Club der Heldinnen 2. Hochverrat im Internat - Nina Weger - E-Book

Club der Heldinnen 2. Hochverrat im Internat E-Book

Nina Weger

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Beschreibung

Heldentat fürs Internat! Ein Orkan verwüstet das Matilda Imperatrix! Blöderweise ist die Schulkasse leer, und Direktorin Petronova steht ziemlich schlecht da. Ein paar fiese Lehrer wollen sogar, dass das Internat für besondere Mädchen geschlossen wird. Aber nicht mit Pina, Flo und Blanca! Sie melden ihre Schule bei einer Weltmeisterschaft an. Und hier sind ganz besondere Talente gefragt, um das dicke Preisgeld zu gewinnen. Doch ein Verräter will ihren Sieg verhindern und bringt die Mädchen in große Gefahr. Die Freundinnen kämpfen mit wahrem Heldenmut, aber können sie das Matilda noch retten? Cool, clever und heldenhaft mutig: Dieser Club ist für alle da!

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Über dieses Buch

Heldentat fürs Internat

Ein Orkan verwüstet das Matilda Imperatrix! Blöderweise ist die Schulkasse leer, und Direktorin Petronova steht ziemlich schlecht da. Ein paar fiese Lehrer wollen sogar, dass das Internat für besondere Mädchen geschlossen wird. Aber nicht mit Pina, Flo und Blanca! Sie melden ihre Schule bei einer Weltmeisterschaft an – und hier sind ganz besondere Talente gefragt, um das dicke Preisgeld zu gewinnen. Doch ein Verräter will ihren Sieg verhindern und bringt die Mädchen in große Gefahr. Die Freundinnen kämpfen mit wahrem Heldenmut – aber können sie das Matilda noch retten?

 

Cool, clever und heldenhaft mutig!

Für Finja,

mit der ich das echte Exploratorium in San Francisco und das Piratenmuseum in St. Augustin besucht habe – und die mir trotz weiter Ferne so nah ist.

Kapitel Eins

Eine heftige Windböe fuhr durch den Kreuzgang und pustete Flo die rote Samtkapuze vom Kopf. Besorgt schaute sie in den grauen, von Wolken zerrissenen Himmel über dem Matilda Imperatrix. »Das sieht nicht gut aus!«

Pina nickte, fasste die flatternden Enden ihres Umhangs und zog sie fröstelnd um ihr Lederhemd. »Es ist kein einziger Vogel in der Luft! Ich fürchte, das wird mehr als ein normaler Herbststurm.«

»Zum einbeinigen Klabautermann!« Blanca zeigte auf eine Windhose, die kreuz und quer durch den Innenhof des Internats schoss. Blitzschnell wechselte der Wirbel die Richtung, und jedes Mal riss er mehr Staub und Herbstblätter in die Höhe. »Auf See würde ich jetzt den nächsten Hafen ansteuern!«

Flo spürte ein merkwürdiges Grummeln im Bauch. Wenn selbst Blanca nervös wurde, die sich sonst vor nichts fürchtete – dann bedeutete das Alarm!

»Ich geh zu Ringstrøm«, verkündete sie entschlossen. »Wir müssen sofort einen Notfallplan erstellen.«

Kaum hatte sie ausgesprochen, begannen die Glocken der Internatskapelle wild zu läuten. Das war der Ruf zu einer Sonderversammlung aller Schülerinnen!

»Auf die Idee sind wohl schon andere gekommen«, rief Blanca gegen den Wind.

»Kommt, Blutsschwestern!« Pina stopfte ihre wehenden Haare unter die Kapuze. Dann rannten sie los.

Aus allen Gängen, Treppenhäusern und Türen strömten nun Mädchen in roten Samtumhängen und eilten den Säulengang hinunter zum Kapitelsaal.

»Habt ihr Charly irgendwo gesehen?«, rief Flo und versuchte, im Meer der roten Kapuzen ihre kleine Schwester ausfindig zu machen. Sie musste irgendwo bei den Drittklässlern sein … Da entdeckte sie ein hünenhaftes Mädchen mit Schultern so breit wie ein Türrahmen. »Mette!« Dann konnte Charly ja nicht weit sein! Flo drängelte sich durch einen Pulk aufgeregt schnatternder Drittklässler. »Hey, Mette, hast du Charly –«

»Hui, da ist ja meine große Schwester-Luftverpester!« Charly sprang hinter ihrer riesigen Freundin hervor und hüpfte vor Flo auf und ab.

»Sehr lustig! Alles in Ordnung bei dir?«

Charly rollte mit den Augen. »Maaann. Ich bin nicht mehr klein wie ein Ferkel-Schwein!«

»Ich weiß, aber ich glaube, das wird ein ziemlich schlimmer Sturm und –!«

»Wenn es zu sehr weht, dann kette ich mich an Mette!« Charly grinste von einem Ohr zum anderen. »Da flieg ich schon nicht weg – wie Sand und Dreck!«

Flo stöhnte. »Kannst du mal einen Satz normal sagen?!«

Charly schüttelte den Kopf.

»Auch egal. Hauptsache, ihr bleibt zusammen, okay?« In dem Moment bekam Flo von hinten einen Schubs und wurde durch die Eichenpforte in den großen Versammlungssaal des Matilda Imperatrix gespült.

Der lang gestreckte Raum war an den Längsseiten von alten, verschnörkelten Holzbänken umgeben. In den hellen Sandsteinboden waren die Namen ihrer berühmten Vorgängerinnen eingemeißelt, und die Decke bestand aus einem hohen dunkelblauen Gewölbe, das von unzähligen goldenen Sternen übersät war. Flo rannte schnurstracks zu den Reihen der Fünftklässler und rutschte in die Bank zu Pina, Blanca und ihren anderen Klassenkameradinnen.

»Ruhe bitte! Ruhe!« Eine kleine, runde Frau wedelte aufgeregt mit den Armen und stieg auf die Bühne am anderen Ende des Saals. Es war Madame Maseleige, die Hausmutter. »Liebe Schülerinnen des Matilda Imperatrix … Ruhe bitte!«

»Wo ist Direktorin Petronova?!«, flüsterte Flo. Pina zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich ist die Lage so dramatisch, dass sie Wichtigeres zu tun hat …«

Vorn auf der Bühne wurschtelte Madame umständlich in ihren Zetteln. »… also … Folgendes lässt mich unsere Direktorin ausrichten: Der Sturm, vor dem unser Wetter-Team gewarnt hatte, ist mittlerweile zu einem Orkan angewachsen und wird voraussichtlich in einer Stunde unser Internat erreichen. Im Laufe der Nacht erwarten wir heftige Regenfälle, die die Bergbäche anschwellen lassen werden. Niemand weiß, ob die Staudämme den Wassermassen standhalten. Darum …« Wieder blätterte Madame in ihren Papieren. »… darum werden wir unsere Häuser jetzt so gut wie möglich sichern und die Nacht in den Notfallkellern verbringen. Es tritt Plan N2 ein!«

Ein Raunen ging durch den Saal.

»Die zweite Notstufe?! Wann gab es die zuletzt?«, wisperte Minerva, Expertin für Heil- und Giftpflanzen.

Pina zog mit besorgtem Blick die Schultern hoch. »Solange ich aufs Matilda gehe, jedenfalls noch nie.«

»Das muss mindestens zwölf Jahre her sein«, flüsterte Olga aus der Reihe vor ihnen. Sie gehörte zum Team der Raumfahrt-Spezialisten und trieb sich oft in der Sternwarte, direkt neben der Wetter-Beobachtungsstation, herum. Flo machte sich ganz andere Gedanken. Sie riss einen Arm hoch und rief: »Madame Maseleige, was passiert mit den Pferden und den anderen Tieren?«

»Stallmeister Aaron bringt die Pferde gerade ins Dorf hinunter. Signora Agricola kümmert sich um die restlichen Tiere. So, meine Damen, jede weiß, was sie jetzt zu tun hat. An die Arbeit, husch-husch!«

Flo kletterte aus der Bank und winkte Pina und Blanca zu. »Wir sehen uns später!«

Denn nun musste jede von ihnen ihrer speziellen Aufgabe nachgehen – und die richtete sich ganz nach der jeweiligen besonderen Begabung. Genau deshalb waren sie ja auf dieser Schule für außergewöhnliche Mädchen: weil jede von ihnen ein besonderes Talent besaß, mit dem sie eines Tages die Welt verbessern konnte.

Blanca segelte weltklassegut und war Spezialistin für Internet-Fragen. Deshalb war sie für die Sicherung der Computerräume zuständig. Pina, sensationelle Naturbeobachterin und Bogenschützin, musste bei Notfallstufe zwei das Wetter-Team unterstützen. Flo zählte zu den besten Reiterinnen und war eine der scharfsinnigsten Planerinnen des Internats. Darum gehörte sie zum Strategie-Team von Herrn Ringstrøm. Sie war übrigens die jüngste Schülerin in der tausendjährigen Geschichte des Matilda, der diese Ehre zuteilgeworden war. Und schon aus diesem Grund wollte sie jetzt auf gar keinen Fall zu spät kommen.

Mit Vollgas sauste sie den Kreuzgang hinunter und riss die Pforte zum hinteren Internatsteil auf, da stieß eine heftige Böe sie mit voller Wucht zurück in den Gang. Mit zusammengekniffenen Augen blickte Flo in den düsteren Himmel. Die einzeln dahinjagenden Wolken waren verschwunden – stattdessen verdunkelte eine monströse schwarze Riesenwolke das Firmament. Mit ungeheurem Tempo walzte das Ungetüm direkt auf das Matilda zu. Flo schluckte – dann stemmte sie sich mit gesenktem Kopf gegen den Sturm.

 

Herr Ringstrøm erwartete sie im großen Laborraum des Exploratoriums. Trotz der Orkanböen war sein weißes Haar ordentlich zurückgekämmt, und die Kette seiner goldenen Taschenuhr baumelte in einem hübschen Bogen aus der Nadelstreifenweste. Herr Ringstrøm sah immer so aus, als sei er gerade aus einem Stummfilm geplumpst, und selbst im größten Chaos blieb er so ruhig, als plane er bloß ein gemütliches Sonntagspicknick. Das lag natürlich auch daran, dass sein Experten-Team bestens für alle Notfälle vorbereitet war und er sich immer auf seine Schülerinnen verlassen konnte.

»Ich verteile Kerzen und Zündhölzer in den Notfallkellern«, meldete sich Nour aus der zwölften Klasse.

»Wir versorgen alle mit Decken«, erklärte Rasheda für ihre Dreiergruppe. Die Nächsten kümmerten sich um Trinkwasser, andere um Lebensmittel oder Brennholz für die Öfen. Ein paar Große übernahmen das Satellitentelefon und die Medizinkoffer. Flo musste die Notstrom-Generatoren mit Benzin befüllen, damit sie sich bei einem Stromausfall selbst mit Elektrizität versorgen konnten. »Wir sollten die Apparate gleich an strategisch günstige Orte bringen«, schlug sie vor. »A) wissen wir nicht genau, wo und wie der Orkan auf das Internat treffen wird, und B) ist das Durchkommen später vielleicht schwierig.«

»Sehr gut«, lobte Herr Ringstrøm. »Legen wir los.«

In dem Moment zuckte ein greller Blitz über den Himmel und tauchte den Laborraum in ein gespenstisches Licht. Dann wurde es dunkel.

»Das geht ja schneller als befürchtet«, murmelte Flo und band sich ihre Stirnlampe um den Kopf. Zusammen mit zwei Helferinnen aus der Technik-Gruppe marschierte sie hinaus in den Sturm.

Nachdem sie das erste schwere Notstrom-Aggregat zur Küche geschoben hatten, brauste ihnen der Wind noch ungestümer um die Ohren. Die alten Bäume beugten ächzend ihre Kronen, der Wetterhahn über dem Speisesaal wirbelte hysterisch von rechts nach links, und es toste so laut, dass Flo nicht mehr verstand, was ihre Helferinnen ihr zuriefen. Mit Handzeichen gab sie knappe Anweisungen. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit. Die Abstände zwischen Blitz und Donner wurden immer kürzer – und das bedeutete, dass der Orkan in rasender Geschwindigkeit näher kam.

Flo und ihr Team gelang es noch, eines der Stromgeräte in die Bibliothek zu schleppen, dann begannen die Glocken der Kapelle wild zu läuten. Höchste Alarmstufe! Jetzt mussten sie auf der Stelle in ihre Notquartiere abtauchen. Flo gab ihren Helferinnen ein Zeichen, dann rasten sie los.

Die Quartiere der fünften Klassen befanden sich in den mittelalterlichen Vorratskellern unter dem Innenhof. Die Einstiegsluken lagen verdeckt zwischen Rosenbeeten, und Flo musste nur über die halbhohe Mauer des Kreuzgangs springen, dann waren es keine zwanzig Meter mehr. Doch die hatten es in sich: Kaum war sie im Hof gelandet, peitschte ihr der Regen ins Gesicht. Innerhalb von Sekunden war sie nass bis auf die Haut. Abgerissene Äste und Ziegel krachten rechts und links neben ihr in die Beete. Flo legte schützend einen Arm über den Kopf und ging auf die Knie. Flach über dem Boden krabbelte sie auf allen vieren weiter. Das Donnergrollen dröhnte ihr in den Ohren, und am liebsten wäre sie umgedreht. Aber dann würden Pina und Blanca sich bestimmt aufmachen, um sie zu suchen! Und damit gerieten auch sie in Gefahr! Endlich entdeckte Flo zwischen den zerfetzten Rosensträuchern die Luke zu ihrem Kellerquartier. Sie packte den Griff, hob die Eisenklappe, schlüpfte durch den Spalt und ließ sich hinab in die Tiefe fallen.

»Endlich!«, rief Pina. Sie kletterte auf Blancas Schultern und verriegelte die Klappe.

Erschöpft plumpste Flo auf eine der Bänke. Ein Schauer schüttelte ihren Körper.

»Zieh die nassen Klotten aus und wickel dich in eine Decke!«, befahl Blanca. Flo streifte die durchgeweichten Leggings ab und zog ihr langes Sweatshirt über den Kopf. Dann kuschelte sie sich in die Fließdecke, die ihr Pina reichte. Im Kerzenschein der kleinen Laternen sah sie die anderen Mädchen. Stumm hockten sie auf den Bänken und lauschten dem Orkan, der über ihnen durch das Matilda tobte. Immer wieder entlud sich das Grollen in einem explosionsartigen Krachen. Dann hörten sie Scheiben klirren und Holz zersplittern. Ängstlich rückten die Mädchen zusammen. Nur Blanca schien das Ganze nicht viel auszumachen. Empört schüttelte sie den Kopf.

»Das Wetter macht mal wieder auf dicke Windhose! Genau wie damals der Hurrikan auf St. Lucia, als …« Flo warf ihr einen mahnenden Blick zu. Auf gar keinen Fall durfte sie jetzt eine von ihren Seeräuber-Unwetter-Geschichten zum Besten geben! Da gerieten die anderen doch erst recht in Panik!

»Pina, erzähl uns eins von deinen indianischen Märchen«, bat Flo darum schnell. Pina lehnte sich zurück, schloss die Augen und begann mit ihrer schönen, warmen Stimme die Geschichte von der Tochter der Sonne zu erzählen. Und bald vergaßen sie den tobenden Sturm und das wüste Krachen um sich herum.

Kapitel Zwei

Als Flo erwachte, hörte sie weder Wind noch Donner, es war vollkommen still. Sie stützte sich auf die Ellenbogen und blinzelte in die Dunkelheit.

»Pina? Blanca?«

Aus der Tiefe des Kellergewölbes drang ein Gähnen. Dann flammte eine Taschenlampe auf.

»Ist schon Morgen?«, fragte Pina und reckte sich.

»Keine Ahnung.« Flo sprang auf die Füße. »Aber wir können raus und nachsehen! Los, helft mir mal.«

»Zum stinkenden Heringskopf! Ich hoffe, ihr habt einen guten Grund, mich jetzt schon aus der Koje zu werfen!«, fluchte Blanca.

Flo grinste. »Heute wieder Piraten-Jammer? Oder schaffst du noch eine Räuberleiter?«

Blanca rappelte sich auf. »Komm du erst mal aus deiner quietschenden Rüstung, Rittertochter! Los! Drei-Mann-hoch!« Blanca ging in die Hocke und ließ Pina auf ihre Schultern steigen, dann kletterte Flo an den beiden hinauf und setzte sich auf Pinas Schultern. Sie fasste den Griff der Klappe, ruckelte an dem verrosteten Haken, es polterte, dann sprang die Luke auf. Vorsichtig streckte Flo den Kopf nach draußen und blinzelte in das Sonnenlicht.

Und was sie dann sah, verschlug ihr für einen Moment den Atem: Das Dach des Torhauses war abgedeckt, die Tür des Refektoriums hing nur noch in einer Angel, die meisten Fenster waren zersplittert, und viele der verzierten Säulen lagen in Trümmern auf dem Boden des Kreuzgangs. Überall waren Laub, Äste und Unmengen von Schlamm. Das Matilda war vollkommen verwüstet.

»Macht euch auf das Schlimmste gefasst«, warnte Flo und kletterte ins Freie. Dann reichte sie Pina eine Hand und zog sie hinauf.

»Oh, was hast du getan, Bruder Wind?«, seufzte Pina. »Selbst der stärkste Krieger vermag nichts gegen deine Kraft.«

»Hey, reicht lieber mal eure Flossen runter«, schimpfte Blanca. »Schlaue Indianersprüche könnt ihr dann immer noch klopfen!«

Flo und Pina legten sich auf den Bauch und streckten die Arme hinab. Blanca packte ihre Hände, sprang schwungvoll ab und kam mit den Füßen zuerst durch die Luke geschossen. Dann schüttelte sie ihre rote Lockenmähne und sah sich um. »Das haut ja den härtesten Matrosen von der Planke!«

»So kann man es auch sagen«, murmelte Flo und stieg über die Reste der kleinen Mauer in den Kreuzgang.

»Guckt mal!« Pina deutete auf die andere Seite des Innenhofs. Dort trat Direktorin Petronova aus der Kapelle und taxierte mit scharfem Blick das Ausmaß der Zerstörung. Trotz einer Nacht im Notkeller saß ihr schwarzes Kleid perfekt, und aus ihrem streng gebundenen Knoten hatte sich nicht ein einziges Haar gelöst. Hinter Petronova stolperte Madame über das Geröll.

»Oh weih, oh weih, oh weih«, jammerte die kleine, runde Hausmutter. »Ich glaube, das ist die schlimmste Katastrophe, die in den letzten tausend Jahren über das Matilda hereingebrochen ist.«

»Nun, ich denke, die Pest und die Erdrutsche im siebzehnten Jahrhundert waren auch kein Zuckerschlecken«, entgegnete die Direktorin. »Haben Sie Ringstrøm gesehen?«

»Ich werde mich sofort auf die Suche machen.«

»Nein. Sie versammeln die Schülerinnen im Außenring und lassen durchzählen.« Dann fuhr die Direktorin mit einer blitzschnellen Bewegung herum. »Florence! Pina! Blanca!«

»Sie würde uns auch im Dunkeln zehn Meter unter der Erde entdecken«, wisperte Flo. »Kommt!«

Als sie bei der Direktorin ankamen, waren ihre Schuhe vom knöchelhohen Matschwasser komplett durchweicht, und bei jedem Schritt gab es ein lautes Schmatzgeräusch. Petronova hob eine Augenbraue und durchbohrte sie mit ihrem Röntgenblick, doch dann huschte ein millisekundenkurzes Lächeln über ihre Lippen.

»Wie ich sehe, geht es euch dreien gut. Sucht bitte Herrn Ringstrøm. Er soll das Strategie-Team im Kapitelsaal versammeln.« Dann marschierte sie auf ihren hochhackigen Stiefeletten so lässig durch den Matsch davon, als sei nichts passiert.

»Wahrscheinlich würde sie nicht mal mit der Wimper zucken, wenn die Welt untergehen würde«, flüsterte Pina. Flo nickte, doch überrascht war sie nicht. Schließlich munkelte man, dass Petronova keine normale Schuldirektorin war – sondern eine untergetauchte Spionin. Aber das war natürlich nur eins der vielen sagenumwobenen Gerüchte im Matilda.

Während sie nun lossausten, um den alten Strategie-Lehrer zu suchen, flogen nach und nach auch die anderen Kellertüren und -klappen auf, und Schülerinnen und Lehrer schlüpften hinaus in die Sonne. Vor dem Speisesaal stießen sie auf Minerva, Olga, Min-Hai und Abeba. Zum Glück hatten sie die Sturmnacht ebenfalls gut überstanden.

»Hat jemand von euch schon Charly gesehen?«, fragte Flo und sah sich um.

»Auweia-Spiegeleier!«, schrillte da ein spitzer Ruf durch den Innenhof.

»Wenn man vom Teufel spricht«, grinste Blanca.

Charly schlitterte heran und fiel Flo um den Hals. »Bist du froh, mich zu sehen, Flo-Popo?«

»Und wie«, rief Flo. »Wo warst du?«

»Die Drittklässler mussten mit den Lehrern in den Braukeller. Mann, war das öde. Tschau-Kakao!« Damit rutschte Charly wieder davon, und Flo, Pina und Blanca stapften weiter durch den Matsch in den hinteren Teil des Internats.

Hier hatte der Sturm noch schlimmer gewütet. Fassungslos sah Flo an den alten Mauern hinauf. »Im Nordtrakt sind alle Fenster zerbrochen! Da kann kein Mensch mehr schlafen!«

Plötzlich wurde Blanca blass um die Nase. »Oh nein! Das Planetarium!« Flo und Pina drehten sich um. Und jetzt sahen auch sie den riesigen Baumstamm, der aus der schönen halbrunden Kuppel der Sternwarte herausragte.

»Kann man so ein Kugeldach überhaupt reparieren?«, fragte Pina.

»Ich fürchte, das Planetarium muss von Grund auf erneuert werden«, antwortete da Herr Ringstrøm und trat mit einem Klemmbrett aus der Tür des Exploratoriums. »Habt ihr alles gut überstanden?«

Flo nickte. »Alles in Ordnung. Direktorin Petronova sucht Sie. Sie sollen –«

»Die ersten Strateginnen unseres Teams sichten und notieren bereits das Ausmaß der Schäden. Wenn du, Florence, bitte den Osttrakt übernehmen würdest? Dort befindet sich doch auch eure Schlafstube, oder?«

Flo nickte.

»Wir helfen ihr!« Pina sprang neben Flo und legte ihr einen Arm um die Schultern.

»Sehr gut.« Herr Ringstrøm nickte zufrieden. »Wir treffen uns in einer Stunde im Kapitelsaal, aber schaut nicht auf die Turmuhr – die ist stehen geblieben!«

 

Hintereinander kraxelten Flo, Pina und Blanca die dreckverschmierte Steintreppe des Osttrakts hinauf, bis ganz nach oben, wo sich ihre Schlafkammer befand. Schon von Weitem sahen sie, wie dicker brauner Schlamm aus der offen stehenden Zimmertür quoll. Vorsichtig schlidderte Flo den Flur entlang, dann holte sie tief Luft und bog in ihre Schlafstube. Für einen Moment glaubte sie, jemand hätte ihr eine Fuhre Matsch ins Gesicht geschleudert: Alles in ihrem Zimmer war von einer braunen Schicht überzogen! Selbst die roten Samtvorhänge der Himmelbetten waren kackbraun! Aus dem Bettzeug triefte eine dreckige Brühe, und ihre Kleidung und Bücher schwammen in einer erdigen Soße auf dem Boden.

»Uns geht es gut«, sagte Flo tapfer. »Wir sind nicht verletzt. Es könnte alles viel schlimmer sein.«

Pina und Blanca nickten stumm. Für einen Moment fehlten ihnen die Worte. »Kommt!« Flo gab ihren Freundinnen einen aufmunternden Stupser. »Sammeln wir ein, was man noch gebrauchen kann.« Damit stapfte sie zu ihrem Schreibtisch und wühlte einen durchweichten Block aus der Schublade.

»Mein hirschledernes Hemd …« Traurig zog Pina ein besticktes Oberteil aus der Dreckbrühe. »Es gehörte meiner Mutter …«

Flo legte ihrer Freundin einen Arm um die Schultern. »Wir kriegen das bestimmt wieder hin. Vielleicht kann man es reinigen? Oder vorsichtig mit der Hand waschen?«

Pina presste die Lippen aufeinander und zuckte mit den Schultern. Flo strich ihr mitfühlend über den Kopf. Sie wusste, wie sehr Pina an den wenigen Dingen hing, die ihr von ihren Eltern geblieben waren.

»Geht schon«, flüsterte Pina. »Und du hast recht: Wir sollten froh sein, dass uns nichts passiert ist.«

Flo drückte noch einmal ihre Hand, dann notierte sie auf ihrem Block: »Osttrakt, dritter Stock, Gang hinten rechts: unbewohnbar.«

»Naaa ja …«, warf Blanca ein, während sie einen riesigen Überseekoffer auf die dreckverschmierte Matratze ihres Bettes wuchtete. »Man könnte ein paar Hängematten aufhängen und die Fenster verbrettern und mit Teer bestreichen.«

Flo verdrehte die Augen. »Blanca, wir sind hier nicht auf einer Piratenschaluppe! Wir müssen das richtig reparieren. So komische Übergangslösungen kosten nur unnötig Zeit und Geld.«

»Jawohl, Frau Chefplanerin«, sagte Pina und kramte ihren Bogen samt Pfeilen und Köcher aus dem Schrank. Wie durch ein Wunder waren sie nicht von der Matschwelle herausgespült worden. Außerdem fand sie für alle noch brauchbare Gummistiefel, die sie gegen ihre nassen Schuhe tauschten.

»Zum dreiäugigen Klabautermann!«, jubelte Blanca da und zog ihr Laptop aus dem Riesenkoffer. »Nicht einmal ein Kratzer!«

Im selben Moment hörten sie von der anderen Seite des Flurs einen lauten Aufschrei. »Meine Designer-Tasche aus Paris!«

»Uaaah! Meine handgenähten Stiefel mit den Glitzersteinchen hat es auch erwischt!«

»Cilly und Lilly«, stöhnte Flo. »Los, gucken wir uns erst mal den Rest der Zimmer an, damit Ringstrøm einen Überblick bekommt.«

Sie überquerten den Flur und traten in die gegenüberliegende Schlafstube, wo zwei Blondinen hektisch teure Markensachen auf einem Schreibtisch stapelten. »Drama!«, quietschte Lilly.

»Als Drama würde ich den Zustand unseres Internats bezeichnen«, stellte Flo trocken fest.

Wutentbrannt streckte Cilly ihr eine weiße Handtasche mit Goldschnallen entgegen, die mit braunen Matschflecken besprenkelt war. »Das ist ein Einzelstück! Ein persönlicher Entwurf von Marc Jacobs!«

»Und?«, brummelte Blanca. »Dann strickst du dir halt ’ne neue!«

»Du ungehobeltes, stilloses –«

»Sucht euch lieber ein paar Gummistiefel, und dann brauchen wir euer Talent«, unterbrach Flo. »Ich fürchte, jede Menge Stromleitungen sind zerstört. Die müsst ihr wieder hinkriegen.«

Lilly stemmte ihre Arme in die Seite. »Du musst uns ganz bestimmt nicht daran erinnern, unsere Pflicht zu erfüllen!«

Bevor Flo etwas Wütendes erwidern konnte, fragte Pina sanft: »Braucht ihr noch Hilfe?«

Lilly zog eine Augenbraue hoch und ließ ihren Blick über Pinas Lederhemd und die Fransenhose schweifen. »Von dir? Pffft! Nein, danke!«

»Dämlich wie Seetang«, sagte Blanca und zog Pina aus dem Zimmer. »Wenn sie nicht so wahnsinnig gut in Elektro- und Lasertechnik wären, dann würde ich sie jetzt echt über Bord schubsen.«

 

Eine Dreiviertelstunde später sausten sie mit einem Block voller Notizen in den Kapitelsaal. Herr Ringstrøm stand in der Mitte des Raumes vor einer altmodischen Tafel und notierte die Schäden.

»Wir haben siebenundachtzig kaputte Fenster und sechzehn zerstörte Türen gezählt – und wir haben kein einziges Bett gefunden, das nicht durchnässt oder zerstört ist«, berichtete Flo.

»Dafür gab es ungefähr drei Schiffsladungen Modder«, fügte Blanca hinzu.

»Sind denn wenigstens ein paar Decken zu gebrauchen?«, fragte Herr Ringstrøm.

»Höchstens die Hälfte«, schätzte Pina, »und feucht sind die auch.«

»Es gibt aber auch gute Nachrichten.« Wie aus dem Nichts stand Direktorin Petronova hinter ihnen. »Alle Schülerinnen und das gesamte Personal haben die Sturmnacht unbeschadet überstanden.«

»Das ist das Wichtigste!« Herr Ringstrøm atmete erleichtert auf, doch dann zerfurchten wieder tiefe Falten seine Stirn. »Leider kann ich das von unseren Gebäuden nicht behaupten: Die meisten Klassenzimmer sind nicht nutzbar. Alle Dächer sind mehr oder weniger beschädigt. Die Gewächshäuser, die Wetter- und die Krankenstation sind vollkommen zerstört. Überall gibt es zerbrochene Fenster, und Teile der Wasser- und Stromleitungen funktionieren nicht mehr. Lediglich die Sporthallen, der Südtrakt mit den Lehrerzimmern und die Gebäude rechts der Kapelle sind verschont geblieben. Dort sollten wir unsere Notunterkünfte einrichten.« Er warf einen Blick auf seine goldene Taschenuhr. »In der nächsten Stunde sollte das Pumpwerk laufen. Am WLAN arbeiten wir, einen Überblick über die Höhe des Schadens –«

Petronova hob eine Hand, und Herr Ringstrøm schwieg. »Es ist ganz gleich, wie hoch die Kosten sind …«, sagte sie mit leiser Stimme. »… denn unsere Kassen sind leer.«

»Was?«, platzte Flo heraus.