Charlottes Traumpferd 3: Ein unerwarteter Besucher - Nele Neuhaus - E-Book

Charlottes Traumpferd 3: Ein unerwarteter Besucher E-Book

Nele Neuhaus

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Beschreibung

Ein neues Pferde-Abenteuer von Spiegel-Besteller-Autorin Nele Neuhaus!

Charlottes Traum ist endlich wahr geworden: Der braune Wallach Won Da Pie und sie sind mittlerweile ein unschlagbares Team – einfach unzertrennlich. Und auch der neue Reitlehrer ist wirklich klasse. Doch dann erhält Charlotte eine aufregende Nachricht aus Frankreich: Thierry, ihr heimlicher Schwarm von der Atlantikinsel Noirmoutier, kommt nach Deutschland! Voller Herzklopfen wartet sie auf seine Ankunft und erlebt eine große Überraschung.

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Seitenzahl: 271

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Das Buch

Der neue Reitlehrer ist wirklich klasse, finden Charlotte und ihre beste Freundin Doro – wenn er nur nicht die arrogante Katie mitgebracht hätte! Charlottes Vorfreude auf den Besuch von Thierry wird ziemlich gedämpft, als Katie gleich über Won Da Pie lästert und sich überall unbeliebt macht. Doch viel schlimmer noch ist die Nachricht, dass der Pachtvertrag für den Stall ausläuft und damit die Zukunft des Reitvereins ungewiss ist. Charlotte und ihre Freunde nehmen jedoch den Kampf um ihren geliebten Reitstall auf und bekommen Hilfe von unerwarteter Seite …

Die Autorin

© Felix Bruegemann

Nele Neuhaus, geboren in Münster/Westfalen, lebt heute im Taunus. Sie reitet seit ihrer Kindheit und schreibt bereits ebenso lange. Nach ihrem Jurastudium arbeitete sie zunächst in einer Werbeagentur, bevor sie begann, Erwachsenenkrimis zu schreiben. Mit diesen schaffte sie es auf die Bestsellerlisten und verbindet nun ihre zwei größten Leidenschaften: Schreiben und Pferde. Ihre eigenen Pferde Fritzi und Won Da Pie standen dabei Pate für die gleichnamigen vierbeinigen Romanfiguren.

Mehr über Nele Neuhaus: www.neleneuhaus.de

Nele Neuhaus auf Facebook: www.facebook.com/neleneuhausbuecher/

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH auch! Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autoren und Übersetzern, gestalten sie gemeinsam mit Illustratoren und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher, Autoren und Illustratoren: www.planet-verlag.de

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Viel Spaß beim Lesen!

»Charlotte, du musst mal langsam aus der Halle raus.« Herr Kessler, der Reitlehrer, erschien auf der Tribüne. »Die nächste Stunde fängt gleich an!«

»Aber Won Da Pies Fell ist noch total nass!«, protestierte ich. »Ich kann ihn doch so nicht in die Box stellen!«

»Fünf Minuten. Dann fängt die Stunde an.« Der Reitlehrer öffnete die Tür der Bande, damit die Reitschüler die Schulpferde hereinführen konnten.

Mein brauner Wallach Won Da Pie hatte in der Einzelreitstunde eben schwer schuften müssen und sein dickes Winterfell war patschnass. Er dampfte in der kalten Januarluft wie ein Topf Nudeln auf dem Herd. In fünf Minuten würde es mir auch nicht gelingen, ihn trocken zu reiten, deshalb parierte ich ihn durch und saß ab. Seit dem Herbst hatte er sich einen richtigen Teddybär-Pelz zugelegt und den brauchte er auch, denn er stand in einer Außenbox, bei der den ganzen Tag die obere Türhälfte geöffnet war. Won Da Pie liebte es, hinauszuschauen und zu beobachten, was sich auf dem Hof so tat. Vor allen Dingen hielt er nach mir Ausschau und wieherte laut, sobald er mich die Auffahrt hochkommen sah. Sosehr ich ihm diesen Ausblick und die frische Luft auch gönnte, sosehr sorgte ich mich um ihn, wenn ich ihn mit feuchtem Fell in seine Box bringen musste. Ich hatte mittlerweile einen ganzen Berg an Abschwitzdecken, trotzdem dauerte es oft Stunden, bis er nach dem Reiten wieder trocken war. Jeden Tag rechnete ich damit, er könnte sich erkälten und anfangen zu husten!

Ich saß ab, schob die Steigbügel hoch und lockerte den Gurt. Die Anlage des Bad Sodener Reitstalls war altmodisch und nach über fünfzig Jahren unpraktisch und eng. Obwohl ich den Stall, in dem ich vor drei Jahren mit dem Reiten angefangen hatte, heiß und innig liebte, wurde mir besonders im Winter bewusst, wie unmodern er war. In anderen Ställen gab es zwei Reithallen und Solarien mit Föhn, unter die man sein Pferd stellen konnte, wenn es zu sehr geschwitzt hatte. Hier war dafür kein Platz. Die einzige Alternative wäre gewesen, zu vermeiden, dass Won Da Pie im Winter schwitzte, aber das würde bedeuten, ihn nicht mehr richtig zu reiten. Arbeit brauchte mein Pferd jedoch, sonst stach es der Hafer, es wurde übermütig und unausgeglichen.

»Tür frei!«, rief ich und führte Won Da Pie aus der Halle nach links in den Stall. Vielleicht konnte ich ihn eine Weile auf der Stallgasse anbinden, denn hier war es viel wärmer als draußen in seiner Außenbox. Am frühen Nachmittag war nicht viel los, erst gegen fünf wurde es voll. Ich warf dem braunen Wallach eine Abschwitzdecke über und ließ ihn angebunden vor Hankos Box stehen, bis ich Sattel, Trense und Gamaschen in die Sattelkammer gebracht hatte. Dann setzte ich mich auf einen Strohballen und wartete darauf, dass mein Pferd abtrocknete. Mit einem Quietschen öffnete sich die vordere Tür und jemand betrat den Stall. Ausgerechnet Alex, der Sohn des Zweiten Vorsitzenden, der im vergangenen Jahr, als Herr Kessler durch einen Tritt von Farina verletzt worden war, den Unterricht übernommen hatte, kam mit großen Schritten die Stallgasse entlang. Neben meinem Pferd blieb er stehen und stemmte die Arme in die Seiten.

»Na, Steinberg, den hast du aber ordentlich abgekocht«, bemerkte er und zog eine Augenbraue hoch. »Bist wohl auf den Feldberg galoppiert und zurück, was?«

»Nein! Ich hatte eben eine Einzelstunde in der Halle«, verteidigte ich mich. »Aber Won Da Pie schwitzt schon nach zehn Minuten.«

»Was glaubst du wohl, wie du schwitzen würdest, wenn du in einem Pelzmantel Sport machen solltest«, entgegnete Alex kopfschüttelnd. »Wieso scherst du ihn nicht?«

»Weil er in einer Außenbox steht«, antwortete ich. »Er würde sich totfrieren ohne Fell.«

»Dann schlachte dein Sparschwein und kauf ihm eine anständige Decke«, riet Alex mir. »Notfalls ziehst du ihm halt zwei Decken übereinander an, wenn es richtig kalt ist.«

Meine Freundin Dorothee und ich hatten schon öfter darüber diskutiert, Won Da Pie zu scheren. Kaum jemand im Stall tat das, aber auch kaum ein Pferd hatte ein so dickes Fell wie meines. Im Internet und in verschiedenen Reiterzeitschriften gab es massenhaft Argumente für und wider das Scheren von Pferden im Winter.

»Aber wenn …«, begann ich.

»Lieber eine dicke Decke, als ein hustendes Pferd«, schnitt Alex mir das Wort ab. »Ist doch kein Pony, sondern ein Springpferd!« Dann gab er ein verächtliches Schnauben von sich und stiefelte weiter.

Die Zeit verging, der Stall füllte sich allmählich. Won Da Pie stand im Weg, aber er war noch immer nicht trocken. Schließlich brachte ich ihn hinaus in seine Box, legte ihm eine frische Abschwitzdecke über und schnallte sie zusätzlich mit einem Deckengurt fest, damit er sie nicht abstreifen konnte.

Für fünf Uhr war im Kasino, wie das Reiterstübchen mit Blick in die Reithalle genannt wurde, eine außerordentliche Sitzung des Jugendvorstandes anberaumt worden, dem meine beste Freundin Dorothee und ich seit letztem Herbst angehörten. Der einzige Punkt auf der Tagesordnung war die Organisation der Abschiedsfeier für unseren Reitlehrer Herrn Kessler, der nach vielen Jahren den Verein zum 1. Februar verlassen würde. Gleichzeitig sollte es die Willkommensfeier für den neuen Reitlehrer sein, den noch niemand von uns kannte. Allerdings wussten wir bereits ziemlich viel über ihn, denn Oliver und Karsten hatten vor ein paar Wochen völlig unverfroren die Bewerbung und den Lebenslauf von Michael Weyer aus dem abgeschlossenen Schreibtisch des Stallbüros gefischt, indem sie die Schreibtischplatte angehoben und in die oberste Schublade gegriffen hatten. Diesen Trick kannten und nutzten wir seit Jahren. Oft hatte sich Herr Kessler gewundert, weshalb wir schon die richtigen Pferde sattelten, bevor er überhaupt die Reitstundeneinteilung ausgehängt hatte, aber er war nie hinter das Geheimnis der losen Tischplatte gekommen. Da wir auf illegalem Weg an die Informationen über den neuen Reitlehrer gelangt waren, hatten wir bisher so tun müssen, als wüssten wir nichts.

Als wir eine Viertelstunde später im Kasino saßen und Gunther, der Jugendwart, uns offiziell mitteilte, wie der Neue hieß und welche Qualifikationen er mitbrachte, blinzelten Doro und ich uns verschwörerisch zu. Außer meiner besten Freundin und mir gehörten Karstens großer Bruder Simon als Jugendvorstandssprecher, Cordula als Kassiererin und Merle als Schriftführerin zum Vorstand.

»Ich habe euch heute zusammengerufen, um mit euch den Ablauf der Feier zu besprechen«, fuhr Gunther fort. »Wir haben nur noch zwei Wochen Zeit und deshalb dachte ich, wir greifen auf das Programm der Weihnachtsfeier zurück.«

»Gute Idee«, stimmte Cordula ihm zu. »Viel Zeit, um etwas völlig Neues auf die Beine zu stellen, bleibt uns ja nicht mehr.«

»Aber Herr Kessler kennt doch schon alles«, widersprach Simon. »Ich habe mit einem Freund gesprochen, der Bekannte hat, die Western reiten. Sie würden herkommen und eine Vorführung machen. Das ist echt cool!«

Doro, Merle und ich begeisterten uns sofort für diesen Vorschlag, aber Gunther schüttelte den Kopf.

»Die haben doch gar nichts mit unserem Verein zu tun«, sagte er. »Dann könnten wir gleich noch einen Kutschfahrer aus Sulzbach einladen und einen Dressurreiter aus Liederbach. Wir wollen dem neuen Reitlehrer ja in erster Linie einen Querschnitt unserer Vereinsarbeit präsentieren.«

»Stimmt«, pflichtete die vernünftige Cordula ihm bei. »Das sehe ich genauso. Ich würde das Programm der Weihnachtsfeier allerdings noch um eine Vorführung der erwachsenen Schulreiter erweitern. Die kommen immer zu kurz. Genauso wie der Vorstand.«

»Sehr gute Idee!«, lobte Gunther und machte sich eine Notiz.

»Dann können wir ja gleich das ganze Friedhofsgemüse in eine Kutsche packen und einmal durch die Halle karren«, sagte Simon mürrisch. Er war eingeschnappt, weil seine Idee keinen Anklang fand.

»Du bist respektlos!«, fuhr Gunther ihn an.

»Soll ich Simons Vorschlag ins Protokoll aufnehmen?«, erkundigte sich Merle und blickte von ihrem Schreibblock auf.

»Natürlich nicht!« Gunther war verärgert.

»Ich finde die Idee gar nicht so schlecht«, meldete ich mich und sprach weiter, bevor der Jugendwart mir ins Wort fallen konnte. »Wie wäre es denn, wenn wir nach allen Vorführungen sämtliche Leute zu Fuß in die Halle holen, dazu den Vorstand. Alle kriegen ein Taschentuch in die Hand und dazu singen wir irgendein Lied.«

»Du bist ja total übergeschnappt!« Simon zeigte mir einen Vogel. »Wie im Kindergarten, was?«

»Nein, wie in Aachen!«, entgegnete ich spitz. »Ich hab letztes Jahr den Abschied der Nationen im Fernsehen gesehen und hatte echt eine Gänsehaut.«

»Also, ich finde die Idee super!«, rief Cordula.

»Ich auch«, sagten Dorothee und Merle gleichzeitig.

»Wir könnten einen Text auf die Melodie von Nehmt Abschied, Brüder erfinden und den alle zusammen singen.« Ich erwärmte mich immer mehr für meine Idee und sang: »Nehmt Abschied, Freunde, heißt es heut, nach langer, schöner Zeit. Wir danken dir für alles hier und wünschen voller Freud …«

Ich brach ab, als ich die verblüfften Blicke meiner Vorstandskollegen sah, und wurde knallrot. Herr Boshof, der Pächter des Kasinos, applaudierte.

»Äh, das ist mir grad so eingefallen«, murmelte ich verlegen.

»Lieber fall ich tot um, als so einen Mist zu singen«, protestierte Simon.

»Ich finde es großartig!«, rief Gunther und grinste breit. »Was denkt ihr? Eine echte Stall-Hymne! Ein stimmungsvolleres Schlussbild könnte es doch kaum geben!«

Mein Vorschlag wurde mit einer Enthaltung – nämlich Simons – begeistert angenommen und ich erhielt den Auftrag, mir einen gescheiten Text für das Lied, das gleichzeitig Abschied und Willkommen sein sollte, auszudenken.

Am letzten Tag der Weihnachtsferien schneite es wie verrückt und als ich am Samstagmorgen aufwachte und aus dem Fenster blickte, war alles weiß. Die Sonne erschien gerade wie ein rosafarbener Ball über den Baumwipfeln des Eichwaldes und der Himmel war wolkenlos. Das perfekte Wetter für einen Ausritt! Ich nahm mein Handy und schickte Doro eine Nachricht. Schon wach? Wollen wir ausreiten?

Klar, antwortete sie nur Sekunden später. Brauche 5 min!

Hole dich ab!, tippte ich, dann sprang ich aus dem Bett und ging ins Badezimmer. Um diese frühe Uhrzeit an einem Samstagmorgen gab es im Bad kein Gedränge, denn meine Geschwister schliefen noch wie die Murmeltiere. Philipp, mein älterer Bruder, kroch frühestens gegen zwölf aus den Federn. Ich war die Einzige, die von unserem Vater das Frühaufsteher-Gen geerbt hatte, und ich liebte es, den Tag vor den ersten Sonnenstrahlen zu beginnen, zumindest an Wochenenden oder im Urlaub.

Nach einer Katzenwäsche schlüpfte ich in meinem Zimmer in eine lange Unterhose und zog darüber die Reithose. Unterhemd, Longsleeve, Fleecepulli. Man konnte sich für einen Ausritt im Winter nicht warm genug anziehen.

Papa und Mama saßen schon im Esszimmer am Frühstückstisch, tranken in Ruhe Kaffee und lasen Zeitung. Für so viel ungestörte Zweisamkeit hatten sie nur selten Zeit.

»Guten Morgen!«, rief ich fröhlich und streichelte rasch unseren Hund, der neben dem Tisch saß und hoffnungsvoll den leeren Joghurtbecher neben Papas Teller fixierte. »Dorothee und ich gehen jetzt ausreiten!«

»Guten Morgen«, erwiderte Mama. »Willst du nicht frühstücken?«

»Keine Zeit! Wir müssen früh los, bevor es im Eichwald vor Hundespazieridioten und Joggern nur so wimmelt«, sagte ich.

»Vielen Dank«, sagte Papa trocken. »Ich wollte jetzt gleich mit dem Hund gehen.«

»Ach, du warst doch nicht gemeint!« Ich drückte meinem Vater einen Kuss auf die Wange. »Nur die, die ihre Hunde nicht unter Kontrolle haben.«

Drei Minuten später liefen Doro und ich die verschneite Auffahrt am Reitplatz entlang. Wir hatten das große Glück, direkt am Reitstall zu wohnen, Doro sogar noch etwas näher als ich. Wie immer, wenn ich zum Stall lief und den Pferdeduft in die Nase bekam, war ich glücklich. Der Misthaufen dampfte in der kalten Luft, Won Da Pie streckte seinen Kopf über die geöffnete Halbtür seiner Box und wieherte laut. Diese Begrüßung machte mein Glück jeden Tag aufs Neue perfekt!

»Wer sind denn die Leute bei deinem Pferd?«, fragte Doro mich.

»Keine Ahnung, nie gesehen«, erwiderte ich.

»Na ja. Ich hoffe, Nado hat heute Nacht nicht wieder mit dem Kopf im Mist gelegen«, sagte sie und bog nach links Richtung Stalltür ab. »Bis gleich!«

Vor Won Da Pies Box standen ein Mann, eine Frau und ein Mädchen, das ungefähr in meinem Alter war.

»Guten Morgen«, sagte ich höflich.

»Guten Morgen«, antwortete die Frau, der Mann nickte freundlich.

Das Mädchen trug eine weiße Wollmütze, weiße Uggs und hatte die Hände in den Taschen ihrer weißen Daunenjacke vergraben – ein ziemlich unpassendes Outfit für einen Pferdestall! Sie warf mir nur einen mürrischen Blick zu und kaute auf ihrem Kaugummi herum.

Won Da Pie wieherte ungeduldig. Ich ergriff sein Halfter und einen Hufkratzer, die beide neben der Boxentür hingen, und ging zu ihm hinein. Nachdem ich den Mist aus den Hufen gekratzt hatte, führte ich ihn den schmalen Gang vorbei am Misthaufen und band ihn in der Schmiedeecke an.

»Sieht ja voll übel aus hier«, hörte ich das Mädchen sagen. »Die Reithalle ist total mickrig und düster. Und erst der Stall – das geht gar nicht!«

»Aber Katie, du bist es doch, die unbedingt weiter bei Herrn Weyer trainieren will! Dann musst du all das hier wohl oder übel in Kauf nehmen«, erwiderte die Mutter. »Und es ist ja auch nicht für ewig.«

»Eine Alternative hast du wohl kaum«, mischte sich nun der Vater ein. »Ich darf dich daran erinnern, dass du selbst nicht unerheblich an dem ganzen Streit beteiligt warst.«

»Pah!«, machte das Mädchen, das Katie hieß, nur.

»Wie auch immer«, sagte ihr Vater. »Mir gefällt’s hier! Es erinnert mich an den Stall, in dem ich als junger Kerl mein Pferd stehen hatte.«

»Außerdem muss ich dann nicht mehr so viel in der Gegend herumfahren«, fügte die Mutter hinzu. »Schule, Klavierunterricht, Volleyball – das ist alles ganz in der Nähe.«

Ich nahm Won Da Pie die Stalldecke ab, öffnete den Putzkasten und spitzte die Ohren, während ich ihn striegelte. Das hörte sich ganz danach an, als ob die Leute ihr Pferd hier in den Stall stellen wollten.

»Ich kann nicht fassen, dass der Weyer in so einen Dreckstall geht!«, nörgelte die motzige Tussi weiter. »Und nur eine Halle! Wie soll denn das funktionieren mit dem Schulbetrieb? Sven kriegt die Krise, wenn er das hört! Überhaupt, wie soll man in dieser mickrigen Reitbahn springen? Da passen ja kaum zwei Hindernisse rein!«

Am liebsten wäre ich zu ihr hingegangen und hätte ihr gesagt, dass in dieser Halle seit Jahren ohne Probleme Springstunden, Hausturniere, Faschingsreiten und Reitabzeichenprüfungen abgehalten wurden, aber ich ließ es sein. Selten war mir jemand so schnell derart unsympathisch gewesen wie diese Katie! Was bildete sie sich eigentlich ein, so schlecht über unseren Stall zu sprechen? Natürlich war hier nichts supermodern, aber dafür waren die Boxen groß und im Vergleich zu anderen Reitanlagen im Umkreis günstig, das Futter war gut und die Stallpfleger geizten nie mit Stroh und Heu, wie man das aus vielen anderen Ställen hörte.

Die Stimmen wurden leiser, die drei verschwanden im Stall.

»Boah, dieser Dreck hier überall!«, hörte ich Katie noch meckern.

»Was für eine dumme Kuh«, murmelte ich, legte meinem Pferd wieder die Decke über und ging auch zum Stall, um das Sattelzeug zu holen. So früh am Morgen war noch wenig los. In der Halle ritt nur Isa mit Natimo, die Pfleger hatten gerade frisch eingestreut und kehrten nun die Stallgasse.

»Im Moment haben wir noch zwei freie Boxen«, sagte Reitlehrer Kessler im Stallbüro zu den Eltern von Motz-Katie, als ich meine Trense vom Haken nahm und den Sattel von seinem Halter hob.

»Guten Morgen«, grüßte ich und Herr Kessler nickte mir zu.

»Und welche sind das?«, wollte Katie wissen.

»Die dritte und die vierte Box gleich hier vorne«, erwiderte Herr Kessler. »Das sind eigentlich Schulpferdeboxen, aber im Moment wird es erst mal keine neuen Schulpferde geben.«

Ich trödelte mit Absicht etwas herum, um zu hören, was sonst noch so gesprochen wurde.

»Also, wenn überhaupt eine Box für Asset infrage kommt, dann ist es eine von den Außenboxen. Ich will vorne die erste, in der zurzeit dieses braune Zottelmonster steht.«

Ich glaubte mich verhört zu haben. Das war die Box von Won Da Pie! Und sie hatte mein Pferd als Zottelmonster bezeichnet!

»Tja, die Außenboxen sind alle besetzt. Sie sind natürlich sehr begehrt und es gibt eine Warteliste, falls mal eine frei werden sollte«, entgegnete der Reitlehrer.

Mit voller Absicht rammte ich Mecker-Katie meinen Sattel ins Kreuz und trat ihr auf den Fuß.

»Autsch! Pass doch auf!«, fuhr sie mich wütend an.

»Ooops, sorry«, erwiderte ich zuckersüß. »Hab dich nicht gesehen.«

Auf ihrem schneeweißen Ugg zeichnete sich jetzt deutlich ein dunkelbrauner Abdruck meines Stiefels ab.

Doro wartete schon mit dem gesattelten Pferd in der Stallgasse und folgte mir nach draußen. Ich brannte darauf, ihr zu erzählen, was ich mitgehört hatte, und beeilte mich, Won Da Pie zu satteln. Fünf Minuten später ritten wir vom Hof in den Wald. Der frisch gefallene Schnee knirschte unter den Hufen unserer Pferde. Katies abfällige Bemerkung hatte mich tief getroffen.

»Diese blöde Nuss hat Wondy doch tatsächlich als Zottelmonster bezeichnet!«, rief ich empört. »Ich werde mir heute noch eine Schermaschine ausleihen und Won Da Pie scheren!«

»Worum geht’s eigentlich?«, fragte Doro verwirrt.

Ich wiederholte Wort für Wort, was ich gehört hatte.

»Na, eine Außenbox kann sie auf jeden Fall vergessen«, sagte meine Freundin und strich ihrem Schimmel über den Hals. »Der Nächste auf der Warteliste ist nämlich Nado!«

Doros Eltern hatten tatsächlich den Grauschimmelwallach gekauft, nachdem Corsario noch kurz vor Weihnachten eingeschläfert worden war, weil er sich den Fesselträger angerissen hatte. Das allein wäre vielleicht nicht Grund genug für ein Todesurteil gewesen, aber Corsario hatte nach einem langen Leben als Turnierpferd zusätzlich viele andere gesundheitliche Probleme gehabt und immer wieder gelahmt. Es wäre keine Gnade gewesen, ihn auf eine Koppel zu stellen, denn er hätte bei jedem Schritt Schmerzen gehabt. Doro hatte den Verlust mit Fassung getragen, hatte sie doch längst geahnt, dass mit dem fünfzehnjährigen Schimmelwallach etwas nicht in Ordnung gewesen war. Von vorneherein war meine Freundin nicht besonders glücklich mit Corsario gewesen, denn Inga hatte sie in den Sommerferien, während ich für vier Wochen in Frankreich gewesen war, mehr oder weniger genötigt, das Pferd mit ihr zusammen zu kaufen. Erst später hatte sie begriffen, dass Inga versucht hatte, auf diese Weise einen Keil zwischen uns zu treiben, denn sie war schon immer auf die enge Freundschaft zwischen Doro und mir eifersüchtig gewesen. Bei der Springquadrille auf der Weihnachtsfeier hatte Doro dann das neue Schulpferd geritten, einen temperamentvollen Grauschimmel mit schneeweißer Mähne und weißem Schweif namens Cornado. Wie mein Won Da Pie war Cornado auch erst sechs Jahre alt und eigentlich nicht geeignet für den Schulbetrieb, wo ein Ersatz für die brave und gutmütige Arabella gebraucht wurde und kein Pferd, vor dem sich die unsicheren Reitschüler fürchteten. Nun gehörte Cornado ihr, er war jung und gesund und hatte keine negative Vorgeschichte wie der arme, alte Corsario.

»Hast du schon einmal ein Pferd geschoren?«, fragte Isa mich, als ich sie nach unserer Rückkehr von einem herrlichen Schneeausritt bat, mir ihre Schermaschine zu leihen.

»Nein«, gab ich zu.

»Dann helfe ich dir«, bot sie mir an. »Es ist nämlich gar nicht so einfach, selbst wenn ein Pferd ganz still steht. Man muss immer gegen die Haarwuchsrichtung scheren, auch bei Haarwirbeln.«

Sie grinste. »Außerdem befürchte ich, dass Won Da Pie nicht still stehen wird.«

Das befürchtete ich allerdings auch. Mein Pferd war an manchen Stellen seines Körpers extrem kitzelig, besonders unter dem Bauch.

Seit der Reitabzeichenprüfung im vergangenen Herbst hatte Isa, die unbestritten die beste Reiterin des Vereins war, ein besonderes Verhältnis zu meinem Pferd. Sie hatte das große Abzeichen machen wollen, doch ausgerechnet am Prüfungstag war Heide, das Pferd, mit dem sie den L-Parcours springen sollte, lahm gewesen. Ich hatte ihr spontan angeboten, Won Da Pie zu reiten, und das hatte sie dann auch getan. Sie war auf Anhieb mit ihm zurechtgekommen, obwohl sie nie zuvor auf ihm gesessen hatte und eigentlich eine Dressurreiterin war, und hatte sogar eine großartige Wertnote bekommen. Schon vorher hatte sie mir bereitwillig den einen oder anderen Tipp gegeben, wenn ich mal wieder mit meinem Temperamentsbolzen von Pferd überfordert war.

Ich brachte Won Da Pie in die Schmiedeecke und Isa kam kurz darauf mit einem Karton, den sie auf die Bank stellte. Neugierig sahen Doro und ich zu, wie sie die Schermaschine auspackte, die Scherblätter einsetzte, festschraubte und etwas Öl dazwischenträufelte.

»Damit sie nicht heiß laufen«, erklärte Isa. »Sonst wird es für das Pferd äußerst unangenehm.«

Als sie das Gerät einschaltete, spitzte Won Da Pie neugierig die Ohren. So übermütig er manchmal auch sein konnte, so besaß er doch ein ausgeglichenes und gutmütiges Wesen und würde nie beißen, ausschlagen oder hysterisch werden.

»Er sieht echt ein bisschen wie ein Zottelmonster aus«, bemerkte Doro. »Wahnsinn, was er für ein Fell hat!«

»Deshalb wird er auch nach dem Reiten überhaupt nicht mehr trocken«, erwiderte ich. »Der Pelz muss runter.«

Vor allen Dingen wollte ich, dass mein Pferd toll aussah, wenn Thierry Juneau zu Besuch kommen würde, und das war bald der Fall. Thierry mit den blauen Augen und dem süßesten Lächeln der Welt war der Neffe von Nicolas, dem meine Eltern im letzten Sommer in Frankreich auf der Insel Noirmoutier Won Da Pie abgekauft hatten. Wir hatten uns vier Wochen lang nur gekabbelt und Thierry war das reinste Ekel gewesen, besonders nachdem ich ihn bei einem Wettrennen am Strand besiegt hatte und er sogar noch vom Pferd gefallen war. Allerdings hatte sich das in den letzten Ferientagen geändert und kurz vor Weihnachten hatte er mir voll die süße E-Mail geschrieben! Mich hatte vor Freude beinahe der Schlag getroffen, als ich gelesen hatte, dass er für ein halbes Jahr als Austauschschüler nach Oberursel kommen und mich besuchen würde. Schon bei der Vorstellung, ihn endlich wiederzusehen, begann mein Herz zu klopfen.

»Lotte? Huhu!« Isa wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch.

»Binde ihn mal los und halte ihn fest«, sagte Isa freundlich.

»Wen?«, fragte ich verwirrt.

»Dein Pferd?« Isa schüttelte amüsiert den Kopf und Doro grinste breit.

»Thierry!«, formte sie mit den Lippen und grinste noch mehr. Sie war die Einzige, der ich von Thierry erzählt hatte, und sie wusste auch, dass ich ein bisschen in ihn verliebt war!

Ich tat, worum Isa mich gebeten hatte, und war darauf gefasst, dass Won Da Pie ein Riesentheater machen würde, wenn die surrende Schermaschine seinen Körper berührte – doch nichts dergleichen geschah. Er stand mucksmäuschenstill, ja, er schien das Vibrieren der Maschine regelrecht zu genießen, wie eine Massage!

»Also, das hätte ich ja nicht gedacht!«, rief Isa begeistert. »Schau doch, wie es ihm gefällt!«

Zuerst hatte sie vorgehabt, nur seinen Körper zu scheren, aber nun, da er so stillhielt, wagte sie sich auch an Kopf und Beine. Der leuchtend kastanienbraune Pelz meines Pferdes lag bald in großen Haufen auf dem Boden und aus dem unförmigen Teddybär wurde wieder ein schlankes, elegantes Pferd! Das geschorene Fell hatte eine seltsame graubraune Färbung, wie ich sie schon bei Springpferden auf dem Festhallenturnier gesehen hatte.

»Im Frühjahr kommt das Fell mit der richtigen Farbe wieder zurück«, versicherte Isa mir. »Komm, versuch du es auch mal, Lotte!«

Sie drückte mir die Maschine in die Hand und ich begann ziemlich zaghaft an Won Da Pies rechter Seite. Natürlich war ich nicht so geübt wie Isa, aber nach ein paar Minuten wurde ich mutiger und es funktionierte richtig gut! In der Sattellage ließen wir ein Stück Fell stehen, um einen Satteldruck zu vermeiden, auch am Mähnenansatz musste man höllisch aufpassen, um nicht die Mähnenhaare zu erwischen. Die Schermaschine rasselte, ich begann zu schwitzen, die feinen Härchen drangen mir in Nase und Augen, aber mein Pferd war völlig tiefenentspannt, ließ Unterlippe und Ohren hängen. Ganz zum Schluss übernahm Isa wieder und machte die Feinarbeiten an Kopf, Ohren und der Schweifrübe. Anderthalb Stunden später war das Zottelmonster verschwunden. Vor mir stand ein neues Pferd! Ich machte gleich mal ein paar Fotos von ihm.

»Du solltest ihm jetzt bei der Kälte zwei Decken übereinander draufmachen«, riet Isa mir. »Und wahrscheinlich wird er beim Reiten in den ersten Tagen ziemlich knackig sein, denn natürlich spürt er jetzt die Kälte mehr als vorher mit dem dicken Pelz.«

Ich zog Won Da Pie also zwei Decken übereinander an und führte ihn in seine Box, dann half ich Isa beim Reinigen der Maschine und bedankte mich. Doro und ich kehrten die Fellberge ordentlich zusammen und stopften sie in den Müllcontainer neben dem Misthaufen. Dabei ging mir diese Katie nicht aus dem Kopf.

»Und es ist ja auch nicht für ewig«, hatte ihre Mutter gesagt. Was hatte sie wohl damit gemeint? Plante der neue Reitlehrer, der noch nicht einmal da war, etwa schon wieder, hier wegzugehen?

»Ich muss jetzt erst mal unter die Dusche«, sagte ich zu meiner Freundin. »Mich juckt’s am ganzen Körper. Ich glaube, ich habe Wondys Haare sogar in der Unterhose!«

»Gute Idee. Ich bin auch total durchgefroren«, stimmte Doro mir zu. »Heute Nachmittag machen wir uns dann an den Text für die Reitstall-Hymne!«

»Und wir googeln mal diese Katie«, fügte ich hinzu. »Also los, nichts wie nach Hause!«