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Diese E-Book-Sonderausgabe beinhaltet die Fälle 22 - 24 der Cosy Crime Serie "Cherringham - Landluft kann tödlich sein" - ein Muss für Fans von Miss Marple und Sherlock Holmes!
Folge 22: Tödliche Melodie
Alex King, Leadsänger der legendären Neunzigerjahre-Rockgruppe Lizard, gibt eine Party auf seinem prächtigen Anwesen in Cherringham. Gefeiert werden soll das lang erwartete Comeback der Band. Doch statt Sex, Drugs and Rock 'n' Roll gibt es vor allem Streit - mit einem tragischen Ausgang: Im Morgengrauen treibt Alex tot im Pool seines Anwesens.
Für die Polizei steht außer Frage: Es handelt sich um einen Unfall unter Drogeneinfluss. Aber als Jack und Sarah von einem Bandmitglied gebeten werden, Nachforschungen anzustellen, entdecken sie bald, dass auch ein guter Song tödliche Folgen haben kann.
Folge 23: Eine schlechte Partie
Als der begabte junge Künstler Josh Andrews nach einem Streich anlässlich seines Junggesellenabschieds vom Platz des Cherringham Golfclub verschwindet, bittet die verzweifelte Braut Jack und Sarah um Hilfe. Bis zur Hochzeit sind es nur noch wenige Tage und keiner weiß, ob der Bräutigam kalte Füße bekommen hat oder ihm etwas zugestoßen ist. Bald jedoch wird klar, dass Josh nicht der ist, der er zu sein vorgab ... und dass der Golfclub eine größere Rolle spielt als zunächst angenommen. Jack und Sarah bleibt nicht viel Zeit, um Josh zu finden - und zu verhindern, dass jemand das Gesetz selbst in die Hand nimmt ...
Folge 24: Ein Trauerfall in der Familie
Als der gebrechliche Harry Platt bei einem Treppensturz zu Tode kommt, sieht alles nach einem tragischen Unfall aus.
Doch Anwalt Tony Standish wird misstrauisch, als er entdeckt, wie groß Harrys Nachlass ist und wer seine Erben sind.
Er bittet Jack und Sarah um Hilfe, die bei ihren Nachforschungen auf ein lange gehütetes Familiengeheimnis stoßen - und eine schwere Entscheidung treffen müssen.
Und für Jack ändert ein plötzlicher Anruf aus Amerika alles ...
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Seitenzahl: 398
Cover
Cherringham – Landluft kann tödlich sein – Die Serie
Über diesen Sammelband
Über die Autoren
Die Hauptfiguren
Sammelband VIII
Impressum
Tödliche Melodie
Eine schlechte Partie
Ein Trauerfall in der Familie
»Cherringham – Landluft kann tödlich sein« ist eine Cosy Crime Serie, die in dem vermeintlich beschaulichen Städtchen Cherringham spielt. Jeden Monat erscheint sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch ein spannender und in sich abgeschlossener Fall mit dem Ermittlerduo Jack und Sarah.
Dieser Sammelband beinhaltet die Cherringham-Fälle 22 – 24:
Cherringham – Tödliche MelodieCherringham – Eine schlechte PartieCherringham – Ein Trauerfall in der Familie
Matthew Costelloist Autor erfolgreicher Romane wieVacation (2011), Home (2014) und Beneath Still Waters (1989), der sogar verfilmt wurde. Er schrieb für verschiedene Fernsehsender wie die BBC und hat dutzende Computer- und Videospiele gestaltet, von denenThe 7th Guest, Doom 3, Rage und Pirates of the Caribbean besonders erfolgreich waren. Er lebt in den USA.
Neil Richards hat als Produzent und Autor für Film und Fernsehen gearbeitet sowie Drehbücher für die BBC, Disney und andere Sender verfasst, für die er bereits mehrfach für den BAFTA nominiert wurde. Für mehr als zwanzig Videospiele hat der Brite Drehbuch und Erzählung geschrieben, u.a. The Da Vinci Code und, gemeinsam mit Douglas Adams, Starship Titanic. Darüber hinaus berät er weltweit zum Thema Storytelling.
Bereits seit den späten 90er Jahren schreibt er zusammen mit Matt Costello Texte, bislang allerdings nur fürs Fernsehen. Cherringham ist die erste Krimiserie des Autorenteams in Buchform.
Jack Brannen ist pensioniert und frisch verwitwet. Er hat jahrelang für die New Yorker Mordkommission gearbeitet. Alles was er nun will ist Ruhe. Ein Hausboot im beschaulichen Cherringham in den englischen Cotswolds erscheint ihm deshalb als Alterswohnsitz gerade richtig. Doch etwas fehlt ihm: das Lösen von Kriminalfällen. Etwas, das er einfach nicht sein lassen kann.
Sarah Edwards ist eine 38-jährige Webdesignerin. Sie führte ein perfektes Leben in London samt Ehemann und zwei Kindern. Dann entschied sich ihr Mann für eine andere. Mit den Kindern im Schlepptau versucht sie nun in ihrer Heimatstadt Cherringham ein neues Leben aufzubauen. Das Kleinstadtleben ist ihr allerdings viel zu langweilig. Doch dann lernt sie Jack kennen …
Matthew CostelloNeil Richards
CHERRINGHAM
LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN
Sammelband VIII
Folge 22: Tödliche MelodieFolge 23: Eine schlechte PartieFolge 24: Ein Trauerfall in der Familie
beTHRILLED
Digitale Originalausgabe
»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dr. Arno Hoven
Übersetzung: Sabine Schilasky
Lektorat/Projektmanagement: Esther Madaler
Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Buslik | Ihnatovich Maryia; © istockphoto: kodachrome25
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-2920-9
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Matthew CostelloNeil Richards
CHERRINGHAM
LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN
Tödliche Melodie
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
Lauren Dumford überprüfte ein letztes Mal ihr Make-up im Beifahrerspiegel des Wagens. Normalerweise würde es sie nicht weiter kümmern, doch der heutige Abend war etwas Besonderes.
»Jetzt halt doch endlich den verfluchten Wagen ruhiger, Will«, schimpfte sie und beugte sich so nahe wie möglich zum Spiegel, um ihren Lippenstift nachzuziehen. »Wie soll ich das hier schaffen, wenn du wie irre über die Straße ruckelst?«
»Du hättest das besser zu Hause machen sollen«, erwiderte Will. »Auf so einer Schotterpiste kann ich nicht ruhig fahren und außerdem noch den Weg zu der blöden Party finden.«
Lauren blickte zu ihm hinüber. Ihr Mann trug Jeans und Turnschuhe zu einem alten Hemd, das er ansonsten nur zum Grillen anzog.
Mit Palmen und hawaiianischen Tänzerinnen.
Seine Vorstellung von eleganter Kleidung.
Gott steh’ mir bei!, dachte sie. Warum kann er sich nicht mal ein bisschen Mühe geben?
Lauren war gleich heute Morgen nach Oxford gefahren, um sich die Haare und die Nägel machen zu lassen, und hatte anschließend den Großteil des Nachmittags mit ihrer Schwester Janet auf der Suche nach dem richtigen Outfit verbracht.
Sie hatte praktisch alles anprobiert, mehrmals.
Es muss cool, abgeklärt, leger und total lässig aussehen, hatte sie Janet erklärt.
Etwas anderes als die übliche Bluse zur schwarzen Hose, die sie anzog, wenn sie beide abends zum Essen ausgingen.
Na ja, das kommt auch nicht mehr oft vor, fuhr es ihr durch den Kopf.
Schwer vorstellbar, dass Will und sie vor vielen, vielen Jahren so gut wie nie vor dem Morgengrauen im Bett gewesen waren.
Aber das war in einem anderen Leben.
Bevor sich die Band auflöste.
Bevor sie Kinder hatten.
Und bevor das normale Leben, so wie es die meisten Leute in Cherringham führten, zu ihrem wurde.
Hypotheken abstottern, den Rasen mähen, Tesco, Fahrdienste zur Schule, gruselige Sommerurlaube an verregneten englischen Stränden …
Sie tupfte mit einem Papiertuch ihren Mund ab, klappte den Spiegel ein und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft durchs Seitenfenster.
Der schmale Weg, den sie in ihrem alten Vauxhall Zafira entlangfuhren, war von Trockenmauern gesäumt. Zu beiden Seiten erstreckten sich Wiesen, auf denen vereinzelt Eichen standen. Lauren konnte Schafe und winzige weiße Lämmer sehen, die sich unter den Eichen zusammengedrängt hatten, und in der untergehenden Sonne hatte das Gras einen orangen Schimmer.
Wie wunderschön!
Lauren wohnte schon ihr ganzes Leben in Cherringham, konnte sich jedoch nicht erinnern, jemals hier unten gewesen zu sein.
Aber warum sollte sie auch? Dies war ein Privatweg, und soweit sie wusste, stand an dessen Ende nur ein einziges Haus.
Kingfishers.
Einst war es das abgeschiedene Zuhause des Parlamentsabgeordneten dieser Gegend gewesen.
Nun war das Landhaus der Wohnsitz von Alex King, Cherringhams einzigem und alleinigem früheren Rockidol, dem Leadsänger der ehemaligen Supergruppe Lizard. Der verlorene Sohn war von Los Angeles hierher zurückgekehrt.
Wie der heute lebt, dachte sie.
Es war etwas ganz anderes als Laurens und Wills Einfamilienhaus mit der angebauten Doppelgarage in der »netten« Wohnanlage oben beim Cricketclub von Cherringham.
Komisch, dass das Leben nie ganz so verläuft, wie man es sich vorstellt.
Hätte sie in den Neunzigern auch nur einen Moment an die Zukunft gedacht, wäre dies hier das Leben gewesen, von dem sie angenommen hätte, es einmal zu führen.
Und warum auch nicht? Sie war ein maßgeblicher Teil der Lizard-Familie gewesen: die Freundin des Rockstars – immerzu mit auf Tournee, unterwegs zu Auftritten in Sydney, L.A., New York, Wembley. Jährlich kamen neue Alben heraus, unaufhaltsam, und sie hatten scharenweise Fans gehabt …
Geld war im Überfluss da gewesen, ob für Privatjets, Nobelhotels, edle Klamotten oder für sonst was.
Und natürlich hatte Lauren über die Groupies hinweggesehen, die überall aufkreuzten, wo sie auftraten.
Heute hier, morgen dort.
Und eines Tages dann, aus heiterem Himmel, brach alles auseinander. Streitereien, Prügeleien, abgesagte Gigs, Prozesse.
Alles endete so abrupt und schnell, wie man einen Gartenschlauch abdreht.
Lizard löste sich auf.
Und Lauren und Will blieben mit Schulden zurück.
Wo war nur das ganze Geld geblieben? Es musste doch noch welches für sie da sein.
Das fragte sich Lauren bis heute.
Will – ihr liebenswerter, aber unbedarfter Drummer-Freund – konnte es ihr nie sagen.
Und die anderen Typen waren weg gewesen, ehe sie ihnen Fragen stellen konnte.
Keine Familie scheitert so dramatisch wie eine Rockstarfamilie, dachte sie.
»Ich bin ein bisschen nervös«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Will.
»Weshalb solltest du denn nervös sein?«, entgegnete Will, während er den Wagen vorsichtig um ein Schlagloch herumlenkte. »Das sind doch bloß Alex und der Rest der Band. Ein Wiedersehen mit alten Freunden.«
»Es ist eine Party«, betonte Lauren. »Da sind garantiert auch noch andere Leute.«
»Mit denen müssen wir ja nicht reden. So oder so wollen wir uns doch nur kurz zeigen, oder? Uns mal ansehen, was läuft und worum es da gerade geht.«
»Falls es überhaupt um irgendwas geht«, sagte Lauren.
»Mein Gott, Lauren, jetzt fang nicht wieder damit an!«
»Schon gut. Ich fühle mich eben nur …«
Eigentlich wusste sie nicht genau, wie sie sich fühlte.
Klar, sie wusste, dass sie sich arm fühlte. Und alt und müde.
»Wir brauchen das hier, klar?« Will drosselte das Tempo. »Okay, wir sind da. Showtime!«
Weiter vorn konnte Lauren erkennen, dass der Weg an einem schwarzen doppelflügeligen Eisentor mit hohen Mauern zu beiden Seiten endete.
Showtime, und ob …
Lauren bemerkte die Sicherheitskameras, den schweren weißen Maschendrahtzaun, den Kies, das gravierte Metallschild mit der Inschrift »Kingfishers«, durch deren Buchstaben hübsche Eisvögel flogen.
Wie von Zauberhand öffnete sich das Tor, als sie näher kamen, und Will fuhr auf das Anwesen.
Lauren konnte nun das Haus sehen, das ein wirklich herrschaftlicher Wohnsitz war. Es lag nur ein paar Hundert Meter vor ihnen inmitten von Wiesen. Aus der Ferne wirkte es wie ein riesiges Puppenhaus – mit seiner großen Eingangstür in der Mitte, dem von Säulen getragenen Vordach, den zwei riesigen Fenstern unten und den sechs kleineren Fenstern oben.
So viele Schlafzimmer …
»Oh, verdammt«, fluchte Will. »Guck dir das an! Vielleicht hätte ich doch dabeibleiben sollen.«
Ja, das hättest du vielleicht sollen, dachte Lauren. Und vielleicht hätte ich mich auch in einigem anders entscheiden sollen …
Als sie auf das Haus zusteuerten, gab ein Mann in einem dunklen Anzug und mit Sonnenbrille ihnen mit Handzeichen zu verstehen, dass sie einen Kiesweg nehmen sollten, der hinters Haus führte. Dort konnte Lauren Nebengebäude und weitere hohe Mauern erkennen.
Will blinkte und fuhr um das Haus.
In dem großen Hof dahinter zeigte ein anderer Mann zu einer Koppel, die neben einem Stall lag. Dort parkten bereits große schwarze Geländewagen und Sportwagen in leuchtenden Farben.
»So viele Leute«, murmelte Lauren.
Will hielt neben einem roten Mercedes an und stellte den Motor ab.
»Bereit?«, fragte er und stieg aus, bevor Lauren antworten konnte.
Ein letztes Mal sah sie in den Spiegel, schnappte sich ihre neue Pailletten-Handtasche und zog ihr langes schwarzes Kleid nach oben, damit sich ihre hohen Absätze beim Aussteigen nicht darin verhakten.
»So bereit, wie ich irgend sein kann«, sagte sie zu sich selbst, als sie den Wagen verließ.
Sie beobachtete, wie ein junges Paar aus dem Mercedes stieg. Der Mann hatte ein T-Shirt und einen Seidenanzug an. Das Mädchen trug einen silbernen Minirock, klobige Schuhe – und sonst nichts.
Die beiden lächelten Lauren zu.
»Ein klasse Abend für eine Fete«, sagte der Mann, und seine Augen blitzten.
»Ja, nicht?«, antwortete Lauren und sah ihm nach, als er einen Arm um die junge Frau legte und sie zum Haus führte.
Laurens Blick fiel auf seine Hand, die unten am sonnengebräunten Rücken seiner Begleiterin ruhte. Seine silberne Armbanduhr war klotzig.
Will kam um den Wagen herum zu ihr. Sein Bauch wölbte sich unter den hawaiianischen Tänzerinnen und Palmen auf seinem Hemd.
»Ich hasse dieses Auto«, sagte sie.
»Nichts geht über einen Vauxhall«, entgegnete Will. »Die vielen Airbags schützen die Kinder. Es ist der richtige Wagen für uns, vertrau mir.«
Genau das ist womöglich das Problem, dachte Lauren. Ich vertraue dir ja. Zu sehr.
Dann folgte sie ihm zum Haus.
»Babes – sieh sich einer euch an!«
Lauren spürte, dass sie rot wurde, als Alex King sie auf beide Wangen küsste, einen Schritt zurücktrat und ihr in die Augen sah.
Er war braun gebrannt, und sein Gesicht schien von innen zu glühen.
Nach all den Jahren keine Falten, stellte sie fest. Hat er was an seinem Gesicht machen lassen?
Muss er wohl.
Andererseits hatte er schon immer zehn Jahre jünger als der Rest der Band ausgesehen.
Heute Abend lächelte er strahlend. Sein langes schwarzes Haar saß perfekt, und in dem maßgeschneiderten weißen Hemd, der engen Jeans und den Cowboystiefeln hätte er schrecklich nach den Achtzigerjahren aussehen müssen, doch irgendwie ging der Look bei ihm durch.
Unweigerlich fragte Lauren sich, ob darunter noch derselbe straffe Körper war …
»Alex«, sagte sie. »Ist lange her.«
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er jeden Gast direkt an der Tür empfangen würde. Deshalb war ihr keine Zeit geblieben, sich zu überlegen, was sie sagen sollte.
Und hier, in diesem prächtigen marmornen Empfangssaal mit den geschwungenen Treppenaufgängen, den riesigen Porträts und den schönen Menschen, die alle Champagner tranken und total entspannt aussahen, war ihr Kopf auf einmal wie leer gefegt.
»Lauren, du hast dich kein bisschen verändert«, schmeichelte er ihr. »So wunderschön und sexy wie eh und je!«
»Wie ich früher schon immer sagte – du solltest deinen Charme in Flaschen abfüllen und verkaufen.« Laurens Verstand meldete sich zurück.
»Ah, das einzige Mädchen, dem ich nie etwas vormachen konnte«, erwiderte Alex lachend. »Ich muss dich unbedingt allen vorstellen!«
»Aber du benutzt hoffentlich nicht den Satz als Einleitung«, sagte Lauren. »Das Mädchen, das sich nichts vormachen lässt?«
»Wie wäre es, wenn ich dich als meine wunderschöne und sehr liebe alte Freundin Lauren vorstelle, die Frau des besten Drummers, mit dem ich jemals gespielt habe, des legendären Will Dumford?«
Lauren schaute zu, wie er sich Will zuwandte und ihn umarmte. Ihr Mann sah aus, als würde ihm das Unbehagen bereiten.
»Ich erinnere mich nicht, dass wir uns jemals umarmt haben, Alter«, meinte Will und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Nicht mal dann, wenn wir besoffen gewesen sind.«
»Die Zeiten ändern sich, Will«, antwortete Alex. »Man muss auch seine weichere Seite rauslassen.«
»Na, die kann man bei Will schlecht verpassen«, merkte Lauren an und nickte zu den Hawaiimädchen auf Wills Hemd.
Ihr Mann verdrehte die Augen.
Unwillkürlich fragte sich Lauren, warum sie sich immer über ihn lustig machen musste, wenn sie unter Leuten waren.
Sie bekam ein schlechtes Gewissen, denn ihr war bewusst, wie sehr es ihn verletzte.
»Ich dachte, das hier sollte nur eine kleine Veranstaltung sein, Alex«, warf Will ein.
»Hier geht es um Rock ’n’ Roll, Will. Da gibt es keine kleinen Veranstaltungen, stimmt’s?«
»Das hast du mir aber gesagt.«
Lauren bemerkte, dass Alex die Stirn runzelte. Will klang wie ein beleidigter Teenager. Nein, eher wie ein mürrischer alter Mann. Das traf es besser.
Seltsam, dass es ihr bisher nie aufgefallen war.
»Weißt du was, Alter – geh schon mal nach hinten zur Bar. Da ist Chris, und er kann es nicht erwarten, dich zu sehen.«
Chris? Schon hier?
Und nun empfand Lauren etwas, das sie schon länger nicht mehr empfunden hatte.
Was war das?
Interesse?
Chris Wickes war damals der Bassist gewesen, ein immerzu niedergeschlagener und problembelasteter junger Kerl.
Dennoch hatte Lauren stets das Gefühl gehabt, dass er der Kopf der Band war – und Alex bloß das hübsche Aushängeschild.
Dann stimmt es also, dachte sie. Die Band kommt wieder zusammen …
»Ich wusste, dass du Chris bekommst«, merkte Will an und drehte sich zu Lauren um. »Hatte ich das nicht gesagt, Schatz?«
»Hast du, Schatz.«
Ein bisschen Wiedergutmachung …
»Er ist immer noch dabei, oder? Hat hier und da mal Gigs. Also musste er einfach kommen«, sagte Will.
Dann drehte er sich wieder zu Alex um und sah ihn beinahe herausfordernd an. »Aber was ist mit Nick? Hast du Nick herbekommen?«
Lauren entging nicht, dass Alex zwar keine Miene verzog, seine Augen jedoch nicht mehr leuchteten.
»Das wird die Zeit zeigen. Bis jetzt ist Nick noch nicht da, aber er hat gesagt, dass er kommt.«
»Ohne ihn geht es nicht, Alex. Das weißt du.«
Lauren sah, wie Will rot wurde. Und dass er wieder schwitzte.
»Keine Sorge, Will. Er wird auftauchen, versprochen. Man muss eben die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und so, hmm? Außerdem ist zu viel Geld im Spiel, um einfach abzulehnen.«
Will verzog das Gesicht, als wollte er einen Streit anfangen, hielt sich aber zurück. Anscheinend wurde ihm klar, dass er hier nur eine Szene machen würde.
»Okay, das ist klasse, Alex«, sagte er. »Prima. Ich glaube dir. Habe ich immer.«
Alex’ Lächeln kehrte mit voller Kraft zurück. »Super. Geh du zu Chris. Nehmt euch ein Bier und redet über die guten, alten Zeiten, okay?«
»Ja, ja, das mache ich«, versprach Will und drehte sich zu Lauren um. »Ist es in Ordnung für dich, Schatz, wenn ich das mache?«
»Wir sind auf einer Party, Will. Du brauchst mich nicht um Erlaubnis zu bitten, wenn du etwas trinken möchtest.«
Lächelnd zwinkerte Will ihr zu, wandte sich ab und bahnte sich einen Weg durch die Menge ins nächste Zimmer.
Und Lauren dachte: Womöglich habe ich ihn zu streng abgerichtet.
»Komm mit«, forderte Alex sie auf, legte lässig einen Arm um ihre Schultern und führte sie quer durch den Saal. »Ich muss dich unbedingt mit Gail bekannt machen. Du wirst sie lieben. Ihr zwei seid Seelenverwandte, das weiß ich einfach.«
Alex führte sie durch ein Wohnzimmer voller Gäste, dann durch einen riesigen Ballsaal, an dessen Wänden lange Tische mit Essen standen, und schließlich durch große Glasschiebetüren hinaus auf die Terrasse hinter dem Gebäude.
Lauren stellte erstaunt fest, dass sich hier draußen im abendlichen Sonnenschein noch mehr Leute befanden. Sie alle sahen so jung aus; und sie unterhielten sich fröhlich, lächelten, lachten und tranken Champagner, als würden sie in einem Fernsehwerbespot mitspielen, in dem das gute Leben gezeigt werden soll.
Das erfolgreiche Leben …
»Gail, Süße!«, rief Alex.
Lauren sah eine große blonde Frau in einem langen Kleid, die sich von einer Gruppe junger Männer abwandte und auf sie zukam.
Wenigstens bin ich nicht die Einzige, die ein langes Kleid trägt.
Lauren erkannte die Frau sofort aus dem Fernsehen wieder.
»Liebling«, sagte Alex. »Darf ich dir Lauren vorstellen? Lauren – Gail, meine Frau.«
»Ah, die berühmte Lauren!« Gail beugte sich vor und küsste Lauren auf beide Wangen.
»Die Berühmtheit bist ja wohl eher du«, entgegnete Lauren. »Ich kenne alle deine Shows.«
»Ach ja? Wie reizend von dir, das zu sagen.«
»Besonders mag ich die, in der du versuchst, die Leute zum Umzug aufs Land zu überreden.«
»Oh Gott, die! Tja, ich kann dir verraten, die Aufnahmen sind die Pest«, erzählte Gail und neigte sich verschwörerisch vor. »Die Hälfte der Idioten will eigentlich gar nicht umziehen. Die ganze Sendung ist nur gestellt.«
Gail lachte, und Lauren lachte mit.
Ihr hatte vor der Begegnung mit Gail gegraust, aber vielleicht würde es doch nicht so schlimm wie befürchtet.
»Du brauchst was zu trinken, Schätzchen«, meinte Gail. »Einen Schluck Champagner?«
»Das wäre nett.«
»Dann komm mit. Wir haben reichlich Sekt da. Aber …«
Gail führte sie über die Terrasse und vorbei an einer Bar unter einem Baldachin, an der noch mehr gut aussehende junge Männer in dunklen Anzügen bedienten.
»Ich habe meinen eigenen Geheimvorrat an richtig gutem Champagner unten beim Pool-Haus.«
Sie gingen eine breite Marmortreppe hinunter, über die man in einen geometrisch angelegten Gartenteil gelangte – mitsamt Springbrunnen, in dessen Mitte sich eine Venus-Statue oder etwas Ähnliches erhob. Unten sprudelte das Wasser aus den Mündern von vier Engeln in das Becken.
Jenseits des Brunnens konnte Lauren eine Reihe niedriger, kürzlich renovierter Nebengebäude ausmachen, mit Glasschiebetüren und jeweils eigener Terrasse.
Einige Leute hockten in Gruppen auf dem Rasen zusammen und tranken.
Aus einem der umgebauten Schuppen wummerte laute Musik.
Lauren sah, wie Gail dorthin nickte.
»Das ist Alex’ Studio«, berichtete sie. »Bis zu den Dachbalken vollgestopft mit allem möglichen Retro-Kram: Verstärker, Fender-Gitarren aus den Achtzigern und so. Er will den alten Lizard-›Monstersound‹ zurückholen, so wie er früher war.«
»Dann ist es ihm also wirklich ernst?«, fragte Lauren. »Mit einer neuen Tour?«
»Todernst.«
»Nick auch?«
»Tja, das hofft Alex. Sie sind inzwischen beide zwanzig Jahre älter.« Gail blieb am Springbrunnen stehen. »Und haben ihren Stolz runtergeschluckt – jedenfalls hat Alex mir das erzählt.«
»Da hatten sie einiges zu schlucken«, merkte Lauren an. Kaum wurde ihr klar, was sie gesagt hatte, blickte sie Gail schuldbewusst an.
»Ha! Was habe ich gesagt? Er wird sich schlapplachen, wenn er dich so reden hört!« Gail grinste.
Dann griff sie in das Brunnenbecken und zog eine Champagnerflasche aus dem schäumenden Wasser, so als würde sie einen Zaubertrick vollführen.
»Ta-daah!«
Als Nächstes holte sie zwei Gläser unter der Steinbank hervor, die den Brunnen umgab.
»Genau der richtige Moment, um noch ein wenig Ruhe und Frieden zu genießen, bevor diese Party in Fahrt kommt. Und du kannst mir von den alten Zeiten erzählen!«
»Den alten Zeiten, na gut«, sagte Lauren. »Wo soll ich anfangen?«
»Fang mit dem LiveAid-Konzert im Wembley-Stadion an und arbeite dich von dort aus zurück, Schätzchen. Ich will sämtlichen Klatsch hören, auch noch das kleinste schmutzige Detail!«
Lauren beugte sich so nahe wie möglich zu dem jungen Typen, mit dem sie tanzte, und rief: »Ich – brauche – mal – Wasser!«
Aber die Musik war so laut, dass er nur grinsend mit den Schultern zuckte.
Also grinste sie ebenfalls achselzuckend und kämpfte sich anschließend durch die Dunkelheit. Die Stroboskopscheinwerfer strahlten immer mal einzelne, zumeist glasige Gesichter im Gedränge der Tanzenden an, und Lauren bewegte sich auf die offenen Türen des helleren Ballsaals zu.
Wow, so habe ich seit Jahren nicht mehr getanzt, dachte sie. Und ich habe auch seit Jahren nicht mehr mit jemandem getanzt, der so scharf aussieht …
Im Ballsaal lehnte sie sich an eine Säule und blickte auf ihre Uhr.
Es war fast ein Uhr morgens.
Das war gleichfalls eine Seltenheit!
Und diese Party war noch in vollem Gange. Doch wo steckte Will?
Lauren fand ihre Schuhe in der Ecke, wo sie das Paar vorhin versteckt hatte, und schaffte es gerade so, die Riemen anzulegen.
Ich bin ein bisschen beschwipst, ging es ihr durch den Kopf, während sie leicht schwankte.
Nein, falsch.
Mehr als ein bisschen …
Sie holte tief Luft und steuerte die Glastüren an, durch die es zur Terrasse ging.
Dort war es sicher ruhiger …
Aber nein, auch draußen drängten sich die Leute. Als Lauren auf die Terrasse kam, konnte sie Trauben von Menschen sehen, die sich unterhielten, rauchten oder einfach chillten.
Laternen und Fackeln warfen orange Lichtkegel in die Dunkelheit. Und wie Lauren sehen konnte, wurde der Springbrunnen nun von blauen, roten und grünen Lichtquellen beschienen. Ein Laserstrahl bog sich vom Dach eines der Nebengebäude in den Himmel.
Von wegen kleine Party!
Außerdem wurden auf die Rückseite des Hauses Stummfilmszenen projiziert.
Lauren wanderte durch den Garten und suchte die plaudernden, lachenden Gruppen nach Will ab.
»Will? Will?«
»Lauren«, erklang eine Stimme direkt neben ihr.
Nur war das nicht die von Will.
Sie drehte sich um und sah Chris Wickes, der aus den Schatten auf sie zukam.
Er legte einen Arm um sie und küsste sie sanft auf die Wange.
Obwohl ihr nicht kalt war, erschauderte Lauren.
»Du rauchst also immer noch?«, fragte sie, denn sie konnte es an seinem Atem riechen.
»Wieso nicht?«, entgegnete er mit seinem Killerlächeln. »Die Drogen bringen mich sowieso zuerst um.«
»Früher haben wir immer davon gesprochen, dass du bei einer Kneipenprügelei draufgehen würdest, bevor dich irgendwas anderes umbringen kann.«
»Netter Witz.«
»Das war von uns nicht als Witz gemeint.«
Er ließ sich auf der Terrassenbrüstung nieder, sodass das Licht aus dem Haus auf sein Gesicht fiel. Wie Lauren feststellte, war er stark gealtert: Er hatte einige Falten, und die für ihn typischen Stoppeln am Kinn waren inzwischen grau. Sein langes Haar war immer noch dunkel, jedoch von grauen Strähnen durchzogen.
Aber seine Augen waren dieselben geblieben. Lauren liebte seine Augen. Sie waren dunkel und kalt, als wäre er permanent wütend. Und unsagbar tief.
»Will hat mir erzählt, dass ihr Kinder habt«, sagte Chris.
»Zwei Jungen. Inzwischen sind sie Teenager.«
»Anstrengend, möchte ich wetten.«
»Kann man wohl sagen! Und was ist mit dir?«
»Oh, frei und ungebunden.«
Lauren blickte sich um, weil ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie hier ganz allein waren.
»Wo ist Will eigentlich?«
»Im Studio. Er plant zusammen mit Alex die Tour. Und mit Carlton.«
»Carlton Flame? Dieses Schlitzohr«, sagte Lauren. »Ich hätte mir denken müssen, dass er hier sein würde.«
»Rein rechtlich sind wir noch bei Carlton unter Vertrag. Und glaub mir: Diese Typen sind alle Schlitzohren.«
»Und er will seine zehn Prozent im Auge behalten, was?«
»Zwanzig.«
»Autsch! Kein Wunder, dass Will und ich nie einen Penny gesehen haben. Also, wer wühlt in den Eingeweiden?«
»Bloß Nick.«
»Ah, dann ist er also gekommen.«
»Dachtest du, er würde nicht?«
Wieder blickte Lauren sich um. Dann setzte sie sich neben Chris.
Auf einmal war es, als wären sie wieder in der Vergangenheit, in ihrer eigenen Geschichte.
Genauso hatten sie vor langer Zeit schon einmal zusammengesessen, bevor alles passierte und die Welt für Lizard auf den Kopf gestellt wurde.
Das war auf der Kinderschaukel im Garten von Chris’ Mum in Cherringham gewesen, an einem Frühsommerabend wie heute.
Sie beide waren im letzten Schuljahr gewesen, hatten die Abschlussprüfungen und eine unbekannte Zukunft vor sich, in der noch alle Möglichkeiten offenstanden.
So wie jetzt. Nur sie beide.
»Ich dachte, dass er klüger ist«, erwiderte Lauren.
»Von wegen! Er braucht das Geld! So wie wir alle. Mit Plattenverkäufen verdient man nichts mehr und mit den bescheuerten Downloads erst recht nicht. Wenn man Kohle machen will, muss man wieder auf Tour gehen.«
»Also willst du es durchziehen?«
»Klar.«
»Warum bist du dann nicht bei der Besprechung?«
»Kurze Auszeit. Wurde mir ein bisschen zu heftig da drin.« Er grinste. »Ein Haufen ungelöster Probleme … falls du verstehst, was ich meine.«
Lauren musste schmunzeln. »Und ich dachte immer, du magst Auseinandersetzungen.«
»Ist nicht mein Streit. Oder wie heißt es noch? Ist nicht meine Baustelle.«
»Und wessen Baustelle ist es?«
»Rate mal.«
»Die von Alex und Nick?«
»Bingo! Die gehen sich an die Gurgel, als hätten wir 1994.«
»Und worum kloppen sie sich?«
»Um mich«, antwortete eine Frauenstimme von der Seite.
Lauren schaute auf zu der Silhouette einer jungen Frau, eingerahmt vom Fackelschein.
»Ich bin Sarinda«, stellte sie sich vor und kam näher.
Lauren musterte sie.
Diese Sarinda …
Sie trug einen superwinzigen Minirock und klobige Plateauschuhe, die sie mindestens fünfzehn Zentimeter größer machten, als sie tatsächlich war.
Kleine Diamanten glitzerten an ihrem nackten Bauch, an der Nase und den Ohren. Im Gesicht hatte sie ein Party-Tattoo: eine leuchtend rote Rose, von der ein einzelner Blutstropfen fiel.
Was auch immer das bedeuten soll!
Sie konnte unmöglich älter als siebzehn sein – wenn überhaupt! Was machte das Mädchen hier?
Wir sind alt genug, um deine Eltern zu sein, Kind, dachte Lauren.
»Da macht sich dein Alter bemerkbar«, sagte Chris. »Hast du noch nie von Sarinda gehört?«
Lauren zuckte mit den Schultern. »Bedaure, Schätzchen, ich habe keine Ahnung.«
»Ich bin Sängerin«, verkündete Sarinda.
»Und nicht irgendeine Sängerin«, ergänzte Chris. »Sarinda hat ihren eigenen YouTube-Kanal. Die Queen der Streams, nicht wahr?«
»Ich habe bloß das Glück, wunderbare Fans zu haben«, antwortete Sarinda. »Ohne sie bin ich nichts.«
Hört sich an, als hätte sie den Satz auswendig gelernt.
»Schön für dich«, sagte Lauren. »Aber wo ist die Verbindung zu Alex?«
»Die gibt es nicht. Ich bin mit Nick hier.«
»Ah«, entfuhr es Lauren.
»Bist du mit Chris zusammen?«, erkundigte sich Sarinda.
»Oh Gott, nein!« Lauren lachte und sah Chris an.
Doch der lachte nicht.
»Ich bin Lauren Dumford, die Frau von Will.«
»Oh«, sagte das Mädchen. »Will … ist der …?«
»Unser Drummer«, erklärte Chris. »Und damals war er ein verflucht guter Drummer.«
Sogar in der Dunkelheit konnte Lauren erkennen, dass das Mädchen seine Miene veränderte. War das … ein Ausdruck von Mitleid?
Lauren starrte Sarinda an. Sie hatte keinen Schimmer, was das alles zu bedeuten hatte.
War dieses junge Ding auch Nicks Freundin? Und, wichtiger noch, gefährdete sie die Wiedervereinigung der Band?
Verlegenes Schweigen trat ein. Lauren bemerkte, wie Sarinda wegsah, als wollte sie sich nach etwas Spannenderem als diesen beiden alten Leuten umsehen, denen sie über den Weg gelaufen war.
»Tja, ähm, war nett mit euch«, sagte sie mit einem kurzen, angedeuteten Lächeln, drehte sich um und verschwand wieder in der Menge.
»Verwirrt?«, fragte Chris.
»Total. Sollte sie nicht lieber für ihre Abiturprüfungen büffeln, statt mit einem Haufen Altrocker Party zu machen?«
Chris nickte lächelnd. »Komm, holen wir uns was zu trinken. Und dann erkläre ich dir alles.«
Mit diesen Worten legte er einen Arm um sie und führte sie weg.
Alex King schob die Tür zum Schwimmbad auf und blickte sich um.
Es dauerte eine Minute, bis sich seine Augen – nach dem hellen Licht draußen auf der Terrasse – an die Dunkelheit hier drinnen gewöhnt hatten. Einige Kerzen brannten flackernd am Beckenrand, deren Flammen sich im leicht dampfenden Wasser spiegelten.
Aus den Lautsprechern kamen ruhige Ibiza-Klänge.
Das traditionelle Café del Mar?
Geiler Stoff.
Das Schwimmbad schien leer zu sein.
Ein Segen!
Im Moment sind alle mehr daran interessiert, high zu werden, als zu schwimmen, dachte er.
Normalerweise würde er jetzt dabei mitmachen, aber für heute hatte er schon genug geraucht und geschnupft.
Und er wollte einen halbwegs klaren Kopf haben, wenn er über die neue Tour redete.
Das Ziel war, die Band wieder zusammenzubringen.
Eine kurze Schwimmrunde würde ihm helfen, wieder richtig klar im Kopf zu werden.
Er konnte gerade nach das ferne Wummern der Tanzmusik aus dem Haus hören. Hier jedoch war alles so beruhigend.
Genau das Richtige nach dem Zoff mit Nick!
So viel zum Schwelgen in alten Erinnerungen.
Alex sah hinüber zur Sauna und dem Dampfbad, doch dort war alles dunkel.
Er hatte den Pool für sich.
Vorerst jedenfalls.
Und nicht allzu lange, hoffte er. Er nahm sein Telefon hervor und sah auf die SMS, die er bekommen hatte, als er an der Bar gewesen war.
Ein Treffen hier unten.
Kein Name zu der Nummer.
Aber es war ein Angebot, das er unmöglich ablehnen konnte …
Wer ihm die Nachricht geschickt hatte, wusste er nicht.
Allerdings konnte er es sich denken.
Er war wütend, weil das Meeting kaum schlechter hätte laufen können. Nick, Will, Carlton und sogar Chris – sie alle schienen ihn zu hassen.
Warum nur?
Er hatte sie doch ganz nach oben gebracht.
Wie hatte Lennon es noch genannt?
Direkt zu den »Toppermost of the poppermost«.
Sie alle. Und jetzt war er bereit, sie dahin zurückzubringen.
Die hatten ja keinen blassen Schimmer. Sie ahnten nicht mal im Ansatz, wie schwer es für ihn damals gewesen war, die Band am Laufen zu halten, einen Hit nach dem anderen zu liefern.
Oder wie schwer es jetzt würde, wieder eine Show auf die Bühne zu bringen.
Und trotzdem taten sie, als wollten sie ihn allesamt sabotieren.
Dieses Schwein Nick. Er wird noch alles kaputtmachen, selbstsüchtig, wie er ist.
Hängt sich an einem einzigen beschissenen Song auf, um die ganzen Tour-Pläne zu versauen …
Alex holte tief Luft und ermahnte sich, locker zu werden. Er würde es schon schaffen, alles zu regeln.
Auf dem Weg zum Revival ist mit ein paar Stolpersteinen zu rechnen gewesen.
Er schwankte leicht.
Dann ging er hinüber zu einer der Liegen und zog sich aus.
Nackt drehte er sich um und schritt zu den Stufen, die ins flache Ende des beheizten Pools führten. Sobald er bis zu den Hüften im warmen Wasser war, atmete er einmal tief ein und tauchte unter.
Er fühlte, wie ihn das Wasser, einem Mutterschoß gleich, umfing.
Bei ausgeschalteter Poolbeleuchtung war es, als würde man im Weltraum schwimmen, in der Unendlichkeit.
Als er beinahe den Boden berührte, machte er ein paar kräftige Schwimmbewegungen mit den Beinen, um an das tiefe Ende des Pools zu gelangen.
Er würde eine Bahn unter Wasser schwimmen.
Nur eine.
So bekifft wie jetzt war er noch nie zuvor geschwommen.
Fühlt sich an wie Magie.
Er zog sich mit gleitenden Armen und tretenden Füßen durch das Wasser.
Ich bin ein Delphin, dachte er. Ein Tümmler.
Ein Hai.
Seine Finger berührten die Beckenwand, und er begann aufzutauchen.
Er brauchte Luft.
Doch anstatt durch die Wasseroberfläche zu brechen, spürte er eine Kraft, die ihn nach unten drückte.
Nein, nicht irgendeine Kraft – eine Hand!
Jemand drückte ihn unter Wasser. Er trat und fuchtelte mit den Händen. Das war doch verrückt!
Sein Kopf tauchte als Erstes aus dem Wasser auf. Er rang nach Luft, aber etwas zwang ihn gleich wieder nach unten, und jetzt atmete er Wasser anstelle von Luft ein.
Das ist völlig falsch …
Er hustete, nur drang dabei noch mehr Wasser in seine Lunge. Er spürte Panik in sich aufsteigen und überlegte, was er tun sollte.
Wie er entkommen sollte …
Leider machte das Gras ihn langsamer, sodass sich seine Arme und Beine nur mit halber Geschwindigkeit bewegten. Er hatte keine Kraft, atmete wieder ein, und jetzt waren seine Lungen voller Wasser.
Feuerwerk blitzte vor seinen Augen auf.
Er musste ganz dringend Luft atmen.
Dann setzte Frieden ein … Stille.
Das ist okay.
So soll es sein.
Kein Kämpfen mehr. Nur dieses … Treiben.
Er fühlte, wie die Hand von seinem Kopf wich, als er nach unten sank. Nicht nach oben trieb er, sondern nach unten – zum Grund des Pools, ins schwarze, schwarze Wasser.
Jack brachte vorsichtig eine neue Fliege an seiner Angelschnur an.
Er war es eher gewohnt, dicke, blutige Brocken von Ketalachs auf einen kräftigen Haken zu stecken und hinaus auf den Atlantik zu fahren, wenn die Blaubarschschwärme kamen.
Dies hier war dagegen echte Feinarbeit.
Aber verblüffenderweise war er mittlerweile recht gut darin.
»Siehst du, Riley, der Trick besteht darin, darauf zu achten, dass die Fliege den Haken vollständig vor dem Fisch verbirgt.«
Riley saß ihm zu Füßen und fixierte die Hände von Jack, der unterdessen den Faden um die Fliege wickelte und sicherstellte, dass sie fest am Haken blieb.
Bis das Ganze schließlich einem fliegenden Insekt ähnelte, das eine hungrige Forelle gern zum Mittagessen vernaschen würde.
Riley stellte den Kopf schief.
Natürlich beobachtete er immer alles, was Jack tat.
Er war der Inbegriff eines treuen Hundes, und mehr noch – des besten Freundes eines Menschen.
Allerdings war Jack nicht allein auf die treue Freundschaft von Riley angewiesen.
Eigenartig, wie sich das Leben verändern kann, selbst wenn man schon eine ganze Weile auf dem Planeten unterwegs ist.
»Das hätten wir, Riley. Was meinst du?«
Er hielt Riley die befestigte Fliege hin.
Und Jack hätte schwören können, dass sein Springer Spaniel ein ganz klein wenig nickte.
»Gut. Freut mich, dass es dir gefällt. Nun zum Wurf.«
Hierfür holte Jack sich seinen Stuhl heran, wobei sowohl der Holzstuhl als auch die Deckdielen der Grey Goose knarzten.
Alles ein bisschen mürbe.
Fast so wie ich, dachte er.
Das Auswerfen der Angel war noch so eine Fertigkeit, die Jack sich hatte mühsam aneignen müssen.
Er ließ nun die Angelschnur in hohem Bogen durch die Luft schwirren und beobachtete, wie die Fliege in ausreichend großer Entfernung auf dem Wasser aufkam und, nach Jacks Eindruck, das richtige winzige Platschen verursachte, um wie ein landendes Insekt zu wirken.
Aber er wartete vergeblich; und auch nach mehreren weiteren Versuchen – die Schnur ruckartig in Richtung Goose einziehen – war kein Fisch zu sehen, der nach dem Köder schnappte.
Jack wiederholte laut das Mantra, von dem er vermutete, dass es die Leute wahrscheinlich trösten sollte, solange es Wasser, Angelruten und sonnige Morgen gab.
»Hmm, vielleicht beißen sie heute nicht.«
Auch Riley hatte den Blick stur auf den Fluss gerichtet. Eine leichte Brise drückte ihm die Ohren nach hinten.
Wenn dieser Angelversuch vorüber war, würde es Zeit sein, ausgiebig mit dem Hund spazieren zu gehen.
Riley liebte seine Ausflüge von der Goose aus, vor allem das Flitzen über die Wiesen.
Jack zog seine Angelschnur wieder ein. Und bevor er sie das nächste Mal auswarf, griff er nach unten und trank einen Schluck von seinem inzwischen lauwarmen Kaffee.
Dieser Tage war es morgens noch kühl, deshalb trug Jack eine abgewetzte alte Karojacke mit Lederkragen. Die hielt ihn hinreichend warm.
»Okay«, sagte er zu seinem Hund. »Noch ein Versuch an einer anderen Stelle, was, Junge? Da drüben zum Beispiel …«
Er warf die Angelschnur aus dem Handgelenk, worauf sie dahinflog – viel, viel langsamer als beim Tiefseefischen, wo die großen Fische zig Meter weiter unten warteten.
Hier jedoch schwammen die Fische direkt unter der Oberfläche: falls sie denn überhaupt hier waren.
Die Fliege kam auf dem Wasser auf.
Wieder kräuselte es sich ein wenig, und dann lag die Fliege auf der Wasseroberfläche und wartete geduldig.
Und plötzlich verschwand sie blitzartig.
Die Schnur begann sich abzuwickeln, und die Spule surrte leise.
Jack lachte. »Wow! Ich glaube, da hat jemand angebissen.«
Jetzt kam noch ein heikler Teil, denn Jack musste den Fisch zum Umkehren bringen, ihn noch ein wenig kämpfen lassen, während er ständig die Schnur einholte.
Jack holte einmal Luft. Wie alle guten Dinge erforderte auch dies hier Geduld.
Und die hatte Jack, bis schließlich der Fisch direkt unter ihm war, wild umherzappelte und dadurch Wellen auf dem Fluss erzeugte, die im Morgenlicht silbrig glänzten.
Jack nahm eine Hand von der Angel und griff nach seinem Kescher. Riley hatte seine Nase über die Reling gebeugt und sah hinunter zu dem unwilligen »Gast«, der gleich an Bord gebracht werden sollte.
Als der Kescher bereit war, holte Jack die Schnur weiter ein.
Der Fisch zappelte weiter, schlug mit dem Schwanz nach links und rechts in die Luft; doch am Ende war die Forelle, die eine recht beachtliche Größe besaß, über die Reling hinweggehoben. Selbst wenn sie jetzt noch vom Haken springen würde, fiele sie auf das Deck, und Jack hätte immer noch ein hübsches Mittagessen.
Aber sie blieb am Haken, und Jack hielt den Kescher unter sie.
»Hey, nicht schlecht, was, Riley? Ich würde sagen, wir haben hier ein sehr hübsches …«
Er sprach den Satz nicht zu Ende, denn in diesem Moment rief jemand von der anderen Seite der Goose, die dort an den Holzbohlen vertäut war.
»Jack Brennan? Mr Brennan?«
Eine recht laute Stimme.
Riley kläffte keine Leute an, was eine der Eigenschaften war, die Jack an seinem Springer Spaniel wirklich zu schätzen wusste. Der Hund verhielt sich klug, wenn laute Geräusche zu hören waren.
Und so drehte sich Riley jetzt nur zum Bug um – in die Richtung, aus der die Rufe kamen.
»Wie es aussieht, haben wir Besuch«, sagte Jack.
Und nachdem er sich gerade so viel Zeit genommen hatte, um den Fisch vom Haken zu holen, ging Jack mit der Forelle im Kescher zum Bug und schaute nach, wer so früh an diesem kühlen Frühlingsmorgen zur Grey Goose kam.
Jack, der immer noch den Kescher mit seinem Fang in der Hand hielt, blickte hinunter zu einem Mann, der im Sonnenlicht zum Deck der Goose hinaufblinzelte.
»Jack Brennan?«
»Ja?«
Der Mann sah wie ein Farmer aus: Jeans, kräftige Statur, grauer Pullover, Mütze, Mitte vierzig. Niemand, den Jack kannte.
Ein kleiner Schmerbauch, über dem sich der Pullover spannte.
Aber nichts an dem Mann hätte Jack veranlasst, ihn in einer Menschenmenge sonderlich zur Kenntnis zu nehmen.
»Ich bin Will Dumford, und mein Freund Pete hat vorgeschlagen … na ja, ähm, dass ich mal zu Ihnen gehe.«
»Pete?«
»Sie wissen schon: Pete Butterworth. Ihm gehört die Farm, auf der sie damals die römische Platte gefunden haben, die …«
Jack lachte. »Oh ja! Das war eine ziemliche Entdeckung …«
Und ein versuchter Diebstahl, erinnerte Jack sich.
»Ähm, ja. Er hat gesagt, Sie waren eine große Hilfe, und, na ja … Darf ich vielleicht an Bord kommen und kurz mit Ihnen reden?«
Jack blickte zu seinem Kescher. Er musste diesen Fisch zubereiten.
Und jetzt, angesichts der Ankunft dieses Mannes, hatte er heute voraussichtlich noch etwas anderes vor.
»Klar. Ich wollte gerade noch mal Kaffee kochen. Kommen Sie rauf.«
Jack drehte sich um und ging durchs Brückenhaus nach unten in den Wohnbereich seines Kahns, während der Mann über die wacklige Planke an Bord kam.
»Ist der Kaffee in Ordnung?«, fragte Jack.
»Sehr gut. Meine Frau – meine Lauren – macht ihn nie stark genug.«
Jack nickte. »Ja, kenne ich. In den vielen Jahren, die ich morgens bei den Coffee-Shops hielt, habe ich gelernt, meinen morgendlichen Kaffee so schwarz und stark zu mögen, wie es nur geht.«
Er trank einen Schluck.
Dann wartete er darauf, dass Will ihm den Grund seines Besuchs nannte. Der Mann war sichtlich nervös: Er hielt den Edelstahlbecher mit beiden Händen krampfhaft umklammert, und ständig schaute er sich im dämmrig beleuchteten Wohnraum des Boots um und rutschte auf seinem Platz hin und her.
Worum es hier auch gehen mochte, es fiel ihm nicht leicht, darüber zu sprechen.
Jack warf ihm eine Rettungsleine zu. »Pete sagte also, Sie sollten mal mit mir sprechen?«
Will nickte, entließ den Becher aus seinem Klammergriff und beugte sich vor. »Also, Jack, vor ein paar Tagen war doch diese große Fete. Die Party bei Alex King.«
»Alex King?«
»Sie wissen schon – der Bandleader, der Sänger von Lizard?«
Jack wusste es nicht.
Vielleicht hatte es die Gruppe nie über den großen Teich geschafft. Und außerdem hatte Jack sich schon keine Mühe mehr gegeben, in Sachen Rock ’n’ Roll auf dem Laufenden zu bleiben, seit die Siebziger in einen Nebel von Glitzer und Grunge übergegangen waren.
Diesen ganzen Kram – die Pyrotechnik, die großen Shows, die sonderbaren Kleider und Kostümierungen – überließ er lieber den Teenagern.
Derweil schätzte Jack es, hin und wieder in die Met zu gehen.
»Die Band war groß, sagen Sie?«
»Wir waren riesig.«
Jack stutzte. Wir?
Dieser Will sah wahrlich nicht wie ein ehemaliger Rockstar aus.
»Gehörten Sie auch zu dieser Gruppe – Lizard?«
Will nickte lächelnd. »Ich war der Drummer. Damals sah ich natürlich noch ein bisschen anders aus. Und als alles vorbei schien, Alben nie fertig und Touren abgesagt wurden, gingen sich alle gegenseitig an die Gurgel. Na ja, meine Lauren und ich haben uns ein anderes Leben hier in Cherringham aufgebaut.«
Das konnte Jack gut verstehen.
Aber er hatte immer noch keine Ahnung, warum der Mann hier war.
Riley stand inzwischen an der Treppe zum Brückenhaus und wartete auf seinen überfälligen Spaziergang.
»Übrigens wollte ich gerade mit Riley los. Er läuft gern über die Wiesen und jagt ein bisschen … Möchten Sie vielleicht mitkommen? Dann können wir unterwegs weiterreden.«
Will nickte. »Ja, und danke, ich meine … Also, was ich denke, könnte sich verrückt anhören.«
Jack stand auf und nahm seine Jacke von der Stuhllehne.
»Da seien Sie sich mal nicht zu sicher. Ich habe schon eine Menge verrückte Sachen gehört, und die entpuppten sich am Ende als überhaupt nicht verrückt.«
Er ging mit Will Dumford nach oben und verließ mit ihm die Goose. Prompt flitzte Riley los und scheuchte schläfrige Wachteln auf.
Jack führte Will einen sich schlängelnden Pfad entlang, der zwischen kniehohem Gras verlief und auf dem man zum anderen Ende der Wiese gelangte, wo die alte Kirche stand. Das Gemäuer mochte verfallen sein, würde aber wohl noch einige Jahrhunderte durchhalten, selbst ohne den Zehnten der Gemeindemitglieder.
Wills Geschichte von der Party und sein Verdacht klangen zunächst weit hergeholt.
Doch je länger Jack seinen Wandergefährten ausfragte, desto unsicherer wurde er, wie weit hergeholt der Verdacht wirklich war.
»Die Polizei hat die üblichen Befragungen und Ermittlungen durchgeführt?«
Will nickte. »Ja. Ich meine, Alex’ Frau, Gail King, erzählte mir, dass die den ganzen Tag dort waren, und bei mir und den anderen Jungs waren sie auch. Dann hat Alan … Sie kennen doch bestimmt den hiesigen Polizisten, Alan Rivers?«
»Ja, sehr gut sogar.«
»Also, er hat Gail erzählt, dass die Spurensicherung denkt, dass es schlicht und ergreifend ein Unfall war. Da ist halt jemand spätabends schwimmen gegangen … oder vielmehr frühmorgens. Und sie haben alle möglichen Drogen bei Alex gefunden, einschließlich verschreibungspflichtiger Medikamente.«
»Und die anderen Stoffe waren alles andere als verschreibungspflichtige Arznei?«
Will nickte. »Was mich angeht – ich habe vor Jahrzehnten mit dem Zeug aufgehört. Wie gesagt, ich habe mir ein neues Leben aufgebaut.«
Jack fiel es immer noch schwer, sich Will als ehemaligen Rocker und wilden Partyhengst vorzustellen.
»Ein Unfall also?«
»Das behaupten sie jedenfalls.«
»Wie bei Brian Jones?«, hakte Jack nach.
»Hmm?«
»Sie wissen schon: der Stones-Gitarrist, der ursprüngliche Bandleader. Er starb in seinem Pool.«
Wieder nickte Will.
Das ist offensichtlich vor seiner Zeit passiert, dachte Jack. Er erinnerte sich, dass damals einige Theorien kursierten, denen zufolge es sich bei Jones’ Ertrinken nicht um einen Unfall gehandelt hatte.
Jack blieb stehen.
Riley kam zu ihm zurückgerannt, sah ihn an und preschte wieder davon.
Doch bald würde selbst Riley geschafft sein und zu seinem Nickerchen auf dem Achterdeck der Goose wollen, wo sein Hundekissen in der Sonne lag.
»Und das macht Ihnen Sorge?«
»Ja«, antwortete Will. »Ich meine, an dem Abend schien alles schiefzugehen. Wir wollten die Gigs planen, wieder loslegen. Aber alle bekamen sich in die Wolle, wie in den alten Zeiten. Vor allem Nick und Alex. Und Chris Wickes verschwand wie üblich.«
Bei diesen Informationen wurde Jack augenblicklich neugierig.
Auf all diese Leute.
Trotzdem behielt er seine Verdachtsmomente für sich … vorerst.
»Und diese Sarinda, eigentlich noch ein Kind, stolzierte da rum, als wäre sie eine Art Teenager-Rockgöttin«, schilderte Will.
»Von der Sie weniger beeindruckt waren?«
»Sie ist ein Kunstprodukt von Nick.«
»Und ging es bei dem Streit um sie?«
»Alex sagte, Nick hätte sie nicht mitbringen dürfen. Er meinte, die beiden hätten ihn abgezockt, und er könnte es beweisen.«
»Wissen Sie, was er damit meinte?«
»Nein.«
»Es kam sicher nicht gut an.«
»Absolut nicht! Dann ging es richtig los, und alle haben herumgebrüllt.«
Jack blickte in die Ferne und dachte nach: über die Beteiligten, den Abend, die Drogen, das Mädchen.
Die Anschuldigungen.
Die Anspannung.
Dann wandte er sich wieder zu Will um. »War Ihre Frau auch dort?«
Will bejahte stumm.
Ein bisschen zu schnell, wie Jack fand.
Der Ex-Drummer lächelte. »Sie hatte sich richtig auf die Party gefreut. Hatte sich mächtig aufgetakelt und war ganz aufgeregt, dass wieder eine Tour geplant wurde.«
»Was jetzt vorbei ist?«
Erstaunlicherweise schüttelte Will den Kopf. »Nein, und das ist es ja eben, Jack. Es ist ein Auftritt zum Gedenken an Alex geplant, unten im Ploughman, gleich nach der Trauerfeier an diesem Samstag! Und später soll es noch eine Tour geben, als hätte sich nichts geändert!«
»Dabei hat es das für Sie, nicht?«
»Tja, ich bin nur ein normaler Typ, habe mein kleines Geschäft auf dem Land, kümmere mich um die Farmer in der Gegend. Das ist ein gutes Leben. Ein ehrliches Leben. Und irgendwas an dieser Geschichte kommt mir falsch vor. Verstehen Sie, was ich meine? Ich kannte Alex. Er wäre niemals total zugedröhnt in seinen Pool gegangen. Der Mann hatte einen ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb. Man wird kein alter Rocker wie Alex, wenn man nicht ein paar Überlebenstricks draufhat.«
»Nicht so leicht totzukriegen, was?«
»Genau, so wie ich auf meine Art auch. Ich versuche, mein Leben – zumindest den Rest davon – anständig zu leben, mit gewissen … ich weiß nicht … Werten? Um meiner Kinder willen. Und für meinen eigenen Seelenfrieden.«
Jack dachte an seinen Fisch, der auf einem Teller in seinem Kühlschrank darauf wartete, entschuppt und filetiert zu werden.
»Und die Sache hier stinkt, denken Sie?«
»Ja, genau das denke ich. Vielleicht bin ich ja auch bloß bescheuert.«
»Aber vielleicht auch nicht, Will. Ich arbeite gewöhnlich mit jemandem zusammen …«
»Ja, diese Sarah, klar doch. Meine Frau kennt sie, glaube ich.«
»Stimmt. Daher würde ich das gerne mit ihr besprechen. Es könnte sein, dass wir noch mal mit Ihnen reden müssen. Und wir müssen natürlich mit der Band sprechen, falls sie denn mit uns reden wollen. Mich würde interessieren, was die anderen denken.«
»Dann sehen Sie sich die Sache an?«
Jack nickte. »Wie es sich anhört, gibt es gleich einen ganzen Haufen ›Motive‹, würde ich sagen. Dennoch könnte es sich als tragischer Unfall am Ende einer langen Nacht herausstellen.«
Vielleicht, vielleicht aber auch nicht, dachte Jack.
Plötzlich ergriff Will seine Hand und schüttelte sie. »Danke! Ich kann ehrlich besser schlafen, wenn ich weiß, dass Sie sich die Geschichte mal ansehen. Die Trauerfeier ist in wenigen Tagen, hier in St. James, und da werden alle dabei sein. Wie Sie schon sagten, es könnte auch nichts dahinterstecken.«
Jack pfiff nach Riley, um mit ihm zurückzukehren.
»Oder es könnte doch etwas dahinterstecken«, ergänzte er.
Und mit Riley dicht auf den Fersen, der von den vielen Sprints mächtig hechelte, ging Jack zurück zur Grey Goose.
Es wurde Zeit, seine gute Freundin anzurufen.
Beim ersten Mal fuhr Sarah glatt an dem Schotterweg vorbei, der tief in den Wald und über einige Hügel führte.
Ist Jack etwa mit seinem Sprite da raufgefahren?, fragte sie sich. Das nenne ich mal mutig.