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In "Cicero: Paradoxe der Stoiker" widmet sich der römische Staatsmann und Philosoph Marcus Tullius Cicero den fundamentalen ethischen und philosophischen Fragestellungen der Stoa. Cicero interpretiert die Grundsätze der stoischen Philosophie und hinterfragt deren Widersprüche, um die Leser in die tiefgreifende Debatte über Menschlichkeit, Tugend und die Natur des Wissens einzuführen. Sein eloquenter literarischer Stil und die prägnante Argumentation machen den Text zu einem Meisterwerk der antiken Philosophie, das sowohl als philosophische Abhandlung als auch als rhetorische Übung dient. Das Werk reflektiert den intellektuellen Kontext seiner Zeit, in dem sich die römische Gesellschaft verstärkt mit ethischen Dilemmata auseinandersetzte. Marcus Tullius Cicero, geboren 106 v. Chr. in Arpinum, war nicht nur ein einflussreicher Politiker, sondern auch ein bewanderter Philosoph und Rhetoriker. Sein Bildungsweg, geprägt von griechischer Philosophie und römischer Tradition, ermöglichten ihm eine einzigartige Perspektive auf die stoischen Lehren. Ciceros Engagement für die Wiederherstellung der politischen Ordnung und sein Interesse an ethischen Fragestellungen führten ihn dazu, die Lehren der Stoiker zu überprüfen und neu zu interpretieren, was sein persönliches Streben nach Weisheit widerspiegelt. "Cicero: Paradoxe der Stoiker" ist ein unverzichtbares Werk für jeden Leser, der ein tieferes Verständnis der philosophischen Diskurse der Antike sucht. Dieses Buch bietet nicht nur erhellende Einsichten in die Stoische Philosophie, sondern fordert auch zur kritischen Auseinandersetzung mit zeitlosen ethischen Fragen auf. Ciceros Kunst, komplexe Ideen verständlich zu vermitteln, macht das Werk zugänglich und anregend für alle, die sich für Philosophie, Rhetorik und die Werte des menschlichen Lebens interessieren.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Inhaltsverzeichnis
I. Beurtheilung der Schrift. – Zeit der Abfassung.
1. Cicero's Abhandlung, welche Paradoxe der Stoiker überschrieben ist, bildet eine Ergänzung zu der Schrift von dem höchsten Gute und Uebel, wo er im III. Buche §. 15 in der Erörterung der Stoischen Lehre die Paradoxe erwähnt. Was dort kurz berührt ist, wird hier ausführlich entwickelt. Paradoxe werden von den Stoikern kurze Lehrsätze genannt, welche einen Gedanken aussprechen, der gegen die Meinung (παρὰ δόξαν) der großen Menge streitet oder zu streiten scheint. Aus der großen Anzahl der Stoischen Paradoxe hat Cicero nur sechs wichtigere zum Gegenstand seiner Betrachtung gemacht, da sich auch die übrigen nach den gegebenen Erörterungen leicht beurtheilen und erklären lassen.
2. Ueber die Absicht, die er bei Abfassung dieser Schrift gehabt hat, spricht sich Cicero in dem Vorworte zu derselben deutlich aus. Er will die Wahrheit dieser Lehrsätze darthun und sie durch eine klare und blühende Sprache der großen Menge annehmbar machen. An diesen Sätzen, sagt er (§. 4), die der gewöhnlichen Ansicht widersprechen, wünsche er einen Versuch zu machen, ob man sie nicht an's Tageslicht, das heißt auf das Forum, hervorziehen und so vortragen könne, daß sie annehmbar befunden würden, und zwar habe er diese kleine Schrift mit um so größerem Vergnügen abgefaßt, weil jene Sätze, näher betrachtet, ächt Sokratisch und durchaus wahr zu sein schienen. Es war ihm daher in dieser Abhandlung weniger darum zu thun diese Lehrsätze in streng philosophischer Weise zu entwickeln als vielmehr dieselben für das Leben fruchtbar zu machen. Sowie in der Schrift von der Freundschaft, so nimmt er auch hier weniger den Standpunkt eines Philosophen ein als den eines praktischen Staatsmannes, indem er mit der ganzen Kraft eines Redners gegen die damals mehr und mehr um sich greifende Lasterhaftigkeit der Römer, und zwar besonders vieler hochgestellter Staatsmänner, kämpft. Zugleich hat er aber auch, wie einerseits aus dem Vorworte, andererseits aus der Darstellungsweise, deren er sich bedient hat, deutlich hervorgeht, die Behandlung der sechs Paradoxe als eine Redeübung betrachtet. Die sechs Abhandlungen tragen ganz das Gepräge von rednerischen Prunkreden an sich; daher auch die so häufige Anwendung der Apostrophe, einer rhetorischen Figur, deren sich der Redner bedient, wenn er sich von der Sache abwendet und eine Person als anwesend anredet.
3. Aber die Ansicht derer ist zu verwerfen, die da meinen, die Schrift sei eigentlich weiter Nichts als Redeübungen, und man dürfe daher keineswegs aus derselben schließen, daß Cicero die darin enthaltenen Ansichten als eigene Ueberzeugung ausgesprochen habe. Denn Cicero selbst sagt zu Anfang des ersten Paradoxon: »Ich befürchte, daß Mancher von euch glaubt, diese Abhandlung sei aus den Untersuchungen der Stoiker, nicht aber aus meiner eigenen Ueberzeugung geschöpft; doch ich will sagen, was ich denke«. Allerdings sucht Cicero die Stoischen Paradoxe in der Rede für Lucius Murena (Kap. 29 und 30) lächerlich zu machen und in der Schrift von dem höchsten Gute (IV. 27 und 28) vom philosophischen Standpunkte aus zu widerlegen. In Betreff der erwähnten Rede sagt Cicero selbst an der angeführten Stelle der Schrift von dem höchsten Gute: »Ich will jetzt mit dir nicht so scherzen, wie ich es über dieselben Gegenstände (die Paradoxe) that, als ich Lucius Murena gegen deine (Cato's) Anklage vertheidigte«. Daß er aber in dem vierten Buche der Schrift von dem höchsten Gute die Sätze der Stoiker zu bekämpfen sucht, darf keineswegs auffallen, da er hier als Neuakademiker auftritt. Aus einer Vergleichung der moralischen Schriften Cicero's erhellt S. unsere Schrift: Ciceronis in philos. merit. p. 222 sqq.. In dem Wesen der neuen Akademiker aber lag es bei der Untersuchung einer Frage alle Gründe und Momente, welche für und gegen dieselbe angeführt werden können, sorgfältigst zu untersuchen und gegen einander abzuwägen und so das darinliegende Wahrscheinlichste aufzufinden 1 .
4. Man hat zu zeigen versucht, daß die einzelnen Abhandlungen der sechs Paradoxe in einem gewissen inneren Zusammenhange ständen 2 . Allein diese Versuche verrathen allerdings Scharfsinn, führen aber keineswegs zu einem befriedigenden Ergebnisse.
5. Was die Zeit der Abfassung der Paradoxe betrifft, so läßt sie sich nicht mit Sicherheit bestimmen; aber die richtigste Ansicht scheint die zu sein, daß sie kurz nach Herausgabe des Brutus oder der Schrift von den berühmten Rednern anzunehmen sei. Der Brutus ist im J. R. 707 oder 47 v. Chr. in dem einundsechzigsten Lebensjahre Cicero's, als Cäsar nach Afrika gegen Scipio und den König Juba gegangen war und kurz zuvor den Marcus Brutus zum Befehlshaber von dem Cisalpinischen Gallien gemacht hatte, verfaßt worden. Zu Anfang des Monats April wurden Scipio und Juba von Cäsar besiegt, und wenige Tage darauf nahm sich Cato zu Utika das Leben. Cicero redet aber von Cato als von einem Lebenden 3 . Demnach muß man schließen, daß Cicero diese Schrift in der Zeit abgefaßt habe, die zwischen der Herausgabe des Brutus und der Ankunft der Nachricht von Cato's Tode liegt. Die Ansicht von Schütz aber, die einen Zwischenraum von etwa zehn Jahren zwischen dem Anfange und dem Ende der Schrift annimmt, so daß im J. R. 697 (= 57 v. Chr.) das zweite, vierte und sechste Paradoxon, das sechste wenigstens nicht nach 698, das Vorwort aber mit den drei übrigen 707 geschrieben sei, ist von Gernhard4 gründlich widerlegt worden.
I). Beispiele guter, d. h. tugendhafter Männer (II.). Besondere Erwähnung der Sinnenlust (III.).
(Ueber dieses Paradoxon vgl. Cicer. de Fin. III. 7, 26. 8, 27–29. und was dagegen gesagt wird IV. 15, 40 ff. 17, 46 ff. 18 48 ff.)
Zweites Paradoxon.Die Tugend genügt sich selbst zur Glückseligkeit. Wem Alles vom Schicksale abhängig ist, für den kann es nichts Gewisses geben; wer aber ganz von sich selbst abhängt, den kann äußeres Unglück nicht unglücklich machen, der ist vollkommen glückselig.
(Ueber dieses Paradoxon vgl. Cicer. de Fin. III. 12, 41. 13 42 ff. 14, 45 ff. und was dagegen gesagt wird IV. 19, 54. 20, 56 ff. – 24, 65 ff.)
Drittes Paradoxon.Sowie die Sünden, so sind auch die guten Handlungen einander gleich. Die Sünden sind nicht nach ihren Folgen, sondern nach den Lastern der Menschen zu bemessen. Der Gegenstand der Sünde kann zwar bald wichtiger bald geringer sein; aber das Sündigen selbst ist immer einerlei. Wenn die Tugenden einander gleich sind, so müssen es auch die Laster sein. Nun aber sind die Tugenden einander gleich; denn Niemand kann besser als gut sein. Es gibt nur Eine Tugend, den mit der Vernunft übereinstimmenden und stäts gleichbleibenden Seelenzustand (I). Die Ueberzeugung aber, daß zwischen den Vergehungen kein Unterschied stattfinde, muß die Menschen am Meisten von jeder Schlechtigkeit abhalten. Nur die Umstände machen in der Sünde einen Unterschied, II.).
(Ueber dieses Paradoxon vgl. Cicer. de Fin. III. 9, 32. 10, 33. 34. 12, 41. 13, 42 ff. 14, 45 ff. und was dagegen gesagt wird IV. 25–28.)
Viertes Paradoxon.Jeder Thor ist sinnlos. Daß von Cicero's Abhandlung über das vierte Paradoxon nur die ersten Zeilen, und zwar höchst lückenhaft, erhalten sind, haben wir in den Bemerkungen erwähnt. Das Folgende behandelt das Paradoxon: Nur der Weise ist ein Bürger, alle Unweisen sind Verwiesene. Diese Abhandlung ist, wie wir sie jetzt haben, weiter Nichts als eine gegen den Clodius gerichtete Prunkrede. in der Cicero zeigt, Clodius habe ihn gar nicht aus dem Staate vertreiben können, da der Römische Staat damals kein Staat gewesen sei, weil alle Gesetze und alle Billigkeit und Gerechtigkeit aufgehoben gewesen sei; er sei daher immer Bürger gewesen, Clodius hingegen, obwol er zu Rom gelebt habe, sei nicht ein Bürger, sondern ein Feind Rom's gewesen; der wahre Bürger müsse nach Gesinnung und Thaten beurtheilt werden, nicht nach Abstammung und Wohnort. Aber wahrscheinlich ist der erste Theil der Abhandlung, in dem das Wesen des Weisen und des Thoren vom philosophischen Standpunkte aus erklärt worden ist, verloren gegangen.
Fünftes Paradoxon.Der Weise allein ist frei, und jeder Thor ist ein Sklave. Nur der ist frei, der seine Leidenschaften zu beherrschen vermag. Denn Freiheit ist die Macht so zu leben, wie man will, und nur der lebt, wie er will, welcher zu jeder Zeit dem Sittlichrechten folgt. Also ist nur der Weise frei, der Unweise aber ein Sklave. Denn Sklaverei besteht darin, daß man einem kraftlosen und kleinmüthigen Geiste, der keinen freien Willen hat, Gehör gibt. Also sind alle Leichtfertigen, Leidenschaftlichen, alle Schlechten Sklaven.