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Wild und voller Gefahren ist das Leben auf den britischen Inseln zur Zeit König Arthurs. Cormac Mac Art, ein Abenteurer königlichen Geblüts von der grünen Insel Irland, muss seine Heimat verlassen, weil Neider ihm nach dem Leben trachten. Gerüstet mit ungewöhnlicher Körperkraft und mit der Fähigkeit, Vergangenheit und Zukunft zu sehen, durchstreift er das wilde Europa des fünften Jahrhunderts und die gefahrvolle See auf der Suche nach Abenteuern.
Mit knapper Not entkommen Cormac und der Wikinger Wulfher Schädelspalter einer Falle in der Trugbucht und fliehen vor ihren Häschern hinaus in die wilde See der Biskaya.
Vor Galiciens Küste strandet das Schiff in den Fallstricken unheimlicher Algen. Wider Erwarten nimmt der König der Region die Schiffbrüchigen gastfreundlich auf – hofft er doch, die tollkühnen Männer könnten sein Land von der Plage magischer Heimsuchungen erlösen.
Die königlichen Zauberer indes fürchten um ihren Einfluss bei Hofe und schmieden finstere Ränke gegen die Piraten...
Andrew J. Offutt - Autor von Valeron, Der Barbar - setzt Robert E. Howards Erzählungen um Cormac MacArt (zusammengefasst in dem Band Krieger des Nordens, ebenfalls im Apex-Verlag erschienen) mit sechs spannenden Romanen fort, in denen Elemente der Artus-Saga mit Wikinger-Mythen und dem Cthulhu-Mythos verknüpft werden.
Der Apex-Verlag veröffentlicht diese Romane als durchgesehene Neuausgaben - illustriert vom Wiener Künstler Johann Peterka.
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ANDREW J. OFFUTT
Cormac MacArt
Band 2: Der Turm des Todes
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Der Autor
DER TURM DES TODES
EINLEITUNG: Der Cormac-MacArt-Zyklus
Prolog
1. Falle für einen Seeräuber
2. Zwei Seeräuber, eine Falle und Clodia
3. Die Trugbucht
4. Das Grauen im Leuchtturm
5. Irnic Axtschmetterer
6. Der König von Gallaecia
7. Handel mit Silber
8. Eine Abmachung mit Seeräubern
9. Zarabdas von Palmyra
10. Nacht des Dämonentangs
11. Die Sirenen
12. Ein schöner Nachmittag für einen Mord
13. Lucanor von Antiochia
14. Meeresbrut
15. Das letzte Ungeheuer
Wild und voller Gefahren ist das Leben auf den britischen Inseln zur Zeit König Arthurs. Cormac Mac Art, ein Abenteurer königlichen Geblüts von der grünen Insel Irland, muss seine Heimat verlassen, weil Neider ihm nach dem Leben trachten. Gerüstet mit ungewöhnlicher Körperkraft und mit der Fähigkeit, Vergangenheit und Zukunft zu sehen, durchstreift er das wilde Europa des fünften Jahrhunderts und die gefahrvolle See auf der Suche nach Abenteuern.
Mit knapper Not entkommen Cormac und der Wikinger Wulfher Schädelspalter einer Falle in der Trugbucht und fliehen vor ihren Häschern hinaus in die wilde See der Biskaya.
Vor Galiciens Küste strandet das Schiff in den Fallstricken unheimlicher Algen. Wider Erwarten nimmt der König der Region die Schiffbrüchigen gastfreundlich auf – hofft er doch, die tollkühnen Männer könnten sein Land von der Plage magischer Heimsuchungen erlösen.
Die königlichen Zauberer indes fürchten um ihren Einfluss bei Hofe und schmieden finstere Ränke gegen die Piraten...
Andrew J. Offutt - Autor von Valeron, Der Barbar - setzt Robert E. Howards Erzählungen um Cormac MacArt (zusammengefasst in dem Band Krieger des Nordens, ebenfalls im Apex-Verlag erschienen) mit sechs spannenden Romanen fort, in denen Elemente der Artus-Saga mit Wikinger-Mythen und dem Cthulhu-Mythos verknüpft werden.
Der Apex-Verlag veröffentlicht diese Romane als durchgesehene Neuausgaben - illustriert vom Wiener Künstler Johann Peterka.
Andrew J. Offutt (* 16. August 1934, † 30. April 2013)
Andrew Jefferson Offutt war ein US-amerikanischer Autor von Fantasy- und Science-Fiction-Literatur. Er veröffentlichte seine Werke teilweise unter Variationen seines bürgerlichen Namens, vornehmlich als Andrew J. Offutt, teilweise unter den Pseudonymen John Cleve, Jeff Douglas oder J. X. Williams. Gelegentlich ist sein Name auch vollständig in Kleinbuchstaben als andrew j. offutt geschrieben.
Offutt wuchs in einer Blockhütte in der Kleinstadt Taylorsville im Spencer County auf. Später siedelte er nach Louisville um und studierte mittels eines Stipendiums der Ford Foundation an der dortigen Universität. 1955 wurde ihm der Bachelor of Arts im Fach Englisch verliehen.
Während seiner Arbeit in Lexington lernte er Jodie McCabe kennen, die er 1957 heiratete. Das Ehepaar Offutt war über fünfzig Jahre verheiratet und lebte im Rowan County im US-Bundesstaat Kentucky. Sie hatten vier Kinder, der älteste Sohn, Chris Offutt, ist heute ebenfalls als Schriftsteller und Drehbuch-Autor (True Blood, Weeds) bekannt.
Andrew J. Offutts erste Publikation war die Kurzgeschichte And Gone Tomorrow, die 1954 in der US-amerikanischen Science-Fiction-Zeitschrift If veröffentlicht wurde. Nach dem Verkauf der Kurzgeschichte Blacksword (1959) an das Magazin Galaxy konzentrierte er sich zunehmend auf die Schriftstellerei. Mit Evil Is Live Spelled Backwards erschien 1970 sein erster Roman.
Für den Romanzyklus Thieve's World (deutscher Titel: Diebeswelt) von Robert Lynn Asprin und Lynn Abbey schuf er die Figur Hanse und beschrieb sie zwischen 1987 und 1993 in drei Romanen: Shadowspawn (1987), Deathknight (1990) und The Shadow Of Sorcery (1993).
Überdies verfasste er drei Romane über Conan sowie sechs Romane über Cormac MacArt, beides Figuren des Schriftstellers Robert E. Howard.
Zwischen 1976 und 1978 war Offutt Präsident der Science Fiction and Fantasy Writers of America. Ende der 1970er Jahre gab er unter dem Titel Swords Against Darkness fünf Anthologien mit Kurzgeschichten weniger bekannter Autoren heraus.
Unter bis zu zwölf verschiedenen Pseudonymen schrieb Offutt eine Vielzahl erotischer Romane, darunter die von 1982 bis 1984 entstandene Spaceways-Reihe, die unter dem Autorenpseudonym John Cleve publiziert wurde.
Robert E. Howard begann mit Krieger des Nordens die Abenteuer des irischen Helden aus dem fünften Jahrhundert zu erzählen. Sein Nachlassverwalter und sein Agent ersuchten mich, den Zyklus fortzuführen (von dem zu Howards Lebzeiten nichts veröffentlicht worden war).
Der vorliegende Roman ist chronologisch gesehen der zweite und handelt einige Jahre vor Cormacs Erlebnissen in Krieger des Nordens. Hier ist Cormac jünger; allerdings schwindelt er, was sein Alter betrifft, denn - wie die meisten von uns früher einmal - schämt er sich seiner Jugend. Auch in seiner Verbannung hat er das Mädchen Samaire, das er zurücklassen musste, nicht vergessen. Er liebte sie, wie er ihr gemeinsames Heimatland liebte: Erin oder auch Eirinn und Eirrin.
Cormac ist ein grimmiger und düsterer Bursche. Erst in späteren Jahren wird sich das ändern, wenn er Samaire wiedertrifft und sein Leben Sinn und Zweck bekommt- und wenn er nach Irland zurückkehren kann. In diesem Band befindet sich Cormac, der aus seiner Heimat verbannte listige und misstrauische Seeräuber, in einem anderen Teil der Welt als sonst.
Howard wies eindeutig darauf hin, dass MacArts Abenteuer sich nicht auf das Gebiet der Britischen Inseln beschränkten. Nach vier Jahrzehnten der Einmischung und Herrschaft hatten die Römer sich aus Britannien zurückgezogen. Britannier wichen den einfallenden Sachsen und Jüten und Angeln, die dem Land seinen neuen
Namen geben würden: Angelland oder Angle-terre: England. (Eigenartigerweise waren einige Britannier auf das Festland geflohen, von dem die Eroberer gekommen waren. Dort gründeten sie Kleinbritannien - die Bretagne - und hielten sich dort.)
Auf diesem Kontinent war das Erbe von Roms Pomp und der Verwaltungsapparat deutlicher zu erkennen. Das Land war bereits unter viele Herren aufgeteilt. Bald würde es in Italien einen König geben! Obgleich Frankenland oder vielmehr Frankreich noch nicht existierte, waren die Franken im Aufsteigen mit ihren schrecklichen Wurfäxten, einem späteren Artilleriebeschuss schon fast vergleichbar. Der römische Titel Comes blieb, aus ihm wurde schließlich das französische Comte - was bei uns Count (Graf) heißt. Und obgleich noch nie ein Count in meinem heimatlichen Kentucky Land verwaltet hat, ist dieser Staat doch in hundertzwanzig Countys aufgeteilt. Ein neues Zeitalter begann in Europa. Mit der Einführung der Steigbügel erwuchs aus dem durch Roms Fall zurückgelassenem Chaos die Ära der Chevalerie - der Ritterschaft -, von chevalry oder Reiterei, die blühen sollte, bis irgendein Narr das Schießpulver erfand. (Sicherlich nicht Hank, der Held von Mark Twains Roman des Genres Science Fiction/Heroische Fantasy!)
Im Jahr 480 n. Chr. dehnten Cormac und Wulfher ihre Plünderzüge auf die Küste des Landes aus, das einmal Frankreich werden würde, und bald überquerten sie den tückischen Golf von Biskaya nach Nordwestspanien - und ehrlicher Arbeit!
Keith Taylor weiß doppelt so viel über diese Gegend zu jener Zeit wie ich. Deshalb wird er bei der Ausarbeitung dieses Romans und seiner Fortsetzung Die Todesvögel gebraucht, und für die Hinweise auf Wulfhers Heimat Dänemark in den anderen Bänden. Ohne Keith Taylor wäre dieser Roman nur halb so gut.
Wir sind uns nie begegnet. Wir wohnen den halben Globus voneinander entfernt. Und doch gibt es wenige Zeilen in diesem Buch, die rein Taylor oder rein Offutt sind. Wenn wir zusammenarbeiten, arbeiten wir auch zusammen. (Wie? Kostspielig - zwischen hier und Australien!)
Sir Keith hat eine faszinierende astrologische Berechnung sowohl für Cormac als auch für Wulfher durchgeführt und sie mir geschickt. Vielleicht ist sie reine Phantasie, vielleicht auch nicht. Was, glauben Sie, sind ihre Sternzeichen? (Nun, ich sagte nicht wirklich, dass wir daran glauben - oder dass wir nicht daran glauben.)
Aber die Sternzeichen dieser beiden unruhestiftenden Seewölfe sind von keiner Bedeutung für Kaiser Zeno drüben in Konstantinopolis oder für seinen Comes von Burdigala, den Grafen von Bordeaux. Der Däne und der Ire waren etwas zu erfolgreich bei ihren Raubzügen und geraten in ziemliche Schwierigkeiten.
- Andrew J. Offutt,
Kentucky USA.
»Befehligt Ihr Kriegsschiffe oder Waschzuber? Und sind Eure Männer Krieger oder Säuglinge, die in die Windeln machen?«
Scharf kam dieser Tadel, und finster war die Stimmung des Sprechers. Graf Guntram von Burdigala (Bordeaux) hatte eine Rüge erhalten, weil er das Gesetz seines hohen Herrn nicht achtete. Mylord Graf war nicht der Mann, der seinen Untergebenen ihren gerechten Anteil am Grimm des Königs vorenthielt. Wahrhaftig hatte er nur ein bisschen seines aufgestauten Ärgers über den unerschütterlichen Offizier von sich abgelassen.
Athanagild Berics Sohn erwiderte den Blick des Grafen unbewegt.
»Meine Männer sind Krieger, bei Gott! Und die Schiffe...« Athanagild zuckte die Achsel, eine Bewegung, welche die vergoldete Silberbrosche aufblitzen ließ, die seinen langen grünen Umhang an der Schulter hielt. »Mylord hat sie selbst inspiziert. Sie sind alt, nicht genug, und keine neuen im Bau. Das sind Eure eigenen Worte, also sagt nicht, dass ich nach Ausreden fische!«
Guntram verzog grimmig das Gesicht, doch er schwieg. Der Mann hatte Recht. Rom war ein sterbender Koloß, und die von ihm erschaffene Welt zerfiel rings um das Totenbett.
Der Graf drehte sich finsterer Miene um und blickte aus dem Fenster auf den Hof seines Herrenhauses. Der sanft plätschernde Springbrunnen, der Säulengang, das Ziegeldach, alles brüstete sich römischer Architektur und war wenigstens hundert Jahre alt. Die Fontänen tanzten und schillerten prächtig; hörten sie auf, wäre es sinnlos zu versuchen, den Brunnen reparieren zu lassen. Ähnlich war es mit den Kriegsschiffen.
Nicht völlig, grübelte er. Bau und Reparatur von Schlachtschiffen war nicht ganz das gleiche.
Proculus, Oberhaupt der städtischen Kurie (der zwei gerissene Angehörige dieses Rates mitgebracht hatte) hüstelte. Guntram drehte sich müde, mit säuerlicher und herausfordernder Miene wieder um.
»Mein Lord Comes«, sagte Proculus geziert, »es ist nicht so, dass Schiffsbauer nicht zu bekommen wären. Es gibt mehr als genug, wie mir scheint, um Kauffahrer herzustellen.« Abfällig betonte er dieses eine Wort und ignorierte die ebenfalls anwesenden Kaufherren. »Kriegsschiffe zu erbauen, ist zweifellos eine andere Sache, und die Männer, die das können, weniger...«
»Und die meisten«, warf Athanagild ein, der die königliche Flotte in der Garonne befehligte, »arbeiten lieber für Anteile an Piratenbeute.«
Der Comes oder Graf schmetterte eine schwertgehärtete Faust auf seinen Eichen tisch. Alles, was darauf stand, sprang hoch, genau wie sein Schreiber, der dringend gebraucht wurde, da der Graf sowohl des Lesens wie Schreibens unkundig war. Guntram bemerkte nicht, wie er den Bedauerlichen erschreckt hatte - oder zumindest achtete er nicht darauf.
»Piraten!«, donnerte er. »Beim Herze Arius', den ganzen Vormittag bin ich Berichte über Piraten durchgegangen, bis ich das Wort nicht mehr hören konnte!
Dass die Seefahrt nicht sicher ist, ist schlimm genug. Dass diese Diebe aus dem Norden es gewagt haben, zu Lande zu brandschatzen, lässt mich - ein Mann, der König Euric in eine Schlacht nach der anderen folgte - das Jüngste Gericht ersehnen!«
»Allein ihre Zahl macht sie so schwierig, sie zu vernichten, wie Ratten, mein Lord.« Die glatte, fast weiche Stimme gehörte Philip dem Syrier, einem dunkelhäutigen pockennarbigen Mann. Seine schweren Lider blinzelten. »Der edle Befehlshaber Athanagild hat es mit bretonischen Seeräubern, Sachsen und Jüten von Britannien zu tun - König Hengist vorrangig unter ihnen -, ja, und ihre Vettern, die sich in der Charente niedergelassen haben, unmittelbar vor unserer Tür...«
»Und den Friesen«, schnaubte Graf Guntram, »und den Herulern und den Dänen - dieser ganzen verdammten Meute von Nordseeräubern. Von den Skoten ganz zu schweigen, die sich manchmal einbilden, unsere Küste sei genau das richtige für eine kleine Landpartie; und dann kommen noch die Wandalen aus dem Süden, um ihr Glück bei uns zu versuchen! Bei den Hufen des Teufels! Ich lebe ebenfalls hier, Kaufmann! Ihre Zahl ist größer als die der Ratten!« Die Prankenhände des Grafen, von denen sich schwere Goldringe und schmutzige Nägel gleichermaßen abhoben, strichen durch den graumelierten Bart. Verglichen mit seiner bisherigen Miene wurde sein Gesicht nun fast sanft, und seine kleinen blauen Augen glitzerten.
»Nein«, sagte er weich, »ich verstehe nicht, wieso ihr nicht dem Ruin nahe seid. Ich würde gerne wissen, wie ihr das schafft.«
Philips Augen, so dunkel wie Granate, blinzelten und wurden plötzlich ebenso hart. Sein Brokatwams und die weichen Ziegenlederschuhe sowie nicht weniger die glitzernden Edelsteine, die ihn zierten, sprachen wahrhaftig von seiner Wohlhabenheit. Der andere Kaufmann, Desiderius Crispus, in einer einfachen langen, längst nicht mehr modischen Tunika, der sich den Anschein patrizischer Erhabenheit zu geben versuchte, wirkte seriöser. Der Graf war jedoch zu gut informiert, um ihn nicht zu durchschauen.
Philip sagte: »Wenn ich für uns beide sprechen dürfte, mein Kollege? Ich glaube, mein Lord Comes, das liegt daran, dass wir für den Großteil unseres Handels Fluss oder Landweg benutzen. Ich persönlich lasse alle aus dem Osten kommende Ware nach Narbo Martius bringen und von dort hierher. Ich denke nicht im Traum daran, so wie die Dinge jetzt stehen, Kostbares über das Westmeer zu befördern.«
»Glitschige, doppelzüngige Schlange!«
Guntram fasste die Unterseite seines schwer misshandelten Tisches und kippte ihn. Tinte, Berichte, Federkiele und feiner Streusand fielen zu Boden. Der Schreiber, der an einem Ende gesessen hatte, rollte rückwärts und aus dem Weg. Eine Tischecke hatte Proculus am Knie getroffen. Die Verwünschungen, die er zwischen den Zähnen hervorknirschte, waren kaum im Einklang mit der Würde seiner Stellung. Stumm starrte er auf den Grafen, als wünschte er sich, der stämmige Recke wäre klein genug, damit er ihn zermalmte.
Der Graf von Burdigala war nicht aufzuhalten. Er packte Philip am Hals und würgte ihn, bis seine hervorquellenden Augen ins Antlitz des Todes blickten.
Dann schmetterte Guntram ihn auf den Boden zwischen Papier und Tinte, um Luft zu holen.
»Haltet Ihr mich für einen Dummkopf?« donnerte Guntram. »Oder glaubt Ihr, meine Spione vergeuden ihre Zeit? Von Narbo, mit Zoll und Steuern auf jeder Meile des Weges? Pah! Und Ihr!« Er wirbelte zu Desiderius herum. »Verräter! Ich werde Euch nicht mit allem langweilen, was ich weiß. Achtzig Schwerter spanischer Herkunft, die besten diesseits von Damaskus, fanden ihren Weg in Hengists gierige Hände - oder nicht? Oder nicht? Und mit Gold aus einer geplünderten Kirche bezahlt! Ahhh? Und Ihr, Philip von Syrien. Ihr erkennt Kapitän Ticila vielleicht nicht öffentlich als Euren Mann an; aber ich weiß, was er vergangenes Jahr in Massilia getan hat und welches wandalische Schiff ihm die gesamte spanische Küste entlang Geleit gab - und auf dem Heimweg Lusitania plünderte und solche Beute machte, dass man genau Bescheid wissen musste! Nach allem, was ich hörte, ist Lusitania ebenso Teil unseres Gotenreichs wie diese Stadt - was bedeutet, Syrer, dass diese Geschäfte nicht einfache Diebereien waren, sondern unter Hochverrat fallen.« Der Graf blickte Proculus an. »Ist es nicht so?«
»Ohne Zweifel, sofern es beweisbar ist«, bestätigte der Präfekt steif. »Dafür ist die Höchststrafe ausgesetzt.«
Philip, der auf die Knie gestürzt war, hatte sich nicht erhoben. Nun kniete sich Desiderius neben ihn.
Beide Kaufherren wimmerten um Gnade. Nur die Verzweiflung über die Verluste, die diese selben Piraten ihnen zugefügt hatten, hatten sie zu dieser Handlung bewegt. Ihr teuerster Wunsch sei es, dass diese Drohung abgewandt werde, damit die See wieder sicher sei und die Kaufleute wieder eine echte Chance hätten. Möge der Graf von Burdigala nur seine Wünsche äußern. Und so fort.
Guntram hörte nicht zu, Proculus hatte im Augenblick sein Ohr, und Proculus hielt mit seiner Verdammung nicht zurück. Sein dünnlippiger Mund war verzerrt, dafür waren gleichermaßen der Schmerz in seinem Knie und der Abscheu vor diesem Schauspiel verantwortlich.
»Mein Lord Graf«, schnaubte er, »dies ist entwürdigend für mich! Hier ist weder ein Gerichtshof noch eine Hafenschenke - obgleich man im Augenblick anderer Ansicht sein könnte. Klagt diese Männer in rechtlicher Form ihrer Untaten an, und überlasst es dem Gericht, sich mit ihnen zu befassen! Ich wünsche Euch einen guten Tag.«
»Halt!«
Guntrams scharfer Befehl ließ Proculus mitten im Schritt innehalten. Er blickte in das düstere, nun wie erstarrte Gesicht des Grafen.
»Meine Söhne stehen vor jener Tür«, erklärte Guntram von Burdigala mit tödlichem Klang in der Stimme. »Sie haben Schwerter und werden jeden zerstückeln, der es wagen sollte, ohne meine Erlaubnis zu gehen. Jeden, mein Herr! Habt Ihr eine Beschwerde, könnt Ihr sie später Vorbringen, in dieser rechtlichen Form, auf die Ihr so pocht! Doch bei Gott, jetzt werdet Ihr erst zuhören. Es geht hier um eine dringliche Sache, falls Ihr das noch nicht verstanden habt!«
Der Präfekt war bestürzt. Er hatte hier keinen fleischigen, rotgesichtigen, weinliebenden alten Westgoten vor sich, verwirrt von Gesetz und Belesenheit und in seinem vorgerückten Alter auf Bequemlichkeit bedacht. Nein, dies hier war Guntram der Recke, der sein Schwert auf Dutzenden von Schlachtfeldern gerötet und seinen Teil dazu beigetragen hatte, Attilas Hunnen zu vertreiben und Hispanien zu erobern. Die heitere Skrupellosigkeit, die von des alten Kriegers Gesicht abzulesen war, genügte als Garantie, dass die angedrohten Morde stattfinden würden.
Proculus bemühte sich um so viel Würde wie nur möglich und kehrte an seinen Platz zurück.
»So ist es besser«, sagte Guntram fast schnurrend. »Jetzt hört mir alle zu. Ich sprach von einem Landeinfall. Der Bericht liegt irgendwo in diesem Durcheinander...« Guntram schaute sich ohne große Hoffnung um. »Nun, das Wesentliche ist, dass ein Tragtierzug mit Öl, weißem Salz und feiner Glasware aus Italien auf einer Waldstraße, keine zwanzig Meilen von der Küste entfernt, überfallen wurde. Die Räuber waren dänische Seeräuber, ihr Führer wurde erkannt. Es kann keine zwei Männer dieser Größe, dieser Kleidung und mit so rotem Bart und riesiger Streitaxt geben. Deshalb richtete der königliche Zorn sich auf mich. Die gestohlene Ware, müsst ihr wissen, war für den Königshof bestimmt. Und wenn ich nicht noch in diesem Jahr mit diesen Piraten aufräume, könnte es bald einen neuen Grafen von Burdigala geben - und einen neuen Befehlshaber der Flotte.« Guntrams Blick wanderte zu Athanagild, dann nicht minder finster auch über alle anderen.
»Ganz sicher ist, dass es dann zwei Kaufherren weniger in dieser Stadt geben würde! Und der neue Graf, wer immer er auch sein mag, wird bald so allerlei über die städtische Kurie erfahren - Bestechungen und dergleichen, wisst ihr? Der König um seine Steuern betrogen und so. Denkt darüber nach! Wenn unser König von der Art ist, dass er einen alten Krieger, der seinem Vater dreißig Jahre gedient hat, wegen einer Sache wie königliches Tafelsalz entlässt, was könnt ihr dann erwarten? Eh? Beweise habe ich schwarz auf weiß und Zeugen, das dürft ihr mir glauben! Euer aller Schicksal hängt von mir ab. Zweifelt daran lieber nicht!«
Guntrams schnurrende Stimme war schlimmer und bedrohlicher, so befanden die Anwesenden, als sein Brüllen und Toben.
»Ich stehe ganz auf Eurer Seite, mein Lord Graf«, versicherte ihm Proculus. »Ein guter Untertan sollte alles tun, was er kann, um gegen Piraten vorzugehen. Aber wie kann ich euch helfen? Ich bin weder Seefahrer noch Krieger.«
»Ihr könnt mit Eurem Rat helfen«, erfuhr er. »Ehe wir fertig sind, mag es einige rechtliche Dinge geben, die geklärt werden müssen. Der Syrer sagte es nicht nur so dahin, als er behauptete, es seien der Piraten zu viele. Aber wir müssen sie nicht zu Dutzenden versenken. Athanagild! Sagtet Ihr, Ihr wüsstet, wo sie zu finden sind und wie es mit ihren Fahrten aussieht?«
Die Augen des jüngeren Goten blitzten. »Mein Lord, ich würde ein paar der größten unter ihnen lahmlegen und einige Exempel statuieren, die den anderen zu denken geben.«
»Und damit das Herz des Königs erfreuen«, fügte Guntram fast strahlend hinzu. »Dann hört er vielleicht auf mich, wenn ich ihn bedränge, sein Heer in die Charente zu schicken, um diese Schlangen von Sachsen dort zu unterwerfen oder zu vernichten. Dieses verfluchte Gebiet ist ein Heim fern von zu Hause für Hengist und seine heimtückischen Hauptleute. Dabei könntet Ihr ebenfalls Ruhm ernten. Ihr müsstet nur gleichzeitig vom Meer her zuschlagen!«
»Fangt erst einmal Eure Musterpiraten!«, rief Proculus mit weisem Zynismus.
»Richtig! Ich will Wulfher und Cormac MacArt!«
»Barmherziger Erlöser!«, flüsterte Philip der Syrer.
Der Flottenbefehlshaber Athanagild grinste breit.
»Mein Lord Graf, verzeiht«, warf einer der Kurienangehörigen ein. »Ich weiß wenig von einzelnen Piratenkapitänen. Von diesen beiden habe ich noch nie gehört.«
»Bei Gott!«, knurrte Athanagild. »Hättet Ihr meinen Posten, würdet Ihr ihre Namen kennen! Auch wenn ihr Handelsmann, Seefahrer oder Pirat wärt. Mein Lord?«
»Ja, sagt es ihm nur!«
»Wulfher der Däne ist ein Riese. Er ist einen guten Fuß größer als ich, mit dem Knochenbau eines Ochsen, einer Brust wie eine Mauer und einem roten Bart, der sie bis zur Hälfte bedeckt. Hausakliufr ist sein Beiname in seiner eigenen Sprache, was so viel wie Schädelspalter heißt. Kampf ist die größte Freude dieses Kolosses - die Beute nur eine Entschuldigung. Die Dänen sind wahrhaftig keine Weichlinge, aber sie haben ihn verbannt, weil er in der Nähe zu gefährlich war. Genauer gesagt, gibt es keinen kühneren oder erfahreneren Seemann auf den Nordmeeren.«
»Das klingt, als wärt Ihr mit diesem Mann schon zusammengestoßen, mein Herr.«
»Ich habe ihn gesehen«, gestand Athanagild knirschend. »Ja, und durch einen Sturm hörte ich ihn über mich lachen! Keiner gäbe ein besseres Beispiel auf einem Galgen ab.«
»Und der andere?«
»Cormac? Er ist ein Verbannter von Hibernia, einer dieser wenigen Räuber, die wild genug sind, mit Wulfher zu segeln. Er ist so dunkel, wie der Schädelspalter rot ist, ein Meister des Schwertes und von listigem Verstand. Wulfher ist ihm seines Kampfesmutes wegen zugetan und verlässt sich auf seinen gerissenen Rat. Vor einigen Jahren überfiel dieser Cormac unsere Küste mit seiner eigenen keltischen Mannschaft. Nun haben die beiden ein Schiff mit sechzig Mann. Damit haben sie ihr Unwesen in Britannien und Gallien und Spanien getrieben, als stellte sich ihnen nichts als Wachsmännchen mit Papierwaffen entgegen.«
»Ich will sie!« erklärte Guntram und war im Augenblick etwas verwirrt, weil er keinen Tisch für seine herabsausende Faust hatte. »Trotz all ihres Ruhms haben sie bloß ein Schiff und niemanden, der sie rächen würde. Außerdem waren es diese beiden, die sich des Königs Kostbarkeiten von diesem Packtierzug holten.«
Der abfällige Spott bei diesem letzten Satz war nicht zu überhören. Zu schlau, es mit Worten zu sagen, war doch offensichtlich, dass Guntram seinen König verachtete. Der alte Recke fand, dass Alarich II., König aller Westgoten, dem Namen seines Vaters Schande machte. Trotz seines Grimms über die Seeräuberüberfälle entlang der Küste - und im Inland - bezog der junge König erotisch geschulte Frauen aus Ägypten und der Levante, um sich die Nächte verschönern zu lassen, statt für Kriegsschiffe zum Schutz der Küste zu sorgen. Guntram schnaubte fast, als er daran dachte.
Anständige gotische Frauen mit breiten gebärfreudigen Hüften und ohne Kenntnis degenerierter Spielchen waren für Alarichs Vater Eurich gut genug gewesen - und es hatte ihm genügt, aus Auerochsenhörnern zu trinken. Kein Wunder, dass es abwärts ging. Die jüngere Generation würde es nicht mehr bis zum nur vierzehn Jahre entfernten Jahrhundertende schaffen.
Aber zum Geschäft.
»Ich will sie!«, wiederholte er und funkelte die Kaufherren an. »Und ihr Objekte werdet mir dabei helfen!«
»Unmöglich, mein Lord!«, rief Desiderius Crispus. »Ich mache keine Geschäfte mit diesen Männern, und der Syrer tut es genauso wenig!«
»Das ist wahr, mein guter Lord!« bestätigte Philip schnell. »Ihr Käufer ist in Nantes, im Römischen Reich.«
»Nantes«, knurrte der Graf. »Und der Name ihres Käufers?«
»Kenne ich nicht, mein Lord. Beim heiligen Martin, das ist die Wahrheit!«
Obgleich Guntram sie aus verkniffenen Augen musterte, drang er nicht weiter in sie. Er hatte schärfere Waffen, mit denen er gegen die beiden Vorgehen konnte.
Scharf sagte er: »Euer Schwur beim Namen eines Heiligen genügt. Es muss wahr sein. Der Teil über Nantes jedenfalls stimmt, und ihr habt Glück, dass ich das weiß. Ich hatte vor kurzem dort einen Spion - der gleiche, der eure eigenen unfeinen Geschäfte aufdeckte. Er kennt sich also aus, wie ihr seht. Er spürte den Mann durch einen korrupten Zöllner auf. Der Däne und sein Partner treiben Handel mit einem gewissen Balsus Ammian. Kennt ihr ihn?«
»Ja, mein Lord Graf«, erwiderte Desiderius, und Guntram erkannte, dass sein Staunen echt war. »Aber offensichtlich nicht so gut, wie ich dachte.« Er sah die ungeduldige Geste des Grafen. Guntram hatte Desiderius nicht holen lassen, um von ihm Komplimente über die Wahl seiner Spione zu hören. »Ja. Balsus Ammian wohnt in der Hafengegend«, fuhr Desiderius fort, »und täuscht vor, nur einen Schritt von großer Armut entfernt zu sein, doch in Wirklichkeit ist er nicht weniger reich...«
Der Kaufmann unterbrach sich plötzlich.
»Wie Ihr?«, warf Guntram ein. »Ja, das passt zu der Beschreibung des Mannes. Wir unterhielten uns gestern bis spät in die Nacht hinein.«
Die Gedanken jedes der beiden Kaufherrn waren leicht zu erraten: Ich muss herausfinden, wer dieser Spion Guntrams ist! Was natürlich der Grund war, weshalb er bei dieser Besprechung nicht anwesend war. Jedenfalls wussten sie nun, dass Guntram geplant - gut geplant - hatte.
»Und wenn ich eure Schnüffler auch nur in einigem Abstand von ihm entdecke«, sagte der Graf bedrohlich freundlich, »werde ich dafür sorgen, dass eure Gebeine abgenagt werden und im Wind rasseln. Verstanden?«
Er blickte die beiden durchdringend an. »Gut, dann machen wir weiter. Diese Teufel von Piraten haben bewiesen, dass auch sie sich auf dem Laufenden halten. Ich beabsichtige, sie mit einer Fracht zu ködern, der sie kaum widerstehen können, Wein, zum größten Teil, aber auch Leichteres von großem Wert. Und keine gefahrbringende Täuschung. Die Ladung wird echt sein. Das Schiff kommt von Narbo über Hispania hierher. Das wird durchsickern. Der Däne und der Gäle werden, wenn ich sie richtig einschätze, es sicher nicht entlang der hispanischen Küste kapern, sondern warten, bis es in bequemer Entfernung ihres Absatzmarktes ist - und Athanagild wird auf sie warten!«
Guntram machte eine Pause, um den Flottenbefehlshaber anzublicken, und Athanagild nickte begeistert.
»Und wisst ihr, was das Beste daran ist, meine Herren?« fuhr Guntram freundlich fort. »Ihr beide werdet als gute Bürger die Ladung besorgen, zu euren eigenen Kosten!«
Die Kaufherren protestierten lautstark. Proculus brachte sie zum Schweigen, indem er verträumt zur Decke blickte und murmelte: »Hochverrat. Die Messer. Die Zangen. Das heiße Blei...«
Graf Guntram nickte zustimmend. Dieser Proculus mochte ja hochnäsig und geziert sein, aber wenn er erst einmal in der richtigen Stimmung war, konnte er sehr nützlich sein.
»Aber mein Lord!«, rief Desiderius verstört. »Was ist, wenn sie sich doch mit der Ladung entfernen können?«
»Dann werdet ihr zwei wohl eure Verluste tragen müssen, fürchte ich. Aber ja, das ist ein Gedanke. Wenn das der Fall ist, möchte ich, dass eine recht unerfreuliche Überraschung für sie in Nantes wartet. Das bedarf der Überlegung. Doch ihr habt mir noch mehr zu sagen. Ihr mögt zwar keinen Handel mit Wulfher und Cormac treiben, aber ich möchte alles über die Piraten erfahren, von denen ihr kauft. Entweder sie werden innerhalb eines Jahres dingfest gemacht und hingerichtet - bei den Hufen des Teufels, innerhalb eines Vierteljahres! -, oder ihr, meine teuren Herren, tretet an ihre Stelle. Nun, ich warte!«
Sie stellten die Geduld des edlen Grafen auf keine übermäßig lange Probe.
An der Mündung eines schilfreichen Wasserlaufs lauerte ein Rabe mit gewetztem Schnabel und geschärften Krallen. Dunkel war der Räuber, mit scharfem Blick für alles, was ihm nutzen mochte. Doch war dieser Rabe kein Vogel, sondern ein Schiff. Und im Gegensatz zu seinem Namensvetter war dieser Rabe kein Aasfresser - außer man zählte das gefallene Römische Reich im Westen als Aas. Der Rabe war ein Kampfschiff.
Zwei Männer standen im Morgenlicht am Bug. Athanagild hatte sie ohne Fehl beschrieben, außer in einem Punkt. Doch hatte er ihre Ausstrahlung nicht übermittelt - das könnte nur ein von seiner Muse geküsster Barde.
Wulfher war gewaltig, nicht weniger; ein Mann von riesenhafter, sehr kräftiger Statur, mit feurigen blauen Augen unter buschigen Brauen und einem Bart wie lodernde Flammen. Obgleich das Warten ihn unruhig machte, rührte er sich nicht, außer dass er hin und wieder über die mächtige Streitaxt vor sich strich und manchmal seufzte. Wenn er das tat, spannte sich sein Schuppenpanzer, als drohte seine Brust ihn zu sprengen. Das war allerdings nur Täuschung, obgleich eine beachtliche. Schwere goldene Schnallen, Spangen und Armreifen schimmerten an dem dänischen Riesen. Bewaffnet war er ausreichend und mehr. In seinem Gürtel glänzte der Horngriff aus der Barte eines Wales am breitklingigen Dolch, der in seiner Scheide steckte, und durch den gleichen Gürtel war über der anderen Hüfte eine kleinere Streitaxt geschoben. An seinen Knien lehnte ein Schild, auch so narbig wie der Mond.
Athanagild hatte nur nicht recht gehabt, als er behauptete, der Schädelspalter überrage ihn um einen Fuß. Es war lediglich ein halber Fuß, es waren nur die hohen Stierhörner auf seinem Dänenhelm, die ihn größer erscheinen ließen. Wulfher hatte Gefallen an der Zier seiner Vorväter. Aber Athanagild hatte Wulfher Hausakliufr ja auch nur aus der Ferne gesehen. Was schon dadurch bezeugt wurde, dass Athanagild Berics Sohn noch lebte. Wulfher war nur fünf Zoll größer als sechs Fuß...
Der Mann an seiner Seite verhielt sich gleichermaßen still, nur schien er sich in diesem reglosen Warten wohler zu fühlen. Auf fast überschlanke Weise muskulös in seinem schwarzen Kettenhemd war Cormac MacArt, der keinerlei Zierrat an sich trug. Ungewöhnlich war das unter Männern, die es liebten, sich zu schmücken, vor allem wenn ein Kampf bevorstand. Dieser gälische Kelte machte sich jedoch schon lange nichts mehr aus Äußerlichkeiten. Für ihn zählten nur praktische Überlegungen. So spähte er nun auf das nahe Meer und warf dann und wann einen forschenden Blick über das Schilfröhricht hinter sich. Hätte es sich gegen den schwachen Seewind bewegt, hätte er sofort Alarm geschlagen. Denn der kupferschnäbelige Rabe lag hier im Hinterhalt wie im Rachen eines Bären - eines schlafenden, wie sie hofften.
Cormac, Wulfher und die dänische Mannschaft lauerten im heimischen Gewässer der Garonne-Flotte des westgotischen Königreichs. Von hier aus, wo er am Bug des Raben stand, hätte Cormac MacArt, wenn ihm der Sinn danach gewesen wäre, einen Stein in die Mündung der Garonne werfen können. Außerdem befanden sich auf der anderen Seite der breiten Mündung sächsische Siedlungen und sächsische Piratenschiffe so wie tausend Sachsenkrieger unter dem Befehl von einem Dutzend unabhängiger Führer; und ein jeder war gern bereit, als Freund von Wulfhers Todfeind (dem Jüten Hengist, König von Kent, drüben in Britannien) bekannt zu werden.
Vor vier Nächten hatten sie das Segel des Raben gehenden Mast abgenommen und waren mit gedämpften Riemen gerudert. Seither hatten sie nur kalt gegessen, kaum gesprochen, und wenn, dann nur im Flüsterton. Geduldig hatten sie die Mücken und anderen lästigen Insekten ertragen. Cormac schien sie überhaupt nicht zu bemerken. Jemand hatte leise gemurmelt, dass eine Mücke, die sich den Gälen aussuchte, eines schrecklichen Todes sterben würde.
Warten war schlimm für Männer der Tat wie sie. Aber sie hielten durch. Damit ihre Muskeln nicht einschliefen, rangen sie nur mit den Armen auf den Ruderbänken und stemmten sich mit Füßen und Rücken dagegen.
Ziemlich in der Nähe befanden sich andere Männer, die des Wartens müde waren.
An der Nordseite der Flussmündung lauerten zwei Schiffe der königlich westgotischen Flotte hinter einer bewaldeten Landspitze. Athanagild Berics Sohn, der an Deck eines dieser Schiffe herumstapfte, zupfte sich am dichten Schnurrbart und schaute stirnrunzelnd auf seine Leute, die sich entsetzlich viel Zeit beim Essen ließen. Hätte er gewusst, dass die Männer, die er festnehmen sollte, ungesehen und ungeahnt in Rufweite waren, hätte Flottenbefehlshaber Athanagild vermutlich einen Anfall bekommen.
Währenddessen näherte sich an der Küste entlang von Bayonne der einfache Seekapitän Gervase mit seinem Kauffahrer. Unruhig spähte er nordwärts, dann auf die Küste, denn Gervais fürchtete sächsische Kriegsschiffe und hoffte, dass ein gotisches Schiff hier auf Patrouille war.
Bei meinem Glück, dachte er düster, stoße ich bestimmt dicht vor dem sicheren Hafen noch auf sächsische Piraten.
Eine merkwürdige Seereise war dies, ganz um Spanien herum, wo er den Wandalen hatte Zoll bezahlen müssen. Seltsam! Er spuckte landwärts mit dem Wind. Es war nicht lange her, da hätten diese flachsköpfigen ketzerischen Bastarde noch die ganze Ladung weggenommen und die Mannschaft umgebracht, weil sie orthodox war. Viele würden es jetzt noch tun und taten es auch. Aber Geiserich, der für ihre Seemacht gesorgt hatte, schmorte seit einem Jahrzehnt in der Hölle.
Die Wandalen waren nicht mehr die Geißel des ganzen Mittelmeers, höchstens noch der westlichen Hälfte, und sie hatten inzwischen gelernt, dass man die Kuh nicht schlachtet, die man melken will. Trotzdem waren sie unberechenbar, und Gervase war mehr als froh, als die Säulen des Herkules in der Ferne schwanden.
Eigenartig war es jedenfalls schon, wie die Auftraggeber auf dieser Strecke beharrt hatten. Selbst den Zoll der Wandalen hatten sie ohne Murren gezahlt. Das sah ihnen gar nicht ähnlich! Von Narbo nach Toulouse auf dem Landweg, dann den Fluss abwärts mit dem
Schiff bis Burdigala war der normale Weg. Einfacher und viel sicherer!
Ah, aber der Königshof war in Toulouse! Und der Gotenkönig hatte vielleicht beschlossen, die Ladung zu kaufen - um seinen Preis. Wahrscheinlich dachten die Auftraggeber, dass sie bei den Wandalen besser davonkamen. Und wie auch immer, Gervase bekam eine Gefahrenzulage.
Hätte er gewusst, dass seine Auftraggeber und der Graf von Burdigala ihn mit voller Absicht als Piratenköder erkoren hatten, wäre es vielleicht bei ihm zur gleichen Zeit wie bei Athanagild zu einem Anfall gekommen. Doch so waren die beiden durch ihre Unkenntnis geschützt.
An der Mündung des Wasserlaufs kläffte zweimal ein Fuchs.
Plötzliche Erregung packte Wulfhers Dänen. Es kam nicht oft vor, dass ein Fuchs von einem Baum herabbellte. Halbdan Halbmann, seines kleinen Wuchses wegen so genannt, schwang sich geschmeidig von Ast zu Ast herab auf den nachgiebigen Schlammboden und eilte zum Schiff. Ein Ruder bildete hastig eine Planke zum Deck, und Halbdan balancierte mit strahlendem Gesicht hinauf. Auf dem Weg zum Bug griff er nach Schild und Axt.
Sein Grinsen verriet die gute Neuigkeit noch vor seiner Zunge. »Es ist das Schiff! Wenn nicht, dann müsste es zwei solche von Burdigala geben mit braunem Segel und dreieckigem helleren Flicken!«
»Wie liegt es im Wasser?«
»Tief! Bei Ägir dem Großzügigen, es ist Wein im Frachtraum, wie man euch versichert hat! Und so eine rundbäuchige Nussschale entkommt dem Raben nicht, selbst wenn sie frachtlos segelt!« Halbdan schnalzte mit den Lippen. »Heute Nacht gibt es zu trinken!«
»Ahhh!«, rief Wulfher erfreut. »Dann los, ihr durstigen Söhne Dänemarks! Die Belohnung ist unser!«
Cormac schwieg. Sein Grinsen entblößte kaum die Zähne, als er sein Schwert zog. Etwas dunkler war seine Haut als die seiner Kameraden, sein Gesicht, bartlos und von Narben gezeichnet, die seine finstere Miene nicht milderten, genauso wenig wie die Augen, so kalt und grau wie Schwertstahl. Ein Helm aus hartem Leder, mit schwarzem Eisen verstärkt und mit Wangenschutz, rahmte das Gesicht ein. Der wippende Pferdehaarbusch des Helms kam als einziges Zierrat an ihm heran, und ihn trug er nur zum Hohn von Hengists Jüten, denn der Schmied war das Zeichen ihres Königshauses, und sie fochten unter einer Standarte aus weißen Pferdeschweifen.
Senkrecht gehalten, stießen die Ruder ins Flussbett und stakten den Raben vorwärts.
Er glitt vom Ufer ab in tieferes Wasser, dort setzten sich die stakenden Männer und streckten ihre Ruder nun waagrecht aus. Ihre vierzig Kameraden an den Ruderbänken taten es ihnen gleich. Die Riemen durchschnitten das Wasser, und fünfzig starke Männer ruderten kräftig.
Der Rabe sprang vorwärts auf eine See, die wie goldene Schuppen glitzerte.
Knud der Flinke rief den Takt für seine Kameraden, und sie ruderten hart. Wasser gischtete, wo der Bug es durchschnitt. Ruder hoben sich glänzend, schwangen zurück, tauchten ein, und erneut schwangen die Männer sie vorwärts und genossen es, die Muskeln nach so langer Untätigkeit wieder zu gebrauchen. Arbeit? Keineswegs! Ein bisschen aufwärmende Übung, ehe sie ihren Waffen zu tun gaben.
»Glitzernd blitzen die Riemen,
Schwingen durchs schäumende Nass,
Tauchen in das salzige Ale von Aegirs Töchtern.
Besser dort das Gebräu In geladenen Fässern,
Wo der Wein von Ostland
Wartet auf Wulfhers Wölfe.
Ihr an Steuerbord,