ihn.

Shane atmete tief ein. Die trockene Sommerhitze der vergangenen Wochen war mittlerweile einer angenehmen Temperatur gewichen, die den Herbst ankündigte. Abends zog bereits ein kühler Wind auf.

Er liebte diese Jahreszeit, den knackigen, kühlen Geruch der Herbstluft nach knisterndem Laub und klarem Himmel.

Aber was jetzt in seine Nase drang, war ein ganz anderer Geruch. Der köstliche Duft nach gebratenem Fleisch und exotischen Gewürzen.

Shane beschleunigte seine Schritte. Immerhin lockte eine anständige warme Mahlzeit.

Im Grunde war es ihm egal, ob er sich mit Celebration anfreunden würde, denn die sechs Wochen würden schließlich wie im Flug vergehen.

Und danach wartete endlich der Job auf ihn, auf den er ein gefühltes Leben lang gewartet hatte. Der Job, der ihn zurück nach Europa bringen würde, um die Dämonen seiner Vergangenheit endgültig austreiben zu können.

Sein Blick glitt über die adretten Vorgärten. Einst hatte seine Familie ebenfalls so einen Vorgarten besessen.

Er rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Erinnerungen wie diese waren wie Tretminen. Und tatsächlich, schon kurz darauf tauchte vor seinem geistigen Auge das liebevolle Gesicht seiner Mutter auf. Shane zwang sich, weiterzugehen.

Schon lange hatte ihn die Vergangenheit nicht mehr so schmerzhaft eingeholt wie jetzt.

Vielleicht lag es daran, dass sich der entsetzliche Jahrestag immer mehr näherte.

Zwanzig Jahre! Beinahe zwanzig Jahre was es nun her, und doch waren die Erinnerungen so lebhaft, als sei es erst gestern passiert.

Nachdem seine Familie bei der Explosion getötet worden war, hatte er gelernt, seine Gefühle abzustellen.

Denn wenn man zu sehr liebte, wurde man verletzt. Und wer die Verletzungen zuließ, der wurde letzten Endes zerstört.

Daher wurde er irgendwann Profi darin, Emotionen zu unterdrücken, und das machte ihn letztendlich zum perfekten Soldaten. Am Ende kam es auch nur noch darauf an, denn er hatte nun nichts anderes mehr, für das es sich zu leben lohnte.

Er war achtzehn Jahre alt gewesen, als er seine Familie für immer verloren hatte. Seine Mutter, seinen Vater, Schwester und Bruder. Alle waren einfach weg.

Im Bruchteil einer Sekunde ausgelöscht, und seine Welt war aus den Fugen geraten und nie wieder richtig intakt geworden.

Warum bin ich als Einziger noch am Leben? Warum mussten sie alle sterben? Vielleicht hätte ich nicht in Italien bleiben sollen …

In den ersten Jahren nach dem Unfall hatte er sich diese Fragen beinahe täglich gestellt. Bis zu dem Punkt, an dem sie ihn fast ruiniert hätten – und so hatte er das Grübeln schließlich aufgegeben und alle Fragen tief in sich begraben.

Aber jetzt drängten sich die Geister der Vergangenheit mit aller Macht in seine Gedanken.

Kein Wunder, beim Anblick von so viel Familienidylle überall. Wer so viel Zeit in tristen Junggesellenunterkünften verbracht hatte, war keine heimeligen Einfamilienhäuschen mehr gewohnt. Und draußen, am Rande der Stadt, wo Shane sich ein Appartement in einer schmucklosen Wohnanlage gemietet hatte, sah das Leben ein bisschen anders aus als hier.

In diesem Augenblick riss das schrille Geräusch einer Autohupe Shane aus seinen Gedanken. Etwas schoss über die Straße und sprang mit einem großen Satz auf den Bürgersteig.

Shanes Blick folgte dem struppigen Hund, der sich in eine Hofeinfahrt rettete, wo zwei Jungs Basketball spielten. Der Autofahrer gestikulierte ärgerlich und fuhr dann davon. Unbeeindruckt von dem Beinahe-Unfall stürzte sich der Mischling auf die beiden Jungen und strich ihnen, als sie sich hingekniet hatten, schwanzwedelnd mit der langen Zunge über die Gesichter. Die Jungs kreischten fröhlich auf.

„Ihr solltet euren Hund besser an die Leine nehmen“, rief ihnen Shane zu.

Die Kinder starrten ihn schweigend an. Derlei Reaktionen war Shane schon gewöhnt – immerhin kannte sich in einer Stadt wie Celebration vermutlich jeder mit Namen. Und Shane war in diesem winzigen Dallas-Vorort-Nest nichts weiter als irgendein Fremder.

„Er wäre beinahe überfahren worden“, fügte er sicherheitshalber hinzu, ging dann aber weiter, denn er wollte den Jungs keine Angst machen. Kurz darauf konnte er hinter sich fröhliches Bellen und Rufen hören.

Schon von Weitem sah er die weißen Zelte, die im Stadtpark aufgeschlagen waren. Der köstliche Duft wurde immer intensiver. Shane passierte ein Straßenschild mit der Aufschrift Celebration – 1.289Einwohner.

Gemessen an dem Andrang waren offenbar alle 1.289 Einwohner auf den Beinen, um sich das Festival anzusehen.

In der Hoffnung auf deftige Hausmannskost schlenderte Shane an den Buden und Zelten entlang und wollte einen Blick in die Töpfe und Pfannen werfen. Doch zunächst wurde seine Hoffnung enttäuscht.

Celebrations Unternehmer schienen sich in diesem Jahr mit schrillen, ausgefallenen Rezepten beweisen zu wollen. Auf den Aushangschildern las Shane von Gerichten wie Kürbis-Quiche, Petit fours und Ingwer-Zitronen-Cupcakes.

Viel zu süß für seinen Geschmack.

Und es wurde noch absurder. Auf einem Grill brutzelten gelbe Bananen, in einer Pfanne daneben entdeckte er ein Gemisch, das als Quinoa-Gemüse ausgezeichnet war, und an einem kleinen Stand wurden kandierte Früchte serviert.

In dem Zelt, das ihm am nächsten war, wurde ein fluffiger pinkfarbener Schaum angeboten, der schwach nach Fisch roch. Lachsmousse lautete die für Shane wenig viel versprechende Bezeichnung. Das war so überhaupt nicht nach seinem Geschmack.

Doch die zierliche Dame mittleren Alters, die vor dem Zelt stand und Kostproben verteilte, hielt ihn auf.

Deloris’ Delikatessen, verkündete ein Schriftzug auf ihrer gestärkten Schürze, und Shane nahm an, dass es sich bei der Dame um Deloris höchstpersönlich handelte. „Hier, kosten Sie einmal“, ermunterte sie Shane und hielt ihm eine Schale und einen Plastiklöffel hin. Ihr Haar war in adrette kleine Löckchen gelegt und umrahmte ihr freundliches, offenes Gesicht. „Jeder, der meine Lachsmousse einmal probiert hat, ist sofort hin und weg“, versprach sie ihm und deutete auf die schaumige zartrote Masse. „Auf jeder Party heißt es: Deloris, du musst uns unbedingt das Rezept verraten!“, fuhr sie fort und bestätigte damit Shanes Vermutung, dass sie die Urheberin dieses seltsamen Gebildes war.

„Alle haben so lange auf mich eingeredet, es zum Verkauf anzubieten, dass ich es jetzt tue!“ Ihre Augen leuchteten vor Stolz, und ihre Wangen glühten mindestens ebenso rosafarben wie ihre Mousse.

Shane fiel es schwer, sie zu enttäuschen, denn die kleine Person strahlte so viel übermütige Freude aus, dass er sie einfach nicht enttäuschen wollte. Doch das zarte rote Gebilde wirkte einfach zu exotisch, um es auf leeren Magen zu essen.

„Wissen Sie was?“, meinte er nun freundlich. „Ich bin gerade erst angekommen. Ich möchte mir erst einmal einen Überblick verschaffen, was es hier noch so alles gibt. Nicht, dass ich mich schon satt esse, bevor ich überhaupt weiß, was mich noch alles erwartet.“

Sie schenkte ihm ein gutmütiges Lächeln. „Ich verstehe. Aber nachher kommen Sie noch einmal zurück, ja? Ich werde extra eine Schale für Sie beiseitestellen.“

Shane neigte den Kopf – eine Geste zwischen Nicken und Kopfschütteln, die hoffentlich so unverbindlich wirkte, wie er sich fühlte. „Da fällt mir ein, können Sie mir vielleicht weiterhelfen? Ich bin auf der Suche nach dem Zelt von Celebrations Inc.“

Deloris stellte das Tablett mit den Schälchen ab und legte den Zeigefinger an die Wange. „Hm. Ich weiß es zwar nicht genau, aber das finde ich schon heraus. Irgendwo hier müsste ein Lageplan des Festivals liegen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich herum und durchsuchte eine Box voller Flyer und Visitenkarten. Schließlich schien sie fündig geworden zu sein. „Hier haben wir ihn ja! Wollen wir doch mal sehen …“

Mit dem perfekt manikürten Zeigefinger – die Nägel waren in derselben Farbe wie die Lachsmousse lackiert – strich sie über die Karte. „Ah“, rief sie schließlich. „Sehen Sie … wir sind hier.“ Sie tippte auf einen Punkt auf der Karte. „Sie nehmen den direkten Weg durch den Park, dann an dem großen Pavillon vorbei, und genau gegenüber befindet sich Celebrations Inc. Es ist das Zelt mit der Nummer 78, genau unter dem großen Eichenbaum. Möchten Sie die Karte vielleicht mitnehmen?“

Shane unterdrückte ein Lächeln. „Das wird nicht nötig sein, vielen Dank.“

Deloris rollte die Karte daraufhin zusammen. „Es war mir ein Vergnügen.“ Ihre Augen weiteten sich vor Aufregung. „Oh, sind Sie vielleicht auf der Suche nach einem Caterer? Planen Sie ein Fest? Fragen Sie A J doch bitte, ob sie eventuell mit mir zusammenarbeiten würde. Ich würde ihr dann auch gerne meine Mousse zur Verfügung stellen.“

„Ehrlich gesagt möchte ich einfach nur Hallo sagen“, erklärte ihr Shane.

„Oh. Ooh!“ Ihre Miene erhellte sich, als ob Shane ihr gerade gestanden hätte, dass er A J einen Heiratsantrag machen wollte.

„Wie lange kennen Sie unsere A J denn schon?“

Das war auch etwas, was Shane an Kleinstädten nicht leiden konnte: Neuigkeiten verbreiteten sich viel zu schnell. Und wurden außerdem erfahrungsgemäß bei jeder Person noch ein bisschen mehr aufgebauscht.

Diese Gedanken musste er sofort im Keim ersticken, denn sonst würde ihm morgen womöglich schon eine Hochzeit angedichtet. „Eigentlich kenne ich sie kaum. Wir haben nur eine gemeinsame Bekannte, und ich soll ihr lediglich Grüße ausrichten.“

„Oh. Ach so.“ Jetzt wirkte Deloris regelrecht enttäuscht.

Doch zum Glück entkam Shane nun einem weiteren Verhör, weil sich gerade drei Frauen Deloris’ Delikatessen-Zelt näherten und die stolze Verkäuferin mit einem großen Hallo begrüßten.

Shane ergriff die Gelegenheit, winkte Deloris noch einmal zu und ging dann rasch weiter.

Er begab sich auf den Weg, den ihm Deloris beschrieben hatte, und suchte sich einen direkten Weg in Richtung Grünfläche. Er hob den Blick. In der Mitte des Parks befand sich tatsächlich der große Pavillon, in dem eine Countryband spielte. Auf der improvisierten Bühne wurde gerade Line Dance getanzt, der typisch amerikanische Reihentanz. Die Besucher wirkten fröhlich und gelöst, und die heitere Stimmung begann auf Shane überzugreifen, je näher er A Js Stand kam.

Jenseits des Pavillons befanden sich unter einem mächtigen Eichenbaum mehrere Zelte. Dort entdeckte Shane auch das gesuchte Schild: Celebrations Inc. – Catering Service.

Entschlossen lenkte er seine Schritte in Richtung des Zelts. Endlich. Hier kam also der köstliche Duft her.

Und da war auch A J. Wie ein zierlicher blonder Engel stand sie in dem Zelt und befüllte gerade ein Tablett.

Ein Engel, der Burger zubereitete.

Vielleicht sollte ich sie einfach sofort bitten, meine Frau zu werden, dachte Shane.

Dicke weiße Wolken schmückten den strahlend blauen Himmel wie weiche Zuckerwatte. Es war ein herrlicher Tag. Geradezu perfekt, um im Freien zu arbeiten und Burger zu braten.

A Js Laune hätte nicht besser sein können – wenn sie nur nicht immer wieder ein ganz bestimmtes Gesicht in der Menge gesucht hätte.

Jedes Mal, wenn ein großer blonder Mann vorbeiging, ertappte sie sich bei dem Wunsch, es möge Sergeant Shane Harrison sein.

Umso größer war ihre Freude, als er plötzlich tatsächlich vor ihr stand. „Da sind Sie ja.“

Er neigte den Kopf zu ihr hinunter. „Haben Sie mich etwa erwartet?“

Oh. „Äh, habe ich das etwa gesagt?“

„Indirekt.“ Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Und wenn ich mich richtig erinnere, waren wir bereits beim Du angelangt.“

„Ach ja. Richtig.“ A J wäre am liebsten im Erdboden versunken. Jetzt gab es nur noch einen Ausweg. Sie streckte ihm kurzerhand das Tablett entgegen. „Hier.“

„Soll ich probieren?“

„Ich bitte darum.“

Sein Blick verweilte für einige Sekunden auf ihrem Gesicht, bevor er auf das Tablett schaute. „Und was haben wir hier?“

„Es sind drei verschiedene Burger“, erklärte A J. „Ich habe Mini-Versionen kreiert, damit man alle drei probieren kann. Der erste besteht aus einem Rindfleischpatty, Cheddarkäse und karamellisierten Zwiebeln, verfeinert mit einer Barbecue-Soße. Dann haben wir hier einen mit Schinken, Brie und gebratenen Pilzen. Der dritte ist mit Antipasti gefüllt, gerösteter Paprika, Salami und Provolone, abgerundet mit einer Knoblauch-Basilikum-Soße.“ Sie hielt kurz inne, um Luft zu holen. Wenigstens kam etwas Vernünftiges aus ihrem Mund, wenn es um das Thema Essen ging.

Während Shane auf die Burger konzentriert war, musterte sie ihn heimlich. Im gleißenden Sonnenlicht wirkte sein kurz geschnittenes Haar noch heller. Er hatte hohe Wangenknochen und gleichmäßige Gesichtszüge. Nur die Nase war etwas zu groß, was seiner Attraktivität jedoch keinen Abbruch tat.

Mit einer kleineren Nase hätte er einfach zu perfekt ausgesehen. Vor allem wegen seiner schönen vollen Lippen …

A J blinzelte hastig, um den Blick von seinen Lippen losreißen zu können. „Es, äh, gibt auch noch Zwiebelringe dazu.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und wandte sich an ihre Freundin Pepper. Diese war bereits seit dem frühen Morgen auf den Beinen, um A J mit dem Aufbau und dem Bewirten zu helfen.

Pepper maß Shane mit einem anerkennenden Blick und räusperte sich leise. Ohne Zweifel erwartete sie, von A J vorgestellt zu werden.

„Pepper Merriweather, das ist Shane Harrison. Er kennt Maya, ist das zu glauben?“

„Wirklich? Enchanté“, gurrte Pepper den französischen Gruß, allerdings mit leidiger Betonung. Sie umgab sich gerne mit einem Hauch Glamour und Drama, weshalb sie Shane nun ihren Handrücken darbot, anstatt ihm einfach die Hand zu schütteln.

A J versuchte sich das Grinsen zu verkneifen, als Shane etwas ratlos auf Peppers schlaffe Finger sah. Besonders, als er sich nun gegen einen Handkuss entschied und nur flüchtig Peppers Finger drückte. „Freut mich sehr“, erwiderte er unbeeindruckt.

„Ganz offensichtlich stammen Sie nicht aus St. Michel“, meinte Pepper in Anspielung auf den verkorksten Handkuss.

„Pepper!“ A J sah ihre Freundin entsetzt an. Manchmal schien sie mit ihrer unverblümten Art gar nicht zu bemerken, dass sie andere vor den Kopf stieß.

Aber Shane brachte sie damit jedenfalls nicht aus dem Konzept. „Das ist richtig“, bestätigte er mit einem Anflug von Ironie. Dann erklärte er Pepper in knappen Worten, wie er auf dem Heimweg in die Staaten zufällig einen Abstecher in Mayas Laden gemacht hatte.

Vor dem Zelt hatte sich in der Zwischenzeit eine kleine Menschentraube gebildet, und A J war froh, dass Pepper sich nun den neuen Gästen zuwandte.

Mit erwartungsvoller Spannung sah A J dabei zu, wie Shane sich über den ersten Burger hermachte. Sie liebte es, andere zu bekochen. Nichts war für sie befriedigender als der glückliche Ausdruck auf den Gesichtern, wenn ihre Gäste satt und zufrieden waren.

„Und?“ Sie konnte ihre Neugier nicht mehr länger zügeln. „Was hältst du davon?“

Er nickte. „Er ist köstlich. Wirklich gut. Aber sagtest du nicht etwas von einer Barbecue-Soße?“

„Oh. Ja, natürlich.“ A Js Blick glitt über den vollgestopften Beistelltisch, auf dem sich Soßen, Gewürze und Besteck türmten. Sie griff nach der Flasche mit der Barbecue-Soße.

Als sie sich wieder umdrehte, sah sie sich auf einmal der Person gegenüber, von der sie inständig gehofft hatte, ihr heute nicht begegnen zu müssen: ihre Großmutter Agnes Jane Sherwood.

Wie erwartet fiel der Blick, den die Matriarchin über ihre scharfe Adlernase hinweg auf sie warf, übertrieben kritisch aus.

Für A J war das nicht weiter verwunderlich, denn ihre Großmutter hatte ihre beruflichen Entscheidungen noch niemals gutgeheißen.

Obwohl sie ihre Namenspatronin war, hatte sie mit A J nicht viel gemeinsam. A J vermutete insgeheim, dass ihre Mutter sie nur aus dem Grund nach Agnes Jane benannt hatte, um den schief hängenden Haussegen wieder geradezubiegen.

Allerdings ließ sich nicht mehr viel geradebiegen, sobald man erst einmal in Agnes Jane Sherwoods Augen versagt hatte.

Und das hatte ihre Tochter – versagt. Und zwar mit Pauken und Trompeten. In dem Augenblick, als sie auf die verwegene Idee gekommen war, einen einfachen Installateur zu heiraten. Keinen angesehenen Connecticut Collins oder Dallas Dashwood. Nein, einfach nur Joey Antonelli, den Klempner. Das war einfach weit unter der Familienwürde.

Die Heirat hatte Agnes so verärgert, dass sie jahrelang kein Wort mehr mit ihrer Tochter gesprochen hatte.

Inzwischen herrschte aber wieder ein – wenn auch nur fragiler – Frieden zwischen den beiden Frauen. Dass die junge A J aber nun beschlossen hatte, Köchin zu werden, hatte einen weiteren Keil in die Familie getrieben.

Denn Kochen war etwas für Dienstboten. Als Agnes Jane von A Js beruflichen Plänen gehört hatte, waren ihre Worte deshalb gewesen: „Offensichtlich hat die Kleine die Arbeiterklasse-Gene ihres Vaters geerbt.“

Und um das Maß endgültig vollzumachen, war Agnes Jane Sherwood auch noch zur Vorsitzenden des Food-Festivals erkoren worden. Allerdings anscheinend nur auf dem Papier, denn dass ihre Enkelin hier ebenfalls einen Stand hatte, schien sie ehrlich zu überraschen.

„Also wirklich, Agnes Jane. Burger wenden? Wie kannst du mich so beschämen?“ Sie rümpfte die Nase. „Wie kannst du dich selbst so beschämen?“

Für einen Augenblick schien sich eine peinliche Stille über das Zelt zu legen. Unter Agnes Janes wachsamem und gnadenlosem Auge blieb niemand ruhig. Schon ihre bloße Präsenz konnte einem das Fürchten lehren.

A J konnte bereits das Blut in ihren Ohren rauschen hören. Warum musste Shane ausgerechnet diesen peinlichen Zwischenfall mitbekommen?

Und ihre Großmutter war offenbar noch lange nicht fertig. „Seit wann lässt du dich denn dazu herab, Fast Food zu servieren?“, fragte sie schnippisch.

Jetzt löste sich Pepper von der heißen Pfanne und legte A J von hinten die Hand auf die Schulter, als wolle sie sagen: Keine Sorge, ich gebe dir Rückendeckung. Es war genau diese Geste, die A J aus ihrer Benommenheit riss.

„Großmutter, ich serviere heute Test-Gerichte für die kommende Saison. Rezepte, die es nur in meinem Geschäft geben wird.“ Sie betonte das Wort Geschäft, um ihre Großmutter zu beeindrucken. Immerhin war sie keine einfache Hilfskraft, sondern eine selbstständige Unternehmerin.

Und für dieses Unternehmen hatte sie keinen einzigen Penny von ihrer millionenschweren Großmutter verlangt. Stattdessen hatte sie gut geplant, scharf gewirtschaftet und zuvor eisern gespart.

Allerdings war die Eröffnung ihres eigenen Geschäfts etwas beschleunigt worden, nachdem ihr die Lebensversicherung ihres verstorbenen Verlobten ausgezahlt worden war.

Drei Jahre lang hatte sie das Geld nicht angerührt. Die Skrupel waren zu groß und die Erinnerungen zu schmerzhaft gewesen, um mit dem Geld etwas Sinnvolles anzufangen. Etwas Schönes.

Wie konnte sie überhaupt über die Zukunft nachdenken, wenn es für Danny keine Zukunft mehr gab?

Drei Jahre lang hatte sie sich wie benommen durch das Leben geschlagen. Um nicht nachzudenken, hatte sie sich in die Arbeit gestürzt und sich so verausgabt, dass sie keine Zeit mehr zum Nachdenken hatte.

Nur nachts, nach einer langen Schicht im Restaurant, konnte sie endlich Frieden finden. Im Schlaf, in ihren Träumen, in denen Danny noch am Leben und von ihrer Familie akzeptiert war.

Aber dann, eines Tages, hatten ihre Freundinnen eingegriffen. Sie hatten A J versucht klarzumachen, dass Danny sich bestimmt etwas anderes für sie gewünscht hätte.

Dass sie ihr Leben nicht einfach vergeuden solle, indem sie nur für andere schuftete – sondern das sie ebenso gut für ihren Traum schuften konnte: den Traum von einem eigenen Restaurant.

Danny hatte sie immer darin bestärkt. Und nachdem sie sich erst einmal dazu entschlossen hatte, den ersten Schritt zu machen, war es ihr vorgekommen, als wäre er bei jeder Entscheidung bei ihr.

Und selbst wenn es für ihre Großmutter so aussah, als würde sie nichts weiter tun, als „Burger zu wenden“ – war A J immerhin nicht von ihrem Vermögen abhängig. Sehr zu dem Missfallen ihrer Großmutter hatte diese demnach auch keine Kontrolle über A Js Leben. Im Grunde konnte A J tun und lassen, was sie wollte.

Es war nur schade, dass Shane gerade Zeuge dieser hässlichen Szene wurde.

Mit einem angestrengten Lächeln packte A J die Flasche mit der Soße fester und machte einen Schritt auf Shane zu.

Dabei übersah sie allerdings die Baumwurzel, die aus dem Erdboden ragte. Mit der Spitze ihres pinkfarbenen Doc-Martens-Stiefels blieb sie daran hängen und stolperte nach vorne.

Es kam ihr so vor, als könne sie sich selbst in Zeitlupe dabei zusehen, wie sie in Shanes Richtung fiel. Vor Schreck drückte sie dabei auf die Flasche, und ein Strahl Barbecue-Soße ergoss sich auf Shanes weißes Poloshirt.

3. KAPITEL

Shane konnte durchaus nachfühlen, wie peinlich die folgenden Minuten für A J waren.

Im Grunde wäre es keine große Sache gewesen: Ein bisschen Soße auf dem Shirt war für ihn noch lange kein Grund zur Aufregung.

Aber A Js Großmutter sorgte dafür, dass die Situation unangenehm wurde, und zwar gründlich. „So ein dummes Missgeschick“, rief sie laut und rümpfte dabei die Adlernase. „Wir werden Ihnen das Poloshirt natürlich ersetzen.“

Shane winkte ab. „Ich bitte Sie. Das ist doch nicht nötig.“

„Ich bestehe aber darauf“, erwiderte Agnes Jane so schneidend, dass sie damit Glas zum Springen hätte bringen können. „Wenn Sie uns Ihre Adresse nennen, werde ich veranlassen, Ihnen ein neues Shirt zu schicken.“

Mit der alten Streitaxt war offenbar nicht zu verhandeln, das spürte Shane sofort. Um das Thema A J zuliebe schnell fallen zu lassen, blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als ihr ihren Willen zu lassen.

Für einen Augenblick war er versucht, ihr die Adresse von Fort Hood zu geben. Doch dann besann er sich eines Besseren. Warum sollte er ihr nicht seine Wohnadresse nennen? Sollte die gute Von-und-Zu doch gleich wissen, wo genau er untergebracht war.

„Ich wohne zurzeit in dem Wohnblock oben am Highway. Apartment 201“, fügte er hinzu.

Wie er erwartet hatte, wurde Agnes Janes Blick noch ein wenig verächtlicher. „In dem Wohnblock?“ So, wie sie das Wort betonte, hätte man auch meinen können, dass Shane sich direkt im Rotlichtviertel eine Unterkunft gemietet hätte. Falls es so etwas in Perfectville überhaupt gab.

„Genau, Ma’am. Zumindest vorübergehend, bis ich wieder in Übersee bin“, fügte er mit einem Lächeln hinzu.

Shane liebte es, Menschen wie Agnes Jane herauszufordern. Menschen, die sich wegen ihrer Herkunft oder ihres Geldes stets für etwas Besseres hielten und an einem unangenehmen Überlegenheitskomplex litten.

Unglaublich, dass A J wirklich ihre Enkelin war. Sie war bescheiden und freundlich und sich nicht zu schade, ein paar Burger zu wenden.

Agnes Jane hingegen trug ihre vermeintliche Vormachtstellung wie eine Krone. Sie machte nicht den Eindruck, als hätte sie sich jemals in ihrem Leben die Hände schmutzig gemacht.

Und wenn Shane etwas nicht leiden konnte, dann waren es Reiche, die hart arbeitende Leute von oben herab betrachteten.

Zum Glück schien A Js Großmutter das Gespräch für beendet zu halten. „A J, lass dir die Adresse von dem Mann geben. Wir sehen uns später.“ Mit diesen Worten rauschte sie davon, und zwar mit einer Haltung, als würde ihr ein kompletter Hofstaat folgen.

Shane entging es nicht, dass sich zarte rote Flecken auf A Js Wangen gebildet hatten. „Es tut mir leid“, sagte sie zu ihm und hob in einer hilflosen Geste die Schultern. Dann griff sie nach einer Papierserviette und einem Stift. „Es ist wohl das Beste, wenn du deine Adresse notierst, denn meine Großmutter wird garantiert keine Ruhe geben, bis sie dir das Poloshirt ersetzt hat.“

Zum ersten Mal erhellte ein Lächeln ihr Gesicht, als sie hinzufügte: „Schreib auch deine Größe auf. Und nenn eine besonders teure Marke, wenn Granny schon darauf besteht …“

Shane schüttelte den Kopf. „Vergessen wir das Ganze doch einfach. Es ist doch nichts passiert.“

Doch A J gab nicht auf. „Als Entschädigung möchte ich dir wenigstens ein ausgiebiges Abendessen servieren“, erklärte sie. „Vielleicht in der kommenden Woche. Gibst du mir deine Telefonnummer?“

Shane zögerte. „Dann musst du mir aber auch deine Telefonnummer geben. Nenn mich von mir aus altmodisch, aber ich bin der Meinung, dass der Mann anrufen sollte, wenn es um das erste Date geht.“

Ihre Wangen flammten erneut auf. „Date?“ Ihr Gesichtsausdruck wirkte so bestürzt, als hätte Shane gerade etwas Unanständiges gesagt.

„Ist das denn das falsche Wort?“, hakte er nach. „Möchtest du nicht mit mir ausgehen?“ Er runzelte die Stirn. „Sag bloß, du hast Vorurteile gegen Männer, die nach Barbecuesoße riechen?“

Das brachte sie zumindest zum Lachen. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dich um ein Date gebeten zu haben. Ich wollte lediglich für dich kochen. Magst du etwa meine Kochkünste nicht?“, entgegnete sie.

Als Antwort griff Shane nach dem zweiten Miniburger und nahm einen herzhaften Bissen. Er ließ den Geschmack auf der Zunge zergehen und schluckte dann langsam. Ihre Blicke trafen sich dabei.

„Wenn dieser Burger ein Vorgeschmack auf dein Talent ist, bin ich ziemlich sicher, dass ich es lieben werde. Aber lass uns zuerst mit einem Date anfangen, einverstanden?“

Während Shane zu seinem Wagen zurückkehrte, fragte er sich, wann er das letzte Mal eine Frau um ein Date gebeten hatte.

Nicht, dass er in all den Jahren bei der Army im Zölibat gelebt hatte. Nein, er hatte eine befriedigende Menge netter Abende mit reizenden Frauen verbracht. Attraktiven Frauen. Aber dabei hatte er nie den altmodischen Wunsch nach einem ersten Date im Kopf gehabt.

Er schloss den Pick-up-Truck auf, ließ sich auf den Fahrersitz gleiten und betrachtete noch einmal A Js Nummer, die sie ihm auf die Hälfte einer Papierserviette notiert hatte.

Irgendetwas an dieser Frau hatte in ihm sofort den Wunsch geweckt, es richtig zu machen. Und zwar von Anfang an.

Was genau er allerdings dabei richtig machen wollte, wusste er selbst nicht so genau. Und der Gedanke an Übersee passte außerdem so gar nicht dazu …

Vorerst musste er allerdings erst einmal nach Hause, um den Geruch nach Barbecue-Soße loszuwerden. Er ließ den Wagen an.

Doch noch bevor er das Ende der Straße erreicht hatte, schnellte plötzlich ein Schatten vor den Truck. Shane stieg hart auf die Bremse.

Es war derselbe Hund, dem er vorhin schon begegnet war.

Du liebe Zeit. Wollte diese Familie ihr Haustier loswerden? Oder wurde der Hund von einem unbändigen Freiheitsdrang getrieben, dem kein Zwinger auf der Welt standhalten konnte?

Wie Houdini, dachte Shane und hatte plötzlich Mitgefühl mit dem Tier, denn mit Freiheitsdrang kannte er sich gut aus.

Trotzdem konnte er den Hund nicht einfach sich selbst überlassen. Wenn seine Besitzer nichts unternahmen, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie das arme Tier von der Straße kratzen mussten.

Shane parkte den Wagen am Straßenrand, stieg aus und stieß einen langen Pfiff aus. Zu seinem Erstaunen drehte der Hund augenblicklich den Kopf in seine Richtung und trottete auf ihn zu. Sein Fell wirkte struppig und ungepflegt. Stürmisch sprang er auf Shane zu und versuchte, ihm das Gesicht abzulecken, so lange, bis er auf die Barbecue-Soße auf Shanes Shirt aufmerksam wurde und sich stattdessen lieber dieser zuwandte.

„Aus“, sagte Shane im Befehlston und drückte das Tier sanft zu Boden.

Wie sich herausstellte, war der Hund gut erzogen und brav, solange man ihn mit fester und ruhiger Stimme behandelte. Er ließ sich ausgiebig hinter den Ohren kraulen und machte den Eindruck, nirgendwo lieber auf der Welt sein zu wollen als an Shanes Seite.

„Na komm, Junge“, forderte Shane den Mischling schließlich auf. „Bringen wir dich nach Hause.“

Doch zu Shanes Überraschung gehörte der Hund überhaupt nicht der Familie, in deren Hofeinfahrt die Jungen vorhin gespielt hatten.

Als Shane an der dazu gehörigen Haustür schellte, öffnete ein untersetzter Mann mittleren Alters die Tür und musterte Shane argwöhnisch. Offenbar war es der Vater der beiden Jungen. Als dieser hörte, dass Shane nach dem Besitzer des streunenden Hundes suchte, wurde er allerdings freundlicher.

Leider konnte er Shane auch nicht weiterhelfen, denn er hatte den Hund noch nie zuvor gesehen und kannte niemanden, dem er entlaufen sein könnte.

Somit blieb der Hund also Shane überlassen.

Auf dem Weg zurück zum Wagen lief er dicht bei Shane und strich um seine Beine. „Was machen wir denn jetzt mit dir?“ Shane untersuchte das Halsband des Hundes, konnte allerdings keinen Anhänger finden. Nichts deutete darauf hin, zu wem er gehörte.

„Tja. Ich kann dich ja nicht einfach auf der Straße lassen, was, Kumpel?“

Der Hund blickte ihn mit großen, seelenvollen Augen an und rieb seinen schmutzigen Kopf hingebungsvoll an Shanes Hand.

A J hatte nicht damit gerechnet, so schnell von Shane zu hören. Wenn überhaupt noch einmal.

Nach allem, was der arme Mann heute miterlebt hatte, könnte man ihm das auch nicht verdenken.

Allerdings hatte er das Wort Date ja überhaupt erst ins Spiel gebracht. Schließlich hatte sie nichts anderes im Sinn gehabt, als ihn mit einem Abendessen für das dumme Missgeschick mit der Soße entschädigen zu wollen.

Daher war sie auch mehr als überrascht, als gegen halb sieben plötzlich ihr Handy klingelte. Sie war gerade dabei, das letzte Besteck vom Festival abzutrocknen und die gereinigten Küchenutensilien wegzuräumen.

Der Anrufer war Shane, und er fragte sie nach … Hundeshampoo?

„Mir ist heute ein Streuner zugelaufen“, erklärte er ihr. „Wahrscheinlich, weil ich so gut nach Barbecue-Soße gerochen habe.“ Sein Lachen klang warm.

A J war froh, dass er die ganze Sache mit Humor betrachtete. Und das, obwohl er nicht einmal viel von dem Festival gehabt hatte.

Überhaupt wies er viele Charaktereigenschaften auf, die ein Mann A Js Meinung nach haben sollte. Er war nachsichtig, unkompliziert und humorvoll. Und was beinahe das Beste war: Er hatte sich von ihrer Großmutter nicht einschüchtern lassen. Viele Leute knickten nämlich unweigerlich bei Agnes Janes harscher, hochmütiger Art ein. Aber nicht so Shane.

Davon einmal abgesehen, musste er ein gutes Herz haben, wenn er sich um einen streunenden Hund kümmerte.

Plötzlich breitete sich ein warmes, unerwartet gutes Gefühl in A Js Magen aus.

Hatte sie wirklich einem Date mit diesem Mann zugestimmt?

Offensichtlich. Auch wenn es jetzt vorerst nur darum ging, einen herrenlosen Hund von Schmutz zu befreien.

Doch das schlechte Gewissen lauerte bereits unter der Oberfläche. Seit Danny hatte sie an keinen anderen Mann mehr gedacht; hatte kein einziges Mal mehr Schmetterlinge im Bauch gehabt.

Und jetzt? Durfte sie sich darauf freuen, mit Shane auszugehen?

Fünf Jahre waren vergangen, seit ihr Verlobter im Dienst erschossen worden war. Er war wie jeden Morgen zur Arbeit gegangen und dann einfach nicht mehr zurückgekehrt.

Der grelle Schmerz war mit der Zeit zu einem dumpfen Verlust verblasst.

Sie war jetzt dreiunddreißig Jahre alt. Danny hätte bestimmt nicht gewollt, dass sie ihr restliches Leben aufgab.

Shanes Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Das Problem ist nur, dass ich keinen Gartenschlauch habe, um ihn sauber zu machen“, erläuterte er. „Alles, was ich in meinem Apartment habe, ist eine kleine Duschkabine. Vielleicht sollte ich es mal mit Trockenshampoo versuchen. Weißt du, ob man so etwas bei Hunden verwenden darf?“

„Lieber nicht. Und falls er Flöhe hat, wirst du die damit auch nicht los“, gab A J zu bedenken.

„Okay. Irgendeine Ahnung, was ich sonst noch benutzen könnte …“ Shane verstummte. „Entschuldige. Ich habe dich ja gar nicht gefragt, ob ich dich gerade bei irgendetwas störe.“

„Ach was.“ A J legte lächelnd die Servierzange zurück in die Schublade. „Ich bin längst wieder zu Hause und gerade mit dem Aufräumen fertig geworden.“ Ihr Blick fiel auf das aufgeklappte Notebook auf dem Küchentisch. „Wenn du eine Minute Zeit hast, kann ich schnell im Internet nachsehen, womit man Hunde entflohen kann.“

Er räusperte sich. „Darauf hätte ich auch selbst kommen können.“

„Schon, aber den Geräuschen nach zu urteilen, bist du gerade im Auto“, widersprach ihm A J. „Und ich rate dir, nicht gleichzeitig zu fahren und im Internet zu surfen.“

„Keine Sorge, ich halte gerade am Straßenrand“, versicherte ihr Shane.

Währenddessen hatte A J den Laptop gestartet und den Browser geöffnet. „Wollen wir doch mal sehen …“ Sie tippte die entsprechende Frage in eine Suchmaschine ein und überflog einige Artikel über Hundepflege. Schließlich wurde sie auf der Seite eines Tierarztes fündig. „Hm. Dieser Arzt schreibt, dass der pH-Wert eines Hundes sich um zwei Punkte von dem eines Menschen unterscheidet. Offensichtlich ist das ein großer Unterschied. Er schreibt, gewöhnliches Shampoo kann die Haut eines Hundes austrocknen und dabei Reizungen verursachen.“

„Tja, so etwas habe ich befürchtet. Jetzt muss ich versuchen, einen Laden aufzutreiben, wo ich Hundeshampoo bekomme. Oder ich besorge mir einfach eine Dose Insektenspray. Die müsste ich allerdings hier im Auto benutzen, bevor ich den Köter in mein Apartment lasse.“

Er benutzte zwar das Wort Köter, doch es klang bei ihm nicht unfreundlich. A J schüttelte langsam den Kopf, bis ihr bewusst wurde, dass Shane diese Geste am Telefon gar nicht sehen konnte. „Ich würde kein Insektenspray verwenden“, entgegnete sie trocken. „Damit wirst du dich am Ende nur noch selbst vergiften. Warte mal.“

Erneut tippte sie eine Suchanfrage ein. In aller Eile überflog sie die Antworten. „Aha. Hier steht, das beste Mittel gegen Flöhe ist Borax. Neun von zehn Leuten, die den Artikel kommentiert haben, fanden es hilfreich.“

Shane schien einen Augenblick nachzudenken. „In Ordnung. Dann werde ich jetzt losfahren und irgendwo Borax besorgen. Und dann stopfe ich das Hundevieh einfach in meine Duschkabine.“

„Bring ihn doch zu meinem Haus. Ich habe einen Gartenschlauch und genug Platz. Wir können ihn draußen waschen.“

Wow. A Js Magen zog sich angesichts ihrer plötzlichen Kühnheit schmerzhaft zusammen.

Shane räusperte sich hörbar. „Ich kann dieses schmuddelige Fellbündel doch unmöglich zu dir bringen. Du würdest es mir garantiert niemals verzeihen, wenn er dir Flöhe in die Wohnung schleppt.“

„Borax“, antwortete A J selbstbewusst. „Neun von zehn überzeugte User. Damit werden wir ihn behandeln!“ Sie nickte nachdrücklich, als wenn sie sich selbst von der Idee überzeugen wollte. „Du kannst den Hund in der Auffahrt waschen, und danach lassen wir ihn auf der Veranda trocknen. Also keine Chance für Flöhe in der Wohnung.“

Es war bereits kurz nach halb acht, als Shane den Wagen vor A Js Haus parkte. Es war an einem Hügel etwa fünf Meilen außerhalb der Stadt gelegen und wirkte auf den ersten Blick genauso adrett und gewöhnlich wie alle anderen Häuser in Celebration. Ein bescheidenes einstöckiges Haus mit weißen Schindeln und tannengrünen Fensterläden.

Allerdings hielt er A J weder für adrett noch für gewöhnlich und war deshalb gespannt, wie das Haus von innen aussehen würde. Und er fragte sich unwillkürlich, wie wohl A Js Schlafzimmer eingerichtet war.

Doch dann fiel ihm plötzlich ein, dass er es womöglich nicht einmal bis in den Flur schaffen würde, immerhin galt es nur, einen Hund zu waschen und von Flöhen zu befreien.

Dieser war sichtlich erfreut über sein neues zeitweiliges Herrchen und gehorchte Shane aufs Wort.

A Js Rat folgend, hatte Shane Borax besorgt, dazu noch mehrere Dosen Hundefutter und eine Leine. Diese befestigte er nun am Halsband und führte den Hund zu A Js Haustür. So wild und freiheitsliebend dieser noch vor wenigen Stunden gewirkt hatte, so friedlich und zahm benahm er sich jetzt. Ohne zu zögern, hatte er sich auf die alte Jacke gelegt, die Shane im Truck für ihn ausgebreitet hatte. Diese würde er morgen wohl oder übel in die Reinigung geben müssen. Der Geruch nach verfilztem Hund haftete ihr nämlich schon jetzt intensiv an – womöglich genauso wie Shane selbst.

Dies wurde ihm allerdings erst bewusst, als er vor A Js Haus stand.

Nur wenige Sekunden, nachdem er geklingelt hatte, öffnete sie bereits die Tür. „Hey.“

Sie hatte die weiße Kochschürze gegen ein rotes T-Shirt getauscht, das ihre Kurven an genau den richtigen Stellen zur Geltung brachte. Die verblassten Jeansshorts betonten außerdem ihre langen, sonnengebräunten Beine.

„Hi.“ Shane nahm den Blick schweren Herzens von ihrem Outfit. Sie sah viel zu gut aus, um darin einen Hund zu waschen. Andererseits erwartete er ja auch gar nicht, dass sie die Ärmel hochkrempeln und ihm dabei helfen würde. „Danke, dass wir rüberkommen durften.“

Nun bemerkte er, wie sich ihr Blick ebenfalls an seinen Bauch heftete. Ihm fiel auf, dass er noch immer das soßenbefleckte Poloshirt trug. In all der Aufregung um den Hund hatte er nicht einmal daran gedacht, sich umzuziehen. Bei der Gelegenheit hätte er auch gleich duschen und sich rasieren können.

Aber jetzt war es zu spät.

„Schönes Shirt“, meinte sie augenzwinkernd und ließ sich nieder, um den Hund hinter den Ohren zu kraulen.

„Nicht wahr? Mein bestes Hundewasch-Outfit“, erwiderte er so souverän wie nur möglich.

Ihr Lachen klang aufrichtig, wodurch er sich gleich noch ein wenig besser fühlte. „Wie heißt der Hund?“

„Ich weiß es nicht. Offenbar ist er ein Streuner. Entweder ist er jemandem weggelaufen, oder er wurde ausgesetzt.“

„Du armes Ding.“ A J streichelte sanft den Rücken des Tieres. „Aber er braucht auf jeden Fall einen Namen. Wir können ihn doch nicht ‚Hund‘ nennen.“

Oh-oh. Shane lehnte sich an das Geländer der Veranda. „Gib einem Hund einen Namen, und du hängst dein Herz an ihn. Und das kann ich mir gerade wirklich nicht erlauben.“

„Hast du etwa ein Problem damit, dein Herz an etwas zu hängen?“ Sie schlug einen auffällig leichten und unverfänglichen Ton an, doch Shane entging nicht, wie sich auf ihrer Stirn winzige Fältchen bildeten. Offenbar war diese Frage wichtig für sie.

Nachdenklich betrachtete er ihre hinreißenden blauen Augen und das glatte blonde Haar. Ihr Anblick bewegte ihn dazu, seine Worte sehr genau abzuwägen. „Ich kann mein Herz nicht an ein Haustier hängen“, entgegnete er, „denn mein Auftrag hier endet in sechs Wochen, und dann gehe ich nach Europa. Dahin kann ich keinen Hund mitnehmen.“

Schweigen folgte seinen Worten. Für einige Augenblicke war nichts zu hören außer dem Zirpen der Grillen in der sanften Abenddämmerung.

Shane wollte gerade etwas hinzufügen, doch A J kam ihm zuvor. „Ich verstehe“, sagte sie knapp, dann erhob sie sich und sah ihm tief in die Augen. „Ein Hund ist schließlich eine Verpflichtung.“ Sie wandte sich ab. „Dann mal los. Hinter dem Haus ist der Gartenschlauch.“

Es kam Shane so vor, als sei die Temperatur gerade um einige Grade gesunken, als er hinter A J herging. Trotzdem entging ihm nicht ihr sanfter Hüftschwung und die Rundung ihres hübschen Pos, der bisher von einem Kochkittel verdeckt gewesen war.

Sie traten nun durch eine kleine Pforte in dem weiß lackierten Lattenzaun und gingen um das Haus herum, wo A J auf einen Schlauch deutete, der sorgfältig eingerollt auf dem Boden lag.

Shane widerstand dem Impuls, sich zu verteidigen. Sie hatte ihre Worte nämlich so klingen lassen, als sei er nicht gewillt, überhaupt eine Verpflichtung einzugehen.

Aber war das nicht ein bisschen ungerecht von ihr?

Sicher, er zog von Ort zu Ort und war keinem Menschen verpflichtet. Zumindest keiner Familie.

Andererseits war er sozusagen mit der Army verheiratet, und zwar mit Leib und Seele. In gewisser Weise konnte man doch gar keine größere Verpflichtung eingehen.

„Warum behältst du ihn denn nicht?“, schlug er vor, während er den Gartenschlauch entrollte.

Sie warf ihm einen eisigen Blick zu. „Ich arbeite viel zu viel, um einen Hund halten zu können.“

Er grinste jetzt. „Ich verstehe. Ein Hund ist schließlich eine Verpflichtung!“

Einige Sekunden lang starrte sie ihn verärgert an, dann lachte sie und hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut, ich hab’s kapiert.“

Gedankenverloren sah sie ihm dabei zu, wie er den Hund einshampoonierte. Auf einmal schien ihr etwas einzufallen. „Hey, wir machen einen Deal. Wir denken uns gemeinsam einen Namen für ihn aus, und im Gegenzug helfe ich dir dabei, ein neues Zuhause für ihn zu finden.“

Ohne groß darüber nachzudenken, stimmte Shane zu. „Deal.“

„Fein“, erwiderte A J erfreut. „Für einen Streuner scheint er übrigens in ziemlich guter Verfassung zu sein. Wir könnten Flyer mit einem Foto von ihm verteilen, falls er doch jemandem weggelaufen ist. Und du solltest ihn zum Tierarzt bringen. Es könnte doch sein, dass er einen dieser Chips implantiert hat, auf dem sich seine Daten befinden.“

Shane nickte. „Gute Idee. Und bei der Gelegenheit kann ich ihn auch gleich impfen lassen.“ Er sah A J an. Der strahlende Glanz in ihren Augen versetzte ihm einen Stich ins Herz. „Schön. Und wie sollen wir ihn nennen?“

Dem Hund einen Namen zu geben, war keine gute Idee, das wusste Shane sofort. Und es kam ihm so vor, als ob er eine Menge Dinge tat, die keine gute Idee waren, seit er in Celebration angekommen war.

Einer plötzlichen Eingebung folgend, sagte er: „Houdini!“

„Houdini? Wie kommst du denn auf diesen Namen?“

„Weil er offenbar ein Überlebens- und Entfesselungskünstler ist. Er kann sich überall befreien und ist heute gleich zwei Mal nur knapp einem Autounfall entgangen.“

A J lächelte. „Prima. Hey, Houdini! Wie gefällt dir dein neuer Name?“

Der Hund spitzte die Ohren und stieß daraufhin ein kurzes, tiefes Bellen aus, das sie zum Lachen brachte.

Die folgende halbe Stunde verging wie im Flug. A J half Shane dabei, den Hund abzuduschen. Am Ende war ihr T-Shirt vollkommen durchnässt, und Shane konnte nur mit Mühe den Blick davon abwenden.

„Wir können ihn nicht draußen lassen, denn sein Fell ist noch nicht völlig trocken, sonst wird er nachher krank“, stellte sie fest. „Kommt doch so lange mit ins Haus. Ich mache uns Abendessen. Du bist bestimmt am Verhungern.“

Hungrig war Shane tatsächlich, aber sein Hunger würde kaum mit einem Abendessen gestillt werden können.

Diese Erkenntnis ließ ihn für einen Augenblick innehalten.

Zwischen ihnen gab es eine unleugbare Anziehung, aber er hatte nicht den Eindruck, als ob A J Sherwood-Antonelli der Typ für flüchtige Affären war.

An eine längerfristige Beziehung war allerdings momentan bei ihm nicht zu denken, und das war auch genau der Grund, warum jetzt der richtige Zeitpunkt zum Gehen war.

Wie aufs Stichwort sprang Houdini hoch und schüttelte ausgiebig sein tropfnasses Fell. Jetzt war Shane ebenfalls durchnässt, und das soßendurchtränkte Poloshirt klebte unangenehm an seiner Brust. „Vielen Dank, Kumpel“, sagte er grimmig.

A J konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Keine Sorge. Ich kann dir ein frisches Hemd geben.“

Er hob die Brauen. „Deine Größe wird mir kaum passen.“