Crowned by Destiny - Lilien Ortwein - E-Book
NEUHEIT

Crowned by Destiny E-Book

Lilien Ortwein

0,0

Beschreibung

Eine Prinzessin. Zwei Rivalen. Nur einer kann überleben. »Vergesst niemals das erste Gesetz der Nikashi, Prinzessin: Verliert Euer Herz, aber nicht Euer Leben.« Die Kriegerprinzessin Zara muss in den tödlichen Nikashi-Spielen beweisen, dass sie eines Tages die Krone ihres Landes tragen kann. Außerdem darf jeder Mann teilnehmen, der bereit ist, für die Hand der Prinzessin sein Leben zu riskieren. Als Zaras bester Freund und heimlicher Geliebter Damian sich für die Spiele meldet, hat sie nur ein Ziel: gemeinsam mit ihm zu überleben und zu gewinnen. Aber Damian ist bald nicht mehr der einzige Kandidat, der ihr Herz schneller schlagen lässt – und nur einer der Männer kann überleben. Gleichzeitig braut sich im Süden des Reiches eine tödliche Gefahr zusammen. Durch die Bedrohung kommt ein dunkles Geheimnis ans Licht, das Zaras Welt und alles, woran sie jemals geglaubt hat, für immer verändern wird ... Romantisch. Fantastisch. Episch. Der Auftakt der fesselnden vierbändigen Reihe von Debüt-Autorin Lillien Ortwein. Für alle, die "Dune" und "Hunger Games" lieben und diese Tropes mögen: Tödliche Spiele Forbidden Love Royal Setting Love Triangle Broken Trust Dark Secrets

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 435

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Lilien Ortwein

Buch eins

Von Morgen Verlag

Titel: Crowned by Destiny – Buch eins

Autorin: Lilien Ortwein

Redaktion: Jenny-Mai Nuyen

Umschlaggestaltung: Jenny-Mai Nuyen

unter Verwendung von © Depositphotos

© 2025 Von Morgen Verlag

Eulerstraße 2, 13357 Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Die Verwendung dieses Werks im Ganzen oder in Teilenfür das Text- und Data-Mining ist nicht gestattet.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Danksagung

Nachwort des Verlags

To Kill a Heart

An mein jüngeres Ich:

Wir haben’s geschafft!

Kapitel 1

Die Hufe ihres Pferdes wirbelten Sandkörner auf und die heiße Luft brannte auf ihrer Haut wie tausend kleine Nadelstiche. Zara griff die Zügel fester und trieb ihren schwarzen Hengst weiter an. Immer und immer weiter, über Gebirge aus rotem Sand und durch die untergehende Sonne hindurch, als würde sie um ihr Leben reiten.

Die trockene Luft der Wüste kratzte in ihrer Kehle und sie dachte an den Moment, an dem sie ihn in den Arm schließen würde. Wenn ihr Herz nach einem langen, einsamen Jahr endlich wieder wüsste, in welchem Rhythmus es schlagen sollte.

Im Einklang mit seinem.

Riesige, kreisrunde Türme aus rotem und weißem Marmor erschienen am Horizont. Die goldenen Dachkuppeln hoben sich gegen die Sandberge dahinter ab und die hohen Mauern, die die Stadt umgaben, schirmten den umherfliegenden Sand ab.

Auf den letzten Metern schloss Zara die Augen und lauschte nur. Sie lauschte dem dumpfen Getrappel der Hufe, die sich in den Sand gruben, dem Rieseln der Sandkörner, die über den Boden schwebten, dem Rauschen des Windes, der durch die Wüsten Nicaeas zog.

Sie brauchte ihre Sehkraft nicht, sie konnte die Schönheit Nicaeas mit ihrem Herzen zeichnen. Die steilen Dünen, das feurige Meer aus Sand, die pulsierende Sonne am Himmel, all das verkörperte ihr Land. All das steckte in ihr, seit sie ein kleines Kind war. In ihrem Herzen, in ihrem Blut, in jeder Faser ihres Körpers.

Je näher Zara der Hauptstadt kam, desto lauter wurde der Jubel, der ihr vom Wind entgegengetragen wurde. Menschenmassen versammelten sich vor den Toren der Stadt und wedelten mit lilafarbenen Stofftüchern. Hoch in der Luft flatterten die Flaggen ihres Reiches wie die Flügel eines Adlers. Die goldenen Krummdolche vor einer Sonne auf lilafarbenem Grund erkannte Zara schon von weitem.

Die Wärme der letzten Sonnenstrahlen drang bis zu ihrem Herzen durch und erfüllte ihre Brust. Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen und blieb dort, als die Menschen ihr den Weg frei machten und sie die Tore zu ihrem Zuhause passierte.

Mit jedem Meter, den sie sich dem Palast näherte, wurden die Straßen belebter und die freudigen Gesänge lauter. Bunte Lichter glühten in ihren Augenwinkeln und Kinder warfen Blumen auf die Straße vor ihr.

Die Menschen riefen ihren Namen und Zara hätte den Moment ihrer Rückkehr noch länger ausgekostet, wäre da nicht jemand gewesen, der an den Treppen zum Palast auf sie wartete. Sobald sie auf den weitläufigen Platz vor dem Palast geritten war, sprang sie von ihrem Hengst, noch mitten im Galopp. Sie landete leichtfüßig, riss sich den langen Umhang von den Schultern und rannte los.

Die Krummdolche an ihrem Gürtel klapperten und der Schweiß unter ihrer ledernen Rüstung lief an ihrem Körper herunter. Mit schweren Beinen von dem langen Ritt stürmte sie auf den Jungen zu, der am Fuß der Treppen stand.

Die Spitzen seiner karamellbraunen Locken lugten unter der Kapuze aus rotem Leinen hervor und der lederne Brustpanzer schmiegte sich an seinen muskulösen Oberkörper wie eine zweite Haut. Zwei Krummdolche hingen an seinem Gürtel, wie es für einen Krieger von Nicaea üblich war. Und er war nicht irgendein Krieger. Er war Damian Sinclair, einer der besten Reiter und Kämpfer des Reiches – und ihr bester Freund.

Als Damian lächelte, war es, als hätte die Sonne ihren Kurs geändert. Zara rannte so schnell, dass ihre Lungen brannten, und warf sich mit solcher Wucht in seine Arme, dass es ihn beinahe umgehauen hätte.

Starke Arme schlangen sich um ihren schmalen Körper und wirbelten sie durch die Luft. Ein trockenes Schluchzen verließ ihre Kehle.

»Ich habe dich so vermisst ...«, hauchte sie und sog seinen Duft ein. Ein Jahr lang hatte sie versucht, sich in Erinnerung zu rufen, wie er roch. Sich seinen männlichen, rauchigen Duft genau vorzustellen.

»Endlich kann ich wieder richtig atmen«, murmelte er in ihr Ohr. Seine tiefe, angenehme Stimme lief ihren Gehörgang entlang wie flüssiger Honig.

Zara klammerte sich an ihn und wollte ihn nie wieder loslassen. Der Wehrdienst war vorbei, Damian hatte seinen schon vor drei Monaten beendet. Damit würde sie nichts je wieder trennen können.

»Zara.« Die sanfte, aber bestimmte Stimme ihrer Mutter riss sie aus dem Moment mit Damian.

»Mutter.« Sie fiel ihrer Mutter in die Arme und sog ihre Liebe und Fürsorge in sich auf.

»Wo ist Vater?«, fragte Zara, als sie den König nirgendwo zwischen dem Hofstaat, der sich auf der Treppe versammelt hatte, entdecken konnte.

Ihre Mutter, ein Ebenbild von ihr selbst mit ihren langen, schwarzen Haaren, ihrer bronzefarbenen Haut und den zarten Gesichtszügen, senkte den Kopf, wobei ihr beinahe die filigrane Goldkrone vom Haupt rutschte.

»Er erwartet dich im Thronsaal. Du sollst ihn ohne Umwege aufsuchen.«

»Wieso? Ist etwas passiert?«

Der viele Goldschmuck klimperte, als ihre Mutter den Kopf schüttelte.

»Geh zu ihm, Zara. Er wartet auf dich.«

Zara warf Damian einen kurzen Blick zu und kostete es aus, seine kantigen, attraktiven Gesichtszüge zu bewundern. Seine weichen Lippen, die so gut auf ihre passten, als wären sie dafür gemacht worden.

»Ich warte auf dich«, versprach er.

Der Thronsaal bestand aus einer langen Halle mit einer reich verzierten gewölbten Decke und massiven Säulen aus sandfarbenem Gestein, die das Gewicht einer gewaltigen Verantwortung trugen. In diesem Saal wurden Entscheidungen getroffen, die die Leben von Millionen Menschen betrafen. Hier wurden Kriege begonnen und beendet.

Ein langer, lilafarbener Teppich führte zu dem wuchtigen Thron ganz aus Gold. Edelsteine in Rot, Lila, Türkis und Weiß säumten die Lehnen und reflektierten das Licht der untergehenden Sonne, die durch die vielen, offenen Fenster hereinschien.

Auf dem Thron saß ihr Vater, König Nasir Abdallah. Sein schneeweißes, mit goldenen Verzierungen versehenes Gewand floss über die Armlehnen hinunter und eine schwere, goldene Krone saß in seinem vollen, schwarzen Haar. Die gleichen Edelsteine wie in dem Thron waren in das Gold eingearbeitet.

Als Zara vor ihm ankam, wollte sie auf die Knie sinken, doch ihr Vater schloss sie in eine Umarmung.

»Ich freue mich, dich wieder im Palast begrüßen zu können«, sagte ihr Vater, nachdem er sich löste, aber ihre Schultern umklammert hielt. »Ich habe sehr viel Gutes über deine Leistung gehört. Es hieß, du wärst einer Kronprinzessin von Nicaea mehr als würdig gewesen.«

Stolz brach über sie herein und flutete all ihre Sorgen beiseite. Sie lächelte und straffte sich, wie es sich für eine gute Soldatin gehörte, wenn sie vor den König trat.

»Danke, Vater. Ich habe jeden Tag mein Bestes gegeben.«

Ihr Vater erwiderte das Lächeln mit einer Sanftheit, die er eigentlich nur an den Tag legte, wenn die schwere Krone nicht auf seinem Kopf ruhte.

»So gerne ich deine Ankunft feiern möchte, es gibt etwas, was wir besprechen müssen.« Er begann im Thronsaal auf- und abzulaufen und Zara schloss sich ihm ganz instinktiv an.

»Ist etwas passiert, während ich weg war?«

»Der Wehrdienst gilt in Nicaea als der letzte Schritt zum Erwachsensein«, erklärte ihr Vater, als wäre ihr das nicht schon hundertmal gesagt worden. »In ein paar Monaten wirst du achtzehn. Dann wirst du volljährig und damit alt genug sein, um die Krone zu übernehmen, sollte deiner Mutter und mir etwas passieren.«

Ihre Schritte wurden schwerer. In ihrem Magen rumorte eine bittere Vorahnung.

»Es ist von großer Bedeutung, für das Volk und unser Reich, dass zu diesem Zeitpunkt deine Hochzeit feststeht. Während du fort warst, habe ich gute Gespräche mit dem König und der Königin von Khotan geführt.«

Nein.

Jeder, nur nicht er ...

»Sobald du die Volljährigkeit erreichst, wirst du Prinz Adrian von Khotan ehelichen. Die Heirat wird die gespannte Verbindung zwischen Nicaea und Khotan stabilisieren und ...«

Die weiteren Worte ihres Vaters verblassten. Übelkeit machte sich in ihr breit.

»Vater«, presste sie heraus und blieb stehen. »Ich bitte dich. Jeder, aber nicht Adrian. Ist es nicht ohnehin noch zu früh? Ich bin gerade erst zurückgekehrt, vielleicht –«

»Zara, Liebling.« Ihr Vater legte seine Hände auf ihre Schultern und blickte ihr mit seinen dunklen, durchdringenden Augen ins Gesicht. »Ich weiß um deine Beziehung mit Adrian. Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, hätte ich sie ergriffen. Es bereitet mir keine Freude, dich zur Hochzeit zu drängen. Aber wir brauchen diese Verbindung mit Khotan. Nicaea braucht diese Hochzeit.«

»Aber –« Zara atmete tief durch und drängte das Zittern aus ihrer Stimme. »Unser Volk verdient einen besseren König. Einen würdigen. Einen Nicaeaner.« Damian.

»Unser Volk verdient Frieden. Dieser wäre durch eine Hochzeit mit Prinz Adrian gesichert.« Ihr Vater seufzte. Es klang müde und schwerfällig. »Ich weiß, dass du dein ganzes Leben lang immer im Sinne des Volkes gehandelt hast. Ich weiß, dass dir deine Pflicht als Kronprinzessin bewusst ist. Tu, was für das Volk, für dein Land am besten ist. Denk an die Menschen, denen du täglich auf dem Markt begegnest, die deine Kleider schneidern und dein Essen zubereiten. Sie alle könnten sterben, wenn ein Krieg ausbräche.«

Sie grub die Fingernägel in ihre Handflächen. Viele Menschen sahen immer nur den Reichtum, die schillernden Kleider, die prachtvollen Gemächer, aber niemand sah die Schattenseiten davon, eine Kronprinzessin zu sein. Die Pflicht ihrem Land und den Menschen gegenüber. Die Verantwortung, der Druck, all das lag für die meisten im Verborgenen.

Zara kämpfte gegen den Schmerz in ihrer Brust an, gegen die Stimme in ihrem Kopf, die Damians so ähnlich war und sie anflehte, es nicht zu tun.

Das schwere Gewicht der unsichtbaren Krone auf ihrem Kopf begrub die Gedanken an ihr eigenes Glück unter sich.

»Und du bist davon überzeugt, dass eine Hochzeit mit Adrian Lamont das Beste für Nicaea ist?«, hörte sie sich selbst leise fragen.

Ihr Vater nickte. »Es würde uns den Frieden sichern. Du könntest uns den Frieden sichern.«

Frieden.

Das, was sich jede Kronprinzessin für ihr Land und für ihr Volk wünschte.

Wie könnte sie aus reinem Egoismus ihrem Volk den Frieden verwehren?

Könnte sie jemals mit dem Gedanken leben, ihr Land in den Krieg geführt zu haben?

Weil sie aus Liebe heiraten wollte?

»In Ordnung.« Ihre eigene Stimme klang fremd. »Ich tue es.«

»Was wollte dein Vater von dir?«, fragte Damian, als sie wenig später zusammen in einem der vielen Innenhöfe im Schatten eines Granatapfelbaumes saßen. Das weiche Gras kitzelte ihre nackten Unterarme und ein süß-blumiger Geruch setzte sich in ihrer Nase fest. Irgendwo zwischen den bewachsenen Ästen zwitscherte ein Vogel.

»Während ich fort war, hat er –« Die Worte fühlten sich an wie raue Steine, die ihre Kehle zerkratzten. Damians Arm um ihre Schultern spendete ihr normalerweise Trost, doch jetzt machte es das alles noch schwerer. »Er hat mich verlobt.«

Ein Ruck ging durch den breiten Körper neben ihr. Die Muskeln in seinem Arm spannten sich an und Zara rückte von ihm weg, um ihm ins Gesicht sehen zu können.

»Mit wem?«, wollte er wissen.

»Mit Adrian.«

Schmerz explodierte auf seinem attraktiven Gesicht und das Glitzern in seinen Augen zerbrach wie eine Glasscheibe.

»Du hast nicht zugestimmt, oder?« Seine Stimme war kalt.

Zara atmete tief ein, um den Schmerz in ihrer Brust zu lindern, doch er wurde von Sekunde zu Sekunde schlimmer.

»Du hast zugestimmt«, stellte Damian fest. Er stieß ein bitteres Lachen aus und wich ihrem Blick aus. Seine Finger gruben sich in das Gras unter ihm. »Wie kannst du mir das antun, Zara?«, hauchte er. »Du weißt, was er mir angetan hat. Du hasst ihn genauso sehr wie ich, wieso –«

»Weil ich muss«, unterbrach sie ihn. »Weil es den Frieden zwischen Nicaea und Khotan sichern würde. Ich kann meinem Volk die Gelegenheit auf einen gesicherten Frieden nicht verwehren. Das hat dieses Land nicht verdient.«

»Aber du hast mehr verdient als das! Dein ganzes Leben schon tust du, was gut für Nicaea ist, ungeachtet, wie es dir damit geht. Wann wird sich irgendjemand dafür interessieren, was für dich das Beste ist?«

»Du weißt, dass es meine Pflicht ist. Wir wussten schon immer, dass ich irgendwann verheiratet werden würde. Es gab nie eine realistische Chance, dass wir beide eines Tages ... Es ist töricht, etwas anderes erwartet zu haben.«

In Damians Blick vermischten sich Schmerz und Wut zu Dunkelheit. »Ist es wirklich töricht, daran geglaubt zu haben? Wir ... es gab immer nur uns ... alles, was wir zusammen durchgemacht haben ...«

Der vorwurfsvolle Unterton in seiner Stimme entfachte einen Funken des Zorns in ihrer Brust. »Verstehst du, wie es ist, wenn das Schicksal eines ganzen Reiches auf deinen Schultern lastet? Wenn alles, was du tust und sagst, den Tod tausender Menschen herbeiführen kann?«

Damian sprang auf die Beine und riss dabei eine Handvoll Gras aus dem Boden. »Dann erkläre es mir! Na, los.«

»Ich bin dir keine Erklärung schuldig!« Sie stand auf und war nun fast mit ihm auf Augenhöhe. »Ich weiß am besten, wie sich eine Kronprinzessin zu verhalten hat. Ich beschäftige mich schon mein ganzes Leben damit. Also hör auf, mir da rein reden zu wollen!«

»Ich will dir da nicht reinreden, ich will dir helfen.«

»Aber du hilfst nicht! Du machst alles nur noch schlimmer.«

In Damians Augen brannte ein Feuer und unter seinem Brustpanzer hob und senkte sich seine Brust. Er öffnete den Mund, nur um ihn gleich wieder zu schließen. Seine Fäuste zuckten und entspannten sich, bevor er tief durchatmete und sich langsam zurück ins Gras sinken ließ. Er fuhr sich durch seine Locken und ließ zu, dass ihm ein paar vors Gesicht fielen.

»Ich will mich nicht mir dir streiten«, murmelte er. Die Wut war aus seiner Stimme verschwunden und hatte blanken, kalten Schmerz zurückgelassen. »Ich ... es ist nur ... ich weiß nicht, ob ich es ertragen werde, dich mit ihm zu sehen.«

In ihrem Kopf kreisten die Gedanken. Die Anspannung glitt aus ihrem Körper und sie fiel neben ihm auf die Knie. Sie strich mit den Fingern durch seine weichen Locken. »Ich wünschte, ich müsste dir das nicht antun. Ich wünschte, es gebe einen anderen Weg ...«

»Vielleicht gibt es den.« Die Worte waren nur ein Flüstern, sie hätte sie beinahe nicht gehört. »Während meines Wehrdienstes wurden abends am Lagerfeuer oft Geschichten erzählt. Eine handelte von der Prinzessin, die die letzten Nikashi abgehalten hat.« Er sah zu ihr auf. »Der Sieger der Spiele darf die Prinzessin heiraten. Egal, wer er ist. Ob Prinz oder Bauer.«

Sie kannte die Geschichte von der alten Tradition der Nikashi. Einst waren Könige in tödlichen Spielen gekrönt worden. »Falls die Prinzessin die Spiele selbst überlebt.«

»Wenn jemand tödliche Prüfungen überleben kann, dann du.« Er wandte ihr das Gesicht zu. »Wir könnten gemeinsam gewinnen. Ich weiß, dass wir das schaffen würden. Und dann könnten wir heiraten.«

Zara schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals hinunter und nahm Damians Gesicht in ihre Hände. Das Grau in seinen Augen erstrahlte in neugewonnener Hoffnung. »Die Nikashi wurden seit Generationen nicht mehr abgehalten.«

Er umfasste ihre Taille. »Du könntest sie wieder einführen.«

»Und dann? Damit du gewinnen kannst, müsste Adrian sterben.«

»Wenn es in den Nikashi passiert, würde es nicht als Affront gegen Khotan gelten. Adrian kennt die Risiken. Wenn er sich dennoch entscheidet, an den Spielen teilzunehmen, trifft Nicaea keine Schuld.«

»Und du denkst, Khotan würde das genauso sehen?« Sie strich mit ihrem Daumen über seine Wange. Ihr Herz zerbarst beinahe, als sie die Verzweiflung in seiner Stimme hörte. Er wollte es so sehr. »Wenn Adrian in den Nikashi stirbt, wird Khotan uns die Schuld dafür geben und gegen Nicaea in den Krieg ziehen. Das können wir nicht riskieren.«

Die Muskeln in seiner Wange zuckten. »Wir wissen nicht, ob Adrian teilnehmen würde. Er ist ein feiger Bastard, der sich lieber in seinem Schloss aus Eis versteckt als auf dem Schlachtfeld zu kämpfen. Ich glaube nicht, dass er den Mut hat, an den Nikashi teilzunehmen.«

Das Risiko ist zu groß. Das Wohl von Nicaea darf niemals riskiert werden.

»Es tut mir leid«, hauchte sie. »Aber es geht nicht.«

Kapitel 2

Die Mittagssonne brannte über ihnen, als sie Damian am nächsten Tag auf dem Trainingsplatz gegenüberstand. Der Sand unter ihren Füßen war heiß und blutbefleckt und ihre lederne Rüstung schweißgetränkt. Strähnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, klebten an ihrer Stirn und die Krummdolche in ihren Händen wurden mit jeder Runde schwerer.

»Noch eine Runde«, sagte sie, wobei ihre Stimme eher einem Krächzen glich.

Damian lachte und wischte sich mit dem Handrücken das Blut von der Lippe. Schweißperlen glänzten auf seinen nackten, kräftigen Armen und der lederne Brustpanzer schmiegte sich so gut an seinen Oberkörper, dass es schwer war, sich davon nicht ablenken zu lassen.

»Noch eine? Wie wäre es mit einer Pause?«

»Später«, entschied Zara und ging in Kampfstellung. »Erst noch eine Runde.«

Seit sie laufen konnten, wurden sie zusammen von Damians Vater, dem General des Königs trainiert, weshalb sie jedes Manöver, jede Finte des anderen auswendig kannten. Doch hinter ihnen beiden lag der einjährige Wehrdienst, bei dem sie nicht zusammen trainiert hatten und von unterschiedlichen Meistern unterrichtet worden waren.

Und genau das machte das Training mit Damian in den letzten Tagen so spannend.

Zara griff als Erstes an, mit einem Manöver, das sie, seit sie zehn war, mit geschlossenen Augen beherrschte. Reflexartig wich Damian aus und hob seinen Krummdolch zum Block, noch bevor Zara ihren nächsten Schlag ausgeführt hatte. Ihre Klingen trafen aufeinander und ein gewohnter Schmerz schoss durch ihren Arm hinauf bis in ihre Schulter.

Eine Weile lang ging es hin und her, bis Damian etwas tat, womit sie nicht gerechnet hatte. Er vollführte eine gewohnte Schlagabfolge, doch anstatt des letzten Hiebes, für den sie schon ihre Klinge hob, um ihn abzublocken, ging Damian runter, schlang seine Arme um ihre Hüfte und riss sie zu Boden.

Sie landeten mit einem dumpfen Aufprall im Sand. Damian pinnte ihre Handgelenke auf den Boden und grinste sie von oben herab an. Die Sonne tränkte sein wunderschönes Gesicht in goldenes Licht.

»Ich habe ein paar neue Tricks gelernt.«

Sein Griff um ihre Handgelenke war zu stark, als dass sie sich losreißen konnte. Aber sie schaffte es, ihr rechtes Bein anzuwinkeln, sich dadurch genug Platz zu verschaffen, um ihre Beine um seine Hüfte zu schlingen und sie mit Schwung umzudrehen. Sie machte sich schwer, um den starken Körper unter ihr in den Sand zu drücken, und hielt ihm ihren Krummdolch an die Kehle.

»Ich auch«, sagte sie und erwiderte sein Grinsen.

Damian lachte leise und ihr Blick blieb an seiner blutigen Lippe hängen. Ein unsichtbares Band wollte sie runterziehen, bis ihre Lippen auf seinen lagen, doch das käme einem Todesurteil für Damian gleich. Sie stemmte sich gegen das Band, obwohl es sich anfühlte, als würde ihr das Herz aus der Brust gerissen werden.

Ihre verbliebene Zeit mit Damian war so kurz. Wie eine Sternschnuppe. Kaum war sie in Sichtweite, war sie schon wieder hinterm Horizont verschwunden. Und Zara konnte nichts weiter tun, als dabei zu zusehen, wie ihr Glück mit Damian an ihr vorbeizog.

»Siehst du alle deine Gegner so an, nachdem du sie besiegt hast?«, fragte Damian und Zara gab ihm spielerisch einen Klaps auf die Brust, bevor sie sich aufrappelte.

»Nur die, die ich gerne küssen würde.«

»Ist das so?« Der verführerische Unterton in seiner Stimme ließ ihre Knie weich werden. Er wollte einen Arm um ihre Hüfte legen, doch sie schlug seine Hand weg und warf ihm einen bösen Blick zu.

»Bist du verrückt? Doch nicht hier!« Sie neigte ihren Kopf zur Seite und deutete auf die andere Seite des Trainingsplatzes.

Genau dort funkelten polierte, silberne Rüstungen im Licht der Sonne. Weiße Fahnen mit dem Wappen der Lamonts, einer Schneeeule mit einer Krone auf dem Haupt, flatterten im Wind. Langschwerter schnitten durch die Luft und das Klirren der schweren Rüstungen hallte über den Trainingsplatz.

Inmitten der Dutzend khotanischen Krieger stand Adrian Lamont. Stolz wie ein Löwe streckte er sein Langschwert gen Himmel, um einen weiteren Sieg gegen einen seiner Soldaten zu feiern, die ihren Prinzen niemals besiegen würden, nicht mal in einem Trainingskampf. Sein weißblondes, schulterlanges Haar war zu einem Zopf zusammengebunden und seine feinen, aristokratischen Gesichtszüge strotzten vor Arroganz.

Sein schmaler Körper wirkte in der schweren Rüstung fehl am Platz.

In Damians Augen zogen dunkle Wolken auf. »Keine Worte können beschreiben, wie gerne ich ihm hier und jetzt den Kopf abschlagen würde.«

Mit dem Wissen, dass seine Soldaten sich nicht richtig wehren würden, verpasste Adrian dem Soldaten, den er soeben besiegt hatte, einen Stoß mit dem Schwert, sodass er wieder im Sand landete, als er aufstehen wollte. Er lachte und ließ dabei die Luft um ihn herum zu Eis gefrieren.

»Wie kann man einen geschenkten Sieg feiern«, sagte Damian kopfschüttelnd.

»Selbst wenn die Soldaten richtig kämpfen würden, würde Adrian sie mit Leichtigkeit besiegen. Das weiß er«, erwiderte Zara.

Damian rümpfte die Nase. »Dass er ein sehr guter Kämpfer ist, macht es nur noch fragwürdiger, dass er zu feige für ein Schlachtfeld ist.«

Zara antwortete nicht und sah dabei zu, wie Adrian sich seinen nächsten Gegner raussuchte.

Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten Zara und Adrian sich mit Holzschwertern im Sand gewälzt. Gelegentlich auch Damian und Adrian. Doch die Zeit lag so weit in der Vergangenheit, dass es Zara vorkam, als wäre es in einem anderen Leben gewesen. Mit anderen Personen.

Der Adrian, der dort auf dem Trainingsplatz stand und seine Männer einen nach dem anderen demütigte, war nicht derselbe Adrian wie damals.

Und sie war nicht mehr dieselbe Zara.

Kapitel 3

Ein Fest in Nicaea war kein Fest ohne die vielen Lichter und bunten Farbexplosionen. Deshalb fanden nicaeische Feste ausschließlich abends statt. Wenn die Sonne sich schlafen gelegt hatte und die Nacht die Lichter und die Farben der Kleidung und der Dekorationen betonte.

Die Stadt war für die Abenddämmerung gebaut. Zu den Abendstunden kam ihre wahre Schönheit erst richtig zum Vorschein. Bei Tag verschmolzen die hellen Fassaden der Häuser und die goldenen, tropfenförmigen Dachkuppeln des Palastes mit der Wüste. Die unzähligen Bogengänge, die Überdachungen aus Leinenstoff und die schmalen Nischen dienten hauptsächlich als Schutz vor der gleißenden Sonne. Doch sobald sie unterging, verwandelte sich alles in eine wunderschön beleuchtete Stadt. Die Nischen wurden mit Laternen ausgelegt, die atemberaubende Schattenspiele an die Häuserwände warfen, und die hohen Bogengänge mit Fackeln versehen.

Ihre Verlobungsfeier fand auf dem großflächigen Platz vor den Toren zum Palast statt. Jeder war eingeladen, Menschen jeder Stellung tummelten sich in ihrer bunten, festlichen Kleidung zwischen den Tischen mit den köstlichsten Speisen und erlesensten Getränken, die Nicaea zu bieten hatte.

Adrian saß in seinem silbrig-blauen Gewand mit einem fellgesäumten Kragen bei ihr und ihren Eltern am Kopfende des Tisches und scheuchte schon den ganzen Abend lang die Diener herum, weil ihm nichts von dem, was sie ihm brachten, schmeckte. Auf seinem weißblonden, von Wellen durchzogenen Haar saß eine schmale Krone aus Silber, verziert mit glänzenden Eiskristallen. Zara unterdrückte den Drang, ihn damit zu erwürgen.

Immer wieder hielt sie Ausschau nach Damian, doch sie entdeckte ihn nirgendwo. Wahrscheinlich saß er allein in den Stallungen bei den Pferden, wo er in Ruhe darüber nachdenken konnte, auf welch schmerzhafte Weisen er Adrian am besten umbringen könnte.

Die Nachricht von ihrer Verlobung mit Adrian hatte sich wie ein Lauffeuer im Land verbreitet, und ein paar unschöne Gerüchte über die Gründe waren zu ihr zurückgehallt.

In Khotan erzählten die Menschen sich, Zara hätte ihr Herz an Adrian verloren und der Prinz hätte sich dazu herabgelassen, auf ihre Avancen einzugehen. In Nicaea machte das Gerücht die Runde, Adrian wolle Zara die Krone stehlen. In Yayama glaubten die Menschen, Zara erwarte ein Kind von ihm.

Einzig die Menschen in der Hauptstadt kannten ihre Prinzessin gut genug, um zu erahnen, was der wahre Grund war.

Der Wein in ihrem Kelch schmeckte auf einmal fade und bitter. Sie stellte ihn vor sich auf den Tisch und ließ ihren Blick über die feiernden Menschenmassen gleiten. Zu sehen, wie ihr Volk an diesem Abend mit einem Lächeln auf den Lippen durch die Nacht tanzte und die Sorgen ihres schweren Alltags vergessen konnte, erinnerte sie an ihre Pflicht, heute Abend eine glückliche Verlobte zu spielen. Nicht für Adrian, sondern für ihr Volk.

Für die Menschen, die ihre Kleidung schneiderten, ihr Essen kochten, sich um ihre Pferde kümmerten, ihre Rüstungen reinigten. Die Menschen, die für dieses Land mindestens genauso, wenn nicht sogar wichtiger waren als sie selbst.

Nicaea war nichts ohne sein Volk.

Das waren die ersten Worte ihres Vaters gewesen, an die sie sich erinnern konnte.

Niemand feierte ihre Verlobung mit dem verhassten Prinzen aus Khotan, vielmehr feierten sie den Frieden, der dadurch gesichert wurde.

Sie feierten die Gewissheit, ihre Kinder nicht in einem Krieg mit Khotan zu verlieren oder zu verhungern, weil der Krieg sie in eine Hungersnot trieb.

Wie könnte Zara ihnen das verdenken?

Die Musik änderte ihren Takt. Aus einem schnellen, freudigen Rhythmus wurde eine langsame, durch die Nacht schleichende Melodie. Die Menschen räumten die Tanzfläche und alle Augen richteten sich auf Zara.

Ihr Vater erhob sich mit der Anmut eines Königs und kam um den Tisch herum. Wie ihre Mutter trug er ein langes Gewand, dass die unterschiedlichsten Rottöne miteinander verband und aus den teuersten Stoffen des Reiches bestand. Ein goldener Gürtel schlang sich um seine schmale Taille und Diamanten in Türkis, Rot und Weiß blitzten bei jeder Bewegung auf. Auf seinem dunklen Schopf thronte die Goldkrone.

»Zara, meine geliebte Tochter«, sagt er, als er vor ihr stehen blieb und in einer geschmeidigen Verbeugung die Hand zu einer Einladung ausstreckte. »Gewährst du mir die Ehre eines letzten Tanzes, bevor du in den Stand der Verlobung übergehst?«

Die nicaeischen Traditionen ließen nur eine Antwort zu. Ein Lächeln formte sich auf Zaras Lippen, als sie die warme Hand ihres Vaters ergriff und um den Tisch herumkam. Ein Raunen ging durch die Gäste, als sie Zaras Kleid das erste Mal in voller Pracht sahen. Der feine Stoff lief an ihrem Körper herunter wie flüssiges Gold. Das Mondlicht zeichnete Muster aus silbrigen Linien auf den goldenen Stoff und geflochtene Armreifen schlagen sich um ihre nackten Arme wie Schlangen.

Ihre langen Haare steckten in einer aufwendigen Flechtfrisur und waren mit einer goldenen Spange, die sie von ihrer Mutter hatte, verziert. Mit dem Kleid und dem Schmuck leuchtete sie wie ein Stern am Nachthimmel.

Als sie mit ihrem Vater auf die Tanzfläche trat, gelang es ihr das erste Mal an dem Abend, die Hochzeit und Adrian zu vergessen. Sie wirbelte um ihren Vater herum, der Stoff des Kleides spielte im Wind und sie fühlte sich in eine andere Zeit zurückversetzt. Den einen Moment tänzelte sie über den steinigen Boden des Platzes und im nächsten schwebte sie als Zehnjährige durch die Gärten des Palastes. Hier hatte ihr Vater ihr einst die nicaeischen Tänze beigebracht.

Sie sah ihn wieder inmitten der bunten Blumen und Pflanzen, wie er sie mit einem stolzen Lächeln beobachtete, während sie um ihn herumtanzte. Zara hörte das Lachen ihres zehnjährigen Ichs in ihren Ohren widerhallen und spürte die Unbeschwertheit in jedem ihrer Schritte. Damals, mit zehn Jahren, war die Welt noch unkompliziert gewesen.

»Du wirst eine wundervolle Königin werden«, riss die Stimme ihres Vaters sie zurück in die Gegenwart. Er ergriff ihre Hand und drehte sie einmal um die eigene Achse. »Du wirst Nicaea in ein goldenes Zeitalter führen.«

»Du hast Nicaea in ein goldenes Zeitalter geführt«, erwiderte sie. »Du hast Nicaea, eigentlich ganz Valeria, von den Dunkelfae befreit. Dank dir haben wir den Großen Krieg gewonnen.«

Das Lächeln ihres Vaters bekam etwas Trauriges. »Ich habe Nicaea in ein Zeitalter des Krieges geführt. Aber du wirst sie in ein Zeitalter des Friedens führen. Deine Mutter und ich glauben fest daran.«

Ihre Beine wurden schwer und sie wäre beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert. Ein so schweres Gewicht legte sich auf ihre Schultern, dass jeder Schritt zum Kraftakt wurde. Zum Glück endete der Tanz. Sie hätte fast erleichtert aufgeatmet.

»Versuch, die Feier zu genießen«, sagte ihr Vater und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er zurücktrat und in den Applaus der Menschen einstieg, den sie erst jetzt bemerkte. Sie deutete eine Verbeugung an und zwang ein Lächeln auf ihre Lippen, als sie zu den Gästen sah. Niemals durfte eine Herrscherin vor ihrem Volk schwach erscheinen. Eine Königin war wie ein Spiegel. Wenn sie Hoffnungslosigkeit und Schwäche ausstrahlte, würde das Volk ihr Verhalten spiegeln und sich davon anstecken lassen.

Stattdessen musste eine Königin dafür sorgen, dass etwas ihrer Stärke auf ihr Volk überging. Dass die Menschen sich an ihrer Hoffnung nähren konnten. Sie musste ihr Licht in der Dunkelheit sein.

Ihr Vater ging zurück zu seinem Platz und ihre Mutter warf ihr ein stolzes Lächeln zu. Die Musik wurde wieder schneller und die Menschen strömten zurück auf die Tanzfläche.

Zara rechnete fest damit, dass Adrian gleich an ihrer Seite auftauchte, immerhin war es Tradition, dass auf den Tanz mit dem Vater der Tanz mit dem Verlobten folgte, doch als jemand von hinten an sie herantrat und sie sich umdrehte, machte ihr Herz einen Sprung.

»Damian!«

Er antwortete mit einem Lächeln. In seinen grauen Augen zeichnete sich das Spiegelbild des Vollmondes ab und seine karamellbraunen Locken fielen ihm auf unwiderstehliche Weise ins Gesicht. Jeder Zentimeter ihres Körpers sehnte sich nach seinen Fingern auf ihrer Haut.

Im Gegensatz zu den anderen Gästen trug er eine einfache Hose und ein lockeres, weißes Hemd anstatt seiner festlichen Kleidung.

»Erweist du mir die Ehre eines Tanzes?«, fragte er und streckte die Hand aus. Das verschmitzte Grinsen auf seinen Lippen löste ein Kribbeln in ihren Fingern aus.

In dem Moment, in dem ihre Hand sich in seine legte und ihre Finger zwischen seine glitten wie ein Schlüssel in ein passendes Schloss, blitzte etwas Silbernes in ihrem Augenwinkel auf.

»Ich glaube, du hast vergessen, dass der nächste Tanz dem Verlobten gehört.« Mit erhobenem Haupt trat Adrian neben sie und streckte seine Hand mit solch einer Selbstverständlichkeit aus, als würde Zara sich nach einem Tanz mit ihm verzehren.

»Wenn wir verheiratet sind, hast du noch genug Zeit, um dich wie ein Mistkerl aufzuführen«, sagte Zara und ignorierte seine Hand. »Gib deiner Arroganz doch noch einen Abend lang frei.«

Adrian lachte und neben ihm erloschen mehrere Kerzen. »Du bist meine Verlobte, nicht seine. Und ich teile nicht gerne.« Seine Stimme glich einer Frostschicht, die sich auf ihrem ganzen Körper ausbreitete.

Zaras Hand tastete nach dem Dolch, den sie an ihrem Oberschenkel trug. »Bezeichne mich nochmal als dein Eigentum und ich schneide dir noch vor dem Ja-Wort die Kehle durch.«

Seine eisblauen Augen richteten sich auf Damian. »Ist sie im Bett auch so blutrünstig?« Adrian legte den Kopf schief und weißblonde Strähnen fielen ihm ins Gesicht. »Oder weißt du das nicht? Hat sie dich nicht rangelassen? Hat sie sich für mich aufgespart?«

Damian machte einen großen Schritt auf Adrian zu und baute sich vor ihm auf. Obwohl Adrian viel schmaler und einen halben Kopf kleiner war, reckte er herausfordernd das Kinn. Die Luft knisterte vor Spannung und Zaras Herz pochte wie wild. Viele begingen den Fehler, Adrian wegen seiner schmächtigen Figur und dem zarten Gesicht zu unterschätzen, doch mit einem Langschwert in der Hand war er so tödlich wie ein Schneesturm.

»Es ist mir egal, welche Titel du hast und ob du eine Krone auf dem Kopf trägst«, knurrte Damian. »Du bist ein elender, arroganter, feiger Mistkerl. Zara hat etwas Besseres verdient.«

»Und du meinst, du wärst das?« Adrian beugte sich zu ihm. »Meine Mutter hat die Hochzeit mit Zara arrangiert. Deine Mutter hätte meiner zuvorkommen können. Ach richtig, ich vergaß, es ist äußerst schwierig, eine Hochzeit zu arrangieren, wenn man fünf Meter unter der Erde liegt.«

Zara griff nach Damians Arm, wohlwissend, was als Nächstes passieren würde, doch ihre Hand griff ins Leere. Damians Faust krachte in Adrians Gesicht und ließ ihn nach hinten stolpern.

»Hör auf!«, rief Zara, doch Damian setzte nach und riss Adrian zu Boden. Der khotanische Prinz lachte nur und zeigte seine blutverschmierten Zähne, als Damian immer wieder zuschlug. Blanke Wut verzerrte seine schönen Gesichtszüge.

»Damian!«, schrie Zara wieder und rannte zu ihm, um ihn von Adrian wegzuziehen, doch sie wurde von den khotanischen Soldaten aus Adrians Leibwache zur Seite gestoßen.

Die Musik verstummte und Damian und Adrian wurden zum Zentrum der Aufmerksamkeit.

Die khotanischen Soldaten packten Damian und zerrten ihn von Adrian weg. Damian schlug um sich und wehrte sich mit seinem ganzen Körper wie ein in die Enge getriebenes Raubtier. Ein schwerer Felsbrocken rollte durch Zaras Magen, doch je mehr Sorge um Damian sie zeigte, desto schlimmer würde die Situation enden.

Adrian rappelte sich auf. Blut tropfte aus seiner Nase und einer Wunde über seinem Auge auf das schneeweiße Fell an seinem Kragen. Seine linke Gesichtshälfte verfärbte sich langsam blau und lila, dort, wo Damians Faust ihn getroffen hatte.

Die blutigen Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, als er auf Damian zu ging und sich dabei die zerzausten Strähnen aus dem Gesicht strich. »Dafür kann ich dich hinrichten lassen, ist dir das klar?«

»Du bist eines nicaeischen Königs nicht würdig!«, zischte Damian zwischen zusammengebissenen Zähnen.

»Und du denkst, du wärst es?«

Damian öffnete den Mund, doch Zara kam ihm zuvor. »Jeder Nicaeaner wäre würdiger als Ihr. Jeder hätte diese Krone mehr verdient.«

Adrians Kopf schnellte zu ihr herum. »Ich verdiene diese Krone. Ihr habt keine Ahnung, wie sehr.«

»Dann beweist es.« Ihr Herz schlug mit jedem Wort schneller. Adrian hatte ihr mit seinen Worten unwissentlich die Tür zu einer Möglichkeit aufgestoßen, die alles verändern könnte.

»Und wie soll ich es beweisen? Soll ich in Eurer Arena kämpfen? Eine Woche in der Wüste überleben? Eine Sandburg bauen?«

Die Welt um sie herum verwandelte sich in einen Kreisel. Ihr wurde schwindelig, als sie begriff, was für eine Möglichkeit ihr da auf dem Silbertablett serviert wurde.

Sie sah ihn mit einem eisigen Lächeln an. »Verspottet ruhig unser Land und unsere Traditionen. Aber Ihr könnt Euch glücklich schätzen, dass wir nicht hundert Jahre in der Vergangenheit leben. Sonst müsstet Ihr die Nikashi überleben, um mich heiraten zu können.«

Adrian schnaufte. »Ich bedauere es, dass Ihr sie nicht mehr abhaltet. Ich würde sie mit Leichtigkeit gewinnen.«

Es waren genau die Worte, die sie brauchte. Die Werkzeuge, mit denen sie Adrian sein Grab schaufeln würde.

Ihre Mundwinkel zuckten. »Ihr habt Recht. Es ist bedauerlich, dass wir die Nikashi nicht mehr abhalten«, schnurrte sie und genoss, wie Adrian Stück für Stück die Gesichtszüge entglitten. Sie drehte sich zu ihren Eltern, die am Tisch saßen und mit stummem Entsetzen dabei zu sahen, was gerade passierte.

»Ihr habt Adrian gehört. Er hegt den Wunsch, sich der Krone von Nicaea würdig zu erweisen. Diesen Wunsch habe ich auch. Auch ich würde den Menschen gerne beweisen, dass ich es würdig bin, ihre nächste Königin zu werden. Darum bitte ich Euch, Adrians Wunsch zu erfüllen.

Aus Respekt gegenüber Khotan.« Sie warf Adrian einen letzten Blick zu. »Das war es doch, was du sagen wolltest, nicht wahr? Dass du gerne beweisen würdest, wie leicht du die Nikashi gewinnen könntest?«

»Ich –« Seine blauen Augen huschten unsicher hin und her. Hilfesuchend. Doch weder seine Eltern noch seine Zwillingsschwester waren hier, um ihn wie sonst immer aus seiner misslichen Lage zu befreien. Sein Stolz ließ nur eine Antwort zu. Und diese Antwort wäre der Schlüssel zu allem. Adrians ausdrücklicher Wunsch, die Nikashi abzuhalten, würde dafür sorgen, dass Khotan im Falle seines Todes nichts gegen Nicaea in der Hand hätte, das einen Krieg rechtfertigen würde.

»Von mir aus«, sagte er schließlich. »Ihr könnt die Nikashi abhalten, warum nicht? Ich habe keine Angst.«

»Ihr habt es gehört«, sagte sie an ihre Eltern gewandt. »Wir sollten den Wunsch des Prinzen respektieren.«

Ihre Eltern tauschten einen langen Blick aus. Eine tiefe Sorgenfalte grub sich in die Stirn ihres Vaters. Seine Sorge spiegelte sich auf dem Gesicht ihrer Mutter, doch Zara sah das unterschwellige Funkeln in ihren Augen. Sie neigte kaum sichtbar den Kopf.

Ihr Vater räusperte sich, bevor er sich erhob und den Stoff seines Gewandes glattstrich. Zara spürte die Anspannung wie kleine Insekten über ihren Körper krabbeln.

Ihr Herzschlag wurde schneller.

Es hing alles von ihren Eltern ab.

»Verehrtes Volk von Nicaea«, verkündete ihr Vater. »Zu Ehren der Kronprinzessin Zara Abdallah wird Nicaea erstmals wieder die Nikashi abhalten, um einen würdigen Ehemann und König auszuwählen! Mögen die Götter uns zeigen, wer würdig ist, die Krone von Nicaea zu tragen!«

Für einen kurzen Augenblick stand die Welt um sie herum still. Ihr Blick fand Damians. Er deutete ein Nicken an, so minimal, dass nur sie es sehen konnte, und sie wusste, sie hatte das Richtige getan.

Sie nahm den Jubel um sie herum erst wahr, als sie sich von Damian losriss.

»Ich freue mich drauf«, sagte Adrian, seine Stimme ein eisiger Hauch. »Aber noch mehr freue ich mich darauf, ihn zum Tode zu verurteilen.« Er nickte in Damians Richtung.

Kalte Angst verengte ihre Brust. »Ihr denkt, Nicaea würde zulassen, dass Ihr den Sohn unseres Generals zum Tode verurteilt?«

»Es gibt nichts, was Nicaea dagegen tun kann. Ich bin ein Prinz, er ist nur ein Soldat. Er ist auf mich losgegangen. Ich habe jedes Recht, seinen Kopf zu fordern.«

»Aber –« Sie schluckte. »Man könnte sagen, die Teilnahme an den Nikashi gleiche einem Todesurteil.«

Adrians Mundwinkel zuckten. »Ihr wollt, dass ich ihn dazu verurteile, an den Nikashi teilzunehmen, damit er so stirbt?«

»Ihr habt nur nach khotanischen Gesetzen das Recht, ihn überhaupt zum Tode zu verurteilen. Nach nicaeischen nicht. Also einigen wir uns auf einen Kompromiss.«

Sie spürte die Blicke ihrer Eltern, die sich in ihren Rücken brannten. Vor dem Volk würden sie ihre Tochter niemals untergraben, immerhin sollte sie eines Tages über dieses Volk herrschen, doch sie konnte schon die Predigt hören, die nach dem Fest auf sie warten würde.

»Gut«, lenkte Adrian schneller ein, als sie gedacht hätte. »Ich stimme Eurem Vorschlag zu. Aber glaubt mir eines, Prinzessin, ich werde dafür sorgen, dass es einem Todesurteil gleichkommt.«

Kapitel 4

»Hast du völlig den Verstand verloren?«, war das Erste, was ihr Vater zu ihr sagte, als sie nach dem Fest in die Gemächer ihrer Eltern kam. »Es gibt Gründe, wieso die Nikashi nicht mehr abgehalten werden. Und dann nimmt ausgerechnet Adrian Lamont daran teil! Khotans ganzer Stolz! Denkst du wirklich, Khotan würde seinen Tod tatenlos akzeptieren?«

»Das müssen sie, wenn er in den Nikashi stirbt. Er nimmt freiwillig –«

»Khotan interessiert sich nicht für die Gesetze der Nikashi!« Die Stimme ihres Vaters grollte durch die Gemächer. Er nahm seine Krone ab, um die andere Hand in seinen Haaren zu vergraben. »Als wäre Adrians Teilnahme nicht problematisch genug, zwingst du Damian auch dazu. Sein Vater ist zutiefst besorgt. Er ist alles, was ihm noch geblieben ist, und jetzt muss er mitansehen, wie sein Sohn in den Nikashi kämpfen wird!«

»Ansonsten hätte Bellinor mitansehen müssen, wie Adrian seinem Sohn den Kopf abgeschlagen hätte!«, erwiderte Zara.

»Zara hat Recht«, wandte ihre Mutter ein. Sie nahm bedächtig ihren Schmuck ab und schob sich die vielen Goldreifen von ihren Armen. »Es war die einzige Möglichkeit, Damian vor der Todesstrafe zu bewahren.«

»Ermutige sie nicht in ihrem Vorhaben!«, meckerte ihr Vater und entlockte ihrer Mutter ein zartes Lächeln.

»Ich ermutige sie nicht, mein Lieber. Aber die Entscheidung wurde getroffen. Die Nikashi finden statt. Mit Adrian und mit Damian, wie es aussieht. Ganz nebenbei waren wir beide es, die ihre Zustimmung für die Nikashi gaben.«

»Aber nur, weil uns keine andere Möglichkeit blieb.« Sein Vater warf Zara einen vorwurfsvollen Blick zu. »Du wusstest, dass wir nur zustimmen konnten. Andernfalls hätte Nicaea schwach gewirkt.«

Schuldgefühle streckten ihre kalten Finger nach ihr aus. »Ich wusste in dem Moment nicht, was ich sonst hätte tun sollen«, sagte Zara. »Es tut mir leid, dass ich euch in diese Situation gebracht habe. Ich–«

»Es ist in Ordnung«, sagte ihre Mutter sanft, aber bestimmend.

»Es ist nicht in Ordnung«, widersprach ihr Vater und warf seine Krone auf das Bett. »Malika, die Nikashi wurden abgeschafft, weil die Königsfamilien nach ihnen zu oft ohne Erben da standen. Es starben zu viele in den Nikashi.«

»Wer in den Nikashi stirbt, ist des nicaeischen Throns nicht würdig«, sagte ihre Mutter. Sie löste die Spangen aus ihren Haaren und ließ sie offen über ihre Schultern fallen. »Denkst du etwa, unsere Tochter wäre nicht würdig? Traust du es ihr nicht zu?«

Zara musste gegen den Kloß in ihrem Hals ankämpfen. Sie hatte unzählige Geschichten über die Nikashi gelesen, doch sie bekam immer mehr das Gefühl, trotzdem nicht zu wissen, worauf sie sich eingelassen hatte.

»Götter ...«, murmelte ihr Vater und griff sich an den Nasenrücken. »Natürlich traue ich es ihr zu. Aber es ist eine Gefahr, die hätte vermieden werden können.«

Hätte sie nicht.

»Zara ist eine Prinzessin, aber auch eine Kriegerin. Sie scheut keine Gefahr, nicht wahr?« Der erwartungsvolle Blick ihrer Mutter fand den ihren und Zara beeilte sich, zu nicken. Ihre Finger begannen mit dem Saum ihres Kleides zu spielen.

»Du hast damals zugestimmt, sie für ihren Wehrdienst zu dem strengsten und brutalsten Stützpunkt Nicaeas zu schicken. Was ist jetzt anders?«, wollte ihre Mutter von ihm wissen.

»Der Wehrdienst ist Pflicht. Ich wusste, dass Zara dort von einer Kriegerin zu einer Anführerin geformt werden würde. Aber die Nikashi sind eine Gefahr, die keinen Nutzen hat. Sie erwirbt dort weder militärisches Wissen, noch stärkt sie dort ihre Führungsqualitäten. Sie riskiert ihr Leben. Für nichts. Sie schuldet dem Volk keinen Beweis, dass sie würdig ist. Sie hat es zu Genüge unter Beweis gestellt.«

»Du machst dir zu viele Sorgen«, sagte ihre Mutter. »Zara wird die Nikashi meistern, weil sie würdig ist, und die Götter werden das erkennen.«

Ihr Vater rang mit den Händen, schnaufte und begann in den Gemächern auf und ab zu laufen. Seine Schritte hallten laut und schwer von den Wänden wieder.

»Zara, Liebling.« Ihre Mutter kam zu ihr und nahm ihre Hände in ihre. Die Wärme in den braunen Augen verdrängte die kalte Angst, die sich in ihrer Brust festgesetzt hatte. »Geh ruhig. Ich werde mit deinem Vater reden. Du hast sicher noch etwas zu erledigen ...« Sie zuckte vielsagend mit den Augenbrauen.

Ein kleines Lächeln schlich sich auf Zaras Lippen. Sie nickte. »Danke. Und es tut mir wirklich leid, in was für eine Situation ich euch vorhin gebracht habe ...«

Ihre Mutter winkte ab. »Zerbrich dir darüber nicht den Kopf.«

Sie nickte erneut und wollte sich abwenden, doch ihre Mutter ließ ihre Hände noch nicht los.

»Ich bin stolz auf dich, Zara. Du hast gehandelt wie eine wahre nicaeische Prinzessin. Dein Vater macht sich nur Sorgen, gib ihm ein paar Tage. Und jetzt ... geh Damian suchen.«

Das Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen. Ihre Mutter ließ ihre Hände los und nach einem letzten Blick zu ihrem Vater verließ sie die Gemächer.

Zara rannte ohne Umwege zu den königlichen Stallungen und sattelte ihren schwarzen Hengst. Der Mond hing wie eine silberne Scheibe vor dem dunklen Himmelsvorhang, als sie durch die Tore der Stadt ritt.

Sie galoppierte durch die pechschwarze Wüste, immer dem unsichtbaren Seil nach, das an ihrem Herzen zog. Ihre Mutter hatte gesagt, sie solle Damian suchen gehen.

Doch sie musste Damian nicht suchen.

Sie wusste genau, wo er war.

Als sie an der Buhaira, ihren heiligen Wasserquellen, ankam, sprang sie aus dem Sattel. Schwaches Mondlicht glitzerte auf der Oberfläche des kleinen Sees, der sich vor ihr erstreckte. Auf der Wiese ringsum wuchsen die schönsten Blumen des Reiches. Ein Schwarm Glühwürmchen schwirrte um eine Ansammlung von magentafarbenen Sandverbenen herum und in der Mitte des Sees durchbrach ein kreisrunder Felsen die Wasseroberfläche.

Die meisten Menschen in Nicaea benutzten ihre heiligen Wasserquellen für das, wofür sie da waren – um zu ihren Göttern zu beten. Damian und sie benutzten sie seit jeher für heimliche Treffen.

Sie fand ihn am Ufer sitzen. Als sie sich neben ihm im hohen Gras niederließ, raschelten über ihnen die Blätter einer Palme. Das Grau seiner Augen ähnelte der Farbe des Mondes, als er auf die Wasseroberfläche des Sees starrte. Die Haut um sein linkes Auge war geschwollen und verfärbte sich langsam bläulich. Bevor Adrians Wachen ihn vorhin vom Fest weggezerrt hatten, hatte Adrian es sich nicht entgehen lassen, ihm noch einmal mit der Faust ins Gesicht zu schlagen.

Zara sagte nichts, als sie ihren Arm um ihn legte und ihn seinen Kopf auf ihre Schulter lehnen ließ. Die Wärme seines Körpers schlug auf sie über. Ihre Finger fanden den Weg in seinen Nacken und kraulten zärtlich durch seine Locken.

»Ich kann das nicht mehr ...«, murmelte Damian. Seine Worte übertönten nur knapp das seichte Plätschern des Sees. »Jedes Mal, wenn ich ihn sehe ... Zara, ich ... ich kann nur daran denken, was er getan hat ... ich sehe sein verfluchtes Grinsen und will ihm das Herz herausreißen ... seit so vielen Jahren muss ich das mit ansehen ... ich kann es nicht mehr.«

»Ich schwöre bei allen sieben Göttern, dass wir ihn in den Nikashi umbringen werden. Zusammen«, raunte sie in seine Locken.

»Zusammen«, wiederholte er.

Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände. Ihr Daumen strich über seine Wange, während ihre Augen in dem grauen Meer vor ihr versanken. »So wie es immer schon war. Wir beide gegen den Rest der Welt, erinnerst du dich?«

Ein Lächeln zog an seinen Mundwinkeln. Dann nahm er ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und küsste sie. Seine weichen Lippen schmeckten nach dem süßen Wein, den er auf dem Fest getrunken hatte, und sie begann dahinzuschmelzen. Sie griff in seine wilden Locken und lehnte sich weiter in den Kuss.

Sie wollte mehr.

Sie wollte ihn.

Damian löste sich irgendwann atemlos und sah sie aus verschleierten grauen Augen an.

»Ich wünschte, ich könnte dich überall küssen.« Seine Stimme streichelte über ihr Herz wie sanfte Finger. »Im Palast, auf den Straßen, wo jeder sieht, dass wir zusammengehören. Ich will, dass die Menschen sehen, dass du mir gehörst.«

Ihre Hand ruhte in seinen Haaren und ihr Herz hüpfte wild umher. »Das ist auch mein größter Wunsch. Aber es geht erst, nachdem wir die Nikashi gewonnen haben. Davor könnte jeder Kuss unser beider Tod bedeuten.«

»Ich weiß. Komm her«, sagte Damian sanft und legte sich auf den Rücken. Keine Sekunde später kuschelte Zara sich in seine Arme und ruhte ihren Kopf auf seine starke Brust. Sie spürte seine Körperwärme und die Hand, die sanft durch ihre langen, schwarzen Strähnen strich, war wie eine beruhigende Melodie. Mit der anderen Hand malte er Kreise auf ihren nackten Bauch, wobei sich seine helle Haut deutlich von ihrer bronzefarbenen absetzte.

Sie schloss die Augen und genoss die Finger, die ihren Körper erkundeten. Sie sehnte sich so sehr danach, seine Finger auch an anderen Stellen zu spüren, dass es weh tat.

Damian hörte plötzlich auf. Seine Muskeln spannten sich an und Zara hob ihren Kopf. Sie hatte das Rascheln auch gehört.

Langsam richtete sie sich auf und griff nach dem Krummdolch an ihrem Gürtel. Damian tat es ihr nach.

Es raschelte wieder. Diesmal ganz in ihrer Nähe. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und sie spitzte die Ohren. Damian deutete auf einen der Büsche, nur ein paar Meter von ihnen entfernt.

Zara verstand ihn sofort und gemeinsam gingen sie auf den Busch zu. Er schien sich leicht zu bewegen, doch das konnte ebenso gut der Wind sein. Das Mondlicht war zu schwach, um vernünftig sehen zu können.

Plötzlich hörte sie ein Knurren. Sie erstarrte und griff den Dolch in ihrer Hand fester. Ein Ast knackte und im nächsten Moment stürzte sich etwas auf sie.

»Zara!«, hörte sie Damian rufen.

Etwas riss sie zu Boden, es klapperte und ein modriger Geruch schlug ihr entgegen. Sie holte mit ihrem Dolch aus, als sie erkannte, was sie da auf den Boden drückte. Ihr Kopf schaltete ab, ihr Herz blieb stehen und sie vergaß zu atmen.

Ein Darakei.

Das lebende Skelett versuchte, mit seinem klappernden Gebiss an ihren Hals zu kommen, doch sie hielt es auf Abstand und stach immer wieder mit dem Dolch zu. Um einen Darakei zu töten, musste man ihm den Kopf abschlagen, aber das ging in ihrer Position nicht.

Der Darakei erwischte sie mit seinen messerscharfen Krallen an der Wange und riss die Haut auf.

»Der Tod kehrt zurück. Der Tod kehrt zurück. Er ist schon auf dem Weg zu euch«, knurrte er immer wieder mit kratziger Stimme. Obwohl seine Augenhöhlen leer waren, hatte Zara das Gefühl, sie sähe dem Tod direkt in die Augen.

Damian verpasste dem Darakei einen kräftigen Tritt, der ihn meterweit zur Seite schleuderte. Innerhalb einer Sekunde war Zara auf den Beinen und bereit zum Angriff. Sie gab Damian ein paar schnelle Handzeichen, bevor sie den Darakei gemeinsam angriffen. Gegen sie beide hatte der Skelettkrieger keine Chance. Sie gehörten zu den besten Kämpfern des Reiches und hatten ihre ganze militärische Ausbildung gemeinsam absolviert.

Es brauchte nur zwei Manöver, bevor Damian den Darakei zu fassen bekam und Zara ihm den Schädel von den knochigen Schultern schlug.

Der Körper fiel klackernd zu Boden und der Schädel rollte bis zum Ufer.

»Götter«, murmelte Damian.

Zara starrte auf den knochigen Körper, den verdreckten dunkelblauen Mantel, den jeder Darakei trug, und hörte noch immer seine Worte in ihrem Kopf. Die Worte, die er gesagt hatte, kratzten ihren Gehörgang entlang wie ein Messer.

Ein Darakei … Wie war das möglich? Die Darakei waren mit der Vernichtung der Dunkelfae und des Todeskönigs verschwunden. Wieso tauchte jetzt plötzlich einer auf?

»Hast du seine Worte gehört? Dass der Todeskönig zurückkehren wird?«, fragte sie leise.

Damian sagte nichts. Stattdessen half er ihr, die Kratzer auf ihrer Wange zu säubern. Als sie fertig waren, befestigte Zara den Schädel des Darakeis an ihrem Sattel und sie galoppierten zurück zum Schloss.

Sie musste ihrem Vater davon berichten.

Kapitel 5

»Was ist passiert?« Der König von Nicaea kam auf sie zu geeilt. »Bist du verletzt?«

»Mir geht’s gut, Vater«, sagte Zara. Der Beutel, in dem der Schädel des Darakei lag, wog schwer in ihrer Hand. Die Kratzer an ihrer Wange brannten immer noch, mehr als eine normale Wunde. Doch die Darakei waren keine normalen Krieger.

»Wir wurden angegriffen«, erklärte Damian und trat neben sie. Sie standen in dem Versammlungsraum ihres Vaters. Das Mondlicht schien durch die vielen Fenster herein und ließ die Wände aus rötlichem Gestein bläulich schimmern.

»Von wem?«, wollte Bellinor Sinclair wissen. Als General der königlichen Streitmächte war es seine Aufgabe, jede Gefahr von der königlichen Familie fernzuhalten. »Damian, von wem wurdet ihr angegriffen?«

Damian wich dem Blick seines Vaters aus und sah zu Zara. Sie atmete tief durch, öffnete den Beutel und kippte ihn aus. Der Schädel fiel mit einem hohlen Geräusch auf den Steinboden und rollte klackernd über das Gestein, bis er direkt vor Nasirs Füßen liegen blieb.

Der Raum wurde still. Für einen langen Moment war nur der Wind zu hören, der um das Schloss heulte.

Zaras Mutter schlug erschrocken die Hände vor ihren Mund, Lord Farouq griff sich entsetzt an seinen reich verzierten Turban und Sinclair wurde noch blasser, als er es ohnehin schon war.

Das markante Gesicht ihres Vaters verhärtete sich. Er bückte sich nach dem Schädel und drehte ihn in seinen Händen.

»Wir wurden von einem Darakei angegriffen«, sagte Zara.

»Seid– seid Ihr sicher?«, fragte Lord Farouq. Der kleine, dickliche Mann trat nervös von einem Fuß auf den anderen und zwirbelte seinen dunklen Spitzbart zwischen den Fingern.

»Ja.« Zara legte all die Autorität, die sie von ihren Eltern gelernt hatte, in dieses eine Wort. »Seht Euch den Schädel an, Lord Farouq. Das ist der Schädel eines Darakeis.«

»Nasir«, sagte Sinclair und sendete dem König eine stumme Nachricht mit seinem Blick.

Zara kniff die Augen zusammen. Irgendwas verschwiegen sie ihr …

»Das heute war nicht der erste Angriff eines Darakeis in Nicaea«, erklärte ihr Vater. Er legte den Schädel auf den großen, runden Tisch und fuhr sich durch sein Haar. »In den letzten Wochen gab es mehrere Angriffe von Darakeis. Mit dem heute sind es sechs Angriffe in drei Wochen.«

Ein gezischtes »Was?« entfuhr ihr, bevor sie sich zurückhalten konnte.

»Wieso habt ihr uns das verschwiegen?«, verlangte Damian zu wissen.

»Um euch nicht zu beunruhigen«, erklärte ihre Mutter.