Cherringham Sammelband XII - Folge 34-36 - Matthew Costello - E-Book

Cherringham Sammelband XII - Folge 34-36 E-Book

Matthew Costello

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Beschreibung

Very British - drei England-Krimis in einem Band!

Diese E-Book-Sonderausgabe beinhaltet die Fälle 34 - 36 der Cosy-Crime-Serie "Cherringham - Landluft kann tödlich sein" - ein Muss für Fans von Miss Marple und Sherlock Holmes!

Folge 34: Brimley Manor hat seine besten Tage hinter sich. Schon lange. Das einst prächtige Anwesen ist inzwischen ein Museum für allerlei verstaubte Kuriositäten des ehemaligen Eigentümers. Doch dann bricht ein Feuer aus - und Jack und Sarah entdecken immer mehr Hinweise, die auf Brandstiftung deuten! Die Angestellten von Brimley Manor scheinen allerdings nicht besonders interessiert, den Brand aufzuklären. Sie verhalten sich rätselhaft und offenbar gibt es mehr als ein dunkles Geheimnis, das sich um dieses Haus rankt. Und jemand scheint fest entschlossen, Jack und Sarah aufzuhalten, bevor sie diese Geheimnisse lüften können ...

Folge 35: Aufruhr in Cherringham: Das historische Rathaus soll verkauft und in ein Luxushotel umgewandelt werden. Die einen halten dieses Projekt für unbedingt notwendig, die anderen sehen darin den Ausverkauf ihres Dorfes! Doch aus der zunächst friedlichen Auseinandersetzung wird tödlicher Ernst, als einer der Demonstranten angegriffen wird. Können Jack und Sarah den Täter rechtzeitig finden und weitere Anschläge verhindern?

Folge 36: Hochzeit in Cherringham! Grace, Sarahs Partnerin in der Agentur, heiratet endlich ihren langjährigen Verlobten Nick, und das ganze Dorf freut sich auf das bevorstehende Fest. Doch kurz vor der Trauung wird der Vater der Braut plötzlich wegen Mordverdachts verhaftet - ein Mord, der über dreißig Jahre zurückliegt. Hat er das Verbrechen tatsächlich begangen? Jack und Sarah wollen herausfinden, was damals geschehen ist, damit Grace hoffentlich doch noch den schönsten Tag ihres Lebens feiern kann ...

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!

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Inhalt

Cover

Weitere Serien der Autoren

Über diesen Sammelband

Über die Autoren

Sammelband XII

Impressum

Das Rätsel von Brimley Manor

Nichts als Lügen

Hochzeit mit Hindernissen

Weitere Serien der Autoren

Mydworth. Ein Fall für Lord und Lady Mortimer

Über diesen Sammelband

Das Rätsel von Brimley Manor

Brimley Manor hat seine besten Tage hinter sich. Schon lange. Das einst prächtige Anwesen ist inzwischen ein Museum für allerlei verstaubte Kuriositäten des ehemaligen Eigentümers. Doch dann bricht ein Feuer aus – und Jack und Sarah entdecken immer mehr Hinweise, die auf Brandstiftung deuten! Die Angestellten von Brimley Manor scheinen allerdings nicht besonders interessiert, den Brand aufzuklären. Sie verhalten sich rätselhaft und offenbar gibt es mehr als ein dunkles Geheimnis, das sich um dieses Haus rankt. Und jemand scheint fest entschlossen, Jack und Sarah aufzuhalten, bevor sie diese Geheimnisse lüften können …

Nichts als Lügen

Aufruhr in Cherringham: Das historische Rathaus soll verkauft und in ein Luxushotel umgewandelt werden. Die einen halten dieses Projekt für unbedingt notwendig, die anderen sehen darin den Ausverkauf ihres Dorfes! Doch aus der zunächst friedlichen Auseinandersetzung wird tödlicher Ernst, als einer der Demonstranten angegriffen wird. Können Jack und Sarah den Täter rechtzeitig finden und weitere Anschläge verhindern?

Hochzeit mit Hindernissen

Hochzeit in Cherringham! Grace, Sarahs Partnerin in der Agentur, heiratet endlich ihren langjährigen Verlobten Nick, und das ganze Dorf freut sich auf das bevorstehende Fest. Doch kurz vor der Trauung wird der Vater der Braut plötzlich wegen Mordverdachts verhaftet – ein Mord, der über dreißig Jahre zurückliegt. Hat er das Verbrechen tatsächlich begangen? Jack und Sarah wollen herausfinden, was damals geschehen ist, damit Grace hoffentlich doch noch den schönsten Tag ihres Lebens feiern kann …

Über die Autoren

Matthew Costello ist Autor erfolgreicher Romane wie Vacation (2011), Home (2014) und Beneath Still Waters (1989), der sogar verfilmt wurde. Er schrieb für verschiedene Fernsehsender wie die BBC und hat dutzende Computer- und Videospiele gestaltet, von denen The 7th Guest, Doom 3, Rage und Pirates of the Caribbean besonders erfolgreich waren. Er lebt in den USA.

Neil Richards hat als Produzent und Autor für Film und Fernsehen gearbeitet sowie Drehbücher für die BBC, Disney und andere Sender verfasst, für die er bereits mehrfach für den BAFTA nominiert wurde. Für mehr als zwanzig Videospiele hat der Brite Drehbuch und Erzählung geschrieben, u.a. The Da Vinci Code und, gemeinsam mit Douglas Adams, Starship Titanic. Darüber hinaus berät er weltweit zum Thema Storytelling. Bereits seit den späten 90er Jahren schreibt er zusammen mit Matt Costello Texte, bislang allerdings nur fürs Fernsehen.

Cherringham ist die erste Krimiserie des Autorenteams in Buchform; inzwischen schreiben sie außerdem regelmäßig Fälle für ihre neue historische Cosy Crime-Serie »Mydworth. Ein Fall für Lord und Lady Mortimer«.

Matthew CostelloNeil Richards

CHERRINGHAM

LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN

Sammelband XII

Folge 34: Das Rätsel von Brimley ManorFolge 35: Nichts als LügenFolge 36: Hochzeit mit Hindernissen

beTHRILLED

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe von »Das Rätsel von Brimley Manor«:

Copyright © 2019 by Neil Richards & Matthew Costello, Titel der englischen Originalausgabe: »The Secret of Brimley Manor«

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Für die Originalausgabe von »Nichts als Lügen«:

Copyright © 2019 by Neil Richards & Matthew Costello, Titel der englischen Originalausgabe: »Too Many Lies«

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Für die Originalausgabe von »Hochzeit mit Hindernissen«:

Copyright © 2020 by Neil Richards & Matthew Costello, Titel der englischen Originalausgabe: »Murder under the Sun«

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Für diese Ausgabe:Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-0263-8

be-thrilled.de

lesejury.de

Matthew CostelloNeil Richards

CHERRINGHAM

LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN

Das Rätsel von Brimley Manor

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

1. Die Nachtschicht

Charlie Barrow erhob sich von dem schlichten Holzstuhl, der in dem kleinen Raum mit dem Steinfußboden stand. Das hier muss mal ein Kohlenkeller gewesen sein, dachte er.

Jetzt hingegen war es der Ort, an dem er die Stunden zwischen seinen nächtlichen Rundgängen durch Brimley Manor verbrachte. Im Sommer, wie jetzt, war es im Raum schwül und muffig, im Herbst und Winter kalt und feucht. Selbst mit einem Heizlüfter war es hier im Januar und Februar kaum auszuhalten.

Das heißt, es wäre nicht auszuhalten, hätte Charlie nicht seinen kleinen Vorrat an persönlichem Kälteschutzmittel dabei.

Nicht zu viel, das wusste er.

Nur ein kleiner Schluck hin und wieder.

Clifford, der tagsüber als Gärtner und Hausmeister fungierte und schon älter war, hatte es da schwerer, weil sich oft Jugendliche auf dem Gelände herumtrieben; er konnte sich wahrscheinlich nicht hier verstecken, um sich ab und zu einen Schuss Famous Grouse zu gönnen.

Nein, die Nachtschicht war günstiger für Charlie.

Und dass er die ganze Nacht aufbleiben musste?

Gar kein Problem. Er konnte schlafen, solange seine Frau auf war, erlöst von ihrem endlosen Geplapper und den ewigen Hausarbeiten, die sie ständig in ihrem kleinen Cottage auf der anderen Seite von Cherringham für ihn entdeckte – oder die sie sich eher ausdachte.

Das Cottage war nichts Besonderes, aber, wie dieser Job, ideal für ihn.

Charlie schnappte sich seine große silberne Taschenlampe mit den vier dicken Batterien drin. Wenn er das untere Ende fest umklammert hielt, sah sie nicht wie eine Lampe, sondern eher wie ein tödlicher Knüppel aus. Gleichwohl warf sie einen starken, hellen Lichtstrahl.

Er steckte seinen kleinen Flachmann in die Tasche. Wie immer wusste er ganz genau, wie viele Schlucke er bislang genommen hatte.

Die Menge musste bis zum Morgengrauen reichen.

Und den letzten herrlichen Tropfen gibt’s bei Sonnenaufgang.

Immer vorausgesetzt, es war nicht bedeckt. In letzter Zeit war das Wetter so wechselhaft, dass manchmal überhaupt keine Sonne zu sehen war, wenn Charlie darauf wartete, dass Clifford auftauchte. Der alte Knabe erschien grundsätzlich mit verschlafenen Augen, da er immer erst kurz zuvor aufstand, und mit einem Pappbecher Kaffee in der Hand. Dann tippte Charlie sich an die nicht vorhandene Mütze und machte sich auf den Weg zu seinem Cottage.

Es war ein ziemlicher Marsch von hier ans andere Ende von Cherringham.

Aber auch das passte Charlie prima.

Dass er den Wagen dort ließ, bedeutete, dass seine Frau schon wegfahren und sich mit irgendwelchen Besorgungen beschäftigen konnte, noch ehe er zu Hause war.

Pflanzen! Die waren ihr neuester Spleen.

Als wäre das verdammte Cottage nicht schon komplett umringt von allem, was der Herrgott in diesem Winkel der Welt wachsen ließ.

Ist nie genug für Edna, dachte er.

Rasch steckte Charlie sein Handy in die Tasche. Walkie-Talkies waren hier unnötig, denn das alte Brimley Manor war nachts ganz allein seine Domäne.

»Meine Domäne«, sagte er laut, weil ihm der Klang gefiel. Er vermutete mal, dass die heutige schwachköpfige Generation nicht mal mehr wüsste, was dieser Begriff bedeutete – die mit ihrem Facebook, dem Twitter-Dings und Insta-Bums.

»Alles Quatsch«, entfuhr es Charlie laut.

Er genoss es, sich selbst reden zu hören. So hatte er wenigstens etwas Gesellschaft.

Und da er nun bereit war, marschierte er die drei Steinstufen von dem kleinen Pseudo-Wachhäuschen hinaus in die schwüle Nachtluft.

Charlie hetzte sich wahrlich nicht auf seinem Weg durch das, was zu den besten Zeiten des Herrenhauses eine Art tief liegender Garten gewesen war.

Heute war alles vernachlässigt und überwuchert. Dieser Tage waren Clifford und der junge Bursche, der ihm half, schon restlos überfordert mit den Bereichen, die dringender instand gehalten werden mussten. Sie schafften es kaum, dass nicht alles wie eine Müllkippe aussah.

Und er musste sich darüber wundern – man stelle sich das vor! –, dass dieser Laden von dem mächtigen Conservation Trust geführt wurde!

»Geführt«, murmelte Charlie vor sich hin. »Wenn deren Management überall so ausfällt, wundert keinen mehr, dass das ganze Land in die Grütze geht!«

Noch mehr Stufen.

Wieso eigentlich Grütze?, dachte Charlie. Was für eine Grütze soll das sein?

Weitere Stufen, die er hochzusteigen begann. Sie führten ihn aus dem tiefer liegenden Bereich voller Unkraut und toter Blumen auf den Kiesweg zum Herrenhaus.

Bis auf die Lichtstrahlen der wenigen Außenlampen, die knapp die Umrisse des großen Hauses und der Nebengebäude erhellten, war alles dunkel.

Hier findet nachts keine tolle Sound- und Lichtershow statt, dachte er. Nicht wie bei manchen anderen Baudenkmälern in der Gegend, die der Trust verwaltete.

Oh nein. Brimley Manor? Stand weit unten auf der Ausgabenliste – seit Jahren.

Als er schließlich die oberste Stufe erreicht hatte, drehte Charlie sich nach links und schaute zu dem kleinen Farmhaus, das zum Anwesen gehörte und nur ein paar Minuten Fußweg entfernt war, wenn man von der Ostseite des Gebäudes aus die Zufahrt entlangging. Dieses Haus dürfte nicht größer sein als Charlies bescheidenes Cottage.

Doch angeblich wohnte dort der letzte noch lebende Erbe des »Brimley-Vermögens«.

Der ehrbare Peregrine Brimley.

Ehrbar? Tja, darüber ließe sich streiten.

Nicht, dass Charlie ihn jemals gesehen hätte.

Das Farmhaus musste Teil des Deals gewesen sein, damit der Conservation Trust den Herrensitz übernehmen und als – was eigentlich? – Museum betreiben konnte?

Als irgendein historisch wertvolles Bauwerk?

Bei dem Gedanken schüttelte Charlie den Kopf. Es war weder das eine noch das andere.

Ein weiterer Blick die Zufahrt hinunter zu dem kleinen Farmhaus. Dort brannten wenige gelbliche Lichter. An das Haus schlossen sich einige Felder an, ein Gemüsegarten, ein Pferch mit ein paar Schweinen und ein Hühnerstall.

Von Farm konnte kaum die Rede sein, doch anscheinend kam der Brimley-Erbe über die Runden, indem er alles, was er anbaute, an die hiesigen Läden und Restaurants verkaufte.

Charlie, der so ziemlich jeden Zentimeter des Herrenhauses kannte, fragte sich oft, was für ein Irrer dieser Peregrine Brimley sein mochte.

War dieser Spross – Enkel oder was auch immer – genauso plemplem wie der ursprüngliche Brimley?

Tja, solange sich Charlies Pflichten auf die Nacht beschränkten, würde er es wahrscheinlich nie herausfinden.

Charlie wandte sich wieder dem Haupthaus zu, das vor ihm in die Dunkelheit aufragte, die Mauern dicht von uraltem Efeu bewachsen.

Weiter vorn war eine breite Treppe, errichtet aus dem traditionellen gelben Cotswolds-Stein, wie das Haus selbst auch.

Die Treppe führte zu massiven Holzflügeltüren, bereit für die Ankunft sagenhafter Besucher von wichtigen Orten – die Großen und Mächtigen.

Aber warum sollen die ausgerechnet hierherkommen?

»Ein Irrenhaus.« So beschrieb Charlie es gegenüber seinen Kumpels, wenn er sie im Ploughman an seinem einzigen freien Abend in der Woche traf. »Da ist vielleicht ein Kram drin«, pflegte er zu erzählen, »echt, das würdet ihr nicht glauben.«

Und alle seine Freunde meinten nach ein paar Pints, sie sollten mal an dem einen Tag im Monat zur Besichtigung kommen, an dem das Haus tatsächlich für Besucher geöffnet war.

Von wegen!

Charlie blieb oben an der Treppe stehen und angelte eine Plastikkarte aus seiner Tasche: sein Schlüssel, der diese prächtigen Türen aufschloss. Es war ein kleines Zugeständnis an die moderne Zeit, das sich der notorisch knappe Trust anscheinend erlauben konnte.

Dieser Tage war das Geld mächtig knapp.

Und nirgendwo mehr als hier drinnen, dachte Charlie.

Die Tür klickte auf.

Rechts oberhalb von Charlie war eine der wenigen Überwachungskameras, die jeden filmte, der ins Haus ging.

Alle vierundzwanzig Stunden wurden die aufgezeichneten Aufnahmen automatisch gelöscht. Ein Hightech-Sicherheitssystem gab es hier ebenso wenig wie eine lückenlose Überwachung.

Bloß eine Handvoll Kameras.

Um all die Schätze zu bewachen. Pah!

Und dann, bereits ahnend, dass es drinnen noch weit stickiger sein würde als hier draußen, betrat er Brimley Manor.

2. Es liegt etwas in der Luft

Charlie war sich bewusst, dass er drinnen besser pflichtbewusst wirken sollte. Also schloss er die Tür fest hinter sich und schaltete seine große Taschenlampe ein.

Kein Licht im Haus machen – so lautete die Regel. Die uralte Verkabelung war wohl so marode, dass man nicht das Risiko eingehen wollte, nachts irgendwelche Lampen einzuschalten, vermutete er.

Jetzt schön wach gucken, ermahnte er sich. Du wirst gefilmt.

Er wusste, dass über ihm noch eine Kamera war, die jeden aufnahm, der das Gebäude betrat. Jetzt erfasste sie nur Charlie zu Beginn seiner nächtlichen Runde.

Dreimal die Nacht, immer derselbe Ablauf.

Warum dreimal? Würde einmal um Mitternacht herum nicht genügen?

Aber sie bezahlten ihn für seine Dienste. Also warum sollte er sich beklagen?

Eine fürstliche Summe war es nicht gerade. Die Mittel, aus denen sein Lohn bestritten wurde, waren so mager wie die für alles andere hier.

Für die wenigen billigen Kameras zum Beispiel.

Im gesamten Haus gab es nur vier. Allerdings hatte dieser Bursche vom Conservation Trust, Mr Jessop, gesagt: »Nächstes Jahr kommt das volle Programm!« In allen Räumen Kameras, die mit einem Sicherheitsdienst vernetzt sein würden. Vielleicht sogar Bewegungsmelder drinnen und draußen.

Was dann höchstwahrscheinlich Charlies Dienste überflüssig machte.

Mit der brennenden Taschenlampe in der Hand, holte Charlie tief Luft. Die Anweisung lautete, im ersten Stock anzufangen und sich von dort nach unten zu arbeiten – und dabei immer genau denselben Weg zu nehmen.

Durch die Zimmer voller seltsamem Brimley-Kram.

Und Charlie musste zugeben, dass keine Nacht verging, in der ihn der langsame Gang durch die sogenannte »Sammlung« nicht nervös machte.

Man muss schon aus Stein sein, dachte er, wenn es einen da nicht ein kleines bisschen gruselt.

All dieser alte, schräge Ramsch in den Zimmern.

Und dieses komische Gefühl, dass er manchmal hatte, er würde – nun ja – beobachtet.

Unmöglich, wie er wusste. Um Punkt sechs verschwanden alle, die hier tagsüber arbeiteten: das neue Mädchen, das hier forschte, Clifford, der Gärtner, und der junge Bursche, der ihm half …

Und überhaupt – man brauchte eine dieser schicken Plastikschlüsselkarten, um hier reinzukommen, und die wurden gehütet wie Goldstaub. Somit konnte nachts gar keiner im Haus sein.

Obwohl …

In den letzten Monaten hätte er ein paarmal schwören können, dass er aus dem Augenwinkel eine Gestalt gesehen hatte, die einen Korridor hinunter verschwand.

Oder einen sich bewegenden Umriss, der sich in einer der Glasvitrinen spiegelte.

Und einmal hatte er geglaubt, Schritte zu hören. Sogar eine leise, murmelnde Stimme, kaum hörbar.

Nicht, dass er es irgendwem erzählt hätte. Oh nein. Nur Edna.

Doch sie hatte ihn ausgelacht und eine Woche lang versucht, ihn zu erschrecken – hatte sich oft hinterrücks an ihn herangeschlichen und »Buh!« gerufen.

Es dem Trust zu melden traute er sich erst recht nicht. Die würden bloß denken, dass er von allen guten Geistern verlassen war, und sich jemand anders für die Nachtschicht suchen.

Bin ich vielleicht wirklich ballaballa geworden?, überlegte er und lachte vor sich hin. Wenn, würde ich das wohl als Letzter merken, oder?

Er erreichte die ausladende Treppe mit dem rotbraunen Läufer, der nur rot aussah, wo der Lampenstrahl auf ihn traf. Der Rest war in ein schlammiges Schwarz getaucht und das Geländer nur eben noch auszumachen.

Er setzte dazu an, die Treppe hinaufzusteigen – als ihm plötzlich ein Geruch auffiel.

Charlie war an die Duftnoten in diesem alten Kasten gewöhnt, die sich von einem bizarren Zimmer zum anderen unterschieden.

Es roch nach Alter, nach Verfall. Nach vertrocknendem, krümelig werdendem Stoff oder nach vergilbtem Papier, das kurz vorm Zerbröseln war.

Der Kleber an manchen der Ausstellungsstücke war auch schon ausgeblichen und spröde.

Selbst in Zimmern, in denen sich hauptsächlich Holz- und Metallobjekte befanden, wie etwa im alten Fahrradraum, hing eine gammlige Note.

Aber dies …

Charlie blieb stehen.

Er schnupperte, atmete tiefer ein.

Nein, es bestand kein Zweifel.

Das ist Rauch!

Nochmals atmete er tief durch die Nase ein, was ihm bestätigte, dass es sich eindeutig um Rauchgeruch handelte, der von oben kam, auch wenn er hier noch recht schwach war.

Hier unten an der Treppe war er nur eben gerade wahrzunehmen.

Charlie richtete den Taschenlampenstrahl langsam nach oben.

Und während das Licht auf Gemälde von wer weiß wem und mit wer weiß was schien, die den Treppenaufgang säumten – auch auf die grausige Gestalt in dem riesigen Bild, die wütend von ganz oben herabschaute –, konnte Charlie hauchdünne Rauchfäden erkennen, die geradezu gespenstisch in der Dunkelheit über den Stufen schwebten.

Charlie – der seine besten Jahre, in denen er richtig Tempo hatte aufnehmen können, schon länger hinter sich hatte – gab sein Bestes, um die knarzenden Stufen hinaufzurennen.

Oben wäre er beinahe gestürzt, weil er irgendwie die letzte Stufe verfehlte, als er mit der riesigen Taschenlampe umherleuchtete.

Er blieb stehen, blickte sich nach links und rechts um, suchte nach der Rauchspur, spähte in die Dunkelheit und bemühte sich zu erkennen, woher der Rauch kommen mochte.

Abermals hielt er sich genauestens an die Anweisungen.

Es war sehr wichtig, hatte man ihm gesagt, dass er in einem Notfall – platzende Rohre, Feuer, Elektrizitätsprobleme, egal was – exakt benennen könnte, was los war, damit die Feuerwehr, wenn sie eintraf, keine kostbare Zeit vergeudete.

Keine wertvollen Minuten verlor.

Dabei stand Charlie eigentlich eher der Sinn danach, auf der Stelle kehrtzumachen, aus dem alten Kasten zu rennen und dann die Feuerwehr zu rufen.

Sollen die sich darum kümmern!

Jetzt jedoch sah er links von sich kleine Rauchfahnen im Flur. Und Charlie bewegte sich vorsichtig in diese Richtung …

Als Nächstes schritt er durch das Zimmer, das er am allerunheimlichsten fand, weil es voller Puppen war.

Hunderte von Glas- und Plastikaugen, die ihn anglotzten.

»Davon kann man Albträume kriegen«, hatte er Edna erzählt.

Und anscheinend warteten sie jetzt wieder auf ihn: all die toten Augen, die etwas von ihm zu fordern schienen, als er resolut den Raum in Richtung einer kleinen Kammer durchquerte.

Zu beiden Seiten des engen Flurs waren in die Wände eingebaute Glaskästen.

Angefüllt mit Fingerhüten!

Zumindest glaubte Charlie, es wären welche.

Doch auch hier war der Rauchgeruch nur schwach.

Welches verfluchte Zimmer ist es denn, aus dem der kommt? Könnte jeder dieser Räume sein. Die sind ja alle so komisch geschnitten. Das ist hier wie ein Flickenteppich oder ein bescheuertes Labyrinth!

Auf zum nächsten Zimmer, in dem Charlies Blick auf ein Dutzend Schaufensterpuppen in jahrhundertealte Monturen japanischer Krieger fiel.

Samurai, glaubte er.

Da waren Brustharnische, gebogene, verzierte Schwerter – fast so groß wie die Puppen selbst –, eigenartige Helme, die viel weniger zweckdienlich wirkten als die europäischen aus derselben Zeit. (Es gab da ein Brimley-Zimmer mit diesen mittelalterlichen Rüstungen, das am anderen Ende des Gebäudes war.)

Jetzt ganz langsam.

Er konnte den Rauch hinten in seiner Kehle schmecken.

Mit seiner freien Hand holte er sein Handy heraus, um es griffbereit zu haben.

Noch vorsichtiger ging er weiter – zögerlich, weil der Rauch jetzt dichter wurde.

Bis er den schmalen Flur erreichte, der ins nächste Zimmer führte.

Das Musikzimmer.

Zumindest nennen sie es so …

Voller Instrumente aller Art.

Alte, antike Instrumente von der Sorte, die heute keiner mehr spielte; davon war Charlie überzeugt.

Und dann … in einer Ecke des Zimmers sah er Flammen aufzüngeln.

Er wich zurück, so schnell er konnte, rammte eine Samurai-Rüstung und warf den wackligen Ritter um, der laut scheppernd auf dem Boden aufschlug. Charlie machte noch mehr Lärm, weil er rückwärts gegen eine der Glasvitrinen stolperte, was einen solchen Krach erzeugte, dass es plötzlich das gesamte stille Herrenhaus auszufüllen schien.

Er hatte sein Handy parat, dessen Display leuchtete, während er weitere holprige Schritte rückwärts auf den Flur machte.

Die Nummer ganz oben auf dem Display tippte er an.

Es klingelte einmal. Es klingelte zweimal.

Und eine ruhige – viel zu ruhige! – Stimme meldete sich.

»Notruf, was kann ich für Sie tun?«

»Feuer!«, brüllte Charlie, als würde er eine richtig miese Nachricht überbringen. »Wir haben hier Feuer!«

»Ich stelle Sie durch …«

»Verdammt!«, schrie Charlie. »Können Sie nicht …?«

»Feuerwehr«, erklang eine neue Stimme. »Wo sind Sie?«

»Brimley Manor, Cherringham. Feuer! Hier brennt es. Ein verdammtes Feuer! Oben! Erster Stock!«, rief er und lief weiter. »Ich sehe es jetzt! Das Zimmer links, hinter dem Raum mit den japanischen Rüstungen. Der Rauch breitet sich aus –«

Die Stimme am anderen Ende fiel ihm ins Wort.

»Wir sind unterwegs«, sagte sie schlicht. Dann, als wäre es nicht offensichtlich: »Sir, verlassen Sie bitte das Gebäude, und gehen Sie so weit weg davon, wie Sie können. Die Feuerwehr ist gleich da.«

Nun verwandelte sich Charlies Rückwärtsstaksen in ein stolperndes Laufen, ehe er sich hastig umdrehte und losrannte, zwischen den jetzt womöglich zum Untergang verdammten Puppen hindurch zur Treppe.

Vorsicht hier … nicht stolpern … und nach unten stürzen, wenn das Haus in Flammen aufgeht! Das wäre schlecht …

Und so nahm er eine Stufe nach der anderen, immer eine Hand am Geländer.

Zur Tür.

Die klemmte immer, sodass man wirklich kräftig daran ziehen musste.

Sogar in seiner Panik erinnerte er sich daran, dass er die Schlüsselkarte gegen das Plastikrechteck mit dem kleinen beleuchteten roten Punkt in der Nähe des Türknaufs drücken musste.

Und ihm kam ein gruseliger Gedanke: Was, wenn der Strom im Haus ausgefallen ist und die Tür nicht aufgeht?

Was dann?

Aber da hörte er schon ein Klicken, und der kleine rote Punkt wurde grün. Charlie zog, so fest er konnte, und die Tür ging auf.

Noch nie hatte die Nachtluft so gut geschmeckt!

Und weil Charlie von jeher jemand war, der Ratschläge nicht ausschlug, eilte er die Steinstufen draußen hinunter und über die Kieszufahrt – sogar noch weiter, an seinem Wächterhäuschen vorbei.

Er brachte so viel Distanz zwischen sich und das Feuer, wie er konnte.

Ohne sich umzuschauen.

Und während er immer noch weiter weglief, hörte er die Sirenen.

Die Feuerwehr war unterwegs.

Er dürfte nun in Sicherheit sein.

Das war gut!

Aber Brimley Manor?

Wer konnte das schon wissen?

Nun, abgesehen von dem dürftigen Job und dem schmalen Gehalt, das der Kasten ihm einbrachte … wen kümmert es denn wirklich?

3. Anton Jessop vom Conservation Trust

Jack hatte eine Parklücke nicht allzu weit vom Huffington’s gefunden. Die Touristensaison war vorbei, der Herbst lag in der Luft, und es wurde ein wenig einfacher, einen Platz auf dem Markt von Cherringham zu finden.

Und mit seinem »neuen« 1962er MGA – immer noch kein großer Wagen, obwohl sehr viel geräumiger als sein alter Sprite – passte er leicht in enge Lücken.

Der windschnittige MGA in British Racing Green auf freier Strecke, einer von den Römern einst angelegten Straße? Da wäre es ziemlich fantastisch, die 1600-ccm-Maschine mal auszufahren und zu sehen, wie schnell man mit dem Auto dahinbrausen konnte.

Jack vermutete, dass es sich bestens machen würde bei einer Straßenrallye – was er bisher allerdings noch nicht ausprobiert hatte.

Doch mit dieser Schönheit? Eines Tages vielleicht …

Es könnte Spaß machen.

Und als er das Huffington’s betrat – wo ihm die Bedienungen wie immer strahlend zulächelten, hatten sie sich doch nach wie vor nicht recht an den Gedanken gewöhnt, einen Amerikaner in Cherringham zu haben –, sah er Sarah an »ihrem« üblichen Tisch sitzen.

Er war recht weit hinten, weg von dem Gedränge. Und herrschte nicht gerade der typische Ansturm wie morgens, mittags oder zur Teezeit, konnte man dort in Ruhe reden.

Über Cherringham und Verbrechen.

Sarah saß mit einem Mann zusammen, von dem sie Jack erzählt hatte, dass er sie beide ziemlich dringend treffen wollte. Anscheinend wollte der ältere Herr in dem dunklen Anzug mit ihnen eine »Angelegenheit von größter Dringlichkeit und Diskretion« bereden.

Worauf Jack geantwortet hatte: »Du weißt ja, Sarah, dass ich bei solchen ›Angelegenheiten‹ nie widerstehen kann.«

Sie hatte gelacht.

Nun ging Jack auf den Tisch mit dem dritten freien Stuhl zu. Sarah bemerkte ihn und winkte.

Der Mann stand auf, nickte und schüttelte Jack die Hand.

»Mr Brennan …«

»Jack, bitte.«

Komisch, dass er von jeher fand, »Mr Brennan« würde nicht ganz richtig klingen.

Mr Brennan? Das war sein Vater, ein tougher, fleißiger alter Kerl.

Aber Jack war für alle, mit denen er zusammengearbeitet hatte, ob über oder unter ihm beim NYPD, immer nur »Jack« gewesen.

Und das gefiel ihm.

»Ich habe Ihrer Kollegin eben erklärt … Oh, ich bin übrigens Anton Jessop. Ich sitze im Vorstand des Conservation Trust.«

Er zückte zwei Visitenkarten.

Jack nahm eine mit einem Nicken entgegen und schaute sie sich an. Conservation Trust. Da er schon viele der historischen Stätten in der Gegend besichtigt hatte, wusste Jack, dass der Trust für den Betrieb und Erhalt der meisten von ihnen zuständig war.

Janey, eine Bedienung, die Jack bei seinen Besuchen im Huffington’s nie zu verpassen schien, tauchte neben ihm auf.

»Hallo, Jack, was darf ich Ihnen bringen? Wie immer?«

Seine übliche Bestellung – zumindest dieser Tage – bestand aus Tee ohne Milch, einem Scone, falls noch welche da waren, und einem oder zwei Stückchen Butter. Seine New Yorker Tage mit zahllosen Tassen starken Kaffees waren passé. Zum Glück, dachte er.

Und die Backwaren hier? Näher konnte man dem Paradies kaum kommen.

»Ja, sehr gerne, Janey.«

Die grauhaarige Frau strahlte wieder und ging.

Jack nickte Sarah zu, die bereits bei einem Tee und einem Scone saß.

Es war eine Weile her, seit sie zuletzt »zusammengearbeitet« hatten. Im letzten Monat hatten sie sich einige Male zum Dinner getroffen und dabei über Sarahs »Kinder« und über die Neuigkeiten zur Hochzeitsplanung ihrer Assistentin Grace gesprochen – das Datum rückte wahrlich nahe.

»Ja, ähm, es gab einen bedauerlichen Zwischenfall in einem von uns betreuten Anwesen hier, im Brimley Manor. Sie haben es womöglich schon einmal besichtigt oder sind vielleicht mal vorbeigefahren?«

Jack war nicht bloß niemals dort gewesen, sondern bei dem Namen klingelte rein gar nichts bei ihm.

Vermutlich gibt es immer etwas Neues zu entdecken, selbst in einem kleinen Cotswolds-Dorf, dachte er.

»Nein, kann ich nicht behaupten.«

Sarah sprang ein. »Es ist nicht sehr weit von hier, Jack – ein bisschen versteckt von der Straße nach Hook Norton. Und eigentlich ist es auch nicht fürs Publikum geöffnet. Stimmt es nicht, Mr Jessop?«

Jessop bejahte. »Leider nicht, angesichts all der Budgetkürzungen. Und es müsste manches an dem Anwesen gemacht werden – nun ja, eine Menge … Deshalb öffnen wir nur einen Tag im Monat für Besucher.«

Einen Tag im Monat? Kann sich das lohnen?, fragte Jack sich.

»Natürlich tun wir unser Bestes, das Anwesen und die Sammlung dort zu erhalten. Nun, die Gartenanlage selbstverständlich auch.«

»Sammlung?«, hakte Jack nach. Im selben Moment wurde sein Tee gebracht, zusammen mit einem köstlich aussehenden Scone und zwei Stückchen Butter auf einem Teller.

»Ja, die Sammlung von Mr Horatio Brimley. Ein exzentrischer alter Knabe. Er ist in den Zwanzigerjahren durch die Welt gereist und hat damals eine recht beachtliche Sammlung an Souvenirs mitgebracht.«

Jack wandte sich zu Sarah. »Warst du schon da?«

»Nein, bisher nicht. Wie gesagt, ich wusste, dass es das Anwesen gibt, und nahm an, dass es irgendwann richtig öffnet, so wie die anderen vom Trust verwalteten Häuser auch.«

»Selbstverständlich, das war … ist auch geplant.«

Jack bemerkte, dass Jessop seine Frage nach der Sammlung noch nicht beantwortet hatte. Eine Sammlung von was?

Gibt es hier Geheimnisse?

»Und der Zwischenfall?«, fragte Jack, nahm das kleine Buttermesser, schnitt den Scone auf und strich Butter hinein.

Während Jessop zu einer Antwort ansetzte, biss Jack in den Scone.

Himmlisch …

»Ein Feuer, bedauerlicherweise. Ein Zimmer ist vollständig zerstört, und in einem angrenzenden Bereich hat es erheblichen Schaden angerichtet. Zum Glück hatte unser Nachtwächter schon seine Runden begonnen und rasch die Feuerwehr gerufen. Aber, wie gesagt, ein Raum ist komplett ruiniert. Alles darin.«

»Und das war?«

»Musikinstrumente aus der ganzen Welt. Manche jahrhundertealt.«

»Wie furchtbar«, sagte Sarah. »Ich nehme an, sie waren wertvoll?«

»Die Instrumente an sich? Hm, verblüffenderweise nicht. Wir hatten in den letzten Monaten alles von jemandem durchgehen lassen. Um sie zu katalogisieren, verstehen Sie? Alles sehr interessante Objekte, ohne Frage. Aber der reale Geldwert?« Jessop schüttelte den Kopf. »Eher keiner. Kuriositäten, Kopien, Reste. Dennoch gibt es einen Verlust – und der wird sich summieren. Der Schaden an dem Zimmer, an dem Haus selbst. Die Sprinkleranlage im zweiten Zimmer hat dort vieles beschädigt. Und bei den Löscharbeiten ist Wasser ins Erdgeschoss runtergeflossen – wo leider auch die ›Schätze‹ eines weiteren Raumes ruiniert wurden.«

Jack nickte.

Interessant, sicher, aber warum kontaktiert dieser Jessop Sarah und mich im Auftrag des Trusts?

Er bemerkte, dass Sarah ihn ansah.

Während er noch einen Bissen von seinem überaus köstlichen Scone nahm, nickte Sarah ihm kaum merklich zu und wandte sich dann wieder zu Jessop.

Sarah schätzte, dass Jack genauso – nun ja – verwirrt war wie sie.

Ein Brand. Einiger Schaden. Beträchtlicher Verlust.

Aber warum wir?, dachte sie.

Jessop, der offenbar ahnte, welche Frage kommen würde, stockte kurz, bevor er weitererzählte.

»Die Versicherung hat natürlich eine Untersuchung angeordnet. Bevor die nicht abgeschlossen ist, bekommen wir kein Geld. Reparaturarbeiten müssen aufgeschoben werden. Aber im Vorstand war man sich einig, dass wir unsere eigenen Leute brauchen, wenn man so will, die sich den Fall ansehen. Ob die Versicherung etwas entdeckt oder nicht – es ist das Beste, wenn wir genau wissen, was geschehen ist. Und wie es passieren konnte.«

Wieder nickte Sarah. »War an dem Brand irgendwas verdächtig?«

»Verdächtig? Ach, das kann ich eigentlich nicht behaupten. Aber ich habe meine Zweifel. Sie müssen wissen: Brimley Manor ist ein altes Anwesen und wird nur notdürftig instand gehalten. Gott, ich mag mir gar nicht vorstellen, in welchem Zustand die elektrischen Leitungen sind!«

»Sie erwähnten eine Sprinkleranlage, die einen zweiten Raum beschädigt hat«, sagte Jack, »aber nicht den, in dem das Feuer ausgebrochen war, ja?«

Jessop bejahte stumm.

»Es sind noch die Original-Sprinkleranlagen, ungefähr fünfzig Jahre alt oder so. Nicht gerade modern, fürchte ich. Und es gibt sie nicht in allen Zimmern. Es wurde wohl angenommen, dass eine Anlage versehentlich losgehen und dann den gesamten Inhalt eines Zimmers zerstören könnte. Also hatte der Musikraum mit all den alten Holzinstrumenten eben keine Anlage.«

»Wodurch sich das Feuer – was immer es ausgelöst hat – richtig entwickeln konnte.«

Hierauf beobachtete Sarah, dass Jack sehr kurz zu ihr sah.

Und es war beinahe, als könnte sie sehen, wie sich die Rädchen in seinem Kopf in Bewegung setzten.

Fragen, die zu Annahmen führten. Annahmen, die zu Theorien führten.

Jacks Scone war verschwunden. Doch Sarah erkannte, dass ihr Partner, der dem Repräsentanten des Trusts gegenübersaß … interessiert war.

»Nun, ähm«, fragte Jack in langsamem Tonfall, »warum haben Sie ausgerechnet uns kontaktiert?«

Jessop holte tief Luft und blickte sie dabei an, als wäre die Antwort offensichtlich.

»Wir – einige Vorstandsmitglieder und ich – haben uns umgehört, wer helfen könnte. Unter anderem auch bei meinem guten Freund hier im Ort, dem Anwalt Tony Standish.«

»Ja, den kennen wir gut«, sagte Jack.

Jessop legte eine kurze Pause ein und nickte. »Tja, und selbst bei der hiesigen Polizei fielen Ihre Namen.«

Wieder holte er Luft.

»Wir können Ihnen das übliche Honorar zahlen, versteht sich, wenn Sie in der Brandsache ermitteln. Mit allen Angestellten sprechen, dem Nachtwächter … nur um absolut sicherzugehen, dass wir nichts übersehen.«

Jessop blinzelte als hätte er Angst vor einer abschlägigen Antwort.

»Glauben Sie, Sie könnten es übernehmen?«

Jack grinste und sah zu Sarah, die antwortete …

»Das übliche Honorar? Nun, unser übliches Honorar ist üblicherweise null.«

»Oh«, entfuhr es Jessop, der ein wenig enttäuscht klang.

Hastig erklärte sie: »Was wir tun, machen wir gratis, Mr Jessop. Wenn wir das Gefühl haben, jemandem helfen zu können. Und ich bin mir sicher, dass Sie einen Profi finden, der in solchen Fällen ermittelt.«

Doch Jessop schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, vor dem Hintergrund der vielen Empfehlungen für Sie – nicht zu vergessen, dass Sie von hier sind – wird der Trust äußerst enttäuscht sein.«

Dann hatte Sarah eine Idee.

Sie sah zu Jack. »Ich weiß nicht. Im Büro ist es ziemlich ruhig, nachdem der Ferienwahnsinn wieder für einen Sommer überstanden ist. Wärst du interessiert?«

Die Antwort hierauf kannte sie bereits.

So, wie es in ihm schon zu arbeiten begonnen hatte? Er ist interessiert.

»Klar«, antwortete er.

Sie wandte sich wieder Jessop zu. »Was unser Honorar angeht: Wie wäre es, wenn Sie das, was Sie uns zahlen würden, einer Organisation unserer Wahl spenden?«

»Hervorragend! Alle werden hocherfreut sein, diese Neuigkeit zu erfahren.«

Dann zückte Jessop einen braunen Briefumschlag.

»Hier in den Unterlagen finden Sie alles, was Sie brauchen: die Namen aller, die auf dem Anwesen arbeiten, Kontaktdaten des Trusts und meine privaten Kontaktdaten. Ich muss Sie bitten, mich stets auf dem Laufenden zu halten. Oh, und ich habe jedem auf dieser Liste Bescheid gegeben, dass wir – zusätzlich zu den Zahlenschiebern von der Versicherung – einige Leute engagieren, die in der Angelegenheit nachforschen.«

Sarah zog den Umschlag zu sich heran.

Allein die Aufschrift in Druckbuchstaben war interessant.

Brimley Manor Ermittlung

»Und ich werde alle informieren, dass sie von Ihnen beiden kontaktiert werden.«

Mit diesen Worten stand Jessop auf, als könnte sein Glück verpuffen, sollte er länger bleiben.

»Das tue ich jetzt gleich.«

Er reichte erst Jack, dann Sarah die Hand, und lächelte. Anschließend eilte der komische kleine Mann vom Trust, der seine Worte so präzise wählte, zum Ausgang und aus dem Huffington’s hinaus.

Sarah sah Jack an. »Und, wollen wir?«

Jack grinste ihr zu, ehe Sarah den Umschlag öffnete, um zu sehen, mit wem sie in den nächsten Tagen sprechen sollten.

4. Nicht ganz eine Führung

Sarah lehnte sich in Jacks neuem Wagen auf dem Beifahrersitz zurück und genoss den Wind in ihrem Haar an diesem warmen Septembernachmittag.

»Vermisst du den Sprite noch?«, fragte sie und sah Jack an. Er trug eine Sonnenbrille, und seine große Gestalt füllte den braunen Ledersitz des Sportwagens vollständig aus.

»Hm, doch. Wir hatten eine Menge Spaß mit dem Wagen, oder nicht?«

»Das ist wohl wahr«, bestätigte Sarah. Sie entsann sich schwindelerregender Verfolgungsjagden, nächtelanger Observationen, vorsichtiger Beschattungen …

»Aber dieser Wagen, ach, der ist einfach für einen Typen wie mich gemacht«, sagte Jack. »Und bequem. Dieser Sitz ist wie … wie einer dieser Sessel – wie heißen die noch? Voll elektrische …?«

»Äh, fällt mir gleich ein.«

»Und wenn ich aufs Gas trete … So …« Sarah hörte den Motor fauchen, als Jack einen Gang runterschaltete und kräftig aufs Pedal trat – und der Wagen schoss auf der freien Straße vorwärts. »Ich glaube nicht, dass uns hier irgendwer einholt.«

»Hm, na ja. Geschwindigkeitsbegrenzung? Polizei? Schon vergessen?«

»Oh ja, klar. Na, ich meine ja nur, ich könnte jedem davonfahren.«

Er wurde wieder langsamer.

Weiter vorn sah Sarah einen verwitterten alten Wegweiser zum Dorf Brimley.

»Da ist es. Ich denke, das ist unsere Abbiegung.«

Jack wurde noch langsamer, ehe er von der Hauptstraße auf eine schmale Landstraße abbog; und bald schienen sich die Mauern von beiden Seiten auf sie zuzuneigen.

»Ich wollte dich noch fragen, wie du Mr Jessop gestern fandst«, sagte sie.

»Hm.«

»Du hattest diesen Ausdruck …«

Er grinste. »Welchen?«

»Diesen ›Etwas stimmt hier nicht‹-Blick.«

Jack lachte. »Richtig erkannt. Ich schätze, ich habe bloß überlegt, warum er uns braucht. Kommt mir wie ein Overkill vor, meinst du nicht? Schließlich sehen die Versicherungsleute sich alles genau an.«

»Eben. Aber ich habe mir gestern Abend mal Brimley Manor online angeschaut und ein bisschen recherchiert. Der Trust hat Großes mit dem Anwesen vor, im Rahmen einer neuen landesweiten Strategie. Es sollen Millionen investiert werden.«

»Ah, also will er vielleicht sicher sein, dass da nirgends der Wurm drin ist?«

»Genau. Oder Mr Jessop will bloß – verzeih die Wortwahl – seinen Arsch retten?«

»Besser hätte ich es nicht ausdrücken können«, sagte Jack schmunzelnd.

Minuten später fuhren sie durch einen winzigen Weiler – das Dorf Brimley? –, und Sarah zog die Karte auf ihrem Handy zurate.

Ein Dorf ist das wahrlich nicht.

»Es müssten nur noch ein paar hundert Meter sein«, sagte sie und blickte nach vorn.

Sie fuhren auf eine weitere Kurve zu, die nicht einsehbar war, und dahinter tauchte Brimley Manor auf.

Das Haus stand auf einem Hügel, nur hundert Meter weiter, umgeben von einem Gewirr aus Schuppen und Nebengebäuden, die vom stolzen efeuumrankten Herrenhaus deutlich überragt wurden. Der helle Cotswolds-Stein fing die Nachmittagssonne ein, und im obersten Stock, unterhalb hoher Schornsteine und dreieckiger Dachgauben, reihten sich fünf oder sechs Fenster aneinander.

Ein Schild vom Conservation Trust am Straßenrand wies zu einem fast leeren Besucherparkplatz, auf den Jack den Wagen lenkte. Mit dem Kühler zum Haus gerichtet, hielt er neben einem alten verbeulten Golf an.

Sarah erblickte aus dieser Perspektive Brimley Manor so, wie es die gut betuchten Gäste vor Hunderten von Jahren getan haben mussten: eine prächtige Residenz, umgeben von einem ummauerten Garten. Über die ausladenden Rasenflächen vorn zog sich ein Zickzack von Kieswegen, in deren Mitte ein wunderschöner Springbrunnen mit einer Putte stand – und besagte Putte zielte mit Pfeil und Bogen gen Himmel.

Zur einen Seite des Hauses sah Sarah noch mehr Rasenflächen, die allerdings dringend gemäht werden mussten, sowie ein langes Gewächshaus aus Glas, bei dem selbst aus dieser Entfernung zu erkennen war, dass darin reichlich Grün wuchs.

Und sie erkannte dunkle Umrisse von jemandem, der sich drinnen bewegte. Gewiss versorgte diese Person gerade die Pflanzen.

»Ruhig hier«, sagte Jack, als er den Motor abstellte.

Jetzt herrschte Stille, bis auf das ferne Krächzen einiger Krähen. In diesem Talabschnitt lagen Haus und Gartenanlage sehr geschützt.

Kein Wunder, dass ich noch nie hier gewesen bin, dachte Sarah. Ohne Schild an der Hauptstraße ahnt man nicht mal, dass es dies hier gibt.

Jack kletterte aus dem Wagen, und sie stieg ebenfalls aus.

»Wir haben geschlossen«, ertönte eine Stimme hinter ihnen.

Sarah drehte sich um und erblickte einen weißhaarigen Mann in einem schäbigen Tweedsakko und einer Latzhose, der durch eine Seitenpforte kam und sich die Hände an einem Lappen abwischte.

Sarah sah zu Jack, und er zog die Augenbrauen hoch.

»Welch herzliche Begrüßung«, murmelte er. Gemeinsam gingen sie auf den Mann zu. »Anscheinend geht der Fall jetzt los.«

Lächelnd streckte Jack seine Hand vor.

»Jack Brennan«, sagte er. »Und dies ist Sarah Edwards.«

Der Mann wischte sich immer noch die Hände ab, ignorierte die von Jack und nickte bloß.

»Charlie Barrow.«

»Mr Barrow – der Nachtwächter, richtig?«, fragte Sarah.

Ein verhalteneres Nicken.

»Mr Jessop hat Ihnen hoffentlich gesagt, dass wir kommen«, fuhr sie fort.

»Hat er«, antwortete der Mann. »Deshalb bin ich ja jetzt am Nachmittag hergekommen, obwohl ich nur nachts arbeite, nicht? Ansonsten wäre ich gar nicht hier.«

Hartnäckig freundlich, der Mann, dachte Jack.

Als Nächstes drehte sich der Wachmann um und ging über den Rasen auf das Haus zu.

Achselzuckend blickte Jack zu Sarah, dann folgten sie ihm.

Als sie den Haupteingang erreichten, hielt der Mann eine Karte vor ein Lesegerät, und das Schloss ging mit einem Klicken auf.

Jack bemerkte die Sicherheitskamera über der Tür, beinahe versteckt in dem dichten Efeu, der das Haus einhüllte wie eine Decke.

Könnte nützlich sein, dachte er. Falls sie die Bänder aufbewahren.

»Kameras. Also haben Sie ein recht gutes Sicherheitssystem?«, fragte er.

»Nee, das ist alles bloß Show«, antwortete Charlie und schob die Tür auf. »Ganz billig gemacht, wenn Sie mich fragen.«

Bereits auf der Schwelle konnte Jack den säuerlichen Aschengeruch wahrnehmen, der ihm von Ermittlungen in New York so vertraut war.

Bei diesem Brand hatte es indes keine Opfer gegeben.

Doch er erinnerte sich an andere Feuer, bei denen er Furchtbares gesehen hatte. Es waren mit die schlimmsten Tage in seinem Job gewesen.

Sie folgten Charlie in eine stickige dunkle Eingangshalle und warteten, bis er das Licht eingeschaltet hatte.

Zwei antike Wandlampen gingen flackernd an und erzeugten ein dämmriges Leuchten. Jack schaute sich um: Der Raum hatte eine niedrige Decke und holzvertäfelte Wände, die restlos mit Gemälden, gerahmten Fotografien und Landkarten bedeckt waren.

Alles war von einem Film aus Asche und Staub bedeckt. Anscheinend war nach dem Brand und den Löscharbeiten noch nichts geputzt worden. Bücher, Teppiche, Bilder, Vorhänge und wasserfleckiges Mobiliar waren aufeinandergehäuft wie Müll – ein stinkendes, durchweichtes Chaos.

»Ich nehme mal an … Sie wollen sehen, wo es passiert ist«, sagte Charlie, wobei er schon eine breite Treppe ansteuerte.

»Ja, das wäre nett«, antwortete Sarah.

»Und wir müssten auch mit Ihnen reden«, ergänzte Jack.

Charlie blieb unten an der Treppe stehen und drehte sich zu ihnen um.

Gar nicht froh.

»Davon hat Mr Jessop nichts gesagt«, erwiderte Charlie.

»Es dauert nicht lange«, versprach Sarah.

»Das will ich auch hoffen. Ich habe ja immer noch meine Schicht, nicht? Feuer hin oder her.«

»Wir beeilen uns. Dürfen wir Charlie zu Ihnen sagen?«, fragte Jack.

»Wenn es sein muss«, antwortete Charlie und begann die Treppe hinaufzusteigen.

Auf halbem Weg nach oben blieb er stehen und drehte sich abermals zu ihnen um. »Jetzt kommen Sie schon, wenn Sie raufwollen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, wie Sie ja wohl wissen.«

Jack warf Sarah ein kleines Grinsen zu, und gemeinsam stiegen sie die Treppe von Brimley Manor hinauf.

»Hier hat es angefangen. Genau hier.«

Charlie Barrow stand in der Mitte des Musikzimmers, wo es wegen der Brand- und Löschwasserschäden stank.

Sarah betrat den Raum, dicht gefolgt von Jack. Sie konnte sehen, dass sich die Vertäfelung stellenweise vollständig schwarz verfärbt hatte, und in eine Wand weiter hinten war ein Loch geschlagen, möglicherweise von einer Feuerwehraxt. Das unversehrt gebliebene Holz bildete einen auffälligen Kontrast zu den verbrannten Oberflächen.

Und die Luft?

Sie war kaum auszuhalten. Sarah musste sich zwingen, flach zu atmen, damit sie nicht würgte.

Abgesehen von dem offensichtlichen Schaden war der Raum … leer.

»Und die ganzen Instrumente?«, fragte sie.

Charlie nickte und wandte sich zu ihr.

Inzwischen schien Jack den Raum abzuwandern, bückte sich hier und da oder hockte sich hin, um mit den Fingern über das Holz zu streichen.

»Na ja, ich war nicht hier, als die gekommen sind. Die Typen von der Versicherung, meine ich. Clifford – er ist der Gärtner, macht aber tagsüber auch hier Dienst, wenn geöffnet ist – hat nur gesagt, dass sie da waren. Die Instrumente sind alle hinüber, einige waren gar zu schwarzen Holzstücken verbrannt. Man hat gar nicht mehr erkannt, dass das überhaupt Instrumente waren.«

Jack richtete sich aus der Hocke auf und wischte sich die Finger an seiner Jeans ab.

»Haben die alles mitgenommen?«

Der Nachtwächter nickte. »Ich schätze, die suchen die Dinger nach Spuren ab, um herauszufinden, wie der verdammte Brand angefangen hat.«

»Und gehört haben Sie noch nichts?«, fragte Sarah.

»Nicht, dass ich wüsste, aber …« Charlie lachte. »Warum sollten die mir was erzählen?«

Sie sah zu Jack und blickte sich in dem ausgebrannten Zimmer um.

Im Nebenzimmer – angefüllt mit einem Durcheinander bizarrer japanischer Rüstungen – waren an einigen Stellen ebenfalls Brandschäden zu erkennen. Aber das meiste schien in Ordnung zu sein, sah man davon ab, dass die Sachen von der Sprinkleranlage durchnässt worden waren.

Die umgefallenen Rüstungen wirkten allerdings wie eine wirre Armee wütender, übereinandergepurzelter Krieger.

Unheimlich.

Doch bei Weitem nicht so unheimlich wie das Puppenzimmer. Da würde Sarah am liebsten nicht wieder hindurchmüssen.

Mal im Ernst, dachte sie, wer reist denn durch die Weltgeschichte und sammelt schräge Puppen, die er dann bei sich zu Hause aufbaut wie Zuschauer auf einer Tribüne in Wembley?

Jack kam zu ihr. Bisher war er still gewesen und hatte Sarah die Fragen an den Nachtwächter stellen lassen: Wo er erstmals den Rauch gerochen hatte, was genau er daraufhin getan hatte …

Überhaupt nichts Verdächtiges.

»Also, in der Nacht waren Sie allein hier im Haus?«, fragte Jack nun.

»Stimmt. Alle, die tagsüber hier arbeiten, packen um fünf, spätestens sechs zusammen.«

»Und Sie sind auf demselben Weg die Treppe heraufgekommen wie wir eben?«

Sarah sah, dass Charlie nickte, zugleich jedoch die Augen ein wenig zusammenkniff, als fühlte er sich angeklagt.

»Und Sie haben Flammen gesehen, richtig?«, hakte Jack nach.

»Zuerst Rauch. Gerochen habe ich den auch. Aber dann, ja – das Feuer. Hat mir eine Heidenangst gemacht.«

»Erinnern Sie sich, wo genau?«

»Gott, das habe ich den Versicherungsleuten doch schon gesagt. Wieso wollen Sie das wissen?«

Nun trat Jack vor und legte Charlie sanft eine Hand auf die Schulter. »Es ist sehr nett, dass Sie uns helfen, Charlie. Wir versuchen nur, ähm, uns ein klares Bild von allem zu machen.«

»Hm, na gut«, sagte Charlie und ging in die Ecke, wo die Vertäfelung eingeschlagen worden war. »Das Feuer war hier in der Ecke. Da hat es angefangen. Ich bin dann natürlich so schnell raus, wie ich nur konnte.«

Jack nickte und folgte ihm.

Dann bückte er sich und zog an einigen Stellen des zersplitterten Holzes.

Sarah sah, dass hinter der geschwärzten Täfelung alte Kabelbündel hervorkamen, deren Plastikummantelung komplett weggebrannt war, sodass man nur noch blankes Kupfer sehen konnte.

»Glauben Sie, dass die Verkabelung den Brand ausgelöst haben könnte, Charlie?«, fragte Sarah.

»Ich? Woher soll ich das wissen? Ich bin doch kein blöder Elektriker.«

»Ich dachte nur, Sie hätten vielleicht eine Vermutung.«

Charlie zuckte mit den Schultern. »Die Stromleitungen hier taugen längst nichts mehr. Dauernd gibt es Kurzschlüsse; immer wieder brennen Sicherungen durch.«

»Demnach gab es früher schon Zwischenfälle?«, hakte Jack nach.

»Weiß ich nicht. Kann sein. Ich glaube nicht, dass sich irgendwer so was notiert. Aber Sie sehen ja selbst. Die Kabel sind total verrottet. Das ist uralter Mist!«

»Ein gefährlicher Arbeitsplatz, was?«, fragte Jack.

»Das können Sie laut sagen.«

Sarah beobachtete, wie Jack aus der Ecke hervorkam, als wäre er mit seinen Überlegungen hier fertig. Dann blieb er stehen und wandte sich erneut an Charlie. »Gibt es noch einen anderen Zugang zu diesem Zimmer?«

»Hä? Wonach sieht es denn hier aus? Sie haben doch Augen im Kopf. Da ist die Tür, und das war’s.«

»War nur eine Frage, Charlie. Bei der verbrannten Vertäfelung lässt sich schwer sagen, ob es noch eine Tür zu einem anderen Zimmer gibt.«

»Nee. Hier gibt’s nur einen Weg rein, und den sind wir gekommen.«

»Okay, also falls … rein theoretisch … falls jemand das Feuer gelegt hätte – hätten Sie dann denjenigen gesehen?«

»Und gehört«, antwortete Charlie. »In diesem Kasten muss man bloß tief Luft holen, und die Dielen knarren.«

Während Sarah stumm zuschaute, wanderte Jack aufs Neue langsam durch den Raum, registrierte immer noch jedes Detail. Und Charlie beobachtete ihn.

»Bei Ihrer Schicht – sind Sie da die ganze Nacht im Haus?«

»Ha, von wegen! Ich mache meine drei Runden, und dann nix wie zurück zum Stützpunkt.«

»Stützpunkt?«

»Seitlich vom Haus. Da habe ich meine Ausrüstung, den Wasserkocher und so.«

»Dürfen wir den sehen?«

»Was zum …? Ach, meinetwegen. Wenn es sein muss.«

»Charlie, gab es hier schon mal Sicherheitsprobleme?«, erkundigte sich Sarah. »Einbrüche? Diebstähle?«

»Ich habe nichts mitbekommen. Ein paarmal waren Jugendliche aus dem Dorf hier, um herumzublödeln. Haben versucht, Fenster einzuschlagen. Aber nichts Ernstes. Der Dorfpolizist ist ja immer schnell genug hier draußen, wenn ich ihn rufe.«

»In jüngster Zeit gab es keine Vorfälle?«, fragte Jack.

Sarah sah Charlie stocken. Schließlich antwortete er: »Nein.«

»Keine Personalwechsel? Niemand, der im Zorn gegangen ist?«

»Nee. Na ja, wir haben diesen neuen Burschen, der seit ein paar Monaten mit Clifford arbeitet.«

»Clifford ist der Gärtner, stimmt’s?«

»Habe ich doch schon gesagt.«

»Und der Bursche?«

»Ben Davis heißt der. Ist aus London. Und ist ein Schwarzer.«

Sarah und Jack wechselten einen Blick, und sie nahm an, dass sie beide dasselbe dachten: Der Nachtwächter war einer der Menschen, für die die Hautfarbe eines Menschen ein Gesprächsthema war.

»Sonst gab es vor Kurzem keine Veränderungen?«, fragte sie.

»Nein, alles wie gehabt«, antwortete Charlie achselzuckend. »Wir versuchen, den Laden hier irgendwie aufrechtzuerhalten, mehr nicht. Während der Trust einen feuchten Kehricht tut.«

»Was ist auf der anderen Seite des Hauses – in den Zimmern am anderen Ende des Flurs? Noch mehr von dem hier?«, erkundigte sich Jack.

»Ha! Wenn Sie mit ›dem hier‹ meinen, dass da ein Haufen Sperrmüll und weiß der Geier was steht, dann ja. Ich kann Ihnen zeigen, was da drüben ist, aber das Feuer kam ja nicht mal in die Nähe von dem Trakt.«

Jack sah Sarah an.

Immer wieder spaßig, dachte sie, sich zu fragen, was in Jacks Kopf vorgehen mag.

Wenn es eines gab, was er verlässlich tat, zumindest bei einer Befragung, dann war es das: Er ließ sich nicht in die Karten schauen.

»Später vielleicht. Jetzt frage ich mich, ob wir uns irgendwo hinsetzen und kurz reden könnten. Nur ein paar Fragen …«

Hierauf schien Charlie sich ein wenig zu versteifen. Er verschränkte die Arme vor der Brust, als stellte diese Bitte eine Art von Gefahr dar.

»Ähm, ja, geht wohl. Ich meine, ich weiß ja nichts, abgesehen von dem, wofür sie mich hier bezahlen. Und ich bin die ganze Nacht alleine. Da kann ich sonst wirklich nicht viel sagen.«

Jack lächelte. Auch das war eine seiner Taktiken, um jemanden zu entwaffnen, wie Sarah nur allzu gut wusste.

Dieses Lächeln suggerierte: Keine Sorge, nur ein paar Fragen.

Mehr nicht …

Sie bezweifelte allerdings, dass er Charlie für einen Verdächtigen hielt.

Andererseits sagte er immer – und sie hatte inzwischen gelernt, dass dieser alte Satz stimmte: Niemand ist über jeden Verdacht erhaben.

Er wartete auf Charlies Antwort.

»Wie wäre es mit Ihrem Stützpunkt?«, schlug Sarah vor.

Und da sah sie einen Anflug von Panik bei Charlie.

»Das ist im Keller. Ist ein bisschen kalt da unten«, entgegnete er. »Wissen Sie was? Versuchen wir es in der Küche. Die ist unordentlich, aber da gibt es einen Tisch und ein paar Stühle. Manchmal bereite ich mir da nachts eine Tasse Tee zu. Das könnten wir machen.«

»Wunderbar«, antwortete Jack.

Und dann – immer noch lächelnd – wandte er sich zu Sarah.

Das ist noch so ein Ding …

Jack konnte sich allem Anschein nach so sehr darauf einstimmen, wie Sarah sich fühlte, womöglich auch darauf, was sie dachte.

»Entschuldige, Sarah, wir werden leider den Spießrutenlauf durch die Puppen mit ihren seltsamen Augen nicht vermeiden können.«

Sie grinste. »Du glaubst nicht, wie froh ich bin, dass ich das nicht nachts machen muss!«

Und dann, als Charlie wieder vorausging, nachdem er ihren kleinen Wortwechsel gehört hatte, sagte er: »Das muss ich Ihnen erzählen. Das Zimmer mit den Puppen? Das ist wohl das einzige in diesem ganzen Haus, an das ich mich nie gewöhnen konnte – obwohl ich das hier schon so viele Nächte mache. Da kriege ich stets das Gruseln.«

Und mit diesem kleinen Geständnis verließ Charlie das ausgebrannte Zimmer. Er ging voraus durch die anderen Räume und die Treppe hinunter.

Nun erwarteten sie eine Tasse Tee und – mit ein wenig Glück – einige nützliche Antworten.

5. Die Belegschaft

Jack folgte Charlie den dunklen Korridor entlang, und Sarah blieb direkt hinter ihnen. Die Aufteilung des Erdgeschosses schien keiner Logik zu folgen; manche Räume waren riesig, andere winzig; einige hatten keine Fenster, andere waren durch enge Flure verbunden, wieder andere gingen einfach ineinander über.

Verrückter Bau. Hat den tatsächlich jemand so entworfen, wie er jetzt ist?

Und alle Räume waren angefüllt mit einer, wie Jack fand, vollkommen wahllosen Ansammlung von Objekten und Kunstwerken. Modellschiffe, Fahrräder, Glasflaschen, Statuen, Kinderwagen, Modelle frühester Fluggeräte, Kameras, Kleidung … und ein Zimmer war von oben bis unten voller Taucherhelme.

Als sie um eine Ecke in einen weiteren Korridor bogen, sah Jack zu Sarah – die ihn achselzuckend angrinste.

Sie findet es hier genauso bizarr wie ich, dachte er. Also liegt es nicht allein daran, dass ich ein Yankee aus Connecticut bin.

In einem Korridor kamen sie an einer Reihe von Porträts vorbei. Jack erkannte die Ähnlichkeit der Abgebildeten: dichtes, drahtiges Haar, strenge, finstere Augen.

Und seltsam aggressive Blicke …

»Das sind alles Brimleys, hm?«, fragte er.

»Eine schaurige Truppe, was?«, erwiderte Charlie, ohne stehen zu bleiben.

»Gibt es noch einen lebenden Nachfahren?«

»Oh ja, Peregrine Brimley«, antwortete Charlie. »Den Enkel.«

»Aber er wohnt hier nicht mehr?«, hakte Sarah nach.

»Hat er früher, als Kind. Jedenfalls habe ich das gehört.«

»Und jetzt?«

»Er hat eine Farm ganz in der Nähe, gleich gegenüber im Tal. Ich glaube, die gehörte früher zum Anwesen, bevor sie anfingen, das Land scheibchenweise zu verkaufen. Er bleibt stets ganz für sich allein. Ist anscheinend ein komischer Kauz.«

»Kennen Sie ihn nicht?«, fragte Jack.

»Nee, ich habe den noch nie gesehen«, antwortete Charlie. »Jedenfalls nicht wissentlich.«

Jack wollte mehr fragen, doch in dem Moment erreichten sie eine geschlossene Tür.

»Die Küche ist gleich hier«, sagte Charlie.

Von der anderen Seite waren leise Stimmen zu hören.

Nicht erhoben, nicht laut – dennoch gab es dort eindeutig einen Streit, den die Kontrahenten mit flüsternden, zischenden Worten austrugen.

»Das Personal, denke ich«, sagte Charlie, der eine Sekunde innehielt, ehe er die Tür weit öffnete.

Jack blickte direkt in die Küche. Gegenüber einem großen Holztisch lehnte eine junge Frau in T-Shirt und Jeans an einem alten Herd, fuchtelte mit den Armen, erstarrte jedoch im nächsten Moment, als sie zur Tür sah.

Direkt vor ihr, nur Zentimeter entfernt und mit dem Rücken zu Jack und der Tür, stand ein großer junger Mann, der sich nun umdrehte. Seine zunächst erboste Miene wich einem Ausdruck von Überraschung.

»Wer zum …?«, begann er, während die Frau gleichzeitig schimpfte: »Können Sie nicht verdammt nochmal anklopfen?«

»Alles in Ordnung, Sophie, Ben«, erwiderte Charlie. »Macht ihr gerade Tee? Wir suchen nur nach einem Platz zum Reden. Es geht um den Brand.«

Jack und Sarah blieben an der Tür stehen, während die beiden jungen Leute die Tatsache verarbeiteten, dass andere ihren Streit mitbekommen hatten.

»Wir stören hoffentlich nicht«, sagte Jack lächelnd. »Jack Brennan.«

»Sarah Edwards«, ergänzte Sarah und winkte verhalten.

»Was? Reden?«, fragte der Mann stirnrunzelnd. Dann schien er zu begreifen. »Ah, alles klar. Sie beide sind die Typen vom Trust, was? Sie sind zum Schnüffeln hergekommen, nicht?«

Das ist also Ben, dachte Jack. Und dem Akzent nach würde ich auf Südlondon tippen.

»Wir sind nicht direkt vom Trust«, erklärte Sarah. »Wir wohnen hier in der Gegend, und Mr Jessop hat uns gebeten, hier alles zu überprüfen und dafür zu sorgen, dass die Brandermittlung korrekt abläuft.«

Jack beobachtete, wie Ben um den Tisch herum auf sie zukam.

»Um uns zu überprüfen, meinen Sie wohl?«, entgegnete er mit ernstem Gesicht.

»Aber nein«, antwortete Jack immer noch lächelnd. »Obwohl wir uns bei Gelegenheit auch gern mit Ihnen unterhalten würden, Ben.« Er wandte sich zu der Frau. »Und mit Ihnen auch, Sophie, wenn das okay ist.«

»Muss wohl«, antwortete die Frau, die nervös zu Ben und dann wieder zu Jack schaute. »Wann?«

Jack spürte, dass Sarah hinter ihm vortrat.

»Wir sind hier, also … wie wäre es mit jetzt?«, schlug sie vor.

Bevor Sophie etwas erwidern konnte, bemerkte Jack, dass Ben kurz zu ihr blickte und sich dann direkt zu Sarah drehte, wobei er eine beinahe aggressive Haltung einnahm.

»Bedaure, ich kann hier nicht rumhängen und quatschen«, sagte der junge Mann. »Ich muss noch was im Gewächshaus tun. Da will ich jetzt gerade hin.«

»Kein Problem, Ben«, entgegnete Jack. »Ich kann mit Ihnen kommen. Sarah?«

»Ja, klar«, sagte sie.

»Und was ist mit mir?«, fragte Charlie. »Alles erledigt? Ich dachte, Sie wollen auch mit mir reden. Warten kann ich nämlich nicht. Ich muss heute Abend ja wieder herkommen, und ich brauche meinen verdammten Schlaf!«

Jack legte wieder eine Hand auf Charlies Schulter. »Das verstehen wir vollkommen, Charlie. Gehen Sie nur, und wir melden uns wieder bei Ihnen … morgen vielleicht? Ich meine, falls es nötig ist.«

»Hm, ist gut, denke ich. Dann bin ich hier fertig?«

Gesprochen wie ein Mann, der soeben begnadigt worden ist.

»Das sind Sie.«

Jack schaute ihm kurz nach, als er zur Tür hinausging, und wandte sich dann wieder zu Ben.

»Ich habe das Gewächshaus bei unserer Ankunft gesehen«, sagte er. »Wie wäre es, wenn wir uns auf dem Weg dorthin unterhalten?«

Und als Sarah vortrat, um zwei Stühle unter dem Tisch hervorzuziehen, erkannte Jack, dass es ihnen gelungen war, den jungen Leuten keine Wahl zu lassen.

Auch wenn Ben alles andere als glücklich wirkte.