Celsissimus - Arthur Achleitner - E-Book

Celsissimus E-Book

Arthur Achleitner

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Beschreibung

Celsissimus ist ein historischer Roman über den Salzburger Bischof Wolf Dietrich aus dem 16. Jahrhundert.

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Celsissimus

Arthur Achleitner

Inhalt:

Arthur Achleitner – Biografie und Bibliografie

Celsissimus

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

Celsimssimus, Arthur Achleitner

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849603885

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Arthur Achleitner – Biografie und Bibliografie

Deutscher Schriftsteller, geb. 16. Aug. 1858 in Straubing, verstorben am 29. September 1927 in München. Nach dem Schulabschluss mit dem Abitur in Straubing begann A. ein Lehramt-Studium in Salzburg, das er aber nach dem Tod des Vaters abbrach. Er durchwanderte den größten Teil Europas und berichtete von diesen Reisen in diversen Zeitungen. Ab 1878 war er zeitweilig Redakteur bei der Süddeutschen Presse, später lebte er als freier Schriftsteller in München.

Wichtige Werke:

Amor im Hochland (1899)Exzellenz Pokrok (1905)Fels und Firn (1895)Geschichten aus den Bergen (1889–1895)Im grünen Tann (1897)Celsissimus (1900)Themis im Gebirge (um 1902)Das Schloß im Moor (1903)Themis und Diana (1913)

Celsissimus

Vorwort.

Zum Geleit seien nur wenige Worte vorausgeschickt.

Der geneigte Leser wolle nicht an Bischöfe und Priester unserer Zeit denken, wenn er an Wolf Dietrich, den erhabenen Kirchenfürsten des 16. Jahrhunderts denkt und seine Schicksale liest. Die Verhältnisse der damaligen Zeit lagen ganz anders, wie denn auch für die Erwählung eines Kirchenfürsten nicht kirchlich frommes Leben, sondern adelige Geburt erforderlich war. Der Adel beanspruchte die hohen und einträglichen Würden der Kirche, er allein war stiftsfähig und bestrebt, solche Stellen, weil das Leben versorgend, an sich zu bringen.

In die Zeit Wolf Dietrichs, eines genial veranlagten Adeligen, fiel die Restaurationsbewegung, von diesem Fürsten erwartete man Ausrottung des Protestantismus, der immer wieder auflodernden Kelchbewegung, Berufung der Jesuiten nach Salzburg, Wiederherstellung des Cölibates, Anforderungen, die über eines selbst genialen Mannes Kräfte gehen mußten, zumal wenn die Erziehung, das Leben in römischen Palästen der Gedankenwelt eine ganz andere Richtung gegeben.

Wolf Dietrich, der seine Fehler durch Sturz und lange Gefangenschaft sühnte, ist die interessanteste Erscheinung in Salzburgs Geschichte, die unvergessen in dankbarer Erinnerung fortleben wird, so lange die schöne Stadt Salzburg, welcher er das heutige Gepräge gegeben, bestehen wird.

München, im Herbst 1900.

Der Verfasser.

I.

Die Fastnacht des Jahres 1588 sollte in Salzburgs Trinkstube mit einem glänzenden Fest, Schmaus und Tanz der Bürgergeschlechter gefeiert werden, dem beizuwohnen der junge Landesherr, Erzbischof Wolf Dietrich, in Gnaden der Bürgerdeputation versprochen hatte. Demgemäß mußte alles aufgeboten werden, das Fest so herrlich als in diesen Zeitläufen möglich zu gestalten; der sonst behäbige Bürgermeister Ludwig Alt hat diese hochwichtige Angelegenheit selbst in die Hand genommen und die Stadträte, vornehmlich seinen Bruder Wilhelm Alt, den Handelsherrn, um kräftige Unterstützung angegangen, wasmaßen es gilt, dem prunkliebenden Fürsten ein seiner würdiges Fest darzubieten. Im Erzstift wußte man männiglich, wie sehr sich Wolf Dietrich auf dergleichen versteht, sein Einritt im Herbst des vergangenen Jahres gab den Unterthanen hiervon einen Begriff, die unerhörte Pracht, welche selbst der unbarmherzige Salzburger Regen nicht zu beeinträchtigen vermochte, blendete nicht bloß Bauern und Bürger, sie verblüffte auch den Adel. Einem solchen kunstverständigen, prunkliebenden Herrn ein Fest zu bieten, war daher keine leichte Aufgabe. Doch die Ratsherrn der Bischofstadt hatten hierzu den Willen, und die reichen Patrizier das nötige Geld; man will dem Landesfürsten zeigen, daß auch die Bürger der Residenz sich auf üppige Feste verstehen.

So eifrig ist denn seit vielen Jahren nicht Rats gepflogen worden, als in der Zeit von Neujahr bis zum Fastnachtsfeste; man teilte die Arbeit, jeder Ratsherr erhielt sein Teil zugemessen.

Der hagere Handelsherr Wilhelm Alt, weitum bekannt durch seine kaufmännischen Talente, noch mehr aber durch seine schöne Tochter Salome, die als das herrlichste Geschöpf Europas gepriesen ward, hatte die Fürsorge um das Mahl übernommen und konnte seiner Aufgabe gerecht werden, da ihm die Beihilfe seiner im Hauswesen tüchtigen grundgescheiten Tochter in jeder Weise wurde. Für Beschaffung erlesener Weine sorgte Rat Thalhammer, eine Weinzunge fürnehmer Art, geschult durch viele Reisen in Italien und Griechenland; „Vater Puchner“, der Zäpfler, hatte es übernommen, etwaigen Wünschen nach einem Trunk guten Salzburger Bieres gerecht zu werden. Martin Hoß mußte die Musikanten besorgen und die Anleit zum Balle geben.

Andere Ratsmitglieder ordneten die Ausschmückung der Räumlichkeiten der Trinkstube, die auch als Gasthof zur Fremdenbeherbergung diente und großes Ansehen genoß, und schließlich ward für diesen Festabend eine besondere Kleiderordnung ausgegeben, nach welcher sich die männliche Bürgerschaft zu richten hat, dieweilen das für die Weiberwelt nicht nötig ist, denn diese weiß sich schon selber aufs schönste herauszuputzen.

Zu Fuß und vielfach nach welscher Art in Sänften waren die Honoratioren der Bischofstadt im Trinkhause erschienen, buntgeschmückt und erwartungsvoll. In einem Seitensaale neben der Tanzhalle versammelten sich Salzburgs Frauen und Mädchen, in einer Gruppe standen eifrig parlierend die Junker und jungen Bürgersöhne, die Ratsherren hielten den vorderen Teil des Hauptsaales besetzt, empfangsbereit und voll Erwartung bange murmelnd. Ein Teil der Bürgerschaft hingegen hatte rasch entdeckt, daß ein Schenktisch in einem Gemache hinter dem Festsaal steht, wohlbesetzt mit Zinnkrügen, Silberköpfen, Kannen, Pokalen und Humpen, ja auch viel Majolikageschirr aus Welschland war vorhanden, und recht derb kontrastierten dagegen die hölzernen Bierbitschen. Daß alle diese schönen Gefäße teils mit Wein, teils mit Gerstensaft gefüllt seien, hatten junge Leute bald los. Zwar lautet das Gebot, daß vor Tafelbeginn der Schenktisch nicht geplündert werden dürfe, doch von den gewaltigen Ratsherren war heut keiner um die Wege, die Aufwärter fragte man nicht, und so schluckte so mancher aus den Gefäßen, ohne lang zu fragen, ob es erlaubt und wessen der Inhalt sei. „Was man hat, besitzt man!“ gröhlte ein junger Negotiator, und sein Beispiel wirkte aneifernd genug.

Im Hauptsaale, so schön und großartig, daß darin ein römischer Kaiser logieren könnte, war die Tafel, bedeckt mit schwerem Damast und goldenen wie silbernen Kannen, Bechern und Schüsseln, ausgestellt, wundersam zu beschauen auch ob der Schaugerichte, so da waren ein Pfau mit aufgeschlagenem Rade, der unvermeidliche Schweinskopf in reicher Garnierung, gewaltige Huchen und rotbetupfte Ferchen, auch Fasanen mit senkrecht aufragendem Stoß, und etliche Gebirge aus Zucker, darunter der Untersberg, aus dessen Quellen Weißwein als Bergbrünnlein herniederrieselten.

Lustige Weisen der Zinkenbläser und Posaunisten, dazu Trommelwirbel und Schellengeklingel tönten von der Galerie herab, den buntgeschmückten Festgästen die Wartezeit bis zum Beginn zu verkürzen, doch hörte man nicht viel auf die lockende, bald leise schwirrende, bald wieder grell lärmende Musik. Die Weiber hatten Besseres, Wichtigeres zu thun im Mustern der Kleider von Freundinnen, im schauen und kritisieren, und der Anblick, den Salome Alt, des Kaufherrn bildschöne Tochter bot, versetzte die anwesende Frauenwelt in eine Erregung, die sich in Rufen des Erstaunens, im Gemurmel und Tuscheln grimmigsten Neides äußerte.

Salome, ein Mädchen mittlerer Größe von kaum zwanzig Lenzen, war soeben in den für die Frauen reservierten Raum getreten; lächelnd begrüßte sie die Damen, nickte den Mädchen zu und schritt langsam zur Bürgermeisterin, die sich ob der Pracht solcher Kleidung nicht zu fassen wußte, wiewohl sie wahrlich weiß, daß Salome über Prachtgewänder dank der Freigebigkeit des Vaters zu verfügen hat. Ein bezaubernder Liebreiz ist über das runde Madonnenantlitz des Mädchens ausgegossen, der schlanke Wuchs weist das herrlichste Ebenmaß auf mit einer Fülle reizendster Formen, die ein Männerauge in hellstes Entzücken versetzen muß. Blendend weiß die reine Stirne, von blonden Löckchen umrahmt, die Zähnchen schimmernd gleich Perlen, das goldige Haar aufleuchtend im Licht der vielen Kerzen, Kinderaugen lieb und rein, rundes Kinn, ein Wesen so sanft, unschuldsvoll und lockend, und dennoch bescheidener Art, die es vermeidet, das eigene schöne Ich irgendwie in den Vordergrund zu drängen. Ein leises Rot liegt wie angehaucht auf Salomes zarten Wangen, ein Lächeln inneren Triumphes auf den leicht geöffneten Lippen. Fürstlich muß die Erscheinung des Mädchens genannt werden im weiten blauen, mit Nörzpelz gefütterten Atlasrock, besetzt mit goldenen und silbernen Schnüren, um den Hals eine vierfache Perlenkette, am Halsausschnitt die steife Spitzenkrause, die Ärmel verbrämt mit golddurchwirktem Tuch.

„Gott zum Gruß, liebwerte Muhme!“ lispelte Salome und erwies der Bürgermeisterin gebührende Reverenz.

Frau Alt brachte den Mund nicht zu vor Überraschung und mußte erst verschnaufen, bis sie zu stammeln vermochte: „Salome! Wie eine Fürstin siehst du aus! Gott straf' mich peinlich, so dein Rock nicht die fünfhundert Lot Perlen hat und in die tausend Thaler kostet!“

„Gefällt Euch das Kleid nicht? Das thät' mich schmerzen, der gute Vater ist zufrieden, und das macht mich immer glücklich!“

„Schon, gewiß auch! Aber Perlen, so viel Perlen für eine junge Maid! Das ist zu viel des Guten, Kind! Und Perlen bringen dereinst Zähren, das hat mein Ahnl schon gesagt!“

„Des will ich warten, Muhme!“ lachte silberhell die schöne Salome, „ich habe Zeit und fürchte mich nicht davor. Doch wenn Ihr verlaubet, will die anderen Frauen ich begrüßen!“

Indes Salome einer Fürstin gleich und doch bürgerlich bescheiden den Frauen zuschritt, ward es immer lauter am Schenktisch drüben, wo der hastig geschluckte starke Südwein die Geister bereits zu entfesseln begann, und sowohl Stadtrat Thalhammer wie der ob seines Festbieres besorgte Vater Puchner herbeigeeilt waren, um weiteren Beraubungen der Getränkevorräte vorzubeugen. Ihr Veto und der Hinweis, daß die köstlichen Weine für das fürstliche Gefolge, nicht aber für Schmarotzer bestimmt seien, rief lebhaften Protest der naschhaften Bürgersöhne hervor, und besonders der noch ziemlich jugendliche Ratssohn Lechner opponierte lauter als schicklich war, gegen sothane Bemutterung. „Festgäste sind wir alle und in der Trinkstube zum trinken da, es bleibt sich gleich, ob wir unser Deputat vor oder erst nach dem Mahle trinken. Und auf diesen Wein wird der Fürst wohl nicht reflektieren, der hat besseren Tropfen im Keller des Keutschachhofes, besseren, sag' ich, als dieser Raifel, und der Höpfwein gar, der hat einen Stich!“

Nun war es zu Ende mit der Ruhe Thalhammers, den eine Verschimpfung von Weinen, die seine Zunge als fürtrefflich erkieset, beleidigte. „Die Pest hat er, so diese Weine stichig sind! Sauf' er Wasser vom Gerhardsberg, das giebt Ihm den Verstand wieder, so einer überhaupt vorhanden war! Und die Rumorknechte schick' ich ihm auf den Hals!“

„Die laßt nur hübsch zu Hause! Wir sind in unserer Trinkstube, die ist städtisch und gehört uns Bürgern! Wollt Ihr beten, geht in den Dom, ist Platz genug darin, für Euch und den Erzbischof!“

„Wollt Ihr gleich stille sein!“ mischte sich Vater Puchner dazwischen, dem nicht ganz wohl ward bei so respektwidriger Erwähnung des noch dazu eben erwarteten Landesfürsten. „Wollet Ihr gröhlen, wartet bessere Gelegenheit ab! Kein Wort aber mehr über den erleuchteten erlauchten Herrn!“

Dem Lechner saß der Weinteufel aber schon im Gehirn und er polterte unbekümmert los: „Erleuchtet, hehe! Der neue Herr mit dem seltsam Wappen! Wißt Ihr, Bierwanst, was der Wölfen Dieter im Schilde führt? Ich will es Euch sagen: eine schwarze Kugel im weißen Felde! Das ist die Finsternis! Wir werden es noch erleben, ein Wetter wird gehen über das Erzstift! Bringt Euren Schmeerbauch zu rechten Zeiten weg, der Erlauchte könnte Euch darauftreten, daß Ihr zwillt!“

Bestürzt rief Rat Thalhammer: „Haltet ein, Ihr schwätzt Euch um den Kopf! Der neue Herr vergeht keinen Spaß von solcher Seite und läßt uns entgelten, was der Weindunst aus Euch spricht!“

Grimmig pfauchte Lechner: „So laßt Euch auf den Köpfen tanzen, daß es staubt, Ihr Memmen! Ich fürcht' ihn nicht, den Wölfen Dieter samt seinen Degen! Haha! Ein Kirchenfürst, der spanisch herumstolziert gleich einem geckenhaften Junker!“

Lärmender Tusch unterbrach diese Scene; auf ein Zeichen des Bürgermeisters hatten die Musikanten eingeht, den ins Haus getretenen Landesherrn anzublasen.

Die mit Tannengrün und den Farben Salzburgs geschmückte Treppe herauf stieg Wolf Dietrich, gefolgt von den Würdenträgern seines Hofes. Der Gestalt nach war der Erzbischof und Landesfürst schmächtig, fast klein zu nennen, unschön die Züge seines Gesichtes mit kleinen, doch lebhaften Augen, deren Blick es jedoch verstand, sich Respekt zu verschaffen und den keiner auf die Dauer aushielt. Eine Unruhe lagerte über diesem Antlitz, ein Gedankenreichtum, etwas undefinierbar Gewaltiges, jeden Augenblick bereit, überraschend loszubrechen. Kaum dreißigjährig ging von diesem Manne ein Wille aus, der an die Vollkraft des reifen Mannes, an eine unbeugsame Willensstärke gemahnte, die Gestalt Wolf Dietrichs atmete Hochmut, trotz der kleinen Erscheinung, und gemahnte keineswegs an einen duldsamen Kirchenfürsten. Aristokrat von der Sohle bis zum Scheitel vereinigte Wolf Dietrich die Eigenschaften schwäbischen und lombardischen Blutes in sich; ein frischer, junger Mann „geschwinden Sinnes und Verstandes und auch hohen Geistes“, der infolge seiner Studien im collegium Germanicum zu Rom, seiner Erziehung im Palazzo seines Oheims Marx Dietrich von Hohenems, als Großneffe des regierenden Papstes, an Bildung den Landadel turmhoch überragte und sechs Sprachen beherrschte.

Wolf Dietrich trug spanische Tracht, den Federhut, wie ihn Rudolf II. liebte, das Rappier stets an der Seite, wenn er nicht des Chorrocks und Baretts benötigte, und einen kostbaren schwarzen Mantel um die Schultern geschlagen. In dieser Kleidung war der schwäbische Landjunker von Raittenau am Bodensee sicher nicht zu erkennen, und der mit 29 Jahren zum Fürst-Erzbischof vom Stifte Salzburg erwählte Herr von Raittenau liebte es auch nicht, an seine schwäbische Abkunft erinnert zu werden, wiewohl die Kriegsthaten des Vaters Hans Werner ruhmreich genug gewesen. Seine Mutter Helena war eine Nichte Pius' IV. aus dem Geschlechte der Hohenems, ihr medizäisches Blut wallte in Wolf Dietrich heiß und stürmisch auf zu Rom wie — verspürbar allenthalben zu Salzburg.

Mit dem ihm eigenen stechenden Blicke musterte Wolf Dietrich die Dekoration im Treppenhause und stieg langsam empor, haltmachend vor dem in tiefster Verbeugung gehenden Bürgermeister Alt, der ehrerbietigst Seine Hochfürstliche Gnaden begrüßte, ohne den gekrümmten Rücken zu heben, und den Willkomm gleichzeitig mit dem Dank für das huldvolle Erscheinen des gnädigen Fürsten stammelte.

Ein hochmütiger Blick flog über des Bürgermeisters Rücken hinweg zu den Saalthüren, durch welche heller Kerzenschimmer herausflutete, es schien, als suchten Wolf Dietrichs Augen eine bestimmte Peinlichkeit.

„So mögen denn Ew. Hochfürstliche Gnaden geruhen, den Schritt zu setzen in das vor Freude erzitternde Haus bemeldter Stadt, die das Glück hat….“

„Will nicht hoffen! Liebe ‚zitternde‘ Häuser nicht! Soll ich aber den Fuß in den Saal setzen, mag Er Raum dazu geben!“ sprach ironisch lächelnd der junge Fürst, worauf sich der Bürgermeister erschrocken mit seinem gutgenährten Bäuchlein an die Stiegenmauer drückte. Wolf Dietrich schritt an ihm vorüber, und Alt wollte eben dem Fürsten folgen, da drückte ihn die energische Hand des Kammerherrn hinweg, das fürstliche Gefolge blieb dem Gebieter auf den Fersen. Bis auch noch die Edelknaben die Stiege vollends erklommen hatten, war Wolf Dietrich längst im Hauptsaal angelangt, und der Bürgermeister stand verdutzt an der Stiegenmauer.

Die Stadträte beugten sich wie ein Ährenfeld im Winde vor dem Gebieter, dessen Feueraugen indes nach dem Frauengemach schielten, und mit ebenso überraschender wie gewinnender Liebenswürdigkeit sprach Wolf Dietrich: „Meinen Dank allen für den freundlichen Empfang! Doch ich bitte, zuerst die Damen! Nicht will ich die Ursache sein einer Verzögerung, und Frauen soll man niemals warten lassen!“

Auf einen Wink des Fürsten schritt der Kämmerling an die offene Thür des Frauenwartegemaches und sprach: „Seine Hochfürstliche Gnaden lassen die Damen bitten, in den großen Saal zu treten!“

Scheu und doch neugierig, geschmeichelt und doch ängstlich zugleich wollte von den Frauen keine vortreten, und für die jungen Mädchen schickte sich ein Vortritt überhaupt nicht.

„Nicht um die Welt und Gastein dazu geh' ich voraus!“ wisperte die verdatterte Bürgermeisterin in einer schier unüberwindbaren Scheu vor dem Auge Wolf Dietrichs. Um aber an der Ehre des Vortrittes doch einigermaßen Anteil zu haben, auf daß sothane Ehre in der Verwandtschaft bleibe, gab Frau Alt der Nichte Salome einen ebenso freundlichen wie verständlichen Stoß mit der knöcherigen Faust und tuschelte dazu: „Geh du voraus, dein Kleid verträgt es!“

„Wenn Ihr glaubt, Muhme, ich fürchte mich nicht und wüßte auch keinen Grund zu Angst und Sorge!“ erwiderte leise die schöne Salome, und schritt durch die offene Thür in den Hauptsaal; hinterdrein zappelten nun die Frauen und Töchter und guckten sich die Augen und Hälse wund nach dem jungen Fürsten in der spanischen Tracht.

Noch ehe Salome die Lippen geöffnet, um den Dank von Salzburgs Damen für das gnädige Erscheinen des Landesherrn darzubringen, war Wolf Dietrich in seiner impulsiven Art dem schönen Fräulein entgegengegangen, und lebhaft rief der Fürst: „Ah, welches Glück lacht mir entgegen, des Festes Königin erscheint, und sie wolle auch meine Huldigung entgegennehmen!“ Mit eleganter Wendung griff Wolf Dietrich nach dem zierlichen Händchen Salomes und drückte galant die Lippen darauf.

„Hochfürstliche Gnaden!“ stammelte überrascht die schöne Salome und wollte die Hand zurückziehen.

„Nicht doch, bellissima! Gewährt die Gnade, daß des Stiftes Salzburg Herr der Schönheit huldigt! Euren Arm, Donna, und nun wollen wir geruhen, das Fest zu eröffnen!“

Salome hatte sich gefaßt, die chevalereske Huldigung schmeichelte ihrem Sinn wie die offenkundige Auszeichnung; Salome wußte, daß sie strahlend schön, begehrenswert wie keine zweite Dame unter Salzburgs Mädchen ist, und in diesem Triumph legte das Fräulein, holdselig lächelnd, den vollen runden Arm in jenen des jungen Fürsten. Das Paar schritt nun durch den Saal, die Musikanten spielten eine flotte Weise dazu, die überraschten Patrizier und deren Frauen, Söhne und Töchter thaten das klügste, indem sie sich paarweise anschlossen und in der Ronde hinterdrein schritten. Gelegenheit zum schwätzen war dabei reichlich genug vorhanden, die Mündchen der Damen schnurrten wie Spinnrädchen. Neues genug bringt der neue Herr in alle Kreise. Ohne vorherigen Cercle ein Fest zu eröffnen, sich ein Fräulein herauszufischen, und das zur Festeskönigin erküren und auszurufen, welch neues, ungewöhnliches Vorgehen! Wenn der Fürst da doch wenigstens die eigene Tochter herausgefischt hätte! Aber so schlankweg die Salome Alt, die ohnehin sich geriert, als stamme sie aus fürstlichem Geblüt! Es muß ihr ja der Neid lassen, daß sie schön ist, hübscher als alle andere, aber weil das unbestreitbare Thatsache ist, wäre es besser, wenn sich die Alt-Tochter mehr im Hintergrund verhielte! Und dieser fabelhafte Luxus in der Kleidung! Eine Prinzessin hat kaum so viel Perlen zu tragen!

Salomes Vater, Herr Wilhelm Alt, war mit sich selber nicht recht einig, als er mit der Schwägerin, der Muhme Salomes, dahinschritt. Die seiner Tochter widerfahrene Auszeichnung schmeichelte zum Teil ja gewiß auch dem Vater, besonders da Wolf Dietrichs Art sonst hochmütig ist und der junge Gebieter viel auf höfische Formen hält. Aber eben die so plötzliche Durchbrechung der Etikette will dem stolzen Kaufherrn nicht gefallen, sie verletzt durch ihre Außerordentlichkeit. Einem Stachel gleich wirkt auch die von Wilhelm Alt wohl beobachtete Scene, wie der Bruder-Bürgermeister von den Herren des fürstlichen Gefolges an die Stiegenwand gedrückt wurde; die Hofschranzen nehmen sich in ihrem Übermut zu viel heraus, der Bürgerstolz ist verletzt und stolz waren die Salzburger Patrizier von jeher. Was aber thun in diesem ungewöhnlichen Falle? Es ist nicht opportun, als Vater hinzutreten und dem Fürsten die Tochter aus dem Arm zu reißen.

Die Muhme-Schwägerin trippelte an Wilhelm Alts Seite, schwelgend in Glückseligkeit. Von dem ihrem Gatten widerfahrenen Affront hat sie keine Ahnung, sie hat nur die beglückende Auszeichnung ihrer Nichte durch den stolzen Landesherrn wahrgenommen, mit eigenen Augen gesehen, wie der Gebieter die Hand Salomes geküßt, als wäre die Nichte eine wahrhaftige Prinzessin. Welches Glück, welche Auszeichnung für Salome, für die ganze Familie Alt! Die Muhme sieht die Zukunft in rosigem Lichte. Wer weiß, welche Auszeichnungen ein Verkehr mit dem fürstlichen Hofe, mit dem Erzbischof noch bringen kann! Hat doch Wolf Dietrich die besten Beziehungen zum Vatikan! Verwandt mit Seiner Heiligkeit! Ihn kann es nur ein Wort kosten, und die Muhme erhält den päpstlichen Segen separat, nur für sich! Die Bürgermeisterin erschrak in Gedanken vor der Kühnheit ihrer Hoffnungen, sie erinnerte sich, daß der Gemahl nichts weniger denn solche römische Aspirationen hegt und seine Behaglichkeit höher schätzt als Fürstengunst. Wenn es sich aber heimlich bewerkstelligen ließe, alles und just das brauchte der Bürgermeister ja nicht zu wissen, — der Muhme schwindelte vor diesem Gedanken und unwillkürlich stützte sie sich fester auf den Arm des Schwagers.

Wer sich am Rundgang nicht beteiligt hatte, die jüngeren Bürger, Junker, auch die Plünderer des Schenktisches, hatten sich an der Saalwand aufgestellt und bildeten eine Gruppe in der Ecke, zu welcher sich der gründlich vergrämte Bürgermeister Alt gesellte, dessen Blicke nicht viel Gutes zu künden schienen. Manches bissige Wort über den Fürsten und sein Charmieren mit Salome fiel in dieser Gruppe, und der Bürgermeister wehrte dessen nicht. In ihm kochte es, die Behandlung auf der Treppe hat sein Blut erhitzt. Nicht minder ärgert es Alt, daß sein Eheweib an des Bruders Seite ersichtlich verklärt, schwimmend in Glückseligkeit, hinterdrein trippelt und durch dieses alberne Nachlaufen das fürstliche Karessieren gewissermaßen sanktioniert. Bürgermeister Alt knurrte: „Dumme Gans! Und Wilhelm könnte auch etwas Besseres thun, als mit der alten Schachtel hinterdrein zu laufen!“

Einer der Jungen, die vom Südwein zu viel erwischten, krähte mit heiserer Stimme: „Guckt ihn an, den Erzbischof, der tänzelt wie ein spanischer Junker!“

Und ein anderer, dessen Augen bereits gläsern geworden, brachte schluckend heraus: „Fein — wird—'s im E—e—er—z—st—st—stift!“

Inzwischen war Wolf Dietrich mit Salome an diese Gruppe herangekommen; der Fürst winkte der Musik, die mit einer Dissonanz jäh abbrach, und sprach, seine Dame im Arm behaltend, den Bürgermeister mit vollendeter Liebenswürdigkeit und Herablassung wohlwollend an: „Lieber Alt! Niente di male! Ihr verzeiht mir wohl, daß ich im Banne der Schönheit auf Eure Meldung und Unordnung nicht gewartet, das Fest mit der Königin in persona eröffnet habe. Salzburgs schönste Mädchenblume rechtfertigt mein Verhalten und erklärt die Begeisterung meiner Gefühle! Glücklich ein Land, in dessen Gefilden solche Blumen blühen, glückliches Salzburg, dessen Herr zu sein mich mit freudigem Stolz erfüllt! Nun, mein lieber Bürgermeister, ist es nach Eurer Absicht, so laßt uns das Mahl beginnen, doch wünsche ich, daß zu Tisch mir des Festes Königin zur Partnerin verbleibe!“

Der Bürgermeister hatte seinen Ohren nicht getraut, diese huldvolle Ansprache warf alle Rachegedanken über den Haufen, sie mußte einen Drachen in ein sanftes Lamm verwandeln; zum mindesten, das fühlte der Stadtvater deutlich genug, gehört auf solche Huld eine höfliche Dankesantwort, die aber im Handumdrehen nicht gedrechselt werden kann, denn Herr Ludwig Alt ist kein Geschwindredner und seine Gedanken verlangen eine überlegte gemächliche Aneinanderreihung. „Hochfürstliche Gnaden haben geruht!“ Das war der erste Anlauf, und nun muß einen Augenblick nachgedacht werden, was hinzugefügt werden könnte.

Doch der lebhafte Fürst sprach dazwischen: „Ihr seid also nimmer ungehalten, solche Versöhnlichkeit ehrt Euch und läßt den milden Sinn des treubesorgten Stadtvaters erkennen! Ich irre nicht, wenn ich Eure Zustimmung voraussetze. Zu Tische denn, und Euch, Bürgermeister, lade ich ein, zu meiner Linken den Platz zu nehmen. Zu meiner Rechten behalte ich die Verkörperung der Schönheit, des Festes Königin!“

Eine Fanfare schmetterte in den Saal, in ihr ging der Dank des Bürgermeisters unter.

„Eure Gemahlin nehmen wir mit!“ rief Wolf Dietrich dem Stadtvater zu, dem darob die Ohren sausten.

Die Herablassung des Landesherrn wirkte zündend, die glänzende Versammlung akklamierte frohgestimmt dem leutseligen jungen Fürsten, ein Tusch der Musikanten verstärkte die brausenden Hochrufe, und in lebhafter Beweglichkeit ward zur Tafel geschritten. Eilig hatte es die Bürgermeisterin, welche die Worte des Gebieters glücklich erhascht hatte, an die Seite des Gatten zu gelangen, wozu die Überglückliche ihre Arme wohl zu gebrauchen und sich im Menschengewirr Bahn zu schaffen verstand. Die Herren, welche Frau Alt so unsanft zur Seite drängte, lachten auf ob der Beteuerung, daß der Fürst Verlangen trage nach der Stadtmutter, und ließen die in ihrer Glückseligkeit drollige Frau bereitwillig durch. So gelangte Frau Alt zu ihrem Gatten, der sie nun wohl oder übel zu Tisch geleiten mußte.

„Der Schönheit Majestät wolle mich beglücken!“ flüsterte Wolf Dietrich, als er mit Salome sich dem Ehrenplatz an der Prunktafel näherte.

„Hochfürstliche Gnaden überschütten mich mit Huld und Gunst in unverdientem Maße!“ erwiderte lächelnd Salome und senkte bescheiden die Lider.

„Nicht doch! Wessen Blick geschult ist durch das Leben im ewigen Rom, vermag wahre Schönheit zu erkennen, doch versagt die Sprache, sie gebührend zu preisen. Ich huldige der schönsten Königin, so die Erde trägt, und bitte, diese aufrichtige Huldigung in Gnaden aufzunehmen!“ Ein leiser Druck des Armes auf jenen Salomes, dann gab Wolf Dietrich seine Dame frei, winkte einem Edelknaben und beorderte diesen zur Bedienung der Dame.

Man setzte sich zur Tafel, und wie angeordnet, kam immer zwischen zwei Herren eine Dame zu sitzen, Frau Alt, deren Wangen vor Aufregung die Farbe der Klatschrose angenommen, hatte gehofft, zur Linken des Fürsten placiert zu werden, aber das litt nun der Gemahl doch nicht, hier wurde die Ausnahme gemacht. Dafür saß nun die Stadtmutter zwischen den Brüdern Alt, also immer noch in auszeichnendster Nähe des Landesherrn und Ehrengastes.

Noch ehe das Mahl begann, hatte sich Wolf Dietrich an seine Tischgenossin gewendet: „Irre ich nicht, so war das Geschick mir schon einmal günstig, und ein guter Stern hat Euch vor kurzer Zeit in meinen Palazzo geführt?“

Salome erhob das strahlend schöne Auge zum Gebieter, dann nickte sie und lispelte: „Nicht ein Stern ist's gewesen, des Vaters Auftrag führte mich in den Palast. In Geldangelegenheiten geht mein Vater sicher und deshalb muß zum Einhub die Tochter kommen.“

„So waret Ihr es doch, die ich flüchtig nur bei meinem Kastner sah!“

Salome nickte.

„Und Euer Vater, glücklich zu preisen ob solcher Tochter, die allen Liebreiz in sich verkörpert, ist er hier in unserem Kreise?“

Leise erwiderte Salome, daß der Vater zur Linken neben der Muhme Platz genommen habe.

„Und die Mutter?“

„Die Teure ist seit langem uns entrissen!“

„Wie schmerzlich muß es gewesen sein, von solchem Kind zu scheiden! Doch wollen wir in der Gegenwart bleiben!“ Wolf Dietrich lehnte sich in seinen Stuhl, dessen Lehne mit dem Raittenauer Wappen und den bischöflichen Farben geschmückt war, zurück, um den Blick auf Wilhelm Alt frei zu bekommen. Ein kurzer, musternder, prüfender, stechender Blick, der dem Antlitz des Fürsten einen harten Ausdruck gab, dann kehrte wohlwollende Leutseligkeit in das Antlitz zurück, und freundlich, mit gewinnender Güte und Herablassung rief Wolf Dietrich dem Handelsherrn zu: „Wilhelm Alt, meinen Gruß! Verzeiht, daß so verspätet ich an Euch mich wende, Euch glücklich preise ob der schönen Tochter und den Dank Euch sage dafür, daß es mir vergönnt, die Königin des Festes zur Partnerin zu haben!“

Wilhelm Alt hatte sich schon bei den ersten Worten erhoben und dem Fürsten tiefe Reverenz durch eine Verbeugung erwiesen. Dann aber blieb der Handelsherr aufrecht vor dem Landesherrn stehen, stattlich anzusehen als ein seiner Bedeutung wohlbewußter, reicher Patrizier. Ein von Liebe und väterlichem Stolz sprechender Blick flog zu Salome hinüber, ein zweiter galt dem Fürsten, und dieser Blick schien prüfend, mißtrauisch zu sein, gleichsam, als traue der Vater nicht dem jungen Herrn, der so wenig Hehl aus seiner Bewunderung und Huldigung für die Tochter mache. Der Dank für die Ansprache fiel etwas kühl aus, vollendet höflich und ehrerbietig, aber fühlbar frostig.

Sofort zeigte des Fürsten Antlitz den Zug unbeugsamer Härte, den Ausdruck von Hochmut, der Blick ward stechend und höhnisch; doch weltgewandt meisterte Wolf Dietrich sofort seine Empfindungen und den Gesichtsausdruck, die Falte auf der geistkundenden Stirn glättete sich, lächelnd grüßte der junge Kirchenfürst unter den Worten: „Wir danken Euch, Wilhelm Alt und wollen Euch den nun beginnenden Tafelfreuden nicht länger entziehen!“

Nach abermaliger tiefer Verbeugung nahm der Kaufherr seinen Platz wieder ein, sofort von der Schwägerin interpelliert, was denn alles der gnädige Herr gesprochen. „Ich hör' auf einem Ohr nicht gut, das schlechte Wetter ist daran schuld!“ fügte die neugierige Bürgermeisterin hinzu. Wilhelm Alt war boshaft genug, um der Schwägerin zuzuwispern: „Einen Hopser will er später mit Euch machen!“ Frau Alt schien das Geflüster doch vollkommen verstanden zu haben, denn ganz etikettwidrig platzte sie heraus: „Nicht möglich?“ Das klang so drollig, daß auch Salome ein Kichern nicht unterdrücken konnte.

Wolf Dietrich hatte sich an den Bürgermeister gewendet, als der Gang: „Ein gelb Essen ist lind zu essen“ serviert worden war, und sprach zum ehrerbietig aufhorchenden Stadtgewaltigen: „Nun wir die linde Speise hinter uns haben, wollen wir auch linder Stimmung sein und vernehmen, was die Herzen meiner Salzburger beweget.“

Das klang wie Musik in den Ohren Ludwig Alts, der es gleich dem Stadtrat bitter genug empfunden hatte, daß der Landesherr kaum nach seinem Regierungsantritt von den Errungenschaften früherer Erzbischöfe schleunigst Gebrauch machte und eine Revision in den Personen des Stadtrates in Bezug auf ihre Gesinnung vornahm, die eine fühlbare Veränderung dieser Instanz hervorrufen mußte.

Ludwig Alt traute aber der „linden“ Stimmung des jungen Gebieters nicht völlig, immerhin wollte er den Versuch machen, sie zu Gunsten der Stadt, namentlich zur Wiedererlangung der abgenommenen Kriminalgerichtsbarkeit auszunutzen. Vorsichtig brachte Alt hervor: „Wenn wir in schuldiger Ehrfurcht eines vom gnädigen Herrn erbitten dürften, so wäre es, daß das Stadthaupt und der Rat gewissermaßen doch auch noch etwas zu sagen hätten!“

Wolf warf den geistvollen Kopf auf, sein scharfer, geschwinder Sinn hatte im Nu erfaßt, wohinaus der Bürgermeister zielte, doch wollte er die Erkenntnis nicht verraten und fragte daher: „Wie meint Er das?“

„Wenn Hochfürstliche Gnaden es huldvoll verstatten wollen: Wir haben nur noch die Exekutive, seit Ew. Gnaden neue Hofratsordnung in Kraft getreten ist und auch diese Gerichtsbarkeit dieser erzbischöflichen Behörde übertragen wurde, und —“

In diesem gewichtigen, ja gefährlichen Augenblick trat Wilhelm Alt, der in höchster Spannung dem bedeutungsvollen Gespräch zugehört, dem Bruder warnend auf den Fuß.

„Und?“ fragte Wolf Dietrich mit lauernder Miene.

Der Bürgermeister konnte die brüderliche Warnung nicht recht deuten und im Banne der fürstlichen Frage rutschte ihm heraus: „Und diese Exekutive erniedrigt uns zum bedeutungslosen Polizeibüttel, der sonst nichts ist und nichts zu sagen hat!“

Wolf Dietrichs Wangen färbten sich rot, Wilhelm Alt, der Weitblickende, erblaßte. Ahnunglos plauderten und aßen die Festgäste, nur in der nächsten Umgebung des Fürsten herrschte beklemmende Ruhe.

Wieder meisterte der Landesherr sein heißes Blut, kühl, fast höhnisch sprach er: „Deut' ich das vernommene Wort recht, und es ist nicht schwer zu deuten, so spukt in euren Köpfen der Geist der Rebellion!“

Beide Alts zuckten zusammen. Da griff Salome helfend ein: „Verstattet gnädigster Herr und Gebieter ein vermittelnd Wort!“

Überrascht rief Wolf Dietrich: „wie? Majestät Schönheit will sich ins Gebiet der Politik begeben?“

„Verzeihung, gnädigster Landesvater! Ich fühle wohl den herben Tadel in den Worten Ew. Hochfürstlichen Gnaden und gestehe willig dessen Berechtigung zu. Ein Weib, ein Mädchen nun gar soll schweigen, so im Kreise bedeutender Männer das Wohl des Landes beraten und erwogen wird. Ein Weib —“

„Ein fürstlich Weib!“ murmelte Wolf Dietrich und ein bewundernder Blick schien die schöne Gestalt Salomes umfassen zu wollen.

Klug nützte Salome den Augenblick wie die Schmeichelei: „Ein Weib versteht nichts von den wichtig politischen Dingen, doch kann weibliches Empfinden oft besser erfassen, den Kern einer Sache erkennen, als ein kluger Manneskopf, wasmaßen das Weib meist nicht von Nebendingen beeinflußt ist.“

„Ei ei, der Diplomat im weiten Rock!“ lachte der Fürst amüsiert.

Tapfer behauptete Salome: „Ew. Hochfürstliche Gnaden werden mir zugeben, daß ich in der eben vernommenen Sache ganz unzweifelhaft nicht beeinflußt bin, denn mit Kriminal- und peinlichen Prozessen habe ich in meiner Lebtage nichts zu schaffen gehabt und hoffe, davon verschont zu bleiben, bis des Alters Schnee auf meinem Haupte lastet und darüber hinaus.“

„O, carissima mia! Wie kann das lieblichste Geschöpf der Erde die Schrecken des Alters heraufbeschwören, stören den harmonisch schönen Eindruck, der mein Herz entzückt! Schnee auf Eurem goldigen Haupte, holde Göttin meiner Seele! Bannt mir solches Denken! Hinweg damit! Ich kann dieses Wortbild nicht fassen, ich hasse es!“

„Und dennoch wird jene Zeit auch über mich kommen! Doch Euer Wunsch, gnädigster Herr, ist mir Befehl, heut und so lang ich lebe —“

„Hört ihr es!“ wandte sich Wolf Dietrich zu den beiden Alten, „so spricht eine Unterthanin Salzburgs, weise und ergeben in den fürstlichen Willen, und wären der Unterthanen alle wie Schönsalome, es wäre eine Freud' und Lust, Herr zu sein! — Doch sprecht aus, was Eure Brust bewegen mag!“

„Mein Ohm,“ erwiderte Salome, „der allverehrte Bürgermeister hat es ehrlich, wenn auch vielleicht zu hastig, ausgesprochen, daß zu viel genommen ward von den Rechten Salzburgs, daß der Rat erniedrigt sei zu bedeutungsloser Exekutive. Wahr ist dies Wort und Eure Partnerin ist nicht viel anderes als des Stadtbüttels Nichte, nicht wert an der Seite des gnädigsten Fürsten und Landesherrn zu sitzen!“

Galant erwiderte Wolf Dietrich: „Schönheit adelt und erhebt!“

„Mit nichten, gnädigster Herr! Ein Fürst wird niemals ein Weib erküren, das nahezu unfrei ist, von niederer Abkunft, mag das Weib dabei engelschön sein!“

„Ein Anwalt, wie ich ihn meiner Sache nicht besser wünschen kann!“ schmeichelte der Fürst, und fügte bei: „Doch Eure Prämisse stimmt nicht: Die Tochter eines Wilhelm Alt, des reichen Handelsherrn, ist nicht von niederer Abkunft, au contrair, der edelsten eine in meinem Lande, nur nicht von Adel! — Ist irrig die Prämisse, kann die Folgerung nicht richtig sein! Was aber wünscht die verkörperte Anmut in so bemeldter Sache?“

„Gebt, gnädigster Herr, der Stadt die alten Rechte wieder, laßt ihr ein gewisses Maß der Freiheit, die Selbstbestimmung, und ich bin dessen sicher: Je lockerer der Zügel, desto freudiger gehorcht das Roß dem leisesten Befehl des Herrn!“

Ein langer, liebevoller Blick des jungen Landesherrn lag auf Salome, bis Wolf Dietrich leise, fast mehr für sich zu sprechen anhub: „Verführerische Worte, süßer Klingklang! Geb' ich dem Rat, wird mir die Landschaft störrig! Und schlankweg die Hofratsordnung aufheben, dieses mühevolle Werk meiner Juristen, impossibile!“

Salome wagte einen legten Versuch: „Verzeiht mir, hoher Herr! Die Landschaft war Euch sicher zu Willen und hat jeder Steuermaßnahme zugestimmt!“

„Ja doch! Lästig ist genug die hergebrachte Pflicht, daß der Fürst die Landschaft angehen muß bei jeder neuen Steuerausschreibung! Ihr, schöne Salome, wollt als besonderes Verdienst betonen die allzeit gefüge Zustimmung! Verzeiht mir das harte Wort: Hier reicht Frauensinn nicht aus! Wißt Ihr, warum die Stände so steuerfreudig gewesen und immer ohne Sträuben zugestimmt haben? Ich will Euch dieses Rätsel lösen: Hoffnung war es, weiter nichts, Berechnung auf des Fürsten Gutmütigkeit, die Hoffnung, durch sothane Nachgiebigkeit und Willigkeit etwas von den früheren Rechten zurückzuerlangen!“

„Und täuschte sothane Hoffnung?“ fragte Salome unter Augenaufschlag und richtete den Blick direkt in des Fürsten Auge.

Jetzt Aug' in Aug' mit dem bezaubernd schönen Mädchen, vermochte Wolf Dietrich kein schroffes, wahres „Ja“ zu sagen, er griff zu Worten der Ausflucht, indem er eine spätere Reformierung der Angelegenheit zusicherte.

Ein Schatten des Unmutes huschte über das Antlitz Salomes, und Wolf sah dieses Wölkchen sofort. „Wenn es dem Rat der Stadt und meiner holden Tischgenossin einen Trost gewährt zu wissen, daß Privilegien anderer Klassen noch reformfähig erscheinen, so will ich jetzund sagen: Die bisherige Steuerfreiheit des Adels und der Geistlichkeit erscheint mir ungerecht. Muß der Bürger und Bauer zahlen, soll es Adel und Klerus auch! Und damit dixi!“

Beide Alts wußten in ihrer grenzenlosen Überraschung nichts anderes zu thun, als den bedeutungsvollen Satz zu wiederholen: „Muß der Bürger und Bauer zahlen, sollen es Adel und Klerus auch!“

Die Frau Bürgermeisterin hatte von dem Gemurmel nur das Wort „zahlen“ verstanden, und dieses Wort übte auch auf die würdige Frau die gleiche Wirkung aus wie auf alle Salzburger Patrizier, denen die Aufhäufung von bischöflichen Lasten, das ständige Anziehen der Steuerschraube ein Greuel war. Daher fing Frau Alt auch gleich zu jammern an zum Entsetzen ihres Gemahls. Wilhelm Alt suchte die Schwägerin zu beruhigen durch den Hinweis, daß es diesmal dem Adel und der Geistlichkeit gelte und das sei nur in der Ordnung.

„O, die haben ja selber nichts, die Geistlichen!“ meinte Frau Alt.

„Schweigt doch, Schwägerin, es ist nicht der arme Landklerus gemeint, sondern die reichen Klöster und Stiftsherren, die sollen nur auch zahlen, der Fürst hat da ganz recht!“

Das seine Ohr Wolf Dietrichs hatte diese halblaute Äußerung vernommen, und die Zustimmung des angesehenen Handelsherrn versetzte den jungen Fürsten in rosige Laune. „Freut mich, lieber Alt! Ihr sehet, wir finden den modus viviendi; der Anfang zu einer Verständigung zwischen Fürst und Volk ist gemacht, auf diesem Wege wollen wir bleiben und fortschreiten.“ Zu Salome gewendet sprach Wolf Dietrich: „Will die Wolke nicht weichen von der reinen Stirne? Ich denke, wir sind in Eintracht! Kann ich der Majestät Schönheit einen Dienst erweisen, sprecht, Göttin, Ihr seht den Fürsten dienstwillig wie einen Sklaven, haschend nach einem Sonnenstrahl Eurer Gnade!“

Salome lächelte in bezaubernder Anmut, ihre Kirschenlippen kräuselten sich zu leisem, gutmütigem Spott: „Das zu glauben, hoher Herr, fällt mir schwer! Sklavisch ist nichts an Ew. Hochfürstlichen Gnaden, hoch der Sinn, hoch der Geist wie hoch die Würde! Ich möchte meinen gnädigen Landesherrn auch niemals in einer Sklavenlage wissen!“

„Ihr versteht es wohl, die Worte fein zu setzen; ein Notarius könnte von Euch lernen! Doch sprach auch ich bei allem Feuer des Empfindens mit Bedacht und tiefer Sinn liegt in meinen Worten, da ich sage: Sklave möcht' ich sein, so Eure Huld würde mich beglücken!“

Ein Kichern folgte dieser galanten Beteuerung, dann flüsterte Salome: „So mein gnädiger Herr heute seltsam gebfreudig ist, will die Gelegenheit beim Schopf ich fassen und bitte ich Ew. Hochfürstliche Gnaden um die Verlaubnis, ein Gläschen rheinischen Weines trinken zu dürfen auf das Wohl unseres gnädigen Herrn!“

„Das wollen wir freudig thun, schöne Göttin; doch nicht harter Deutschwein soll Eure Rosenlippen netzen, wir nehmen edlen Terranto, der unter Vicenzas Himmel gedeiht!“ sprach Wolf Dietrich und wandte sich zum Bürgermeister mit der Frage, ob dieser edle italienische Wein zu haben sei.

„Zum hohen Glück, Ew. Hochfürstliche Gnaden an dieser Tafel zu wissen, gehört — Thalhammers feinerprobte Zunge!“ schnatterte Ludwig Alt, dem die unvermutete Frage die Gedanken durcheinander brachte.

„Wie? Was meint Er?“ rief erstaunt der Fürst.

„Gnädiger Herr wollen mir erlauben, daß ich den dunklen Sinn der Worte meines Ohms erhelle!“ warf Salome schnell ein, „der gute Ohm wollte sagen, daß nur Rat Thalhammer wissen könne, ob für diese Tafel gewünschter Edelwein vorhanden sei!“

Wolf Dietrich lachte belustigt ob der Schlagfertigkeit seiner schönen Tischgenossin: „Beim Zeus! Ich berufe Euch noch in meinen Hofrat, wir können solche Redekunst fürwahr gebrauchen!“

„Ob die würdigen Herren da nicht wirren Kopfes werden würden?“ spottete Salome.

„Ihr möget recht haben; für die alten Federfuchser sind die Folianten gut, doch nicht die Blüte weiblicher Schönheit und Anmut! Die Jugend will ihr Recht, sie darf die Hand danach erheben, nicht das mürrische Alter!“

Der Bürgermeister hatte unterdessen Thalhammer, der am unteren Ende der Tafel saß, citiert, und alsbald konnte der vom Fürsten gewünschte Terranto-Wein kredenzt werden. Zwei Becher wurden gefüllt, und Wolf Dietrich stieß mit Salome an: „Auf Euer Wohl, Königin! Jeder Tropfen dieses edlen Weines aus dem sonnigen Süden, der Heimat von Kunst, Liebe und Wein, verlängere Euer Leben um viele Jahre, jeder Tropfen bedeute eine Fülle von Glück hienieden! Es lebe die Göttin Schönheit, es lebe Salzburgs holdeste Mädchenblume!“

Salome hatte den Blick gesenkt, tiefe Röte bedeckte ihre Wangen, der Becher zitterte in ihrer schmalen Hand.

„Will meine Königin mir nicht einen Blick aus den süßen Augen gönnen?“ flüsterte Wolf Dietrich.

Da hob Salome das Auge, die Blicke trafen sich, beklommen, zögernd sprach sie: „Zu viel des Lobes und der Gnade fällt auf mich! Bethörend wirken die Worte! Zu groß ist die Kluft, die uns trennt! Ihr seid der Fürst und hohe Herr, ich eines schlichten Bürgers Tochter! Laßt mich im Erdreich, in dem nur ich gedeihe! —“

„Ist das Euer Trinkspruch, Salome?“ fragte etwas gedehnt der Fürst.

„Mein gnädiger Herr und Gebieter, ich trinke auf das Wohl Ew. Hochfürstlichen Gnaden und —“

„Und?“

„Und bitte, es möge mir Eure Gnade und Huld erhalten bleiben!“

„Ja, darauf wollen wir trinken! Euch meine Huld immerdar, mir Eure Gnade und —“

„Und?“

„Und Liebe!“ flüsterte der junge, feurige Landesherr und sandte einen flammenden Blick zu Salome, die jäh errötete und verstummte.