Colliding Hearts - Sarah Lemme - E-Book
SONDERANGEBOT

Colliding Hearts E-Book

Sarah Lemme

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Zwei Rennstrecken, zwei Herzen, eine Ziellinie.
Carina lebt für den Adrenalinkick. Sie hat gerade ihre eigene Motocross-Strecke eröffnet und startet in der kommenden Saison bei der Frauen-Weltmeisterschaft. Es könnte ihr Jahr werden. 
Dann erfährt sie jedoch, dass Ex-Profifahrer Luis Gerland eine konkurrierende Strecke in ihrer Nähe plant. Als mehr und mehr Kunden abspringen und ihre Einnahmen schwinden, bleibt Carina keine Wahl: Sie muss mit Luis zusammenarbeiten, damit ihr Traum nicht wie eine Seifenblase zerplatzt. 
Trotz anfänglicher Abneigung stellt Carina fest, dass hinter Luis' unnahbarer Fassade mehr steckt, als sie erwartet hat. Je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto stärker werden ihre Gefühle füreinander. Doch kann der erste Eindruck wirklich trügen? Und wie sehr kann Carina sich auf ihr Herz verlassen, wenn für sie alles auf dem Spiel steht?

“Colliding Hearts” von Sarah Lemme ist eine Sport Romance voller Leidenschaft, die über Rivalität hinausreicht.
 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



COLLIDING HEARTS

SARAH LEMME

Verlag:

Zeilenfluss Verlagsgesellschaft mbH

Werinherstr. 3

81541 München

_____________________

Texte: Sarah Lemme

Cover und Umschlagdesign: Art for your Book

Satz: Zeilenfluss

Korrektorat:

TE Language Services – Tanja Eggerth, Johannes Eickhorst

_____________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

_____________________

ISBN: 978-3-9671-4440-6

Für Anke

Weil du immer an mich geglaubt hast

1

CARINA

ARNHEM, NIEDERLANDE

Die Vorstart-Spannung vibriert in der Luft. Heute ist dieser eine Tag, an dem Träume wahr werden oder wie eine Seifenblase in der Luft zerplatzen. Helden werden zu Legenden oder verschwinden von der Bildfläche, als hätte es sie nie gegeben. Zwischen Triumph und Niederlage liegen 30 Minuten plus zwei weitere Runden. Es ist das Event des Jahres in der Szene.

»Hunger, Carina?«, fragt Sonya.

Ich brumme eine Art Zustimmung, den Blick auf den Eingang des Fahrerlagers gerichtet. Wie gern würde ich noch ein oder zwei Autogramme ergattern, um meine Sammlung zu vervollständigen. Okay, vollständig wird sie wohl nie, aber trotzdem. Einfach aus Prinzip und weil sich die ganzen Sammlerstücke in meinem neuen Büro sehr gut machen werden. Der Rohbau steht bereits und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich meine eigene Motocross-Strecke eröffne.

»Hier.« Sonya drückt mir eine Bratwurst mit einem Stück Brot in die Hand und reißt mich damit aus meinen Gedanken.

»Danke«, nuschle ich, den ersten Bissen bereits im Mund.

»Weißt du eigentlich, wie genial das ist, dass du nächstes Jahr ebenfalls hier starten wirst?«

»Joah, hat schon was.« Ich wiege den Kopf hin und her, als wäre es das Normalste auf der Welt. Aber Pustekuchen, das ist es nicht. Das ist die fucking Weltmeisterschaft im Motocross!

»Ich kann das noch immer nicht glauben.« Sonya knabbert bedächtig an ihrer Bratwurst, während ihre Augen umherhuschen.

Die Wiesen um uns herum gleichen einem Bienenschwarm. Überall tummeln sich Menschen: Fans mit Merchandise ihrer Lieblings-Bike-Hersteller, begeisterter Nachwuchs, Streckenposten und natürlich die Fahrer. Letztere aus der Topklasse haben sich inzwischen allerdings ins Fahrerlager zurückgezogen. Es ist nur noch eine halbe Stunde bis zum Start. Sie werden sich aufwärmen, ein letztes Mal die Maschinen checken und dann in das Finale der WM-Serie starten. Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie hoch die Anspannung sein muss.

»Ist aber so.« Ich strecke meiner besten Freundin die Zunge raus.

»Du bist zu bescheiden.« Sie boxt mir an den Oberarm.

»Ich weiß, aber warum soll ich mich jetzt schon verrückt machen? Ich bin erst nächstes Jahr bei der WM dabei und bis dahin muss ich vor allem eins, nämlich fit und gesund bleiben.«

»Auch wieder wahr. Aber das wird so genial!«

»Garantiert! Ich wünschte, es würde bereits morgen losgehen.« Die Hummeln in meinem Hintern warten nur auf den passenden Moment, um mir den nötigen Adrenalinkick zu geben, doch werden auch sie sich noch etliche Monate gedulden müssen. Und Geduld ist definitiv nicht meine Stärke. »Aber egal, jetzt erstmal das letzte Rennen der Saison der Männer. Das wird der Hammer!«

»Auf jeden Fall! Was meinst du, wird Luis Gerland diesmal gewinnen?«

»Momentan ist er auf Platz zwei. Falls René Duprint patzt und Gerland fünf Punkte mehr einfährt …« Ich lasse den Satz unbeendet, denn eigentlich brauche ich Sonya nicht erklären, wie Punkte gesammelt werden. Sie ist von uns der Statistik-Freak. Fragt man sie nach einem x-beliebigen Rennen, weiß sie die Ergebnisse auswendig. Doch da der gestrige und der heutige Lauf zu einem Gesamtergebnis zusammenaddiert werden, wird die Rechnerei am Ende doch wieder groß sein. Zumal Duprint am Vortag bereits vor Gerland platziert war.

»Es wäre schon genial, wenn endlich mal wieder ein Deutscher gewinnt. Immerhin wäre er der Erste in der Geschichte, seitdem 2003 die neuen Klassen eingeführt wurden.«

»Wir haben es nicht in der Hand. Ansonsten werde ich halt nächstes Jahr die erste deutsche Frau.«

»So bescheiden wie immer.« Sonya lacht. »Sollen wir uns ’nen Platz suchen?« Sie tritt von einem Bein aufs andere, und ich weiß, dass sie keine einzige Sekunde verpassen will.

Ich ebenfalls nicht, daher nicke ich. Da es keine richtigen Tribünen gibt, verteilen sich die Zuschauer auf den Hügeln rund um die Strecke, immer auf der Suche nach der Kurve, in der die spektakulärsten Überholmanöver vermutet werden. Oder natürlich an den Sprüngen. Je höher und weiter, desto besser.

Gerade als ich einen Schritt zurücktrete und mich umdrehe, rempelt mich jemand an. Oder ich crashe in ihn, wer weiß das schon so genau.

»Sorry«, sage ich rasch und hebe den Blick. Ich treffe auf smaragdgrüne, beinahe magisch funkelnde Augen. Okay, vielleicht schießen sie auch eher mit Giftpfeilen auf mich?

»Pass doch auf«, zischt der Mann, und ich erstarre. Diese Stimme!

Eine Sekunde, zwei Sekunden. Endlich weiß ich, wer hier vor mir steht.

»Luis Gerland«, flüstere ich.

»Korrekt und jetzt geh mir aus dem Weg, ich muss zu meinem Rennen.«

Was für ein Arsch. Er bräuchte nur einen Schritt zur Seite machen und könnte einfach seines Weges gehen. Stattdessen steht er frontal wie eine massive Felswand vor mir.

Ohne dass es mir wirklich bewusst ist, richte ich mich auf und strecke den Rücken durch. Ich reiche ihm gerade bis zum glattrasierten Kinn.

»Dann geh doch!« Meine Stimme ist gepresster und abweisender als geplant. Was denkt er sich? Dass er Mister King ist? Der Hahn im Korb, und jede Frau tut, was er will?

Oh nein. Nicht mit mir. Immerhin haben wir dieselbe Leidenschaft, und wenn ich eins bin, dann durchsetzungsstark.

Seine Augen traktieren meine, unsere Blicke duellieren sich. Wenn er nicht so ein Arsch wäre, würde ich ihm viel Glück wünschen. Kein Wunder, dass er einer der wenigen Fahrer ist, von denen ich kein Autogramm besitze. Doch nach dieser Begegnung brauche ich es nicht mehr. Nun ist mir auch klar, warum er nicht der absolute Publikumsliebling ist. Dabei wirkte er bisher auf den Pressekonferenzen immer sympathisch. Davon ist jetzt jedoch nichts zu sehen. Eher ist er wie ein Hai, der mich am liebsten in einem Stück verschlingen würde. Was auch immer ihm heute die Laune verdorben hat.

Um seine Augen sind kleine Fältchen und sein Mundwinkel zuckt. Amüsiert er sich etwa? Sein Gesicht ist so symmetrisch, dass er von der Presse immer als der Playboy des Motocross betitelt wird. Tss, ja, attraktiv ist sein Äußeres, doch sein Charakter stinkt. Gleichzeitig regt sich ein Gefühl in meinem Bauch, das ich nur mühsam unterdrücke. Ein Kribbeln wie tausend kleine Krabbelviecher.

Ich verliere unser Blickduell. Er schiebt mich ohne ein weiteres Wort zur Seite und geht seines Weges in Richtung Fahrerlager. Offenen Mundes starre ich ihm hinterher. Das hat er nicht getan!

»Was für ein arrogantes Arschloch!« Sonya tritt neben mich.

Ich nicke und stoße die angehaltene Luft aus. »Ich denke, ich drücke gleich Duprint die Daumen.«

»Ich auch.«

Noch immer starre ich dem deutschen Fahrer hinterher, der soeben im Fahrerlager und damit aus meinem Blickfeld verschwindet.

»Komm, lass uns gehen. Dieser Kerl ist es nicht wert, einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden.«

Sonya hat recht und doch beschäftigt mich diese Begegnung den ganzen Weg, bis wir gute Plätze an der Rennstrecke gefunden haben. Das ist der Vorteil vom Motocross gegenüber dem Supercross. Motocross wird draußen an der frischen Luft gefahren. Dadurch sind die Strecken länger und witterungsanfälliger, was einen besonderen Reiz ausmacht. Kein Rennen gleicht dem anderen. Supercross hingegen wird in der Halle gefahren, hat mehr Wendungen, schneller aufeinanderfolgende Sprünge und wird in mehreren Läufen ausgetragen, da deutlich weniger Fahrer gleichzeitig auf die Strecke dürfen. Außerdem hat der Zuschauer in der Halle zugewiesene Plätze und wenn man Pech hat, sitzt man ziemlich weit von seinen Helden entfernt. Das ist hier an der Strecke eindeutig anders. Die Fahrer laufen einen regelrecht über den Haufen, jeder kann sich den besten Platz an der Strecke selbst suchen und oftmals ist nicht ganz so viel los wie bei den Supercross-Events. Aber das Genialste am Motocross ist einfach, dass es eine Outdoor-Sportart ist. Man muss mit jeder Wetterlage zurechtkommen und ich für meinen Teil mag es, wenn ich mir abends die Schlammschicht vom Körper wasche.

Ob Mister Miesepeter mir dabei behilflich wäre? Wenn er sich den Waschlappen schnappen würde und meinen Rücken … Oh nein. Raus aus meinem Kopf!

Zu meinem Glück geht in diesem Moment ein Grölen durch die Zuschauermenge, denn die Fahrer kommen auf die Strecke. Da wir uns in den Niederlanden befinden, begrüßt der Moderator alle ausschließlich auf Englisch wie schon bei dem Rennen der kleineren Klasse zuvor. Bei anderen Veranstaltungen wird manchmal zusätzlich in der Landessprache moderiert.

Die Stimmung ist beinahe zum Zerreißen gespannt, als die Kontrahenten in die Strecke einfahren und sich auf eine Einführungsrunde begeben. Gebannt verfolge ich die Blicke, die Konzentration und das Aufheulen der Motoren. Dann ist es so weit. Jeder Fahrer nimmt seine Startposition ein. Ich trete von einem Bein auf das andere und recke meinen Hals genauso wie alle um mich herum. Dort ist René Duprint, der aktuell WM-Führende. Außerdem Mister Arschloch Luis Gerland direkt daneben. Da er Helm und Schutzbrille bereits aufhat, kann ich nur mutmaßen, dass er extrem fokussiert ist. Duprint kann nur verlieren, wenn er ausscheidet oder weit zurückfällt. Gerland hingegen kann noch Erster oder sogar vom Podest verdrängt werden. Die Abstände hinter ihm sind knapp. Für ihn geht es um alles. Eigentlich wäre es toll, wenn er die deutsche Fahne hochhalten würde. Uneigentlich gönne ich es ihm nun nicht mehr.

Arschloch!

»Wohoo!«, macht Sonya und krallt sich an mich. »Ich halte das nicht mehr aus! Können die nicht endlich das Startsignal geben?«

Die Motoren der Bikes dröhnen, immer wieder lässt einer der Fahrer seine Maschine aufheulen. Die typischen Machtdemonstrationen vor einem Rennen. Gleichzeitig wird jeder Einzelne von ihnen dermaßen im gedanklichen Tunnel sein, dass er rechts und links von sich nur noch wenig wahrnimmt. Der Start ist so entscheidend, denn bei den insgesamt 40 Fahrern ist dort die Unfallgefahr am höchsten und die Sicherung des Holeshots, also als Führender in die erste Kurve zu gehen, ist ein immenser Vorteil.

Ich kralle mich ebenfalls an Sonya fest. Zusehen ist eindeutig nervenaufreibender, als selbst zu fahren.

Der Moderator beginnt mit dem Countdown, doch er zieht ihn endlos in die Länge. Ja, es ist das Finale, aber lasst die armen Fahrer doch endlich auf die Strecke.

»Three, two, one!« Allerdings reagiert das Startgitter auf einen anderen Befehl und verzögert noch für zwei lange Sekunden.

Motoren heulen auf, die Erde spritzt unter den Knobbies der durchdrehenden Reifen weg. Staub wirbelt auf, hat es doch die vergangenen Tage keinen einzigen Tropfen geregnet. Die Zuschauer toben, jubeln, brüllen gegen den Lärm an. Ein wahrer Hexenkessel.

Ich springe, recke die Hände in die Luft und mein Herz flattert. Heilige Scheiße. Das ist so gut!

Die erste Staubwolke lichtet sich und ich sehe, wie Duprint und Gerland Kopf an Kopf, Seite an Seite auf den ersten Sprung zusteuern. Synchron fliegen sie darüber hinweg, jagen auf die nächste Kurve zu. Direkt hinter ihnen sind die Verfolger, kleben an ihren Hinterrädern. Der Untergrund ist rutted, also von tiefen Furchen gezeichnet. Ständig schlingern die Fahrer, sind mit aller Kraft bemüht, ihre Maschinen in der Balance zu halten. Eine echte Ganzkörpersportart, die auch mir schon öfter den Muskelkater des Todes beschert hat.

Erneut wirbelt Staub auf, verdeckt mir die Sicht. Ich recke mich auf die Zehenspitzen, versuche, irgendetwas zu erkennen. Der Geruch von Abgasen, Dreck und Bratwurst liegt in der Luft. Musik dröhnt aus den Boxen, mit ihnen die Stimme des Moderators, der das Rennen weiterhin kommentiert. Das ist gerade beim Motocross wichtig, denn die Strecke ist unübersichtlich und ohne Tribünen kann man als Zuschauer das Rennen nur über einen Teilbereich mitverfolgen.

Ich zapple, blinzle, will durch die dicke Staubwolke irgendetwas erkennen. Doch natürlich kann ich sie nicht vertreiben.

Ein Knall und ein Schrei übertönen plötzlich alles und augenblicklich wird es still. Zu still. Nur ein Motor heult auf und die Musik wummert weiter, will der Menge einheizen, die jedoch zu Eis erstarrt ist.

»Scheiße«, flüstere ich. Sonya krallt sich in meinen Pulli, fester als zuvor. Niemand muss erklären, was da gerade passiert ist, verdeckt von der Staubwolke.

Aus allen Ecken treten die Streckenposten einen halben Schritt vor, schwenken rote Flaggen.

Rennabbruch.

Um uns herum werden die Köpfe gereckt, können jedoch genauso wenig sehen wie wir. Das Schweigen weicht einem drückenden Gemurmel. Erste Mutmaßungen um uns herum werden laut, welcher Fahrer den Schrei ausgestoßen hat.

Sonya hält sich die Augen zu, als der Staub sich langsam lichtet. Ein Knäuel aus Maschinen wird von Streckenposten rasch mit Tüchern abgeschirmt, bevor ich die Situation genauer erfassen kann. O Gott. Ein Massencrash. Kein Wunder, so eng, wie alle beisammen gefahren sind.

Unruhe breitet sich auf den Zuschauerrängen aus, genauso wie in mir alles kribbelt. Nicht mehr vor Freude und Aufregung, sondern vor Entsetzen. So darf die WM nicht enden.

»Ich kann mir das nicht mit ansehen«, murmelt Sonya. Ich nehme sie in den Arm, streiche ihr sanft über den Rücken. Wie oft musste sie meine Stürze mit aushalten. Sie selbst fährt zwar auch, aber deutlich gemütlicher, weniger waghalsig und erst recht nicht mit dem Ziel, bei einer WM teilzunehmen. Dafür tüftelt sie viel lieber an meinen Bikes rum, um das bestmögliche Setting für jedes Rennen zu finden. Und darin ist sie definitiv einsame Spitze. Ohne sie wäre ich meinem Traum nicht so nahe. Und da kann ich es gut aushalten, wenn sie Stürze nicht sehen mag.

Gebannt starre ich auf die Strecke. Selbst wenn ich wegsehen wollen würde, ich kann es nicht. Einige Fahrer bringen ihre Maschinen im Schritttempo zurück ins Fahrerlager, andere schieben sie gemäß der Anweisung der Streckenposten durch einen Nebenausgang.

Endlich meldet sich der Moderator wieder zu Wort, offensichtlich ebenso geschockt wie jeder einzelne Zuschauer. Allen ist klar, dass dies kein ganz normaler Crash war. Das war mehr, existenzbedrohend.

Motocross ist kein Sport für Waschlappen. Man braucht auf diesem Level Mut, Köpfchen, eine superduper Grundfitness, Siegerwillen und nimmt gleichzeitig in Kauf, dass man jederzeit Gesundheit und Leben riskiert. Das ist allen Fahrern bewusst. Dafür winkt auch ein hübsches Preisgeld.

Ich atme tief durch, streiche Sonya weiterhin den Rücken. Sie hat sich von der Strecke abgewandt.

»Verlierer dieser Startphase sind offensichtlich Gerland und Duprint, die noch immer von den Streckenposten vor Blicken abgeschirmt werden. Mir liegen keine aktuellen Informationen vor, ob weitere Fahrer verletzt sind. Zumindest sind 35 der Fahrer bereits zurück im Fahrerlager und höchstens leicht verletzt. Solch einen Massencrash habe ich lange nicht mehr gesehen. Das Rennen ist abgebrochen. Ob es später wieder gestartet wird, steht aktuell in den Sternen.« Der Moderator fasst die Ereignisse knapp zusammen, versucht dann, die Menge mit irgendwelchen Fakten und Zahlen bei Laune zu halten.

»Gerland und Duprint also«, murmle ich.

Sonya rückt etwas von mir ab, schaut jedoch nicht zur Strecke. »Wenn die so lange abgeschirmt werden, ist da mehr als ein kleiner Knochenbruch.«

Ich nicke. In diesem Moment wird ein Tor geöffnet und zwei kleine Fahrzeuge fahren in Richtung der Unfallstelle.

»Sollen wir nach Hause? Ich befürchte, das war’s hier.«

Sonya nickt. Ihr ist die Lust ebenso vergangen wie mir. Klar, das gehört zum Sport dazu, doch wünscht man niemandem etwas Schlechtes. Alle Fahrer sind Profis und jedes Rennen kann das Ende ihrer Karriere bedeuten. Und sosehr ich den Sport liebe, in solchen Situationen kommt immer wieder der Gedanke hoch, dass ich mir vielleicht doch besser eine weniger gefährliche Sportart hätte aussuchen sollen.

Sonya und ich bahnen uns einen Weg durch die Menge. Was für ein bescheidenes Ende einer tollen Saison. Etliche Personen drängeln uns gaffend weiter Richtung Absperrung entgegen. Jubel brandet auf. Ich drehe mich nicht um. Wahrscheinlich hat einer der verletzten Fahrer der Menge den Daumen emporgereckt, als Zeichen, dass es den Umständen entsprechend geht.

»René Duprint wird in diesem Moment vom Platz gefahren. Sein Bein ist in einer Schiene, doch er winkt seinen Fans zu. Er wird auf direktem Wege ins Krankenhaus gebracht und vollständig durchgecheckt. Nun fehlen uns nur noch Informationen zu Gerland. Bislang habe ich keine Meldung von der Strecke bekommen. Er ist der letzte auf der Strecke verbliebene Fahrer und die Tücher um ihn herum lassen nichts Gutes vermuten. Kumpel, wir wünschen dir baldige Genesung. Auf dass du schnell wieder zurückkehren magst. Und nun habe ich den Renndirektor bei mir. Jean Dramarque, was können Sie uns zu dem Unfall sagen?«

Der Renndirektor bestätigt die bisherigen Infos, wie ich über die Lautsprecher, die auch auf dem Vorplatz angebracht sind, vernehme. Ein paar Zuschauer sind ebenso wie wir auf dem Weg zu den Parkplätzen. Viele reisen für die Wochenenden auch mit dem Wohnmobil an und folgen den Athleten bei der WM-Tour durch ganz Europa, manche sogar auch zu den noch weiter entfernten Rennen. So viel Zeit hätte ich gern.

»Das Rennen wird in jedem Fall nicht wieder gestartet. Es zählen die gestrigen Ergebnisse. Das bedeutet, dass wir trotz all der Sorgen einen WM-Endstand haben. René Duprint ist unser neuer und alter Held.« Der Renndirektor wirkt bedrückt, hat für seine Verhältnisse viel zu viel geredet und ernennt den Sieger ohne große Freude.

Ich verstehe ihn zu gut. Duprint bekommt von seinem Erfolg auf dem Weg ins Krankenhaus wahrscheinlich nichts mit.

»So ein Ende der WM-Serie hat keiner verdient«, sagt Sonya.

»Definitiv.«

»Tust du mir einen Gefallen und passt nächste Saison auf dich auf? Ich will dich nicht von der Strecke kratzen müssen.«

»Keine Sorge, ich passe immer auf mich auf. Aber das Risiko bleibt. Immerhin habe ich nicht vor, Letzte zu werden.«

»Touché. Trotzdem.«

Ich lächle, denn ihre Sorge und die gleichzeitige Begeisterung für diesen Sport sind zwei Komponenten, die nur schwerlich zueinander passen.

Wir erreichen mein Auto und ich plumpse hinter das Lenkrad. »Was für ein Tag.«

Meine beste Freundin nickt zustimmend, das Handy in der Hand. Wahrscheinlich sucht sie längst nach ersten Informationen. Das Internet weiß schließlich alles, dennoch bezweifle ich, dass jetzt bereits mehr Details online stehen, als wir soeben erfahren haben.

Geschickt lenke ich das Auto über die holprige Wiese, weiche den Schlaglöchern aus, soweit ich kann. Zum Glück ist es trocken, denn sonst hätten wir wohl vom Trecker aus diesem Acker gezogen werden müssen.

»WM-Rennen abgebrochen. Duprint, neuer und alter Champion, liegt mit kompliziertem Beinbruch im Krankenhaus. Bisher keine genauen Informationen zum Gesundheitszustand von Gerland. Erste Vermutungen erhärten Verdacht auf Verletzungen der Wirbelsäule. Ach du Scheiße!«

Mein Atem stockt erneut, als Sonya die Schlagzeilen vorliest. Verletzungen der Wirbelsäule gehen selten gut aus.

»Egal, wie scheiße er vorhin zu mir war, das hat er nicht verdient.«

»Nein, das definitiv nicht.«

Die weiteren gut zweieinhalb Stunden der Rückfahrt verbringen wir schweigend. So war der Tag nicht geplant.

2

LUIS

OSNABRÜCK, DEUTSCHLAND

Die vergangenen zwei Wochen waren die schlimmsten in meinem Leben. Nicht, weil ich keinerlei Erinnerungen habe, wie ich von der Rennstrecke ins Krankenhaus gekommen bin, sondern weil ich nicht akzeptieren will, dass es vorbei ist.

Aus und vorbei. Ich werde keine Rennen mehr fahren und ich habe es in meiner Karriere nur bis auf Platz zwei geschafft. Der Zweite ist der erste Verlierer. So einfach ist das. Ergo bin ich ein Verlierer.

Doch die Tatsache will einfach nicht in meinen Kopf. Schlimm genug, dass ich viel zu viel Zeit zum Nachdenken habe. Ich will es nicht wahrhaben, aber die Gedanken lassen mich nicht los. Gut, ich wusste, dass dieser Fall eintreten kann. Mit dem Risiko habe ich immer gelebt. Ich bin es bewusst eingegangen, denn Motocross ist nun mal kein Schach. Zu viele andere sind vor meinen Augen gestürzt, sind von der großen Bühne der Weltmeisterschaft verschwunden, ohne jemals wieder von sich hören zu lassen. Dass ich jedoch einmal dazugehören würde, hätte ich mir im Leben nicht erträumt. Ja, ich bin schon gestürzt, habe mir diverse Knochen gebrochen, doch das heilt alles wieder.

Auch meine Verletzung jetzt heilt. Immerhin darf ich heute das Krankenhaus verlassen, mit Schrauben in meiner Hals-Wirbelsäule, die dort für immer bleiben. Laut den Ärzten kann ich froh sein, dass ich noch lebe. Sie sagen, es grenzt an ein Wunder, dass ich das Krankenhaus auf meinen eigenen zwei Beinen verlassen werde. Ich hätte auch im Rollstuhl sitzen können. Natürlich brauche ich noch Reha, aber ich darf endlich nach Hause.

Es klopft dreimal an meiner Tür.

»Herein.« Ich schiebe mein Portemonnaie sowie Handy und Tablet in die kleine Reisetasche, die mein Bruder Jannik mir nach dem Unfall vorbeigebracht hat.

Ebendieser betritt das Zimmer, ausnahmsweise mal nicht hinter einem überdimensionalen Blumenstrauß versteckt. Nicht, dass er jemals auf die Idee kommen würde, mir Blumen zu schenken. Das ist einzig und allein auf dem Mist unserer Mutter gewachsen, unter deren Fittichen er noch immer steht, solange er sein Studium nicht beendet hat. Zwischenzeitlich glich mein Krankenzimmer einem halben Blumenladen.

»Moin Großer«, neckt er mich.

»Hey Kleiner«, witzle ich zurück und umarme ihn. Er ist zwar der Jüngere von uns, mir allerdings längst wenige Zentimeter über den Kopf gewachsen. »Dass du mich mal aus dem Krankenhaus abholst …« Schließlich ist er derjenige, der von uns beiden die meisten Stürze hinlegt.

»Irgendwann erwischt es auch die Besten, weißt du doch. Bist du so weit?«

Ich wedle mit den Entlassungspapieren. Ein letztes Mal überprüfe ich den Sitz der Halskrause, die mich noch eine Weile begleiten wird. Jannik hilft mir zuerst in die Jacke und greift anschließend kommentarlos meine Reisetasche. Tragen darf ich noch nichts, vor allem, da ich meinem linken Arm noch nicht wieder vertraue. Auch wenn mein Kopf den Befehl gibt, hält meine Hand längst nicht alles so fest, wie ich es möchte. Besonders die Feinmotorik bereitet mir Probleme. Aber in der Reha darf ich sicher immer wieder Erbsen und Reiskörner mit dem Pinzettengriff greifen üben.

»Wann beginnt deine Reha?«, fragt Jannik.

»Übermorgen. Allerdings mache ich eine ambulante Reha. Hab keine Lust, noch länger untätig herumzusitzen.«

»Weißt du denn schon, was du jetzt machen willst?«

»Nun, zum Glück habe ich ja immer nebenbei gearbeitet, daher hat mein Chef kein Problem, meine Stunden zu erhöhen. Hab schon alles mit ihm besprochen. Sobald ich kann, steige ich dort wieder ein.«

»Aber reicht das denn?«

»Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Verdammt, ich will auf mein Bike. Das ist mein Leben. Keine Ahnung, wie ich ohne Training die Tage rumbekommen soll.«

Jannik schweigt. Was soll er auch sagen? Seiner Leidenschaft nicht mehr nachgehen zu können, ist, wie wenn einem ein Teil des Herzens fehlt und nichts diese Lücke schließen kann. Wie mein neuer Alltag aussehen wird, habe ich mir in den letzten Tagen oft genug ausgemalt, doch ich bin zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Ja, mein Job als Controller macht mir Spaß, doch es erfüllt mich nicht. Nicht ausschließlich.

»Vielleicht solltest du dir eine Frau anlachen.«

Wir sind an Janniks 3er-BMW angekommen. Warum auch immer er diese Karre fährt. »Meinst du, dass die Mädels auf dieses schicke Ding stehen?« Ich deute auf meine Halskrause.

»Die Weiber stehen immer auf die Kerle, die für sie Leib und Leben riskieren. Du musst dir nur die passende Story ausdenken. Weißt du, sowas wie: Hey Süße, ich wollte dir gerade die Sterne vom Himmel holen, aber das Universum hatte etwas dagegen.«

Ich lache auf und setze mich so behutsam wie möglich auf den Beifahrersitz. »Ernsthaft?«

»Komm schon, du bist der Frauenschwarm von uns beiden. Da wird dir doch was einfallen?« Tatsächlich habe ich mich in den letzten Jahren nicht beklagen können. Die Fans und Groupies standen am Fahrerlager Schlange und jede wollte zuerst ein Foto mit mir. Nicht wenige haben direkt geflirtet und mich angetatscht. Manchmal habe ich mich sogar dazu hinreißen lassen, eine für die Nacht mitzunehmen. Doch niemals mehr als eine Nacht. Das war und ist meine Grenze.

»Ganz ehrlich? Ich habe null Ahnung, auf was die Frauen wirklich stehen. Für ’ne schnelle Nummer hat es immer gereicht, doch jetzt, wo ich nicht mehr zu den Topfahrern gehöre, haben die mich doch schneller vergessen, als ich meine Maschine wieder sauber habe.«

Jannik lotst das Auto vom Parkplatz auf die Hauptstraße. Zum Glück haben die mich damals nach dem Rennen in den Niederlanden sofort versorgt, doch die Verlegung in das Krankenhaus nach Osnabrück war die beste Entscheidung. So konnten meine Familie und Freunde mich besuchen und mir die trostlose Zeit verkürzen.

»Apropos Maschine sauber … Also ich glaube, da muss ich dir etwas beichten …«, druckst Jannik herum.

Mein Kopf zuckt nach links. Ein stechender Schmerz erinnert mich daran, dass schnelle Bewegungen absolut tabu sind. Ich verziehe das Gesicht und atme durch, während ich wieder nach vorn schaue. »Was willst du mir damit sagen?«

»Nun, also deine Maschine –«

»Was ist mit meinem Baby?« Bislang war ich davon ausgegangen, dass meine Leute alle Sachen wieder nach Hause gebracht haben. Wofür hat man schließlich ein Team, und ich vertraue jedem Einzelnen davon. Fuck … Ein Team, das sich für die kommende Saison neue Aufgaben suchen wird – muss. Ohne mich. Wie es ihnen wohl geht?

»Keine Sorge, Mike hat dein Baby wie sein eigenes behandelt, du kennst ihn doch.«

»Aber?«

»Nun, ich habe es mit ihm zusammen schon wieder flott gemacht und es glänzt wie neu.«

Ich entspanne mich. Keine Ahnung, was ich gedacht hatte, aber das ist weiß Gott nicht schlimm. Nein, das ist gut. Auch wenn nun nicht ich derjenige bin, der sich mit Mike um mein Baby kümmert. »Also haben mich die Frauen längst vergessen?«, schlussfolgere ich und stelle fest, dass es mich nicht interessiert. Diese heuchlerischen Tussis, die sich an jeden halbwegs erfolgreichen Fahrer ranmachen und sich damit brüsten, bei wem sie schon alles im Bett gelegen haben, auf die kann ich getrost verzichten.

Jannik zuckt mit den Schultern.

»Wenn es weiter nichts ist.« Ich winke ab.

»Du bist nicht sauer?«

»Warum sollte ich?« Ich habe ernsthaft keine Ahnung, was mein Bruder mir gerade sagen will. Es ist doch alles gut. Jeder hat seinen Job gemacht. Jeder, außer mir. Verdammt, ich hätte diesen Crash kommen sehen müssen. Ich hätte es verhindern müssen. Hätte nachgeben können. Aber so? So habe ich mehr als das Rennen verloren.

»Na ja, weil … keine Ahnung?«

Ich verdrehe die Augen. »Hey, Mike hat doch nur seinen Job gemacht. Auch wenn wir sonst oft zusammen an meinem Baby rumgebastelt haben, hatte er immer die Hauptverantwortung. Er braucht nicht meine Absolution, um allein oder mit dir an meiner Maschine zu schrauben. Und du brauchst erst recht nicht meine Erlaubnis.«

Er nickt knapp, als hätte ich mit meinem letzten Satz ins Schwarze getroffen. Daher weht also der Wind.

Wir schweigen, bis Jannik vor meinem Haus hält. Ich drücke auf die Fernbedienung an meinem Schlüsselbund und das große Tor schwenkt auf. Der zweistöckige Bungalow ist mein ganzer Stolz. Die glatte Außenfassade, die bodentiefen Fenster und die Einfahrt mit dem kleinen Rondell zum Wenden. Alles abgerundet von akkurat gestutztem Rasen und gepflegten Blumenbeeten, in denen tatsächlich auch jetzt noch Blüten zu sehen sind. Dabei ist die Saison vorbei und der Herbst naht. Bald werden die Bäume auf dem Grundstück ihre Blätter verlieren und die Welt wechselt über bunt zum winterlichen Grau. Dennoch liebe ich mein Heim zu jeder Jahreszeit. Wer kann schon von sich behaupten, mit 29 Jahren sein Haus abbezahlt zu haben, wenn man nicht geerbt hat? Obwohl es für mich allein eigentlich viel zu groß ist.

Jannik stellt den Motor ab. »Na dann los, ich bringe dich noch eben rein. Dann muss ich weiter.« Er schnappt sich meine Tasche vom Rücksitz, und ich atme endlich wieder den vertrauten Geruch von zu Hause ein. Da ist der leichte Hauch von Putzmitteln. Meine gute Haushaltsfee hat hier alles in Schuss gehalten. Und es duftet nach Blumen. Nicht schon wieder Blumen!

»Stell die Tasche einfach auf die Couch.« Ich deute in den offenen Wohnbereich, der trotz des Blumenstraußes auf dem Tisch, von dem bereits zwei Blätter abgefallen sind, wie frisch aus einem Katalog wirkt. An den Wänden hängen meine geliebten abstrakten Bilder von Motocross-Legenden.

Mein Bruder nickt, stellt die Tasche am genannten Platz ab und wendet sich danach wieder zur Tür. »Sag mal, darf ich dich was fragen?« Er zögert, den Türgriff bereits in der Hand.

Ich deute ein Nicken an.

»Ist jetzt wirklich alles vorbei?«

Ich kann ihn so gut verstehen. Immerhin ist diese Tatsache auch in meinem Gehirn noch nicht endgültig angekommen. Wer will schon so ein Ende wahrhaben?

»Ja, ich werde nie wieder ein Motocross-Rennen bestreiten«, spreche ich das erste Mal laut die Tatsache aus, die ich nicht akzeptieren will. Es wird nicht besser, wenn ich es verschweige.

»Und würdest du jemals wieder zu einem Rennen gehen oder willst du dem Sport komplett den Rücken zukehren?«

»Keine Ahnung. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Warum?« Dafür ist es definitiv noch zu früh.

»Nun, ich habe da seit ein paar Tagen eine Idee und vielleicht können wir das zusammen machen.«

Jannik hat gern mal lustige Schnapsideen, doch dafür wirkt er diesmal viel zu nervös und nachdenklich. Beinahe schon bodenständig. So kenne ich ihn gar nicht. »Hau raus!«

»Also, ich habe echt keine Ahnung, ob das gut ist, und du musst erstmal wieder richtig gesund werden –«

»Nun sag schon!« Ich halte mich gerade noch zurück, nicht wieder die Augen zu verdrehen, auch wenn ich meinem Bedürfnis zu gern nachgeben würde. Warum muss man ihm immer alles aus der Nase ziehen?

»Was hältst du davon, wenn wir unsere eigene Motocross-Strecke eröffnen? So richtig mit geilem Training und jeder Superlative, die unser Sport zu bieten hat? Vielleicht können wir die WM-Serie dann auch mal bei uns austragen?« Hat er soeben noch gezögert, purzeln die Worte nun wie ein Wasserfall aus seinem Mund. In seinen Augen blitzt gleichzeitig Übermut und Tatendrang.

Uff. Was für ein Vorschlag. Ich fahre mir durch die Haare, lasse seine Idee auf mich wirken. Wäre das eine Option? »Klingt gar nicht so schlecht. Aber lass mich darüber erstmal eine Nacht schlafen, okay?« Ich brauche wirklich Zeit. Noch kann ich mir nicht einmal vorstellen, mein Bike zu streicheln, ohne Pipi in die Augen zu bekommen. Dabei heule ich nicht. Ich habe mich immer im Griff – oder hatte. Schließlich war ich noch nie in einer solchen Situation.

»Klar. Ist auch nur eine Idee. Ich komme morgen vorbei und sehe nach dir, okay? Von Mama ist übrigens Hühnerbrühe im Kühlschrank, soll ich dir ausrichten.« Damit hat er die Tür bereits geöffnet und schiebt sich durch den Spalt hindurch.

Ich schnaube. »Tss, ich hab doch keine Grippe.«

»Tschööö!« Und schneller, als ich mich verabschieden kann, hat Jannik die Tür hinter sich zugezogen.

Meine Gedanken pendeln zwischen der Suppe und dem, was Jannik mir soeben eröffnet hat. Die Idee ist nicht schlecht, aber bin ich für Zukunftspläne schon bereit?

* * *

Die Reha ist anstrengender als gedacht. Dagegen hat die Physiotherapeutin im Krankenhaus nur Schonprogramm mit mir durchgeführt. Verdammt, ich bin Sportler. Nach der kurzen Zeit kann man doch nicht so abbauen? Spricht man nicht immer von einem Muskelgedächtnis? Die müssten sich doch daran erinnern, was sie zuvor geleistet haben?

Mein Tag beginnt im Fitnessstudio der Reha-Einrichtung. Ein riesiger Klotz mit jeglichen Annehmlichkeiten, die ich mir vorstellen kann. Zwar fehlen mir die richtigen Gewichte, wie ich sie früher gestemmt habe, aber um mich auszupowern, ist trotzdem alles vorhanden. Ich trainiere hauptsächlich die Beine und strample auf dem Fahrrad. Alles so, dass es meine Halswirbelsäule nicht zu sehr belastet. Dann kommt die Massage. Eindeutig der beste Teil des Tages. So viel Luxus hatte ich während der Saison selten.

Meine letzte Saison, die ich als Zweiter beendet habe. Der ewige Zweite und der ewige erste Verlierer. Ich seufze, während ich vor dem Gruppenraum auf die Gymnastikstunde warte. Niemand nimmt Notiz von mir, obwohl ich nicht allein ausharre. Die anderen Patienten starren auf den Boden, niemand spricht. Worüber auch? Welche Wehwehchen uns plagen? Bloß nicht.

Die Zeiten, in denen ich immer besser sein wollte als gestern, sind zwar noch nicht ganz vorbei, doch die Erinnerung schmerzt. Natürlich würde ich es nie offen zugeben, aber allein die ständigen Fragen auf Social Media nerven so sehr, dass ich meinem Bruder den Instagram-Account zur Betreuung überlassen habe.

In gewisser Weise muss ich auch heute jeden Tag besser sein als gestern. Mein linker Arm funktioniert noch nicht wieder einwandfrei und ich bin gewillt, alles zu tun, um diesen Umstand zu verbessern. Beim Unfall sind die Nerven gequetscht worden und niemand kann mir sagen, ob ich die volle Funktion in meiner Hand oder dem Arm zurückerlangen werde. Doch dafür bin ich hier und ich schwöre, ich werde nicht ruhen, bis ich alle Möglichkeiten genutzt habe.

Ein Mädel, sicher noch keine 20 Jahre alt, kommt auf mich und die anderen wartenden Patienten zu. Garantiert eine Physiotherapie-Schülerin, von denen es hier nur so wimmelt. Günstige Arbeitskräfte könnte man auch sagen und dadurch natürlich nicht die hochkarätige Betreuung, die ich bräuchte. Doch diese Kleine ist ganz okay. Die letzte Stunde hat sie ebenfalls geleitet und ich habe bei etlichen Übungen mehr gewackelt als geahnt.

Ich langweile mich durch die heutige, deutlich weniger intensive Hockergymnastik und mache gute Miene zum nervigen Spiel. Bälle rumgeben, Arme recken, Koordination und vieles mehr. Ich bin eindeutig in der falschen Stunde gelandet. Die anderen Patienten sind so viel älter als ich. Aber nun denn. Schaden wird es nicht. Immerhin sind die Übungen für meinen linken Arm eine Herausforderung und ich lasse mehr als einmal den Ball fallen. Sogar manche Senioren sind besser als ich.

Danach geht es zu meinem Lieblingsfolterknecht. Felix, der leitende Physiotherapeut dieser Abteilung, ein junger und sehr zielstrebiger Kerl, höchstens 25 Jahre alt, der richtig was auf dem Kasten hat, quält mich und meinen Arm bis zur Erschöpfung.

Mit der zitternden Hand schaffe ich es kaum, meine Schuhe wieder zuzubinden.

»Klettverschluss, Junge. Das ist hier wirklich keine Schande. Bis morgen dann.« Damit ist Felix aus der kleinen Kabine verschwunden und keine drei Sekunden später wahrscheinlich bereits beim nächsten Patienten. Über mangelnde Arbeit können die Mitarbeiter sich hier nicht beschweren. Unfälle, Alterserscheinungen und was weiß ich. Hier werden hunderte Patienten täglich durchgeschleust und ich bin nur einer von vielen.

Ich rapple mich auf, hänge mir meine Tasche mit den verschwitzten Klamotten von meinen Übungen aus dem Fitnessstudio um und schlendere Richtung Ausgang. Ein kurzer Gruß zum Empfang.

»Bis Morgen, Frau Hörsted«, sage ich charmant und zeige ihr mein schönstes Grinsen. Sie ist die Einzige, die mich erkannt hat. Ein Fan der ersten Stunde und natürlich hat sie ein Autogramm von mir bekommen.

»Bis Morgen, Herr Gerland.«

Selbstverständlich wird die Etikette gewahrt, auch wenn ich weiß, dass sie mir am liebsten einen Schmatzer auf die Wange drücken würde, ganz wie eine überfürsorgliche Mutti. Sie geht nächstes Jahr in Rente und könnte demnach wirklich meine Mutter sein.

Die automatische Schiebetür lässt mich passieren und ich trete ins Freie.

»Hey Mann! Hier ist dein Taxi!«

Ich stutze und wende mich suchend um, was dank der Halskrause, die ich noch immer trage, gar nicht so einfach ist.

»Mike!«, rufe ich erfreut und hebe meine fitte Hand zum Gruß. Mein Blick fällt auf seine ölverschmierte Hose. »Kommst du gerade aus der Werkstatt?«

»Klar, du kennst mich doch. Deine Maschinen sind alle wohlauf.«

Was würde ich ohne meinen Mechaniker tun? Ich zögere nicht und schwinge mich auf den Beifahrersitz seines Golfs zwei, gefühlt ein Relikt aus längst vergangener Zeit, doch er liebt sein Auto.

»Sorry, dass du mit mir vorliebnehmen musst, aber Jannik hatte noch irgendeinen anderen Termin in der Uni.«

»Alles gut. Solange ich nicht laufen muss.« Dazu wäre der Weg dann doch zu weit und Auto fahren darf ich noch nicht wieder.

»Sei froh, dass du das noch kannst«, antwortet er, während er sich auf den Fahrersitz niederlässt und den Sicherheitsgurt schließt.

Ich weiß, dass er es scherzhaft meint, und doch hat er recht. Es ist ein Wunder, dass ich nicht querschnittsgelähmt oder noch viel eher, dass ich nicht tot bin.

»Wohl wahr. Wie läuft’s denn?« Ich sauge den Duft aus Motoröl und Duftbäumchen – das an seinem Rückspiegel baumelt – ein und schaue ihn neugierig an.

Mike kratzt sich am Kopf und zögert. Nun auch noch er? Hat er sich mit Jannik abgesprochen?

»Nun hau raus. Ich sehe doch, dass dich etwas bedrückt«, sage ich und schaue ihn fragend an.

»Chef, wie soll es weitergehen? Ich meine, was wird aus der Werkstatt? Ich will Rennmaschinen zusammenbauen und meinen Chef unter den Topfahrern sehen. Das ist meine Welt. Ich brauche den Duft von Benzin in der Nase und das Adrenalin in meinen Adern bei jedem WM-Start. Und …« Er stockt.

Ich verstehe ihn so gut. Mehr als das. Es ist – war – unser Leben. Und auch wenn die Pläne mit Jannik sehr konkrete Formen annehmen, werde ich Mike nicht mehr das bieten können, was er so dringend möchte und braucht. Er ist ein Spitzenmechaniker für einen Spitzenathleten. Umso dankbarer bin ich, dass er offen mit mir spricht. Auf kurz oder lang hätte ich mich eh mit ihm zusammensetzen müssen.

»Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht«, antworte ich auf seine Frage, um etwas Zeit zu gewinnen. Die Zukunft ist ungewiss. Zumindest meine. Seine in gewisser Hinsicht jedoch auch. Und dennoch kann es nur eine Antwort für ihn geben. Ich schaue geradeaus auf die Straße. Wir sind seit Jahren ein Dreamteam, und was ich jetzt tun muss, schmerzt mich mehr, als ich jemals zugeben würde.

»Wir haben so viele Jahre perfekt zusammengearbeitet und dafür danke ich dir sehr. Doch werde ich nie wieder Rennen fahren.« Das ist schlichtweg die unabänderbare Wahrheit.

Mike nickt. Das weiß er natürlich längst. Und er weiß auch, was ich ihm jetzt sagen werde. Ich atme tief durch und sammle all meine Courage.

»Es tut mir sehr leid, aber ich befürchte, du wirst dein Glück ab jetzt woanders suchen müssen.«

3

CARINA

MOTOCROSS-STRECKE VON CARINA IM OSNABRÜCKER LAND

Off-Season. Das ist der Teil des Jahres, den ich am wenigsten mag, gleichwohl ich ihn auch zur Regeneration brauche. Inzwischen sind drei Wochen vergangen, seit Sonya und ich den Unfall mit ansehen – oder besser mit anhören – mussten. Ich weiß nicht, wie oft ich mir das Video, das seither im Netz kursiert, reingezogen habe.

Ein Wunder, dass Gerland das überlebt hat. Noch aus dem Krankenhaus heraus hat er sein Karriereende verkündet. Ganz ehrlich: So doof er zu mir war, verdient hat er es nicht. Keiner hat so ein Ende verdient.

Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn –

»Kommst du?« Sonya schiebt ihren Kopf zur Tür hinein, und ich blicke auf.

»Was gibt’s denn?«

»Äh, der Kinderkurs startet gleich. Hier sind die unterschriebenen Zettel der Eltern. Ich habe alle schon mit der nötigen Ausrüstung versorgt.« Sie legt den Stapel Zettel auf den kleinen Tisch neben dem Eingang meines nigelnagelneuen Büros und ist bereits wieder verschwunden.

Ich streiche mir mit den Händen durchs Gesicht. Immerhin ist das Wetter trocken und die ersten beiden Wochen meiner neuen Selbstständigkeit sind gut angelaufen. Es ist, als hätte der Region Osnabrück genau solch eine Möglichkeit für Motocross gefehlt. Aber ich war natürlich so clever und habe mich vorher umgehört. Tatsächlich gibt es in näherer Umgebung keine äquivalente Strecke. Marktlücke nennt man das wohl. Inzwischen haben wir mehr Anfragen für unsere Kurse, als wir bedienen können, und auch das freie Training lockt jede Menge Kundschaft an. Kinder und Erwachsene geben sich die Klinke in die Hand und manchmal frage ich mich, wie ich in den kommenden Wochen überhaupt Zeit zum Training finden soll. Auch wenn ich es nicht so schnell wollte, ich brauche dringend weiteres Personal. Allein schaffen wir das nicht. Zumindest nicht auf Dauer, denn ich will auch Sonyas Einsatzbereitschaft nicht überstrapazieren.

Müde rapple ich mich auf. Ich habe unterschätzt, was es heißt, morgens erst selbst zu trainieren, dann die Strecke zu pflegen und nachmittags entweder Unterricht zu geben oder das Training zu beaufsichtigen. Mir macht jeder einzelne Part Spaß, gleichzeitig ist mein Körper eine träge Masse, die sich nach der Couch sehnt. Jede Bewegung fühlt sich an, als würde ich gegen Wasser ankämpfen. Doch noch ist der Tag nicht zu Ende und nachher kann ich mich ausruhen. All das macht mich stärker. Körperlich und mental. Und es ist der Preis, den ich gern für meine neue Freiheit bezahlte. Selbst und ständig, so wie ich es seit Jahren will. Heute habe ich zum Glück die Unterstützung von Sonya, die sich einbringt, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht.

»Hallo zusammen! Schön, dass ihr da seid!«, rufe ich über den Platz und schließe die Bürotür. Acht Jungs und zwei Mädchen stehen vor mir, die Eltern etwas abseits. »Ah, liebe Eltern, kommt doch auch kurz dazu!«

Zögerlich, als wenn ich der Wolf zwischen einer Herde Schafe wäre, treten alle ein paar Schritte näher. »Ich bin Carina Ferlut, die Besitzerin dieser Anlage. Ich freue mich, dass ihr alle hier seid. Wir duzen uns, nur damit das direkt klar ist. Für diese erste Einheit heute werden wir ungefähr 90 Minuten brauchen. Gern könnt ihr euch dort in den Container setzen, wenn ihr die Zeit nicht im Freien warten wollt.« Ich deute auf den Container neben dem Haus, in dem sich neben meinem Büro und der Werkstatt auch die Leihbikes befinden. »Dort gibt es unter anderem warme Getränke und Kekse.«

Ich schmunzle. Die leuchtenden Kinderaugen sind bei der Erwähnung der Kekse allesamt eine Spur größer geworden. Die ersten Eltern nicken und gehen entweder in Richtung Parkplatz oder tatsächlich zum Container. Nur drei Personen, zwei Mütter und ein Vater, bleiben stehen und mustern sowohl mich als auch die Bikes skeptisch.