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Very British - drei England-Krimis in einem Band!
Diese E-Book-Sonderausgabe beinhaltet die Fälle 28 - 30 der Cosy-Crime-Serie "Cherringham - Landluft kann tödlich sein" - ein Muss für Fans von Miss Marple und Sherlock Holmes!
Folge 28: Das "Spotted Pig" bekommt Konkurrenz! Bislang unangefochten das beste Restaurant in Cherringham verspricht das neu eröffnete "Bayleaf" nun ebenfalls ganz besondere Gaumenfreuden - und das mit einer sternegekrönten amerikanischen Küchenchefin. Doch dann wird das Bayleaf Ziel immer dreisterer Anschläge und aus der belebenden Konkurrenz wird eine verhängnisvolle Feindschaft. Jack und Sarah wollen herausfinden, was und vor allem wer hinter den Angriffen auf das neue Spitzenrestaurant steckt. Und entdecken, dass Küchenchefin Anna ein dunkles Geheimnis mit nach Cherringham gebracht hat, das nicht nur sie in Gefahr bringt ...
Folge 29: Als Charlie Clutterbucks Leiche in der Themse gefunden wird, überrascht das zunächst niemanden: Der Überlebenskünstler wohnte auf einem heruntergekommenen Hausboot, hatte ein Händchen dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen und schaute häufig zu tief ins Glas. Doch Charlies Kumpel Ray ist sich sicher: Charlie hatte keinen Unfall - es war Mord. Er bittet seinen Nachbarn Jack um Hilfe. Gemeinsam mit Sarah trifft dieser bei seinen Ermittlungen auf eine ganze Reihe zwielichtiger Gestalten, die mit Charlie eine Rechnung offen hatten. Doch für die Lösung des Falls müssen die beiden in noch viel tiefere Abgründe blicken ...
Folge 30: Bernard Mandeville liebt Züge. Jeden Sonntag kauft der elegante ältere Herr ein Ticket für die Great Cotswold's Dampfeisenbahn. Und jedes Mal nimmt er im Erste-Klasse-Abteil Platz und genießt die Fahrt in dem prächtigen Museumszug. Doch an diesem einen Sonntag geschieht etwas Merkwürdiges: Bernard verschwindet spurlos ... und die Zeugen sind sich sicher, dass der alte Herr den Zug nie verlassen hat! Die Familie engagiert Sarah und Jack, um nach dem vermissten Bernard zu suchen. Wurde er entführt? Die beiden Ermittler sind entschlossen, das Rätsel um den verschwunden Gentleman zu lösen, doch ihre Zugfahrt in der historischen Bahn birgt eine Menge Überraschungen ...
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Seitenzahl: 447
Cover
Folgenübersicht der Sammelbände
Weitere Serien der Autoren
Über diesen Sammelband
Über die Autoren
Sammelband X
Impressum
Ein Menü zum Sterben
Tod in der Themse
Ein Gentleman verschwindet
»Cherringham – Landluft kann tödlich sein« – Diese Fälle haben Jack und Sarah bereits gelöst:
Sammelband I – Folge 1–3: Mord an der Themse, Das Geheimnis von Mogdon Manor, Mord im Mondschein
Sammelband II – Folge 4–6: Die Nacht der Langfinger, Letzter Zug nach London, Die verfluchte Farm
Sammelband III – Folge 7–9: Die Leiche im See, Ein frostiges Verbrechen, Totentheater
Sammelband IV – Folge 10–12: Tödliche Beichte, Spuren an Deck, Verhängnisvolle Sommernacht
Sammelband V – Folge 13–15: Morden will gelernt sein, Die Legende von Combe Castle, Ein fataler Fall
Sammelband VI – Folge 16–18: Das letzte Rätsel, Gefährlicher Erfolg, Der verschwundene Tourist
Sammelband VII – Folge 19–21: Spur aus der Vergangenheit, Ein rätselhafter Einbruch, Ein schmutziges Geschäft
Sammelband VIII – Folge 22–24: Tödliche Melodie, Eine schlechte Partie, Ein Trauerfall in der Familie
Sammelband IX – Folge 25–27: Ungebetene Gäste, Mord in heller Nacht, Tod zur Geisterstunde
Und in Romanlänge: Tiefer Grund, Kalte Schuld
Mydworth. Ein Fall für Lord und Lady Mortimer
Folge 1: Bei Ankunft Mord
Folge 2: Tod im Mondschein
Folge 3: Spur nach London
Folge 4: Mord beim Maskenball
Folge 5: Tödliche Fracht
Folge 6: Countdown im Cockpit
Ein Menü zum SterbenDas »Spotted Pig« bekommt Konkurrenz! Bislang unangefochten das beste Restaurant in Cherringham verspricht das neu eröffnete »Bayleaf« nun ebenfalls ganz besondere Gaumenfreuden – und das mit einer sternegekrönten amerikanischen Küchenchefin. Doch dann wird das Bayleaf Ziel immer dreisterer Anschläge und aus der belebenden Konkurrenz wird eine verhängnisvolle Feindschaft. Jack und Sarah wollen herausfinden, was und vor allem wer hinter den Angriffen auf das neue Spitzenrestaurant steckt. Und entdecken, dass Küchenchefin Anna ein dunkles Geheimnis mit nach Cherringham gebracht hat, das nicht nur sie in Gefahr bringt …
Tod in der ThemseAls Charlie Clutterbucks Leiche in der Themse gefunden wird, überrascht das zunächst niemanden: Der Überlebenskünstler wohnte auf einem heruntergekommenen Hausboot, hatte ein Händchen dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen und schaute häufig zu tief ins Glas. Doch Charlies Kumpel Ray ist sich sicher: Charlie hatte keinen Unfall – es war Mord. Er bittet seinen Nachbarn Jack um Hilfe. Gemeinsam mit Sarah trifft dieser bei seinen Ermittlungen auf eine ganze Reihe zwielichtiger Gestalten, die mit Charlie eine Rechnung offen hatten. Doch für die Lösung des Falls müssen die beiden in noch viel tiefere Abgründe blicken …
Ein Gentleman verschwindetBernard Mandeville liebt Züge. Jeden Sonntag kauft der elegante ältere Herr ein Ticket für die Great Cotswold’s Dampfeisenbahn. Und jedes Mal nimmt er im Erste-Klasse-Abteil Platz und genießt die Fahrt in dem prächtigen Museumszug. Doch an diesem einen Sonntag geschieht etwas Merkwürdiges: Bernard verschwindet spurlos … und die Zeugen sind sich sicher, dass der alte Herr den Zug nie verlassen hat! Die Familie engagiert Sarah und Jack, um nach dem vermissten Bernard zu suchen. Wurde er entführt? Die beiden Ermittler sind entschlossen, das Rätsel um den verschwunden Gentleman zu lösen, doch ihre Zugfahrt in der historischen Bahn birgt eine Menge Überraschungen …
Matthew Costello ist Autor erfolgreicher Romane wie Vacation (2011), Home (2014) und Beneath Still Waters (1989), der sogar verfilmt wurde. Er schrieb für verschiedene Fernsehsender wie die BBC und hat dutzende Computer- und Videospiele gestaltet, von denen The 7th Guest, Doom 3, Rage und Pirates of the Caribbean besonders erfolgreich waren. Er lebt in den USA.
Neil Richards hat als Produzent und Autor für Film und Fernsehen gearbeitet sowie Drehbücher für die BBC, Disney und andere Sender verfasst, für die er bereits mehrfach für den BAFTA nominiert wurde. Für mehr als zwanzig Videospiele hat der Brite Drehbuch und Erzählung geschrieben, u.a. The Da Vinci Code und, gemeinsam mit Douglas Adams, Starship Titanic. Darüber hinaus berät er weltweit zum Thema Storytelling. Bereits seit den späten 90er Jahren schreibt er zusammen mit Matt Costello Texte, bislang allerdings nur fürs Fernsehen.
Cherringham ist die erste Krimiserie des Autorenteams in Buchform; inzwischen schreiben sie außerdem regelmäßig Fälle für ihre neue historische Cosy Crime-Serie »Mydworth. Ein Fall für Lord und Lady Mortimer«.
Matthew CostelloNeil Richards
CHERRINGHAM
LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN
Sammelband X
Folge 28: Ein Menü zum SterbenFolge 29: Tod in der ThemseFolge 30: Ein Gentleman verschwindet
beTHRILLED
Digitale Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe von »Ein Menü zum Sterben«:
Copyright © 2018 by Neil Richards & Matthew Costello, Titel der englischen Originalausgabe: »A Dinner to Die For«
Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Für die Originalausgabe von »Tod in der Themse«:
Copyright © 2018 by Neil Richards & Matthew Costello, Titel der englischen Originalausgabe: »The Drowned Man«
Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Für die Originalausgabe von »Ein Gentleman verschwindet«:
Copyright © 2018 by Neil Richards & Matthew Costello, Titel der englischen Originalausgabe: »The Gentleman Vanishes«
Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Für diese Ausgabe:Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung: © Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock: stocker1970 | Ihnatovich Maryia
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-6966-3
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Matthew CostelloNeil Richards
CHERRINGHAM
LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN
Ein Menü zum Sterben
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
Helen Edwards blickte auf, als Julie einen kleinen Teller mit einem eiswaffelförmigen Etwas vor ihr auf den Tisch stellte.
Auch wenn sie nicht sogleich davon kostete, wusste Helen schon jetzt, dass es ein absolut köstlicher Auftakt für dieses besondere »Probe-Menü« sein würde – ein kulinarisches Erlebnis von entscheidender Bedeutung, um die Gerichte für das Spendendinner der Cherringham Opera Society auszuwählen.
Heute Abend speiste Helen mit der Schirmherrin der Operngesellschaft, Lady Repton.
Immer eine unterhaltsame Gesprächspartnerin bei einem Dinner.
Für eine Frau, die über so ein großes Vermögen verfügte, hatte sie kaum Allüren.
Während die kleinen Teller hingestellt wurden, nippte Helen an ihrem Cotswold-Gin-Tonic; die Grapefruitscheibe darin war eine Offenbarung.
Unterdessen genoss Lady Repton einen Manhattan. Helen kannte diesen Drink nicht; sie hatte lediglich gehört, dass er ziemlich stark sein sollte.
Und Lady R. nimmt keineswegs kleine Schlucke.
Lady Repton hatte bereits zugesagt, wieder einmal als Gastgeberin der diesjährigen Veranstaltung zu fungieren, die außerdem eine Liveübertragung von Turandot aus der Metropolitan Opera in New York bieten würde.
»Nun, Lucinda, was hältst du von dem Amuse-Bouche?«
Sie beobachtete, wie Lady Repton von der winzigen Waffel probierte, den Happen einen Moment auf ihrer Zunge ruhen ließ und sich ein Lächeln gestattete.
»Nun, meine Liebe, amüsieren tut es mich allemal!«
»Mich auch«, gestand Helen, die den Geschmack ebenfalls auskostete. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sam es schafft, diesen Teig so leicht hinzubekommen.«
In dem Augenblick kam Julie, die mit ihrem Mann Sam, dem Koch, gemeinsam das Restaurant betrieb, zu ihnen herüber. Zuvor hatte sie die beiden von der Seite aus beobachtet.
»Schmeckt es den Damen?«
Helen lächelte. Sie und ihr Mann Michael waren Stammgäste im Spotted Pig, auch wenn man oft Wochen im Voraus reservieren musste.
Sie wusste, dass auch Lady Repton häufig hier speiste, obwohl sie in Repton Hall einen eigenen Koch hatte, der mehr als kompetent war.
Helen überließ es Lady R., als Erste zu antworten.
»Und ob es das tut, Julie. Gänseleber-Mousse, vermute ich? Kapern … ein Hauch von … Sherry vielleicht?«
»Vin Santo«, erwiderte Julie.
Lady Repton strahlte. »Ja, natürlich! Dieses nussige Honigaroma. Und die leichte Waffel – so hauchdünn! Perfekt.«
Nun war es Julie, die ein Strahlen im Gesicht hatte. Was sie gerade vernommen hatte, war ohne Zweifel ein hohes Lob von Lady Repton, die dafür berüchtigt war, dass man sie nicht leicht zufriedenstellen konnte.
»Wie war es für dich, Helen?«, fragte Julie.
»Oh, ganz wunderbar. Ich kann die anderen Gänge kaum erwarten.«
Lächelnd wollte Julie sich wieder ihren Pflichten widmen, als Lady Repton sie sacht am Arm berührte.
»Julie, falls es heute Abend in Ihrem Restaurant nicht allzu geschäftig zugeht, könnte Sam dann eventuell zu uns kommen und mit uns einige Punkte besprechen, während wir mit dem Essen fortfahren?«
Julie nickte lächelnd, aber Helen sah, wie sich ihre Miene ein wenig umwölkte.
Vielleicht stellte dieses spezielle Probe-Menü – selbst wenn nur zwei Leute daran teilnahmen – eine Aufgabe dar, die ein wenig beängstigend für das kleine Restaurant war.
Obwohl das Pig gewiss schon früher solche Herausforderungen gemeistert hatte.
Dann aber kam Helen ein anderer Gedanke: Ist heute Abend womöglich der Druck zu groß?
Anfangs hatte Julie nur wenigen Leuten von ihrer Schwangerschaft erzählt, doch inzwischen ließ sie sich nicht mehr verheimlichen. Das erste Baby! Aber Säuglinge bedeuteten zusätzliche Kosten, und dann war da selbstverständlich die Frage, wer sich hier während der ersten Monate nach der Geburt um den Service kümmerte.
Kaum war Julie fortgegangen, wandte sich Lady Repton an Helen.
»Übrigens, hast du schon dieses neue Lokal ausprobiert, das Bayleaf?«
»Noch nicht. Wenn Michael und ich gut essen gehen wollen, kommen wir am liebsten hierher.«
Lady Repton nickte.
»Verständlich. Aber ich wollte es unbedingt testen und war schon einmal dort. Und weißt du was?« Sie senkte die Stimme. »Es ist absolut fantastisch. Das Enten-Confit? Weltklasse.«
Helen sah, wie ihre Freundin und Schirmherrin zur Seite blickte, bevor sie fortfuhr: »Ich fürchte, unsere Freunde hier im Spotted Pig haben es mit ernst zu nehmender Konkurrenz zu tun bekommen.«
Helen nickte. Erklärte das womöglich, warum Julie ein wenig angespannt wirkte?
»Also«, sagte Lady Repton, »wollen wir das Dinner besprechen?«
Helen trank einen Schluck von ihrem Gin-Tonic. »Unbedingt.«
»Für die Liveübertragung ist alles vorbereitet. Diese Techniker aus Chipping Norton verstehen wirklich etwas von ihrem Fach. In unserem kleinen ›Theater‹ werden wir uns alle fühlen wie in der ersten Reihe in der Met! Stell dir vor: Puccinis Turandot, live aus New York – und das in Repton Hall!«
Helen wusste, dass die Leute wirklich gespannt waren. Sogar ihre Tochter Sarah, die eigentlich kein großer Opernfan war, wollte unbedingt kommen, sowohl wegen der Übertragung als auch wegen des zweifellos hervorragenden Dinners.
Sarah würde ihren amerikanischen Freund Jack mitbringen, der sicherlich »sein« New Yorker Opernhaus bestens kannte.
»Wir sind übrigens ausverkauft«, sagte Helen. »Und mit dem Spendenanteil aus dem Kartenverkauf …«
»Ja, von den zusätzlichen Spenden aus der stillen Auktion ganz zu schweigen … Tja, unsere kleine Operngesellschaft wird solventer dastehen denn je.«
Helen erhob ihr Glas, um mit Lady Repton anzustoßen, und die tat es ihr gleich.
»Ein Hoch darauf!«
Dann jedoch reckte Lady Repton einen Finger in die Höhe.
»Und das hat dazu geführt, dass ich auf eine besondere Idee gekommen bin.«
Lucinda Repton beugte sich vor, als wollte sie Geheimnisse über feindliche Truppenbewegungen ausplaudern.
»Eine Idee?«
Lady R. nickte. »Eine recht furchteinflößende überdies.«
Helen sah sie auch dann noch an, als sie bemerkte, dass die Bedienung von hinten mit zwei weiteren Tellern herbeigeeilt kam.
Sie wartete, während Lucinda Repton sich umschaute.
»Wie wäre es, wenn wir im nächsten Jahr … anstelle unserer üblichen Auswahl an saisonal abgestimmten Themen …«, fuhr sie langsam fort. »Also, wie wäre es, wenn wir an einem der Termine, vielleicht im Sommer, tatsächlich … eine komplette Oper aufführen?«
Eine komplette Oper?
Soweit Helen wusste, war das noch nie in Betracht gezogen worden. Und mit ihrer kleinen Gruppe war es, nun ja, keinesfalls umzusetzen.
»Nein, lass mich ausreden, Helen. Ich meine, mit dem Chor in seiner gegenwärtigen Größe – und stark, wie er ist – könnten wir es gerade so schaffen!«
Helen kamen spontan ein Dutzend Gründe in den Sinn, die allesamt schrien: Unmöglich!
»Aber, Lucinda, du weißt doch, was es bedeutet, eine Oper auf die Beine zu stellen. Die Mittel, die wir bräuchten, die Sänger für die Hauptrollen, die Stunden an Proben, die Kostüme, das Bühnenbild … Und so wundervoll die Idee auch scheint, ist solch ein Vorhaben für unsere kleine Operngesellschaft gewaltig, noch dazu in, wie viel, sechs Monaten? Tja …«
Lady Repton lächelte.
»Ich weiß, aber mein Plan ist folgender: Wir suchen einen Einakter aus, etwas, das für die kleine Bühne in unserem Theater geeignet ist und auch unseren musikalischen Möglichkeiten entspricht. Etwas, das für unser tolles Cherringham Philharmonic machbar ist.«
Ungeachtet der hochtrabenden Bezeichnung handelte es sich weniger um ein Philharmonie-Orchester, sondern eher um eine erweiterte Kammermusik-Gruppe – die sich bisweilen in eine Kapelle verwandelte – mit wenigen Blechbläsern und einer großen Basstrommel als einzigem Trumpf.
Zum Glück waren einige der Musiker wirklich begabt.
Helen fiel etwas ein.
»Du meinst, etwas wie Pagliacci? Machbarer Umfang und …«
»Genau! Das oder Cavalleria rusticana oder Puccinis Gianni Schicchi. Das ist sehr lustig. Aber ich denke, was das Drama und die Musik angeht … ja, Pagliacci trifft es auf den Punkt.«
Lady Repton hob ihren nun fast leeren Manhattan an, um abermals mit Helen anzustoßen.
»Wir holen uns ein oder zwei Gastkünstler. Jemanden für die letzten ein oder zwei Proben. Überleg mal! Eine echte Opernproduktion, hier bei uns. Wir müssten wahrscheinlich an mehreren Wochenenden hintereinander aufführen. Jeder wird kommen wollen!« Sie grinste. »Was meinst du?«
Helen erwiderte ihr Grinsen. Die Idee war ein bisschen verrückt. Aber vielleicht – nur vielleicht – umsetzbar. »Weißt du was? Ich finde … Na ja … ich finde, es ist eine glänzende Idee. Und diese Oper ist ideal!«
Die Dame, deren finanzielle Mittel ein solches Unterfangen möglich machen könnten, klatschte begeistert in die Hände.
»Fabelhaft«, sagte Lady Repton. »Wir können gleich heute Abend mit der konkreten Planung beginnen und …«
Doch in diesem Moment war eine kleine Unruhe aus der offenen Küche zu hören: Mehr Teller wurden durchgereicht, und Julie und die andere Bedienung brachten die nächste Runde »Proben«, während Sam, der Koch, herauskam – der Star des Festmahls.
Und Helen dachte: Dieser Abend wird immer besser.
Was das jedoch betraf, sollte sie sich schrecklich irren.
Helen blickte nach unten, als die Teller vor ihnen abgestellt wurden – allesamt schon optisch ein Genuss.
Lady Repton sah zum Koch auf.
»Sam, können Sie sich ein bisschen zu uns setzen und uns etwas zu diesen fantastischen Gerichten erzählen?«
Helen bemerkte, wie er Julie einen Blick zuwarf, und die Miene seiner Frau sagte: »Na los, setz dich!«
Er zog sich einen Stuhl heran.
Und lächelte scheu. »Sicher. Heute Abend ist nicht viel los. Montag und so. Also, ähm, hier haben Sie …«
Er zeigte auf einen Teller mit kleinen Fleischrollen, die mit etwas belegt waren, das wie Marmelade aussah.
»… unsere Wildschweinrouladen: mariniert, kurz gebraten und dann bedeckt mit frischer Johannisbeer…konfitüre, wie ich es nennen würde.«
Lady R. schnitt ein Stück von einer Roulade ab und steckte es sich in den Mund.
»Oh … göttlich! Dieses Würzige … die Süße … und das in einer Kombination! Sie dürfen mir noch mehr Teller hiervon bringen!«
Und endlich lachte Sam.
Helen nahm einen Bissen und … Ja, wirklich, es schmeckt überragend. »Es sollte fest auf eurer Karte stehen.«
»Oh, das wird es. Sobald es seine ›Premiere‹ beim Galadinner hatte.«
Dann bemerkte Helen, wie Sam sich zur anderen Seite des Restaurants umdrehte. Es war eine schnelle, nervöse Bewegung.
Danach verharrte sein Blick auf der kraushaarigen Bedienung, deren Haar von lila Strähnen durchzogen war.
Er schüttelte den Kopf.
Helen schien es, als wollte er jeden Moment hinüberstürmen, um einige scharfe Worte mit der Kellnerin zu wechseln.
Doch Julie legte ihm rasch eine Hand auf den Arm.
Erst jetzt drehte Sam sich wieder den beiden Damen am Tisch zu, rang sich ein Lächeln ab und fuhr mit seinen Erläuterungen zu den Gerichten fort.
»Hier haben wir Lasagnette al basilico.«
»Pasta?«, fragte Helen, die den Eindruck hatte, dass das kleine Viereck möglicherweise nicht zu einem Gourmet-Essen passte.
Sam zeigte ein ehrliches Lächeln. »Koste davon.«
Und nun war es Helen, die als Erste probierte. Die Pasta war dünn wie ein Crêpe und außerordentlich weich; beschichtet war sie mit Pesto und nur einem Hauch Käse, der sich mit der deliziösen Soße oben vermengte.
Und sobald Helen gekostet hatte …
Sie wusste nicht, was er getan hatte, um diesem Gericht einen solch sagenhaften Geschmack zu verleihen, aber es war schlicht mit das Beste, was sie jemals gegessen hatte.
»Wow!«, sagte Helen – und diesen Ausdruck benutzte sie selten.
Lady Repton machte sich gleichfalls über den kleinen Teller her. Vier Bissen, und er war leer, woraufhin sie überaus enttäuscht dreinblickte.
»Also das war … außergewöhnlich.«
Helen sah, dass ihre Reaktionen sowohl Sam als auch Julie ein Lächeln entlockten.
Michael und sie mochten das Paar. Sam arbeitete so hart in der Küche, und Julie im Restaurant war immerzu freundlich, kompetent und warmherzig. Die beiden machten das Spotted Pig zu einem besonderen Ort.
Sam wollte das dritte Gericht erklären, bei dem es sich um kleine Eier in einem cremigen Bett zu handeln schien – aber dann drehte er sich plötzlich zur Bedienung um und sprang von seinem Stuhl auf.
Sie beobachteten, wie Sam auf das junge Mädchen zuging.
»Izzy, auf ein Wort«, sagte er und verschwand mit ihr in der Küche.
Julie, die sichtlich verlegen war, begann rasch die Teller abzuräumen.
Ein Ablenkungsversuch, dachte Helen.
»Es war in letzter Zeit ein bisschen unruhig«, erklärte Julie. »Die neue Bedienung. Und Sam … mit dem Baby, das kommt, und allem … Er ist ein wenig angespannt.«
Doch Helen, die sah, wie Sam die Kellnerin zur Rede stellte – die sich einen üblen Fauxpas geleistet haben musste –, fragte sich: Ist das alles?
Sam war sehr leidenschaftlich, wenn es ums Kochen ging. Aber gab es da womöglich noch etwas anderes, das ihm sehr viel Stress bereitete?
Wenige Momente später kam er aus der Küche zurück und setzte sich wieder zu ihnen. Abermals rang er sich ein Lächeln ab.
»Verzeihung. Gutes Personal muss immer, ähm, angelernt werden.«
»Oh, ich weiß, was Sie meinen, Sam«, pflichtete Lady Repton ihm bei und brach so das Eis.
»Also zum letzten Gericht …«
»Die sehen wie kleine Eier aus«, sagte Helen.
Nun grinste Sam. Das Spotted Pig war nicht für übertrieben komplizierte Gerichte bekannt, aber Helen vermutete, dass er für das Dinner der Opera Society beschlossen hatte, die Latte etwas höher zu legen.
»Mini-Quenelles in einer klassischen Nantua-Soße.«
Lady Repton hatte bereits eine Mini-Quenelle mit der beiliegenden winzigen Gabel aufgespießt.
»Mmm… Ich muss sagen, jedes dieser Gerichte ist besser als das davor. Absolut deliziös!«
Und Sam, der sein Ziel erreicht hatte, Lady Repton in Entzücken zu versetzen, erhob sich.
Julie klopfte ihm kurz auf die Schulter, und Sam grinste. »Jetzt gehe ich lieber zurück in die –«
Ein kühler Windschwall, der nur von draußen kommen konnte, ließ ihn abrupt verstummen.
Jemand hatte offensichtlich die Eingangstür des Pig weit aufgerissen.
Sam stand wie versteinert da, während alle im Raum zu den schweren Vorhängen sahen, die vor dem Eingang angebracht worden waren, um die kalte Januarluft draußen zu halten, und sich nun blähten, als würde das Dorf plötzlich von einem heftigen Sturm heimgesucht.
Oder zumindest das Restaurant.
Eine Frau in blütenweißer Kochkluft stürmte durch die Vorhänge.
Zuerst glaubte Helen, die Frau wäre eine Hilfsköchin von Sam; vielleicht eine Mitarbeiterin, die er losgeschickt hatte, um dringend benötigte Zutaten zu besorgen.
Sie hatte eine kleine Holzkiste in der Hand, von der Sorte, in der empfindliche Früchte- oder Gemüsesorten transportiert wurden.
Aber ein Blick auf Sams Gesicht genügte Helen, um zu erkennen, dass diese Frau nicht aus seiner Küche war.
Sein Lächeln war einem sehr finsteren Stirnrunzeln gewichen.
Die Frau sagte einen Moment lang nichts, blickte sich einfach nur um.
Dann starrte sie zu Helens Tisch und den Tellern mit den Vorspeisen.
Und trat einen Schritt näher …
»Mini-Quenelles? Sehen gut aus«, sagte sie und nickte Helen sowie anschließend auch allen anderen im Restaurant zu.
Ihr Akzent … amerikanisch.
»Leicht pochiert, die Nantua-Soße auf halbfest reduziert. Ja, köstlich. Ach, und …«
Sie wandte sich zu einem anderen Tisch um. Ein Paar erstarrte mitten beim Essen – das Besteck halb erhoben.
»Und Sie da … Das Filet – mit einem Hauch von Cognac, stimmt’s? Und mit buntem Pfeffer natürlich. Nicht zu viel Sahne.«
Sie schaute sich weiter um.
»Genau wie ich die Speisen immer zubereitet habe, nicht wahr, Sam?«
Sam, der erstarrt geblieben war, machte nun einen Schritt auf die Frau in der Kochkluft zu.
Helen begann eins und eins zusammenzuzählen. Sie sah zu Lady Repton, die sichtlich besorgt wirkte.
Und Helen dachte: Diese Frau muss die neue Küchenchefin im Bayleaf sein.
Helen entging auch nicht, dass Julie ihrem Mann einen Blick zuwarf, der eine Mischung war aus Sorge und … was? Verwirrung?
Als Sam nun zu reden begann, sprach er leise.
Aber in solch einem kleinen Restaurant hörte jeder alles.
»Anna, was zum Teufel soll das?«
Helen dachte, wäre diese Person keine Frau, sondern ein Mann gewesen, hätte Sam womöglich zugeschlagen, so wie er jetzt die Fäuste ballte.
Die Köchin – diese Anna – zuckte nicht mal mit der Wimper.
Sie blickte sich abermals in dem Raum um.
»Schlimm genug, dass du meine Rezepte geklaut hast … nach allem …« Sie gab sich keinerlei Mühe, die Stimme zu senken. »Aber das reichte dir nicht, oder?«
Jetzt lächelte sie wie jemand, der eine hässliche Überraschung in petto hatte.
»Nein. Du und deine … Knechte … Ihr musstet wirklich alles Mögliche tun, damit mein Restaurant scheitert. Das ist doch so, oder?«
Sam schüttelte den Kopf.
Lady Repton streckte eine Hand über den Tisch und berührte Helens Handgelenk.
»Meinst du, wir sollten etwas unternehmen?«
Gute Frage, dachte Helen.
Aber was genau sollte dieses Etwas sein?
Sam, dessen Ruf und guter Name infrage gestellt wurden, wurde lauter.
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest. Jetzt verschwinde …«
Er beherrschte sich wieder.
Seine Gäste schauten auf die beiden Kontrahenten und lauschten gebannt. Keiner aß mehr weiter, abgesehen von einem großen Mann, der allein an seinem Tisch saß und ein aufgeschlagenes Notizbuch neben sich liegen hatte. Er schien imstande zu sein, sowohl das Schauspiel zu beobachten, als auch sein Mahl zu verzehren.
»Ich rede selbstverständlich von den Maßnahmen, die du ergreifen würdest, um … um sicherzustellen, dass es in Cherringham nur ein einziges richtiges Restaurant gibt.«
Dann öffnete die Köchin sehr langsam die Kiste. Das Holz knarzte.
Doch da sie die Kiste flach auf ihrem ausgestreckten Arm hielt, konnte man den Inhalt nicht sehen.
Bis …
Sie griff hinein und zog den Inhalt hervor – an seinem langen, kahlen Schwanz. Es war eine große graue Ratte.
»Mir die ins Restaurant zu legen, Sam? Hast du solche Angst? Bist du so verzweifelt?«
Alle Blicke richteten sich auf das Tier, das zum Glück tot war.
»Nichts führt so schnell zur Schließung eines Ladens wie Ungeziefer, nicht wahr?«, sagte sie.
Nun würde niemand mehr, selbst wenn er noch sein Besteck in Händen hielt, sein rasch erkaltendes Essen anrühren.
Denn ein vollkommen anderes und recht kräftiges Aroma hatte sich in dem kleinen Speiseraum ausgebreitet.
»Du bist ja verrückt«, entgegnete Sam.
Er machte einen Schritt, und Julie musste zu ihm kommen und seinen Arm ergreifen, um ihn zurückzuhalten.
Helen befürchtete dennoch, dass Sam, dessen muskulöse Arme geeignet waren, ein halbes Rind oder ein ganzes Schwein zu zerlegen, ohne Weiteres zuschlagen könnte – auch wenn es sich bei dem Störenfried um eine Frau handelte.
Doch nun sollte diese Vorstellung ihren Höhepunkt erreichen.
»Hier«, sagte die Frau und schwenkte die tote Ratte an ihrem Schwanz durch die Luft. »Eine kleine Beilage für deine reizenden Gäste.«
Und nach einem weiteren Schwung …
… flog die Ratte durch den Raum.
Aber nicht etwa auf Sam zu.
Der, wie Helen vermutete, dem Wurfgeschoss mit Leichtigkeit ausweichen könnte.
Nein.
Mit einem Pfeifen, beendet von einem dumpfen Knall, landete die Ratte mitten auf Helens Tisch, zwischen ihr und Lady Repton.
Tote Augen starrten zwischen den ehedem köstlichen Gerichten auf, die jetzt keiner mehr anrühren würde.
Helen und Lady Repton sprangen auf.
Dann, wie ein Sturm, der weiterzog und nichts als Verwüstung zurückließ, riss die Köchin – Anna – die schweren Vorhänge zur Seite.
Die Eingangstür knallte zu.
Und sie war fort.
Die Vorstellung war vorbei.
Jack zog seine Barbour-Jacke fest zu.
Draußen schien die Sonne, aber der starke Wind, der über die Wiese wehte, ließ den Eindruck entstehen, als hätte der Winter das Land noch nicht ganz aus seinem eisernen Griff entlassen.
Riley machte es offenbar nichts aus, denn er kam mit seinem rosafarbenen und reichlich eingesabberten Gummiball angeflitzt, als würde er am liebsten den ganzen Vormittag »Apportieren« spielen.
Der Springer gab nun vor, den Ball nicht rausrücken zu wollen, und biss fester zu, als Jack danach griff. Schließlich ließ er los, und das Spiel konnte von Neuem beginnen. Aufgeregt sprang der Hund einige Schritte zurück und beäugte Jack, bereit, sofort wieder loszurennen.
Und Jack musste zugeben, dass es trotz der Kälte Spaß machte.
Er warf den besten Hochball, den er konnte.
Momente wie dieser versetzten ihn zurück zu den Straßen-Baseballspielen in Flatbush, bei denen seine Kameraden und er ebenfalls einen rosa Gummiball benutzt hatten.
Die Wurfweite war damals in überflogenen Gullydeckeln gemessen worden.
Heute spürte Jack bei jedem Wurf ein kleines Ziehen in der Schulter. Nach all den Jahren war es nicht mehr ganz so leicht, den Ball in die Ferne zu befördern.
Er beobachtete Riley. Zwar hatte der Hund keinerlei Probleme, in einem wahnsinnigen Tempo loszurennen, trotzdem landete der Ball im Gras, noch bevor der Springer auch nur in die Nähe der Aufschlagstelle gekommen war.
Doch innerhalb von Sekunden hatte er das Spielgerät erneut gepackt und kam damit zurückgeflitzt.
Ja, dachte Jack, keine schlechte Art, einen englischen Vormittag zu verbringen.
Und noch während ihm dies durch den Kopf ging, piepte sein Handy.
Normalerweise ließ er es eingestöpselt auf seinem Boot.
Manchmal ist es nett, ohne Handy zu sein.
Unerreichbar …
Er holte das Telefon hervor und drückte »Annehmen«, als er den Namen sah.
Sarah Edwards.
»Guten Morgen, Sarah! Bist du schon im Büro?«
»Hi, Jack! Nein, ähm, noch nicht. Hör mal, gestern Abend ist etwas passiert. Im Spotted Pig. So etwas wie eine Szene, und meine Mutter, die jetzt hier ist, hat alles mit angesehen.«
»Eine Szene? Irgendwas Schlimmes mit Sam oder Julie?«
»Ich glaube, das erzählt dir meine Mutter lieber selbst. Kannst du herkommen?«
Jack hielt einen kurzen Moment inne. Er mochte Sarahs Eltern, Helen und Michael, wirklich sehr. Die beiden hatten ihn hier von Anfang an sehr freundlich aufgenommen.
Genauso wie Sam und Julie vom Restaurant.
Und wie es sich anhörte, konnten sie Hilfe brauchen.
»Klar. Stell schon mal den Kessel auf. Ich bringe Kekse mit.«
Sarah lachte. »Damit wären schon mal die Grundvoraussetzungen erfüllt. Es könnte nichts weiter Beunruhigendes sein, keine große Sache oder so, Jack. Aber, na ja … meine Mutter macht sich Sorgen.«
»Schon verstanden. Ich bin in zwanzig Minuten da.«
»Super. Bis gleich!«
Riley war inzwischen mit dem klebrigen Ball in der Schnauze zurückgekehrt. »Wir müssen nach Hause. Vielleicht spielen wir nachher weiter.«
Jack machte sich auf den Rückweg zu seinem Boot, der Grey Goose, und Riley zögerte nur kurz, ehe er seinem Herrchen ein bisschen widerwillig folgte.
Unterwegs frischte der Wind auf.
Noch mehr Kälte, dachte Jack.
Der Winter hält sich hartnäckig.
Jack parkte seinen Austin-Healey Sprite auf dem Weg vor Sarahs Cottage. In der kleinen Kieseinfahrt war kein Platz, denn dort standen Sarahs RAV4 und der kirschrote Micra ihrer Mutter.
Außerdem gab es dort noch einen Wagen, den Jack nicht kannte.
Interessant, dachte er, als er durch die Pforte ging und an der Tür läutete.
Sarah machte rasch auf; sie war schon für das Büro angezogen.
»Jack, schön, dich zu sehen!«
Ein schneller Kuss auf beide Wangen. Inzwischen hatte Jack sich an die europäischen Sitten gewöhnt. Er folgte ihr durch den Flur in die große Küche, in den gemütlichen Mittelpunkt des alten Cottage mit Glasflügeltüren zum Garten, durch die man zum Fluss blicken konnte.
Am Tisch saßen Helen, die Kaffee trank, und ein Überraschungsgast: Julie vom Spotted Pig.
»Helen!«, begrüßte Jack sie und gab ihr einen Wangenkuss. »Und Julie, dich habe ich hier nicht erwartet.« Er schüttelte ihr die Hand und nickte zu ihrem runden Bauch. »Du siehst wundervoll aus. Wie lange noch?«
»Drei Monate«, antwortete Julie und tätschelte stolz ihre Babykugel.
»Du und Sam werdet großartige Eltern«, sagte Jack. »Das glückliche Kind wird auf jeden Fall sehr gut essen!«
Sie lächelte. »Das ist süß von dir, Jack.«
Aber ihm entging nicht, wie schnell ihr Lächeln verschwand, als sie zu Sarah sah.
»Julie rief direkt nach unserem Telefonat an«, berichtete Sarah. »Ich bat sie, auch herzukommen.«
»Ich wollte mich persönlich bei Helen entschuldigen«, erklärte Julie. »Wegen gestern Abend. Was für eine furchtbare Sache. Unverzeihlich!«
»Ich fürchte, dass ich euch nicht folgen kann«, sagte Jack und blickte von Julie zu Helen.
»Keine Sorge, wir klären dich auf.« Sarah nahm dankbar die Kekse entgegen, die Jack bei Huffington’s besorgt hatte, und schüttete sie auf einen Teller. Drei Hände griffen gleichzeitig nach dem frischen, köstlichen Gebäck.
»Wie gut, dass ich eine große Packung genommen habe«, stellte Jack grinsend fest.
»Mum, wie wäre es, wenn du Jack erzählst, was genau passiert ist, während ich einen frischen Kaffee mache?«
Jack lauschte anschließend Helens Bericht von ihrem Probe-Menü mit Lady Repton im Pig und dem unerwarteten Gast mit der toten Ratte, der mittendrin hereingeplatzt war.
Sarah saß am Tisch, trank Kaffee und beobachtete Jack, als ihre Mutter zum Ende der Geschichte kam. Er hörte aufmerksam zu, nickte, stellte aber keine Fragen.
Julie hatte Helen ein paarmal unterbrochen, um ihre Sicht der Ereignisse einzubringen.
»Natürlich war hinterher keinem von uns danach, bis zum Dessert zu bleiben«, sagte Helen. »Also fuhren wir nach Hause.«
»Niemand hat auch nur einen Penny bezahlt – das haben wir sogleich sichergestellt«, ergänzte Julie. »Die Gäste waren sehr verständnisvoll, aber wir konnten ihnen unmöglich das Essen berechnen.«
»Das dürfte euch einiges gekostet haben«, merkte Jack an.
Julie nickte. »Zwanzig Gedecke.«
Holla, dachte Sarah und rechnete rasch im Kopf nach. Das müssen mindestens tausend Pfund gewesen sein. Womöglich mehr …
»Aber der Imageschaden!«, stöhnte Julie. »Tja, der lässt sich nicht beziffern.«
»Deshalb habe ich über die Sache nachgedacht, Jack«, sagte Helen. »Ich meine, wie können wir helfen? Was kannst du tun?«
»Ich?«
»Du und Sarah, versteht sich«, korrigierte Helen sich selbst. »Ihr ermittelt doch immer mal, nicht? Klärt Morde und sonst was auf. Sicher könnt ihr beide diese furchtbare Frau überführen.«
Sarah sah zu Jack und versuchte, nicht zu schmunzeln.
In der Welt ihrer Mutter gewannen immer die Guten und bedurfte es nur weniger guter Männer – und eventuell einer Frau –, um den Frieden und die natürliche Ordnung in Cherringham wiederherzustellen.
»Tja«, sagte Jack, »ähm, ich schätze, als Erstes sollte ich Julie fragen, ob sie auch möchte, dass wir etwas unternehmen.«
Sarah sah, dass Julie mit den Schultern zuckte. »Ich weiß es nicht. Das heißt … ich möchte eher nicht, dass irgendjemand etwas unternimmt. Es soll einfach nur aufhören. Mich macht das wahnsinnig.«
Sie holte tief Luft.
»Und mit dem Baby … Sam ist so gestresst.« Wieder rang sie nach Atem. »Er kann nämlich recht reizbar sein.«
Jack lachte. »Ich habe ihn schon gehört, wie er seinem Küchenpersonal hin und wieder, äh, in einem ziemlich rauen Tonfall Anweisungen gibt.«
Sarah beugte sich vor. »Also war das gestern Abend nicht der erste Vorfall dieser Art, Julie?«
Plötzlich wirkte Julie zögerlich.
»Ich sollte eigentlich nicht mit euch darüber reden. Es ist Sams Angelegenheit. Er will das allein regeln. Sogar zu mir sagt er, dass ich an diese Sache nicht mal denken soll. Ich soll einfach wie immer weitermachen, an das Baby denken. Die Familie geht vor und so, versteht ihr?«
Sarah nickte und sah wieder zu Jack.
Das klingt nicht gut, dachte sie. Vielleicht sollten wir wirklich helfen.
»Na ja«, erwiderte Jack, »es ist natürlich Sams Angelegenheit. Aber auch deine. Und wenn du mich fragst, Julie, kann es nicht schaden, dass du uns erzählst, was los ist. Verstehst du, was ich meine? Nur die reinen Fakten. Sarah und ich können dann im Pig vorbeischauen und uns mit Sam unterhalten. Mal sehen, ob er den Eindruck hat, dass er ein bisschen Hilfe brauchen könnte.« Er hielt kurz inne und blickte in die Runde. »Vielleicht lässt sich ja alles leicht aufklären.«
So, wie Jack es sagte, hielt Sarah es beinahe für möglich.
Eventuell kann sich die Lage wieder beruhigen.
Ihr Gefühl allerdings sagte ihr etwas anderes.
Sarah sah, wie ihre Mutter einen Arm über den Tisch streckte und ihre Hand auf die von Julie legte.
»Was kann es schon schaden, Julie? Ich weiß, dass Sarah und Jack nichts tun würden, bei dem Sam oder dir nicht wohl ist.«
Julie schien nachzudenken, bevor sie erneut tief einatmete.
»Okay, na gut. Die reinen Fakten, wie Jack gesagt hat. Es fing alles im September an. Wisst ihr, dass da das Bayleaf eröffnet hat?«
»Ja, weiß ich«, antwortete Jack. »Ich habe die Anzeige in der Lokalzeitung gesehen.«
»Zuerst dachte ich, es könnte für alle positiv sein«, fuhr Julie fort. »Noch ein Restaurant, das gutes Essen serviert, kann auch ein Ansporn sein. Das habe ich jedenfalls zu Sam gesagt …«
»Aber?«, fragte Sarah, als Julie stockte.
»Aber Sam … nun ja … er hat ein bisschen komisch reagiert. Nicht so, wie ich gedacht hätte.«
»Was genau meinst du?«, wollte Jack wissen.
»Na ja, er wurde ziemlich … gereizt. Er sagte, ich solle den Laden ignorieren, ihn vergessen. Er würde sich sowieso nicht halten. Dann erzählte Sam, dass er die Köchin von früher kennt und sie es nicht bringt. Kein gutes Haar hat er an ihr gelassen.«
»Das hört sich nicht nach dem Sam an, den ich kenne«, bemerkte Jack.
»Eben! Ich dachte, dass es vielleicht an dem Baby liegt – weil wir doch ein neues Haus brauchen, es stressiger wird und so. Ich dachte, dass er einfach überreagiert. Und dann haben wir ein neues Mädchen in der Küche, und mit ihr kommt er auch nicht so gut zurecht. Aber dann … nach wenigen Monaten ging es los, dass Sachen passierten.«
»Sachen?«, hakte Jack nach.
»Die Frau, diese Anna Garcia – die Köchin –, fing an, auf uns loszugehen.«
»Wie?«, fragte Sarah.
»Anrufe mitten in der Nacht, die uns aus dem Schlaf rissen. Und sie beschuldigte uns, ihr was getan zu haben.«
»Was zum Beispiel?«
»Zuerst behauptete sie, dass wir schlechte Bewertungen online posten. Dass wir ihr Essen, das neue Restaurant und ihr Personal schlechtmachten. Sie sagte, sie könnte beweisen, dass wir es waren.«
»Und – hat sie?«, wollte Jack wissen.
»Nein, natürlich nicht. Wir stellten sie zur Rede, aber sie meinte bloß, wir seien zu gerissen und würden unsere Spuren verwischen. Dann behauptete sie, wir hätten uns in ihre Online-Reservierung gehackt.«
»Sie verändert, meinst du?«
»Ja. Reservierungen storniert oder falsche gemacht, damit es aussah, als wäre sie ausgebucht, obwohl sie es nicht war.«
»Und hat sie gesagt, warum sie glaubt, dass ihr, du und Sam, dahinterstecken würdet?«
»Sie behauptete, dass wir sie vernichten wollen. Dass wir alles Mögliche unternehmen, damit das Bayleaf wieder schließt. Aber das stimmt nicht! Ich möchte ja, dass sie Erfolg hat – das ist auch für uns gut!«
Sarah bemerkte, dass Jack sich weiter über den Tisch neigte.
Irgendwas gefällt ihm nicht, dachte sie.
»Hat sie sonst noch etwas gesagt, Julie?«, hakte er nach. »Irgendwas, das erklären könnte, warum sie das macht?«
Julie schien ihre Antwort abzuwägen.
»Einmal, als ich am Telefon war, sagte sie, dass sie nicht verstehen könne, warum ich mit Sam zusammen bin. Warum ich ihm vertraue. Ich fragte sie, was sie denn meint, aber dann legte sie einfach auf.«
Jack nickte. »Also kennen Sam und sie sich von früher?«
»Sam hat gesagt, dass er vor Jahren mit ihr in einer Küche zusammengearbeitet hat, und zwar in New York.«
»Sam hat mal in den Staaten gearbeitet? Etwa in Manhattan?«, fragte Jack.
Julie nickte. »Er redet nicht darüber. Ich glaube … es war keine sehr gute Zeit für ihn.«
Erneut sahen Sarah und Jack sich an, bevor er sich wieder an Julie wandte.
»Aber er behauptet, dass er sie kaum kennengelernt hat – auch damals nicht.«
»Sie hat wissen wollen, warum du Sam vertraust«, sagte Sarah und war unsicher, ob ihre nächste Frage eventuell zu weit gehen würde. »Hast du Sam darauf angesprochen, wie sie das gemeint haben könnte?«
Julie nickte abermals, auch wenn dies hier sichtlich hart für sie war.
Wir begeben uns hier in finstere Gefilde, dachte Sarah.
Julie war eindeutig unwohl dabei. »Er sagte, dass er keine Ahnung hat.«
Sarah indes hatte eine ziemlich gute Vorstellung, was jene Frau gemeint haben könnte, auch wenn sie ihren Verdacht gegenüber Julie nicht äußern würde.
Wieder mal ein Gefühl. Waren Sam und diese Anna Garcia früher mal ein Paar?
»Und was glaubt er, warum sie das macht?«, hakte sie nach.
»Er sagt, dass sie Probleme hat. Schon immer hatte, auch damals schon. Er sagt, sie wäre bekannt dafür, dass sie gerne mal durchdreht. Verrückt wird. Und er denkt, das Pig ist rein zufällig das nächstgelegene Ziel für sie.«
»Hmm«, brummte Jack. »Das könnte gut sein. Aber ich schätze, wir werden es nie mit Sicherheit erfahren, es sei denn …«
Sarah beobachtete, wie er sich zurücklehnte. Seine Miene gab nichts preis.
»Was denkst du, Jack?«
»Tja, Julie, ich möchte mich ja nicht in deine oder Sams Privatangelegenheiten einmischen, aber wenn es hier ein Missverständnis gibt, könnten Sarah und ich uns mal mit dieser … Anna Garcia unterhalten, uns ihre Version anhören und sie vielleicht beruhigen. Was meinst du?«
Sarah sah, dass Julie nickte. Ihre Mutter wirkte erleichtert.
»Sehr gute Idee, Jack«, sagte Helen. »Ich meine, was kann es schon schaden?«
»Meinetwegen; wenn nur die verfluchten Anrufe aufhören«, stimmte Julie zu. »Natürlich werde ich es Sam erzählen müssen.«
»Natürlich«, sagte Sarah. »Wir wollen nichts unternehmen, mit dem ihr nicht beide einverstanden seid.«
»Es ist offensichtlich irgendein furchtbares Missverständnis«, erklärte Helen. »Aber ich weiß, dass Jack und Sarah alles ganz schnell klären können.«
Sarah sah hinüber zu Jack und wieder zu ihrer Mutter.
»Du machst uns ja null Druck, Mum«, bemerkte Sarah.
»Nur ein winziges kleines bisschen Druck, Schatz«, konterte Helen grinsend. »Wir alle wollen, dass diese Sache vor dem großen Spendendinner aus der Welt ist, nicht wahr, Julie?«
»Oh Gott, ja, und ob!« Julie verdrehte die Augen, aber dann lachte sie.
»Helft meinem Gedächtnis noch mal kurz auf die Sprünge. Wann genau ist dieses Dinner?«, fragte Jack.
»Nächste Woche«, antwortete Sarah.
»Großartig. Oper und Essen vom Spotted Pig in einem. Besser kann es gar nicht kommen.«
Doch kaum hatte Jack es ausgesprochen, fragte Sarah sich …
Können noch mehr Sturmwolken aufziehen, bis es so weit ist?
Jack schloss seine Jacke bis ganz oben, um sich vor dem bitterkalten Wind zu schützen, und marschierte entlang der Cherringham Bridge Road ins Dorfzentrum hinein.
In dieser Jahreszeit – an einem dunklen Januarabend – kamen nur wenige Touristen nach Cherringham, und die meisten Einheimischen, die bei Verstand waren, blieben zu Hause vor dem Kamin oder saßen in einem der Pubs.
Im Vorbeigehen schaute Jack ins Spotted Pig; dort waren nur eine Handvoll Gäste. Er konnte Julie hinter der Bar sehen, und für einen Augenblick wünschte er sich, hineinzugehen, um den beiden seine Unterstützung zu demonstrieren – und um vielleicht eines ihrer fantastischen Rib-Eye-Steaks zu genießen.
Aber nein, heute Abend stand ein Arbeitsessen an, im wahrsten Sinne des Wortes.
Er ging weiter die High Street hinauf, dann auf den Marktplatz, schritt vorbei an Sarahs Büro, dem Gemeindezentrum, Huffington’s Tea Room, dem Angel-Pub und der kleinen Polizeiwache. Schließlich war er fast am anderen Ende des Dorfs, wo sich nur noch Reihenhäuser aus Cotswolds-Stein in der Winternacht zusammendrängten.
All dies war Jack mittlerweile bestens vertraut, beinahe wie die Läden und Häuser in seinem alten Viertel daheim in Brooklyn.
Und nun erreichte er das Bayleaf.
Es lag ein wenig von der Straße zurückgesetzt. Wie Jack jetzt wieder einfiel, war hier früher eine Werkstatt gewesen. Das Gebäude war von Efeu umrankt, und eine altmodische Laterne hing über der Tür, deren warmes Licht einladend wirkte.
Ein Jammer, dass Sarah nicht mitkommen kann, dachte Jack.
Aber sie musste einen Termin in der Schule wahrnehmen, wo sie mit einem der Lehrer ihres Sohnes Daniel über dessen Studienoptionen reden sollte. Folglich hatte Jack den Kürzeren gezogen.
Bisher sah es jedoch nicht so aus, als hätte er ein schlechtes Los gezogen.
Er schob die Tür auf.
Hm, Wärme, angenehme Düfte, angenehme Atmosphäre.
Jack schloss die Tür hinter sich und blickte sich um: Steinfußboden, angemalte Stützbalken, unverputzte Wände. Ein kleiner Bereich mit Sofas. Zudem gab es einen offenen Kamin und eine verspiegelte Bar mit Flaschenregalen sowie richtigen Barhockern; sanfte Coltrane-Klänge waren zu hören.
Sehr cool.
Dahinter war der Restaurantbereich: nur ein halbes Dutzend Tische, ein paar Gäste, alles sehr schlicht, gut beleuchtet und einladend. Und noch weiter hinten etwas, das wie ein halb offener Küchenbereich aussah, in dem Gestalten in Weiß umherwuselten.
Sofort erschien eine junge Frau von hinten, um ihm lächelnd seine Jacke abzunehmen – ein Ausweis für ein anständiges Restaurant.
»Ist es nicht scheußlich da draußen?«, fragte sie. »Lassen Sie mich Ihnen die Jacke abnehmen – Mr Brennan, nicht wahr? Einzeltisch?«
»Jack Brennan, ja, danke!« Jack reichte ihr seine Jacke. »Nun ist die Frage – an die Bar oder ans Feuer?«
»Oh, an einem Abend wie diesem muss es der Kamin sein«, antwortete die Frau, die ihn weiterhin anlächelte. »Und was möchten Sie trinken?«
»Wodka-Martini, trocken, ohne Eis mit Zitrone.«
»Wäre Belvedere okay?«
Könnte dieses Restaurant etwa noch besser sein?
»Das ist derzeit mein Lieblingsdrink.«
»Ah, meiner auch! Kommt sofort – und ich bringe Ihnen die Speisekarte.«
»Wunderbar.«
Sarah schloss die Haustür auf, knipste das Licht an und ging geradewegs durch zur Küche. Hinter sich hörte sie Daniel die Tür schließen und sofort die Treppe hinauf in sein Zimmer gehen.
Keine meiner Sternstunden, dachte sie, als sie den Kühlschrank ansteuerte, eine bereits angebrochene Flasche Pinot Grigio herausnahm und sich ein großes Glas einschenkte.
Was eigentlich das übliche aufmunternde Gespräch mit Daniels Jahrgangstutor über seine »enttäuschende« Einstellung zu den A-Level-Prüfungen im Sommer werden sollte, war zu einem handfesten Streit über die Zukunft ihres Sohnes mutiert.
»Uni ist blöd«, hatte Daniel am Ende gesagt. »Hinterher hockt man mit einem Haufen Schulden und drei verschwendeten Jahren da!«
Sarah und Mr Parker hatten sich bemüht, Daniel umzustimmen, doch der blieb stur.
Und auf der Rückfahrt hatte Sarah die Beengtheit des Wagens genutzt, um Daniel denselben Vortrag zu halten, den sie zwei Jahre zuvor ihrer Tochter Chloe gehalten hatte, als deren schulische Leistungen gleichfalls direkt vor den Abschlussprüfungen zu wackeln begannen.
Komisch – damals waren ihre Worte auf fruchtbaren Boden gefallen. Chloe hatte auf sie gehört und noch die Kurve gekriegt.
Heute jedoch hatte Daniel ihr schlicht gesagt, wohin sie sich ihren Rat stecken könnte.
Autsch!
Zwei Kinder von denselben Eltern. Doch so unterschiedlich.
Und nun, ohne einen Vater im Haus, der sie unterstützen oder zumindest den nachgiebigeren Part zu ihrem eisernen übernehmen könnte, stand ihr ein Abend in beharrlichem Schweigen bevor. Vielleicht sogar ein Abend und ein Tag.
Daniel konnte sehr unerbittlich sein.
Und obwohl Sarah Strategien parat hatte, das zu ändern, war sie nicht in der Stimmung, die jetzt schon anzuwenden.
Sie nahm ihren Wein und ging in ihr Arbeitszimmer, wo sie die Tür hinter sich schloss.
Dann atmete sie tief ein und blickte sich in ihrem Reich – ihrem Zufluchtsort – um.
Cherringham CSI. So nannte Jack dieses Zimmer gern.
Darin befanden sich ein langer Schreibtisch, ein Whiteboard, zwei große Computer und Monitore sowie ihr Laptop.
Die Regale standen voller juristischer Fachbücher von ihrem abgebrochenen Open-University-Studium.
Hm, dachte sie, während sie sich an ihren Schreibtisch setzte. Abgebrochenes Studium …
Vielleicht sollte ich das jetzt gerade lieber nicht gegenüber Daniel erwähnen.
Sie tippte auf ihre Tastatur, und der Monitor leuchtete auf.
»Anna Garcia« und »Köchin« gab sie in die Suchmaschine ein und wartete, dass die Ergebnisse geladen wurden.
Jack lehnte sich auf dem tiefen Chesterfield-Sofa zurück und hing überaus verräterischen Gedanken nach. Bisher hatte er geglaubt, im Spotted Pig machten sie den besten Martini der Cotswolds, aber seine Welt war soeben auf den Kopf gestellt worden.
Dieser Martini – im Hemingway-Stil in einem Tumbler serviert, genau wie die, die er vor Jahren so gern in Harry’s Bar in Venice getrunken hatte – war so stark wie die echten Martinis in Manhattan.
Und so kalt, dass die Kehle vor Freude juchzte.
Wie ergeht es wohl gerade Sarah?, fragte Jack sich. Ihr würde dies hier gefallen.
Er vernahm eine sanfte weibliche Stimme hinter sich – nicht die der jungen Frau, die ihm seine Jacke abgenommen hatte, sondern eine mit einem amerikanischen Tonfall. »Schmeckt nach Heimat, was?«
Er drehte den Kopf nach hinten.
Eine Frau in weißer Kochkleidung stand lächelnd da. Dunkles Haar, dunkle Augen. Ihre Gestalt wurde von der Bar hinter ihr angestrahlt.
»Eine Sekunde lang war ich wieder in den Campbell Apartments. Ich frage mich bereits, ob ich noch einen bestellen soll«, sagte er.
»Das ist gefährlich. Wir mixen unsere Martinis hier nicht wie die Briten …«
Jack lachte. »In Fingerhüten.«
»Genau. Glauben Sie, dass Sie zwei vertragen?«, fragte sie und trat nun zu ihm hin.
Jack betrachtete die ironischen Züge der Frau, dann fiel ihm der in geschwungener Kursivschrift gestickte Name »Anna« auf ihrer Jacke auf.
Das ist also die böse Köchin. Hm. Sie sieht nicht böse aus …
»Vielleicht höre ich lieber auf Ihren professionellen Rat – Anna? Sie sind hier die Chefköchin, richtig?«
»Stimmt.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen. Und wo der Martini hier so gut ist, bin ich schon gespannt, wie Ihre Weinkarte aussieht.«
»Sie wächst noch, ist aber schon recht passabel.«
»Dachte ich mir.«
»Sagen Sie Bescheid, wenn Sie bestellen möchten«, sagte Anna mit einem Nicken zu der Speisekarte auf dem Tisch. »Wie wäre es bis dahin mit einer Kleinigkeit, um Ihren Appetit anzuregen?«
»Gerne«, antwortete Jack. »Wird hier jeder von der Chefköchin persönlich bedient?«
»Nein, nicht jeder. Doch heute ist es ziemlich leer. Und als ich den Akzent hörte … Brooklyn, nicht?«
»Volltreffer.«
»Cop?«
»Ex. Wow, ist das so offensichtlich?«
Sie lachte.
»Für mich, ja. Ich hatte einige Male mit New Yorker Cops zu tun, als ich dort lebte – privat und beruflich.«
»Sie machen mich neugierig. Darüber müssen Sie mir mehr erzählen.«
»Später vielleicht. Ich habe zu arbeiten.«
»Eine gute Küche läuft von selbst – heißt es nicht so?«
»Oh, das stimmt nicht«, erwiderte Anna. »Nicht, wenn man nur zu dritt ist.«
Sie lächelte ihn an.
»Ich hoffe, Sie genießen Ihr Essen.«
»Das werde ich garantiert«, sagte Jack.
Er blickte ihr nach, bis sie wieder in der Küche war, und nahm die Karte auf.
Dabei überlegte er …
Habe ich eben mit ihr geflirtet oder sie mit mir?
Solche Gedanken hatte Jack schon sehr lange nicht mehr gehabt.
Sarah lehnte sich zurück und blickte auf den Bildschirm mit den Suchergebnissen, ehe sie sich eine weitere Notiz in dem gelben Block machte, den sie stets benutzte, wenn sie an einem Fall dran war.
Die Suche war nicht ganz so ausgefallen, wie sie erwartet hatte.
Sie hatte bei der Eröffnung des Bayleaf im letzten September angefangen. Eigentlich war sie davon ausgegangen, dass es jede Menge Online-Werbung, Artikel in Lokalzeitungen und den Cotswolds News geben würde – vielleicht sogar einige frühe Kritiken in den landesweiten Blättern.
Doch es war kaum etwas da. In PR war definitiv nicht investiert worden.
Warum nicht? So eröffnete man doch kein Restaurant – erst recht nicht im September, wenn die Leute gerade anfingen, über die Reservierungen für Weihnachten nachzudenken.
Eine mögliche Erklärung hatte Sarah in einem Interview mit dem Besitzer Karl Desmond entdeckt. Dort hatte er gesagt, dass er einen »Soft Launch« wolle, und dann ausgeführt:
Meiner Meinung nach dauert es einige Monate, bis sich ein Restaurant einläuft, zu seinem Stil, seinen Aromen und seiner einheimischen Klientel findet. Im nächsten Frühjahr werden wir bereit sein für eine richtige Eröffnung. Und die Leute in den Cotswolds werden sehen, dass wir edles Essen in eine neue Sphäre heben.
Sehr zuversichtlich – und bestätigt von den ersten Bewertungen in den sozialen Medien. Sarah scrollte zurück zu den ersten Posts – reichlich drei, vier und fünf Sterne.
Den Leuten gefiel das Restaurant, so viel war klar.
Dann jedoch mischten sich ab November zwischen die erstklassigen Noten auch solche mit nur einem oder gar keinem Stern. Sehr wenige Leute hatten das Restaurant als durchschnittlich bewertet.
Ein verdächtiges Muster, dachte Sarah.
Sie kannte sich mit Online-Werbung aus, und eine solche Häufung von widersprüchlichen Urteilen roch nach Manipulation. Sie machte sich eine Notiz, dass sie sich die Identitäten und sonstigen Posts der Leute mit den vernichtenden Kritiken ansehen sollte.
Vielleicht steckte ja ein Körnchen Wahrheit in Anna Garcias Behauptung, jemand würde die schlechten Bewertungen gezielt einstellen.
Als Nächstes gab Sarah »Karl Desmond« in die Suchmaske ein. Ältere Einträge gab es nicht, doch auf den jüngsten Gesellschaftsseiten der Cotswolds-Illustrierten waren Fotos von Karl Desmond zu finden, die ihn und seine Frau Lisbet bei diversen Spendenveranstaltungen zeigten.
Sarah betrachtete die Bilder.
Karl war ein jovialer kleiner Mann in den Fünfzigern mit Brille. An seinem Arm war seine Frau Lisbet – größer, jünger und gut aussehend in einem kleinen Schwarzen mit Perlenkette.
Das typische glückliche vermögende Paar.
Weiter zu den Branchenverzeichnissen …
Nichts in der hiesigen Region. Aber es gab einige Einträge von Restaurants im Norden, hauptsächlich in und um Sheffield, die von Desmond geleitet wurden. Ein paar an guten Adressen im Stadtzentrum. Eine rasche Streetview-Suche nach einigen der Restaurants zeigte bei diesen eine recht anständige Lage; es waren definitiv keine Spelunken.
Allerdings fand sich kaum etwas, das Desmond als Fachmann für gehobene Küche auswies. Keines der Restaurants gehörte zu der Sorte, die bei der Jagd nach einem Michelin-Stern im Rennen war.
Aber wer weiß! Der Mann mischte bei diversen Unternehmen mit und hatte reichlich Geld investiert. Vielleicht machte er genug Gewinne, um in etwas ganz Neues zu investieren.
Zurück zu Anna Garcia.
Und nun war Sarah überrascht.
Es gab einen Haufen von Kritiken zu ihren Anfängen in New York. Eine Menge Artikel über »die Neue im Gourmetbereich«, von denen viele schrieben, wie erfrischend es doch wäre, eine junge, aufstrebende Köchin auf ihrem Weg nach oben zu sehen. Ihr abenteuerlicher Stil wurde ebenso gelobt wie ihre Neubelebung einiger vergessener Trends.
Und dann ein Riesen-Hallo, als sie einen Michelin-Stern bekam.
Anna Garcia, schien es, war auf dem Weg zur Starköchin – damals im Jahr 2005.
In den Folgejahren kam jedoch nichts mehr, außer ein paar Restaurant-Eröffnungen in Washington und einer in San Francisco. Einige durchschnittliche Bewertungen: Von einem aufgehenden Stern konnte keine Rede mehr sein.
Zu schnell zu viel?, fragte Sarah sich.
In der Welt der gehobenen Gastronomie musste es eine gängige Geschichte sein.
Keine Andeutung, was geschehen war oder warum. Nur eine Karriere, die … dahinschwand.
Kommt vor, dachte Sarah. Früher, als sie noch ihr Webdesign-Büro in London hatte, waren einige der Top-Sterne-Restaurants unter ihren Kunden gewesen. Oft hatte sie sich bis spät in die Nacht mit Küchen- und Souschefs unterhalten und dabei wahre Horrorgeschichten gehört: von Hundert-Stunden-Wochen, schlechter Bezahlung, Stress und teils rauem, erbarmungslosem Arbeitsklima.
Die Gastronomie war eine harte und grausame Branche. Sarah hatte mitbekommen, dass manche Leute letztlich schlicht nicht mehr konnten. Sie waren einfach … ausgebrannt.
War das auch Anna Garcia passiert? Falls ja, warum die plötzliche Rückkehr in die Küche?
Und warum in Cherringham?
Warum jetzt?
Jack legte seinen Dessertlöffel ab und kostete den Geschmack der Panna cotta aus.
So weich, mit einem Hauch von Buttermilch, der ihn zurückkatapultierte ins Brooklyn seiner Kindheit und zu seinen italienischen Freunden, deren Mütter wussten, wie die echten Gerichte zubereitet wurden.
Und was war in dieser Coulis – Moltebeeren vielleicht? Oder war es eine unbekannte hiesige Frucht, die er nur noch nie zuvor gegessen hatte?
Dann der Dessertwein. Auf Annas Empfehlung hin hatte er einen Monbazillac 2001 gewählt. Fantastisch. Orange-golden, süß, vollmundig. Nicht klebrig, wie es Dessertweine schon mal sein konnten.
Wow! Er musste zugeben, dass ihn dieses Menü glatt umgehauen hatte.
Die Markvorspeise – mit diesem niedlichen Löffel, um die aromatische Füllung vollständig auszukratzen …
Dann Lammbries mit Pancetta und Rosenkohl.
Eine mutige Wahl – abermals auf Empfehlung von Anna – und ganz hervorragend!
Köstlich. Tadellos. Genau wie der Service.
Wie oft konnte ein Mahl das Leben verändern? Jack wurde bewusst, dass sich seine übliche Wahl von Steak oder Rippchen, so gut sie auch sein mochten, irrwitzig ausnahm, wenn solches Essen angeboten wurde.
Er blickte sich in dem Restaurant um. Ein Paar saß beim Kaffee. Die anderen beiden Tische waren schon längst wieder frei.
In New York würden die Leute hier Schlange stehen. Die Reservierungen würden binnen Stunden weggehen. Aber heute Abend waren nicht mehr als ein Dutzend Gäste im Restaurant gewesen.
Und durch das Fenster zur Küche hatte er gesehen, wie Anna und ihr Souschef – ein großer, rothaariger Kerl – häufiger in den Speiseraum sahen und zweifellos auf weitere Gäste hofften.
Was lief hier falsch?
Er sah, dass die Küchentür aufging und Anna durchkam, eine Kanne Kaffee in der einen, zwei Tassen in der anderen Hand. Hinter ihr am Durchgang band nun die Frau, die Jack zuvor bedient hatte, ihre Schürze ab. Der Abendservice war vorbei.
Und durch die offene Küchentür konnte Jack erkennen, dass der Souschef und ein junger Bursche schon damit begannen, alles aufzuräumen und die Oberflächen abzuwischen.
Anna stellte die Kaffeekanne und die Tassen auf den Tisch und nickte zu dem freien Stuhl.
»Darf ich?«
»Gewiss doch.«
»Ich nehme an, Sie hätten noch Kaffee bestellt?«
»Da haben Sie richtig vermutet.«
Er beobachtete, wie sie zwei Tassen einschenkte.
»Wir bestellen unsere Bohnen direkt von der Quelle und lassen sie drüben in Chipping Norton mahlen.«
»Der Trend zu Produkten ›aus regionaler Produktion‹ durchzieht die gesamte Karte, hm?«
»Warum nicht? Alles, was ich kochen möchte, bekomme ich im Umkreis von zehn Meilen. Abgesehen von Fisch und Meeresfrüchten.«
»Ich denke, das kann ich Ihnen vergeben.«
»Ah, vielen Dank, Officer!«
»Detective«, korrigierte Jack grinsend.
Sie lächelte.