Dämonentage - Nina MacKay - E-Book
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Dämonentage E-Book

Nina MacKay

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Beschreibung

Düster, sexy und hochspannend! An den letzten fünf Tagen des Jahres, den Dämonentagen, leben die Menschen in Angst und Schrecken: Sobald das letzte Tageslicht versiegt, fallen Dämonen über die Erde her. Wer überleben will, muss sich verstecken. Adriana und ihre Freunde folgen einer Einladung in eine ominöse, aber scheinbar sichere Villa. Doch schon in der ersten Nacht wird klar, dass dieses Jahr einiges anders zu sein scheint: Die Dämonen wollen mit aller Macht in die Villa eindringen und gehen erstmals systematisch und organisiert gegen Menschen vor. Schnell wird klar, dass die Dämonen es auf Adriana abgesehen haben ...

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ISBN 978-3-492-99233-6

© Piper Verlag GmbH, München 2018

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: James Wragg / Trevillion Images; FinePic®, München

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalt

Cover & Impressum

Zitat

1 – Es ging auf …

2 – Inzwischen hatten Adrianas …

3 – »Lass das, Whiskey!« …

4 – Seufzend schaute Adriana …

5 – Ein großer Teil …

6 – Als die Sonne …

7 – Im ersten Moment …

8 – Mit mehr Mut …

9 – Adriana lächelte. Sie …

10 – Ein hochgewachsener Dämon …

11 – Kurz nach der …

12 – Noch nie war …

13 – Eine Weile verharrten …

14 – Ob das das …

15 – Obwohl sie nicht …

16 – In der Kapelle …

17 – Adriana blinzelte. Ihr …

18 – Überrascht von dieser …

19 – Als die ersten …

Danksagung

 

Even the darkest night will end and the sun will rise

Les Miserables

1

Es ging auf die dunkelste Zeit des Jahres zu. Seit Wochen dominierten in den Nachrichten die Warnungen und Verhaltensempfehlungen für die Tage zwischen dem 27. und 31. Dezember und wie in den Jahren zuvor sicherten die reicheren Einwohner von Portland, Oregon, ihre Häuser wie Fort Knox. Metallverstärkte Schutzwände, automatisch absenkbare Eisengitter und Fenster aus Panzerglas konnte sich leider nicht jeder leisten.

Während Adriana Astara auf ihrer Lieblingsbank im Washington Park die letzten Strahlen der untergehenden Sonne genoss, grub sie ihre Finger in die Ärmel ihres Pullovers. Wenn sie hier saß, in der frischen Winterluft, gelang es ihr am besten, die Bilder vom letzten Jahreswechsel zu verdrängen. Sie hatte ihre Lektion gelernt und die Schrecken würden sich dieses Jahr nicht wiederholen. Sie zog die Beine an und legte dann ihren Kopf auf den Knien ab. Trotz des bevorstehenden jährlichen Ausnahmezustands versprühte der Washington Park für Adriana den Charme eines himmlischen Paradieses. Hier hatte sie die schönsten Tage ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter verbracht. Wie viele Picknicke hatten sie im Schatten der Statue von Sacajawea veranstaltet? Die Indianerin hatte den ersten Track Europäer nach Westamerika geleitet. Adriana hob den Kopf, um Sacajawea zu betrachten. Momente puren Glücks zogen an ihrem inneren Auge vorbei. Ja – damals, in ihrer frühen Kindheit, war sie noch glücklich gewesen. Wenigstens versuchten die Erinnerungen ihr das vorzumachen. Wieder seufzte Adriana, als sie an ihre Mutter dachte.

Doch viel Zeit für Sentimentalitäten blieb ihr an diesem Abend nicht mehr. Unerbittlich schritten die Minuten am 27. Dezember 2019 voran. Bald würde sie loslaufen müssen, denn sie hatte eine Einladung von Mr Peterson, dem ehemaligen Leiter ihres Kinderheims, angenommen, sich in den kommenden Nächten bei ihm zu verstecken. Adriana zog ihre graue Kapuzenjacke enger um sich. Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Mr Peterson hatte sogar erlaubt, dass sie ihre drei besten Freunde mitbrachte. Rico, Dakota und Eloy. Bei dem Gedanken an Eloy erwärmten sich ihre Wangen trotz der Winterluft. Er würde fünf ganze Nächte mit ihr in einer Villa verbringen. Oh ja, diese Dämonentage würden so viel besser werden als die letzten! Gerade als sie aufstehen wollte, wehte ein Flugblatt gegen ihr Schienbein. Es war eins der typischen Dämoneninformationsblätter, die das BKOD jedes Jahr herausgab. Normalerweise ignorierte sie dieses Wurfmaterial vollkommen, aber das hier sah irgendwie anders aus. Sie langte nach dem Zettel und warf einen Blick darauf.

Auf der Vorderseite befanden sich die Onlinekontakte und Telefonnummern der Behörde für Kontrolle von oberirdischen Dämonenaktivitäten sowie die üblichen Warnungen, mindestens eineinhalb Stunden vor der Darkness Hour einen sicheren Ort aufzusuchen, entweder auf dem geweihtem Boden eines Gotteshauses oder in einem ausreichend gesicherten Gebäude. Auf der Rückseite hatten findige Zeichner eine Übersicht der verschiedenen Dämonenarten erstellt. Aus einer Laune heraus faltete sie das Blatt zusammen und steckte es sich in die hintere Jeanstasche.

Energisch wischte sie den Gedanken an die Geschöpfe der Hölle beiseite. Sie musste los. Sobald der letzte Sonnenstrahl verschwand, würden die Dämonen wie Fledermäuse über die Welt hereinbrechen. Für ihre Freunde hatte sie eine Wegbeschreibung aufgemalt. Obwohl es Navi-Apps gab, hatte sie lieber auf diese selbst gemalte Karte gesetzt, denn manchmal funktionierten die Holomaps während der Dämonentage durch die Netzüberlastung nicht. Adriana sprang auf. In der Tat, sie musste sich jetzt wirklich beeilen. Schnell zog sie ihre Kapuzenjacke bis zum Kinn zu und strich sich die braunen Haare hinter die Ohren. Vielleicht war es das Beste, wenn sie die Strecke größtenteils rennend zurücklegte.

Als wäre eine Horde Deltas hinter ihr her, sprintete sie kurz darauf durch den Park Richtung Süden. Im Laufen warf sie einen letzten Blick zurück und bemerkte, wie ein zweites Dämonenflugblatt davongeweht wurde und im Gesicht der bronzenen Statue von Sacajawea landete.

 

Laut vor sich hin schnaufend erklomm Adriana den Hang, der zwischen dem Washington Park und dem Council Crest Park lag. In der Ferne hörte sie Sirenen aufheulen. Das BKOD machte darauf aufmerksam, dass die Darkness Hour nahte. Leider konnten sie nicht viel mehr als das für die Bewohner der Stadt tun.

Während sie in einen leichten Trab verfiel, vergrub Adriana ihre Finger in ihrem Kapuzenpullover. Die sanfte Winterkälte Portlands machte ihr nicht viel aus. Mittlerweile sank die Temperatur nur noch selten unter zehn Grad in der kalten Jahreszeit. Aber selbst wenn niemand mehr im Winter erfror, sicher waren die Menschen in Portland und auch auf der ganzen Welt deshalb nicht während der fünf letzten Tage im Jahr.

Ihre Mutter hatte behauptet, dass die Engel eines Tages auf die Erde zurückehren würden, um den Dämonen Einhalt zu gebieten. Dass alles besser werden würde mit den Jahren. Daran glaubten die älteren Generationen der Menschheit, denn sie kamen aus einer Zeit, in der es noch keine Dämonentage gegeben hatte. Aus einem Leben, in dem die Engel noch über die Menschen gewacht hatten. Oh, wie sehr wünschte sich Adriana, dass ihre Mutter recht behalten sollte. Dass diese grässlichen Tage irgendwann für immer enden würden. Denn das Einzige, was Dämonen fürchteten, vielleicht abgesehen von Halbdämonen, waren Engel …

Langsam, aber sicher ging Adriana die Puste aus. Unter einer Straßenlaterne, die gerade flackernd ansprang, gönnte sie sich eine kurze Verschnaufpause. Während sie sich am Laternenmast festhielt, sog sie so viel Sauerstoff wie möglich in ihre Lungenflügel. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass ihr noch 47 Minuten bis zur Darkness Hour, der völligen Dunkelheit, blieben. Okay, das würde reichen und gleich würde sie in Sicherheit sein und ihre drei besten Freunde treffen, um mit ihnen gemeinsam die kommenden Nächte durchzustehen. Wobei Eloy für sie mehr war als nur ein Freund. Eloy war … Eloy. Ein kleines Lächeln stahl sich auf Adrianas Lippen, als sie an seine mandelfarbenen Augen und den braunen Wuschelkopf dachte, der es ihr besonders angetan hatte. Doch dieser angenehme Gedanke wurde schnell wieder von Sorgen überschattet: Was, wenn Eloy nicht auftauchen würde? Nein, das durfte nicht sein. Aber leider war es durchaus möglich, dass er ein besseres Angebot erhalten hatte, denn der Nordwesten hatte einen gewaltigen Nachteil: Der Zoo lag in diesem Viertel. Selbst jetzt meinte Adriana, Papageiengeschrei wahrzunehmen. Und Dämonen liebten den Geruch von verängstigten Tieren. Die Stadtverwaltung hatte enorm viel Geld ausgegeben, um die Tiergehege zu sichern, doch sie konnte sich daran erinnern, wie sich vor sechs Jahren zwei Dämonenclans zusammengetan, gemeinsam das Affenhaus des Zoos geknackt und sämtliche Tiere dort gefressen hatten. Adriana schüttelte sich, als die Bilder des Affenmassakers, die überall durch die Presse gegangen waren, sich erneut vor ihr inneres Auge schoben.

Und doch hatte es letztes Jahr diesen Vorfall bei der Christ Venia Church gegeben, der Adrianas Wahrnehmung von den Dämonen teilweise verändert hatte …

Schnell schob sie die aufkommenden Erinnerungen aus ihrem Kopf.

In Gedanken versunken summte Adriana vor sich hin, ohne es wirklich zu bemerken, bis sie ihre eigene Melodie erkannte. Unbewusst hatte sie das Dämonenkinderlied angestimmt, das sie in früheren Jahren häufig gesungen hatte. Wieder grub sie ihre Fingernägel in den Saum der dicken Kapuzenjacke. Bevor ihre Mutter vor dreizehn Jahren in einer Dämonennacht ums Leben gekommen war, hatte sie Adriana ein Lied beigebracht, das bereits die Kleinsten auf die alljährlichen Dämonentage vorbereiten sollte. Dabei zählte man die Dämonen an den Fußzehen ab, wobei man beim kleinen Zeh begann:

 

… den Omega musst du fürchten als Einzigen nicht. Er kann nicht beißen und ist kaum größer als ein Kürbis – der kleine Wicht …

… vor dem Delta dagegen nimm dich in Acht, er erschnuppert deinen Geruch und weiß immer, was du machst …

… wenn der Gamma dich packt, sag Auf Wiedersehen zu deinem Fuß, er ist ab, bevor du nach Hause schicken kannst einen Gruß …

… an einem Beta ist mehr als nur spröder Sand, er tötet dich als seines Alphas rechte Hand …

… zum Schluss sei gewarnt vor dem Alpha der Runde – hat er dich erwählt, gehört ihm dein Herz am Ende der Stunde.

 

Während sie sich bemühte, ihre Tränen zurückzuhalten, umklammerte sie mit der rechten Hand das Amulett mit dem Foto ihrer Mutter, das immer an einer silbernen Kette um ihren Hals hing. Genauso wie die Kette trug Adriana auch den Brief ständig mit sich herum. Den Brief, der ihr nach dem Tod ihrer Mutter von einem Notar übergeben worden war. Zu diesem Zeitpunkt war sich Adriana der Anwesenheit des Briefes in ihrer Geldbörse deutlich bewusst. Wie man eine Narbe auf der Haut wahrnahm. Es waren zugleich liebevolle wie auch verstörende Zeilen. Ihre Mutter hatte Andeutungen auf ihren Vater und – wenn sich Adriana nicht ganz täuschte – auch auf ein Familiengeheimnis gemacht.

Eine Weile gab sie sich diesen trübsinnigen Gedanken hin. Am Ende der diesjährigen Dämonentage würde sie es erfahren. Dann würde der Notar ihr den zweiten Brief aushändigen, der hoffentlich mehr erklären würde. Genau an ihrem achtzehnten Geburtstag.

 

Kurze Zeit später erreichte Adriana die südlichen Ausläufer des Council Crest Parks und blickte unwillkürlich nach rechts, denn sie hoffte ihre Freunde, die von Westen kommen sollten, dort auftauchen zu sehen, aber natürlich waren sie noch nicht hier. Sie warf einen Blick auf ihr Handy. Kein Netz. Selbstverständlich nicht. Jetzt versuchten alle Menschen, ihre Lieben zu kontaktieren. Also konnte sie ihren besten Freund Rico nicht anrufen. Sie musste sich auf ihr Glück und die selbst gemalte Karte verlassen, die sie den anderen im Café zugesteckt hatte. Es würde schon alles gut gehen. Dieses Jahr hatte sie einen festen Unterschlupf.

Mit gemischten Gefühlen lief Adriana weiter, über die reichlich zugewachsenen Wege in diesem verwilderten Teil des riesigen Parks, während ihr das Herz bis zum Hals klopfte. Es brachte nichts, hier stehen zu bleiben und zu warten. Am Ende würden sie sich noch verpassen, wenn ihre Freunde einen anderen Weg einschlugen.

Seufzend konzentrierte sie sich wieder auf den Pfad vor ihr, der recht uneben und gewunden verlief. Ein wenig fühlte man sich in den Parks und Wäldern Portlands immer wie in einen Märchenwald versetzt. Sie achtete auf größere Steine, die überall zwischen den Kieseln herumlagen. Wenn sie jetzt auf diesem dunklen Parkweg stolperte und sich den Knöchel verstauchte, war sie geliefert! Sie befahl sich selbst, langsamer zu gehen. Schließlich hatte sie sich vorgenommen, in diesem Jahr keinen Fehler mehr zu machen. Wenn sie jetzt hinfiel … In dem grünen Dickicht am Wegesrand konnte sie sich zwar verstecken, aber sobald sich Dämonen in der Nähe aufhielten, würden sie sie wittern können.

Nach ein paar Schritten passierte sie die Blechstatue einer Frau, die ein Kind in die Luft warf, und auf einmal beschrieb der Weg vor ihr eine Kurve. Oh, gut, da vorne ragte die Villa, die ihr Mr Peterson beschrieben hatte, hinter einem Metallzaun empor.

Wow, was für eine imposante Hütte!, ging es ihr durch den Kopf. Mr Peterson hatte wirklich eine gute Partie gemacht! Nun verstand Adriana auch, warum er nicht länger als Kinderheimleiter arbeitete. Seine neue Frau besaß anscheinend genug Geld für sie beide. Die zweistöckige gelbe Villa konnte mit einer weitläufigen, gepflegten Auffahrt umrahmt von Blumenbeeten und Rasenflächen im Stil englischer Gärten aufwarten. Ganz vorne am Zaun stand eine Hundehütte, die mit Sicherheit größer war als Adrianas Badezimmer. Die Villa präsentierte sich mit zwei Marmorsäulen im Eingangsbereich, wirkungsvoll von versteckten Strahlern in Szene gesetzt. Zögerlich klingelte Adriana am Tor. Dabei fühlte sie sich wie der Gast eines Filmstars in den Hollywood Hills.

Lautes Hundegebell ertönte. Die Haustür wurde aufgerissen und ein schwarzer Labrador, gefolgt von einem Jack Russel Terrier, schoss daraus hervor.

»Tequila! Whiskey!«, schrie eine Frauenstimme ihnen hinterher, doch davon ließen sich die Hunde nicht beeindrucken, sondern sausten die Einfahrt hinunter. Adriana blickte auf. Eine Frau in den Vierzigern, ebenso blond wie sonnengebräunt, stand in der Tür. Die geschätzten zwei Tonnen Schmuck, die sie an Armen, Hals und Ohren trug, reflektierten das Scheinwerferlicht so penetrant, dass es Ariana nicht gelang, die Dame von hier aus genauer in Augenschein zu nehmen.

Vor Adriana saßen nun schwanzwedelnd die beiden Alkoholsorten und warfen ihr neugierige Blicke zu.

»Hi, ich bin Adriana Astara …« Sie sagte es zu der kleinen Metallplatte mit den Schlitzen darin, von der sie vermutete, dass es sich um die Gegensprechanlage handelte.

»Ja, aber sicher bist du das, Schätzchen.« Die Stimme der Frau klang blechern aus dem Lautsprecher, aber Adriana glaubte von hier aus ahnen zu können, dass ihre Gastgeberin sie anstrahlte. »Und ich bin Molly Svensson. Komm rein.«

Mollys Akzent klang irgendwie europäisch, womöglich stammte sie aus Schweden, vermutete Adriana.

»Harry erwartet dich schon.«

Oh gut. Das Tor vibrierte und öffnete sich dann, indem es nach links rollte. Ja, dieses Haus stank geradezu nach Geld. Adriana würde aufpassen müssen, dass Dakota, die wahnsinnig flinke Finger hatte und zur Kleptomanie neigte, nichts mitgehen ließ.

Mit klopfendem Herzen und begleitet von den beiden Hunden lief sie der Hausherrin entgegen. Jetzt konnte sie auch das freundliche Gesicht und die strahlenden blauen Augen von Molly besser erkennen. Der Anstieg der langen Auffahrt ließ sie beinahe schon wieder keuchen. Sobald Adriana näher kam, nahm sie eine dezente Wodka-Wolke wahr, die wie eine Aura um diese Frau schwebte. Langsam erschienen ihr die Hundenamen gar nicht mal mehr so abwegig …

»Können wir das Tor auflassen? Meine Freunde kommen gleich. Es könnte etwas knapp werden vor Einbruch der Dunkelheit.«

»Oh, Schätzchen, ihr jungen Leute seid immer so spät während der Dämonentage! Mir ist wirklich schleierhaft, warum das bei euch Mode ist. Aber gut. Wir fahren die Sicherheitssysteme hoch, lassen das Tor und die Haustür jedoch vorerst ungesichert. Eine Minute vor der Darkness Hour sichert das Alarmsystem aber automatisch alles ab. Dann kommt niemand mehr rein. Ausgeschlossen.«

Ach, verdammt. Aber es stimmte schon. Die meisten Teenager in der Stadt verließen sich mit selbst überschätzender Zuversicht darauf, dass ihnen schon nichts passieren würde. Nein, immer nur die anderen erlebten unaussprechliche Dämonenangriffe. Die Prozentzahl derer, die das Ganze nicht ernst nahmen oder sogar als Nervenkitzel ansahen, lag nur unwesentlich über der Menge junger Leute, die der Ansicht waren, die Dämonen hätten sich sogar vor ihnen selbst in Acht zu nehmen. Erst neulich hatte Adriana eine Gruppe Highschool-Footballspieler im Café bedient, die genau diesen Satz wieder und wieder gejohlt hatten. Sich schon viel früher zu verstecken als nötig galt als extrem uncool.

Adriana warf einen Blick auf den Park auf der anderen Straßenseite. Hoffentlich schafften es ihre Freunde rechtzeitig. Leider mussten sie wohl heute zur Statistik beitragen und Mollys Behauptung bestätigen, dass junge Leute die Dämonentage zu oft in schöner Sorglosigkeit begingen. Adriana war da leider keine Ausnahme gewesen und hatte ihr leichtsinniges Verhalten bereits unglaublich teuer bezahlen müssen.

Der Jack Russel Terrier wählte ebendiesen Moment, um wie ein Flummi an Adrianas Beinen emporzuspringen.

»Das ist unser Hund Tequila und der kleine Hüpfball da heißt Whiskey.« Molly deutete zuerst auf den Labrador und dann auf den Jack Russel, der weiter unermüdlich an Adrianas Bein hochsprang. Aha. Am Ende der Nacht würde sie eine neue Jeans brauchen, wenn das so weiterging.

»Entschuldige, wir haben die beiden noch nicht lange und daher noch keine Zeit gehabt, sie zu erziehen. Unsere Perserkatze heißt übrigens Batida de Coco. Aber wir rufen sie meistens Coco«, erklärte Molly.

In diesem Haus schien Alkohol eine große Rolle zu spielen.

»Harry! Adriana ist hier!«, schrie Molly in Richtung der riesigen marmornen Treppe, die in den ersten Stock führte.

Keine drei Sekunden später tauchte Mr Peterson am oberen Ende der Treppe auf. »Adriana! Schön, dass du da bist.«

Ja, das fand Adriana auch, schließlich wirkte diese Villa sicherer als alle anderen Privathäuser, die sie bisher gesehen hatte. Molly hatte sich offensichtlich für die De-luxe-Version der Sicherheitssysteme entschieden. Vor jedem Fenster und jeder Tür prangten Panzer- oder Stahlplatten, die man, wie sie aus Fernsehbeiträgen wusste, per Fernsteuerung davorfahren lassen konnte. Neben der Haustür in einer Nische hatte Adriana das dazugehörige Kontrollzentrum erspäht. Zusätzlich befanden sich neun Kameras rund um das Haus verteilt, das zeigte zumindest der Monitor an, der in neun kleine Bilder unterteilt war.

»Ich dachte, du bringst deine Freunde mit.«

»Hi, Mr Peterson, meine Freunde kommen gleich nach.« Adriana räusperte sich. »Vielen Dank für die Einladung. Ich bin sicher, dieses Haus ist das am besten geschützte in ganz Portland.«

»Nenn mich bitte Harry.« Mr Peterson, beziehungsweise Harry, hatte nun die unterste Stufe erreicht. »Wir sind ja nicht länger in St. Tanael.«

Molly warf ihm einen Blick unter ihren perfekt nachgezogenen, leicht angehobenen Augenbrauen zu, den Harry jedoch zu ignorieren schien.

»Gut, aber wenn deine Freunde nicht innerhalb der nächsten zwölf Minuten auftauchen, sieht es schlecht für sie aus. Das Sicherheitssystem ist programmiert …«

»Na ja«, meinte Molly. »Wir könnten es auf Sommerzeit umstellen und manuell schließen, sobald ihre Freunde da sind.«

»Hältst du das für eine gute Idee, Molly? Das hört sich recht … waghalsig an.«

Wieder hob Molly eine Augenbraue. »Willst du schuld daran sein, dass drei Teenager in unserem Vorgarten gefressen werden?«

Harry kratzte sich über seinen bereits ergrauten Fünftagebart. Im Vergleich zu Molly war er nur halb so attraktiv mit seiner Halbglatze und Brille. Was eine gut betuchte und hübsche Frau wie Molly wohl an ihm fand?

»Ja, du hast recht, Schatz. Wie immer. Im Notfall werde ich das System austricksen und auf den 27. März programmieren. Da geht die Sonne erst viel später unter.«

»Wie?«, wollte Adriana wissen.

»Ganz einfach. Man geht an der Tastatur auf Zeiteinstellung und ändert den Dezember auf März um. Geht ganz schnell. Wir lassen das System scharf. Es ist darauf programmiert, eine Minute vor der jeweiligen Darkness Hour alle Eingänge zu sichern. Normalerweise schalten wir es natürlich nur während der Dämonentage scharf oder wenn wir in Urlaub fahren.«

Okay, das war zumindest ein kleiner Lichtblick.

»Gut.« Molly klatschte in die Hände. »Möchtest du etwas trinken, Schätzchen? Du musst doch Durst haben?«

Adriana nickte. »Das wäre nett.«

Molly, die ihr freundlicherweise den Rucksack abnahm und ihn an Harry weiterreichte, führte sie in das angrenzende Wohnzimmer, aus dem jeder Innenausstatter mit einem Hauch von Berufserfahrung mindestens die Hälfte der Perserteppiche entfernt hätte. Auf sämtlichen Regalen, Kommoden und Beistelltischen drängten sich vergoldete Keramikfigürchen.

Ach, du Schreck. Anscheinend hatte jeder so seine eigene Methode, Dämonen auf Abstand zu halten … Trotzdem nahm sich Adriana, nachdem sie beinahe über den durch ihre Beine hindurchflitzenden Whiskey gestolpert wäre, ein Glas vom Couchtisch und füllte es mit Cola. Danach ging sie mit dem Glas und ihrem Handy zurück zur offenen Haustür, wo sie gemeinsam mit Harry hinaus in den immer dunkler werdenden Abendhimmel starrte.

»Noch neun Minuten«, informierte Harry Adriana.

Ach, verflucht! Warum kamen sie denn nicht? Sollte irgendetwas schiefgegangen sein?

Tequila, der Labrador, kam angeschlendert und schnüffelte an Adrianas Sportschuh.

Whiskey schoss ab und zu wie eine Gewehrkugel in den Garten und musste dann jedes Mal von Harry zurückgepfiffen werden.

Schneller, schneller! Unruhig tappte Adriana mit dem Fuß auf den Boden, was Tequila dazu veranlasste, in die wippenden Schnürsenkel zu beißen.

Wo seid ihr?

 

tippte sie in ihr Handy. Glücklicherweise ging die Nachricht sofort raus. Netz war in diesem Augenblick ausreichend vorhanden.

Gleich da.

 

schrieb Dakota direkt zurück.

Gleich? Wann war gleich?

»Noch vier Minuten!« Harry bewegte sich in Richtung seines Kontrollzentrums. »Mach dir keine Sorgen. Die Dämonen treiben sich immer zuerst in der Innenstadt herum, wo es mehr Menschen gibt«, versuchte er Adriana zu beruhigen. »Deine Freunde haben sicher noch ein paar zusätzliche Minuten.«

Von hinten legte ihr Molly eine Hand auf die Schulter.

»Oder wir haben Glück und ein Halbdämon wohnt in der Nachbarschaft«, scherzte sie. »Dann werden die Dämonen die Gegend hier meiden.«

Wahnsinnig komisch.

Dass Molly in diesem Moment Witze machen konnte! Aber es stimmte. Unglaublich, aber wahr: Dämonen fürchteten sich wahnsinnig vor Halbdämonen, denn es hieß: Wenn ein Halbdämon, der halb Mensch und halb Dämon war, seine menschliche Seite ablegte, indem er alle Zehn Gebote Gottes brach, stieg er direkt zu einem der stärksten Alpha-Dämonen auf und musste sich nicht erst vom Omega aus hocharbeiten. Außerdem waren sie gefürchtet, weil sie offenbar gern einfach einen anderen Alpha-Dämon töteten, um dann dessen Dämonenclan zu übernehmen. Na ja, so was kam allerdings äußerst selten vor, denn es gab nicht gerade viele Halbdämonen, wie man so hörte. Obwohl es Adriana recht einfach erschien, alle zehn Gebote zu brechen – bis auf das Töten selbstverständlich. Zumindest für ein Kind, das im Heim aufgewachsen war, so wie sie, war es normal, alle anderen Gebote wie »Du sollst nicht stehlen« zu brechen. Außerdem begehrte Adriana Eloy nun schon seit zwei Jahren und zu Anfang war er noch mit ihrer damaligen Freundin Cassy zusammen gewesen. Also hatte Adriana damit auch das Gebot »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau oder Mann« gebrochen. Und dann war da noch die Sache mit ihrem Lehrer gewesen …

Adriana erschauerte. Eloy … Sie hätte alles dafür gegeben, wenn Eloy in diesem Augenblick durch die Baumreihen des Parks gebrochen wäre. Eloy … Wo steckte er nur?

»Noch zwei Minuten«, sagte Harry.

Die Sekunden flogen dahin, während Harry und Adriana an der Tür standen und in Richtung Park starrten. Die Dämmerung zog sich zu. In jeder Sekunde immer mehr ins Tintenschwarze. Die Bank vor dem kleinen Wäldchen, das zum Park gehörte und durch das Adriana gelaufen war, zeichnete sich nur noch als schwache Silhouette ab. Lediglich die Laternen auf dem Bürgersteig warfen hier und da einen Lichtkegel auf den Boden.

»Es ist so weit«, meine Harry schließlich. »Ich muss das Sicherheitssystem austricksen. Hoffentlich sind keine Dämonen in der Nähe …« Er ging hinüber zu seinem Schaltpult.

»Na, es wird schon nichts geschehen.« Für die Zuversicht in Mollys Stimme musste Adriana Harrys Ehefrau einfach bewundern.

2

Inzwischen hatten Adrianas Fingernägel tiefe Furchen in ihre Handballen gegraben. Das konnte doch nicht wahr sein! Wieso ihre Freunde? Warum hatten sie das alles nicht besser geplant? Verdammt, Adriana, die Dämonentage sind kein Kindergeburtstag!

Wenn Eloy, Dakota und Rico gefressen wurden …

Das Rolltor über der Tür bewegte sich.

»Harry?«

Adrianas Kopf ruckte herum. Jetzt klapperte es auch vor den Fenstern im Wohnzimmer, als sich dort die stählernen Sicherheitsrollläden senkten.

»Stopp!« Adriana griff sich in ihre Haare, die schon völlig zerwühlt waren. »Haltet das auf!«

»Ich versuche es ja, aber irgendetwas klemmt hier …«, murmelte Harry. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Sicherheitsrollo schon zu einem Viertel über die Türöffnung gesenkt. Aber immerhin war das Tor an der Einfahrt noch offen.

Adriana nahm eine Bewegung in den Büschen im Park wahr, nicht mehr als verwischte Schatten. Etwas kam auf sie zu. Scheiße! Verwirrt warf sie einen Blick auf Harry, der nun wild auf das Schaltpult einhämmerte.

»Blödes Ding, mach endlich, was ich sage!«

War es vielleicht besser, einfach das Sicherheitssystem alles verriegeln zu lassen, bevor ein Dämon angesprintet kam und Harry fraß? Das hatte ihr Gastgeber wirklich nicht verdient. Aber dann waren ihre Freunde auf sich allein gestellt.

Doch diese Entscheidung wurde Adriana abgenommen. Gerade als die Tür schon halb verriegelt war, sprangen ihre Freunde aus dem Dickicht des Parks.

»Hier drüben! Schnell!« Adriana bückte sich, um ihren Freunden zu winken, während sich das Stahltor unaufhaltsam weiter senkte. Dakota bemerkte sie als Erste und zeigte den Jungs, wo es langging. Zu dritt rannten sie über die große Wiese des Parks auf die Auffahrt der Villa zu.

Unruhig knetete Adriana ihre Hände.

»Harry, der Stuhl!«

»Wie?«

Doch Adriana wartete nicht, bis er verstand, sondern zog den Metallstuhl einfach unter Harrys Hintern weg, um ihn zwischen Rollo und Türschwelle zu klemmen. Es funktionierte. Das Rollo ratterte, aber der Stuhl hielt es auf. Vorerst zumindest … Schon wollte Adriana aufatmen, doch dann bemerkte sie, dass der Stuhl sich bereits leicht verbog.

»Showtime«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr. Es war Molly. »Die Dämonentage haben soeben begonnen.«

Als hätten Tequila und Whiskey die Worte verstanden, rannten sie jaulend von der Eingangshalle der Villa zurück ins Wohnzimmer, wobei sie sich immer wieder hektisch umschauten.

»Schneller!«, rief Adriana ihren Freunden zu. Eloy, Rico und Dakota rannten, als wäre der Teufel hinter ihnen her, na ja, oder seine Ausgeburten der Hölle eben. Im Licht der Parklaternen erinnerten Dakotas Haare an die Farbe von Butterblumen. Auf einmal blitzten grüne Augen hinter ihnen aus den Büschen.

Scheiße, Delta-Dämonen!

Um nicht umzukippen, musste sich Adriana an Mollys Arm festklammern. »Lauft schneller!«

Zeitgleich durchbrachen die ersten Deltas die Baumreihen und hetzten Adrianas Freunden hinterher. Ihre schwarzen Jagdhundkörper waren in der hereinbrechenden Dunkelheit kaum auszumachen. Nur ihre neongrün leuchtenden Augen und ihr ebenso grün leuchtender Sabber, der aussah, als handele es sich dabei um eine verstrahlte Flüssigkeit, hoben sich von der nachtschwarzen Umgebung ab.

»Nicht umdrehen! Lauft!« Vor Aufregung vergaß Adriana fast zu atmen.

Die Deltas heulten, wahrscheinlich um den anderen Dämonen anzuzeigen, wo es etwas zu fressen gab. Tatsächlich tauchten wie aus dem Nichts plötzlich überall im Park rote und orangefarbene Augen auf, die so durchdringend leuchteten, dass sie es bis hierhin sehen konnte.

»Scheiße!«, fluchte Adriana.

»Das schafft ihr, Kinder, los!« Inzwischen kniete auch Harry im Türrahmen, um unter dem halb geschlossenen Stahlschutz-Rollo hindurchzusehen.

Dakota rannte, den Blick fest auf die Tür gerichtet. Dagegen machte Rico den Fehler, einen Blick über die Schulter zu werfen, was ihn aufkeuchen und dann stolpern ließ. Oh nein!

»Steh wieder auf!«, kreischte Adriana.

Beinahe schien es so, als ob Rico von den Dämonenaugen paralysiert worden wäre, denn er bewegte zunächst keinen Muskel. Doch dann rappelte er sich wieder hoch, rückte seine Nerdbrille zurecht und rannte weiter.

»Rico, du schaffst das!«, feuerte Adriana ihn an.

Sobald er das offene Tor zur Einfahrt passiert hatte, drückte Molly auf einen Knopf an der Wand, worauf sich das schmiedeeiserne Tor zur Auffahrt langsam schloss. »Das wird sie nicht aufhalten, aber uns ein paar zusätzliche Sekunden verschaffen«, murmelte Molly.

Ein durchdringendes Krachen ließ sie alle zusammenfahren. Der Stuhl hatte nachgegeben. Verdammt. Das Sicherheitsrollo sank unaufhaltsam weiter nach unten.

»Harry!«, schrie Adriana. »Halt das auf!«

Wieder krachte es, als die ersten Delta-Dämonen gegen das Tor prallten. Einige schafften es mit Anlauf darüberzuspringen. Für die Gammas, die jetzt auftauchten, stellte das Tor überhaupt kein Problem dar. Adriana beobachtete, wie vier von ihnen einfach darüber hinwegsegelten. Schwebende Fetzengestalten mit orange leuchtenden Augen. Adriana schüttelte sich, während sich neben ihr Molly an ihre dicken Halsketten griff.

Zwei Betas folgten den Gammas. Sie kletterten geschickt über den Zaun wie leichtfüßige Mumien ohne jegliche Bewegungseinschränkungen.

»Kommt schon!« Dakota und Eloy hatten die Tür fast erreicht, die nun zu drei Vierteln verschlossen war. Mit letzter Kraft, wie es schien, schlitterten die beiden durch die Öffnung ins Innere der Villa.

»Rico!« Entsetzt wandte sich Eloy zur Tür um.

Adriana drückte sich neben ihn auf den Boden.

Die Deltas waren gefährlich nah an Ricos Hosenbeinen dran. Oh, verflucht! Die beiden Betas, die jetzt die Auffahrt emporsprinteten, würden ihn innerhalb von Sekundenbruchteilen töten.

»Beeil dich!«, brüllte Eloy.

»Schneller!« Adriana streckte eine Hand durch die Öffnung, die jetzt nur noch etwa eine halbe Armlänge maß. Für wenige Sekunden fühlte sie sich in die Dämonennacht vor einem Jahr zurückversetzt, als sie und ihre beiden Freundinnen Sara und India nicht mehr in die überfüllte Christ Venia-Kirche hineingelassen worden waren, an ihre Flucht in Richtung des nahen Friedhofs, ihren Plan B, und dann … Adrianas Hände wurden feucht bei dem Gedanken, daher zwang sie sich wieder in das Hier und Jetzt. Rico!

Nur zwei Schritte von der rettenden Haustür entfernt biss ein Delta-Dämon in Ricos braune Nerdhosenbeine. Verflucht noch mal! Der Länge nach flog Rico auf den Boden, rutschte wie ein Wunder aber noch ein paar Inches nach vorn, sodass seine Arme in Adrianas Reichweite gelangten. Geistesgegenwärtig griff sie nach seiner linken Hand, Eloy nach seiner rechten. Der Delta-Dämon bohrte seine Krallen in die steinernen Treppenstufen vor der Türmatte.

»Kopf runter!«, wies ihn Eloy an. So schnell sie konnten, zogen sie ihn ins Innere der Villa. Der Dämon wurde mitgezogen, den Kopf voran, wie eine monsterartige Seerobbe, die nicht wusste, wie ihr geschah.

»Notfallknopf!«, brüllte Harry. Sofort drückte Molly auf einen schwarzen Knopf nahe des Türrahmens – gerade als Ricos Füße die Schwelle passierten. Ein trommelfellzerfetzendes Bääm schien die Villa zu erschüttern, als das Sicherheitsrollo nach unten sauste – und den Deltakopf sauber am Hals abtrennte.

»Uhh«, machte Dakota, wobei sie gleichzeitig in etwa so grün anlief wie die Augen des Dämons.

»Rico!« Der abgehackte Dämonenkopf interessierte Adriana im Gegensatz zu Dakota gerade weniger. Sie wollte nur wissen, ob der Biss Rico verletzt hatte, ob der hochinfektiöse grüne Schleim bereits in seine Blutbahn gelangt war. Eilig zog sie ihren besten Freund auf die Beine. »Bist du okay?«

Nachdem er kurz an sich heruntergesehen hatte – sein beiger Pulli hatte ein paar Flecken davongetragen, fuhr er sich über das Kinn.

»Noch alles dran, denke ich. Er hat nur meine Hosenbeine erwischt.«

Adriana besah sich die Nerd-Cordhose mit den ausgestellten Beinen. Unten im linken Bein klafften kleine Löcher, deren Ränder teilweise mit grünem Sabber beschmiert waren. Wortlos reichte sie ihrem Freund ein Taschentuch. Blut war nicht zu sehen. Gott sei Dank.

»Bist du sicher?«

»Ja, supersicher.«

Draußen sprangen jetzt Dämonen mit gedämpften Rumms-Lauten gegen das Rollo.

»Keine Angst, hier drinnen sind wir sicher«, meinte Molly. Dann hob sie mit spitzen Fingern den Dämonenkopf an den Ohren vom Boden auf. Giftgrüne Flüssigkeit lief aus Augen, Nase und dem offenen Halsende. Fast machte er den Eindruck eines toten Rottweilers auf Adriana, oder besser gesagt: einer Kreuzung aus Rottweiler und Alligator. »Für diese Sauerei werde ich wohl später mein bestes Desinfektionsmittel brauchen.«

Irgendetwas daran, wie Molly den Dämonenkopf hielt, irritierte Adriana, doch sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn Dakotas schrille Zeterstimme erwischte sie wie eine Ohrfeige.

»Ob Rico okay ist?«, kreischte sie.

Adriana wandte sich zu ihrer Freundin um. Oh, oh. Die labile Dakota schrie sich gerade wie üblich in Rage.

»Hast du eine Ahnung, was wir durchgemacht haben, Adriana? Und das alles nur, weil du die Karte falsch gezeichnet hast. Bist du des Wahnsinns?«

»Was? Hab ich nicht. Zeig mal her.« Noch während sie Dakota zurück anblökte, prickelte eine Vorahnung in ihrem Nacken. Konnte das tatsächlich der Fall gewesen sein? Allerdings wollte sie nun auch nicht die volle Schuld auf sich nehmen. »Ihr hättet auch vorher bei Google schauen können, wo das Haus liegt, oder eine Holomap downloaden …«

Mit ihrer Chaosfrisur, die anscheinend sehr unter der Flucht gelitten hatte, wäre Dakota selbst als empörte Schwedin durchgegangen. Oder als Mollys Tochter. Allerdings stach sie mit ihrer hohen Stirn und dem nach hinten versetzten Haaransatz aus der Masse der üblichen Cheerleader-Blondinen heraus.

»Wir haben uns auf dich verlassen!«

»Jetzt kommt doch erst mal richtig rein, Kinder.« Harry hatte seinen Pädagogentonfall aktiviert.

Dakota schnaubte.

»Das sind übrigens Molly und Harry – unsere Gastgeber«, stellte Adriana die beiden vor, während sie gemeinsam ins Wohnzimmer gingen. »Und das sind meine reizenden Freunde Dakota, Eloy und Rico.«

»Die Sache ist noch nicht vorbei«, zischte ihr Dakota ins Ohr.

Adriana schluckte. Wieder fing sie an, ihre Finger zu kneten.

»Ist doch gut jetzt«, hörte Adriana Rico flüstern, als er sich neben Dakota auf die Couch fallen ließ. »Wir leben doch noch.«

»Wie kannst du das so locker sehen? Beinahe wären wir zu Dämonenfutter verarbeitet worden! Das war meine allererste Begegnung mit Dämonen. Darauf hätte ich gut und gerne verzichten können!« Hilfe suchend sah Dakota zu Eloy.

Auch Adriana, die sich ihren Freunden gegenüber auf der Armlehne eines geblümten Sessels niedergelassen hatte, da sie sich zwischen Sitzen und Stehen gerade nicht entscheiden konnte, blickte erwartungsvoll in Eloys bernsteinfarbene Augen.

»Ist schon gut.« Irgendwie schaffte Eloy es, eine unglaubliche Zuversicht auszustrahlen, wodurch sich Adrianas Herzschlag beruhigte. Lächelnd ließ sie ihre schon fast wund gekneteten Hände sinken. Es war beinahe so, als würde eine Welle der Wärme und Sicherheit von diesem hübschen Jungen zu ihr herüberschwappen. Leider währte das Glücksgefühl nicht lange, denn einen Herzschlag später nahm Eloy Dakotas Hand in seine. »Wir sind jetzt in Sicherheit.«

Und in diesem Moment hörte sich die Welt für Adriana auf zu drehen. Ungläubig schielte sie auf Eloys Hand, sodass sie seine nächsten Worte nur halb mitbekam. »Aber fragt ihr euch nicht auch, warum so schnell überall Dämonen aufgetaucht sind? Was wollten sie gerade hier? Ein ganzer Dämonen-Clan in diesem topgesicherten Villenviertel?«

Sie hörte ihn sprechen, aber ihr Verstand filterte alles um dieses eine Bild herum: Eloys Hand, die auf Dakotas lag. Tequila kam angetrottet. Der Labrador schmiegte sich an Adrianas Bein. Wie in Trance griff Adriana in sein schwarzes Fell.

»Kinder, also ich könnte jetzt einen doppelten Whiskey gebrauchen. Was möchtet ihr trinken?« Molly, die den Beta-Dämonenkopf offensichtlich entsorgt hatte, kam aus der Küche zurück, die an die hintere Ecke des Wohnzimmers grenzte. Bevor jemand antworten konnte, warfen sich draußen wieder Körper gegen das Sicherheitsrollo der Haustür. Adriana schluckte. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Wie war das damals im Zoo noch gewesen? Wie hatten die Dämonen dort das Sicherheitssystem überwunden? Fieberhaft kramte sie in ihrem Gedächtnis nach der Information, fand aber nichts. Ihr Blick hing immer noch an diesem Bild zweier sich berührender Hände.

»Keine Sorge.« Harry tätschelte Adrianas Arm. »Wir sind hier drin sicher.«

»Ich denke, ihr Kids bedient euch einfach an Cola und Wasser.« Molly wedelte mit dem Arm in Richtung der Getränke, die auf dem Couchtisch standen. »Habt ihr Hunger?«

Sie sah auffordernd in die Runde, erntete aber nur Kopfschütteln.

Ein weiteres Mal, was Adriana mehr Kraft kostete als Ricos Rettungsaktion, schielte sie unter gesenkten Lidern zu Dakota und Eloy hinüber. Leider hielt Eloy immer noch Dakotas Hand. Was verdammt noch mal sollte das? Dakota wusste doch, dass sie auf Eloy stand! Und Dakota hatte versprochen, sich nicht an ihn ranzumachen. Aber jetzt? Für ein paar Sekunden vergaß Adriana zu atmen. Waren die beiden etwa schon ein Paar?

Gerade entzog Dakota Eloy ihre Hand, aber nur, um ihm durch seine braunen Haare zu wuscheln.

»Du Sherlock Holmes der Dämonentage.« Sie lächelte. »Du wirst das Rätsel schon lösen, warum sie hier sind.«

»Ja, Sherlock Holmes mit Hirnschaden …«, brummte Rico. Die drei kicherten. Das Geräusch erschien Adriana in ihrer Stimmung geradezu grotesk fremdartig.

Entschuldigend sah Rico in ihre Richtung, wobei er beide Schultern hob. Offensichtlich konnte auch er sich nicht erklären, was zwischen Dakota und Eloy abging. Während ihrer zahllosen Abende nach Dienstschluss im Café bei zwei Gläsern Latte Macchiato und schummriger Beleuchtung hatte Adriana oft mit Rico über Eloy gesprochen. Er wusste, was Adriana für ihn empfand.

Um nicht in Tränen auszubrechen, wandte sich Adriana wieder dem Labrador neben ihr zu. Bereits in diesem Moment ahnte sie, dass die Freundschaft mit Dakota nicht mehr zu retten sein würde. Aber das Allerschlimmste dabei war, dass Dakota ihr Eloy einfach wegnahm. Auf einmal war ihr, als würde sich eine eisige Hand um ihr Herz legen. So viel Unglück und Schmerz an nur einem Abend … Und Adriana hatte gedacht, die schlimmsten Dämonentage ihres Lebens lägen bereits hinter ihr … Mit zitternden Fingern und schwer atmend fuhr sie durch Tequilas Nackenfell. Ihr Leben war der reinste Albtraum. Das konnte wirklich niemand bestreiten. Wenn sich ihre Freunde von ihr abwandten, wer blieb ihr dann noch? Außer Rico? Für einen Moment schloss sie die Augen. In ihrem Magen schienen Eisschollen sie nach unten zu drücken. Kalte Wände schoben sich von allen Seiten auf sie zu.

Gerade als der Hund seinen Kopf auf Adrianas Oberschenkel legte, hörte sie es. Ein Flüstern.

Tequila stellte die Ohren auf. Der Hund hörte es also ebenfalls! Ein tiefer Gurrlaut. Etwas Dämonisches. Die Dämonen berieten sich! Adriana wusste, dass die Dämonen alle Sprachen der Welt beherrschten plus ihre eigene dämonische Sprache, aber das da draußen war ein Dämon, der etwas in ihrer Dämonensprache zischte. Genau verstehen konnte sie es nicht. Darauf folgte ein Aufprall, so als wäre ein Riese mit beiden Beinen in den Vorgarten gesprungen.

Die Keramikfiguren auf den Beistelltischen und in den Regalen klirrten.

»Oh Gott, ein Alpha-Dämon«, entfuhr es Rico.

Alle im Raum starrten erst ihn entgeistert an und richteten dann ihre Blicke wie eine einzige Person in die Eingangshalle, die man vom Sofa aus gut erkennen konnte. Aber das Zischen und Gurren kam jetzt nicht mehr von dort, nein, es schien sich um das Haus herumzubewegen. Die Dämonen schlichen um die Villa! Wieso? Wieso gaben sie nicht einfach auf und suchten nach leichteren Opfern?

»Woher willst du wissen, dass das ein Alpha-Dämon war?«, wandte sich Dakota an Rico, der jetzt dazu übergegangen war, seine Nerdbrille mit einer Serviette zu polieren. Adriana fiel auf, dass seine Hände zitterten.

»Nur Alpha-Dämonen können fliegen und bei ihrer Landung so einen Rumms erzeugen. Hast du nicht das Rascheln gehört und dann seine Landung? Hört sich jedes Mal wie ein Donnerschlag an«, antwortete Molly an Ricos Stelle ehrfürchtig.

Adriana und ihre Freunde starrten sie mit offenem Mund an.

Harry trat hinter seine Frau. »Molly liebt die Fernseh-Dokumentationen über Dämonen.« Als wollte er seine Worte unterstreichen, küsste er Molly auf die Wange, die daraufhin wie ein kleines Schulmädchen kicherte.

Adriana war sich nicht sicher, was gruseliger war: dieser Kuss ihres ehemaligen Kinderheimleiters oder Dämonen, die ums Haus schlichen.

Wenn das so weiterging, würde sie vielleicht schon bald mit den Dämonen tauschen wollen …

Noch im selben Moment begannen die beiden Hunde zu knurren. Tequilas Kopf ruckte in Richtung des verriegelten Fensters direkt hinter dem Blümchensofa, auf dem Dakota, Eloy und Rico saßen.

»Das Dach ist doch gut gesichert, oder?«, wollte Eloy wissen.

»Noch besser als die Wände«, beruhigte ihn Molly.

Noch bevor sie den Satz ganz ausgesprochen hatte, kam Whiskey angeschossen, sprang auf Dakotas Schoß und dann auf die Sofalehne hinter ihr.

Dakota schrie auf, während sich Tequila und Whiskey darauf verlegten, das Fenster hinter ihr anzubellen.

»Schhh, aus!« Molly gab ihr Bestes, die Hunde unter Kontrolle zu bekommen, die sich wie wild gebärdeten. Schließlich musste Harry Whiskey auf den Arm nehmen und Tequila am Halsband packen. Dann schleppte er die beiden Unruhestifter, die sich nur unter Protest abführen ließen, in die Küche.

»Wir könnten diese neue Translator-App einsetzen, die angeblich die Dämonensprache übersetzen kann«, schlug Eloy vor. Er fuhr sich mit einer Hand durch die lockigen Haare und angelte dann nach seinem Handy in der hinteren Jeanstasche.

Vor dem zuvor angebellten Fenster erhob sich ein dämonisches Gemurmel und genau in dem Moment schaltete Eloy die App »Demontalk« ein.

»Schmutziges Blut!«, kreischte plötzlich eine hohe Stimme. Fast alle Anwesenden im Wohnzimmer zuckten zusammen. »Da drin!«, kreischte die Stimme. Es herrschte ein Moment der Verwirrung, bis anscheinend allen klar wurde, dass die Translator-App übersetzt hatte. Sogar Stimmlage und Lautstärke. Wahnsinn. In Adrianas Kopf drehte sich alles. Fast automatisch zog sie den Flyer aus ihrer Hosentasche, auf dem alle nützlichen Dämonen-Apps aufgeführt waren.

Neben ihr klammerte sich Molly an ihr Whiskeyglas.

Wenn dort draußen wirklich ein Alpha-Dämon gelandet war, dann mussten sie mindestens mit zehn bis zwanzig weiteren Unholden aus seinem Clan rechnen. Und wenn sie richtig Pech hatten, war es einer der Alphas, die das Feuer beherrschten. Sie überlegte, ob sie Molly fragen sollte, welche Feuerschutzmaßnahmen das Haus zu bieten hatte, aber dann ließ sie es sein. Vielleicht konnte sie Molly später kurz beiseitenehmen, aber wenn sie es laut aussprach, würde nur unnötig Panik entstehen und Dakota konnte ihr nach der Panne mit der Karte auch noch das unzureichend gesicherte Nachtquartier auf die Rechnung setzen. Dabei zahlte Adriana bereits in diesem Moment den Preis, ohne dass es jemand hier mitzubekommen schien. Sie schielte kurz zu Rico und las Verstehen in seinen Augen. Dafür schenkte sie ihm ein kurzes Lächeln.

Dann warf sie einen Blick auf den Flyer, nur um etwas zu tun zu haben. Unter einem beschreibenden Text war ein Alpha-Dämon neben einem CR-Code abgebildet, dem Nachfolger des QR-Codes. Adriana zog ihr altes iPhone 8, das einem mittlerweile in jedem Walmart hinterhergeworfen wurde, seit Apple von Tristar verdrängt worden war, aus ihrem vollgepackten Rucksack. Ihre zitternden Finger ignorierte sie weitestgehend, während sie die Kamera über den spiralförmig angeordneten Zeichencode hielt. Augenblicklich erschien das 3D-Hologramm eines Alpha-Dämons in der Luft über ihrem Bildschirm. Der Mini-Alpha, gerade mal so groß wie ihre Handfläche, drehte sich, sodass man ihn von allen Seiten begutachten konnte. Während von draußen nichts mehr zu hören war, wandten sich nun alle Hausbewohner und Gäste Adrianas iPhone zu. Eine Stimme aus dem Handy startete den Aufklärungsunterricht:

»Aussehen: Die äußere Gestalt des Alpha-Dämons gleicht einem athletischen, kräftigen Menschen mit ebenfalls menschlichem Kopf, violetter Hauttönung, Hörnern und dem Gebiss eines Vampirs.« Jetzt öffnete die Miniatur ihr Maul, um glitzernde Zahnreihen zu offenbaren, von denen vier Zähne tatsächlich wie die spitzen Beißer eines Vampirs anmuteten. »Der muskulöse Oberkörper geht am Rücken in riesige drachenähnliche Flügel über.« Stolz deutete der Mini-Alpha-Dämon zunächst auf sein Dämonen-Sixpack und dann auf seine Drachenflügel, wobei er die Muskeln spielen ließ. »Sie reißen ihren Opfern das Herz heraus, und erst danach ist es den niederen Dämonen erlaubt, ebenfalls zu fressen. Die Überlebensrate von Menschen bei der Begegnung mit einem Alpha liegt bei unter 2,5 Prozent«, ratterte die Stimme die letzte Statistik herunter.

Aha … also immer noch nichts wirklich Neues, was die App da erzählte. Obwohl der Alpha-Dämon irgendwie cool aussah und beinahe menschlich wirkte, wusste doch jeder, dass es sich hier um eine Killermaschine handelte. Adriana schluckte. Mit genau so einem Killer-Alpha hatte sie letztes Jahr bereits Bekanntschaft gemacht. Diesen einprägsamen Moment wollte sie sicher nicht noch einmal wiederholen … Immerhin gehörte sie damit zu der elitären Unter-2,5-Prozent-Gruppe.

Schnell schüttelte sie diesen Gedanken ab und drückte das Hologramm weg.

Draußen knurrte es. Knochen knackten.

»Heilige Scheiße.« Dakota sprang auf.

Rückwärts entfernte sie sich von den Dämonenstimmen vor dem Fenster. Auch Eloy und Rico erhoben sich. Draußen schnatterten die Dämonen durcheinander, bis eine dunkle Stimme etwas Unverständliches brüllte.

»Der Alpha«, flüsterte Rico, während er noch an seiner Translator-App herumfummelte, die sich bereits ausgeschaltet hatte.

Mit einem leisen Wimmern griff Dakota nach Eloys Hand. Adriana registrierte es sofort. Diese falsche Schlange! Frustriert schob sie die Ärmel ihres grauen Sweatshirts nach oben. Der Stoff fühlte sich flauschig und auch irgendwie beruhigend auf ihrer Haut an. Als der nächste Schrei im Garten verhallte, stellten sich die Härchen auf ihren Unterarmen auf. Nur die um ihre Narbe auf ihrem linken Arm nicht. Ihre Narbe … Sie war kreisrund, etwa so groß wie ein Eincentstück und endete dann in einem daumenlangen Kratzer. Dadurch wirkte die Narbe beinahe wie ein Luftballon an einer Schnur. Andächtig strich sie darüber. Die Narbe, die ihr letztes Jahr von einem Alpha-Dämon zugefügt worden war. Dem Alpha, der ihr Leben verschont hatte. Dem Alpha, dessen Dämonenclan Adrianas Freundinnen Sara und India gejagt und getötet hatte. Adriana wurde schwarz vor Augen, als sie an die Bilder der Nacht von vor einem Jahr zurückdachte.

Als sie vor- und zurücktaumelte, fing Rico sie auf.

»Alles okay?«

Daraufhin konnte sie nur nicken. Um sich zu beruhigen, schob sie ihre Hände in die Taschen ihres Sweatshirts und umfasste die Digimonfiguren, die sie darin aufbewahrte. Die vertraute Oberfläche, die ihre Finger ertasteten, verlangsamten automatisch Adrianas Herzschlag.

Gleichzeitig riefen die Dämonen auf der anderen Seite des Fensters in Dämonensprache durcheinander. Die App übersetzte nur wirres Zeug und konnte offensichtlich nicht mithalten. Der Clan schien durch irgendetwas in helle Aufregung versetzt worden zu sein. Warum zogen sie nicht einfach ab? Eine Belagerung. Dabei hatte sich Adriana doch geschworen, in diesem Jahr alles anders zu machen.

Eine hohe Stimme brüllte etwas im Garten.

»Reißt das Haus ein!«, kam das nervenzerrende Echo aus dem Handy. »Schmutziges Blut muss ausgerottet werden!«

»Brennt das Haus niedrig!«, verlangte eine andere Stimme. An manchen Übersetzungen musste die App noch arbeiten.

Im Haus schlug Molly die Hände vor den Mund. Harry, der gerade aus der Küche zurückkam, legte einen Arm um sie.

»Nein!«, brüllte wieder die tiefe Stimme, die Adriana für den Alpha hielt. »Vergesst den Pakt nicht. Er wurde mit Blut geschlossen!«

Was? Adriana verstand kein Wort. Was sollte das? Schmutziges Blut? Wen meinte der Alpha damit? Und welcher Pakt?

»Rico …« Sie zog den Namen ihres Freundes in die Länge. »Was weißt du über Dämonenpakte?«

Mollys Kopf ruckte herum.

Auch Dakotas Mund klappte auf. »Nimmst du das etwa ernst? Wenn du mich fragst, sind diese Dämonen einfach nur geisteskrank.«

»Man sollte nicht immer von sich auf andere schließen«, murmelte Rico neben Adriana so leise, dass sie sich sicher war, dass nur sie es gehört hatte.

Verwundert hob sie eine Augenbraue. Was stimmte denn auf einmal zwischen Rico und Dakota nicht? War da etwas vorgefallen, von dem sie nichts wusste?

»Gebt das Schmutzige Blut heraus!«, verlangte eine Kreischstimme, dieses Mal auf Englisch.

Wieder wurde ein kleiner Körper von außen gegen das Fenster gedonnert. Das Jaulen, das darauf folgte, war ohrenbetäubend.

Im Wohnzimmer stellte sich nach diesen Geräuschen eine betretene Stille ein. Nur in der Küche kläfften die Hunde.

»Ein Schmutziges Blut? Meint er etwa einen Halbdämon?«, kombinierte Dakota schließlich messerscharf.

Eloy drückte ihre Hand. »Möglich.«

Überrascht fuhr Adrianas Kopf zu ihr herum. Auch Rico blinzelte sie mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Bewunderung an.

Dakota verdrehte die Augen.

»Ich wünschte, die Engel würden zurückkehren und die Dämonen vertreiben. Das Problem ein für alle Mal lösen.«

Adrianas Blick richtete sich auf Rico. Hatten die beiden etwa seit gestern Abend Streit? Und wenn ja, warum? Zuerst allerdings wollte Adriana etwas anderes geklärt haben.

»Rico, was weißt du über Dämonenpakte?«, wiederholte sie ihre Frage.

»Hm, mal überlegen …« Rico schob seine Brille nach oben, um sich an der Nasenwurzel zu kratzen. »Es wurden schon immer, das heißt seit Anbeginn der Zeit, Pakte zwischen Menschen und dem Teufel oder zwischen Menschen und Dämonen geschlossen. Meistens möchte ein Mensch einen Wunsch erfüllt bekommen. Der Dämon erfüllt ihn, aber nur zu einem extrem hohen Preis. Am Ende ist oft nur der Dämon der Gewinner, denn der Mensch, der ja ein Gewissen hat, kommt irgendwann nicht mehr mit dem Pakt klar. Das endet häufig darin, dass der Mensch nicht mehr damit leben kann, was er getan hat, und sich umbringt.«

»Wie bitte?«, schaltete sich Dakota ein. Adriana passte Dakotas herablassender Tonfall zwar ganz und gar nicht, aber sie war so sehr auf Ricos nächste Worte gespannt, dass sie nicht eingriff.

»Ich habe da mal einen Artikel gelesen über eine Frau, die keine Kinder bekommen konnte und deshalb mit einem Alpha-Dämon einen Pakt schloss. Er würde ihr einen Fruchtbarkeitstrank besorgen, von dem sie mit Drillingen schwanger werden würde. Aber der Dämon wollte als Preis eins der Neugeborenen für sich selbst behalten. Die Frau ging auf den Deal ein. Schließlich hätte sie immer noch zwei Babys behalten dürfen. Doch dann, kurz nach der Geburt, konnte sie nicht mehr mit ihrer Schuld leben, dass der Dämon bald kommen und eins der Kinder mitnehmen würde. Als er schließlich kam, schnitt sie sich die Pulsadern auf und bat ihn, sie anstelle des Babys zu fressen. Der Dämon wurde wütend, und das Ende vom Lied war, dass die Frau starb und der Dämon den dicksten der Säuglinge fraß.«

»Das ist nicht dein Ernst? Du verarschst uns!«, meckerte Dakota.

»Nein, diese Geschichte ist wahr«, sagte Harry, der lange Zeit still gewesen war. »Davon habe ich auch gehört. Das ist vor zwei Wintern in Pennsylvania passiert.«

»Okay, aber was bedeutet das für uns?« Wie ein Detektiv, der über einen besonders komplizierten Fall nachdachte, drehte Adriana kleine Runden auf dem Perserteppich vor der Couch. »Ein Pakt verbietet den Dämonen, das Haus niederzubrennen. Irgendeine Idee, worum es dabei gehen könnte, Molly?«

Doch Molly schüttelte nur stumm den Kopf.

»Im Grunde ist das doch ein ganz nützlicher Pakt«, meinte Eloy. »Nützlich für uns.«

»Ja, schon, aber wollt ihr nicht auch wissen, wer ihn geschlossen hat und warum?« Adriana sah jeden im Wohnzimmer eindringlich an.

Schließlich, nachdem offensichtlich niemand etwas dazu sagen wollte, seufzte Molly: »Ich glaube, es gibt wichtigere Dinge momentan, um die wir uns kümmern müssen.«

Da hatte Molly Svensson auch wieder recht.

Draußen erhob sich eine kreischende Beta-Dämonen-Stimme. »Das Schmutzige Blut ist gefährlich! Es muss sterben!«

»Nein, das ist gegen die Regeln!«, donnerte der Alpha draußen und mit wenigen Sekunden Verzögerung aus dem Handy. Offensichtlich verpasste er danach dem Dämon, der nach Tod geschrien hatte, einen ordentlichen Tritt. Zumindest, wenn man das Poltern und Jammern richtig deutete. »Schalte doch mal dein Gehirn ein, Satael! Das Kind, in dessen Adern das Schmutzige Blut fließt, ist markiert. Riecht ihr das nicht?«

»Von welchem Alpha, welchem Alpha?«, gurrten ein paar niedere Dämonen, wahrscheinlich Gammas.

»Es riecht nach dieser Missgeburt Cruz. Ausgerechnet dieser Bastard!« Erneut schlug der Alpha-Dämon einen anderen Dämon. Es klatschte, gefolgt von einem Heulen, bei dem Adriana auf einen Delta tippte.

»Blödes, schmutziges, markiertes Blut«, jaulte es aus Ricos Smartphone.

Adriana zuckte zusammen. Jemand hier drin sollte von einem Dämon markiert worden sein? Meinte der Alpha-Dämon damit, dass ein anderer Alpha jemanden hier drin angepinkelt hatte wie ein Hund einen Baum? Wie merkwürdig war das denn, bitte?

Der Dämon hatte »Kind« gesagt. Damit waren Molly und Harry schon mal raus. Übrig blieben Eloy, Dakota, Rico und Adriana. Das schien auch Dakota aufzugehen, denn sie fixierte Adriana. »Das Schmutzige Blut ist einer von uns. Molly und Harry scheiden aus.«

»Warum schaust du jetzt mich dabei an?«, wollte Adriana wissen.

»Du bist schuld, dass wir fast gefressen wurden. Vielleicht stehst du ja auf der Seite der Dämonen? Vielleicht bist du es auch, die einen Pakt mit denen da draußen geschlossen hat!« Dakota deutete auf das Fenster.

Diese Anschuldigung und der aggressive Tonfall machten Adriana beinahe sprachlos.

»Spinnst du? Ich will euch doch nicht tot sehen. Und ich arbeite schon gar nicht mit Dämonen zusammen! Was denkst –« Ein ohrenbetäubendes Brüllen unterbrach Adrianas Redefluss.

»Ich will, dass mir jemand diesen Bastard Cruz hierher schafft! Er soll das Schmutzige Blut töten!« Daraufhin brach draußen das Chaos aus, als würden sich die Dämonen darum schlagen, den Auftrag auszuführen.

»Verfolgt seine Spur vom Höllentor aus.« Bei der Erwähnung des Höllentors, das die Bewohner von Portland auch Mystery Hole nannten, erschauderte Adriana. Man stelle sich nur vor, dieses Tor, das sich während der fünf letzten Tage des Jahres abends öffnete, führte direkt in die Hölle … Früher hatten Engel parat gestanden, und zwar an allen Höllentoren der Erde, um die Dämonen zurückzudrängen, aber das war schon einige Jahre her …

»Wie auch immer.« Dakota verschränkte die Arme vor der Brust. »Sicherlich werden wir bald erfahren, wer es ist. Dieser Dämon, den sie Cruz nennen, wird es wissen. Du kannst es uns aber auch einfacher machen, dich deinen Dämonenfreunden stellen und zugeben, dass du es bist, Adriana. Bist du ein Halbdämon? Schließlich kennst du deinen Vater nicht, oder?«

Dakotas Theorie war so unglaublich, dass es Adriana fast den Atem verschlug. Nie und nimmer war ihr Vater ein Dämon! So etwas merkte man doch sicherlich, oder? Konnte man ein Halbdämon sein, ohne selbst davon zu wissen? Nach diesen Anschuldigungen, grenzte es an fast zen-artige Selbstbeherrschung, dass Adriana Dakota nicht an die Kehle sprang.

»Nur weil ich nicht weiß, wer mein Dad ist, heißt das noch lange nicht, dass ich zur Hälfte Dämon bin! Eure Mütter hätten euch drei genauso gut darüber belügen können, wer euer wirklicher Vater ist.«

Eloy verzog das Gesicht. »Ich glaube kaum, dass meine Mutter mit einem Dämon …«

In einer lässigen Geste zuckte Harry mit den Schultern.

»Alpha-Dämonen sehen beinahe menschlich aus, wenn man von der Hautfarbe, den Hörnern und den Flügeln absieht. Ab und zu kommt es schon zu Liebschaften zwischen ihnen und Menschen oder zu Vergewaltigungen. Irgendwie müssen Halbdämonen ja entstehen.«

Beinahe so, als müsste er sich übergeben, hielt sich Rico den Bauch.

In Adrianas Kopf rotierte es. Das konnte nicht stimmen. Ihre Mutter und ein Dämon? Nein, unmöglich. Ohne es wirklich zu registrieren, knetete sie ihre Finger, bis sie knackten.

Während sie noch vor sich hin grübelte, trat Dakota einen Schritt nach vorn und packte Adrianas Unterarm.

»Du hast da doch so ein Muttermal, nein – eine Narbe …«

Vergeblich mühte sich Adriana ab, sich Dakotas Griff zu entwinden. Aber die hielt ihren Arm fest umklammert.

»Lass das!« Doch Dakota packte noch fester zu und hielt Adrianas entblößten Unterarm in die Höhe. »Tadaa! Ein Mal. Wusste ich’s doch. Das hatte ich früher schon bei dir gesehen. Wenn das kein Zeichen ist!«

»Spiel dich nicht so auf, Dakota.« Rico trat zwischen die beiden Mädchen. »Das bedeutet gar nichts. Jeder hat doch irgendwo eine Narbe oder ein Muttermal.«

Natürlich sah Dakota alles andere als überzeugt aus.

»Und was ist mit dem Pakt? Woher sollen wir wissen, dass sie es nicht gewesen ist?«

»Ach, Kinder, am besten beruhigen wir uns alle.« Molly hob beide Hände. »Das bringt doch auch nichts. Noch scheint alles sicher zu sein. Falls die Dämonen wirklich beginnen, die Mauern einzureißen, könnten wir zur Not in den Keller flüchten. Dort steht ein Tresorraum, den man von innen verriegeln kann. Wir müssten zu sechst mit den Hunden und Coco gerade so hineinpassen.«

Harry nickte. »Ich mache uns jetzt erst mal allen eine heiße Schokolade mit Marshmallows, um die Gemüter zu beruhigen.«

Allerdings befürchtete Adriana, dass es bedeutend mehr als eine Tasse Kakao brauchen würde, um Dakotas aufgebrachtes Wesen zu besänftigen.

»Wir sprechen uns noch«, zischte Dakota Adriana zu, sodass nur sie es hören konnte. »Bei mir kommst du nicht weit mit deinem Unschuldsgetue.«

Wie bitte? Adriana starrte ihre Freundin mit offenem Mund an. Das konnte nicht ihr Ernst sein!

Nach einem heftigen Blickduell fand sie letztendlich ihre Sprache wieder.

»Wenn ich auf deren Seite stehen würde, hätte ich sicher nicht Rico durch die Tür gezogen!«

Dakota machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn du uns am Ende eh alle auslieferst, spielt das keine Rolle mehr.«

»Was ist in dich gefahren? Wir sind … wir waren doch mal Freunde?«

»Du weißt ganz genau, was passiert ist, Adriana!« Und damit warf Dakota den Kopf in den Nacken und stolzierte davon.

Hilflos sah Adriana sich um. Eloy war mit Molly und Harry in die Küche gegangen. Wo steckte Rico? Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass er aufgestanden war. Sie entdeckte ihn auf einer Holzbank nahe der Eingangstür.

Den Kopf in den Nacken gelegt, starrte er die Wand an.

Mit Gefühlen, die sie beinahe zu erdrücken drohten, ging Adriana auf ihn zu.

»Hey. Darf ich mich zu dir setzen?«

»Klar.« Er rückte zur Seite.

Um sich abzulenken, fummelte Adriana an dem Dämonenflugblatt herum, lud auch gleich die Dämonensprache-Übersetzer-App herunter. Dabei fiel ihr Blick auf die nächste Dämonenkategorie: Beta-Dämonen.

Die Handlanger der Alphas mit dem ewigen Ziel, selbst zum Alpha aufzusteigen. Wieder richtete Adriana die Kamera ihres iPhones auf den CR-Code.

Ein etwa zeigefingergroßes, hellbraunes Wesen erschien, das Adriana stark an den alten Film »Die Mumie kehrt zurück« erinnerte.

»Aussehen: Beta-Dämonen gleichen Mumien, die komplett mit Sand bedeckt sind. Sie scheinen von Bandagen umwickelt zu sein, die aus einem Material ähnlich Schleifpapier bestehen. Ihr Gebiss erinnert an das eines Pitbulls, wobei sich die Zähne wie ein Müllschlucker im Kreis drehen können.«

Fasziniert starrte Adriana auf das rotierende Gebiss. Unfassbar, diese Animation. »Ihnen gebührt der zweitbeste Bissen des Opfers – das Hirn. Ihre Augen glühen rot.« Der Beta-Dämon, von dem kontinuierlich Sand zu rieseln schien, zeigte Adriana den Mittelfinger. Charmant, charmant … Kopfschüttelnd drückte sie den Dämon weg.

»Du glaubst doch nicht etwa, dass ich auf der Seite der Dämonen stehe, oder?«

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Rico sie an.

»Du redest so einen Bullshit. Natürlich tust du das nicht.« Er legte ihr einen Arm um die Schultern, was Adriana zum Anlass nahm, sich an ihn zu kuscheln.

»Wenn du mich fragst, sollten wir Dakota einen Maulkorb verpassen«, murmelte er an ihrem Ohr.

»Ist irgendwas zwischen euch vorgefallen? Du musst nicht antworten, wenn es dir zu persönlich ist.«

Ohne hochzusehen, spürte Adriana, wie sich Rico über die Stirn rieb.

»Nein, schon gut. Ich möchte keine Geheimnisse mehr vor dir haben. Gestern Abend … habe ich Dakota gestanden, dass ich in sie verliebt bin.«

»Was?«

»Ja, ich weiß, das war ungefähr das Dümmste, was ich je getan habe. Und natürlich hat sie mich ausgelacht.«

»Das hat sie nicht!«

»Doch. Aber ich bin selbst schuld. Ich wusste doch, wie überheblich sie manchmal sein kann. Aus Wut darüber habe ich ihr an den Kopf geworfen, und das war noch dümmer, dass sie damit einen guten Freund verloren hat und deshalb während der Dämonentage ganz allein dastehen wird. Ich meine, jeder weiß doch, dass du und Eloy so gut wie zusammen seid … Auf jeden Fall ist sie anschließend total ausgeflippt.«

Adriana grunzte. Ja, sicher, sie und Eloy … So hatte es vielleicht bis gestern ausgesehen.

»Sind wir nicht.«

»Aber ihr zwei … Au!«

Durch Ricos schmerzverzerrte Stimme alarmiert, fuhr Adriana hoch.

Wie in Trance sah sie mit an, wie sich Rico zuerst über die Wade strich, als ob es ihn dort jucken würde, und dann das linke Hosenbein aus braunem Cord nach oben rollte.

»Himmel, hat dich der Dämon doch gebissen?«, fragte Adriana. Davon war vorhin gar nichts zu sehen gewesen, als sie Rico mitsamt dem Delta-Dämon am Hosenbein durch die Tür gezogen hatte. Aber jetzt klaffte ein roter Strich an Ricos Wade, der ein wässriges Sekret absonderte. Der grüne Speichel von Deltas übertrug eine Vielzahl an Erregern, das wussten alle. Kleinste Wunden, in die dieser Speichel geriet, konnten sich böse infizieren und zum Tod innerhalb von zwölf Stunden führen, wenn man es nicht rechtzeitig behandelte.

Bitte nicht. Ungläubig blinzelte Adriana mehrere Male. Nicht Rico!

»Verdammt. Wahrscheinlich habe ich vorhin wegen des Adrenalins nichts gespürt.« Mit geschlossenen Augen hämmerte Rico seinen Hinterkopf gegen die Wand. Dabei hüpfte ihm beinahe die Brille von der Nase.

Und sie, Adriana, hatte nicht genau genug nachgesehen.

Das durfte einfach nicht wahr sein! In den nächsten Stunden bis Sonnenaufgang konnten sie die Villa nicht verlassen. Adriana vergrub ihr Gesicht in den Händen.

»Heiße Schokolade!« Zu allem Überfluss kam jetzt auch noch Harry mit einem Tablett voll dampfender Tassen ins Wohnzimmer. Wenigstens gab das Adriana ein paar Sekunden zum Nachdenken.

»Sag es nicht den anderen«, flüsterte Rico.

»Warum nicht?«

»Ich will kein Mitleid, wozu auch? Es macht keinen Unterschied in meiner Situation. Stattdessen würde ich mich durch ihre entsetzten Blicke nur noch unwohler fühlen. Und am Ende kommen sie noch auf dumme Ideen.«

Adriana verstand. Rico wollte nicht, dass Dakota sie anschrie. Weil sie schuld an all dem war.

»Wollt ihr Marshmallows in euren Kakao?« Gerade als Adriana Rico zurück ins Wohnzimmer gezogen hatte, legte ihr Molly eine Hand auf die Schulter. Beinahe wäre sie zusammengezuckt.

»Ja, bitte.«

Daraufhin drückte ihr Molly eine Tasse mit Marshmallows in die Hand, die wie kleine Wölkchen in der braunen Flüssigkeit umherschwammen.

Während sie es sich alle auf den Sesseln und Sofas bequem machten, sagte niemand ein Wort. Eine Weile hörte man nur Geschlürfe. Draußen im Garten herrschte Stille. Ob sich die Dämonen verzogen hatten? Sie sollten gleich mal Harrys Monitoren einen Besuch abstatten, um das zu überprüfen.