Combat Nurse - Hohneder-Mühlum Natascha - E-Book

Combat Nurse E-Book

Hohneder-Mühlum Natascha

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Beschreibung

Vietnam 1967 Um die Anerkennung ihres Vaters zu erringen, folgt die amerikanische Krankenschwester Sarah MacKenzie einer Infanterieeinheit mitten ins Kriegsgebiet. Von den Männern abgelehnt, muss Sarah sich immer wieder behaupten. Durch Wissen und eine gehörige Portion Mut werden die neuen Kameraden zu guten Freunden, für deren Leben sie alles aufgibt, was ihr lieb und teuer ist. Als es für die Einheit keine Rettung zu geben scheint, setzt Sarah alles auf eine Karte. Doch reichen ihre Bemühungen aus? Eine actionreiche Kriegsgeschichte mit einer Frau an vorderster Front, was zu Zeiten des Vietnamkrieges undenkbar gewesen wäre!

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Seitenzahl: 338

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Natascha Hohneder-Mühlum

Combat Nurse

Krankenschwester in der grünen Hölle

Prinzengarten Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Copyright 2021 by Prinzengarten Verlag

Dr. Hans Jacobs, Am Prinzengarten 1, 32756 Detmold

Foto Umschlag: Felifoto von AdobeStock, Natascha Hohneder-Mühlum und Tamara Mühlum, Fapgraphicsandphotography von Pixabay

ISBN 978-3-89918-828-8

7. August 1967 – Vietnam 12th Evacuation Hospital Cu Chi

Müde und ausgelaugt trat die 24-jährige Sarah aus dem Operationssaal. Der heutige Montag hatte ihr so viel abverlangt. Bereits um halb sechs hatte man die ersten Verwundeten per Hubschrauber eingeflogen und von da an nahm es kein Ende mehr. Für die meisten Verletzten war es ein guter Tag gewesen. Ein Tag, an dem man ihr Leben hatte retten können. Doch für einige Männer kam jede Hilfe zu spät.

Während Sarah ihren Mundschutz öffnete und ihn vom Gesicht zog, tauchte in ihren Gedanken das Gesicht eines jungen Soldaten auf. Jackson war sein Name gewesen oder Jones? Sie schüttelte den Kopf. Wieso nur konnte sie sich nicht mehr an seinen Namen erinnern?

Sie sah seine weit aufgerissenen dunkelbraunen Augen vor sich. Sah, wie der Afroamerikaner um sein Leben bettelte. Natürlich hatten sie ihr Bestes gegeben. Die Ärzte haben alles in ihrer Macht Stehende getan, beruhigte sie ihre Gedanken. Sarah sah das viele Blut in einer Art Tagtraum vor sich. Zig Splitter waren in seinen Körper eingedrungen. Es war unmöglich sie alle zu entfernen und gleichzeitig seinen Kreislauf stabil zu halten. Sie gaben alles und kämpften um sein Leben! Doch letzten Endes mussten sie einsehen, wie sinnlos dieser Kampf gewesen war.

»Neunzehn Jahre«, murmelte sie sein Alter leise und schüttelte dabei den Kopf. Nur neunzehn Jahre alt war er geworden. Eine höhere Macht hatte entschieden, wie es mit ihm weitergehen sollte. Dieser Macht hatten sie leider nichts entgegensetzen können. Wie so oft in den letzten Tagen.

Sarah griff sich an den Nacken und versuchte mit ein paar Kopfbewegungen diesen zu entspannen, bevor sie die hellgrüne Haube von ihrem Kopf zog und sich des OP-Kittels entledigte, den sie anschließend in die dafür vorgesehene Tonne warf. Tief atmete sie aus und trat durch die Lazaretttür, während sie ihren Zopf löste und ihre hellbraunen Haare bis zur Schulter fielen. Die Sonne stand bereits tief am Horizont. Es musste weit nach zwanzig Uhr sein. Trotzdem war die schwüle Hitze kaum auszuhalten. Es war jedes Mal wie ein Schlag mitten ins Gesicht, wenn man eine der Baracken verließ, in denen es meistens einen Ventilator gab, der die Temperaturen einigermaßen erträglich werden ließ. Noch immer mit den Gedanken bei dem jungen Mann, lief sie durch die Basis auf dem Weg zu ihrem Quartier. Sarah war froh keinen ihrer Kameraden zu treffen. Sie wollte im Moment niemanden sehen und schon überhaupt nicht mit irgendwem reden, denn sie wollte nur eins: Ihre Ruhe.

Cu Chi – Quartier von Sarah MacKenzie

Mit einem quietschenden Geräusch zog Sarah den mit Moskitonetz bezogenen Rahmen auf, bevor sie die Tür öffnete und in ihr Quartier eintrat. Ihr Plan für den Abend hatte mit warmen Wasser und einem Bett zu tun. Der perfekte Ausklang eines arbeitsreichen Tages. Doch vor der Dusche wollte sie sich erst einmal einige Minuten ausruhen und fiel in ihren Alltagskleidern und mit den angezogenen Schuhen stöhnend auf ihr Bett.

»Du brauchst es dir hier nicht so gemütlich zu machen.« Diese Worte ließen Sarah, die gerade ihren Kopf im Kissen vergraben wollte, aufsehen. Ihre Zimmergenossin Jacky O’Neill saß unweit auf ihrem Bett, ihr Gesicht hinter einem Buch versteckt. »Cunningham will dich sofort sehen«, ergänzte Jacky, damit ihre Freundin wenigstens wusste, um was es ging. Eine Grimasse schneidend setzte Sarah sich wieder auf und sah zu Jacky, die nun endlich ihr Buch herunternahm. Dahinter kam ein hübsches Gesicht zum Vorschein, in dessen blonden Haaren sich einige Lockenwickler befanden. Jacky war eine heißblütige Texanerin, mit der nicht nur einmal ihr Temperament durchgegangen war, was ihr leider oftmals zum Verhängnis wurde.

»Was will der Alte denn?« Captain Cunningham war nicht nur ihr direkter Vorgesetzter, sondern auch der Leiter des 12th Evacuation Hospital hier in Cu Chi. Wenn er sie um diese Uhrzeit vorlud, konnte das nichts Gutes verheißen.

Für einen kurzen Moment ließ Sarah den heutigen Tag nochmals Revue passieren. Hatte sie etwas falsch gemacht oder sich unpassend verhalten? Spontan fiel ihr auf diese Frage nichts ein, das sie hätte bejahen können.

»Du kennst ihn doch«, antwortete Jacky und spielte dabei auf seine kargen Worte an, die er immer von sich gab. Nein, ein Schwätzer war er nicht, im Gegenteil, er gab immer nur kurze Befehle, aus denen man sich die Hälfte selbst zusammenreimen musste.

»Na gut. Dann geh ich halt.« Müde rappelte sich Sarah auf die Beine. Allein der Gedanke, jetzt wieder hinaus in diese Hitze zu müssen, trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. Aber was tat man nicht alles für seinen Vorgesetzten und das Vaterland.

Ihr Weg führte sie vorbei an einigen Quartiersbaracken. Hin und wieder begegnete ihr dabei ein Soldat, der kurz salutierte. Sie entgegnete den Gruß bereits reflexartig. Erst als sie an Cunninghams Büro ankam, fiel ihr auf, dass sie überhaupt nicht wusste, wer ihr entgegengekommen war. Vielleicht sollte sie ihre Sinne mehr zusammennehmen. Aber nach dem heutigen Tage war sie froh überhaupt noch gerade laufen zu können, da konnte man vom Gehirn keine weltmeisterlichen Leistungen erwarten.

»Der Captain erwartet mich«, erklärte Sarah ohne große Umschweife Cunninghams Schreibkraft und sah auf den Wandkalender, der direkt hinter dieser hing. War heute schon der 7. August? Wie schnell waren die letzten Wochen doch vergangen, die sie hier zusammen mit ihren Kameraden verbracht hatte. Das Schlimme daran war, dass jeder Tag dem nächsten glich. Es wurden viele Verletzte direkt von der Front, die sich nur wenige Meilen hinter dem Lager befand, zu ihnen gebracht. Einigen konnten sie helfen, die man dann entweder wieder rausschickte oder nach Hause, je nach Größe der Verwundung. Es gab sogar Soldaten, die sie schon mehrfach auf dem OP-Tisch hatten und dann gab es diese, die in einem Sarg in die Staaten zurückgeschickt wurden. Eiskalt lief es Sarah den Rücken hinunter, als sie wieder an den jungen Jones dachte oder hieß er doch Jackson?

»Sie können direkt zu ihm«, erklärte die Schreibkraft in einem freundlichen Tonfall. Sarah straffte die Schulter, bevor sie klopfte und öffnete anschließend die Tür einen Spalt.

»Sir, Sie haben mich rufen lassen?« Natürlich hatte er dies, weshalb sollte sie sonst hier sein?

»Ah. Lieutenant MacKenzie. Kommen Sie herein«, sagte er knapp und winkte sie zu sich ins Zimmer. Tief atmete Sarah durch, bevor sie eintrat und die Tür hinter sich schloss. Vor seinem Schreibtisch baute sich Sarah auf, stand kerzengerade und salutierte, wie es die Form verlangte. Cunningham entgegnete den Salut, ohne dabei von seinen Papieren aufzusehen, in denen er wie wild blätterte.

»Nehmen Sie doch bitte Platz.« Erstaunt kniff Sarah kurz die Augen zusammen, bevor sie seiner Anweisung nachkam. In den letzten Monaten, in denen sie hier stationiert war, hatte sie dieses Büro so oft betreten, aber absolut niemals hatte er ihr einen Platz angeboten. Erst als sie saß, legte er die Papiere zur Seite und musterte sie von oben bis unten. Es war ihm ein Rätsel, wie diese zierliche Frau die ganze Arbeit schaffte und immer wieder schwere Patienten herum hievte. »Zuerst einmal möchte ich Ihnen sagen, wie sehr ich mit Ihrer Arbeit zufrieden bin. Wir alle, um genau zu sein.« Achtung jetzt kommt‘s, dachte sich Sarah und wartete auf den Paukenschlag. »Sie fragen sich bestimmt, warum ich Sie habe rufen lassen. Nun, ich werde nicht lange um den heißen Brei herumreden. Der Sanitäter von Little Bear Five hat sich die Achillessehne abgerissen, weshalb die Hubschraubercrew im Moment keinen medizinischen Beistand hat und somit nicht fliegen kann. Ich habe Captain Houlihan zugesichert meinen besten Mann oder vielmehr meine beste Frau zu schicken. Was so viel heißt wie: Herzlichen Glückwunsch, ab morgen dürfen Sie Hubschrauber fliegen.« Für Cunningham war die Sache damit erledigt und er widmete sich wieder seinen Unterlagen.

Houlihans Einheit, die Little Bears, war zuständig für die Transportflüge der Verletzten. Unter seinem Kommando gab es fünf Bell UH1, die im Dauereinsatz flogen, um die Verwundeten aus der grünen Hölle hinter dem Lager zu ihnen zu bringen. Obwohl das, was er tat, menschlich erschien, war Houlihan selbst ein Unmensch. Ein passenderer Begriff fiel Sarah zu diesem Mann leider nicht ein. Er war egoistisch, sah nur seine Zahlen und war versessen auf die Sauberkeit seiner Hubschrauber. Für ihn gab es nichts Schlimmeres, als eine Blutlache auf dem Boden. Das war immer wieder ein Grund, wieso er anfing, auszuflippen. Es war ihm dabei egal, von wem oder warum das Blut da war. Ob der Mann leicht verletzt oder vielleicht sogar verstorben war. Er war eben ein kleines arrogantes Scheusal und klein traf dabei den Nagel auf den Kopf, denn er reichte Sarah gerade bis zu den Achseln. Ein typischer Giftzwerg eben.

Schockiert saß Sarah da und dachte über die Konsequenzen dessen nach, was man ihr soeben mitgeteilt hatte. Oder handelte es sich dabei doch nur um einen Scherz? Allerdings war Cunningham kaum das, was man als Scherzbold bezeichnen würde.

»Sir. Es ehrt mich ungemein. Aber das kann ich nicht tun. Dafür bin ich nicht ausgebildet«, appellierte sie und hoffte, ihn von seiner Idee abzubringen. »Ich bin Krankenschwester, kein Sanitäter. Ich kann im OP helfen oder Wunden verbinden, ich kann auch die Nachttöpfe ausleeren, wenn Sie dies von mir verlangen. Aber zwingen Sie mich bitte nicht dazu unter diesem …«, sie biss sich auf die Zunge, um nicht das zu sagen, was sie von diesem Mann hielt.

»Ich habe bereits mit ihren Widerworten gerechnet«, begann Cunningham um dann eine kurze Pause einzulegen. »Wenn Sie diesen Job zu unserer Zufriedenheit erledigen, können sie auf jeden Fall mit einer Belobigung, eher noch mit einer Beförderung rechnen.« Leider kannte Cunningham ihren Schwachpunkt und versuchte genau diesen zu treffen. Für Sarah war es noch nie leicht gewesen. In ihrer Familie waren seit Generationen immer alle Männer beim Militär und dann kam ausgerechnet sie mit dem falschen Geschlecht zur Welt und war zudem noch ein Einzelkind. Natürlich wollte sie die Tradition fortsetzen. Doch was immer sie auch tat, sie konnte ihren Vater nicht davon überzeugen, was für eine gute Soldatin sie war und so wollte sie immer besser sein. Sie hatte sich von Ausbildung zu Ausbildung gehangelt, um ihrem Vater zu beweisen, was in ihr steckte. Mit dem Rang eines Privat hatte sie einst angefangen und eine Beförderung nach der anderen hart erarbeitet und dies wusste Cunningham nur zu gut.

»Ich kann das nicht«, entgegnete Sarah, doch Cunningham spürte, wie sie mit sich kämpfte. Es schien, als würde sie pro und contra gegeneinander abwiegen.

»Doch. Sie können«, antwortete Cunningham im überzeugendsten Tonfall, den er aufbrachte. »Lieutenant Mac­Kenzie, ich habe gesehen, wie Sie die schwierigsten Dinge gemeistert haben. Sie haben sich um Männer gekümmert, die von unseren Ärzten bereits abgeschrieben waren und haben das schier Unmögliche geschafft. Zudem kenne ich Ihre, sagen wir, schwierigen Familienverhältnisse. Was glauben Sie, was Ihr Vater dazu sagen würde? Wie enttäuscht er wohl wäre, wenn er erfährt, welche Möglichkeit Sie nicht genutzt haben.« Sarah konnte ihren Vorgesetzten nicht ansehen; ihr Blick lag gesenkt auf den Händen, die sie auf ihren Schoß gelegt hatte. Ihr Gehirn arbeitete jetzt auf Hochtouren, auch wenn sie dies heute Abend nicht mehr für möglich gehalten hätte. Natürlich wäre es eine schöne Gelegenheit, aber sie musste auch an die Konsequenzen denken. Sie konnte den Verletzten nicht die bestmögliche Versorgung zusichern, da sie diese nach ihrem Ausbildungsstand nicht beherrschte. Sie durfte nach ärztlicher Anweisung Wunden versorgen, assistierte auch im Operationssaal. Aber eine Erstversorgung ohne jegliche Unterstützung ausführen, das war dann doch etwas anderes, das sie sich nicht zutraute, obwohl sie es durch ihre jahrelange Erfahrung bestimmt schaffen würde.

»Es soll doch nicht für immer sein«, sprach Cunningham weiter. »Es geht nur um eine Überbrückung von ein oder zwei Wochen, bis wir einen Ersatzsanitäter auf der Base haben. Nicht länger. Aber wenn Sie dies absolut nicht tun wollen, werde ich wohl Ihre Zimmernachbarin Lieutenant O’Neill schicken müssen«, erklärte er die Konsequenzen ihrer Ablehnung.

Jacky? In Sarah schrillten alle Alarmglocken. Das wäre noch viel schlimmer. Nur zu gut erinnerte sich Sarah an den großen Streit, den es vor kurzem zwischen Jacky und einem der Piloten gegeben hatte. Damals ging es um einen jungen Soldaten, den die Crew ausgeflogen hatte. Er war nur knapp mit dem Leben davongekommen, was allerdings weniger an der Wundversorgung, als mehr an dem viel zu langsamen Rückflug gelegen hatte. Jacky hatte sich damals den Piloten zur Brust genommen und zur Rede gestellt. Das Ganze brach dann in eine riesige Auseinandersetzung aus, in den sich Captain Houlihan einmischte, der von ihr nicht nur eine Entschuldigung für den verbalen Angriff gefordert, sondern als Wiedergutmachung eine Reinigungsschicht in der Huey verlangt hatte. Zudem, wenn es eine Beförderung geben würde …

»Nein. Das brauchen Sie nicht«, lenkte Sarah daher ein, um ihre Freundin zu schützen. Zumindest redete sie sich das in diesem Moment ein. »Ich werde das übernehmen«, brummte Sarah sauer. Wieso ausgerechnet unter Houlihan? Hätte man sie nicht als Ersatz für einen Koch in die Küche stecken können? Oder in ein Büro oder sonst wohin. Wieso ausgerechnet zu den Little Bears?

»Schön. Passende Kleider werden bereits zusammengestellt. Ihre Schicht fängt morgen um nullachthundert an. Sie erhalten eine kurze Einweisung von einem der anderen Sanitäter. Der wird Sie dann mit allem, was noch fehlt, ausrüsten. Guten Abend.« Schnell stand Sarah stramm und salutierte zum Abschied, bevor sie sich auf dem Absatz umdrehte und zur Tür ging. Gerade als sie nach der Klinke griff, rief Cunningham: »Ach MacKenzie, vergessen Sie Ihre schusssichere Unterwäsche nicht.« Nur kurz konnte sie sein Lächeln erwidern, bevor sie ziemlich frustriert und mit dem Gedanken, was für ein Mistkerl ihr Vorgesetzter doch sei, das Zimmer verließ.

»Ich habe hier etwas für Sie«, hörte sie jetzt die Stimme der Schreibkraft, die auf einen Stapel grüner Kleider zeigte. Lagen diese bereits zuvor auf ihrem Schreibtisch oder hatte sie diese eben erst hingelegt? So genau konnte Sarah das nicht sagen. »Das wird bestimmt aufregend«, schwärmte die Schreibkraft und Sarah überlegte sich einen Moment, ob sie ihr nicht vorschlagen sollte, mit ihr den Platz zu tauschen.

Auf dem Weg zurück zu ihrer Baracke fluchte Sarah leise vor sich hin. »Wieso ausgerechnet ich? Haben die keinen anderen gefunden? Ich und fliegen. Pah. Und dann auch noch unter Houlihan. Na, hoffentlich lande ich nicht noch in Andersons Maschine. Das wäre dann der absolute Höhepunkt in meiner Laufbahn.« Wütend kickte sie etwas von dem staubigen Erdboden weg und als ob sie mit ihren Worten einen magischen Zauberspruch ausgesprochen hatte, hörte sie just in diesem Moment eine bekannte Stimme hinter sich, die sie bat zu warten.

»Lieutenant Anderson«, begrüßte Sarah den Mann knapp mit gepressten Worten und einem aufgesetzten Lächeln. Schnell versuchte sie tief in ihrem Gehirn zu kramen, ob Anderson vielleicht der Pilot von Little Bear Five war. Wieso konnte sie sich nicht daran erinnern? Bitte, lass ihn nicht der Pilot von Bell Nummer fünf sein, schickte sie gedanklich ein kurzes Stoßgebet in den Himmel.

»Ich habe gehört, Sie sind ab jetzt eine von uns«, begann der Pilot und ging mit ihr weiter ihres Weges. Dabei lief er direkt neben ihr, was Sarah doch eine Spur zu nahe war.

»Das hat sich aber schnell herumgesprochen«, antwortete sie gereizt und sah sich den Soldaten genauer an. Er war genauso, wie man sich einen Piloten vorstellte: Groß, gutaussehend und von sich überzeugt. Ein richtiger Herzensbrecher.

»Ach wissen Sie, als sich Eduard heute Mittag das Bein gebrochen hat, dachte ich gleich an Sie«, sprach er weiter und fuhr sich dabei mit der Hand durch die hellbraunen Haare. Eine Bewegung, die er immer tat, wenn eine Frau in seiner Nähe war. Anscheinend glaubte er, dadurch die Frau für sich gewinnen zu können.

»Er hat sich nicht das Bein gebrochen, er hat sich die Achillessehne abgerissen«, verbesserte Sarah seine Aussage und sah ihn verständnislos an. Das war doch etwas vollkommen anderes.

»Die ist doch auch am Bein oder?« Der Kerl kannte noch nicht einmal den Unterschied zwischen einem Sehnenabriss und einer Fraktur und so jemand war Rettungshubschrauberpilot. »Na, auf jeden Fall bin ich dann zu Houlihan gegangen und habe ihm vorgeschlagen, er solle doch bei Cunningham nachfragen, ob wir nicht jemanden aus dem Lazarett kriegen können, am liebsten natürlich Sie und daraufhin hat er …«

»Moment«, unterbrach sie ihn laut, blieb stehen und sah ihn wütend an. »Das alles war Ihre Idee?« Natürlich hatte sie seine Worte genauestens verstanden.

»Die war gut oder?«, lächelte er sie an, von sich und seiner Idee überzeugt.

»Bescheuert würde den Punkt eher treffen. Warum? Können Sie mir das sagen? Warum ausgerechnet ich?«, giftete sie ihn an. Es gab so viele Krankenschwestern auf dieser Base, sogar extra ausgebildete Combat nurses, die sich mit Erstversorgung viel besser auskannten, als sie das tat. Wieso um alles in der Welt musste er dann ausgerechnet sie vorschlagen?

»Sie sind mir jetzt aber nicht etwa böse, oder?« Am liebsten hätte sie ihm ins Gesicht geschleudert, was sie in diesem Moment über ihn dachte, ihn erwürgt oder zumindest eine reingehauen. Mit dem Helm in der Hand konnte man bestimmt gut ausholen und zuschlagen, aber dies verboten ihr ihre gute Erziehung und die Regeln beim Militär.

»Dachte ich es mir doch«, plapperte er einfach weiter, da er ihr Schweigen fehlinterpretiert hatte. »Und wissen Sie, was das Beste an der ganzen Sache ist?« Extra ließ er eine kleine Pause, damit seine Worte besser Gehör bei ihr fanden. »Sie fliegen mit mir.« Sein Grinsen reichte von einem Ohr zum nächsten. Stolz auf seine Worte und eine Belobigung aus ihrem Munde erwartend, stand er da.

Für einen kurzen Moment schloss Sarah die Augen, schüttelte den Kopf, drehte sich dann wieder ihres Weges zu und stapfte davon. Ihren neuen Kollegen und Piloten ließ sie einfach stehen. Mehrfach atmete sie tief ein und aus. Schlimmer konnte es jetzt nicht mehr kommen.

»Habe ich mir doch gedacht, dass Ihnen das gefällt«, hörte sie seine Stimme hinter sich. Trotz der Kleider in ihren Armen, ballte sie zornig die Fäuste. Weiß traten die Knöchel hervor. Sie musste hier schnell weg, bevor noch ein Unglück passierte, daher war es wohl das Beste, so viel Entfernung wie es nur ging zwischen sich und den Piloten bringen.

Cu Chi – Quartier von Sarah MacKenzie

Als die Barackentür aufging, legte Jacky das Buch, in dem sie immer noch las, zur Seite und blickte ihre Freundin erwartungsvoll an.

»Na? Was hast du ausgefressen?«, fragte sie sogleich interessiert, als Sarah in die Baracke trat. Verwundert blickte sie auf den Stapel, den ihre Freundin auf den Armen trug. »Was ist das denn alles? Willst du in den Krieg ziehen?«, hakte sie nach und sah argwöhnisch auf die grünen Kleider, die Stiefel und den Helm.

»Ab morgen fliege ich mit den Little Bears Verletzte auf die Basis«, brummte Sarah und warf den Stapel Kleider samt Verbandpäckchen auf ihr Bett. Ihre Freundin begann laut zu lachen.

»Der war gut«, gluckste Jacky, als sie wieder sprechen konnte. »Und was wollte der Alte wirklich?« Sie dachte allen Ernstes, man hätte sie auf den Arm genommen. Sarah und fliegen, das war lachhaft. Stöhnend ließ sich Sarah erneut auf ihr Bett fallen. »Nein. Jetzt sag nicht, das war eben dein Ernst?«, fragte Jacky, der beim Anblick ihrer Freundin das Lachen aus dem Gesicht fiel, erstaunt nach.

»Leider doch. Ab morgen gehöre ich für die nächsten ein bis zwei Wochen zu Houlihans Trupp«, stöhnte Sarah und rieb sich dabei die Schläfen.

»Na, solange du nicht mit Anderson fliegst, ist alles in Ordnung.« Sarahs Gesichtsausdruck sprach Bände. »Oh nein. Mit dem eingebildeten Angeber?«, stürzte es aus Jacky heraus. »Tut mir leid«, lenkte sie gleich darauf ein, als sie sah, wie es ihrer Freundin ging, stand auf und nahm sie tröstend in den Arm. »Das wirst du schon schaffen. Zwei Wochen sind schließlich schnell vorbei und noch ehe du dich versiehst, sitzen wir hier und lachen nur noch darüber.« Wenn diese Worte doch nur der Wirklichkeit entsprachen! Zwei Wochen zusammen mit diesen Männern konnten sich wie zwei Jahre anfühlen. Obwohl sie keinem eine Verletzung wünschte, hoffte sie insgeheim auf viele davon, denn nur so war sie ausgelastet und konnte sich ihrer Arbeit widmen.

Cu Chi – Büro von Captain Cunningham

Nachdenklich blätterte Cunningham in seinen Unterlagen. Ob er das Richtige tat? Zweifel keimten in ihm auf, die er immer wieder unter guten Argumenten zu ersticken versuchte. Sarah würde einen guten Job machen und sie würde viele Menschenleben retten. Dennoch spürte er den sauren Beigeschmack. Er hätte es nicht tun sollen.

Ohne Vorwarnung wurde die Bürotür aufgerissen und ein grinsender Captain Sullivan betrat den Raum. Obwohl seine Schicht im Lazarett schon lange um war, trug er noch seinen Arztkittel und das Stethoskop um den Hals. Vielleicht sollte es ein Statussymbol sein, das allen zeigte, was er in seinem Leben erreicht hatte.

»Und? Hat sie es geschluckt?«, fragte er bei Cunningham nach. Dieser stöhnte laut auf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Gefühlt hatte ihm diese Entscheidung noch weitere graue Haare an seiner Schläfe gebracht.

»Ja, hat sie. Aber ich finde es nicht in Ordnung eine gute Krankenschwester zu verheizen, nur weil Sie mit ihr nicht zusammenarbeiten wollen.« Obwohl Houlihan mit der Bitte kam, man solle ihm Sarah MacKenzie zuteilen, wollte Cunningham nicht darauf eingehen. Aber Sullivan schien von der Sache Wind bekommen zu haben und stand nur Minuten später bei ihm im Büro. Leider hatte er stichhaltige Argumente für Sarahs Abordnung.

»Sie müssen es von der Seite sehen: Sie haben mir einen Gefallen getan und ich lasse dafür die Schuldscheine verschwinden. Schließlich wäre es nicht besonders schön, wenn Ihre Frau von Ihrer Pokersucht erfahren würde oder?« Mit einem breiten Grinsen im Gesicht, ließ sich Sullivan auf den Stuhl vor dem Schreibtisch fallen und legte seine Beine auf die Tischplatte, wie man es nur bei sich zu Hause tun würde. Er fühlte sich in Cunninghams Büro heimisch und hatte seinen Vorgesetzten so stark in der Hand, dass dieser wohl nichts dagegen unternehmen konnte. Zudem wollte er das Gefühl genießen, hier der Chef zu sein, denn dies war sein nächstes Ziel. Er würde Cunninghams Job übernehmen und dann mussten alle nach seiner Pfeife tanzen. Aber eins nach dem anderen.

»Lassen Sie meine Frau aus dem Spiel«, knurrte Cunningham und sprang dabei auf. Für einen kurzen Moment sah er sein Gegenüber angewidert an, bevor er sich wieder auf den Stuhl setzte und sehr ernst wurde. »Wir haben eine Abmachung. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich das vor der Prüfungskommission, die gerade jeden Stein bei uns umdreht, rechtfertigen soll.«

»Da wird Ihnen bestimmt was Passendes einfallen«, erklärte Sullivan mehr als zuversichtlich und fuhr sich mit der Hand durch die kurzen dunklen Haare.

8. August 1967 – Cu Chi Military Base

Obwohl es noch früh am Morgen war, drückte diese unbändige Schwüle einen fast zu Boden. Stöhnend umgriff Sarah den Kinngurt ihres Helmes, den sie in der rechten Hand trug, fester. Ihre olivgrüne Uniform war schön anzusehen, trotzdem fühlte sie sich darin nicht wohl. Irgendwie war das nicht sie. Vielleicht war es am Anfang auch nur ungewohnt. Dennoch. Die Hose mit den weiten Seitentaschen, die sie mit Verbandpäckchen vollgestopft hatte, das grüne T-Shirt mit dem grünen Hemd darüber, in dessen Brusttasche Arterienklammern und eine Schere steckten. Dazu die Jungle Boots und den Boonie, den sie statt des Helmes auf dem Kopf trug. Alles komisch und dann noch das Glück zusammen mit Anderson zu fliegen. Dieser Tag war bereits versaut, noch bevor er richtig anfing. Hoffentlich würde es besser werden, aber irgendwie schloss sie diese Möglichkeit bereits im Vorfeld aus.

Mit langsamen Schritten hatte sie sich dem Flugareal genähert. Aus der Ferne konnte sie Captain Houlihan erkennen, was zum einen an seiner rauchenden Zigarre und zum anderen an seinem Geschrei lag. Der Mittvierziger liebte es seine Einheit zu malträtieren. Er scheuchte sie von links nach rechts und wieder zurück.

Wo bin ich hier nur gelandet? Dies war wahrscheinlich Sarahs meist gedachter Satz an jenem Morgen.

»Lieutenant MacKenzie meldet sich wie befohlen zum Dienst.« Stramm hatte sie sich vor ihm aufgebaut und war jetzt seinem musternden Blick ausgeliefert.

Mit der rechten nahm er die Zigarre aus dem Mundwinkel, schloss und öffnete zweimal den Mund, bevor er anfing zu sprechen. »Wurde auch langsam Zeit«, knurrte er. »Sie können gleich zu Little Bear Five rübergehen, dort werden Sie bereits sehnsüchtig erwartet.« Erst nachdem er seine Zigarre wieder in den Mund gesteckt hatte, zeigte er ihr, welcher der grünen Hubschrauber der Richtige war. Mürrisch ging Sarah darauf zu. Was hieß hier bitte, es wurde auch Zeit? Es waren noch zehn Minuten bis acht. Tief durchatmend, um nicht gleich auszurasten, näherte sie sich der Bell und begutachtete dabei ihr neues Team oder zumindest den Teil, den sie sah. Vor der Maschine stand Anderson mit einem Klemmbrett in der Hand und notierte irgendwelche Daten. Schon allein bei seinem Anblick verkrampfte sich alles in ihr. Dieser Mann war ein Großmaul, wie er im Buche stand. Okay, das war nichts Neues bei Piloten. Aber bei ihm war es besonders ausgeprägt. Anderson hatte sich das Oberteil seines grünen Overalls abgestreift und die Ärmel über dem Bauch zusammengebunden. Statt des bei der Army üblichen grünen T-Shirts, trug er ein weißes Feinripp-Unterhemd. Die Sonnenbrille mit goldenem Rahmen war viel zu groß und verdeckte das halbe Gesicht.

Direkt neben ihm stand ein dunkelhaariger Soldat mit dunklen Augen, schätzungsweise südamerikanischer Abstammung, der einen halben Kopf kleiner war. Er schien Anderson etwas Lustiges zu erzählen, da er immer wieder vor sich hin kicherte, wie ein kleines Schulmädchen. Die Seitentür der Huey, wie man den Hubschrauber nannte, stand offen. Im Bauchraum der Maschine befand sich ein weiterer Soldat, den Sarah allerdings genauso wenig kannte wie den Südamerikaner.

Abermals atmete sie tief durch und ging geradewegs auf Anderson zu, neben dem sie stramm stehenblieb.

»Lieutenant Anderson«, begrüßte sie ihn. Augenblicklich drehte der Pilot sich zu ihr. Auch die anderen Soldaten, die wie der Pilot grüne Overalls trugen, wurden nur durch diese zwei Worte aufmerksam und musterten sie von oben bis unten. Der Co-Pilot, den sie bis dato noch nicht gesehen hatte, stieg sogar aus und trat auf sie zu.

»Ah. Da kommt unser neues Crewmitglied«, begrüßte Anderson die Krankenschwester. »Jungs, darf ich vorstellen? Das ist Lieutenant Sarah MacKenzie. Und das Lieutenant, sind die Bordschützen Goldman und Martinez, sowie unser Co-Pilot Carter.« Zur Begrüßung streckte Sarah dem blonden Goldman die Hand entgegen, der diese jedoch nicht entgegennahm. Mit vor der Brust verschränkten Armen sah er abfällig auf Sarahs Hand, bis diese sie mit einem unsicheren Lächeln wieder zurückzog. Wenigstens der Co-Pilot schien ihr freundlich gegenüber. Er war groß, schlank und optisch ein Mann, den man nicht von der Bettkante stoßen würde.

»Hi Mac«, begrüßte dieser sie mit ihrem Spitznamen und blinzelte ihr aufmunternd zu, da er ihre Unsicherheit spüren konnte.

»Hi Stew«, entgegnete Sarah mit einem knappen Lächeln und freute sich über ein bekanntes Gesicht.

»Ah. Ihr kennt euch. Wie schön«, brummte Anderson, dem man genau ansah, wie wenig ihm diese Begebenheit in den Kram passte. Es schien, als sähe er Sarah als seine Beute oder wie auch immer man dies nennen wollte. Da konnte er keinen Nebenbuhler brauchen.

»Darf ich fragen, warum wir mit Bordschützen fliegen?«, wollte Sarah empört wissen. Das war eine Tatsache, die sie immer wieder aufregte, aber jetzt hatte sie vielleicht die Gelegenheit darüber Dampf abzulassen.

»Da draußen muss man auf alles gefasst sein, Lady«, erklärte Goldman knapp, der sich in seiner Ehre gekränkt fühlte. Wie viele andere Bordschützen besaß auch er eine Liste, auf der er seine Abschüsse voller Stolz eintrug und man konnte über ihn sagen, was man wollte, aber seine Liste war eine der längsten.

»Aber laut Genfer Konvention …«, brachte MacKenzie gleich ihr Wissen vor. Sie war Krankenschwester geworden, um Leben zu retten und nicht, um es noch mehr Menschen zu nehmen.

»Das interessiert da draußen niemand. Ich glaube den Verletzten ist es lieber, heil nach Hause zu kommen, als die Genfer Konvention einzuhalten. Außerdem sind die auch für deine Sicherheit zuständig, Sarah.« Am liebsten hätte sie dem Piloten gesagt, dass sie für ihn immer noch Lieutenant MacKenzie hieß, schließlich hatte sie ihm weder das Du angeboten, noch Brüderschaft mit ihm getrunken. Gerade noch rechtzeitig biss sie sich auf die Zunge und ließ diesen Kommentar lieber unter den Tisch fallen. Immerhin musste sie mit diesen Männern die nächsten Tage verbringen und da war es vielleicht nicht gerade das Sinnvollste, bereits heute einen Kleinkrieg mit ihnen anzufangen.

»Houlihan sagte, ich würde eine Einweisung von euch erhalten«, wechselte sie daher lieber schnell das Thema. Sie wollte auf alles, das sie erwarten würde, gut vorbereitet sein.

»Die Grundeinführung zum Thema Hubschrauber übernehme ich. Später kommt der Sanitäter von Little Bear Three, um die medizinischen Themen mit dir durchzugehen«, erklärte Anderson. Na, das kann heiter werden, dachte sich Sarah und legte ihren Helm in den Innenraum der Maschine ab, bevor sie zu Anfang eine Führung um den Hubschrauber bekam. »Unser Baby, Little Bear Five, ist eine Bell UH 1, Baujahr 1966, das Triebwerk ist ein Lycoming T53-L-11 Turbowelle, Leergewicht 2.140 kg, Höchstgeschwindigkeit 135 Meilen.« Und dann fing es an. Anderson leierte verschiedene Daten herunter. »Maximale Reichweite 315 Meilen, Steiggeschwindigkeit 1755 Fuß.« Bereits nach dem Baujahr war Sarahs Kopf ausgestiegen und konzentrierte sich nicht mehr auf seine Worte. »Maximale Personenanzahl 14, … Du hörst mir nicht zu«, stellte der Pilot nach einiger Zeit fest.

»Doch. Doch«, erwiderte sie schnell und versuchte sich an seine letzte Aussage zu erinnern. »Wir waren bei der maximalen Personenzahl.« Erst als er sich erkundigte, ob sie dazu noch Fragen hätte, war sie wieder bei der Sache. Sie verneinte und stieg mit ihm in den Innenraum, in dem er augenblicklich weitersprach. Ohne auf seine Worte zu achten, blickte Sarah sich um. Die Sitze hatte man der Größe wegen ausgebaut. An der Rückwand befand sich neben einem Sanitätsrucksack eine große olivgrüne Kiste mit einem roten Kreuz darauf. Als sie nach dem Deckel griff, um hineinzusehen, erhielt sie von Anderson einen Anschiss, da er ihr erst alles andere erklären wollte. Tja, nur zu schade, dass sie seine Worte gar nicht wahrnahm und somit auch nichts von dem verstand, was er da von sich gab. Es war vielleicht eine halbe Stunde vergangen als Carter, von dessen Abwesenheit Sarah nichts mitbekommen hatte, angehetzt kam.

»Einsatz«, rief er laut und löste die Befestigung der beiden Rotorblätter, damit es gleich losgehen konnte.

»Stopp. Was heißt hier Einsatz?«, schrie Sarah panisch und wurde blass. Was war mit der Einweisung? Sie wusste doch überhaupt nicht, was genau sie tun sollte. Eigentlich hatte sie gehofft, man würde ihr Instruktionen zum Thema Erstversorgung geben oder zumindest die Einweisung wie man Atropin oder Morphium richtig dosierte.

»Einsatz, heißt Einsatz, junge Dame«, antwortete Goldman mit einem frechen Grinsen auf den Lippen und zog bereits eine der Seitentüren zu, da der erste Teil der Reise über sicheres Gebiet gehen sollte.

»Aber, …, ich weiß doch überhaupt nicht …« Sie bückte sich zwischen den Vordersitzen hindurch und sah zu Carter, der auf dem Co-Pilotensitz zu ihrer linken saß.

»Du wirst wissen, was du zu tun hast, wenn es so weit ist«, gab dieser aufmunternd von sich, der bereits den Pilotenhelm auf den Kopf gezogen hatte, das Mikrofon des Funkes justierte und den Rotor warmlaufen ließ. Mit dem rechten Auge zwinkerte er ihr zur Ermutigung zu. Diese Gestik beruhigte sie jedoch kein bisschen. Man würde sie gleich ins kalte Wasser werfen. Panik stieg in ihr auf. Ihr Herzschlag erhöhte sich. Wahrscheinlich war sie diejenige, die etwas Kreislaufstabilisierendes brauchte und nicht irgendein Verletzter. Geschockt ließ sie sich langsam auf dem Boden vor der Kiste mit dem roten Kreuz nieder, die zwischen den beiden Bordschützen stand. Mit beiden Händen fuhr sie sich durch die Haare. Vor lauter Panik, bekam sie nicht mit, wie der Hubschrauber immer höher in den Himmel stieg, bevor er sich um 180 Grad drehte und dann davonflog.

»Sie schaffen das schon«, flüsterte Martinez, der dazu das Mikrofon des Funkes am Helm zu hielt, damit die anderen es nicht hören konnten. Erschrocken drehte sie sich zu ihm um. Sie hatte seine Nähe durch den Lärm des Rotors nicht bemerkt. Ob das eine gute Voraussetzung war, um an die Front zu fliegen?

DIE FRONT!, wurde es ihr auf einmal bewusst. Ihre Hände wurden feucht und begannen zu zittern. In ihrem Lazarett sah sie immer wieder, was einem an der Front alles zustoßen konnte. Sobald die Verwundeten wieder einigermaßen fit waren, erzählten sie ihr auch davon. Aber von etwas erzählt zu bekommen oder es hautnah zu erfahren, waren doch zweierlei Paar Schuhe.

Denk an die Beförderung!, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Nachdem sie schon kein Vertrauen zu sich selbst hatte, schien es wenigstens Martinez zu haben, obwohl er sie nicht kannte. Dieser nickte ihr freundlich zu. Na gut, sagte Sarah sich gedanklich, dann sollte ich die Zeit, bis das Durcheinander über mich hineinbricht, sinnvoll nutzen.

»Wie lange dauert es, bis wir eintreffen?«, schrie sie über ihre Schulter zu den Piloten, der sie nur schwer hören konnte, da sie als einzige keinen Helm und somit auch keinen Funk trug.

»T minus siebzehn Minuten«, lautete Carters knappe Antwort.

»Siebzehn Minuten«, wiederholte sie leise. Das war nicht gerade lange, aber zumindest würde es reichen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Schnell öffnete sie die Kiste und sah hinein. Darin war so ziemlich alles, was ein Sanitäterherz höherschlagen lassen würde. Sie sah den kompletten Inhalt durch und versuchte sich ein Schema zurechtlegen, mit dem sie alles griffbereit hatte. Die wichtigsten Regeln, die sie so schnell aus den Tiefen ihres Gehirnes herausfiltern konnte, kramte sie zusammen. Keine Panik hieß es in ihrer Ausbildung. Wer zum Teufel hatte sich so einen Scheiß ausgedacht? Wie sollte man in so einer Situation keine Panik bekommen? Es ging hier nicht um irgendwelche Übungsopfer, die man mit roter Farbe beschmiert hatte. Das hier war voller Ernst. Das hier war Krieg! Und genau in diesem Moment wurde ihr dies das erste Mal so richtig bewusst. Punkt Eins hatte sich somit schneller erledigt, als er ihr eingefallen war. Keine Panik gab es hier nicht. Im Gegenteil. Jede ihrer Körperzellen schien das Wort Panik gleichzeitig zu schreien.

Als kurze Zeit später die Bordschützen die seitlichen Türen öffneten und sie anwiesen, ihren mitgebrachten Helm aufzusetzen, stieg noch mehr Panik in Sarah auf, auch wenn sie diese auf keinen Fall zulassen wollte. Beruhig dich endlich, du blöde Kuh, schimpfte sie sich daher selbst aus. Bis jetzt waren sie noch nicht am Boden, trotzdem begannen ihre Hände wieder leicht zu zittern und feucht zu werden. Damit dies keiner bemerkte, griff sie sich an die Beine und wischte den Schweiß am Hosenbein ab. Durch die offenen Seitentüren pfiff der Wind jetzt direkt durch den Innenraum der Huey hindurch, zudem ruckelte es ein bisschen. Hoffentlich wusste Anderson, was genau er da tat. Aber da die anderen alle relativ gelassen waren, schien das wohl immer so zu sein. Über den Rotorenlärm hinweg konnte man Schüsse hören.

War das der Vietcong? Oder die eigenen Truppen? Konnte man das überhaupt unterscheiden? Ihr Blick ging zu Martinez, der sein Gewehr entsicherte und mit angestrengtem Blick hinuntersah. Zum ersten Mal wagte Sarah es hinauszusehen. Sie hatte den Dschungel bis jetzt nur auf Bildern gesehen. Die paar Bambusstöcke, die es hinter dem Lazarett gab, konnte man schließlich nicht als Dschungel bezeichnen. Das erste Mal nahm sie wahr, wie dicht hier alles bewachsen war und vor allem wie wenige Landeplätze es zu geben schien. Wo um alles in der Welt wollte Anderson seinen Vogel nur runterbringen? Das Flussbett war nicht gerade der geeignetste Ort für so etwas. Nur am Rande bekam sie mit, wie sich Pilot und Co-Pilot unterhielten. Die Worte selbst verstand sie nicht, aber sie sah die gelbe Rauchwolke, die sich vor der Hubschraubernase in einiger Entfernung in den Himmel zog. Gut, das schien dann das Ziel zu sein, da farbiger Rauch normalerweise das Zeichen für einen Landeplatz angab. In wenigen Sekunden würde wohl das komplette Durcheinander über sie hereinbrechen. Es waren die letzten ruhigen Sekunden, wenn man dies überhaupt so nennen konnte. Fast, als ob sie Beistand wollte, ging ihre Hand unter ihr Hemd an ihre Halskette, an dem ein Kreuz hing. »Bitte hilf mir die Jungs heil nach Hause zu bringen«, flüsterte sie kaum vernehmbar.

»Bist du bereit?«, hörte sie Anderson zu ihr in den Mannschaftsraum schreien. Nun ja, so bereit, wie man in diesem Moment sein konnte.

Die Schnauze leicht nach oben gezogen, ging Anderson in den Landeanflug über. Durch den Sog des Rotors verwirbelte der gelbe Rauch in Kreisen. Staub vernebelte den am Boden Stehenden die Sicht. Mit einem recht groben Schlag setzten die Kufen auf dem steinigen Untergrund auf. Ohne die Drehzahl der Rotoren zu verringern, blickte Anderson zu den Soldaten hinaus, die jetzt auf sie zugerannt kamen. Unsicher, wie sie sich verhalten sollte, griff Sarah zum Verbandszeug und auf einmal war die ganze Panik wie verschwunden. Es gab jetzt nur noch sie und die Verwundeten, denen sie helfen wollten. Die Schüsse hörte sie nur noch wie durch Watte und auch von Andersons lauten Worten bekam sie nichts mit. Sie sah nur die Jungs da draußen, die ihre Hilfe benötigten. Als Erstes bemerkte Sarah einen der Soldaten, der einen anderen stützte, stolperte und auf die Knie fiel. Reflexartig wollte sie aus dem Hubschrauber springen. Nur eine Hand an der Schulter hielt sie davon ab.

»Warte«, hörte sie Goldmans Worte. »Die werden alle hergebracht.« Gut, dass ich das auch einmal erfahre, dachte sie sich, da sie glaubte, der Sanitäter würde beim Verladen der Verletzten mithelfen. Woher sollte sie das schließlich auch wissen?

Schnell hatte der Mann sich wieder aufgerappelt und schleifte den Verwundeten hinter sich her. Viel Zeit, um auf ihn zu achten, hatte Sarah nicht, da sie bereits auf die nächsten Soldaten aufmerksam wurde. Es kamen zwei Männer mit einem olivgrünen Leichensack, der bei ihnen verstaut wurde. Leicht stand ihr der Mund offen, als sie verstand, was sich in ihm befand. Dann kamen die Verletzten. Vier an der Zahl. Einer wurde liegend transportiert und auch gleich in die Mitte des Laderaumes hingelegt, während die anderen drei noch einigermaßen selbstständig in die Huey krabbeln konnten. Natürlich gehörte Sarahs Aufmerksamkeit als erstes dem Liegenden. Sein T-Shirt war aufgeschnitten. Man konnte einen blutdurchtränkten Verband auf Brusthöhe erkennen. Seine Atmung war flach. Das Stöhnen konnte man durch den Rotorenlärm kaum wahrnehmen. Der Verband stillte die Blutung nicht und so versuchte sie den Blutaustritt, noch während sie am Boden standen, mit mehreren Mullkompressen und einem Druckverband zu stillen, was ihr schließlich auch gelang.

»Anderson, wie lange brauchen wir?«, schrie sie ins Cockpit und bekam erst jetzt mit, wie weit sie sich inzwischen in die Höhe begeben hatten. Augenblicklich zog sie sich den Helm vom Kopf, der sie störte.

»T minus fünfzehn«, erklang sofort von Carter die Antwort.

Fünfzehn Minuten! Was ihr auf dem Hinflug noch viel zu kurz vorkam, wurde auf einmal zu einer Ewigkeit ausgeweitet. Wie sollte sie den Mann nur fünfzehn Minuten lang stabil halten? Er lag im Moment zwar noch ruhig da, aber so wie es aussah, schwand die Morphiumdosis. Ruhelos begann er auf einmal seinen Kopf von links nach rechts zu werfen und laut zu schreien. Ihr letzter Ausweg lag in der Gabe von Schmerzmitteln und so griff sie nach einer Tube mit aufgeschraubter Kanüle und verabreichte ihm eine Dosis, von der sie meinte, dass sie reichen würde.

Erst jetzt wendete sie sich den anderen Verwundeten zu. Der Mann, der neben Goldman auf dem Boden saß, hatte eine Wunde an der Schulter, die fachkundig verbunden war, weshalb sie daran auch nichts änderte. Ein Afroamerikaner mit kurzen lockigen Haaren trug einen Verband am Kopf, der auch sein linkes Auge mit einschloss. Ob die Binde nur nach unten verrutscht oder das Auge mit involviert war, konnte man auf den ersten Blick nicht erkennen.

»Geht es Ihnen gut?«, fragte sie den Mann, griff nach seinem Handgelenk und maß den Puls. Sprechen konnte er nicht, aber nicken und so wendete sie sich, nachdem sie die Vitalfunktionen für gut befunden hatte, dem Letzten zu. Mit den Augen suchte sie ihn von oben bis unten ab. Wo war die Verletzung? Sie konnte nichts erkennen. Kein Verband, kein Blut, überhaupt nichts.

»Wie geht es Ihnen?«, fragte sie daher und griff ihm an die Schultern, da er an ihr vorbeizublicken schien. Keine Reaktion. »Hallo?«, fragte sie erneut und rüttelte an seiner Schulter. Wieder keine Reaktion. Irgendwann wendete er ihr seinen Blick zu und sah ihr direkt in die Augen. Ein eisiger Schauer lief Sarah über den Rücken. Seine Augen waren kalt und hart, jeder Glanz war verschwunden. Was war mit diesem Mann nur geschehen?

»Geht es Ihnen gut?«, versuchte sie es abermals.