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Inmitten der ihn umbrandenden Aufregung hielt es Herr Wurm für angemessen, ohne besonderen Abschied das Schloß zu verlassen. Seine Angelegenheit war durch Vertragsabschluß erledigt, den Vertrag hatte er in der Tasche, der zweifellos hier sehr angenehme Dienst war am nächsten Monatsersten anzutreten, die Kosten der Vorstellungsreise waren ersetzt, ein Verweilen hätte somit keinen Sinn und müßte angesichts des traurigen Ereignisses seinerseits geradezu taktlos erscheinen. Am Tode einer ihm unbekannten Repräsentationsdame hatte Wurm keinerlei Interesse, höchstens könnte man sich wundern darüber, daß sich ein Mörder just ein solch harmloses Opfer ausersehen habe. Wurm bat im Marstall um ein Fuhrwerk und wurde alsbald zur Bahnstation gefahren. Ein Telegramm je an Doktor Freysleben und Theo Tristner befahl Aufbewahrung der Leiche und kündigte die Ankunft der Gerichtskommission für den Nachmittag an. Alles war im höchsten Maße aufgeregt, weil die Kunde von einer Ermordung nicht geheimgehalten worden war. Seit Menschengedenken war ein Mord nicht im Moor vorgekommen, es war geradezu undenkbar, daß die harmlose, allgemein beliebte Gesellschafterin von Schloß Ried das Opfer eines Mörders sein konnte. Schmuck und Geld wird die arme Eugenie Dobler nicht besessen haben, was konnte also einen Menschen bewogen haben, sie ums Leben zu bringen?
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Seitenzahl: 256
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Warmer Sonnenschein lachte über die braungrauen Flächen der Rieder Gegend, über den weiten silberschimmernden See und den weißen Kranz himmelan strebender Berge im Süden des Moorgrundes. Es lenzt langsam im Ried, des langen harten Winters Macht ist gebrochen, der Weitsee wie sein Brüderchen, der Kleinsee, ist seit Wochen von der Eisumkrustung befreit, die letzten Schollen sind unter den warmen Strahlen der Frühlingssonne zerflossen, der See ist eisfrei, dem Bootsverkehr wiedergegeben und dadurch die Bewohner der Seedörfer von erzwungener Abgeschlossenheit erlöst. Stürmend eilen die Bergbäche der schimmernden Wasserfläche zu durch das Moor, mählich wachsend und steigend infolge der Schneeschmelze, und langsam steigt der große See wie immer zu Lenzbeginn.
Von einer Abgeschiedenheit wintersüber spüren die Bewohner von Dorf und Schloß Ried am Ostufer des Weitsees nichts, sie sind durch eine Fahrstraße mit der Außenwelt und der Eisenbahn verbunden; für sie bringt der die übrige Bewohnerschaft erlösende Frühling eine Fessel in Gestalt der alljährlichen Überschwemmung, die geduldig ertragen und abgewartet werden muß. Noch hat es gute Weile damit, und flott entwickelt sich der starke Verkehr aus der Straße.
Schloß Ried mit seinen behäbigen Gebäuden beherbergt eine Brauerei, die ein anerkannt vorzügliches Produkt an zahlreiche Wirte der Seegegend wie tief hinein ins Gebirge bis zur Landesgrenze liefert. Einst fürstliches Eigentum, ging das große Anwesen mit bedeutendem Grundbesitz vor vielen Jahren durch Kauf an die Familie Tristner über, deren Haupt ein Fachmann auf dem Gebiete der Brauerei war und es verstand, nicht nur ein vortreffliches Bier zu erzeugen, sondern auch den Umsatz zu heben, so daß die Schloßbrauerei Ried sich eines allgemeinen guten Rufes im ganzen Bezirk erfreuen konnte und erklecklichen Nutzen abwarf. Wo früher jeglichem Sport gehuldigt wurde, entwickelte sich die rastlose Tätigkeit eines schlichten Bürgers und Brauers, der alltäglich Weib und Kind mahnte, einfachen Sinnes und arbeitsam zu bleiben.
Auf der Höhe des Lebens und Erfolges war Dagobert Tristner für immer abgerufen und im kleinen Kirchhof des Dorfes Ried begraben. Seiner Mahnung entsprechend erzog die Witwe ihre zwei Kinder Theo und Olga, ließ den Sohn sachgemäß ausbilden, praktizieren und übertrug ihm hierauf die Geschäfte der Brauerei. Das altgediente Personal, besonders der wichtige Posten des Braumeisters verblieben wie zu Vaters Lebzeiten, und hochgehalten wurde die Jahre hindurch des Vaters Devise: Bleib einfach und arbeitsam.
Im gleißenden Sonnenschein humpelte der hellgelbe Postomnibus auf der tiefgleisigen, ausgefahrenen Straße gen Dorf Ried, das altgewohnte Vehikel, das nun die Morgenpost von der Bahnstation für Dorf und Schloß Ried bringt und am Abend das zweitemal bringen wird. Ähnlich einem riesigen Zitronenfalter gaukelte der »Hellgelbe« auf der Straße dahin, bald die linke, bald die rechte Straßenseite nehmend, der frischen Beschotterung ausweichend wie den zur Bahn fahrenden Brauereifuhrwerken. Einem Postomnibus eilt es niemals, die Fahrzeit ist reichlich bemessen, eine Verspätung verschlägt auf dem Wege von der Bahn zum Dorf absolut nichts, während umgekehrt die Fahrzeit allerdings wegen der nicht wartenden Eisenbahnzüge ziemlich genau eingehalten werden muß. Lebensmüde Gäule trotten vor dem »Hellgelben« stumpfsinnig und gefühllos, hartmäulig, infolge Altersschwäche fallsüchtig, daher der weißhaarige Postillon beim Trabfahren die Stolperer fest im Zügel halten muß. Im Schritt jedoch gibt der »Schwager« Luft im Leder.
Heute im wohligen Sonnenschein des herrlichen Frühlingstages genehmigt der Posthans reichlich Schrittempo; die Straße ist sehr schlecht, frisch beschottert, und des Ausweichens kein Ende. Auch muß der Posthans die Zurufe vorüberfahrender Brauknechte beantworten, was bekanntlich nur im Schrittfahren möglich ist. Scherz und Spott enthielten diese Zurufe, die robusten Bierführer fragten, ob etwa ein besonders wichtiger Brief im Postbeutel sei, der das Fahrtempo mindere, den Postomnibus schwerer denn sonst mache; auch fragten die Knechte, ob der Hans seine »Stolperer« lebendig nach Ried bringen könne und die Ankunft selber noch erleben werde. Derlei Zurufe mußten drastisch, kräftig beantwortet werden. Hans war nicht mundfaul und gab jeglichen Spott reichlich zurück, so daß die Knechte lachend weiterfuhren. Als aber das mächtige zweistöckige Schloß in Sicht kam, fühlte sich der Postillon doch dienstlich, nahm die Zügel auf und animierte seine Rosse mit der Peitsche zu lebhafterem Tempo. Altgewohnt trotteten die Stolperer den bekannten Weg zum Posthause und blieben hier stehen. Am offenen Fenster tauchte die Expeditorin auf und rief dem Postillon zu, daß er schon wieder zehn Minuten Verspätung habe.
Gemächlich kletterte Hans vom Bock, schloß das darunter befindliche Kästchen auf, entnahm daraus den Postbeutel und überreichte ihn der Expeditorin mit den Worten: »Oh, mein, die Leut kriegen die paar Brief allweil noch früh g'nug! Wer weiß, ob es ihnen nicht lieber wär, wenn die Post gar nicht käm!«
»Damit ist die Verspätung nicht entschuldigt!« meinte die diensteifrige Expeditorin, nahm den Postbeutel und verschwand vom Fenster.
Hans fuhr um die Ecke in den Hof und schirrte ab.
Von der Schloßbrauerei kam alsbald ein Lehrling und holte die Briefpost für das Büro, die wie üblich Zuschriften von Gerste- und Hopfenlieferanten und ähnliches enthielt.
Im Schlosse selbst diente eine Flucht von Zimmern des Erdgeschosses geschäftlichen Zwecken; hier sind die Büros untergebracht, die Buchhaltung, Schreibzimmer und ein Privatbüro für den jungen Chef. Theo Tristner ist ein bleicher junger Mann von etwa sechsundzwanzig Jahren mit einem blonden, kleinen Schnurrbärtchen auf der nervös zuckenden Oberlippe, auf der Nase sitzt eine Brille. Theo Tristner sieht eher einem Aristokraten ähnlich denn einem Brauer, der Wuchs ist schlank, die Kleidung modernen Schnittes; die Blässe der Wangen läßt nicht vermuten, daß der junge Mann auf dem Lande lebt.
Im Arbeitsgemach des jungen Herrn herrscht nahezu tropische Hitze, trotz des warmen Sonnenscheins draußen im Gelände ist übermäßig geheizt, und dicker Zigarettenrauch lagert in Schwaden in halber Zimmerhöhe, zum Husten reizend.
Proben von bayrischer und ungarischer Gerste, Spalter und Saazer Hopfen lagern auf dem breiten Schreibtisch, dazwischen Malzaufschlagsbolletten und amtliche Papiere, Briefe und Fakturen. Eine Zigarette qualmend, trommelte Theo nervös mit den Fingern auf der Tischplatte; es dauert ihm zu lange, bis die Morgenpost kommt.
Der Brauerlehrling Josef brachte die dem Postillon abgenommenen Postsachen ins Zimmer des jungen Chefs, und hastig öffnete sie Theo. Geschäftsbriefe übergab Tristner sogleich dem Lehrling für den Buchhalter, ohne die Briefe erst zu öffnen; dagegen behielt er Privatbriefe und Zuschriften, deren Absender nicht von außen kenntlich sind, zurück. »Albernes Gekritzel junger Pensionsgänse!« brummte Theo und legte die Korrespondenz für seine Schwester Olga zur Seite. Dann öffnete er einen Brief, dessen Schriftzüge eine ungelenke Hand vermuten ließen. »Nanu!« rief Theo halblaut und begann die Epistel zu lesen. »Hol dich der Geier! Der Kirchenwirt von St. Oswald will abspringen und Münchener Bier verzapfen! Natürlich, die dümmsten Bauern wollen schon ›Münchener‹, weil's nobler ist und mehr kostet! Oder hat es der Kirchenwirt auf eine Schröpfung abgesehen?« Theo unterbrach seinen Monolog und drückte auf den Klingelknopf.
Dem eingetretenen Angestellten befahl der Chef, es sollte der Braumeister Haferditzel sofort ins Privatbüro kommen.
»Sehr wohl, Herr Tristner!« antwortete er und verschwand.
Theo fand es plötzlich schwül im Zimmer, hastig riß er das Fenster auf und atmete gierig die wohlige, frische Luft ein. Dann überlegte der Brauherr, ob die Mutter von diesem Absagebrief des Oswalder Kirchenwirtes verständigt werden solle oder nicht. Frau Tristner hat es sich ausbedungen, vom Gang der Geschäfte bis zu jedem einzelnen Vorfall verständigt zu werden, die erfahrene Frau will mit überlegen, mitberaten, was zu Nutz und Frommen der Familie und des Geschäftes zu geschehen habe. Sagt nun Theo, daß ein »guter«, d. h. viel Bier verzapfender Wirt abspringen will, so setzt es ein ärgerlich Gejammer bei der Mutter ab, die dann den baldigen Ruin der Brauerei angebrochen sieht. Verschweigt Tristner junior jedoch den Brief, so wird der Absprung auf die Dauer kaum zu vertuschen sein, denn Mama kennt alle Hauptabnehmer des Rieder Gerstensaftes persönlich. Sie unternahm, wenigstens in früheren Jahren, zeitweilig Ausflüge, besuchte die Wirte und kontrollierte auf diese Weise den Gang der Geschäfte. Fiele der Oswalder ab, so würde im Sommer gelegentlich eines solchen Kontrollbesuches ein großer Verdruß nachfolgen. Es ist also klüger, die Mutter rechtzeitig zu verständigen, noch besser aber wird es sein, sofort einzugreifen und mit dem Oswalder Kirchenwirt zu reden. Briefe nützen in solchen Fällen gar nichts.
»Herr Tristner, Sie wünschen?« Mit diesen Worten trat der stämmige, gesunde Braumeister Adam Haferditzel in das Zimmer, ein mustergültiger Typus des bayrischen Brauers, groß, stämmig, ein Koloß von Mensch mit vorschriftsmäßigem Bäuchlein und üblicher Haarzierde an den Schläfen. Das dichte Haupthaar erinnert an den bayrischen Raupenhelm seligen Andenkens, und ähnliche buschige Schnauzbärte tragen mit Vorliebe die Feldwebel. Hände wie Füße groß, wuchtig, die dicken Wangen von ländlich gesunder Farbe, der ganze Mensch strotzend von Gesundheit, Kraft und – Trinkfähigkeit.
Theo sprach in seiner leisen Weise: »Eine unangenehme Nachricht, lieber Braumeister! Der Oswalder Kirchenwirt will abspringen und ›Münchener‹ verzapfen!«
»Oha!« rief mit fetter Stimme Haferditzel und hob die Rechte, als wollte er den Abtrünnigen beim Genick fassen.
»So schreibt er heute an uns! Was sollen wir mit dem Menschen nun beginnen?«
»Reden müssen wir! Der Kerl will etzliche hundert Mark rausschinden, weiter nix!«
»Glauben Sie?«
»Freilich, ist nicht anders! Den Rummel kenn ich! Und eine Zech will er, die sich sehen laßt!«
»Wieso? Eine Zeche, das verstehe ich nicht!«
»Entschuldigen Sie bitte, aber Sie sind noch jung im Geschäft und wissen daher nicht, wie man einen Wirt, der abspringen will, ›fürifangt‹, auf daß alles beim alten bleibt!«
»Na, so reden Sie!«
»Jawohl! Eine Hypothek auf den Kirchenwirt können wir nicht kriegen, er hängt zu stark bei der Bank. Wahrscheinlich hat ihm ein Münchener Brauer etzliches Geld versprochen, wenn der Oswalder Kirchenwirt sein Bier nimmt. Vielleicht aber will er etzliche Hunderter von uns herauszwicken und alles bleibt dann beim alten! Aus jeden Fall müssen wir heute noch hinfahren, was verzehren, dem Kirchenwirt die Mucken ausreden, und wenn's sein muß, eine größere Summe spendieren. Verloren ist das nicht, denn er ist ein guter Abnehmer und hat seit Jahren ziemlich pünktlich bezahlt!«
»Das sieht aber einer Erpressung ähnlich!«
»Mit Verlaub! Etwas Haarlassen muß von Zeit zu Zeit jeder Brauer, wenn er sich die Kundschaft erhalten will. Der Oswalder ist halt ein besonders geriebener Kunde und versteht es, wie man so alle fünf Jahr etzliche Hunderter vom Brauherrn herauskitzelt. Ich mein, wir geben dem die 200 Markl, dafür kriegt er aber keine Zugab auf Neujahr, und mit der Märzenzech halten wir ihn knapper als sonst. Auf diese Art kriegen wir die zwei Hunderter leicht wieder herein!«
»Ich kann mich mit diesen Geschäftsmaximen nicht befreunden. Hier Ware, hier Geld, das ist glattes Geschäft. Das Schmieren paßt mir nicht!«
»Ja mein', wer gut schmiert, fahrt gut! In unsrem Geschäft geht es absolut nicht anders. Und in einer Brauerei dürfen die paar Markl keine Rolle spielen, sonst ist's gefehlt. Lassen S' nur mich machen und reden, ich schau schon auf den Nutzen der Herrschaft. Ich laß gleich anspannen.«
»Nein, nein! Wir müssen doch erst zu Mittag essen!«
»Keine Spur! Nur gleich fort! Der Wirt in Lienhardsberg hat unser Bier, bei dem müssen wir einkehren, dort essen wir zu Mittag und hernach sausen wir durch die Dörfer, die alle uns gehören, bis nach St. Oswald im Grund, dort gibt es die Hauptzech. Ich laß den Schimmel anspannen!«
»Nein, der ist mir zu langsam. Wir nehmen die Jucker!«
»Aber Herr Tristner! Zum Zechfahren taugen die feurigen Jucker nix, da ist ein sicheres Roß besser!«
Theo fügte sich und stimmte den rasch getroffenen Anordnungen des Braumeisters zu, in der Erkenntnis, daß Haferditzel unzweifelhaft die praktische Erfahrung auf seiner Seite habe. Es hielt Theo solche Zechfahrt, weil er sie nicht kannte, für originell, nur die eigentliche Veranlassung der langen Wagenfahrt nach St. Oswald ist wenig erfreulich. Vielleicht aber gelingt es, den abfallustigen Wirt umzustimmen.
Die Abfahrt erfolgte so rasch, daß Mama Tristner nicht verständigt werden konnte; Theo ließ lediglich die Botschaft zurück, daß er in Geschäften weggefahren sei. Haferditzel hingegen hatte dem Stallpersonal aufgetragen, daß der Kutscher Johann bis zur Heimkehr um Mitternacht wachbleiben müsse.
Die erste Ahnung dessen, was eine Zechfahrt des Brauherrn zu seinen Wirten ist, bekam Theo im Dorfe Lienhardsberg. Ein schwacher Esser, empfand der junge Gutsherr bereits ein Grauen, als der kundige Braumeister das Menü zusammenstellte: Hühnersuppe mit gesottener Henne, Kitzbraten mit Kartoffelsalat, G'selchtes mit Sauerkraut, gedünstetes Kalbfleisch mit blinden Knödeln und Schweinebraten mit Kompott. Damit die Herren von der Brauerei frisches Bier bekommen, kaufte Haferditzel den am Zapfen befindlichen Banzen alten Bieres und schenkte den Inhalt des Fasses den zufällig anwesenden Gästen im Wirtshause. Ein Stündchen verfloß, bis das Mahl beginnen konnte. Mit wenigen Bissen vom Kitzbraten war Theo bereits gesättigt. Er erklärte dem einhauenden Braumeister, daß ein Weiteressen unmöglich sei.
»Wollen S' den Wirt verlieren?« keuchte Haferditzel kauend. »Wenn S' nicht essen, beleidigen Sie die Wirtin, und das kostet uns die Kundschaft! Zum wenigsten schneiden Sie jede Speise durch. Lassen S' einen Hund herein! Ist niemand in der Stub, füttern S' halt den Hund damit!«
Mit der Kellnerin kam ungerufen der ahnungsvolle Haushund, mit dem Theo sofort Freundschaft schloß und dem er heimlich die großen Fleischbrocken zusteckte.
Es haperte bei Theo auch mit dem Trinken; mehr wie zwei Glas vermochte er nicht zu bewältigen. Einem Weinkonsum widerriet der Praktikus Haferditzel, weil es nicht gut aussähe, wenn der Brauherr sein eigenes Produkt mißachte und Wein trinke.
Der Braumeister opferte sich für seinen Gebieter und aß, daß ihm schier die Ohren staubten. Den letzten Gang vermochte aber auch er nicht mehr zu bewältigen und verabreichte den Schweinebraten dem hochvergnügten Haushund.
»Jetzt gehen Sie zahlen!« mahnte Haferditzel und wisperte dazu, er solle mindestens zwanzig Zigarren vom Wirt kaufen, diese dann aber ja nicht mitnehmen, sondern auf dem Tische liegen lassen.
»Aber warum denn nicht mitnehmen?« fragte verblüfft der junge Brauherr.
»Damit der Wirt die bezahlten Zigarren noch einmal teuer verkaufen kann und doppelten Profit hat! Folgen S' mir, es geht nicht anders, das ist so Brauch bei uns!«
Widerwillig gehorchte Theo und bezahlte die hübsch angeschwollene Rechnung, wobei selbstverständlich die Kellnerin ein paar Mark erhielt.
Als angeschirrt war, machte der Hausknecht das übliche lange Gesicht zum Zeichen, daß ihm das »Fünfzigerl« Theos zu wenig Trinkgeld sei. Flink ergänzte Haferditzel das Trinkgeld durch ein zweites Fünfzigpfennigstück.
Die Wirtin jammerte, daß die Herren fast gar nichts gegessen hätten, und fragte, ob es denn nicht geschmeckt habe.
Auf den mahnenden sanften Rippenstoß Haferditzels reagierte Theo, indem er die Kochkunst der verehrten Frau Wirtin über den Schellenkönig lobte, und versicherte, daß er leider magenleidend sei, daher nicht viel essen könne.
Das Wägelchen ächzte, als der gewichtige Braumeister aufstieg. Flink kletterte Theo hinauf, der Schimmel zog an, gelenkt vom Haferditzel.
»Aufpassen, Braumeister, im Ahornwald ist schlecht fahren!« rief der Wirt nach.
Als das Gefährt den Bergwald erreichte und kein Lauscher in der Nähe war, machte Theo seinem gepreßten Herzen Luft. »Schauderhafte Verhältnisse! Einfach skandalös! Die wahrhaftige Erpressung!«
»Hüh, Schimmel! Geht nicht anders, Herr Chef! Ihr Herr Vater selig hat auch nichts dagegen machen können! Der Brauherr muß Haar lassen! Trösten S' Ihnen, es wird allweil noch genug verdient! Hüh, Schimmel!«
»Ich möcht es wirklich ändern!« stöhnte Theo, dem vom Wagenschütteln die Knochen schmerzten.
»Nicht einen Finger dürfen S' rühren, oder Sie verlieren die Kundschaft, und Tausende sind hin!«
»Gräßlich! Und in St. Oswald soll die Fresserei erst recht angehen?«
»Freilich! Na, beim Kirchenwirt können wir Schampuß springen lassen, das geht rascher in die Zech, was die Hauptsach ist!«
»Ich kann keinen Bissen mehr essen!«
»Die Straße ist so schlecht, daß Sie bis St. Oswald sicher einen Bärenhunger haben werden!«
Haferditzel jagte den Schimmel unbarmherzig auf der ausgefahrenen Straße dahin, fuhr in raschem Tempo durch die Dörfer und schrie den herausspringenden Wirten zu, daß man auf dem Rückweg einkehren werde.
»Unmöglich!« ächzte Theo, »das würde mein Tod sein!«
»Glauben S' doch das nicht! Ein Braumensch hält schon was aus! Ist halt eine Zechfahrt! Daheim kann der Brauherr tun, was er will und sparen, unterwegs muß er Silber springen lassen. Geht nicht anders! Hüh, Schimmel! Ich glaub gar, der Gaul wird faul!«
Das letzte winzige Dorf St. Ursula vor der Paßhöhe war durchfahren, die Steigung begann, die Bergeinsamkeit ist erreicht. Beide Männer stapfen zu Fuß, der Schimmel hat Arbeit genug, das leere Wägelchen den Steilberg hinaufzuziehen. Ringsum in Wald und Hang ist es tiefer Winter, Fels und Tann tragen Schnee auf Zinnen und Kronen, eine schmutzige Eiskruste, tief eingerissen von den Bremseisen der Holzfuhrwerke, lagert auf der Bergstraße. Das Wägelchen schwankt in den unebenen Fahrgleisen und droht umzukippen; die wuchtige Faust Haferditzels hält dem Gefährte die nötige Balance und verhindert des öfteren den Umfall.
Theo staunte, daß es hier in den Bergen noch tiefer Winter sei, doch verstummte er alsbald, denn je näher man der Paßhöhe kam, desto wuchtiger erhoben sich zu beiden Seiten der miserablen Straße die Schneewächten. Im Schnee steckten Lastwagen, die nicht mehr weitergebracht werden konnten und deren Gespanne nun zur Bergfahrt auf der andren Paßseite vereinigt waren. Vier, sechs und acht Pferde vor einem einzigen Lastwagen. Auf der Paßstraße lag der Schnee drei bis vier Meter hoch, mühsam genug quält sich der Wegmacher mit dem Ausschaufeln ab. Der Schnee ist nicht tragfähig, der Harst von den Sonnenstrahlen tagsüber aufgeweicht, Mensch und Tier sinken mit jedem Schritt ein; es ist der Verkehr nicht mit Schlitten, nicht mit Wagen möglich, aber die Leute müssen trotzdem mit den dringlichsten Frachten durch und über die Paßhöhe, die einen wahrhaft arktischen Anblick gewährt in der Schneeumarmung. Nur winzige Stellen, dort wo warme Quellchen in den Sauerwiesen aufsteigen, sind schneefrei, rostbraune Flecken, die zur ungeheuren Schneemasse scharf kontrastieren. Von der Jochhöhe herab rinnt in den Fahrgleisen der Bergstraße das Schneewasser, das die Schneedecke unterwäscht, zum Einsturz zwingt und dann einen nassen Brei von Kot, Eis, Wasser und Schnee bildet.
Das Firmament hat sich umdüstert, graue Wolken hängen herein in die Berge, die ersten Tropfen fallen klatschend in die Wüstenei. Theo keuchte und verwünschte sich und seine zierlichen Stadtschuhe, deren dünnes Leder völlig durchweicht ist. Ermattet erklärte er, nicht mehr gehen zu können in diesem entsetzlichen Brei.
Der bärenstarke Braumeister schwitzte für drei gewöhnlich gebaute Sterbliche, stapfte aber tüchtig aufwärts und half dem Schimmel bei der Arbeit, indem Haferditzel kräftig das Wägelchen berganschob. Wie nun Theo aufsitzen wollte, wehrte dies der Braumeister energisch. »Sie müssen jetzt gehen, im Schweiß dürfen S' nicht sitzen, würden sich auf den Tod erkälten. Gehen S' nicht so scharf, Sie rennen ja wie verrückt! Allweil langsam hinan, wir haben bald die Höhe!«
Noch eine Viertelstunde, dann war der Paß erklommen, die Straße weist hier eine richtige Schlittenbahn auf, in die es nun aber regnet und schneit. Und dennoch kündet ein Lebewesen selbst in dieser Schneewüste den nahenden Lenz: eine Singdrossel hoch oben auf einer Fichte jubelt als Herold des Frühlings das Preislied auf den Schöpfer . . .
Mag es wettern und stürmen, türmt sich der Schnee noch so hoch, es muß auch in der Bergeinsamkeit Frühling werden, freilich spät, sehr spät.
»Jetzt sind wir oben!« rief aufatmend der Braumeister und hielt den Schimmel an. Geschäftig und ob des Aussehens Theos besorgt, hüllte er seinen jungen Herrn in die Pferdedecke ein und ließ ihn aufsitzen. »Halten S' Ihnen jetzt warm, fest einhüllen, durch die Nase atmen, Mund zu!«
Scharf ließ sich das Gefäll an. Haferditzel wollte jede Gefahr vermeiden, bremste und fuhr im Schritt auf der verschneiten Straße abwärts, das Pferd mit kräftiger Faust führend, bis die gefährlichsten Stellen passiert waren.
Frierend saß Theo im schwankenden Wägelchen, das Ende der strapaziösen Fahrt ersehnend. Mählich ward die Talung erreicht, im Gesenke zeigte die Straße das gleiche Bild wie jenseits des Passes, es muß das Chaos von Wasser, Schnee, Mist und Eis durchwatet und durchfahren werden, langsam im Schritt. Trotzdem dampfen des Schimmels Weichen.
Je näher man dem Gelände »im Grund« kam, desto böser wurden die Schneeverhältnisse; St. Oswald steckte im Schnee; schier fünf Meter hoch ragt der weiße Wintermantel auf, und dennoch klingt es von den niedergedrückten Bäumen verheißungsvoll: »Fink, fink!«
Beim Kirchenwirt angekommen, ließ sich Theo sofort Glühwein bereiten und der frierende Brauherr bezog ein Zimmer, um sich des durchnäßten Schuhzeugs zu entledigen und die normale Körperwärme im Bett wiederzugewinnen.
»Etwas ein wehleidiger Herr, der junge Brauer!« meinte der Kirchenwirt, und der Ton drückte eine gewisse Geringschätzung aus. Daher beeilte sich Haferditzel, die Entschuldigung vorzubringen, daß der junge Tristner noch nie auf Zechfahrt war und den Strapazen einer Frühlingstour körperlich um so weniger gewachsen sein könne, als Theo ein Stubenhocker sei. »Wie ist es nachher mit dir, Kirchenwirt?« fragte der Braumeister, zur Sache übergehend.
»Was soll sein? Münchener Bier werd ich führen, euer Bier ist mir zu jung diemalen, die Leut klagen darüber, und bald's Bier lau ist, kann 's der Teufel selber nicht trinken!«
Ein richtiger Praktikus, ließ Haferditzel den Wirt stehen, sprach kein Wort und ging durch den Flur zur Kellertüre, wo der ganze Biervorrat der letzten Wagensendung achtlos aufgestapelt lag.
»Na, was suchst denn, Braumeister?« fragte verdutzt der Wirt.
»Deine Schlamperei such ich und hab sie schon gefunden! Wenn du so schlampig mit dem Bier umgehst, die ganze Sendung im Flur lagern lassest, statt im Eiskeller, darf es nicht überraschen, daß das Bier lau wird und die Leut darüber schimpfen!«
»Ja, mein, ich hab halt noch nicht Zeit gehabt zur Einlagerung im Keller! Und einem guten Bier darf das nichts machen!«
»Kirchenwirt, du hättest Mesner werden sollen, kein Wirt!«
»Warum denn?«
»Weil du von einer richtigen Wirtschaftsführung nichts verstehst! Bist du im Geschäft überall so nachlässig wie in der Bierbehandlung, so bist du sicher bald pleite!«
»Braumeister, halt dich fein ein bissel zurück! Herr im Haus bin ich!«
»Und was für einer! Ich seh schon, wir verlieren nichts, wenn du abspringst! Ist eher gut für uns! Du schädigst unser Bierrenommee, drum lieber weg von der Kundschaft! Wie der junge Herr fertig ist, fahren wir wieder heim! Wünsch dir viel Glück zum Münchener Bier! Wirst wohl wissen, wie viel Eis das ›Münchener‹ braucht! Haben deine Bauern den Frost im Magen, brauchst dich nicht kümmern um die Grobheiten! Ich mein, wir sind fertig miteinander, die letzte Rechnung kannst gleich mir zahlen, ersparst das Postporto, und frisch geliefert wird von uns nichts mehr!«
»Wär nicht aus! So geschwind wirst doch nicht das Geschäft abbrechen! Ich hab ja nur so gemeint!«
»Und wir meinen, daß an deiner Kundschaft nichts verloren ist! Hab allweil schon munkeln hören, daß bei dir das Bier schlecht behandelt wird! Aber geglaubt hab ich es nicht recht! Jetzt glaub ich 's aber und weiß, wie wir daran sind!«
»Geh, Braumeister, mach doch keine G'schichten! Ich laß die Fässer gleich einkellern und für dich frisch anzapfen! Was darf ich auftragen? Ihr werdet doch bei mir zu Mittag essen, wenn's auch schon etwas spät ist?«
»Von dem Bier? Na, ich dank schön! Und gegessen haben wir schon unterwegs!«
»Saxendi, das gang ja gegen allen Brauch! Weißt was, Braumeister, lassen wir's beim alten! Und wenn der Brauer ein bissel was springen laßt, bleib ich Kundschaft!«
»Nicht einen Pfifferling kriegst! Uns ist es um das Renommee unsres Bieres zu tun, nicht um deine Kundschaft!«
»Jesses, na, bist du aber heut schlecht aufg'legt! Schau, Haferditzel, ich hätt halt so etliche zweihundert Markl grad nötig braucht zum Roßeinhandeln, und wenn ich Kundschaft bleib, könnte doch der Brauherr mir die zweihundert Markl leicht zahlen, hab ich gemeint!«
»Die Meinung ist aber irrig! Nimm du nur 's Bier von München, was Besseres kannst gar nicht machen! Und sag dem Münchener Brauer gleich, daß du unregelmäßig zahlst, und für deine Kundschaft etlichemal im Jahr auch noch Bargeld haben möchtest! Du, der Münchener Brauer wird sich drum reißen, deine Kundschaft zu kriegen! Und das ›beste‹ Bier schicken die Münchener allweil aufs Land, das wirst wohl wissen! So, ich werd jetzt schauen, wie es dem jungen Herrn geht, und bald der Schimmel gefressen hat, fahren wir wieder heim!«
Jetzt erkannte der Kirchenwirt, daß er das Spiel sicher verlieren wird, und deshalb verlegte er sich auf das Bitten um Belassung des alten Zustandes im Geschäft.
»Gut, Kirchenwirt! Aber nur unter der Bedingung, daß du künftig das Bier sorgsamer behandelst. Kommt mir noch mal was zu Ohren, so kündigen wir dir die Kundschaft, verstanden! Und das Geldherauspressen laßt bleiben, die Rieder Brauerei bettelt nicht um Kundschaft! So, Freunderl, jetzt kannst, weil es Brauch ist, auftragen lassen, und weil unser Bier bei dir nicht zum Trinken ist, kannst drei Flaschen Schampuß einkühlen!«
Der Kirchenwirt atmete förmlich auf und sprang in die Küche. Haferditzel rieb sich die Hände und begab sich sogleich zu seinem jungen Herrn, um ihm den Erfolg seines glücklichen Schachzuges zu berichten.
Theo war vom heißen Getränk erquickt und fühlte sich wieder wohl und munter. Der gute Bericht brachte gute Stimmung. Die Kundschaft erhalten, der Erpressungsversuch vereitelt – das ist die Fahrt über den bösen Paß wahrlich wert.
Ähnlich wie in Lienhardsberg muß freilich Zeche gemacht werden, der alteingebürgerte Brauch fordert solche Konzession. So fütterte denn Haferditzel abermals, was das Zeug hielt und der Magen aufnehmen konnte, während sich Theo mit einem Gang begnügte und zum sündteuren Sekt minderster Güte Zigaretten rauchte. Die in der Kutscherstube befindlichen Gäste wurden anläßlich der Anwesenheit des Brauherrn mit einem Faß Bier und Zigarren beschenkt, so will es der Brauch.
Nach mehreren Stunden wurde die Fahrt zurück über den Paß angetreten, die insofern unter veränderten Verhältnissen vor sich ging, als inzwischen Frost eingetreten war und leichter Harst die jämmerliche Straße bedeckte. Doch der berggewohnte Schimmel trat sicher, griff wacker aus und brachte seine Herren glücklich über die Jochhöhe und jenseit hinab in die schneefreie Talung. Es dämmerte bereits, als das Gebirgsdorf St. Ursula erreicht wurde. Hier muß eingekehrt werden, denn der Wirt ist Rieder Kundschaft, noch dazu sicherer Zahler und versteht sich meisterhaft auf die Bierbehandlung. Ein Abendessen mit großem Bierkonsum läßt sich nicht umgehen, die Zechfahrt fordert ihre Rechte. Und auf solche Weise muß jeder Wirt der Rieder Brauerei besucht werden. Darob ward es spät, und als das Gefährte vom Wirt zu Lienhardsberg wegfuhr, schlug es von Kirchturm elf Uhr nachts.
Theo fühlte sich müde und schläfrig zum Umfallen; Haferditzel fand seine Aufopferung für die Herrschaft und das Geschäft mit einer gelinden Gehirnumnebelung belohnt, die sich in der kalten Nachtluft zunehmend steigerte und ihn veranlaßte, dem Schimmel die Sorge um den Heimweg zu überlassen und auf gut Glück zu duseln.
Dem Stall entgegen läuft jedes Pferd gerne, der Schimmel kennt den Weg trotz Nacht und Nebel, flink ging es der Heimat im Moorgelände zu. Der Seewind strich entgegen, die Rieder Dorfuhr kündete Mitternacht.
Plötzlich hielt der Schimmel an, im Dusel griff der Braumeister nach der Peitsche und hieb auf das Pferd ein. Ein Satz, ein Krach – der Gaul ist mit einem Sprung samt der abgebrochenen Deichsel im Straßengraben, der Wagen kippt um, im Bogen flog Theo hinaus, und Haferditzel kam unter das Wägelchen zu liegen. Von böswilliger Hand war quer über die Straße ein Strick gezogen, vor dem der Schimmel stehengeblieben war. Der bärenstarke Braumeister konnte trotz erlittener Quetschungen das Wägelchen wegschieben, sich aufrichten und dann den Schimmel auf die Straße bringen. Den verkehrhemmenden Strick hatte er rasch durchschnitten. Nun galt es, vom nahen Schloß Hilfe holen und Theo heimbringen.
Den Schimmel am Zaume führend, stolperte Haferditzel fluchend dem Schloßhof zu und requirierte Hilfsmannschaft.
Theo ward bei Laternenlicht bald aufgefunden, mit einem Rippenbruch brachten die Knechte ihn ins Schloß, worauf der Arzt aus dem nahen Dorf Ried geholt wurde. Der Transport Theos ließ sich nicht so geräuschlos bewerkstelligen, daß er unbemerkt bleiben konnte; eine Frauengestalt erschien in flüchtiger Umhüllung unter einer Türe des ersten Stockwerkes und fragte, was geschehen sei.
»Der junge Herr! Umg'schmissen – etwas 'brochen!« rief einer der Knechte mit rauher Stimme.
»Bringt ihn zu Bett! Ich komme gleich!« antwortete die Dame und verschwand.
In ihrem Zimmer kleidete sich Fräulein Eugenie, die »Seele des Hauses«, Gesellschafterin der augenkranken Mutter Theos und Olgas, die Hausrepräsentantin und Wirtschaftsdame, hastig an, um dem verunglückten Theo die erste Pflege angedeihen zu lassen. Ein nettes Persönchen von etwa fünfundzwanzig Jahren, schlicht im Wesen, von schlanker und elastischer Gestalt, mädchenhafter Anmut, bienenemsig, bescheiden, allzeit bestrebt, sich nützlich im Hause zu machen, dankbar für die gewährte Stellung und für jedes gute Wort, das ist Eugenie Dobler. Es ward die Repräsentantin schlankweg »Eugenie« genannt, ihre persönlichen Verhältnisse waren Theo und Olga Tristner unbekannt. Im engen Familienanschluß vermied man alles, was auf eine »dienende« Stellung Eugeniens hätte schließen lassen; der Ton war immer warm und vertraulich. Seit etwas über Jahresfrist waltete die schlanke, hübsche Eugenie zu aller Zufriedenheit ihres Amtes im Schlosse, jedermann gefällig, immer schlicht und bescheiden, allen sympathisch. Ihre Anstellung ist der einzige Luxus, den sich Frau Tristner gestattete, und dies auch nur infolge des Augenleidens, das die Gutsherrin hinderte, persönlich nach dem Rechten in Haus und Wirtschaft zu sehen.
Da es galt, dem jungen Herrn Hilfe zu bringen, besann sich Eugenie keinen Augenblick und eilte nun in das Schlafzimmer Theos. Unter den plump zugreifenden Händen des Ökonomieknechtes ächzte Theo.
Sofort nahm Eugenie die nötigste Arbeit vor, half mit, den Patienten zu Bett bringen, besorgte Kompressen und entwickelte die Tätigkeit einer Krankenschwester.
»Danke! Oh, das tut gut! Sie sind ein Engel der Barmherzigkeit!« flüsterte Theo.
»Stilliegen, bis der Arzt kommt, nicht rühren, nicht sprechen! Ich erfülle nur meine Pflicht!« erwiderte Eugenie, gab dem Knecht ein Licht und schickte ihn dem Arzt entgegen.
Alsbald erschien Doktor Freysleben, der junge Dorfarzt, bei Theo, sichtlich froh, endlich mal zu den Schloßleuten, die einen Landsberger Praktikus zum Hausarzt hatten, gerufen worden zu sein. Die Diagnose war nach den Angaben des Verunglückten nicht schwer zu stellen, ziemlich einfach die Tätigkeit des Arztes, der jedoch energisch darauf bestand, daß eine Schwester die Krankenpflege übernehme.
Eugenie erklärte sich bereit, die Pflege zu übernehmen, und da Theo herzlich darum bat, stimmte Doktor Freysleben schließlich bei, in Erwägung, daß ein Widerstand ihn um die Behandlung des Patienten und die Schloß-»Kundschaft« bringen könnte. Immerhin erklärte der junge Doktor, wegen dieser Privatpflege der Kontrolle halber täglich zweimal nachsehen zu müssen. So bekam denn Eugenie Verhaltungsangaben für die Pflege, und dann ging der Arzt.
Theo wollte herzlich danken, doch Eugenie schloß ihm mit der schön geformten, doch an Arbeitsspuren reichen Hand den Mund und leistete Pflegedienste, bis der Patient einschlummerte.
Wachend am Bette verbrachte die sanfte Eugenie die Nacht und verließ Theo erst am Morgen, da es nun galt, Frau Tristner in schonender Weise von dem Unglück der verflossenen Nacht zu verständigen.
Ein klarer, sonniger Frühlingsmorgen ist herangebrochen, Sonnengold umflatterte die nahen Berge, leuchtet aus dem jungen Grün der Wiesen, verklärt das sonst so trübe, öde Moor, es schimmert der See.
Frau Helene Tristner, die stattliche, großgewachsene Witwe, sitzt am offenen Fenster ihrer Schlafstube und blickt in die Landschaft hinaus, auf Eugenie wartend, die ihr beim Ankleiden behilflich sein und sie dann zum Frühstückstisch im Parterre geleiten wird. Früher war dies Aufgabe der Tochter, und Olga wollte lange nicht zurücktreten, die Pflege Mamas nicht fremden Händen übergeben. Doch Eugenie hatte bald nach ihrem Eintritt in das Haus so herzlich gebeten, auch dieses Amt übernehmen zu dürfen, daß Mutter und Tochter den Widerstand aufgaben. Frau Tristner hatte die Zustimmung nicht zu bereuen, ein sympathischeres und gewandteres Stubenkätzchen wäre nirgends zu finden, und so gewöhnte sich Mama Tristner an Eugenie, die ihr alsbald unersetzlich deuchte.